PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
61
2005
162
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Ruhe bitte! Hier arbeitet die ‚Kritische Kette‘!“
61
2005
Oliver Steeger
Übliche Projekttermine einzuhalten scheint vielen Unternehmen bereits ein sportliches Unterfangen. Die Laufzeiten allerdings um ein Drittel oder mehr zu kappen - das scheint eher utopisch. Da winken viele ab: Unmöglich! Wirklich? Kommt drauf an, wie das Projektteam die Zeit nutzt. Der bayerische Bahnstromspezialist Transtechnik probiert es mit „Critical-Chain-Projektmanagement“. In sieben statt bislang zehn Monaten sollte der Mittelständler aus Holzkirchen Umrichter für die U-Bahn in Oslo entwickeln. Der Plan ging auf: Sogar früher als geplant stehen dem Zugsystemlieferanten der skandinavischen Eisenbahner die Geräte zur Verfügung. Für Transtechnik selbst hat das Tempo einen weiteren aparten Nebeneffekt. Das Unternehmen kann direkt das nächste Projekt in Angriff nehmen. Bahnen in Australien und Italien haben Umrichter bestellt - ebenso im Expresstempo zu liefern. Schnellere Projekte zahlen sich eben auch am Markt aus.
pm1620008
8 REPORT „Ruhebitte! Hierarbeitetdie ‚KritischeKette‘! “ BahnstromspezialistTranstechniknutztCritical-Chain-Projektmanagement OliverSteeger ÜblicheProjekttermineeinzuhaltenscheintvielenUnternehmenbereitseinsportliches Unterfangen.DieLaufzeitenallerdingsumeinDrittelodermehrzukappen-dasscheint eherutopisch.Dawinkenvieleab: Unmöglich! Wirklich? Kommtdraufan,wiedasProjektteamdieZeitnutzt.DerbayerischeBahnstromspezialistTranstechnikprobiertees mit„Critical-Chain-Projektmanagement“.InsiebenstattbislangzehnMonatensollteder MittelständlerausHolzkirchenUmrichterfürdieU-BahninOsloentwickeln.DerPlanging auf: SogarfrüheralsgeplantstehendemZugsystemlieferantenderskandinavischenEinsenbahnerdieGerätezurVerfügung.FürTranstechnikselbsthatdasTempoeinenweiteren apartenNebeneffekt.DasUnternehmenkanndirektdasnächsteProjektinAngriffnehmen. BahneninAustralienundItalienhabenUmrichterbestellt-ebensoimExpresstempozu liefern.SchnellereProjektezahlensichebenauchamMarktaus. P rojektleiter Burkhard Mätzing ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, zwischen Zechen und Stahlkochern. Die Leute im „Revier“, wie die Industriegegend heißt, sind schwere Arbeit gewohnt. Man drückt sich nicht „vorm harten Stück Maloche“. Eine Spur dieser Mentalität hat Burkhard Mätzing mitgenommen ins oberbayerische Holzkirchen. Dort stand dem Nachrichtentechniker vor einem Jahr ein besonders hartes Stück Maloche bevor. Sein Unternehmen hat sich auf Leistungselektronik spezialisiert, genauer: auf Umrichter, Spezialanfertigungen in Serien bis einhundert Stück, deren Produktion sich für Matadore wie Siemens oder Bombadier nicht lohnt. Das Geschäft in der Nische ist schwierig. Zeit und Termintreue bestimmen den Wettbewerbsvorteil. Wem es gelingt, die branchenüblichen Lieferzeiten zu unterbieten, der kommt ins Geschäft. Damit ist Transtechnik auf einer Linie mit seinen Kunden, den Eisenbahnern in aller Welt. Die Bahnen müssen im Kampf um schnelle Verbindungen bestehen, für sie ist der Faktor Zeit eine prägnante Größe. Braucht ein Kunde wie die Osloer Metro binnen sieben statt zehn Monaten einen voll funktionsfähigen Prototypen zur Qualifikation ihrer Züge, hat das seinen Grund. Dann nämlich werden die 66 Umrichter für insgesamt 33 Züge ebenfalls früher verfügbar sein. Transtechnik bewies jetzt, dass auch für Entwicklungsprojekte eine schnelle Verbindung zwischen Projektauftrag, Entwicklung, Produktion und Lieferung möglich ist. Die Holzkirchener Spezialisten haben die Lieferzeit um drei Monate reduziert. Wie man im Ruhrgebiet sagt: „Geht nich gibbet nich.“ Projektlaufzeitbesserausschöpfen Ein paar Worte zur Leistungselektronik. Umrichter sind „Wechselstuben“ für Strom. Die Geräte transformieren beispielsweise zehntausend Volt Gleichstrom zu 220-Volt-Steckdosenstrom. Wer im ICE der Deutschen Bahn AG seinen Laptop-Stecker einstöpselt, nutzt solche Umrichter. Das Problem: Ob U-Bahn oder Hochgeschwindigkeitszug - weltweit fahren die Bahnen mit un- BurkhardMätzing,ProjektleiterbeiTranstechnikinHolzkirchen,istvonderMethodikdesCritical-Chain-Projektmanagementsbegeistert: „Wirwaren-trotzumeinDrittel reduzierterPlantermine-deutlichvorTerminfertig.“ Foto: Transtechnik aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 5 9 terschiedlicher Spannung im Fahrdraht. Sie brauchen für ihren Bedarf maßgeschneiderte Umrichter. Nun lassen sich aus bislang ordentlich verrichtetem Projektmanagement nicht ohne weiteres dreißig oder vierzig Prozent kürzere Laufzeiten herauspressen. Zumindest nicht, wenn die Ressourcen und die Budgets gleich bleiben. Den Gegenbeweis tritt Burkhard Mätzing an. Er behauptet: Die Reduzierung der Durchlaufzeit funktioniert - wenn man die Projektzeit richtig ausschöpft. Dann steht genug Zeit zur Verfügung. Mit dieser Botschaft im Gepäck hält er mittlerweile Vorträge. Er setzt noch einen drauf: „Wir waren sogar - trotz um ein Drittel reduzierter Projektzeit - deutlich vor Termin fertig.“ Critical-Chain-Projektmanagement heißt der „Terminus technicus“, der in Burkhard Mätzings Vorträgen immer wieder fällt. Und bei diesem Stichwort muss der sonst so praxisverhaftete Projektmanager Theorie referieren. Immer wieder fallen Begriffe wie Projektpuffer, Sicherheit, Kritische Kette und Multitasking. Doch ohne diese Vokabeln begreift man nicht, weshalb Burkhard Mätzing gegen seit Jahre gültige Regeln des Projektmanagements verstoßen hat. 50ProzentderProjektzeitalsPufferverloren Critical-Chain-Projektmanagement (CCPM) ist eine - gar nicht einmal neue - Methode, das Projekt straffer zu planen. Sie setzt bei den Pufferzeiten an, die bei jedem Projektschritt eingeplant werden. Mindestens die Hälfte herkömmlicher Projektlaufzeit besteht aus Pufferzeiten. Sie schleichen sich mit fatalem Automatismus ins Projekt ein - und sind meist überflüssig. Burkhard Mätzing taxiert den nutzlosen Puffer sogar auf fünfzig Prozent. Nutzlose Pufferzeit? Um dies zu begreifen, haben CCPM-Experten gewissermaßen eine Tauchfahrt zum Boden der Projekte unternommen und die Löcher entdeckt, durch die die Zeit verrinnt. Die Beobachtung: Der Projektleiter teilt sein Projekt in einzelne Phasen und Arbeitspakete auf. Er bittet Mitarbeiter im Team, die Arbeitszeit für die einzelnen Pakete zu schätzen. Bis zu dieser Schätzung ist alles in Ordnung. „Dann aber ereignet sich etwas beinahe Tragisches für das Projekt“, berichtet CCPM-Experte Uwe Techt von der Staufen Akademie. Projektleiter verwandeln diese Schätzungen in Termine und tragen sie in den Projektplan ein. Die Mitarbeiter wissen dies. Unter Termindruck gesetzt, schlagen sie ihrer realistisch geschätzten Projektzeit Sicherheitszeiten auf. Niemand will unpünktlich, jeder auf der sicheren Seite sein. Und je dringlicher ein Termin ist, desto mehr Puffer werden der Arbeitszeit hinzuaddiert. „Ich nehme keinem Mitarbeiter übel, wenn er seine Terminarbeiten mit Pufferzeiten absichert“, meint Burkhard Mätzing. Problematisch sei nur, dass diese Pufferzeiten - ob wirklich gebraucht oder nicht - für das Projekt ein für alle Mal verloren sind. Kaum ein Mitarbeiter wird mit seinem Arbeitspaket vor Termin fertig. Gleich, ob vier Wochen, sechs Wochen oder acht Wochen zur Verfügung stehen: Die Arbeit wird bestenfalls in letzter Minute fertig. Pufferzeit sichert nicht. Sie dehnt das Projekt. MitFingerspitzengefühlMitarbeiterüberzeugen Dem entschuldbaren, doch verschwenderischen Umgang mit persönlichen Pufferzeiten hat Burkhard Mätzing im Oslo-Projekt einen Riegel vorgeschoben. Er musste auf die Zeit zugreifen, die im Projekt schwindet. So unternahm er einen mutigen Schritt: Er akzeptierte keine individuellen Pufferzeiten mehr. Stattdessen gab er dem gesamten Projekt einen Puffer. Das Planungsziel: Der Projektpuffer beträgt ein Drittel der gesamten Laufzeit. In der Theorie wirkt der Kniff bestechend simpel. In der Praxis verlangte er Burkhard Mätzing Diplomatie und Fingerspitzengefühl ab. Keiner der Entwickler, Planer, Mechaniker, Einkäufer und Prototypenbauer gibt seine persönliche Sicherheit preis. „Ihnen musste ich geduldig erklären, dass ihre Schätzungen eben keine Terminzusagen sind“, berichtet Burkhard Mätzing, „brauchen sie für ihre Arbeiten länger als geschätzt, ist dies nicht schlimm. Diese Verzögerungen federt der gesamte Projektpuffer ab.“ Immer wieder hat er sein fünfzehnköpfiges Team vor die Projektpläne treten lassen und ihnen den Zeitpuffer am Ende des Projekts gezeigt - ein langer, hellblauer Balken, der im Notfall Verspätungen auffängt und das Projekt komfortabel rettet. StaffellaufstehtgedanklichPate Ein redlicher Projektmanager nimmt nicht nur. Er gibt auch. „Ich habe den Mitarbeitern geholfen, ihre Arbeiten so schnell wie möglich zu erledigen“, sagt Burkhard Mätzing. Erste Regel: Sofort starten, wenn der Vorgänger die Aufgabe übergibt. CCPM-Fachleute vergleichen die Arbeitsweise mit dem Staffellauf. Der Mitarbeiter steht am Start und beobachtet seinen Vorgänger. Sobald sein Vor-Läufer ihm den Stab übergibt, sprintet er los. Er gibt auf seiner Runde sein Bestes. Derweil beobachtet ihn derjenige, der nach ihm den Staffelstab übernehmen kann - und bereitet eine reibungslose Übergabe vor. Klingt gut. Die Strategie glückt aber nur, wenn der Staffel-Sprinter seine ganze Kraft in die Aufgabe investieren kann. Er darf auf seiner Runde nicht noch zum Brötchenholen geschickt werden. Dies eben ist die Rückzugslinie derjenigen, die gegen CCPM argumentieren. CCPM kann nur gelingen, wenn den Mitarbeitern der Rücken freigehalten wird - und in welcher Organisation haben Mitarbeiter nur eine Aufgabe auf dem Tisch DesignstudiederOsloerMetrobahn,inderUmrichtervonTranstechnik eingesetztwerden Foto: Transtechnik projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 5 aktuell 10 REPORT ■ Selten schlagen Romane solche Wellen: Vor acht Jahren publizierte der amerikanische Unternehmensberater Eliyahu M. Goldratt sein 250-Seiten-Buch „Critical Chain“. Das Werk avancierte zum Bestseller und elektrisierte die Projektmanager. Denn der mittlerweile weltbekannte Berater und promovierte Physiker bürstete eherne Gesetze des Projektmanagements gegen den Strich. Seine Botschaft: Mit dem richtigen Konzept können Projektmanager ihre Vorhaben erfolgreicher ins Ziel bringen. Sie können Projektlaufzeiten markant reduzieren und die Termintreue auf nahezu einhundert Prozent steigern. Solche Botschaften fallen auf fruchtbaren Boden. „Uns sind inzwischen mehr als ein Dutzend Unternehmen und Organisationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz bekannt, in denen das Goldratt-Konzept der Critical Chain erfolgreich eingesetzt wird“, erklärt Dr. Jörg Passenberg, Leiter der GPM-Fachgruppe „Das Konzept der kritischen Kette im Projektmanagement“. Es fallen Namen wie ABB, Cisco Systems (Switzerland), Lilly Pharma, Siemens, Transtechnik und der des europäischen Forschungszentrums CERN. Auch die anderen Mitstreiter der Fachgruppe haben für das Critical-Chain-Projektmanagement (CCPM) Feuer gefangen. Es gibt nur wenig Literatur, die ihren Wissensdrang befriedigt - und noch weniger publizierte Beispiele aus der Praxis im deutschprachigen Raum. Das Thema scheint - obgleich die Übersetzung von Goldratts Buch seit mehreren Jahren auf dem Markt ist - taufrisch. „Wir wollen wissen, ob sich das Konzept wirklich für die Praxis eignet und was die Einführung von CCPM für alle Beteiligten wirklich bedeutet“, erläutert Passenberg. So recherchiert die Gruppe im Internet, fahndet nach Veröffentlichungen, knüpft Kontakte und organisiert Erfahrungsaustausche. „Bei DaimlerChrysler in den USA wird CCPM offenbar massiv eingesetzt“, hat die Gruppe in Erfahrung gebracht. In der 2003 gegründeten GPM-Fachgruppe fanden hauptsächlich Projektmanager und Unternehmensberater zusammen. Das Kernteam der Gruppe sucht tatkräftig Antworten auf seine Fragen. Für Recherche und Erfahrungsaustausch baute die Gruppe ein Netzwerk auf, das sich inzwischen über Deutschland, die Schweiz und Österreich erstreckt. Die Gruppe will ermitteln, wie sich die Ansätze des Konzepts für einzelne Projekte und im Multiprojektmanagement nutzen lassen: Wie unterstützen sie bei Planung, Controlling und Steuerung der Projekte? Wie können Frühwarnsysteme genutzt werden? „Viele Details sind in Goldratts Buch nicht beschrieben“, so der Fachgruppenleiter. Auf dem zurückliegenden „Deutschen Projektmanagement Forum“ der GPM in Nürnberg stellte Kai Milkereit für die Fachgruppe erstmals Zwischenergebnisse ihrer Arbeit vor. Norbert Hillebrand, Dr. Jörg Passenberg und Klaus Stiegler veranstalteten unter dem Schlagwort „Critical Chain zum Anfassen“ einen Workshop - und fanden breite Resonanz mit dem Thema. Das ermutigt. Für die kommenden Monate fest eingeplant sind jetzt Vorträge und Workshops in den GPM- Regionalgruppen. Zudem entwickelt die Gruppe ein mehrtägiges Critical-Chain- Seminar. Die Zeit dafür ist reif. Auch andere Organisationen und Institutionen haben das Thema aufgegriffen. Der VDI gehört dazu, einige Industrie- und Handelskammern und die Gesellschaft für Operation Research (DGOR) e. V. Jetzt suchen über die GPM-Homepage Projektmanager und Interessierte den Kontakt zur GPM-Gruppe. Auch Geschäftsführer sowie Leiter von PM Competence Centern und PM Offices melden sich. Nicht nur Adepten des amerikanischen Kritikers melden sich zu Wort. Einige Projektmanager halten das Konzept des Amerikaners für wenig praxistauglich. Bestenfalls können seine Lehren, so ein Einwurf, bei Studenten-Projekten fruchten. Die Fachgruppe verwundern diese Widerstände nicht. „Critical Chain ist ein Prozessmusterwechsel und keine Funktionsoptimierung im Projektmanagement“, erklärt der Leiter der Fachgruppe. Die Folgen solcher Prozessmusterwechsel legte Professor Peter Kruse jüngst auf dem Kongress „interPM 2004“ dar. Solche Wechsel stellen bestehende Verhaltensweisen in Frage - und bewirken Abwehr. „Die erfolgreiche Einführung von Critical Chain in Unternehmen erfordert aber, die gängigen Vorgehensweisen zu ändern und in vielen Fällen einen Kulturwandel herbeizuführen“, meint Passenberg. Er weiß: Solche Widerstände abzubauen wird eine wichtige Aufgabe der Fachgruppenarbeit ausmachen. Informationen: GPM Fachgruppe „Das Konzept der kritischen Kette im Projektmanagement“; Dr. Jörg Passenberg, E-Mail: kritische-kette@GPM-IPMA.de OliverSteeger „CCPM“elektrisierteGPM-Fachgruppe Critical-Chain-Projektmanagement(CCPM)findetunterProjektmanagernInteresse.Aufdem zurückliegendenDeutschenProjektmanagementForumveranstaltetedieFachgruppeeinen Workshop„CriticalChainzumAnfassen…“ Foto: OliverSteeger aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 5 11 liegen? An dieser Frage entscheidet sich, ob Burkhard Mätzing von der neuen Methodik überzeugen kann. Die Antwort ist simpel: Das Team, der Projektleiter und das Unternehmen müssen dem Läufer den Rücken freihalten. Besonders der Projektleiter. Er muss entsprechend planen. Beim Oslo-Projekt hat Burkhard Mätzing - wie viele Kollegen auch - einzelne Vorgänge des Projekts geplant und sie zu einer Kette zusammengefügt. Knapp hundert solcher einzelnen Vorgänge reihte er aneinander. Das war Routinearbeit. Jetzt lenkte CCPM-Kenner Uwe Techt, Berater von Transtechnik, Mätzings Blick zusätzlich auf die Ressourcen. Er führte den Projektleiter in das Konzept der „Kritischen Kette“ ein. „KritischeKette“istHerzstückderPlanung Projektmanagern ist der Begriff „Kritischer Pfad“ aus Lehrbüchern bekannt. Er bezeichnet die längste Kette sachlich voneinander abhängiger Aufgaben, das Rückgrat des Projekts. Beispielsweise müssen Entwickler die Steuerungsplatinen planen, bevor Einkäufer entsprechende Stücklisten erstellen können; erst danach kann das Gehäusedesign erarbeitet werden. Schneller als auf diesem Kritischen Pfad mit sachlichen Abhängigkeiten kann das Projekt nicht voranschreiten. Was aber, wenn ein Mitarbeiter zeitgleich auf dem Kritischen Pfad und an anderer Stelle im Projekt gebraucht wird? Bei diesem Problem leistet das Konzept der „Kritischen Kette“ Hilfe. Sie streckt nicht das Projekt. Sie kann aber einen ganz anderen Weg nehmen als der Kritische Pfad. Die Kritische Kette bezeichnet - ebenso wie der Kritische Pfad - die längste Kette sachlich voneinander abhängiger Aufgaben. In zwei wesentlichen Punkten unterscheidet sie sich allerdings von ihm. Erstens steht der Projektpuffer ausschließlich an ihrem Ende; sie enthält keine individuellen Pufferzeiten. Zweitens berücksichtigt sie die Abhängigkeiten der Ressourcen. Diese zusätzlich betrachtete Abhängigkeit kann die Kette erheblich verändern. Erneut ein Beispiel: Nachdem der Entwickler die Stromversorgung konzipiert hat, kann er nicht sofort die (sachlich jetzt notwendigen) Platinen entwickeln. Er muss noch die Entwicklung eines Relais dazwischenschieben, das an anderer Stelle des Projekts dringend gebraucht wird. An dieser Stelle nimmt die Kritische Kette einen Umweg über den Vorgang „Relaisentwicklung“. Aus der Perspektive der Kritischen Kette betrachtet der Projektleiter nicht nur die Vorgänge, sondern auch, wer diese Vorgänge ausführt. Entwicklerwaren„Engpass“imProjekt Burkhard Mätzing präparierte die Kritische Kette seines Vorhabens heraus. „Wir haben stundenlang mit Bleistift und Radiergummi unseren Plan zusammengestellt“, berichtet er. Papierkärtchen wurden hin und her geschoben - bis der Plan aufging. Dabei erkannte er den Engpass des Projekts. Im Oslo-Projekt waren dies - eine völlig überraschende Erkenntnis - die still arbeitenden Entwickler. Sie wurden an mehreren Stellen im Projekt und Unternehmen gebraucht. Diesen Engpass wollte Mätzing nutzen. „Meine Aufgabe war es, dafür Sorge zu tragen, dass die Kritische Kette so schnell wie möglich vorankommt“, projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 5 aktuell 12 REPORT erklärt er. Der Engpass müsse optimal genutzt werden; alles andere ordnet sich ihm unter. Burkhard Mätzing ließ jeden Mitarbeiter gegen Störungen abschotten, wenn er gerade auf der Kritischen Kette arbeitete. Die Türen zu Büros und Werkstätten wurden dann mit dem Schild „Hier arbeitet die Kritische Kette! “ geschützt. Anrufe wurden umgeleitet, andere Obliegenheiten zurückgestellt. Er habe notfalls den Mitarbeitern sogar Kaffee gekocht und das Mittagessen gebracht, erzählt der Projektleiter schmunzelnd. Durchsatzdenkenstatt(nur)Kostencontrolling Rückblickend ist er froh, die individuellen Pufferzeiten getilgt zu haben; sie hätten das Projekt ausgerechnet am Engpass gebremst. „Stattdessen muss hier das Projekt beschleunigt werden“, merkt Uwe Techt an, „das Staffellauf-Prinzip trägt dazu bei, dass die Aufgaben auf der Kritischen Kette so schnell wie möglich bearbeitet werden.“ Wichtige Voraussetzung für das Expresstempo: Die jeweiligen Mitarbeiter dürfen beim Staffellauf nicht anderweitig ausgelastet sein, wenn sie ihre Aufgabe vom Vorgänger übernehmen. So achtete Burkhard Mätzing darauf, den Mitarbeitern Leerlauf zu lassen. Besser, die Mitarbeiter warten auf die Übergabe der Aufgabe - als dass die Aufgabe auf ihre Erledigung warten muss. Bei Transtechnik ist man heute gerne bereit, Mitarbeitern diesen Leerlauf zu geben und sich vom reinen Kostendenken zu verabschieden. Nicht mit voll ausgelasteten Ressourcen, sondern schnell abgeschlossenen Projekten verdient man Geld. Der Wunsch, Mitarbeiter völlig auszulasten, bringt beim Projektmanagement ohnehin viele Nachteile mit sich. Die unter Zeitdruck arbeitenden Mitarbeiter müssen mehrere Aufgaben parallel abwickeln. Sie starten eine Aufgabe, unterbrechen ihre Arbeit für eine zweite Aufgabe, fangen etwas Drittes an und werden zu einer vierten „Baustelle“ gerufen. „Negatives Multitasking“ nennt Uwe Techt diese Strapaze, die Projekte massiv Schwierigkeiten bereitet. Erstens: Es geht Zeit verloren beim Springen zwischen den Aufgaben. Zweitens: Beim Springen wird keine anliegende Aufgabe fristgerecht fertig. Drittens: Die Arbeit verliert an Qualität. Das bestätigt Burkhard Mätzing: „Wenn jemand 30.000 Einzelteile vollständig fehlerlos auf einer Stückliste notieren muss, kann er sich nicht noch um andere Aufgaben kümmern.“ Viertens: Die Prioritäten sind nicht geklärt. Zumeist wird der zuerst bedient, der am lautesten ruft. Können sich die knappen Ressourcen mit Multitasking nicht den Projektplänen fügen - dann müssen halt die Pläne angepasst werden. BeiderBundeswehr„abgeschaut“: TäglichesKurzbriefing So hat Burkhard Mätzing viel Zeit dafür verwendet, in seinem Plan Engpässe zu entschärfen und gewissermaßen um die Entwickler herum den Plan aufzubauen. Anders als vor einem Jahr wird die CCPM-Planung zwischenzeitlich mit Software unterstützt; niemand muss mehr zu Bleistift, Papierkärtchen und Schere greifen. Ist das Projekt aber einmal auf dem Gleis, fühlt sich der Projektleiter entlastet. Der Staffellauf funktioniert fast von allein. Burkhard Mätzing verordnete seinem Team täglich ein zehnminütiges Briefing und machte sich ein Bild vom Stand der Arbeiten; die Maxime kurzer Besprechungen ist ihm aus seiner Zeit als Zeitsoldat und Instandsetzungsoffizier geläufig. „Die Mitarbeiter haben den Staffellauf selbst geregelt“, erklärt er. So konnte Mätzing seine Schwerpunkte neu setzen und sich dem Technischen oder Kundenkontakten widmen. „Management by going around“ nennt er rückblickend seinen Führungsstil. Er unterstützte die Mitarbeiter, die auf der Kette jeweils am Zuge waren - und das war jeder von ihnen einmal. „Diese Wertschätzung, einmal im Mittelpunkt aller zu stehen, ist ein beträchtlicher Motivationsfaktor“, hat er beobachtet. NeueParametermessenProjektfortschritt Uwe Techt weist auf weitere Vorteile des Konzepts der „Kritischen Kette“ hin. Einer von ihnen: Mit ihr hat der BeraterUweTecht(StaufenAkademie,BallBoll)machteBurkhardaufdas KonzeptderKritischenKetteaufmerksam. Härtetest: DerPrototypdesUmrichterswirdaufZuverlässigkeit„beiWindundWetter“geprüft. Foto: Transtechnik Foto: StaufenAkademie aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 5 13 Projektleiter einen sicheren Indikator, wie weit das Projekt vorangeschritten ist. „Durch den Abgleich von Fortschritt auf der Kritischen Kette und Verbrauch von Projektpufferzeit kann er sehen, ob sein Projekt noch auf der sicheren Seite ist“, erklärt Techt. Konkret: Ist sein Projekt zu 70 Prozent vorangeschritten und sind nur 45 Prozent des Puffers verwendet, kann er Projektgebern und Geschäftsführung „grünes Licht“ geben. Die Alarmglocken sollten aber schrillen, wenn sich das Verhältnis der beiden Parameter umkehrt. Burkhard Mätzing legte diese Fakten auch dem Kunden offen. Er konnte sich online über den Fortschritt informieren. Dennoch, ganz ohne Stolpersteine lässt sich die CCPM- Methode nicht einführen. Stolperstein Nummer eins: Der Zeitpuffer am Ende des Projekts darf dem Projekt (und allen folgenden Projekten) nicht genommen werden - so verlockend dies auch für Geschäftsführer sein mag. Pufferzeit ist Projektzeit, eine eiserne Regel. Stolperstein Nummer zwei: Unternehmen sollten sich sehr überlegt für CCPM entscheiden. Die Methode ändert vieles am herkömmlichen Projektmanagement. „Führen Sie CCPM nicht von heute auf morgen ein. Gehen Sie in kleinen Schritten von Projekt zu Projekt vor“, warnt Mätzing vor Schnellschüssen. Dritter Stolperstein: CCPM ändert die Unternehmenskultur. Mitarbeiter müssen Vertrauen entwickeln und begreifen, dass sie ohne persönliche Pufferzeit arbeiten können und mögliche Verzögerungen dem Projekt keine Probleme bereiten. Vierter Stolperstein: Es reicht nicht aus, allein Projektleiter mit CCPM vertraut zu machen. Die Schulung muss vom Geschäftsführer bis zum einzelnen Mitarbeiter reichen. Stolperstein Nummer fünf: Projektleiter müssen ihr Projekt sorgfältiger aufsetzen. Sie müssen dem Reflex widerstehen, statt mit Ressourcen doch wieder allein mit Vorgängen zu planen. Mit wem passiert was - das ist die Frage beim CCPM. „Man ist schnell wieder im alten Gleis und verliert die Ressourcen aus dem Blickfeld“, sagt Burkhard Mätzing. SkepsisschluguminBegeisterung Aus solchen Überlegungen zu „Risiken und Nebenwirkungen“ spricht eine gesunde Rest-Skepsis, obwohl Burkhard Mätzing den Erfolg seines Projekts in erster Linie der CCPM-Methode zuschreibt. „Ich war am Anfang auch skeptisch“, räumt Burkhard Mätzing ein, „dann habe ich mich aber gefragt, weshalb ich nicht selbst auf diese Strategie gekommen bin.“ Sein Team habe beispielsweise den Prototypenbau binnen zwei Wochen erledigt; früher dauerte der Prozess ein bis zwei Monate. Derzeit führt Transtechnik die neue Vorgehensweise unternehmensweit ein. Das bedeutet: Vorliegende Projektpläne müssen überarbeitet und den Ressourcen angepasst werden. Vieles wird sich ändern. Ein Detail: Die in jedem Unternehmen anzutreffenden „Firefighter“, die durch unermüdlichen Einsatz Projekte retten, brauchen eine neue Aufgabe. „Das sind Mitarbeiter, die viel Selbstwertgefühl aus ihrem Einsatz in der Not ziehen“, erklärt Uwe Techt. Sie müssen mit Fingerspitzengefühl ins Boot geholt werden. Ein kleiner Trost für die „Retter“: Irgendwann steht jeder im Scheinwerfer, wenn er auf der Kritischen Kette den Staffelstab in der Hand hält. Dann können auch Firefighter zeigen, wie sie zur Höchstform auflaufen. ■ projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 5 aktuell