PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2005
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Wir wollten ein Schätztool, das die Kunden-Lieferanten-Zusammenarbeit unterstützt“
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2005
Siegfried Seibert
Fast täglich hören wir Meldungen über Projekte, bei denen Kosten und Termine nicht eingehalten werden. Mehr als die Hälfte der Softwareprojekte überschreiten ihre Termine und ihre Kosten um mehr als 50 %. Auch wenn einzelne dieser Überschreitungen nicht vorhersehbar sind, so können doch die meisten Fehleinschätzungen durch fundierte Schätzmethoden vermieden werden. Eines der bekanntesten Modell zur Schätzung der Kosten von Softwareprojekten ist COCOMO („COnstructive COst MOdel“). Es wird von Tausenden von Projektmanagern weltweit eingesetzt, um die Kosten- und Terminsituation von Softwareprojekten zu analysieren. Entwickelt und vorangetrieben wurde COCOMO von Professor Barry W. Boehm, einem der einflussreichsten und am häufigsten zitierten Fachleute im Software-Projektmanagement. projektMANAGEMENTaktuell sprach mit Barry Boehm über den Nutzen des COCOMO-Modells, über dessen Problembereiche und über die zukünftige Weiterentwicklung.
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9 „WirwollteneinSchätztool, dasdieKunden-Lieferanten- Zusammenarbeitunterstützt” Software-Projektmanagement-PionierBarryW.BoehmüberseinCOCOMO-Modell SiegfriedSeibert FasttäglichhörenwirMeldungenüberProjekte,beidenenKostenundTerminenicht eingehaltenwerden.MehralsdieHälftederSoftwareprojekteüberschreitetihreTermine undihreKostenummehrals50%.AuchwenneinzelnedieserÜberschreitungennicht vorhersehbarsind,sokönnendochdiemeistenFehleinschätzungendurchfundierteSchätzmethodenvermiedenwerden.EinesderbekanntestenModellezurSchätzungderKosten vonSoftwareprojektenistCOCOMO(„COnstructiveCOstMOdel“).EswirdvonTausenden vonProjektmanagernweltweiteingesetzt,umdieKosten-undTerminsituationvonSoftwareprojektenzuanalysieren.EntwickeltundvorangetriebenwurdeCOCOMOvonProfessorBarryW.Boehm,einemdereinflussreichstenundamhäufigstenzitiertenFachleuteim Software-Projektmanagement.projektMANAGEMENTaktuellsprachmitBarryBoehmüber denNutzendesCOCOMO-Modells,überdessenProblembereicheundüberdiezukünftige Weiterentwicklung. C OCOMO ist ein Modell, mit dem Kosten, Aufwand und Termine von Softwareprojekten geschätzt werden können. Im Gegensatz zu anderen Kostenschätzsystemen ist COCOMO ein „offenes“ Modell, für das alle Einzelheiten veröffentlicht wurden, einschließlich der zugrunde liegenden Schätzgleichungen und jeder Annahme und jeder Definition, die den Gleichungen zugrunde liegen. Das Modell beruht auf der Auswertung von rund 250 Projekten in mehreren bekannten amerikanischen Unternehmen. Weil COCOMO genau spezifiziert ist und weil es nicht auf geheim gehaltenen Algorithmen beruht, weist es für seine Benutzer folgende Vorteile auf: ❏ COCOMO-Schätzungen sind objektiver und nachvollziehbarer als Schätzungen, die auf intuitiven Methoden oder auf (teureren) geschützten Modellen beruhen. ❏ Die COCOMO-Gleichungen können an die speziellen organisatorischen Randbedingungen eines Unternehmens angepasst (kalibriert) werden, um genauere Schätzungen zu ermöglichen. ❏ COCOMO ist bei kleinen Projekten einfach anwendbar, gleichzeitig aber mächtig genug, um damit auch sehr große Projekte zu planen und zu steuern. ❏ COCOMO kann bereits zu frühen Zeitpunkten eingesetzt werden, wenn noch kein abgesicherter Projektstrukturplan für eine detailliertere Projektkalkulation vorliegt. Wegen dieser Vorteile ist COCOMO heute das bekannteste Softwarekostenschätzmodell weltweit. Es wurde von Boehm erstmals 1981 veröffentlicht. Damals war es eine kleine Sensation in der IT-Industrie. Seither haben sich die Softwareentwicklungsmethoden allerdings dramatisch verändert. Um diesem Wandel Rechnung zu tragen, wurde im Jahr 2000 ein komplett überarbeitetes und zukunftsweisendes Modell COCOMO II veröffentlicht. Herr Boehm, was waren Ihre wichtigsten Ziele, als Sie COCOMO entwickelten? Wir entwickelten COCOMO bei meinem damaligen Arbeitgeber TRW in den späten 70er Jahren, um bessere und realistischere Schätzungen für unsere Softwareprojekte zu erhalten. Außerdem wollten wir die Wirtschaftlichkeit der Softwareentwicklung erhöhen. Als eine der größten Softwareorganisationen arbeitete TRW damals bereits mit vielen externen Unternehmen zusammen. Ein wichtiges Ziel dabei war, mit einem solchen Modell die Zusammenarbeit von Kunden und Lieferanten zu unterstützen. Jede der beteiligten Parteien sollte das gleiche Tool zur Verfügung haben, um den Projektaufwand zu schätzen und zu analysieren, insbesondere bei der Diskussion und Verhandlung von Änderungsanträgen. Und dieses Ziel wurde erreicht? COCOMO war ein großer Erfolg. Viele Unternehmen in der ganzen Welt benutzen es und entwickelten eigene Anpassungen wie Ada COCOMO (US-Verteidigungsministerium), REVIC (Revised COCOMO), Incremental COCOMO oder SICOMO (Siemens). In jüngster Vergangenheit kamen zusätzliche Impulse für die systematische Kostenschätzung aus den Anforderungen des Capability Maturity Models CMMI. Stufe 3 dieses Modells erfordert, dass die betreffende Organisation systematische Kostenschätzungen auf Basis quantitativer Erfahrungsdaten durchführt. projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 5 aktuell 10 REPORT Können Sie uns interessante Projekte nennen, in denen COCOMO erfolgreich eingesetzt wurde? Ja, davon gibt es eine ganze Reihe. Beispielsweise hatten die US Air Force und das Unternehmen General Dynamics (heute Lockheed Martin) lange Zeit Probleme, den Leistungsumfang neuer Software Releases für das Kampfflugzeug F-16 festzulegen. Jedes Jahr forderten Piloten, Betriebs- und Wartungspersonal viel mehr Verbesserungen, als mit dem vorhandenen Budget und Personal machbar waren. Irgendwann wurde es dem Einkaufsmanager der Air Force zu bunt und er lud die Verhandlungspartner von General Dynamics zu sich nach Hause ein. Dort sollten beide Seiten eine realistische Schätzung für den Änderungs- und Weiterentwicklungsumfang des nächsten Jahres erarbeiten. Wie bei der Papstwahl durften die Beteiligten das Haus nicht verlassen, bevor die gemeinsame Schätzung unter Dach und Fach war. Dazu benutzten sie das COCOMO-Modell. Es dauerte zwei Tage, bis sie zu einer übereinstimmenden Beurteilung kamen. Aber die erwies sich als außerordentlich realitätsnah und robust. Das Verfahren wenden sie nun schon seit mehr als zehn Jahren an, um die im nächsten Jahr zu realisierenden, neuen Anforderungen zu verhandeln. COCOMO scheint demnach besonders nützlich bei Projekten für öffentliche Auftraggeber? Nicht allein. Vor kurzem hatten wir ein Projekt, bei dem eine Bank versuchte, ihre Softwareentwicklungsproduktivität zu steigern. Der Chief Information Officer (CIO) war der Meinung, dass er mit einem einzigen linearen Prozentsatz das Produktivitätsverbesserungspotenzial und die erreichbaren Einsparungen abschätzen könne. Mit Hilfe des COCOMO-Modells zeigten wir ihm, dass Produktivitätsverbesserungen von den Anforderungen und Randbedingungen in jedem einzelnen Projekt abhängen. Wenn Mitarbeiter komplexere Software oder Software mit sehr hohen Echtzeitanforderungen entwickeln, produzieren sie weitaus weniger Befehlszeilen pro Personenmonat als bei kaufmännischen Anwendungen. Statt einfacher Produktivitätsprozentsätze wurden die Kostentreiber jedes einzelnen Projekts mit COCOMO geschätzt. Diese wurden dann als Basis für Programm- und Multiprojektschätzungen und -vergleiche genutzt. Mit diesen Schätzwerten kommt die Bank sehr gut voran. Wird COCOMO auch in kleineren Unternehmen für kleinere Projekte genutzt? COCOMO wird hauptsächlich in größeren Unternehmen der Luft- und Raumfahrt, der Telekommunikation, des Automobilbereiches sowie im öffentlichen und im Verteidigungssektor eingesetzt. In kleineren Unternehmen ist es nicht so stark verbreitet. Welche Arten von Schätzungen kommen in kleineren Unternehmen zum Einsatz? Meistens irgendwelche Analogieschlüsse. Die Schätzer fragen sich dann: Wie haben wir es letztes Mal gemacht, und welchen Aufwand haben wir dafür benötigt? Wenn Unterschiede zwischen dem früheren und dem neuen Projekt bestehen, werden entsprechende Zu- und Abschläge gemacht. InjüngsterVergangenheitkamenzusätzlicheImpulse fürdiesystematischeKostenschätzungausden AnforderungendesCapabilityMaturityModellsCMMI Kann ein parametrisches System wie COCOMO auch bei solchen Analogieschätzungen helfen? Ja, alle COCOMO-Kostentreiber können als Analogierelationen dienen, um die Auswirkungen geänderter Foto: UniversityofSouthernCalifornia Seitknapp50JahrenhatProfessorDr.BarryW.Boehmals Wissenschaftler,ManagerundHochschullehrergearbeitet. Inden60erJahrenwarerLeiterdesInformationSciences DepartmentderRandCorporation,eines„ThinkTanks“ derUS-Regierung.Inden70erund80erJahrenwarer ChefwissenschaftlerderDefenseSystemsGroupbeiTRW, einemkalifornischenAutomotive-undIT-Unternehmen. SpäterarbeiteteeralsDirektordesInformationSciences andTechnologyOfficeimUS-Verteidigungsministerium. Seit1993isterProfessorfürSoftwareEngineeringund DirektordesZentrumsfürSoftwareEngineeringander UniversityofSouthernCalifornia(USC).ErhatimBeirat mehrererwissenschaftlicherMagazinesowieinvielenBeratungsgremienundKomiteesmitgewirktundeinegroße ZahlnationalerundinternationalerEhrungenundAuszeichnungenerhalten.BoehmhatdasSoftwareEngineering undManagementmaßgeblichbeeinflusstundgestaltet.Er warderErste,derinden60erJahrendieSoftwarealsden HauptkostenfaktorzukünftigerComputersystemeidentifizierte.ErentwickeltedasCOCOMO-Kostenschätzmodell.Er istErfinderdesSpiralmodellsfürrisikogetriebene,iterative Softwareprojekte,dasspäteralsGrundlagefürdenRationalUnifiedProcessRUPdienteunddiederzeitintensiv diskutiertenagilenProjektmodellebeeinflusste.Under entwickeltebereitsvormehrals15Jahrenden„Win-win- Approach“,mitdemdiesystematischeStakeholderanalyse inSoftwareprojekteintegriertwurde. aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 5 11 Projektrandbedingungen abzuschätzen. Wir hatten einmal sogar ein Computertool entwickelt, mit dem COCOMO für Analogieschätzungen eingesetzt werden konnte. Im Sommer 2000 haben Sie ein komplett erneuertes COCOMO II veröffentlicht. Was wollten Sie damit erreichen? Bereits seit Anfang der 90er Jahre hatte die 1981er-Version von COCOMO zunehmend Probleme, mit einer Reihe neuer Entwicklungen in Softwareprojekten Schritt zu halten. COCOMO 81 beruhte auf Befehlszeilen (Source Lines of Code SLOC). Aber vielen Leuten fällt es schwer, den Umfang der Befehlszeilen für ein neues Projekt zu schätzen. Anwenderbezogene Schätzgrößen, wie die Funktionspunkte, gewannen an Bedeutung und wurden immer besser standardisiert. Für bestimmte Aufgaben, wie den Entwurf grafischer Benutzeroberflächen, waren Befehlszeilen sogar mehr oder weniger irrelevant. Die Entwicklungsprozesse in Projekten änderten sich. Das ursprüngliche COCOMO funktionierte sehr gut mit Wasserfallprozessen. Im Spiralmodell, im Rational Unified Process und in ähnlichen iterativen Projektabläufen werden die Meilensteine und die Projektendpunkte aber anders gesetzt. COCOMO 81 war darauf nicht ausgerichtet. Außerdem gab es ganz neue Kostentreiber, wie die Entwicklungsprozessreife, neue Erkenntnisse zur Software-Wiederverwendung und Ähnliches mehr. Mit COCOMO II wollten wir ein Schätzmodell schaffen, das stärker auf die Anforderungen moderner Projekte ausgerichtet ist als auf die Randbedingungen der Vergangenheit. Sind die Funktionspunkte damit zur wichtigsten Messgröße für den Umfang von Softwareprojekten geworden? Funktionspunkte sind die wichtigste Messgröße im Bereich von Geschäftsanwendungen und Informationssystemen. Bei wissenschaftlichen Systemen und Echtzeitsystemen messen Funktionspunkte das, was sich innerhalb der Software abspielt, nicht besonders gut. Außerdem sind Funktionspunkte abgeschlossener Projekte bisher nur aufwändig „von Hand“ zu zählen. Wir experimentieren daher auch mit anderen Größenmaßen, wie den Konstrukten der Unified Modelling Language UML. Diese Größen, beispielsweise die Anzahl der Use Cases, der Klassen und Objekte einer Anwendung, sind mit den Funktionspunkten verwandt, können aber automatisch gezählt werden. Kann man das bereits praktisch einsetzen? Wir arbeiten darauf hin, haben aber ähnliche Hürden zu überwinden, wie sie die Funktionspunktleute früher hatten. Jeder hat eine andere Vorstellung, was ein Use Case genau ist oder was eine Aktionsfolge ist. Was wir dringend benötigen, sind allgemein akzeptierte Standards zur Definition planungsbasierter und entwurfsbasierter Use Cases. Wenn man mehrere Projekte vergleicht, haben diese oft unterschiedliche Detaillierungsgrade in ihren Planungsdokumenten. Nicht selten nimmt dann die Anzahl der Use Cases zu, ohne dass sich am Umfang der Anwendung wirklich etwas geändert hat. In einem Forschungsprojekt haben wir zwischen der Anzahl der Use Cases und der Anzahl der Befehlszeilen lediglich Korrelationskoeffizienten von 0,4 bis 0,5 gemes- Mitmehrals4.200EinheitenistdieF-16dasweltweitamweitestenverbreiteteMehrzweck-Kampfflugzeug.Software-ÄnderungenwerdendortseitvielenJahrenerfolgreichmitdemCOCOMO-Modell geschätzt.DerSystemumfangistdabeiexponenziellangestiegen: DerKernspeicherderneuesten F-16-Generationist2.000-malsogroßundderDurchsatz260-malsohochwieindererstenF-16-VersionimJahr1978. Foto: LockheedMartin Anzeige projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 5 aktuell 12 REPORT sen, nicht die wünschenswerten 0,8 oder 0,9. Wir müssen noch andere Faktoren finden, mit denen eindeutiger bestimmt werden kann, ob ein einfacher oder ein komplexer Use Case vorliegt. In COCOMO II und fast allen anderen parametrischen Schätzsystemen werden die Funktionspunkte mit Hilfe des so genannten „Backfiring“ in Befehlszeilen umgerechnet. Allerdings weisen die Backfiring-Multiplikatoren für die jeweilige Programmiersprache sehr hohe Schwankungsbreiten auf. Wird dadurch das gesamte Schätzverfahren nicht sehr ungenau? Wenn man mit Funktionspunktzählungen neu beginnt, bleibt einem nichts anderes übrig. Die Vertreter der Funktionspunktmethode sagen selbst, dass mit Funktionspunkten die Produktivitätssteigerungen höherer Programmiersprachen besser verdeutlicht werden können. Schätzformeln, die den Projektaufwand direkt aus den Funktionspunkten ableiten, funktionieren daher aber auch nur dann, wenn sie zumindest die Generation der verwendeten Programmiersprache berücksichtigen. Die Umrechnungstabellen zum Backfiring sind nicht perfekt, aber sie sind besser als gar nichts. Sicher wäre es gut, noch detailliertere Umrechnungsfaktoren von Funktionspunkten in Befehlszeilen zu haben, die nicht nur die Programmiersprache, sondern auch die Art der Anwendung berücksichtigen. Wenn solche Werte empirisch erhoben würden, wäre die Umrechnung weitaus genauer. Heute nutzen fast alle Softwareschätzsysteme Backfiringtabellen, die ursprünglich von Capers Jones auf Basis des Function-Point-Standards IFPUG 3 (International Function Point User Group) erhoben wurden. Gibt es keine neueren Tabellen für die heutigen Standards der IFPUG-4-Generation? Die David Consulting Group hat vor kurzem neue Umrechnungsfaktoren ermittelt, die rund 60 % höher sind als die Faktoren von Capers Jones. In unserem automatisierten COCOMO-Tool haben wir jetzt die Option eingerichtet, entweder mit den älteren oder mit den neueren Faktoren zu rechnen. Aber bei dieser großen Differenz: Welcher dieser beiden Umrechnungssätze ist denn nun der bessere? Wir bewegen uns hier noch auf unsicherem Boden. Wir hätten auch gern besser abgesicherte Zahlen und haben dazu schon eine Reihe von Workshops durchgeführt. Aber bisher haben wir noch nicht genügend eigene Daten für eine gesicherte Aussage. UmeineErfahrungsdatenbasisfürProjektkostenschätzungenschrittweiseaufzubauen,kannmanmit einfachenNäherungsbetrachtungenbeginnen Auch die meisten Unternehmen haben keine eigene Datenbasis mit Termin-, Aufwands- und Kostentreiberdaten früherer Projekte, die für die Kalibrierung der Schätzgleichungen benötigt wird. Was können diese Firmen tun? Man kann mit Näherungsbetrachtungen beginnen, um eine solche Datenbasis schrittweise aufzubauen. Normalerweise kennt man die durchschnittliche Teamgröße und das Start- und das Abschlussdatum der Projekte. Daraus kann man näherungsweise die Laufzeit und die Personenmonate ableiten. Das ist nicht perfekt, aber ein Beginn. Man kann automatische Zähltools verwenden, um die Anzahl der Befehlszeilen des Systems und der Systemmodule zu ermitteln. Und man kann das Projektkernteam interviewen, um Aussagen zu den Kostentreibern zu erhalten, insbesondere um die Kostentreiber zu identifizieren, die außerhalb des Normalbereichs lagen. Welche neueren Entwicklungen sehen Sie, die für die weitere Entwicklung von Kostenschätzmethoden und von COCOMO II wichtig sind? Function Point Analyse Function Point- Umrechnung („Backfiring“) Funktionenzählung, Modulstruktur Befehlszeilenmultiplikatoren Bewertungsregeln Programmiersprache Befehlszeilen Function Points COCOMO II Gleichungen Koeffizienten, Multiplikatoren Kostentreiber, Wiederverwendung, Tech. Änderungen Projektaufwand und -dauer, Termine, Phasen- und Aktivitätenverteilung, Projekt- und Arbeitspaketpläne Projektplanungstools (z. B. MS Project, Excel) Aktivitäten, Phasen, Aufwand, Dauer Function Point Analyse Function-Point- Umrechnung („Backfiring“) Funktionenzählung, Modulstruktur Befehlszeilenmultiplikatoren Bewertungsregeln Programmiersprache Befehlszeilen Function Points COCOMO II Gleichungen Koeffizienten, Multiplikatoren Kostentreiber, Wiederverwendung, Tech. Änderungen Projektaufwand und -dauer, Termine, Phasen- und Aktivitätenverteilung, Projekt- und Arbeitspaketpläne Projektplanungstools (z. B. MS Project, Excel) Aktivitäten, Phasen, Aufwand, Dauer StrukturdesCOCOMO-Modells Grafik: SiegfriedSeibert aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 5 13 Wir entwickeln COCOMO II laufend weiter, um mit dem Modell auch die Schätzanforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte bearbeiten zu können. Hierzu wurden eine Reihe von Zusatzmodulen für spezielle Anwendungen und Projektrandbedingungen entwickelt. Beispielsweise gehört dazu das Modell COCOTS, mit dem die Kosten der Evaluation, der betriebsspezifischen Anpassung und Integration bei der Anschaffung von Standardsoftware (COTS: Commercial of the Shelf) geschätzt werden können. In COCOMO II war dieser Projekttyp nicht gut genug abgebildet. Das Modell CO- RADMO ist auf schnell abzuwickelnde RAD-Projekte (Rapid Application Development) ausgerichtet. Die Teamstärke ist in solchen Projekten ganz anders als in Projekten, bei denen mehr Wert auf die Optimierung von Aufwand und Kosten gelegt wird. COCOMO und die meisten anderen Kostenschätzmodelle gehen standardmäßig davon aus, dass die Projektdauer (in Monaten) bei ungefähr dem dreifachen Wert der Kubikwurzel des Aufwands (in Personenmonaten) liegt. Bei RAD-Projekten liegt die Projektdauer eher bei der Quadratwurzel des Projektaufwands. Ein Projekt mit 25 Personenmonaten Aufwand benötigt dann als RAD-Projekt fünf Monate lang ein Team von fünf Leuten. Als „Normalprojekt“ würden wir nur drei Leute einplanen, dies allerdings für eine Laufzeit von etwa neun Monaten. Sind diese Erkenntnisse noch im Forschungsstadium? Ja, das ist teilweise der Fall. Für Standard-COCOMO hatten wir ursprünglich Datenpunkte von rund 160 Projekten, die jetzt auf knapp 250 Projekte angewachsen sind. Für COCOTS haben wir 20 Projekte, für CORAD- MO erst knapp zehn Projekte. Gibt es noch andere neue Entwicklungen? Seit das COCOMO-II-Buch veröffentlicht wurde, haben wir noch das Zusatzmodell COSYSMO entwickelt. Damit soll bei sehr großen Projekten der Aufwand zur Integration von Systemen geschätzt werden, die selbst wiederum aus größeren, bereits integrierten Teilsystemen bestehen. COSYSMO schätzt neben dem Aufwand zur Integration der individuellen Teilsysteme auch den Zusatzaufwand, um diese Teilsysteme zu einem Gesamtsystem zu integrieren. Benötigen moderne agile Prozessmodelle auch speziell darauf ausgerichtete Schätzmodelle? Ja, das tun sie sicher. Insbesondere, wenn sie keine vollständige oder fast vollständige Anforderungsliste haben. Wie können Sie da überhaupt die Größe eines Projekts schätzen? Im Prinzip können wir hier eine vereinfachte Funktionspunktschätzung verwenden. Oder wir können Analogieschlüsse, Befehlszeilen- und Funktionspunktschätzungen kombinieren. Das ist zwar alles nicht perfekt, aber es ist das Einzige, was zu diesem Zeitpunkt bei einem solchen Vorgehen möglich ist. Herr Boehm, vielen Dank für das Gespräch. ■ HauptveröffentlichungenvonBarryBoehmzur Kostenschätzung [1]SoftwareEngineeringEconomics,PrenticeHall,1981. [2]SoftwareRiskManagement,IEEEComputerSociety Press,1989. [3]SoftwareCostEstimationwithCOCOMOII,Prentice Hall,2000. [4]BalancingAgilityandDiscipline: AGuideforthe Perplexed,Addison-Wesley2003. Kontakt Prof.Dr.BarryW.Boehm UniversityofSouthernCalifornia 518AdelaideDr SantaMonica,CA90402 E-Mail: boehm@sunset.usc.edu www.sunset.usc.edu/ cse/ Organisationsfaktoren ❏ ErfahrungimProduktbereich ❏ Entwicklungsflexibilität ❏ AusgereiftheitdesEntwurfs ❏ Stakeholder-Zusammenhalt ❏ Software-Prozessreife Personalfaktoren ❏ Systemanalysefähigkeiten ❏ Programmierfähigkeit ❏ Anwendungserfahrung ❏ Plattformerfahrung ❏ Sprach-undToolerfahrung ❏ PersonelleKontinuität Produktfaktoren ❏ ErforderlicheZuverlässigkeit ❏ Datenbankgröße ❏ Produkt-/ Modulkomplexität ❏ Wiederverwendbarkeit ❏ Dokumentationsumfang Plattformfaktoren ❏ Rel.Rechnerzeitnutzung ❏ Rel.Hauptspeichernutzung ❏ Plattform-Änderungsdynamik Projektfaktoren ❏ NutzungvonSW-Tools ❏ StandortübergreifendeTeamarbeit ❏ VerfügbareProjektdauer COCOMO-Kostentreiber projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 5 aktuell
