eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 15/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
31
2004
151 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Exzellenz im Automotive-Projektmanagement

31
2004
Siegfried Seibert
Was zeichnet Spitzenprojektmanagement in der Automobilindustrie aus und was kann damit erreicht werden? Antwort auf diese Frage erhielten mehr als 100 Teilnehmer auf einer GPM-Expertentagung Ende Oktober in Darmstadt. Die Veranstaltung wurde von Prof. Hasso Reschke von der Fachhochschule München in Zusammenarbeit mit Reinhard Wagner und Gerhard Hab von der GPM-Fachgruppe Automotive-Projektmanagement durchgeführt. 27 Referenten aus Wissenschaft und Praxis zeigten, wie exzellentes Projektmanagement mit zunehmender Produktkomplexität, weltweitem Wettbewerb und immer kürzeren Entwicklungszeiten umgeht (oder zumindest umgehen sollte).
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14 REPORT 15 GPM-Expertentagung: Exzellenz im Automotive- Projektmanagement Wie Projektmanagement mit zunehmender Produktkomplexität, weltweitem Wettbewerb und immer kürzeren Entwicklungszeiten zurechtkommt Siegfried Seibert Was zeichnet Spitzenprojektmanagement in der Automobilindustrie aus und was kann damit erreicht werden? Antwort auf diese Frage erhielten mehr als 100 Teilnehmer auf einer GPM-Expertentagung Ende Oktober in Darmstadt. Die Veranstaltung wurde von Prof. Hasso Reschke von der Fachhochschule München in Zusammenarbeit mit Reinhard Wagner und Gerhard Hab von der GPM-Fachgruppe Automotive-Projektmanagement durchgeführt. 27 Referenten aus Wissenschaft und Praxis zeigten, wie exzellentes Projektmanagement mit zunehmender Produktkomplexität, weltweitem Wettbewerb und immer kürzeren Entwicklungszeiten umgeht (oder zumindest umgehen sollte). N ach einer Branchenstudie des Stuttgarter Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Münchner MVI Group können Zeit und Kosten der Fahrzeugentwicklung in den kommenden Jahren um knapp 30 % verbessert werden. Prof. Dieter Spath, Leiter des IAO, und Geschäftsführer Rainer Kurek von MVI stellten Ergebnisse dieser „30 %-Studie“ auf der Tagung vor. Als die wichtigsten Handlungsfelder zur Effizienzverbesserung werden dabei das Projektmanagement, die Entwicklungsprozesse sowie Kooperation und Kommunikation zwischen Herstellern und Zulieferern angesehen (vgl. gesonderten Kasten im vorherigen Artikel). Prozessorientiertes Projektmanagement In fast allen Beiträgen zeigte sich dann auch, dass Automobil-Projektmanagement heute prozessorientiertes Projektmanagement ist. Praktisch jeder Hersteller und Entwicklungslieferant hat definierte Entwicklungsprozesse, auf denen das Projektmanagement aufsetzt. Auf der Tagung wurden u. a. Prozessmodelle der Firmen Dräxlmaier, Hella und Faurecia präsentiert. Ihr struktureller Aufbau ist immer wieder ähnlich: In Prozessbeschreibungen und Prozessmasterplänen werden die Entwicklungsarbeiten in Projektphasen, Hauptmeilensteine („Quality Gates“), Zwischenmeilensteine (Synchronisationspunkte) und bis zu mehrere 100 Standard-Arbeitspakete (bei Fahrzeugherstellern bis zu mehrere 1.000) aufgeteilt. Die Projektphasen werden dabei nicht sequentiell nacheinander, sondern als Simultaneous-Engineering-Prozesse weitgehend parallel bearbeitet. Prozessbeschreibungen ermöglichen dabei eine aufeinander abgestimmte, transparente Durchführung. Quality Gates teilen den Entwicklungsprozess in über- Prof. Dieter Spath, Fraunhofer IAO: „Robuste Prozesse, professionelles Projektmanagement und systematischer Methodeneinsatz sind die Basis für exzellente Entwicklungsergebnisse.“ Foto: Siegfried Seibert aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell 16 REPORT 17 schaubare Teilbereiche, an deren Ende definierte Ergebnisse stehen und der Projektfortschritt und der Reifegrad festgestellt werden können. Synchronisationspunkte dienen der Bewertung von Entwicklungsständen und der Koordination zwischen Herstellern und Zulieferern. Qualität und Effizienz der Entwicklungsarbeiten werden in hohem Umfang durch die Professionalität dieser Prozesse bestimmt. Zur Verbesserung der Prozessabläufe setzen Firmen wie Bosch und Siemens-VDO Reifegradbewertungen ein, die sich an das aus der Softwareentwicklung stammende CMM (Capability Maturity Model) anlehnen. Ein fast schon klassisches Erfolgsbeispiel für die Anwendung einer Reifegradbewertung als Projektsteuerungsinstrument lieferte Dr. Eike Böhm von Mercedes-Benz LKW. Ein Projektteam unter seiner Leitung war 2001 Preisträger in der Endausscheidung des Internationalen Deutschen Projektmanagement Awards. Seine wichtigsten Erfolgsrezepte:  mehrstufige Meilensteinplanung mit Masterplan und daraus abgeleiteten Teilplänen;  Projektstrukturplan mit spezifizierten, terminierten und budgetierten Arbeitspaketen;  kontinuierliche Verfolgung und Bewertung des Projektfortschritts mit „ToDo-Follow-ups“ und Soll-Ist-Vergleichen ausgewählter Produkt- und Prozessreifegradindikatoren;  regelmäßige Verfolgung und Bewertung der Projektwirtschaftlichkeit mit Wirtschaftlichkeitskennzahlen, Zielkostencontrolling und Budgetcontrolling. Die Antwort auf eine Diskussionsfrage „Im Prinzip arbeiten die Mitarbeiter nach den definierten Prozessen“ machte allerdings auch deutlich, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch bei den Spitzenunternehmen noch Akzeptanzbarrieren zu überwinden sind. Die Einführung definierter Prozesse wird von allen Unternehmen daher auch als ein Veränderungsprozess gesehen, der mit den Instrumentarien des Change Management als eigenständiges Projekt zu fahren ist. In fast allen Unternehmen, die dazu berichteten, werden Prozessorientierung und Projektmanagement durch Mentoren oder Machtpromotoren auf Geschäftsführungsebene aktiv unterstützt. Cross Company Collaboration Im Verhältnis von Herstellern und Zulieferern wurde mehrfach herausgestellt, dass Zulieferer möglichst früh in den Entwicklungsprozess eingebunden werden müssen („Frontloading“), wenn die Entwicklungszeiten weiter verkürzt werden sollen. Bei Systemlieferanten wird dies zwar zunehmend praktiziert, ein gegenteiliger Trend wurde aber von einem Anlagenlieferanten ausgemacht. Von den Herstellern werden die Vergabezeitpunkte für die Fertigungsanlagen immer weiter nach hinten geschoben, um möglichst alle interessanten Ideen aus vorgelagerten Konzeptwettbewerben in die Ausschreibungen einfließen zu lassen. In der Fertigungsvorbereitung führt dies aber zu erheblichen zeitlichen Problemen. Ein wichtiger Ansatzpunkt zur Effizienzsteigerung in Automobilprojekten wird nach wie vor in einer klareren Verteilung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten zwischen den Marktpartnern gesehen. Wie man auch hier die Verbesserungspotenziale heben kann, zeigte die frühere BMW-Managerin Prof. Yvonne Schoper (jetzt Fachhochschule Mannheim) anhand des Projekts BMW Z4. BMW hat in den letzten „Im Prinzip arbeiten die Mitarbeiter nach den definierten Prozessen“ Jahren mehrfach Auszeichnungen und Spitzenplatzierungen für seine vorbildliche Lieferanten-Zusammenarbeit erhalten, u. a. auch bei Entwicklung und Einführung des Roadsters Z4. Das Fahrzeug wurde in Deutschland entwickelt und wird nun in den Vereinigten Staaten mit lokalen Zulieferern gebaut. Die Förderung der Lieferanten-Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg war dabei kein Buch mit Sieben Siegeln, sondern der professionelle und sachgerechte Einsatz eines gut aufeinander abgestimmten Sets bekannter Projektmanagementinstrumente:  frühzeitige Lieferantenauswahl und A/ B/ C-Risikoklassifizierung der Lieferanten;  regelmäßige Projektstatusbesprechungen mit A-Lieferanten;  einheitliches Berichtssystem („Ampel-Monitoring“) für alle Lieferanten;  Lieferantentage zur Netzwerkbildung der Lieferanten untereinander;  Einrichtung eines webgestützten, globalen Informationssystems für alle Lieferanten;  für Lieferanten transparente Projektstrukturen und Abläufe mit direkten Kommunikationsbeziehungen zwischen den Mitarbeitern auf der Arbeitsebene in Deutschland, den USA und den jeweiligen Partnerunternehmen. Rainer Kurek, MVI: „Die Effizienz der Fahrzeugentwicklung kann um bis zu 30 % gesteigert werden.“ Foto: Siegfried Seibert aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell 16 REPORT 17 PM-Tools und PM-Methoden Hinderlich für ein effizientes Projektmanagement ist auch die bisher fehlende Vereinheitlichung von Begriffen und Darstellungsweisen des Prozess- und Projektmanagements. Solange jeder große Ersthersteller seine eigene Methodik hat, sind die Zulieferer gezwungen, Projektpläne und Projektfortschrittsberichte mehrfach zu erstellen: einen Satz für die eigene interne Arbeit, einen zweiten Satz für den jeweiligen Kunden. Dies führt zu einem hohen manuellen Aufwand bei der Erstellung und Pflege von Projektplänen und Projektstatusberichten. Deren Standardisierung und Normierung tut also Not. Ein interessantes Feld auch für eine Vereinigung wie die GPM. Bisherige Informationsplattformen werden immer mehr zu Kommunikationsplattformen für weltweit verteilte Projektteams In Cross-Company-Projekten wird außerdem der weltweite Zugriff auf Informationen über Intranets und Extranets zum Standard. Mehr noch: Bisherige Informationsplattformen werden immer mehr zu Kommunikationsplattformen für weltweit verteilte Projektteams. Siemens VDO baut beispielsweise ein Knowledge-Management-System für seine Projektmitarbeiter auf, in das Kontaktdatenbanken mit Kompetenzprofilen von Mitarbeitern, Wissensbibliotheken mit Lessons Learned (siehe hierzu auch die Buchbesprechung von Schelle in dieser Ausgabe) aus früheren Projekten und Diskussionsforen („Community Workspaces“) integriert werden. In einem Blick in die Zukunft zeigte Dieter Geckler von Volkswagen das innovative Potenzial, das vom Trend zur digitalen Fabrik nicht nur für die Arbeitsprozesse in einem Projekt, sondern auch für das Projektmanagement selbst ausgeht. Die bisherigen Teillösungen auf diesem Gebiet werden zunehmend integriert. Schon in zwei bis drei Jahren werden sie bei Serienanläufen eine automatisierte Reifegradverfolgung ermöglichen und den Informationsaustausch zwischen Herstellern und Zulieferern immer mehr vereinfachen. Fazit Die wichtigste Erkenntnis aus dieser Tagung klingt schon fast banal: Für den Projektleiter ist die professionelle Anwendung an sich bekannter Instrumente des Projektmanagements wesentlich wichtiger als deren methodische Weiterentwicklung. Die GPM-Tagung in Darmstadt hat aufgezeigt, auf welche Instrumente es dabei ankommt und wie deren professionelle Anwendung aussieht.  ��������� �������������������������������� ������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������ ����������������������������������� ������������� ������������������������ kostenlosen e-Mail Newsletter ���������� ������������������� �������������������������� Anzeige Prof. Yvonne Schoper: „Beim BMW Z4 wurden 230 amerikanische Lieferanten erfolgreich in ein multi-lokales Projekt integriert.“ Foto: BMW aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 4 aktuell