eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 15/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
61
2004
152 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projektmanagement bei der Entwicklung kritischer Softwaresysteme

61
2004
Charlotte Kalthoff
Siegbert Kunz
Im Herbst 2003 führte das Fraunhofer-Institut Informations- und Datenverarbeitung IITB, Karlsruhe, in Kooperation mit der GPM eine Umfrage zum Projektmanagement bei der Entwicklung kritischer Softwaresysteme im Rahmen des VSEK-Projektes (Virtuelles Software-Engineering-Kompetenzzentrum) durch. Ziel des Virtuellen Software-Engineering-Kompetenzzentrums (www.VSEK.de) ist es, den Unternehmen einen einfachen Zugriff auf Know-how und Erkenntnisse in der Software-Entwicklung zu geben.
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32 WISSEN 33 D ie vorliegende Befragung richtete sich speziell an Projektleiter in Unternehmen, die sich mit der Softwareentwicklung kritischer Systeme befassen. Der Schwerpunkt lag hierbei auf  dem Standardisierungsgrad des Entwicklungsprozesses,  der Verwendung von Softwaretools zur Unterstützung des Projektmanagements und  dem Grad der Involvierung der am Projektmanagement beteiligten Parteien. Mit Hilfe der Informationen zu diesen drei Bereichen konnten die Stärken der Unternehmen, die bisher eingesetzten Standards und potenzielle Ansatzpunkte zur Verbesserung des Entwicklungsprozesses erkannt werden. Unter anderem zeigte sich, dass sequenzielle Prozessmodelle wie das Wasserfallmodell nach wie vor stark verwendet werden. Trotz der Propagierung iterativer Modelle durch die Literatur erfolgt die Entwicklung in weiten Teilen noch sequenziell. Erfahrungswerte dominieren bei der Aufwandsabschätzung, aber sie werden nur selten systematisch festgehalten. Auch die Quote von 70 % der Befragten, die angaben, kein global zugängliches Dokument mit den Fehlern vergangener Projekte zu besitzen, weist auf Verbesserungsmöglichkeiten hin, um zukünftigen Fehlern durch Erfahrungswissen vorzubeugen. Die Antworten auf die Fragen nach dem Einsatz von Softwarewerkzeugen für das Projektmanagement zeigten, dass längst nicht alle von den Herstellern angebotenen Funktionen verwendet werden. Insbesondere werden Softwarewerkzeuge für das Multiprojektmanagement nur wenig benutzt. Die Ergebnisse der Befragung weisen deutlich auf einen hohen, künftig zu erwartenden Bedarf an Softwaretools für Projektmanagement hin. Die drei wichtigsten auszubauenden Einsatzgebiete betreffen Risikomanagement, Projektcontrolling und Projektplanung. Zielgruppe der Umfrage und Beteiligungsgrad Die Erhebung zielte speziell auf die Hersteller kritischer Software ab, da bei Unternehmen dieser Gattung zwei Besonderheiten im Bereich der Produktentwicklung auftreten, die ein gutes Projektmanagement zum einen zwar unverzichtbar machen, zum anderen aber auch hoch komplex erscheinen lassen. Die erste Besonderheit ist die Tatsache, dass es sich bei Software um ein immaterielles Gut handelt. Die Ermittlung des „Fertigstellungsgrades“ ist im Vergleich zur produzierenden Industrie aufwändiger. Da in der Planung oft iterativ vorgegangen wird und Planwerte sich häufiger ändern, ist es schwierig, von Anfang an eine aussagekräftige „Baseline“ festzulegen, an der sich die Entwickler orientieren sollen. Die zweite Besonderheit ist, dass explizit die Hersteller kritischer Systeme angesprochen werden. „Kritische Systeme“ sind Systeme, die einwandfrei funktionieren müssen, damit die Prozesse, die sie steuern, erfolgreich abgewickelt werden können „Kritische Systeme“ sind Systeme, die einwandfrei funktionieren müssen, damit die Prozesse, die sie steuern, erfolgreich abgewickelt werden können. Um die Funktionstüchtigkeit zu gewährleisten, müssen Systemaspekte wie Leistung, Zuverlässigkeit und verifizierte Funktionalität bereits in den Entwurfs- und Projektierungsphasen besonders beachtet werden. Gerade bei kritischer Software ist es somit interessant zu wissen, inwieweit versucht wird, mit Hilfe von Projektmanagement- Tools zeitliche und finanzielle Restriktionen beherrschbar zu machen. Empfänger des Fragebogens innerhalb dieser Kategorie von Unternehmen sollten Projektleiter oder Personen mit einem hohen Erfahrungsschatz zum WISSEN Projektmanagement bei der Entwicklung kritischer Softwaresysteme Fraunhofer-Institut (IITB) gibt Umfrageergebnisse bekannt Charlotte Kalthoff, Siegbert Kunz Im Herbst 2003 führte das Fraunhofer-Institut Informations- und Datenverarbeitung IITB, Karlsruhe, in Kooperation mit der GPM eine Umfrage zum Projektmanagement bei der Entwicklung kritischer Softwaresysteme im Rahmen des VSEK-Projektes (Virtuelles Software-Engineering-Kompetenzzentrum) durch. Ziel des Virtuellen Software-Engineering- Kompetenzzentrums (www.VSEK.de) ist es, den Unternehmen einen einfachen Zugriff auf Know-how und Erkenntnisse in der Software-Entwicklung zu geben. aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 4 aktuell 34 WISSEN 35 Abb. 1: Bekanntheitsgrad der Prozessmodelle Abb. 2: Eingesetzte Software-Tools zur Unterstützung des Projektmanagements Abb. 3: Planung eines stärkeren Einsatzes von Software-Tools aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 4 aktuell 34 WISSEN 35 Thema „Projektarbeit“ sein. Sie sollten einen guten Einblick in die Projektorganisation und in den Ablauf von Projekten haben. Mit Hilfe des Fragebogens sollten Informationen darüber gewonnen werden, in welchen Bereichen des Projektmanagements Software eingesetzt wird und wo ein vermehrter Einsatz gewünscht wird. Zudem sollte die Befragung klären, wie die Unternehmen im Projektmanagement vorgehen. Dank der wertvollen Kooperation des Fraunhofer-Institutes Informations- und Datenverarbeitung IITB, Karlsruhe, mit der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. in Nürnberg stand eine große und variantenreiche Basis an Adressaten zur Verfügung. Da die meisten der befragten Unternehmen zusätzlich Mitglieder der GPM sind, ist zudem davon auszugehen, dass die Antworten im Eigeninteresse mit Bedacht erfolgten. Von circa 800 verschickten Fragebögen wurden 54 ausgefüllt zurückgeschickt, was ca. 6,8 % entspricht. Die Mannigfaltigkeit der Unternehmen spiegelt sich sowohl in der Art der erstellten Software als auch in der Unternehmensgröße und dem Anteil an Projekten bestimmten Umfanges und bestimmter Dauer wider. Über 50 % der Rücksendungen wurden nach eigener Angabe von Projektleitern bzw. -managern beantwortet. Bei den übrigen Personen handelte es sich größtenteils um Abteilungsleiter oder Geschäftsführer. Alle Teilnehmer der Befragung erhielten eine anonymisierte Auswertung als Dank für ihre Kooperationsbereitschaft. Zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse Eine der ersten Auffälligkeiten ist der mit 15 % relativ geringe Einsatz generischer Ressourcen. Insbesondere beim Einsatz der Matrix-Projektorganisation, der in dieser Umfrage mit 56 % deutlich dominiert, bietet sich die Planung mit generischen Ressourcen an. Einen Grund hierfür stellt die definitionsgemäß gegebene Möglichkeit dar, einen Mitarbeiter mehreren Projekte zuzuordnen. Trotz der Propagierung iterativer Modelle durch die Literatur erfolgt die Entwicklung kritischer Software in der Praxis meist noch sequenziell Des Weiteren ist es auffällig, dass für sich gesehen 41 % der Befragten angaben, nach dem Wasserfallmodell vorzugehen, 24 % nach dem V-Modell. Diese beiden Modelle sind isoliert betrachtet streng sequenziell. Betrachtet man das Wasserfallmodell in Zusammenhang mit im gleichen Unternehmen genutzten anderen Modellen, so dominiert mit 48 % die Kombination mit der inkrementellen Entwicklung. Die Grundlage dieses Modells ist eine bereits zu Projektbeginn nahezu vollständige Zieldefinition. Im Anschluss wird iterativ auf dieses Ziel hingearbeitet. Beim V-Modell liegt vor allem eine Kombination mit dem „Extreme Programming“ vor (38 %). Eine Aussage über möglicherweise auftretende Iterationen kann anhand dieses Modells allerdings nicht gemacht werden, da es den Fokus auf die reine Entwicklung setzt. Zur Aufwandsabschätzung wurde erwartungsgemäß meist auf Erfahrungswerte zurückgegriffen. Bei genauerer Betrachtung ist allerdings erkennbar, dass auch Schätzmodelle wie die Function-Point-Methode auf derartigen Werten aufbauen. Die Tatsache, dass aber nur 17 % stets eine abschließende Projektanalyse durchführen, weist darauf hin, dass diese Erfahrungswerte in der Regel nicht systematisch festgehalten werden. Auch die Quote von 70 % der Befragten, die angaben, kein global zugängliches Dokument mit den Fehlern vergangener Projekte zu besitzen, zeigt eine Verbesserungsmöglichkeit auf, zukünftigen Fehlern durch Erfahrungswissen vorzubeugen. Hierzu müsste aber dieses isoliert vorhandene Wissen für alle Interessenten verfügbar sein. Ein Wissensmanagementsystem könnte beispielsweise einen systematischen Zugriff auf Erfahrungswerte gestatten. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass 35 % zudem im Bereich „Dokumentenmanagement“ Ausweitungsbedarf angaben. Zur Unterstützung des Projektmanagers existieren am Markt eine Fülle von Softwaretools. In unserer Befragung interessierten wir uns daher für den Anteil, die Art und die Häufigkeit des Einsatzes von Softwaretools bei den Unternehmen. Ziel der Befragung war nicht die Bewertung der Eignung, Funktionalität bzw. Qualität der einzelnen Werkzeuge. Die Liste der eingesetzten Tools beruht auf den Angaben der Befragten und gibt daher keinen flächendeckenden Überblick über das gesamte Spektrum der am Markt verfügbaren Software. Die von den Befragten genannten Tools werden überwiegend (85 %) in der Projektplanung eingesetzt, jedoch deutlich weniger im Programm- (30 %) oder im Portfoliomanagement (15 %). Ein Großteil (70 %) der Befragten nutzt die von den meisten Softwaretools unterstützte Funktion der Abweichungsanalyse. Zu den am häufigsten genannten und eingesetzten Softwaretools zählten mit jeweils 78 % MS Excel und MS Project. Es folgten Primavera Project Planner (P3) mit 11 %, MS Project mit Server mit 7 %, Sciforma Project Scheduler mit 4 %, Primavera SureTrak Project Manager mit 2 % und iPlan in 0 % der Fälle. Unter der Rubrik „andere“ Softwaretools zur Unterstützung des Projektmanagements wurden zudem genannt: Artemis, SAP, granid, Projectile, Planview, Visio, NIKU, cando, PQM, Lynx Project Planer für Linux, MindMap von Mindjet, MS Word, Lotus Notes, Mercury Interactive TestDirector, proprietäre Excel-basierte Tools. Sowohl der Software-Einsatz für das Programm- und das Portfoliomanagement als auch die Generierung von Statusreports auf den verschiedenen Managementebenen deuten darauf hin, dass die Einbindung der oberen beiden Ebenen in geringem Umfang stattfindet. Die Ursache hierfür kann zum einen darin liegen, dass viele der Befragten die oberen Multiprojektmanagement- Ebenen des M-Modells [1] wegen der geringen Mitarbeiterzahl und individuellen Organisationsform ihres Unternehmens so nicht wiederfinden. Zum anderen kann der Wille bestehen, die Geschäftsführung nicht unnötigerweise in das Tagesgeschäft zu involvieren und sie nur bei besonderen Vorkommnissen zu informieren. aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 4 aktuell 36 WISSEN 37 Die Fragen nach dem Softwareeinsatz erbrachten, dass längst nicht alle von den Herstellern angebotenen Funktionen verwendet werden. Es zeigte sich vor allem, dass im Multiprojektmanagement vergleichsweise nur ein geringer Einsatz von Software zu verzeichnen ist. So wurde Microsoft Project mit Server nur von 7 % der Befragten eingesetzt, Microsoft Project ohne Server hingegen von 78 %. Die Fragen nach dem Softwareeinsatz erbrachten, dass längst nicht alle von den Herstellern angebotenen Funktionen verwendet werden Auch bei der Informationsweitergabe wird auf Projektebene der persönliche Austausch in Teamsitzungen der automatisierten elektronischen Datenweitergabe (Statusreports) vorgezogen. Anders sieht es allerdings auf Programmebene aus, auf der laut Aussage der Befragten sowohl Berichte als auch Teamsitzungen dem Informationsaustausch dienen. Die Motivation für Projektarbeit ist sowohl beim Projektteam als auch beim Projektleiter stark vom inneren Antrieb abhängig, da von außen kaum Anreize wie z. B. Projektprämien gegeben werden. Entwicklungspotenziale beim Projektmanagement Die Ergebnisse der Befragung weisen deutlich auf einen hohen, künftig zu erwartenden Bedarf an Softwaretools hin. Die drei wichtigsten auszubauenden Einsatzgebiete betreffen die Projektebene. 54 % wollen durch den Einsatz von Softwaretools ihr Projektcontrolling verbessern, 43 % ihr Risikomanagement und 48 % ihre Projektplanung. Der größte Entwicklungsbedarf bei Projektmanagement-Software kann beim Risikomanagement gesehen werden. Hier geben 39 % an, Software dafür einzusetzen, 43 % sehen aber in diesem Bereich Entwicklungsbedarf. Ausweitungsbedarf gibt es auch im Bereich „Dokumentenmanagement“. Der größte Entwicklungsbedarf bei Projektmanagement-Software wird beim Risikomanagement gesehen Gerade für die Sammlung von Erfahrungswerten zur Beurteilung und für die Planung zukünftiger Projekte könnte ein Wissensmanagementsystem effizient eingesetzt werden. Der Trend geht dabei zu integrierten Lösungen, die alle Bereiche des PM abdecken können. Hersteller entsprechender Softwaretools berücksichtigen diese Entwicklung inzwischen zunehmend, so dass die Anzahl am Markt verfügbarer Produkte wachsen wird. Unsere in dieser Umfrage gewonnene Übersicht der aktuell favorisierten Softwaretools kann nur einen unvollständigen Überblick vermitteln und berücksichtigt keinesfalls alle am Markt verfügbaren Produkte. Die Antworten auf die Frage nach der Schulung von Mitarbeitern zeigen, dass vor dem Hintergrund wachsender Bedeutung des Projektmanagements auch ein steigender Bedarf an entsprechenden Ausbildungsangeboten zu erwarten ist.  Literatur [1] Vgl. dazu Schelle, H.: Benchmarking von PM-Software. Vergleichende Analyse der Universität Osnabrück. In: projektMANAGEMENT aktuell 4/ 2003, S. 35-39 Schlagwörter Kritische Systeme, Projektmanagement, Softwareentwicklung, Softwarekompetenz Autorin Charlotte Kalthoff, cand. Wi.-Ing. der Universität Karlsruhe (TH), verfasst augenblicklich am Fraunhofer- Institut IITB ihre Diplomarbeit im Bereich Projektmanagement bei der Softwareentwicklung. Ziel ist die Erstellung eines Reporting-Systems, das das Software-Engineering durch eine höhere Transparenz bei der Projektplanung und kontrolle wesentlich vereinfachen soll. Im Rahmen ihres Studiums des Wirtschaftsingenieurwesens hat sie sich unter anderem intensiv mit den Bereichen „Organisationstheorie“, „Projektmanagement von F&E-Projekten“ und „Project Scheduling“ beschäftigt. Autor Dr. Siegbert Kunz, prom. Diplom- Ingenieur Elektrotechnik, ist am Fraunhofer-Institut IITB Leiter des F&E-Zentrums für elektromagnetische Verträglichkeit (EMV), Zuverlässigkeit und Sicherheit elektronischer Systeme und unterrichtet als Dozent an der Berufsakademie Karlsruhe. Die langjährigen praktischen Erfahrungen aus der Projektleitung in vielen F&E-Vorhaben fließen in das aktuelle VSEK-Projekt (Virtuelles Software-Engineering-Kompetenzzentrum) im Zusammenhang mit Projektmanagement bei der Entwicklung kritischer Systeme, insbesondere in der Automatisierungstechnik, ein. Seine Interessen darüber hinaus liegen in den Gebieten Softwaretool-unterstütztes Projektmanagement und Prozessmodellierung. Anschrift Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung IITB Fraunhoferstr. 1 D-76131 Karlsruhe Tel.: 07 21/ 60 91-6 00 Fax: 07 21/ 60 91-4 13 E-Mail: knz@iitb.fraunhofer.de www.iitb.fraunhofer.de aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 4 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 4 aktuell