eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 15/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
91
2004
153 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Stress im Projekt?

91
2004
Manfred Mühlfelder
Stress im Projekt ist ein ernst zu nehmendes Thema für jeden Projektmanager und -mitarbeiter. Es ist die originäre Aufgabe und Verpflichtung jedes Projektleiters, dafür zu sorgen, dass sowohl er selbst als auch seine Mitarbeiter unter gesundheitsgerechten Bedingungen arbeiten, gesund sind und dies auch bleiben. Der Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen einerseits und stressbedingten Erkrankungen andererseits ist empirisch belegt. Daher sollte es zum Grundwissen eines Projektleiters gehören, solche Belastungen seiner Mitarbeiter zu erkennen und diese im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verringern. Die Projektarbeit beinhaltet aber auch viele Anforderungen, die sich in positiver Weise auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter auswirken können. Auch dieser Zusammenhang sollte einem Projektleiter bekannt sein, um seine Projektteam-Mitglieder entsprechend on-the-job zu entwickeln und zu fördern.
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39 KARRIERE I mmer mehr Menschen arbeiten dauerhaft in Projekten. Projektarbeit wird als eine Arbeitsform der Zukunft diskutiert (vgl. z. B. [11]). Projektarbeit bedeutet, dass die Mitarbeiter einer Organisation dauerhaft den größten Teil ihrer Arbeitskraft für zeitlich befristete, neuartige, zieloffene Aufgaben verwenden. Beispiele hierfür sind mehrjährige Fahrzeugentwicklungsprojekte in der Automobilindustrie oder große Softwareentwicklungsprojekte in der IT-Branche, in denen bis zu mehrere hundert bis tausend Mitarbeiter involviert sind. Ökonomische Hauptargumente für eine solche Form der Arbeitsorganisation sind zum einen eine erhöhte Flexibilität einer Organisation (Projektressourcen lassen sich leichter als Funktionsressourcen administrieren), zum anderen eine größere Wertschöpfung durch die Fokussierung auf kundenrelevante Arbeitsprozesse (z. B. die Entwicklung und Herstellung eines kostengünstigen, qualitativ hochwertigen, für viele Kunden attraktiven Fahrzeugs der Marke X bis zum Markteintrittszeitpunkt Y). Gesundheitsrelevante Aspekte für die beteiligten Projektmitarbeiter werden in diesem Zusammenhang eher selten diskutiert. In diesem Beitrag soll daher der Versuch unternommen werden, Projektarbeit hinsichtlich ihres gesundheitsförderlichen bzw. gesundheitsschädigenden Potenzials für die Mitarbeiter zu analysieren. Die Hauptmotivation für eine genauere Beschäftigung mit diesem Thema liegt darin, dass die gängigen Bewertungsmodelle für Arbeits- und Gesundheitsschutz in industriellen Betrieben für diese und ähnliche Arbeitsformen kaum Verwendung finden. Wenn aber die Behauptung stimmt, dass immer mehr Menschen dauerhaft in Projekten arbeiten werden, erscheint es umso wichtiger, sich auch mit den gesundheitsrelevanten Aspekten der Projektarbeit auseinander zu setzen. Als eine Facette gesundheitsgerechter Arbeitsgestaltung wird hier der Aspekt „Psychischer Stress“ herausgegriffen. Ein Grund hierfür ist die durch Beobachtung begründete Vermutung, dass stressbezogene befindens- und leistungsbeeinträchtigende Symptome (z. B. Ein- und Durchschlafprobleme, gesteigerte Reizbarkeit, Unkonzentriertheit, Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Herz-/ Kreislauferkrankungen etc.) bei Mitarbeitern, die dauerhaft in Projekten eingesetzt sind, relativ häufig auftreten. Projektarbeit gilt gemeinhin als „stressig“. Eine tiefer gehende Analyse der Wirkzusammenhänge zwischen objektiven Merkmalen von Projektarbeit einerseits und stressbezogenen Gesundheitsbeeinträchtigungen andererseits erscheint daher notwendig und sinnvoll. Dafür ist es notwendig, in einem ersten Schritt Projektarbeit als eine eigenständige Form der Arbeitsorganisation zu definieren und von anderen Arbeitsformen abzugrenzen. Im zweiten Schritt werden dann einige wichtige, in der Vergangenheit bewährte, arbeitspsychologische Konzepte mit Relevanz für eine gesundheitsgerechte Gestaltung von Arbeit in die Diskussion eingeführt und so genau, wie dies in diesem beschränkten Rahmen möglich ist, erläutert. Ein zentrales Konstrukt hierbei ist die logische Unterscheidung zwischen „psychischen Anforderungen“ einerseits und „psychischen Belastungen“ andererseits (vgl. [12]). In der Synthese dieser beiden Themen resultieren einige wichtige Schlussfolgerungen für eine gesundheitsgerechte Gestaltung von Projektarbeit. Zu diesem Zweck werden einige kennzeichnende Eigenschaften von Projektarbeit hinsichtlich ihrer Relevanz für „psychische Anforderungen“ bzw. „psychische Belastungen“ für die Projektmitarbeiter erläutert und diskutiert. Im Ausblick werden Überlegungen darüber angestellt, welche Bedeutung ein Konzept „Stress in der Projektarbeit“ für die weitere Forschung und die Aus- und Weiterbildung im Projektmanagement haben könnte. Stress im Projekt? Psychische Anforderungen und Belastungen für Projektmanager und -mitarbeiter Manfred Mühlfelder Stress im Projekt ist ein ernst zu nehmendes Thema für jeden Projektmanager und -mitarbeiter. Es ist die originäre Aufgabe und Verpflichtung jedes Projektleiters, dafür zu sorgen, dass sowohl er selbst als auch seine Mitarbeiter unter gesundheitsgerechten Bedingungen arbeiten, gesund sind und dies auch bleiben. Der Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen einerseits und stressbedingten Erkrankungen andererseits ist empirisch belegt. Daher sollte es zum Grundwissen eines Projektleiters gehören, solche Belastungen seiner Mitarbeiter zu erkennen und diese im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verringern. Die Projektarbeit beinhaltet aber auch viele Anforderungen, die sich in positiver Weise auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter auswirken können. Auch dieser Zusammenhang sollte einem Projektleiter bekannt sein, um seine Projektteam-Mitglieder entsprechend on-the-job zu entwickeln und zu fördern. projekt M A N A G E M E NT 3/ 20 0 4 aktuell 40 KARRIERE Arbeit in Projekten: Eine eigenständige Form der modernen Arbeitsorganisation Es existiert eine beinahe unüberschaubare Anzahl von Fachbüchern zum Thema „Projektmanagement“ in den verschiedensten Facetten. Dennoch ist es für die weitere Argumentation notwendig, Projektarbeit als eine eigenständige Form der dauerhaften Arbeitsorganisation zu kennzeichnen und von anderen Arbeitsformen abzugrenzen. Zentrale Merkmale von Projekten sind: ([17], S. 81):  Innovative und komplexe Aufgabenstellung, d. h., das zu bearbeitende Thema (der Projektgegenstand) ist sowohl neuartig als auch vielschichtig. Die Handlungsschritte zur Erreichung der Projektziele sind vorab unklar und müssen erst mittels geeigneter Methoden geplant werden.  Konkrete Zielsetzung, d. h., Projekte haben einen abgegrenzten Zielkorridor (engl. „project scope“), der spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert (s-m-a-r-t) sein sollte.  Begrenzte zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen, d. h., jedes Projekt ist mit einem bestimmten Zeitkorridor, einer Projektmannschaft und einem Budget ausgestattet. Die Ressourcenbeschaffung und der geplante Ressourceneinsatz sind wesentliche Aufgaben des Projektmanagements.  Temporäre fach-, abteilungs- und hierarchieübergreifende Zusammenarbeit, d. h., Mitarbeiter mit unterschiedlichem fachlichen, qualifikatorischen und berufsbiografischen Hintergrund erarbeiten zusammen Lösungsmöglichkeiten und Prozesse zur Projektzielerreichung. Die Unterschiede im Fachwissen sind dabei oft notwendig, um die Komplexität der Aufgabe zu bewältigen. Damit einher gehen jedoch oft Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund des unterschiedlichen Fachvokabulars und verschiedener Fachperspektiven. So weit ist also hinreichend definiert, was ein Projekt ist und was nicht (z. B. die wiederkehrende Erstellung eines Jahresfinanzabschlusses durch ein Steuerberaterteam). Für die folgende Argumentation ist es aber wichtig, zwischen „Projekten“ als Arbeitsgegenstand und „Projektarbeit“ als Arbeitsform zu unterscheiden. Letztere wird hier in der folgenden Weise in die Diskussion eingeführt: Projektarbeit ist eine Form der Arbeitsorganisation, die durch Neuartigkeit, Ziel-Offenheit und absehbare zeitliche Begrenztheit der Arbeitsaufgabe gekennzeichnet ist. Bei dieser Definition ist hervorzuheben, dass Projektarbeit an sich nicht zeitlich befristet und einmalig sein muss. Es ist denkbar (und zum Teil bereits z. B. im Multiprojektmanagement allgegenwärtig), dass Mitarbeiter Projektarbeit als eine permanente Form der Arbeitsorganisation in ihrem Unternehmen erleben. Die Projekte selbst, in denen sie mitarbeiten, sind zwar zeitlich, personell und finanziell terminiert, die Projektarbeit selbst ist aber überdauernd. Die Aufbau- und Ablauforganisation eines Unternehmens wandelt sich dann zu einer „permanenten Projektorganisation“ (in Abgrenzung zur gegenwärtig noch weit verbreiteten „Matrixorganisation“, in der Projekt- und Linienarbeit parallel stattfindet (vgl. z. B. [1]). Dies bedeutet aber auch, dass sich diese Arbeitsform durch bestimmte objektive Merkmale und Bedingungen kennzeichnen lässt, die unabhängig von einem bestimmten Projekt oder einer Projektphase sind. Dies ist wichtig, um die gesundheitsrelevanten Merkmale, die hier im Weiteren betrachtet werden sollen, als eigenständige Qualität zu begreifen. Psychischer Stress ist also nach der hier vertretenen Auffassung nicht eine unerfreuliche Begleiterscheinung einer bestimmten Projektphase oder eines Projektzeitpunkts, sondern ein Phänomen, das in Verbindung mit einer bestimmten Merkmalsausprägung einer besonderen Arbeitsform betrachtet werden muss. Was sind aber die wesentlichen Unterschiede von Projektarbeit zu anderen Arbeitsformen, in denen ebenfalls in Teams gearbeitet wird und zeitlich, ressourcenmäßig und finanziell eng gesteckte Zielvorgaben erreicht werden müssen (z. B. Gruppenarbeit, Arbeit in Linienfunktionen, Arbeit in technischen oder administrativen Fachbereichen)? Projektarbeit ist gekennzeichnet von Neuartigkeit, Ziel-Offenheit und zeitlicher Begrenztheit der Arbeitsaufgabe Im Unterschied zu Aufgaben in Linienfunktionen ist es kennzeichnend für Projektarbeit, dass ein wesentlicher Anteil der Eingangsgrößen, Verrichtungen und Ergebnisse tatsächlich neuartig sind. Natürlich werden auch in Linienfunktionen neue Ergebnisse erarbeitet. Die dazu notwendigen Informationen, Arbeitsprozesse und zu erreichenden Ziele sind aber meist weitestgehend bekannt. Die Arbeitsschritte sind für Mitarbeiter mit der entsprechenden Berufserfahrung stark routinisiert und laufen in mehr oder minder genau definierten Arbeitsprozessen ab. Die Zielstellung ist größtenteils vorgegeben und klar. Anders in der Projektarbeit: Hier sind nur die wenigsten Arbeitsschritte von vornherein bekannt oder vorgegeben. Auch die Zielstellungen eines Projekts sind zu Beginn meist unklar und können sich im Projektverlauf dramatisch verändern. Bedingt durch die Einmaligkeit, Neuartigkeit, Ziel-Offenheit und zeitliche Begrenztheit jedes Projekts kann nur wenig auf standardisierte Prozeduren, Materialien und frühere Arbeitsergebnisse zurückgegriffen werden. Der Anteil an Routine-Tätigkeiten in der Projektarbeit ist sehr gering. Explorative, kreative und planerische Elemente sind hingegen häufiger und mehr als in anderen Arbeitsformen enthalten. Ähnlich ist es im Vergleich mit Gruppen- oder Teamarbeit in der industriellen Fertigung von Gütern (z. B. in der Automobilindustrie). Zwar mögen auch hier mehrere Personen in arbeitsteiliger Weise an einer kollektiven Leistungserbringung beteiligt sein. Aber dennoch ist der gemeinsame Produktionsauftrag durch die übergeordnete Betriebsorganisation genau vorgegeben. Die Tätigkeiten sind meist hoch routinisiert. Die Möglichkeiten für die Mitarbeiter zu eigener Planung von Arbeitsschritten sind eher gering. Es ist zum Teil sogar das ausgesprochene Ziel von Arbeitsgestaltern, Gruppenarbeit so weit zu standardisieren, dass keine komplexen Probleme von der Arbeitsgruppe selbst gelöst werden müssen. Dies wird vielmehr spezialisierten Projektgruppen als Aufgabe übertragen, die z. B. als Qualitätszirkel oder Werkstattzirkel agieren. Die arbeitspsychologische Stressforschung hat sich bisher kaum mit Projektarbeit als einer eigenständigen Araktuell projekt M A N A G E M E NT 3/ 20 0 4 41 beitsform auseinander gesetzt (vgl. z. B. [5], [16], [7], [18]). Erst in wenigen, meist aus dem skandinavischen Raum stammenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen wird ein Zusammenhang zwischen den Arbeitsbedingungen im Projektmanagement und der Gesundheit und Motivation von Projektmanagern und -mitarbeitern hergestellt (vgl. [8], [4]). Die Frage, die an dieser Stelle aber von besonderer Bedeutung für die Bewertung von Projektarbeit ist, lautet daher: Ist Arbeit in Projekten im Vergleich mit anderen Arbeitsformen objektiv stressiger, weniger stressig, oder gibt es gar keinen Unterschied? Mit der Beantwortung dieser Frage sind weitreichende Konsequenzen für die Analyse, Bewertung und Gestaltung von Projektarbeit verbunden. So könnte z. B. bei einem objektiv höheren Stresspotenzial die Forderung nach Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes seitens der Projektmanager und ihrer Mitarbeiter begründet und z. B. mit Hilfe der betrieblichen Mitbestimmung eingefordert werden. Dafür ist es zunächst aber notwendig, einige grundlegende arbeitspsychologische Begriffe und Sachverhalte zum Thema „Stress am Arbeitsplatz“ einzuführen und zu erörtern. Ich beschränke mich hier auf ausgewählte Aspekte, die den gegenwärtigen Stand der arbeitspsychologischen Stressforschung gut wiedergeben. Für eine vergleichende Gegenüberstellung weiterer arbeitsbezogener Stressmodelle siehe Oesterreich [12, 13]. Stressrelevante Aspekte der (Projekt-)Arbeit „Stress am Arbeitsplatz“ ist ein mittlerweile sehr intensiv untersuchtes Gebiet in der Arbeitspsychologie (vgl. [19], [5], [6], [14]). Es fällt aber auf, dass die Arbeitswelt sich in den vergangenen Jahren stark verändert hat, ohne dass die Diskussion über stressrelevante Aspekte der Arbeitstätigkeit in gleicher Weise Schritt gehalten hätte. Im Rahmen der Forschungsinitiativen zur „Humanisierung der Arbeit“ zu Beginn der 1970er Jahre wurden mehrere arbeitspsychologische Konzepte und Verfahren zur Messung von stressbezogenen Tätigkeitsaspekten entwickelt. Einen Überblick gibt Dunckel [2] in seinem „Handbuch psychologischer Arbeitsanalyseverfahren“. In dem vorliegenden Zusammenhang ist das „Instrument zur stressbezogenen Tätigkeitsanalyse“ (ISTA) [20] von besonderem Interesse. ISTA ist ein Verfahren zur Abschätzung von stressrelevanten Belastungsschwerpunkten einer bestimmten Arbeitstätigkeit. Im ISTA werden die folgenden „stressrelevanten Aspekte der Arbeit“ unterschieden und in getrennen Skalen und Indizes erhoben (Tabelle 1). Diese acht Skalen und Indizes des ISTA beschreiben die psychischen Anforderungen der Arbeitsaufgaben und die zur Verfügung stehenden psychischen Ressourcen. Je höher Arbeitskomplexität, Variabilität, Handlungsspielraum, Partizipation, Zeitspielraum, Kommunikationsmöglichkeiten und Kooperationserfordernisse einer bestimmten Arbeitstätigkeit sind, umso positiver wirkt sich dies auf das psychische Empfinden und Wohlbefinden desjenigen, der diese Tätigkeit ausführt, aus. Kontrolle über die Arbeitsbedingungen und Kommunikationsmöglichkeiten werden als psychische Ressourcen betrachtet. Die Skalen und Indizes 1 bis 8 beschreiben demnach positive Anforderungen und Ressourcen einer bestimmten Arbeitstätigkeit im Sinne einer gesundheits- und persönlichkeitsförderlichen Arbeitsgestaltung. Die Skalen und Indizes 9 bis 16 beschreiben potenzielle Hindernisse und Überforderungen bei der Aufgabenerfüllung, d. h. objektive Sachverhalte, welche die Mitarbeiter bei der Ausführung ihrer Tätigkeit behindern und/ oder beständig überfordern, und zwar unabhängig von Persönlichkeitseigenschaften oder Dispositionen. Das diesen Skalen zugrunde liegende psychologische Konzept ist die Existenz von so genannten „Regulationshindernissen“: Ein Regulationshindernis ist eine Behinderung des Arbeitshandelns, auf die mit Zusatzaufwand (oder mit riskantem Handeln) reagiert werden muss, weil keine betrieblichen Ressourcen zum Umgang mit der Behinderung existieren. Die Notwendigkeit, mit Zusatzaufwand zu reagieren, ergibt sich aus den Bedingungen der Arbeitstätigkeit und nicht aus den Eigenarten der arbeitenden Personen. Es liegt nicht im Entscheidungsbereich der arbeitenden Personen, grundsätzliche Maßnahmen zur Beseitigung des Hindernisses zu treffen. ([15], S. 59) Skala/ Index Beschreibung 1. Arbeitskomplexität und Qualifikationserfordernisse (AK/ QU) Komplexität der Anforderungen, benötigte Ausbildungs- und Einarbeitungsdauer 2. Variabilität (VA) Verschiedenartigkeit der Anforderungen 3. Handlungsspielraum (HS) Entscheidungsmöglichkeiten über Vorgehensweisen und Reihenfolge der Arbeitsschritte 4. Partizipation (PA) Einfluss auf Urlaubspläne, Arbeitszeit, Investitionen und Anschaffungen 5. Zeitspielraum (ZS) Einfluss auf Zeiteinteilung bei der Arbeitsausführung 6. Kommunikationsmöglichkeiten (KOM) Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit Kollegen und anderen Gesprächspartnern 7. Kooperationserfordernisse (KER) Notwendigkeit gemeinsamer Entscheidungen und gegenseitiger Information 8. Kooperationsspielraum (KSP) Möglichkeit zur gegenseitigen Unterstützung, Einfluss auf die Auswahl von Kooperationspartnern Tabelle 1: Stressrelevante Aspekte der Arbeit: Skalen und Indizes des ISTA ([20], S. 182): Psychische Anforderungen und Ressourcen projekt M A N A G E M E NT 3/ 20 0 4 aktuell 42 KARRIERE Ebenso negativ sind psychische Überforderungen zu bewerten. Hoher Zeitdruck und andauernde hohe Konzentrationsanforderungen wirken auf Dauer als psychische Belastung, sofern sie dauerhaft mit einer bestimmten Tätigkeit verbunden sind und die Mitarbeiter keinen steuernden Einfluss auf diese Belastungen ausüben können. Je höher also eine bestimmte Tätigkeit auf den Skalen und Indizes 9 bis 16 eingeschätzt wird, d. h., je höher die psychischen Belastungen (Regulationshindernisse und Überforderungen) sind, umso größer ist die Gefahr von stressbedingten gesundheitsschädigenden Auswirkungen (vgl. z. B. [10], [9], [14]). Das ISTA beinhaltet darüber hinaus einige Skalen, die für industrielle Arbeitsplätze in der Fertigung und Montage Relevanz haben, hier aber von untergeordneter Bedeutung sind (z. B. einseitige körperliche Belastungen durch ergonomisch ungünstig gestaltete Maschinen, Werkzeuge oder Mobiliar). Das dem ISTA zugrunde liegende Konzept „Psychischer Stress am Arbeitsplatz“ ist deswegen für die vorliegende Fragestellung interessant, weil es sehr breitflächig verschiedene arbeitsbezogene Qualitäten und Stressoren beinhaltet. Die Operationalisierungen der verschiedenen Skalen und Indizes sind einerseits so generisch, dass sie für sehr unterschiedliche Tätigkeiten, so z. B. auch für Projektarbeit, verwendet werden können, andererseits so inhaltsvalide und testtheoretisch geprüft, dass sie zuverlässige und gültige Ergebnisse produzieren. Ein Einsatz des ISTA in stressbezogenen Arbeitsanalysen in Projekten erscheint daher als möglich und wünschenswert. Bisher stehen entsprechende empirische Studien allerdings leider noch aus, so dass die folgenden Ausführungen sich lediglich auf plausible Überlegungen stützen, die durch empirische Daten erst noch bestätigt bzw. widerlegt werden müssen. Spezifische psychische Anforderungen und Belastungen in der Projektarbeit Die These lautet: Eine dauerhafte Arbeit in Projekten stellt spezifische psychische Anforderungen und beinhaltet spezifische psychische Belastungen, und zwar zunächst unabhängig von der ausgeübten Funktion in der Projekthierarchie (Projektmanager, -mitarbeiter, -assistenz) und unabhängig von Persönlichkeitseigenschaften der konkreten Personen, welche die Projektarbeit ausüben. Im Folgenden wird versucht, die Skalen und Indizes des ISTA für die stressbezogene Analyse von Projektarbeit nutzbar zu machen, d. h., es wird versucht, Projektarbeit hinsichtlich verschiedener Ausprägungen auf den ISTA-Skalen zu beschreiben und diese Einordnungen argumentativ zu plausibilisieren. Dieses Vorgehen erscheint zunächst gerechtfertigt, solange es keine empirischen Studien gibt, die eine differenziertere Betrachtung ermöglichen. Professionelle Projektarbeit im industriellen Kontext lässt sich in folgender Weise charakterisieren:  Hohe Arbeitskomplexität und Qualifikationserfordernisse: Die Mitarbeit in Projekten erfordert hohe fachliche, methodische und soziale Kompetenzen. Die Arbeit ist sehr komplex und erfordert kontinuierlich Steuerungs- und Kontrollentscheidungen. Vergleiche hierzu auch die Beschreibung der zentralen Merkmale von Projekten bei Schiersmann und Thiel [17] weiter oben.  Hohe Variabilität: Projektarbeit beinhaltet relativ wenig Routinetätigkeiten. Das Tätigkeitsspektrum reicht von der Teilnahme an Spontan- und Regelmeetings über die Anfertigung und Präsentation von Projektreports bis hin zum kreativen Problemlösen in schwierigen Projektphasen. Auch die zu bearbeitenden Materialien und Informationen sind meist sehr unterschiedlich. Insgesamt ist die Variabilität der Aufgaben in der Projektarbeit eher groß.  Hohe Kommunikations- und Kooperationserfordernisse: Projektarbeit stellt im Allgemeinen hohe Anforderungen an die kommunikativen Fähigkeiten der Mitarbeiter. Die Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten bezieht sich größtenteils, gerade zu Projektbeginn, auf Erarbeitung einer gemeinsamen Zielstellung und beinhaltet gemeinsame Überlegungen zur Entwicklung neuer Vorgehensweisen. Die Gründe für diese hohen Anforderungen liegen in der Neuartigkeit und Einmaligkeit des Projektauftrages begründet. Für die anderen anforderungsbezogenen ISTA-Skalen ist die Einordnung von Projektarbeit eher schwierig. Die Möglichkeiten zur Partizipation und die zur Verfügung stehenden Handlungs-, Zeit- und Kooperationsspielräu- Skala/ Index Beschreibung 9. Unsicherheit (UN) Unsicherheit über Anforderungen, Arbeitsergebnisse, Folgen von Entscheidungen und Handlungen 10. Arbeitsorganisatorische Probleme (AOP) Qualität von Unterlagen, Material, Einrichtung des Arbeitsplatzes, Zwickmühle Qualität/ Quantität 11. Arbeitsunterbrechungen (AUB) Unterbrechung durch Vorgesetzte, Kollegen, Eilaufträge etc. 12. Unfallgefährdung Gefährdung durch potenziell gefährliche Arbeitsbedingungen und -stoffe (z. B. Umgang mit toxischen Materialien) 13. Umgebungsbelastung (UGB) Lärm, ungünstige Beleuchtung, räumliche Enge, Zugluft etc. 14. Konzentrationsanforderungen (KON) Vigilanzanforderungen, Belastung des Kurzzeitgedächtnisses 15. Zeitdruck (ZD) Hohes Arbeitstempo/ -volumen 16. Kooperationsenge (KOP) Abhängigkeit von anderen (negative Aspekte der Kooperation) Tabelle 2: Stressrelevante Aspekte der Arbeit: Skalen und Indizes des ISTA ([20], S. 182): Psychische Belastungen aktuell projekt M A N A G E M E NT 3/ 20 0 4 43 me sind wohl eher an die konkreten Rand- und Rahmenbedingungen eines bestimmten Projektes gebunden, als dass sie projektübergreifend gleichermaßen eingeschätzt werden können. Eine vertiefende Analyse am konkreten Projekt erscheint hier notwendig. Auf der Belastungsseite lässt sich Projektarbeit in folgender Weise charakterisieren:  Hohe Unsicherheit: Projektarbeit beinhaltet meist Umgang mit Unsicherheit. Aufgrund der Neuartigkeit und Zieloffenheit der Arbeitsaufgabe ist es oft unvermeidlich, dass Entscheidungen getroffen werden müssen, ohne dass ausreichende Informationen zur Verfügung stehen. Unklare und widersprüchliche Zielvorgaben und Anweisungen von übergeordneten Stellen (z. B. des Projektsteuerkreises oder der Unternehmensführung) sind häufig zu beobachten. Mit zunehmendem Projektfortschritt nimmt die Unsicherheit zwar eher ab, dennoch kann bis zum Projektende meist niemand mit Bestimmtheit sagen, ob ein bestimmtes Projekt erfolgreich ist oder nicht.  Hoher Zeitdruck: Arbeit in Projekten ist häufig mit Zeitdruck verbunden. Vor allem in kritischen Projektphasen, z. B. bei der Annäherung an erfolgskritische Meilensteine, sind Überstunden und hohe Arbeitsvolumina wahrscheinlich. Das Projektmanagement und die Projektauftraggeber interessieren in erster Linie die Erreichung der Projektziele und die Einhaltung des Zeitplans. Erst wenn deutlich wird, dass mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen die Projektziele nicht erreicht werden können, wird möglicherweise Zusatzkapazität geschaffen, allerdings meistens ohne Veränderung der Zeitschiene. Dies bedeutet, dass im Handlungsdreieck „Zeit-Kosten-Qualität“ der Parameter „Zeit“ am wenigsten gerne verändert wird. Hinzu kommt, dass Zeitdruck oft aufgrund verspäteter Managemententscheidungen in Projekten eintritt. Trotz Verzug in bestimmten Projektphasen werden dann spätere Termine oft nicht verschoben, z. B. der Serienproduktionsstart in einem Produktentwicklungsprojekt.  Hohe Kooperationsenge: Projektarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass die eigene Arbeitstätigkeit stark davon beeinflusst wird, wie schnell oder wie langsam bzw. wie gut oder wie schlecht die Kollegen arbeiten. Der technische Entwickler ist in seiner Arbeit davon abhängig, dass der Einkäufer frühzeitig den Serienlieferanten auswählt. Dieser ist bei seiner Tätigkeit wesentlich davon abhängig, wie gut oder schlecht die technischen Lastenhefte formuliert sind. Projektarbeit wird oft mit Teamarbeit assoziiert, wobei der Projekterfolg stark davon abhängt, wie gut oder schlecht die Arbeit im Team funktioniert. Auch bei den Belastungsmerkmalen ist die Ausprägung auf den anderen ISTA-Skalen und Indizes nur für den konkreten Fall zu beantworten. Arbeitsorganisatorische Probleme sind ebenso wie Arbeitsunterbrechungen in jedem Projekt denkbar. Umgebungsbelastungen wie Lärm, ungünstige Beleuchtung etc. sind von der Projektarbeit als Arbeitsform vermutlich eher unabhängig. Die Konzentrations- und Gedächtnisanforderungen (z. B. das kurzfristige und simultane Behalten von Stückzahlen, Namen, Tabellenschlüsseln, Adressen, Dateinamen, Ordnern, Registern usw.) sind hingegen vermutlich eher hoch. Auch hier bedarf es aber genauerer empirischer Untersuchungen zur Klärung. Zusammenfassende vorläufige Bewertung des Stresspotenzials von Projektarbeit Die psychischen Anforderungen und Ressourcen in der Projektarbeit sind im Vergleich mit anderen Arbeitsformen relativ hoch. Dies ist aus arbeitspsychologischer Perspektive ein positives Merkmal. Die o. g. Liste an Anforderungen ist weder vollständig noch erschöpfend. Sie beinhaltet jedoch die wesentlichen Humankriterien der Arbeit, wie sie in den meisten existierenden psychologischen Arbeitsanalyseverfahren beschrieben sind (vgl. z. B. [2]). Zum Teil ist es notwendig, eine Unterscheidung in der Höhe der Anforderungen für die Mitarbeiter in verschiedenen Ebenen einer Projekthierarchie (Projektmanager, Teilprojektleiter, Projektmitarbeiter) vorzunehmen. So ist es plausibel, dass die Handlungs- und Entscheidungsspielräume mit der Höhe in der Projekthierarchie zunehmen. Es gibt aber auch Anforderungen, die unabhängig von der Hierarchiestufe für alle Mitarbeiter in einem Projekt ähnlich ausgeprägt erscheinen, z. B. vergleichsweise hohe Kommunikations- und Kooperationserfordernisse. Darüber hinaus ist es sogar denkbar, dass bestimmte Anforderungen von oben nach unten eher zunehmen, z. B. die operativen Abstimmungs- und Kommunikationserfordernisse mit internen und externen Partnern und die Variabilität der Aufgaben im täglichen Projektgeschäft. Genauere Untersuchungen müssten hier aber noch Aufschluss geben. Dies wiederum bedeutet, dass Projektarbeit hoch qualifizierte und für diese besondere Arbeitsform spezialisierte und gut ausgebildete Mitarbeiter benötigt, die diesen Anforderungen auch gewachsen sind. Je höher die psychischen Anforderungen in der Projektarbeit sind, umso günstiger wirkt sich das auf die psychische Gesundheit der Projektmitarbeiter aus, und zwar unabhängig von Persönlichkeitseigenschaften der Projektmitarbeiter, wie es im Konzept „Psychischer Stress am Arbeitsplatz“ theoretisch angelegt und empirisch belegt wurde (vgl. z. B. [19], [5]). Wie sieht es aber mit dem negativen Aspekt der psychischen Belastungen in der Projektarbeit aus? Zeitdruck und Unsicherheit bzgl. der Projektziele und -ressourcen sind für die Mitarbeiter oft belastend Psychische Belastungen sind konzeptionell und praktisch unabhängig von psychischen Anforderungen (vgl. [10], [9], [14], [12], [13]). Sie stellen ein Gefahrenpotenzial für die Gesundheit der Mitarbeiter dar. Sie behindern den Arbeitsprozess und schränken daher die Qualität der Arbeitsergebnisse ein. Je höher die psychischen Belastungen in der Projektarbeit sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeiter stressbedingt erkranken. Daher sollte es ein Hauptziel des Projektmanagements sein, mögliche Ursachen für psychische Belastungen zu (er)kennen und zu beseitigen. Insgesamt und vorläufig erscheinen die psychischen Belastungen in der Projektarbeit eher hoch zu sein, insbesondere der häufig beobachtbare Zeitdruck und die objektive Unsicherheit bzgl. der Projektziele und -ressourcen sind für die Mitarbeiter oft belastend. projekt M A N A G E M E NT 3/ 20 0 4 aktuell 44 KARRIERE Schlussfolgerungen für eine gesundheitsgerechte Gestaltung von Projektarbeit Was bedeuten diese Überlegungen nun für die Ausgangsfrage, ob und in welcher Weise Projektarbeit besonders „stressig“ ist oder eben nicht? Es wurde dargelegt, dass psychische Anforderungen und psychische Belastungen voneinander unabhängig sind. Legt man diese Orthogonalität der beiden Dimensionen als Schablone den folgenden Überlegungen zugrunde, können mindestens vier alternative Kombinationen der Ausprägung von psychischen Anforderungen und Belastungen in der Projektarbeit unterschieden werden. In der Abbildung sind diese Alternativen zusammen mit den Wirkrichtungen hinsichtlich „positiver Gesundheit“ und „Gesundheitsgefährdung“ visualisiert (vgl. [12]). Alternative 1: Anforderungen hoch, Belastungen niedrig („low strain job“): Diese Konstellation kommt in der Projektarbeit praktisch nicht vor, da auch in bestmöglich gemanagten Projekten meist die Belastungsfaktoren „Zeitdruck“ und „Unsicherheit“ wirksam sind. Zeitdruck ist der Projektarbeit insofern immanent, als dass fast jedes Projekt einen vorgegebenen, meist relativ engen Zeitplan besitzt. Erhöht sich der Zeitdruck, z. B. weil sich der Projektstart verzögert, ohne gleichzeitig den Projektendtermin zu verschieben, steigen aber auch die psychischen Belastungen für die Mitarbeiter (symbolisiert durch die dunklen Pfeile). Alternative 2: Anforderungen hoch, Belastungen hoch: Projektmanagement als „active job“: Diese Alternative entspricht dem Stereotyp von guter, motivierender und positiv bewerteter Projektarbeit. Die Handlungs- und Entscheidungsspielräume für die Mitarbeiter sind hoch. Die enge Abstimmung mit anderen Projektmitgliedern erfordert häufige und intensive Kommunikation. Dies beschreibt die hohe Ausprägung auf der vertikalen Dimension „Psychische Anforderungen“. Gleichzeitig bedingt es die Projektarbeit, unter hohem Zeitdruck und gegen viele Widerstände und mit vielen Unterbrechungen zu arbeiten. Die Mitarbeiter werden in ihrer Projektarbeit häufig blockiert, Informationen müssen mühsam gesammelt, bearbeitet und weitergegeben werden. Daher ist auch die Dimension „Belastungen“ hoch ausgeprägt. Alternative 3: Anforderungen niedrig, Belastungen niedrig: Diese Ausprägung von Projektarbeit findet man meistens auf den unteren Ebenen der Projekthierarchie (z. B. bei Projektsachbearbeitern mit geringen Handlungs- und Entscheidungsspielräumen). Das Stresspotenzial ist hierbei gering, es resultieren aber auch geringes Involvement und eine geringe Motivation und Begeisterung für die Projektarbeit. Diese bei Karasek und Theorell [6] als „passive job“ bezeichnete Arbeitsform ist daher zum einen wenig wirksam hinsichtlich psychischer Gesundheitsgefährdung, sie birgt aber auch wenig Potenziale hinsichtlich positiver Gesundheit. Eine solche Ausprägung von Projektarbeit soll als „passive Projektarbeit“ bezeichnet werden. Projektmitarbeiter arbeiten teilweise unter sehr belastenden Bedingungen, ohne dass es in ihrer Macht liegt, diese Belastungen zu beseitigen Alternative 4: Anforderungen niedrig, Belastungen hoch („high strain job“): Hier liegt das eigentliche Problem und das größte Gefährdungspotenzial für die Gesundheit von Projektmitarbeitern. Diese arbeiten unter sehr belastenden Bedingungen, ohne dass es in ihrer Macht läge, diese zu verringern oder gar ganz zu beseitigen. Die psychischen Anforderungen sind auf der einen Seite eher gering, so dass die positiven, potenziell gesundheitsförderlichen Wirkungen von Projektarbeit nicht existieren. Auf der anderen Seite entfalten die negativen, gesundheitsschädlichen Wirkungen der psychischen Belastungen ihre volle Wirkung. Im Sinne einer Gesundheitsrisikoanalyse liegt hier das eigentliche Problem für die Mitarbeiter und die Projektleitung. Eine solche Projektarbeit birgt ein hohes Stresspotenzial und daher eine hohe psychische Gesundheitsgefährdung für diejenigen, die unter solchen Bedingungen dauerhaft arbeiten müssen, ohne Einfluss darauf nehmen zu können. Welche Schlussfolgerungen können nun zusammenfassend aus diesem Bild gezogen werden? Schlussfolgerung 1: Projektmanager und -mitarbeiter mit hohen Belastungen und geringen Anforderungen sind am meisten gefährdet, stressbedingt zu erkranken. Geht man davon aus, dass Anforderungen und Belastungen unabhängig voneinander sind und wirken, kann auch für „active jobs“ mit hohen Anforderungen und hohen Belastungen nicht ausgeschlossen werden, dass dauerhafte Projektarbeit auf lange Sicht psychisch gesundheitsgefährdend ist. Die bestmögliche Job-Alternative unter dem Aspekt „Psychischer Stress“ ist demnach ein „low strain job“ mit hohen Anforderungen und geringen Belastungen. Schlussfolgerung 2: Eine mögliche Stellschraube zur Verminderung des Stresspotenzials für Projektmitarbeiter liegt in der Erhöhung der psychischen Anforderungen, eine andere in der Verringerung von Belastungen. Durch die Vergrößerung der Handlungs- und Entscheidungsspielräume, mehr direkte Kommunikation und Partizipation etc. werden die Mitarbeiter in ihrer ���������������������� ������������������������ ������������������������ ����������������������� ���������������� ��������������������������� �������������������������� ��������������������� ������������������������ ���������������������� ���������������� ������� ������ ���� ��������������������� �������������������� ����������������������� ������������ ����������������� ����������� ������������������ �������� �������������������� ������������� ������������ ������������������� ������������� ��������������� ������������ Vier verschiedene Ausprägungsformen von Projektarbeit und ihre Bedeutung für gesundheitsförderliche bzw. schädigende Wirkung. Die Auffächerung der hellen und dunklen Pfeile soll darauf hinweisen, dass Anforderungen und Belastungen unabhängig voneinander wirksam sind (vgl. [12]). aktuell projekt M A N A G E M E NT 3/ 20 0 4 45 Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung on-the-job gefördert. Dies wirkt im psychologischen Sinne gesundheits- und leistungsförderlich. Damit einher geht aber keine Verringerung der psychischen Belastungen, da diese unabhängig von den Anforderungen sind. Schlussfolgerung 3: Psychischer Stress steigt mit zunehmender psychischer Belastung. Durch geeignete Managementmethoden und Ausgestaltung der Projektarbeit können psychische Belastungen, wenn nicht vermieden, so doch verringert werden. In der Konsequenz sinken die negativen Gesundheitswirkungen und in der Folge verringert sich der Krankenstand der Projektmitarbeiter. Schlussfolgerung 4: Passive Projektarbeit wirkt sich weder in positiver noch in negativer Weise auf die Gesundheit der Mitarbeiter aus, sie beinhaltet aber auch psychische Anforderungen und damit wenig Entwicklungs- und Lernpotenzial. Die Mitarbeiter bleiben eben … passiv (auch nach Besuch eines Motivationsseminars). Schlussfolgerung 5: Es ist unsinnig, von einem Stereotyp auszugehen, das besagt, dass Projektarbeit immer stressig sei oder dass Projektarbeit stets durch große Entscheidungs- und Handlungsspielräume gekennzeichnet und deshalb besonders erstrebenswert sei. Stress ist jedoch keine zwangsläufige Begleiterscheinung von Projektarbeit. Je nach Ausprägung der psychischen Anforderungen und Belastungen können zumindest vier unterschiedliche Ausprägungsformen von Projektarbeit unterschieden werden, wie in der Abbildung gezeigt wird. Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass es sich hierbei um theoretisch begründete und logische Schlussfolgerungen aus der Übertragung des „Anforderungs-/ Belastungs-Konzepts“ und des Konzepts „Psychischer Stress am Arbeitsplatz“ von industrieller Produktionsarbeit auf Projektarbeit handelt. Die im Rahmen von umfassenden empirischen Untersuchungen erhärtete Gültigkeit des Konzepts für den Zusammenhang von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz und Gesundheitsbeeinträchtigung durch industrielle Arbeitsplätze muss für die Projektarbeit noch belegt werden. Hier bedarf es geeigneter Studien und Analysen im Feld. Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung im Projektmanagement Welche weiteren Konsequenzen ergeben sich aus den bisherigen Überlegungen für die Qualifikation von Projektleitern und -mitarbeitern im Rahmen der Aus- und Weiterbildung? Zum einen ist es wichtig, zunächst überhaupt ein Bewusstsein für den Unterschied von psychischen Anforderungen einerseits und Belastungen andererseits zu schaffen. Erst wenn die logische Unabhängigkeit dieser beiden Dimensionen verstanden wird, macht es Sinn, über die spezifischen Anforderungen und Belastungen in der Projektarbeit genauer nachzudenken und eine rationale, also vernunftgeleitete Gestaltung dieser Arbeitsform zu diskutieren. Dies ist nach meiner Auffassung fundierter, als über die generelle Motivationsförderlichkeit von Projektarbeit im Allgemeinen und den Sinn/ Unsinn von Projektkarrieren oder ähnliche „modische“ Personalentwicklungskonzepte nachzudenken. Ich fordere daher nicht mehr und nicht weniger als die Anwendung gesicherter arbeitswissenschaftlicher und psychologischer Erkenntnisse in der Planung und Ausstattung von Projekten: ein Anspruch, der in anderen industriellen Arbeitsplätzen, z. B. in der Produktion oder im Sachbearbeiterbüro, immer noch weitestgehend gültig ist (vgl. [14]). Warum aber sollten Projektmitarbeiter ein geringeres Arbeits- und Gesundheitsschutzniveau anstreben als ihre Kollegen in anderen Unternehmensbereichen? Wenn ein Grundverständnis für das psychologische „Anforderungs-/ Belastungs“-Konzept gefunden worden ist, wäre der nächste Schritt, die Verbindung zwischen psychischen Belastungen einerseits und möglichen stressbedingten Erkrankungen der Projektmitarbeiter andererseits herzustellen. Nicht ein Zuviel an Kommunikation macht krank, sondern die häufige Unterbrechung durch Telefonklingeln. Nicht zu große Komplexität und Variabilität stressen die Mitarbeiter, sondern der Zeitdruck, der durch zu späte Entscheidungen des Projektmanagements entsteht. Im Einzelnen fällt jedem erfahrenen Projektleiter und -mitarbeiter sicherlich eine Menge an Beispielen ein, was in ihren Projekten an zu geringen Anforderungen und zu großen Belastungen aufgetreten ist. Maßnahmen zur Reduktion von Belastungsursachen sollten in Projektmanagementtrainings integriert werden In einem dritten Schritt könnten dann Projektleiter und -mitarbeiter gemeinsam darangehen, die Tätigkeiten der einzelnen Projektmitarbeiter hinsichtlich der spezifischen Anforderungen und Belastungen in einem konkreten Projekt zu untersuchen. Ergebnis einer solchen Analyse wäre dann ein grobes Bild, wo Belastungsschwerpunkte sind und welche Maßnahmen zur Verminderung des Stresspotenzials eingeleitet werden sollten. Diese drei Schritte könnten als zusammenhängende Lehr-/ Lernmodule in die Aus- und Weiterbildung von Projektleitern und -mitarbeitern aufgenommen werden. Damit wäre ein wichtiger Beitrag geleistet, das Thema „Stress im Projekt“ nicht nur als Verhaltensprävention („Wie verbessere ich meinen persönlichen Umgang mit Stress“? ), sondern als Verhältnisprävention („Wie gestalte ich Arbeitsbedingungen, damit ich und meine Mitarbeiter nicht stressbedingt erkranken? “) zu verankern. Darüber hinaus könnten in eigenständigen Seminarblöcken z. B. für Projektleiter Möglichkeiten zur Erhöhung der psychischen Anforderungen für ihre Mitarbeiter vermittelt werden. Beispiele hierfür sind die Einräumung von größeren Handlungs- und Entscheidungsfreiräumen auf allen Ebenen der Projekthierarchie (Projektleiter, Teilprojektleiter, Projektmitarbeiter, Projektsachbearbeiter), die aktive Förderung von vertikaler und horizontaler Kommunikation im Projekt und die Erhöhung der Variabilität der Arbeitsaufgaben. Ebenso könnten gezielte Maßnahmen zur Reduktion von Belastungsursachen in der Projektarbeit vermittelt und trainiert werden, wie z. B. die Beseitigung von Störungsursachen, die Verminderung von Zeitdruck durch flexible Planung und rechtzeitige Entscheidung, der konsequente Einsatz von Planungs- und Controllingprojekt M A N A G E M E NT 3/ 20 0 4 aktuell 46 KARRIERE Methoden, die Erleichterung der Informationsbeschaffung, -bearbeitung und -weiterleitung durch ein gutes Dokumentenmanagement etc. Ebenso wären aber auch Kombinationen aus Projektmanagementtrainings und Seminaren zur Stressprävention im Gesundheitsmanagement denkbar. Arbeitswissenschaftliche und psychologische Konzepte und Erkenntnisse sollten daher auch in die Curricula von Fachausbildungen und Seminarreihen für Projektmanager einfließen und dort ihren angemessenen Raum finden. Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. könnte und sollte hierbei eine gewichtige Rolle spielen, das Thema „Gesundheitserhalt und -entwicklung durch Stressprävention“ in ihrem Ausbildungskanon zu verankern.  Literatur [1] Antoni, C. 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Zu seinen Kernkompetenzen gehören die Bereiche Mitarbeiterqualifizierung, betriebliche Gesundheitsförderung und psychologische Arbeits- und Tätigkeitsanalysen. Gegenwärtig beschäftigt er sich mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Projektarbeit und neuen Konzepten für die Qualifizierung von Projektmanagern und -mitarbeitern. Ein zentrales Element hierbei sind Stressprävention und Gesundheitsförderung in der Projektarbeit. Anschrift Audi Akademie GmbH Geschäftsbereich Personal und Management Egerlandstraße 7 D-85035 Ingolstadt Tel.: 08 41/ 9 66 02-3 41 E-Mail: akademie.muehlfelder@audi.de aktuell projekt M A N A G E M E NT 3/ 20 0 4