eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 15/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
31
2004
151 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Vom Pyramidenbau zum Manhatten Project

31
2004
Astrid Pfeiffer
2004 wird die GPM 25 Jahre alt. Von 1979 bis heute hat sie die Entwicklung des Projektmanagements in Deutschland begleitet und maßgeblich gestaltet. Zeit für einen Rückblick über die Geschichte des Projektmanagements und ein Ausblick in die Zukunft. Als Start einer mehrteiligen Serie geben wir in diesem Heft einen Überblick über die Vorläufer des modernen Projektmanagements vom Altertum bis in die Neuzeit. Großprojekte, die gemanagt werden mussten, gab es bereits im alten Ägypten und im Mittelalter, auch wenn damals noch niemand von Projektmanagement im heutigen Sinne sprach. Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts existiert dieser Begriff, und erst seit dieser Zeit fanden Projektplanungstechniken eine größere Verbreitung.
pm1510003
2 EDITORIAL 3 REPORT Vom Pyramidenbau zum Manhattan Project 25 Jahre GPM: Projektmanagement im Spiegel der Zeit - Teil 1 Astrid Pfeiffer 2004 wird die GPM 25 Jahre alt. Von 1979 bis heute hat sie die Entwicklung des Projektmanagements in Deutschland begleitet und maßgeblich gestaltet. Zeit für einen Rückblick über die Geschichte des Projektmanagements und ein Ausblick in die Zukunft. Als Start einer mehrteiligen Serie geben wir in diesem Heft einen Überblick über die Vorläufer des modernen Projektmanagements vom Altertum bis in die Neuzeit. Großprojekte, die gemanagt werden mussten, gab es bereits im alten Ägypten und im Mittelalter, auch wenn damals noch niemand von Projektmanagement im heutigen Sinne sprach. Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts existiert dieser Begriff, und erst seit dieser Zeit fanden Projektplanungstechniken eine größere Verbreitung. D ie Baumeister des alten Ägypten haben eine Leistung erbracht, die bis heute unübertroffen ist: den Bau der Pyramiden. Das um 2700 vor Christus errichtete Grabmal des Pharaos Cheops, die größte Pyramide des Landes, war für damalige Verhältnisse ungeheure 146 Meter hoch - vergleichbar einem Wolkenkratzer mit 42 Stockwerken - und bedeckte mehr als fünf Hektar Fläche. In diesem Beitrag interessiert jedoch weniger das technische Können, sondern die Perspektive des Projektmanagements. Die Baumeister des Altertums bewegten Zehntausende von Arbeitern dazu, unter Qualen tonnenschwere Steinquader aufeinander zu schichten. Sie koordinierten den Einsatz der Arbeiter, organisierten Baumaterial und sorgten für dessen Transport zur Baustelle. Dafür bedurfte es einer funktionierenden Infrastruktur. Professor Bernd J. Madauss, Autor des Standardwerks „Handbuch Projektmanagement“ (siehe Interview), glaubt deshalb: „Schon beim Pyramidenbau muss eine Art Projektmanagement-Funktion existiert haben.“ „Schon beim Pyramidenbau muss eine Art Projektmanagement-Funktion existiert haben“ Über Jahrzehnte schufteten Zehntausende von Steinmetzen, Facharbeitern, Tagelöhnern und Versorgungspersonal auf der Baustelle. Gearbeitet wurde in Gruppen, wahrscheinlich einige hundert Mann pro Team, und zwar im Schichtbetrieb, so dass immer nur eine begrenzte Zahl von Arbeitern zeitgleich im Einsatz war. Die Baumeister sollen bereits Buch über Arbeitszeiten, Personaleinsatz und Löhne geführt und Berichte über Baumaßnahmen, Logistik sowie Zeitpläne erstellt haben. Starb ein Pharao, bevor seine Pyramide, die ihm als Grabmal für die Ewigkeit dienen sollte, fertig war, war Krisenmanagement angesagt. Priester, Architekten und Bauleiter mussten innerhalb kürzester Frist eine Ersatzlösung realisieren, da die Mumie des verstorbenen Pharaos 70 Tage nach dessen Tod beigesetzt werden musste. Projekte für militärische Zwecke Die griechischen Philosophen und Techniker der Frühantike besaßen bereits ein umfangreiches Wissen in den Naturwissenschaften. Doch das Ingenieurwesen erlebte erst später, im Römerreich, seine Hochzeit. Vor allem die Militäringenieure trieben die Entwicklung in der Bautechnik voran. Die römischen Legionen sorgten für den Ausbau der Straßen, errichteten Brücken, Häfen und Städte. Ein Großteil der Projekte diente also schon damals militärischen Zielen. Sie ermöglichten erst, dass Projektmanagement später auch in zivile Bereiche vorstieß. Andere große Bauprojekte, etwa die Chinesische Mauer, dienten ebenfalls militärischen Zwecken. Der Schutzwall ist etwa 3.450 Kilometer lang, mit allen Zweigmauern 6.250 Kilometer. Schon 481 bis 249 vor Christus setzte der Bau von Grenzbefestigungen in China ein. Damals bestanden diese Wallanlagen zur Abwehr von Überraschungsangriffen der Reiternomaden aus der Steppe und zum Schutz gegen die Nachbarstaaten noch aus Erde und Holz. Die Ming-Dynastie, die von 1368 bis 1644 regierte, brachte die Mauer in ihre heutige Form. Auch das Mittelalter war von Militärprojekten geprägt, vor allem vom Festungsbau. Die Sorgen der Projektverantwortlichen von damals unterschieden sich kaum von denen, die Projektleiter heute haben. Der berühmte Barockbaumeister Balthasar Neumann etwa hatte ein Kommunikationsproblem: Er versuchte vergeblich, seinen Maurermeistern klar zu machen, wie sie die komplizierten Gewölbekonstruktionen bauen sollten, die ihm vorschwebten. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als die Arbeiten persönlich zu beaufsichtigen - mit der Folge, dass er ständig reisen musste. Die Techniaktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell 4 REPORT 5 Foto: Deutsche Bundesbank ken der technischen Zeichnung standen Neumann noch nicht zur Verfügung. Sie existierten nur in Frankreich, wo sie als militärisches Geheimnis des Festungsbaus gehütet wurden, so Professor Peter F. Elzer von der TU Clausthal auf der interPM 2003 (siehe Interview). Derart strenge Geheimhaltungsvorschriften waren immer wieder in der Geschichte des Projektmanagements dafür verantwortlich, dass nützliche Methoden sich nicht oder erst viel später verbreiteten. Auch die „Projektleiter“ des Mittelalters waren vor den klassischen Fehlern des Projektmanagements nicht gefeit. Eine ausgewachsene Fehleinschätzung unterlief den Erbauern des Kölner Doms: Sie hatten die Anforderungen auf die leichte Schulter genommen. Die Folge: Die Baustelle bestand mehrere hundert Jahre. Erst als man technische Mittel und ausreichend Geld besaß, baute man den Dom fertig, so Elzer. Zur jüngeren Geschichte des Projektmanagements gehören die großen Infrastrukturprojekte des 19. und 20. Jahrhunderts, etwa der Bau der Eisenbahnlinien, das Stromnetz und die Telekommunikation. Die erste Dampfeisenbahn auf dem europäischen Kontinent wurde 1835 zwischen Brüssel und Mecheln eingeweiht. Im gleichen Jahr ging mit der 6,1 Kilometer langen Ludwigsbahn von Nürnberg nach Fürth die erste deutsche Strecke in Betrieb. Der Bau des 300 Meter hohen Eiffelturms zur Weltausstellung von 1889 unter der Regie von Gustave Eiffel sowie der Bau des Panamakanals und des Suezkanals sind weitere historische Wegmarken. Im Zentrum der vorhandenen Dokumentation stehen allerdings weniger die Managementtechniken, sondern die Technikgeschichte. Umstieg in die moderne Welt Der Umstieg in die moderne Welt war nach dem ersten Weltkrieg international fällig, glaubt Elzer. Vor allem in den USA wurden seit Roosevelts „New Deal“ neue Planungsverfahren, Organisationsformen und Denkweisen angewandt. Angesichts der Wirtschaftsschwäche musste die öffentliche Hand Staudämme, Autobahnen und andere Infrastrukturkomponenten in Auftrag geben, damit sich die Wirtschaft erholte. Sie investierte in Zukunftstechnologien und wandte moderne Verwaltungs- und Planungstechniken an. Überdimensionale Bau- und Rüstungsprojekte nutzte auch das verbrecherische Regime Adolf Hitlers, um die Wirtschaft anzukurbeln und seinen Größenwahn auszuleben. Die gewaltige Aufrüstung, der Aufbau der Verkehrsinfrastruktur oder die - nur teilweise verwirklichten - Baupläne für Nürnberg und Berlin sind Beispiele dafür. Die Geschichte der Bau- und Rüstungsprojekte im Dritten Reich ist eine Geschichte der Fehlschläge Bei der Recherche für diesen Artikel zeigte sich vielerorts eine gewisse Scheu, über diese Zeit zu sprechen. Professor Winfried Nerdinger (Architekturmuseum der TU München), Herausgeber des Bandes „Bauen im Nationalsozialismus“ (1993), der die Bauprojekte dieser Zeit kritisch analysiert, hält dieser Scheu in seinem Vorwort zu Recht entgegen: „Wer die Produkte aus der Zeit des Nationalsozialismus versperrt, dämonisiert sie nur, macht sie damit interessant und leistet falschen Interpretationen Vorschub. Nur Information und Aufklärung können den Nachgeborenen helfen, die Vergangenheit zu verstehen und, sofern überhaupt möglich, sie zu bewältigen oder gar daraus zu lernen.“ Laut Elzer übertrug Speer die in Amerika für große Bau- und Rüstungsprojekte entwickelten Planungstechniken auf die deutsche und europäische Industrie. „Die Nazis haben das, was sowieso angewandt worden wäre, auf sich umgeschrieben.“ Die Geschichte der Bau- und Rüstungsprojekte im Dritten Reich ist allerdings eine Geschichte der Fehlschläge: Viele von Hitlers Vorhaben verschlangen ein Vielfaches Balthasar Neumann, der berühmte Baumeister, war als „Multiprojektmanager“ ständig auf Reisen, weil ihm technische Zeichnungen noch nicht zur Verfügung standen. aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell 4 REPORT 5 des geplanten Budgets oder wurden nie fertig gestellt. Der Staat stellte aus ideologischen Gründen unbegrenzte Mittel bereit. Millionen von Zwangsarbeitern und Häftlingen aus Konzentrationslagern wurden unter unmenschlichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen. Fehlerhafte Projektplanungen haben die Verantwortlichen seit jeher in der Geschichte dadurch ausgeglichen, dass sie ihren Arbeitern mehr abverlangten. Vieles hing von den Personen ab, die in der Lage waren, Vorhaben solch gigantischer Dimensionen zu organisieren. Einer von ihnen war Fritz Todt, verantwortlich für den Autobahnbau. 1934 startete er in einem Großvorhaben 22 zeitgleiche Baustellen. Doch 1.000 neue Autobahnkilometer jährlich zu schaffen und damit die Arbeitslosigkeit massiv zu senken erwies sich als schwierig. Entgegen aller Propaganda musste das Regime die Arbeiten weitestgehend mechanisieren. Bis Kriegsende soll das Regime rund 6,5 Milliarden Reichsmark für Autobahnen ausgegeben haben. Wie es in Nerdingers Band heißt, soll ein Kilometer im Durchschnitt 900.000 Reichsmark gekostet haben, etwa das Dreifache des 1933 vorgesehenen Budgets. Doch die Propagandamaschine arbeitete auf Hochtouren, um diese Zahlen zu vertuschen. So schuf Todt mit der Zeitschrift „Die Straße“ ein Propagandablatt, das monatlich den Arbeitsfortschritt für die Bevölkerung dokumentierte - und schönfärbte. Ab 1938 verantwortete Todt auch militärische Befestigungen wie den „Westwall“, für den er die berüchtigte „Organisation Todt (OT)“ etablierte. Sie bestand Foto: DHM Berlin Le Bihan Consulting GmbH 1/ 2 Seite quer + 4c (183,5 b × 125 h) Anzeige Plakat zum Bau der Reichsautobahnen 1936: Sie kosteten damals dreimal so viel wie geplant und hatten nur einen geringen Effekt für den Arbeitsmarkt. aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell 6 REPORT 7 Prof. Dr.-Ing. Peter F. Elzer von der TU Clausthal, langjähriger Sprecher des Arbeitskreises „Management von Softwareprojekten“ in der Gesellschaft für Informatik (GI), hat die Einflüsse des sehr viel älteren Bauwesens auf die moderne Software-Entwicklung untersucht - und dabei so manche Gemeinsamkeit entdeckt. Herr Professor Elzer, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Bauprojektmanagement und Softwareprojektmanagement zu vergleichen? Ich kenne beide Seiten. Meine Vorfahren haben in der Baubranche gearbeitet, mein Vater hat mich entsprechend ausgebildet - vom Zeichnen der Pläne über eine Lehrlingstätigkeit auf verschiedenen Baustellen bis hin zu Planung, Abrechnung und stellvertretender Bauleitung. Nach meinem Studium habe ich einige Jahre in der Industrie zugebracht und am Institute for Defense Analyses/ DARPA in den USA gearbeitet. Ich kenne die US- und die deutsche Forschungsszene und die internationale Industrieszene. Was haben Bauwesen und Datenverarbeitung gemeinsam? Die Ähnlichkeit ist kein Zufall. In beiden Fällen handelt es sich um die Entwicklung komplexer Systeme. Denn eine Großbaustelle ist nichts Triviales. Serienfertigung im Bauwesen war immer eine Illusion. Was herauskommt, wenn man das probiert, sieht man an den Plattenbauten. Natürlich wird kein Architekt und kein Bauingenieur immer etwas Neues erfinden. Er arbeitet nach Entwurfsmustern. Ich besitze noch welche von meinem Vater und meinem Großvater. Diese werden aber immer neu an die Erfordernisse des Einzelfalls angepasst. Sie haben gesagt: „Wenn man in 75 Jahre alten Bautagebüchern des Großvaters liest, findet man Methoden, die einem heute als neueste Errungenschaft aus Übersee verkauft werden …“ Die Informatik nimmt nie Bezug auf Dinge, die es schon vorher gegeben hat. Diese Beobachtung mache ich seit etwa 30 Jahren, auch beim Projektmanagement. Nehmen Sie Balkenpläne, die guten alten Gantt-Charts. Sie sind fast 100 Jahre alt. Und der Netzplan wurde zuerst in Amerika eingesetzt, um große Regierungs- und Rüstungsprojekte in den Griff zu bekommen. In den 70er-Jahren griff die deutsche Informatik sie als etwas tolles Neues auf. Schmückt sich da jemand mit fremden Federn oder hat jemand aus Unwissenheit das Rad nochmal neu erfunden? Ich vermute Letzteres. Inwieweit wurden in Bauprojekten Erkenntnisse übernommen, die schon die alten Ägypter hatten? Da kann man nichts übernehmen, weil die Dokumentation für unsere Denkweise nicht mehr verständlich ist. So weit darf man nicht zurückgehen. Im Bauwesen gibt es eine mündliche „Wir haben einen Traditions- und Know-how-Verlust“ Peter F. Elzer: „Ich glaube, dass die jahrhundertealten Erfahrungen der Bauabwicklung ein wesentlicher Bestandteil des heutigen Standardwissens im Projektmanagement sind.“ Foto: privat Überlieferung auf der Baustelle. Wenn man die historisch nachverfolgt, stellt man fest: Das wussten schon die alten Ägypter. Manches aus späterer Zeit, zum Beispiel Konstruktionszeichnungen, wurde irgendwann wieder ausgegraben, aber neu interpretiert. Da gibt es Dinge, die sich nicht geändert haben, aber auch einiges, was man heute besser weiß. Wird Risikomanagement im Bauwesen oder in der Softwarebranche konsequenter betrieben? In beiden Fällen nicht konsequent genug. Offenbar haben wir auch im Bauwesen einen Traditions- und Know-how- Verlust. Vielleicht deshalb, weil sich auch die Ausbildung im Bauwesen nicht mehr so richtig aus der Praxis speist. Die Bauausbildung, wie ich sie hinter mir habe, bei der man mit 14 Jahren auf der Baustelle anfängt - wer hat die noch? Früher verbrachte man als junger Informatikstudent Wochen im Keller und versuchte, den Rechner zum Funktionieren zu bringen - wer macht das heute noch? Haben also trotz ihres immensen Altersunterschieds beide Branchen die gleichen Projektmanagementprobleme? Ja, aber die Leute aus dem Bauwesen haben vielleicht einen Vorsprung insofern, als sie Probleme eher akzeptieren. Hätte sich die Disziplin Projektmanagement ohne die Erfahrungen aus der Baubranche so entwickelt, wie sie heute ist? Ich glaube, dass die jahrhundertealten Erfahrungen der Bauabwicklung ein wesentlicher Bestandteil des heutigen Standardwissens im Projektmanagement sind. Wo wurde Projektmanagement zuerst gebraucht? Bei Bauprojekten. Als Nächstes kam der Schiffbau. Es ging darum, Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem gegebenen Budget abzuwickeln. Sie haben sogar Vergleiche gezogen vom Bauprojektmanagement des Mittelalters zur Software … Viele Softwareprojekte großer Machart sind der Geschichte mancher gotischer Dome vergleichbar. Man fing etwas Gigantisches an, das man nicht überblicken konnte. Denken Sie an den Kölner Dom. Solche Dinge haben wir in der Softwaretechnik auch. Es gibt diese bösen Zitate, dass 50 Prozent aller Softwareprojekte nie abgeliefert werden. Das hat es im Bauwesen auch gegeben. Dann müsste die Erfolgsquote im Software-Projektmanagement im Laufe der Jahre also auch noch höher werden? Richtig, das hoffen wir. Das Lernen von den Fehlern und schlechten Erfahrungen anderer würde dazu beitragen, diese Quote zu verbessern. Das Gespräch führte Astrid Pfeiffer aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell 6 REPORT 7 Kick Unternehmensberatung 1/ 2 Seite quer + 4c (183,5 b × 125 h) Anzeige zunächst aus 278.000 zivilen Arbeitern sowie Mitgliedern des Militärs und des Reichsarbeitsdienstes. Später, während des Krieges, koordinierte Todt, seit März 1940 Reichsminister für Bewaffnung und Munition, die gesamte Logistik im besetzten Europa. Binnen weniger Jahre hatte er mehrere Ressorts unter seiner Regie zusammengeführt und eine - so man dies mit dem Blick auf den verbrecherischen Hintergrund formulieren darf - funktionierende Großorganisation etabliert. Als Todt 1942 ums Leben kam, übernahm Hitlers Architekt Albert Speer dessen Ämter. Schon 1934 hatte Hitler diesen mit der Planung des Nürnberger Parteitagsgeländes beauftragt. Die Aufmarschflächen Zeppelinfeld und Luitpoldhain, das als Bühne für Truppenmanöver gedachte Märzfeld und die Kongresshalle nach dem Vorbild des römischen Kolosseums waren Teil der Pläne für das 16 Quadratkilometer große Gelände, ebenso wie das „Deutsche Stadion“ für mehr als 400.000 Zuschauer. Die Gesamtkosten sollen sich auf 800 Millionen Mark belaufen haben. Sie hätten aber zahlreiche, womöglich absichtliche Berechnungsfehler enthalten, schrieb Joachim Fest („Speer. Eine Biografie“, 1999). Für die Kongresshalle seien zehn Millionen Mark veranschlagt gewesen. Tatsächlich habe der Bau über 200 Millionen Mark verschlungen. „Bezeichnenderweise waren Veröffentlichungen über die Bauaufwendungen streng untersagt“, so Fest. Die Arbeiten wurden erst nach Hitlers Überfall auf Polen gestoppt. Das war nicht die einzige Fehlplanung der Zeit. Speer schreibt in seinen „Erinnerungen“ (Propyläen Verlag, Berlin 1969), auf Hitlers Befehl seien ab Ende Juli 1943 gewaltige Industriekapazitäten für die „V2“ genannte Fernrakete reserviert worden, von der er monatlich 900 Stück produziert haben wollte. Speer: „Es wurde ein Riesenaufwand in die Entwicklung und Fertigung von Fernraketen gesteckt, die sich … als ein nahezu gänzlicher Fehlschlag erwiesen. Unser aufwendigstes Projekt war zugleich unser sinnlosestes.“ So war auch das Scheitern der Entwickler in der Rüstungsschmiede Peenemünde unter dem erst 27-jährigen Wernher von Braun nicht verwunderlich. „Wir litten geradezu an einem Übermaß von Entwicklungsprojekten. Eine Konzentration auf einige wenige Typen hätte manches sicherlich früher zum Abschluss gebracht“, so Speer. „Es war außergewöhnlich, dass ein so junges, unerprobtes Team Gelegenheit erhielt, mit einem Aufwand von Hunderten von Millionen Mark ein Projekt zu verfolgen, dessen Verwirklichung in weiter Ferne lag.“ Projekte in Rüstung, Luft- und Raumfahrt Das moderne Projektmanagement geht auf die Aktivitäten der US-Regierung im und nach dem 2. Weltkrieg zurück. Noch in den 40er-Jahren sei diese Disziplin allerdings eher wie Football betrieben worden, urteilt der amerikanische Experte Harold Kerzner („Projektmanagement. Ein Systemorientierter Ansatz zur Planung und Steuerung“). Der Ball sei zwischen den Linienmaaktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell 8 REPORT 9 Bernd J. Madauss, Autor des Standardwerks „Handbuch Projektmanagement“, verfügt über eine langjährige Projektmanagement-Erfahrung in der Luft- und Raumfahrt. Er ist seit vielen Jahren Lehrbeauftragter an deutschen und internationalen Universitäten und erhielt 1986 eine Professur der Pacific States University. Er erläutert die Entwicklung des Projektmanagements im 20. Jahrhundert und die Pionierrolle der USA. Herr Professor Madauss, was waren Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Meilensteine des PM im 20. Jahrhundert? Vor 1965 war Projektmanagement außerhalb der Luft- und Raumfahrt in Deutschland weitgehend ein Tabuthema und auch für die Europäische Luft- und Raumfahrt noch Neuland. In enger Zusammenarbeit mit europäischen und amerikanischen Kollegen konnte ich dazu beitragen, das PM-Thema ab Mitte der 60er im Rahmen nationaler und europäischer Raumfahrtprojekte voranzubringen. Wir bezogen konsequent alle in den USA bereits vorhandenen und zugänglichen Unterlagen und Erkenntnisse in unsere Arbeit mit ein. Die Geschichte des Projektmanagements begann in den 40ern mit den großen Militärprojekten der USA, zum Beispiel mit dem „Manhattan Project“, der Entwicklung der ersten Atombombe. Ein wichtiger Schlüsselgedanke war: Wie organisiert man ein so großes, komplexes Vorhaben in kürzester Zeit? James Webb, der langjährige NASA-Direktor, berichtet in seinem Buch „Space Age Management“ darüber. Man stellte fest, dass es sich um eine Aufgabe handelte, die projektspezifisch gemanagt werden musste - weit über die Grenzen eines einzelnen Unternehmens oder Instituts hinaus. So entstand der Begriff Projektmanagement. Wie ging es danach weiter? Es gab in den USA Ende der 50er eine so genannte „Raketenpanne“, wie wir sie in den 60ern hier mit der Europarakete ja auch erlebt haben. Am 11. Juni 1957 startete die erste Atlas-Rakete - und flog nur 41 Sekunden. Man konnte sich die Fehlschläge der militärisch genutzten Atlas-Rakete aber nicht leisten. Denn die Sowjets entwickelten ebenfalls militärische Raketen. Die US-Regierung verlangte deshalb: Wir müssen die Situation verbessern. Als Ingenieur denkt man natürlich zunächst, man müsste allein die Technik verbessern. Aber dann kam man zu dem Schluss: „Es liegt hauptsächlich am Management.“ „Projektmanagement war außerhalb der Luft- und Raumfahrt ein Tabuthema“ Bernd J. Madauss: „Planungsverfahren wie PERT und CPM wurden anfangs oftmals mit Projektmanagement gleichgesetzt.“ Foto: privat Wie reagierte man darauf? Man beauftragte den in Bremen geborenen „Raketen“-General Bernard Schriever mit der Verbesserung des Managements. Dieser führte die heute von der Industrie weitgehend übernommene Konzeption des Projektmanagements ein. Aus der 1966 abgeschlossenen Arbeit resultierte das Handbuch „System Program Management“ der US Air Force, auch bekannt unter der Bezeichnung „375-Manual“ (AFSCM 375). Darin wurde erstmals systematisch dargestellt, wie Projekte nach Phasen strukturiert abzuwickeln sind. Im Rahmen bedeutender Projektvorhaben der USA, Beispiele sind das Polaris-Projekt der US Navy und das Apollo-Vorhaben der NASA, wurde die Entwicklung des Projektmanagements dann weiter fortgesetzt. Gab es im Deutschland der 30er- und 40er-Jahre Projektmanagement, zum Beispiel für die großen Bau- und Rüstungsprojekte? Und wie war die Entwicklung parallel dazu in den USA? Hierzu kann ich keine Angaben machen, da mir keine Quellen vorliegen, was wahrscheinlich mit der strengen Geheimhaltung zusammenhängt. Von amerikanischer Seite war das Manhattan Project das einzige Projekt, von dem der Ansatz, über den es gemanagt wurde, bekannt wurde. Für deutsche Flugzeugprojekte, die von Luftfahrtpionieren wie Messerschmidt, Heinkel und Dornier geleitet wurden, galt ähnlich wie in England, Frankreich und den USA das Prinzip „fly before you buy“, aber es sind mir hierzu keine expliziten Managementverfahren bekannt. Anfang der 60er habe ich an der „Transall“ mitgearbeitet, die für das deutsche und französische Militär entwickelt wurde; ein Transportflugzeug, das auch heute noch erfolgreich eingesetzt wird. Damals habe ich das Wort „Projekt“ noch nicht kennen gelernt. Es gab auch keine Planung in dem Sinne, wie wir es heute verstehen - was natürlich nicht bedeutet, dass man planlos gearbeitet hat. Es wurde also noch stark aus dem Bauch heraus gearbeitet? Etwas hemdsärmlig, ja. Man hat Terminlisten geführt, es gab zum Beispiel den Begriff „Terminjäger“. Aber das war sehr negativ belegt. Zur Raketenentwicklung, die ja maßgeblich aus Deutschland kommt, gibt es viele Quellen. Aber aus der Planungstechnik kenne ich nichts. Mir ist auch nicht bekannt, dass zum Beispiel Wernher von Braun, der in späteren Jahren als erfolgreicher Manager der aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell 8 REPORT 9 NASA in die Geschichte einging, etwas zum Thema Projektmanagement in Peenemünde gesagt oder publiziert hätte. Da mag es Planer oder Disponenten gegeben haben, zum Beispiel für die Materiallieferung. Die haben ihre Vorhaben mit irgendeiner Methode durchgeführt, ohne es zu publizieren oder mitzuteilen. Welche Entwicklungen oder Erfindungen des 20. Jahrhunderts in Richtung Projektmanagement würden Sie besonders hervorheben? Es begann 1958 mit der Entwicklung des Planungsverfahrens PERT (Program Evaluation and Review Technique) durch die US Navy im Rahmen des Polaris-Missile-Projekts. Parallel dazu gab es das CPM- Verfahren (Critical Path Method) der Firma Dupont, bei der man sich mit der Entwicklung der künstlichen Seide befasste. Mit Hilfe der Netzplantechniken PERT und CPM erhielt man die logische Verknüpfung der einzelnen Aktivitäten eines Projekts und konnte den kritischen Pfad sehr genau bestimmen. Beide Techniken erfuhren eine große Verbreitung in den USA und in Europa. Im nächsten Schritt experimentierte die NASA mit der PERT-Cost-Methode, um ein integriertes Zeit- und Kostenmanagement zu ermöglichen. Da das Verfahren für Praktiker aber zu kompliziert war, führte es letztlich nicht zum gewünschten Erfolg. In diesem Zusammenhang ist die 1966 abgeschlossene Entwicklung der so genannten „C-Spec“ (Cost/ Schedule Control System Criteria - C/ SCSC) durch die US Air Force erwähnenswert. Dabei handelt es sich um eine vereinfachte Methode zur integrierten Termin- und Kostenüberwachung. Die oben erwähnten Planungsverfahren wurden anfangs oftmals mit Projektmanagement gleichgesetzt. Erst langsam setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass die Planungs- und Überwachungstechniken nur ein Teilbereich des Projektmanagements sind. Das Gespräch führte Astrid Pfeiffer nagern hin und her gespielt worden, die nacheinander die Verantwortung trugen. Einen festen Ansprechpartner für die Kunden habe es nicht gegeben. Schlug das Projekt fehl, bekam derjenige die Schuld zugeschoben, der gerade im Ballbesitz war. Schlug das Projekt fehl, bekam derjenige die Schuld zugeschoben, der gerade im Ballbesitz war Das US-Verteidigungsministerium forderte daher für die großen Raketenbauprojekte ein professionelleres Projektmanagement mit einem Projektmanager für alle Phasen des Projektlebenszyklus. Für bestimmte Waffensysteme wurde Projektmanagement verbindlich vorgeschrieben. Auch die NASA arbeitete bei ihrem Raumfahrtprogramm bald ausschließlich mit Projektmanagement, um die Kosten einzudämmen. Diese waren häufig auf mehr als das Doppelte des Budgets explodiert, weil die Technologien unberechenbar waren und die Projektlaufzeit auf mehrere Jahrzehnte angelegt war. Auch die Zulieferer der Luftfahrt- und Rüstungsindustrie mussten seit Mitte der 50er-Jahre Projektmanagement-Methoden anwenden, um Aufträge zu bekommen. Die US-Regierung machte sich derweil daran, Projektmanagement zu standardisieren, um die zahlreichen Auftragnehmer und Partner koordinieren zu können. Planungs-, Steuerungs- und Projektüberwachungssysteme wurden eingeführt. Prüfer sollten dafür sorgen, dass keine Steuergelder verschwendet wurden. Wo Effizienz überlebenswichtig war, vor allem im militärischen Bereich, setzte sich Projektmanagement seit jeher schneller durch als auf anderen Gebieten. Die private Wirtschaft zögerte. Sie verwechselte gründliche Planung mit unnötiger Bürokratie und scheute die einmaligen Ausgaben, die mit der Projektmanagement-Einführung verbunden waren. Bis Ende der 60er-Jahre betrieben die meisten Unternehmen nur informelles Pro- Wernher von Braun, Leiter deutscher und amerikanischer Raketenprogramme, hatte an Projektmanagement noch kein besonderes Interesse Foto: NASA jektmanagement. Linienmanager betreuten die Projekte, der Projektmanager besaß kaum Kompetenzen (Kerzner) - mit anderen Worten: Alibi-Projektmanagement in Reinform. Im Zentrum von Teil 2 des historischen Rückblicks, der im nächsten Heft erscheint, stehen die Entwicklung des modernen Projektmanagements und die Gründung der GPM (1965 bis 1985).  aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell