PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2005
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Critical-Chain-Projektmanagement“
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2005
Uwe Techt
Projekte geraten immer wieder in Zeitverzug. Die Kosten für die Unternehmen sind hoch: Konventionalstrafen für Verspätungen und verzögerte Zahlungen schlagen zu Buche. Die Mehrzahl der Projektleiter behauptet, die herkömmlichen Methoden des Projektmanagements würden unzureichend ausgeschöpft. Der amerikanische Physiker und Unternehmensberater Eliyahu M. Goldratt hat 1998 eine andere Erklärung für diese Schwierigkeiten ins Gespräch gebracht. Er vertritt die Ansicht, dass den Projekten in der Regel mehr als genug Zeit zur Verfügung steht. Sie könnten sogar vor Termin fertig werden, manche ihre Durchlaufzeit um 25 bis 50 Prozent reduzieren. Termintreue wäre zu nahezu 100 Prozent möglich. Doch ein großer Teil der Zeit, so Eliyahu M. Goldratt, rinnt den Projektmanagern unbemerkt durch die Finger.
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14 WISSEN DasaktuelleStichwort: „Critical- Chain-Projektmanagement“ UweTecht ProjektegeratenimmerwiederinZeitverzug.DieKostenfürdieUnternehmensindhoch: KonventionalstrafenfürVerspätungenundverzögerteZahlungenschlagenzuBuche.DieMehrzahl derProjektleiterbehauptet,dieherkömmlichenMethodendesProjektmanagementswürden unzureichendausgeschöpft.DeramerikanischePhysikerundUnternehmensberaterEliyahuM. Goldratthat1998eineandereErklärungfürdieseSchwierigkeiteninsGesprächgebracht.Er vertrittdieAnsicht,dassdenProjekteninderRegelmehralsgenugZeitzurVerfügungsteht. SiekönntensogarvorTerminfertigwerden,mancheihreDurchlaufzeitum25bis50Prozent reduzieren.Termintreuewärezunahezu100Prozentmöglich.DocheingroßerTeilderZeit,so EliyahuM.Goldratt,rinntProjektmanagernunbemerktdurchdieFinger. A ls problematisch hat Goldratt die verbreitete Überzeugung ausgemacht, die optimale Zeitplanung einzelner Arbeitsschritte führe zwangsläufig zu einer optimalen Planung des gesamten Projekts. Dieser Satz bereitet seiner Ansicht nach in der Praxis größte Schwierigkeiten. So paradox es klingt: Projektmanager, die einzelne Arbeitspakete absichern, verlieren die Sicherheit des gesamten Projekts aus dem Blick. Weshalb? Klassisches Projektmanagement leitet an, ein komplexes Projekt in sinnvolle Teile (beispielsweise Teilprojekte oder Arbeitspakete) zu zerlegen. Bei der Projektplanung werden die Mitarbeiter gebeten, für diese Arbeitspakete Bearbeitungszeiten zu kalkulieren. Die Mitarbeiter wissen, dass diese Schätzungen später als verbindliche Termine in den Projektplan eingetragen werden. Folglich addieren sie - um die verbindlichen Termine höchstzuverlässig einzuhalten - persönliche Zeitpuffer ein. Wenigstens fünfzig Prozent der Projektlaufzeit sind, so wird geschätzt, als Sicherheitsreserve verplant. Je zwingender ein Termin ist, desto mehr „persönlicher Puffer“ wird der eigentlichen, realistisch geschätzten Arbeitszeit aufgeschlagen; sie wird zumindest verdoppelt. Diese Puffer sind für das Projekt unwiederbringlich verloren. Die Bearbeitungszeit für eine Aufgabe dehnt sich zumindest bis zum Endtermin aus. Die zur Verfügung stehende Zeit wird immer genutzt. Im Detail: 1. Die Erfahrung zeigt, dass Mitarbeiter ihre Aufgabe nie vor dem festgesetzten Termin abschließen. Es liegt in der menschlichen Natur, die Arbeiten erst zum spätmöglichsten Termin zu beginnen und dann „mit fliegenden Fahnen“ fertig zu werden („Studentensyndrom“). So werden die einzelnen Sicherheitspuffer grundsätzlich - und allermeist unnötig - ausgeschöpft. 2. Zu deutlichen Terminüberschreitungen kommt es, wenn ein Mitarbeiter erst verspätet mit der Aufgabe beginnen kann. Gründe dafür sind ebenso vielfältig. Außerhalb des Projekts kann ihm eine andere, dringende Arbeit dazwischen aufgegeben worden sein. Innerhalb des Projekts kann er seine Aufgabe verspätet übernommen haben, weil ein Vorgänger bereits Zeit verloren hat. Dann kann er erst verspätet beginnen; „sein“ Zeitpuffer hilft ihm nun auch nicht mehr: Das Projekt verzögert sich insgesamt. 3. Angenommen, ein Mitarbeiter kann seine Aufgabe früher als geplant vom Vorgänger übernehmen und beginnen. Ihm steht nun mehr Zeit zur Verfügung. Erfahrungsgemäß wird er aber seine Arbeit dennoch nicht sofort starten und früher beenden. Er stellt sie termingerecht fertig. „Verfrühungen“ werden also nicht zum Wohle des Projektes genutzt. An diesem Problem setzt Critical-Chain-Projektmanagement an. Goldratt folgert: Bleiben Pufferzeiten ungenutzt, werden Verspätungen (trotz aller Puffer) riskiert und können Verfrühungen dem Projekt nicht zugute kommen - dann muss anders mit Pufferzeiten und Sicherheitsreserven umgegangen werden. In seinem Management-Roman „Die kritische Kette“ schlägt er Umdenken vor. Erstens: Zeitschätzungen werden nicht mehr stillschweigend zu Terminzusagen gemacht; sie bleiben Schätzungen. Dies soll Projektmitarbeiter von dem Zwang befreien, sich mit „persönlichen Puffern“ abzusichern und die Projektzeit unnötig auszudehnen. Zweitens: Jeder Mitarbeiter schätzt seinen Zeitauf- Abb.1: KritischeKette: AmEndedesProjekts(mittlerer Balken)undderZulieferpfade(obenundunten)werden Projektpuffereingebaut.DerhellePfeilzeigtdie„Kritische Kette“.DerdunklePfeilmarkiertdenProjektfortschritt,der vomProjektpufferbereitszehrt. aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 5 15 wand realistisch. Persönliche Pufferzeiten sind nicht mehr erlaubt. Dem Mitarbeiter wird aber signalisiert, dass er zwar unter Zeitdruck, nicht aber unter Terminzwang steht. Drittens: Pufferzeiten sind nach wie vor als Sicherheit nötig; sie betragen nun aber nur noch 50 Prozent der gesamten Laufzeit und werden ans Ende des Projektes gestellt (Projektpuffer). Damit ist das gesamte Projekt abgesichert. Viertens: Nach dem Prinzip des Staffellaufs beginnt jeder Mitarbeiter seine Aufgabe, sobald er die Arbeit von seinem Vorgänger erhalten hat. Er konzentriert sich ganz auf seinen Auftrag und ist von anderen Arbeiten freigestellt. Gewissermaßen sprintet er mit dem Staffelstab und versucht, so schnell wie möglich diesen Stab weiterzureichen. Braucht er dennoch mehr Zeit als ursprünglich geschätzt, wird diese Zeit vom Projektpuffer aufgefangen. Diese Methode hat Konsequenzen für den planenden Projektmanager. Er darf nicht ausschließlich in „Vorgängen“ (Arbeitspaketen), sondern muss auch in Ressourcen (Mitarbeiter) denken. Als kritischer Pfad wird nach herkömmlichem Projektmanagement die längste Kette voneinander abhängiger Aufgaben bezeichnet. Mit dem Begriff der Kritischen Kette wird dieser Begriff erweitert. Unter ihr versteht man die längste Kette voneinander abhängiger Aufgaben unter Berücksichtung der Abhängigkeiten, die sich aus den vorhandenen Ressourcen ergeben. Diese Kritische Kette ist der Engpass des Projekts; schneller als auf dieser Kette kann das Projekt nicht voranschreiten. Der Fortschritt auf der Kritischen Kette zeigt denn auch den gesamten Fortschritt des Projektes an (Durchlaufzeit). So fordert Critical-Chain-Projektmanagement die Identifikation der Kritischen Kette. Ihr gilt das ganze Augenmerk des Projektleiters. Hier hat er zu prüfen, ob die in der Kritischen Kette verplanten Ressourcen auch wirklich zur Verfügung stehen - und nicht in einem anderen, zeitparallelen Arbeitsgang des Projektes gebunden sind. Sind sie anderweitig verplant, müssen die parallel geplanten Aufgaben entzerrt, also nacheinander geplant werden. Noch mehr als bei einzelnen Projekten ist es beim Multiprojektmanagement nötig, die Ressourcen zu berücksichtigen und Doppelbelastungen zu vermeiden. Muss ein Mitarbeiter mehrere Aufgaben unterschiedlicher Projekte parallel bearbeiten, kommt es zwangsläufig zu Zeitverzögerungen. Nicht nur die Bearbeitung der Aufgabe dauert länger (Arbeiten müssen wiederholt gestoppt und wieder gestartet werden). Mehr noch fällt ins Gewicht, dass bei diesem „negativen Multitasking“ alle Aufgaben verspätet erledigt und damit alle Projekte verzögert werden. Greifen gleich mehrere Projekte auf eine Ressource zurück, hat das Konsequenzen für das Multiprojektmanagement. Es hat die Projekte so zu staffeln und zu planen, dass die kritische, mehrfach benötigte Ressource ihre Aufgaben nacheinander abarbeiten kann. Beim Critical-Chain-Projektmanagement werden die Projektpläne dann gewissermaßen um diese Ressource herum aufgebaut. Möglicherweise werden - mit Blick auf diese Ressource - Projekte gestaffelt statt zeitgleich gestartet. Erst diese Synchronisierung - mit der kritischen Ressource im Mittelpunkt (die so genannte DRUM-Ressource, die „Taktgeberin“) - erbringt dem Unternehmen ein optimales Ergebnis. Vorteile bietet das Konzept der „Kritischen Kette“ nicht nur für die Projektplanung, sondern auch für die Überwachung. Projektmanager kontrollieren den Projektfortschritt anhand des Fortschritts auf der Kritischen Kette. Zudem beobachten sie den Verbrauch von Projektpuffern. Kombiniert signalisieren die beiden ermittelten Kennzahlen - Fortschritt und Pufferverbrauch - deutlich, ob das Projekt sicher ist. Sowohl der Fortschritt auf der Kritischen Kette als auch die verbleibenden Pufferzeiten werden in Tagen ausgedrückt. Je langsamer der Projektpuffer - im Verhältnis zum Projektfortschritt - verbraucht wird, umso sicherer ist das Projekt. Ist proportional zum Fortschritt zu viel Puffer verbraucht, ist das Projekt gefährdet. Diese beiden Kennzahlen reichen aus, den Stand und Fortschritt eines Projektes zu verfolgen. ■ Schlagwörter CriticalChain,Einsatzmittelplanung,KritischeKette,Terminplanung,Zeitpuffer, Zeitschätzung Literatur [1]Goldratt,E.M.: CriticalChain.GreatBarringtonMA1997.Bzw.Goldratt,E. M.: DiekritischeKette-DasneueKonzeptimProjektmanagement.Frankfurt/ M.2002(deutscheÜbersetzung) [2]Leach,L.P.: CriticalChainProjectManagement.NorwoodMA2005 [3]RobertC.; Newbold,R.C.: ProjectManagementintheFastLane-Applying theTheoryofConstraints.GreatBarringtonMA1998 Autor UweTecht,geb.31.5.1964,istUnternehmensberater, GeschäftsfeldleiterderStaufenAkademieAGfürBest- Managementundseitüber15JahreninIndustrieunternehmenundinOrganisationendesöffentlichenSektors tätig.SeineSchwerpunktesindStrategischesManagement,Projekt-undProzessmanagement.InderIndustrie beräterUnternehmenimZusammenhangmitderBalancedScorecard,demEFQM-ModellfürExcellenceund Critical-Chain-Projektmanagement.EristMitgliedderGPM-Fachgruppe„Das KonzeptderkritischenKetteimProjektmanagement“. Anschrift StaufenAkademieBeratungundBeteiligungAG Badstraße62 D-73087BadBoll Tel.: 07164/ 93102 E-Mail: u.techt@staufen-akademie.de Abb.2: DRUM-Ressource: RessourceDistderEngpass imUnternehmen.DieProjektewerdensogestaffeltund geplant,dassRessourceDoptimalgenutztund„negatives Multitasking“vermiedenwird. projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 5 aktuell