eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 16/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
91
2005
163 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Vom Unternehmens- zum Partnernetzwerk

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2005
Andreas Meyer-Eggers
Die Bertrandt AG ist einer der führenden Entwicklungsdienstleister der internationalen Automobil- und Luftfahrtindustrie in Europa. Von 20 Standorten aus bietet das Unternehmen die gesamte Entwicklungsprozesskette von der ersten Idee bis hin zur Entwicklung kompletter Module und Fahrzeuge an. Zur Darstellung der durchgängigen Entwicklungsprozesskette wurde das Leistungsspektrum in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. Hierzu hat das Unternehmen das „Bertrandt Engineering Network“ implementiert. Parallel wurde das interne Projekt „b.Xcellent“ (sprich: „be excellent“) gestartet, um die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Herstellern, Entwicklungsdienstleistern und Systemlieferanten in komplexen Projekten und über Landesgrenzen hinaus durch standardisierte Prozesse und Technologien abzusichern.
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17฀฀ Vom฀Unternehmens-฀zum฀Partnernetzwerk Andreas฀Meyer-Eggers Die฀Bertrandt฀AG฀ist฀einer฀der฀führenden฀Entwicklungsdienstleister฀der฀internationalen฀ Automobil-฀und฀Luftfahrtindustrie฀in฀Europa.฀Von฀20฀Standorten฀aus฀bietet฀das฀Unternehmen฀ die฀gesamte฀Entwicklungsprozesskette฀von฀der฀ersten฀Idee฀bis฀hin฀zur฀Entwicklung฀kompletter฀Module฀und฀Fahrzeuge฀an.฀Zur฀Darstellung฀der฀durchgängigen฀Entwicklungsprozesskette฀wurde฀das฀Leistungsspektrum฀in฀den฀vergangenen฀Jahren฀kontinuierlich฀ausgebaut.฀ Hierzu฀hat฀das฀Unternehmen฀das฀„Bertrandt฀Engineering฀Network“฀implementiert.฀Parallel฀ wurde฀das฀interne฀Projekt฀„b.Xcellent“฀(sprich: ฀„be฀excellent“)฀gestartet,฀um฀die฀interdisziplinäre฀Zusammenarbeit฀zwischen฀Herstellern,฀Entwicklungsdienstleistern฀und฀Systemlieferanten฀in฀komplexen฀Projekten฀und฀über฀Landesgrenzen฀hinaus฀durch฀standardisierte฀ Prozesse฀und฀Technologien฀abzusichern. Automobilindustrie฀im฀Wandel Bis Anfang der neunziger Jahre lag die Entwicklung nahezu jedes einzelnen Bauteils in den Händen der Automobilhersteller. Die Zulieferer waren vorwiegend ihre verlängerte Werkbank, die Ingenieurdienstleister die vergrößerte Konstruktionsabteilung. Eine Vernetzung von Teams über Abteilungs- oder gar Niederlassungsgrenzen hinaus gab es nicht. Der Anfang der 90er Jahre einsetzende Strukturwandel veranlasste die Hersteller zum Umdenken. Kosten mussten gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den japanischen Mitbewerbern verbessert werden. Die Folge waren Rationalisierung und die Verlagerung von Leistungen nach außen. Die Zulieferer wurden in eine größere Eigenverantwortlichkeit entlassen, die Ingenieurdienstleister als flexible Partner stärker eingebunden. Diese neue Verantwortung machte es erforderlich, dass die Fachkräfte des Entwicklungsdienstleisters sich zunehmend mit den Schnittstellen und Funktionen von Bauteilen auseinander setzen mussten. Zu den „Schnittstellen“ gehörten nun zum Beispiel auch Entwickler angrenzender Bauteile. Grundsätzlich blieben der Mitarbeiter und der Auftrag aber in der Verantwortung einer Abteilung, das heißt Blechteile im Rohbau-, Kunststoffumfänge im Kunststoff-Bereich. Durch die zunehmende Modellvielfalt und verkürzte Modellzyklen wurden die Entwicklungsingenieure von einst zu „echten“ Partnern, unter anderem bei Entwicklungsprojekten auf Modulbasis oder der Entwicklung von Nischenfahrzeugen und Fahrzeugvarianten (Coupé, Cabriolet). Komplexitätsmanagement ist seitdem ein wichtiger Punkt in der Projektarbeit. Entwicklungsverantwortung heißt heute, die Zielvorgaben des Kunden bezüglich Kosten, Qualität und Terminen einzuhalten und darüber hinaus für komplexe Aufgaben wie ❏฀ Absicherung der Herstellbarkeit (Teileherstellung, Schweiß- und Lackierbarkeit etc.), ❏฀ Gewährleistung der Funktionalität, wie zum Beispiel Steifigkeit von Türen, ❏฀ Crash/ Sicherheit (bei einem Auffahrunfall muss sich die Fahrzeugstruktur zur Energieaufnahme verformen, die Fahrgastzelle jedoch für den Insassenschutz stabil bleiben) und ❏฀ Integration (viele unterschiedliche Module ergeben ein in sich geschlossenes Endprodukt) verantwortlich zu sein. Um diese zu gewährleisten, werden Fachbereiche, Experten und Entwickler hinzugezogen. Die Netzwerkfähigkeit ist in diesem Zusammenhang zu einer Grundvoraussetzung geworden, um komplexe Projektaufgaben erfolgreich zu bearbeiten. Das฀Bertrandt-Netzwerk Bertrandt hat diese Entwicklung erkannt und frühzeitig darauf reagiert. Auf die steigenden Anforderungen im Projektgeschäft hat das Unternehmen 2003 mit der Implementierung des „Bertrandt Engineering Network“ reagiert und die Angebotspalette in die Leistungsbereiche Vernetzung Wachstum Jahre 1980-1990 1990-2000 Konstruktions- Know-how Entwicklung Module Entwicklung Derivate 2000- Komplexität hoch niedrig niedrig hoch Bertrandt AG Entwicklung Bauteile Abb.฀1: ฀Struktureller฀Wandel฀in฀der฀Automobilindustrie; ฀Quelle: ฀Bertrandt projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 aktuell 18฀฀ WISSEN Entwicklungsbegleitende Dienstleistungen, Bearbeitung von Fachthemen sowie Entwicklung von Modulen und Fahrzeugderivaten differenziert. Darüber hinaus wurde eine länder- und niederlassungenübergreifende Fachbereichsorganisation eingezogen. Hierdurch soll vorhandenes Wissen in den Bereichen Elektronikentwicklung, Powertrain (Antriebsstrang bestehend aus Motor, Getriebe und Fahrwerk), Versuch und Entwicklung begleitende Dienstleistungen besser genutzt und Vorteile für den Kunden sollen durch eine effiziente Vernetzung des Know-hows realisiert werden. Um die Mitarbeiter als Stütze dieses Prozesses mit einzubinden, wurde u. a. ein neues Unternehmensleitbild implementiert. Die Kompetenzen im Bertrandt Engineering Network sind mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf die verschiedenen Niederlassungen verteilt. Aus diesem Bertrandt-weiten Netzwerk heraus werden entsprechend dem Kundenauftrag die Teams nach Bedarf zusammengestellt, indem bestehende und definierte Knoten zu einem Projekt zusammengeschaltet werden. Koordination฀des฀Netzwerkes฀durch฀die฀Bertrandt฀ Projektgesellschaft฀mbH Um dieses Netzwerk zu steuern, wurde im Oktober 2002 die Bertrandt Projektgesellschaft mbH (BPG) gegründet. Gemeinsam mit allen Niederlassungen wird das im Konzern vereinte Know-how gebündelt und weiterentwickelt. Wie kann man sich das Zusammenspiel in diesem Netzwerk praktisch vorstellen? Die Niederlassungen vor Ort halten den direkten Kontakt zum Kunden. Sie kennen ihre Ansprechpartner und deren Bedürfnisse genau. Bei umfassenden Projekten, wie der Entwicklung von komplexeren Modulen oder Fahrzeugderivaten, übernimmt die BPG die Projektsteuerung. Je nach Anforderung des Projektauftrages werden weitere Fachbereiche und Niederlassungen aus dem Bertrandt- Netzwerk eingebunden und externe Partner integriert. Hierzu zählen beispielsweise Systemlieferanten, die vom Hersteller bestimmt sind. Dieses Konglomerat aus Fachbereichen, Niederlassungen, Partnern und Systemlieferanten zu steuern und zu koordinieren ist Aufgabe der BPG. Sie versteht sich damit auch als Treiber und Moderator des Netzwerkes. Umsetzung฀des฀Netzwerkgedankens฀bei฀Bertrandt Die interdisziplinäre Entwicklungsarbeit setzt voraus, Schnittstellen zwischen den Prozessen, Technologien sowie unterschiedlichen Ansprechpartnern zu harmonisieren. Hierzu wurden bei Bertrandt eine Reihe flankierender Maßnahmen ergriffen, wie das unternehmensinterne Projekt „b.Xcellent“. b.Xcellent definiert in der übergreifenden Entwicklungsarbeit Standards in Produktdatenmanagement und -kommunikation. Hierbei gibt es drei wesentliche Treiber (siehe Abb. 4): 1. Menschen/ Kultur 2. Prozesse 3. Technologie Die Menschen, die im Bertrandt-Konzern arbeiten, bilden die tragende Säule der Entwicklungsleistung für die Kunden. Ihre hohe fachliche Kompetenz, das soziale Miteinander sowie ihre Leistungsbereitschaft sind der wesentliche Erfolgsfaktor für eine weitere solide Entwicklung des Unternehmens. Als wesentlichster Faktor der Arbeit im Netzwerk müssen sie den Netzwerkgedanken leben und mehr Verantwortung übernehmen - zum einen auf Grund der steigenden Komplexität der Entwicklungsaufträge und zum anderen als „Verantwortliche“ eines Knotenpunktes im Kompetenznetzwerk. Zusätzlich werden organisatorische Strukturen offener und flexibler. Mitarbeiter befinden sich nicht mehr in der Hülle einer Abteilung, sondern in einer Matrix- Abb.฀2: ฀Bertrandt฀Engineering฀Network; ฀Quelle: ฀Bertrandt฀ Zusammenarbeit im Projekt Die NL vor Ort hält den Kontakt zum Kunden Die BPG ist Auftragnehmer beim Kunden. Sie definiert und steuert alle Schnittstellen Systemlieferanten Partner - Erprobung - Fertigung - Prototypen u.a. Bertrandt Fachbereiche und Niederlassungen Bertrandt Niederlassung vor Ort Kunde BPG Die BPG als gelebtes Netzwerk im Unternehmen Abb.฀3: ฀Bertrandt฀Projektgesellschaft฀mbH฀(BPG); ฀Quelle: ฀Bertrandt฀ Handhabung des Netzwerkgedankens bei Bertrandt - 3 wesentliche Treiber sind für das Funktionieren eines Netzwerkes verantwortlich Netzwerk Technologie Prozesse Menschen/ Kultur Abb.฀4: ฀Der฀Netzwerkgedanke฀bei฀Bertrandt; ฀Quelle: ฀Bertrandt฀ aktuell projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 19฀฀ organisation mit ihrem Abteilungs-/ Teamleiter und dem Projektmanager als Führungskräfte. Außerdem müssen sie verschiedene Rollen wahrnehmen, wie etwa als Verantwortlicher für spezifische Entwicklungsumfänge, als Leiter ihres Entwicklungsteams und als Mitglied anderer Entwicklungsgruppen. Für den Mitarbeiter bedeutet dies ❏฀ die mentale Bereitschaft, sich laufend für Neues zu öffnen. Er ist häufig in Projekte eingebunden und hat mit den unterschiedlichsten Ansprechpartnern zu tun; ❏฀ persönlich steigende Anforderungen im Bereich der Hard- und Softskills hinsichtlich interdisziplinären Fach-Know-hows, Sprachen und Umgang mit anderen Kulturen; ❏฀ höhere Eigenverantwortung durch steigende Freiheitsgrade, wechselnde Rollen und räumliche Flexibilität. Diese veränderten Anforderungen an die Mitarbeiter werden durch eine entsprechende Unternehmenskultur unterstützt und flankiert, um das erforderliche Umfeld zu schaffen und eventuell vorhandene Barrieren abzubauen. Ein wichtiger Aspekt dieser Maßnahmen ist die gemeinsame Entwicklung von gemeinsamen Werten, Normen und Regeln. Hierzu gehört auch die bereits angesprochene Überarbeitung der Unternehmensleitlinien. Der zweite Treiber für den Wandel zu einem netzwerkorientierten Unternehmen sind standardisierte Geschäftsprozesse, die die Strukturen unterstützen. Im Rahmen von b.Xcellent wurden interne Prozesse überarbeitet und an die aktuellen Bedürfnisse angepasst. Diese Prozesse wurden anschließend gruppenweit implementiert. Die Standardisierung der Prozesse sichert einen reibungslosen internen Ablauf in den unterschiedlichen Kundenprojekten. Die Anpassung an spezifische Kundenanforderungen erfolgt an klar definierten Schnittstellen im Prozess. Auf dieser Basis können alle Mitarbeiter gesamtheitlich auf die internen Standardprozesse geschult werden. Dieses Vorgehen erlaubt ein verbessertes Zusammenarbeiten, schafft Vertrauen bei den Mitarbeitern und ermöglicht eine lernende Organisation mit dem Ziel, die Prozesse weiter zu optimieren. Zu den Kernprozessen gehört unter anderem der Bertrandt-Produktentstehungsprozess (PEP), der den Entwicklungsprozess und das Projektmanagement abbildet. In 2004 konnte sich Bertrandt mit den neuen Projekt-Management-Prozessen deutschlandweit als Preisträger des GPM Award (www.gpm-ipma.de) qualifizieren. Dieses Ergebnis hat dem Unternehmen gezeigt, dass die Überarbeitung und Implementierung der Prozesse erfolgreich waren. Alle Aktivitäten wurden auf einer dritten Ebene durch adäquate Technologien und Tools unterstützt. Als durchgängiges Enterprise-Backbone-System hat Bertrandt beispielsweise das bereits seit 1996 im Unternehmen eingesetzte System SAP ausgebaut. Ein weiteres Tool für ein übergreifendes Produktdatenmanagement ist das Product-Lifecycle-Management-System Enovia LifeCycleApplications. Dieses System verwaltet sämtliche Projekt- und Produktinformationen in einem ganzheitlichen operativen Entwicklungsverbund. Das฀Partnernetzwerk฀bei฀Bertrandt Im Rahmen der strategischen Ausrichtung der Bertrandt- Gruppe war man sich früh einig, nicht alle für die Entwicklung kompletter Fahrzeuge notwendigen fachlichen Kompetenzen selbst abzubilden. Mit dem Ziel, verlässliche Partner in die Projektarbeit einzubinden, wurde der Aufbau eines externen Netzwerkes in Angriff genommen. Das interne Netzwerk sollte durch die enge Verzahnung mit eigens sowie seitens der Kunden ausgewählten Partnern um ein externes Netzwerk erweitert werden. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff „Atmendes Netzwerk“ geprägt. Für das externe Netzwerk sieht Bertrandt die gleichen drei Treiber - Mensch/ Kultur, Prozesse, Technologie - wie für das interne Netzwerk. Noch mehr als in internen erfordert das Arbeiten in externen Netzwerken eine gezielte Abstimmung von Kompetenzen, Strukturen, Prozessen und Systemen aller beteiligten Unternehmen. Dies umzusetzen ist eine stetige Aufgabe, die zum Teil ein Balance-Akt bleiben wird. Es gibt nicht die Lösung, sondern auf einer definierten Basis muss ein gemeinsamer Weg mit den Partnern entwickelt werden. Grundsätzlich gilt, dass ein funktionierendes internes Netzwerk die Voraussetzung für ein funktionierendes externes Netzwerk ist. Das heißt, ❏฀ Menschen sind gewohnt, mit Verantwortung in flexiblen Strukturen umzugehen, ❏฀ Normen sowie die Werte und die Kultur der Unternehmen bilden den Rückhalt für die Mitarbeiter und unterstützen den globalen Netzwerkgedanken, Abb.฀5: ฀Bertrandt-Produktentstehungsprozess฀(PEP): ฀von฀der฀Idee฀bis฀zur฀Serienreife; ฀Quelle: ฀Bertrandt฀ Systemlieferant Systemlieferant Partner Partner Partner OEM OEM Bertrandt Netzwerk Partner Netzwerk ruhendes aktives Netzwerk Abb.฀6: ฀Atmende฀Netzwerke; ฀Quelle: ฀Bertrandt฀ projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 aktuell 20฀฀ WISSEN ❏฀ die jeweils eingesetzte Technologie der Netzwerkpartner stellt definierte Anknüpfungsmöglichkeiten zur Verfügung (PLM = Product-Lifecycle-Management), ❏฀ die übergreifenden Standardprozesse sind abgestimmt und implementiert (zum Beispiel Prozess- und Projekt- Management). In einem von Wandel, Partnerschaften und projektbezogenen Kooperationen geprägten Umfeld hat Bertrandt die Weichen frühzeitig gestellt. Das Arbeiten in Netzwerken ist ein weiterer Schritt, um die Anforderungen der Zukunft zu erfüllen und die Organisation im dynamischen Umfeld „Automobilindustrie“ weiterzuentwickeln. ■ Schlagwörter Kooperation฀in฀Projekten,฀Koordination฀in฀Projekten,฀Netzwerke฀in฀Projekten,฀Product-Life-Cycle-Management,฀Produktentstehungsprozess Autor Andreas฀Meyer-Eggers฀leitet฀seit฀rund฀20฀Jahren฀Entwicklungsprojekte฀bei฀verschiedenen฀Entwicklungsdienstleistern฀in฀der฀Automobilindustrie.฀Als฀Projektmanager฀in฀der฀ Bertrandt฀Projektgesellschaft฀mbH฀ist฀er฀verantwortlich฀ für฀die฀Abwicklung฀von฀zwei฀Fahrzeugprojekten.฀Im฀Rahmen฀dieser฀Aufgaben฀hat฀er฀die฀Projektmanagement-Prozesse฀und฀-Methoden฀bei฀Bertrandt฀weiterentwickelt฀und฀ implementiert.฀ 2004฀wurde฀ein฀Projekt,฀das฀der฀Autor฀verantwortlich฀führte,฀Preisträger฀des฀ GPM-Award฀„Excellence฀im฀Projektmanagement“. Anschrift Bertrandt฀Projektgesellschaft฀mbH Birkensee฀1,฀D-71139฀Ehningen Tel.: ฀0฀70฀34/ 6฀56฀55฀14,฀Fax: ฀0฀70฀34/ 6฀56฀87฀00 E-Mail: ฀andreas.meyer-eggers@de.bertrandt.com www.bertrandt.com aktuell projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 21฀฀ C4P: ฀Die฀4฀C฀des฀Projektmanagements฀bei฀der฀Dräxlmaier฀Group Erfolgreiches฀Projektmanagement฀im฀komplexen฀Umfeld฀der฀Automobilindustrie฀ Hubertus฀C.฀Tuczek Die฀Anforderungen฀an฀das฀Projektmanagement฀sind฀in฀den฀letzten฀Jahren฀in฀der฀Automobilindustrie฀durch฀die฀Globalisierung฀und฀die฀damit฀verbundene฀höhere฀Komplexität฀erheblich฀ gestiegen.฀Um฀diesen฀Anforderungen฀gerecht฀zu฀werden,฀braucht฀man฀ein฀übergreifendes฀ Konzept,฀das฀den฀Projektteams฀ein฀erfolgreiches฀Arbeiten฀ermöglicht.฀Bei฀der฀Dräxlmaier฀ Group฀wurde฀hierzu฀der฀Ansatz฀des฀C4P-Projektmanagements฀entwickelt.฀Es฀stellt฀eine฀ Weiterentwicklung฀und฀Verknüpfung฀der฀bisher฀bestehenden฀Projektmanagement-Elemente฀ bei฀Dräxlmaier฀dar.฀Die฀4C฀bilden฀ein฀eingängiges฀Leitmotiv,฀das฀über฀die฀üblichen฀verfahrenstechnischen฀Kernelemente฀des฀Projektmanagements฀hinausgeht฀und฀das฀Unternehmen฀ als฀Ganzes฀einbindet. Automobilindustrie฀heute Die Automobilindustrie ist gekennzeichnet durch einen globalen Wettbewerb, der durch den Kampf um Marktanteile in den verschiedenen Regionen geprägt wird. Hierzu werden von den Automobilherstellern (OEM) mittlerweile in zunehmendem Maße erhebliche Rabatte auf die Volumenmodelle gewährt (Push-Prinzip, Fahrzeuge werden in den Markt gedrückt), während über vielfältige Nischenmodelle zusätzliche Käuferschichten erschlossen werden sollen. Um profitabel zu sein, müssen derartige Nischenmodelle mit spitzem Bleistift geplant werden, da sie meist nur in vergleichsweise geringen Stückzahlen verkauft werden. Darüber hinaus werden neue Modelle in immer kürzeren Zyklen auf den Markt gebracht. Technische Innovationen sind hierbei ein Muss und die stetig steigenden gesetzlichen Anforderungen, speziell im Bereich der Sicherheit, erhöhen die technische Komplexität. Dieser Kosten- und Leistungsdruck überträgt sich in starkem Maße auf die Zulieferer, da ihr Wertschöpfungsanteil mittlerweile deutlich über 50 % liegt. Auswirkungen฀auf฀das฀Projektmanagement Dieses komplexe Umfeld wirkt sich unmittelbar auf die Anforderungen an das Projektmanagement in der Branche aus. Heute müssen Neuentwicklungen mit höchsten Qualitätsanforderungen in zum Teil nur noch der halben Entwicklungszeit abgearbeitet werden, wie wir es noch vor wenigen Jahren gewohnt waren. Gleichzeitig wurden Ressourcen, sprich Budgets und infolgedessen Entwicklungskapazitäten, für ein Projekt deutlich reduziert, was ganz neue Anforderungen an die Effizienz in der Projektarbeit bedingt. Dazu kommt, dass durch die globale Verteilung der Wertschöpfungsketten die Projekte in zunehmendem Maße in internationalen Netzwerken abgearbeitet werden müssen, z. B. Entwicklung in Europa und Produktion in Nord-Amerika. Dies wird zum einen durch den Einsatz von fortschrittlichen Simulations-Tools ermöglicht. Diese „virtuellen“ Entwicklungsprozesse ersetzen in zunehmendem Maße den Bau von Prototypenwerkzeugen und sparen somit Zeit und Geld. In der digitalen Welt werden die einzelnen Komponenten auch hinsichtlich ihrer ZB(Zusammenbau)- Konfiguration optimiert, so dass der erforderliche Reifegrad für eine unmittelbare Erstellung von Serienwerkzeugen gegeben ist. Die Verifikation der Entwicklungsergebnisse mittels Qualifikationstests mit realer Hardware kann dadurch freilich nicht ersetzt werden. Zum anderen werden die Methoden des Projektmanagements verfeinert, um die effektive Zusammenarbeit im Projekt über die gesamte Lieferkette, d. h. vom OEM über den Tier 1 (System- oder Modullieferanten) bis zu den jeweiligen Unterlieferanten (Tier 2 - n), zu gewährleisten (Abb. 1). In der Dräxlmaier Group als System- Abb.฀1: ฀Gestiegene฀Anforderungen฀für฀das฀Projektmanagement projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 aktuell 22฀฀ WISSEN und Modullieferant für Elektrik/ Elektronik und Fahrzeuginterieur wurde folglich diesem Bereich verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet. Projektmanagement฀bei฀Dräxlmaier: ฀Der฀C4P-Ansatz Die erfolgten Strukturierungen im Projektmanagement bei Dräxlmaier lassen sich mit 4 C bzw. dem Kürzel C4P anschaulich beschreiben. Die 4 C stehen hierbei für die Leitbegriffe Commitment, Competence, Cooperation und Communication (Abb. 2). Die englischsprachige Definition hierbei wurde gewählt, um den internationalen Anforderungen des Projektmanagements in der Dräxlmaier Group gerecht zu werden. Commitment ist die Ausgangssituation allen Handelns. Es bezieht sich auf die Verpflichtung der Leitung wie auch der Mitarbeiter für die jeweilige Aufgabe. Dies beinhaltet die Vereinbarung von Zielen (bzw. auch einer Vision) sowie die sich aus der Verpflichtung ergebenden Konsequenzen bei der Durchführung. Competence fächert sich in zwei Dimensionen auf. Zum einen bezieht sich der Begriff auf die geeignete Qualifikation der Mitarbeiter im Projekt, ohne die das Projekt von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Den zweiten wichtigen Aspekt stellt die Entscheidungsbefugnis (Führungskompetenz) des Projektleiters und der Projektmitarbeiter gegenüber den Linienfunktionen dar. Cooperation beschreibt die Art und Weise der Zusammenarbeit. Hierzu gehört die konsequente Definition der zugehörigen Prozesse ebenso wie die Festlegung der Verantwortlichkeiten. Aus dieser Logik ergibt sich dann auch die Aufstellung in Form der Projektorganisation. Communication stellt eine der schwierigsten Disziplinen im Projektmanagement dar. Es geht hierbei in erster Linie nicht darum, die Informationen für alle zugänglich zu machen, sondern aus der Fülle der Informationen die notwendigen Inhalte an die jeweiligen Projektmitarbeiter zu bringen und diese auch mit dem Projektfortschritt aktuell zu halten. Darüber hinaus müssen auch Eskalationsmechanismen für Konfliktsituationen vorgesehen werden. Im Folgenden werden die vier Leitmotive im Einzelnen erläutert. Commitment Viele Projekte scheitern schon beim Startschuss. Werden die Ziele eines Projektes und die Bedeutung für das Unternehmen nicht zu Beginn von der Leitung deutlich gemacht, dann fehlt es schon an der richtigen Ausrichtung. Die verantwortliche Leitung muss ihre persönliche Verpflichtung auf die Projektziele zum Ausdruck bringen und auch während der Projektlaufzeit diese Verpflichtung (Commitment) erlebbar machen. Zum Beispiel durch persönliche Reviews oder Ansprechbarkeit bei Konfliktsituationen. Ebenso müssen sich auch die Mitarbeiter für das Projekt verpflichten. Dies bedeutet, sich konstruktiv mit dem Projektteam auseinander zu setzen und sich auch auf Phasen intensiver Arbeitsbelastungen einzustellen, die sich unweigerlich einstellen. Die Ziele bzw. ggf. auch eine Vision sind klar zu formulieren und müssen auch an den einzelnen Mitarbeiter kommuniziert werden. Darüber ist es sinnvoll, Spielregeln für die Zusammenarbeit festzulegen, was speziell bei internationalen und interkulturellen Projekten hilfreich ist. Aus der Verpflichtung für die Projektziele ergibt sich auch die Konsequenz bei der Umsetzung. Nur nachhaltiges Vorgehen, das auch vor Schwierigkeiten nicht zurückschreckt, bringt den Projekterfolg. Damit bildet das Commitment den Rahmen für die gesamte Projektarbeit und ist folglich für die Projektlaufzeit durchzuhalten. Das Commitment der Leitung wie auch der Mitarbeiter auf das gemeinsame Ziel ist die Grundvoraussetzung für eine motivierte und erfolgreiche Projektarbeit. Competence 1. Qualifikation der Mitarbeiter (persönliche Kompetenz) Der Qualifikation der Mitarbeiter im Projekt kommt entscheidende Bedeutung zu. ❏฀ Fachliche Kompetenz: Sowohl technische als auch kaufmännische Fähigkeiten sind heute gefragt, um die vielfältigen Hürden zu einem erfolgreichen Projektverlauf überwinden zu können. Der hohe Komplexitätsgrad bei der Erfüllung der Spezifikationen eines Automobilproduktes verbunden mit Risiken, die sich aus geforderten Innovationen oder Veränderungen zwecks Kosteneinsparungen ergeben, erfordert fundiertes fachliches Beurteilungsvermögen. Ebenso lassen sich die strengen Qualitätsanforderungen, die heutzutage wieder aktueller sind denn je, nur durch konstruktive Lösungen erreichen. Das verlangt eine konsequente technische Vorausplanung, die auch die Möglichkeiten der Produktion mit in Betracht zieht. Die notwendige Kostendisziplin bedingt ein umfangreiches und nachhaltiges Kostenmanagement im Projekt, das auch gegenüber dem Kunden in professioneller Weise vertreten werden muss. ❏฀ Soziale Kompetenz: Die knappen Ressourcen im Projekt verbunden mit einem extrem zeitlich verdichteten Entwicklungsablauf führen zu einem hohen Grad der Anspannung im Projekt. Den daraus resultierenden zwischenmenschlichen Spannungen müssen der Pro- Abb.฀2: ฀Projektmanagement฀bei฀Dräxlmaier: ฀Der฀C4P-Ansatz aktuell projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 23฀฀ jektleiter und die Schlüsselpersonen im Projekt mit einem abgeklärten Führungsverhalten und einer unerschrockenen Konfliktlösungskompetenz begegnen. Besonders an der Kundenschnittstelle treten jedoch durch den permanenten Kostendruck teilweise derart schwierige Projektphasen auf, dass das Projektteam an die Grenzen seiner Belastbarkeit kommt. Hier muss der Projektleiter seiner Rolle als dickhäutiger Motivator gerecht werden und das Team nach vorne ziehen. Da heutzutage in den Projekten in der Wertschöpfungskette firmenübergreifend (Cross Company) mit Lieferanten oder Systempartnern gearbeitet wird, müssen sich der Projektleiter und seine Mitarbeiter auch in diesem Umfeld souverän bewegen. ❏฀ Interkulturelle Kompetenz: Projekte erfolgen in zunehmendem Maße in einem internationalen Kontext. Sei es, dass in Deutschland entwickelt und in den USA oder einem anderen Land dieser Erde produziert wird oder gar Entwicklungs- und Produktionsressourcen aus verschiedenen Regionen parallel zu koordinieren sind. Damit wird der Umgang mit unterschiedlichen Kulturen zu einem immer wichtigeren Faktor, zumal die Nichtbeachtung dieses Faktors auch der meistunterschätzte Grund für den Misserfolg von Projekten ist. Beispiele gibt es hierfür genug. Hierbei gilt es deutsche Geradlinigkeit mit englischer Gelassenheit oder amerikanischem Teammanagement auszubalancieren. Speziell bei USA-Projekten unterliegen die Projektmitarbeiter so zum Beispiel oft dem so genannten „Similarity Trap“. Das heißt, der Amerikaner sieht genauso aus wie wir und ist aber doch in vielen Dingen anders geprägt. Dieses Anderssein muss verstanden und auch für die Verhaltensweisen in der Projektarbeit berücksichtigt werden. Die฀Nichtbeachtung฀interkultureller฀Faktoren฀ist฀der฀ meistunterschätzte฀Grund฀für฀Projektmisserfolge Insgesamt ist festzustellen, dass diese Kompetenzen natürlich durch Seminare und Fortbildungen vertieft werden können. Wirklich wirksam ist aber nur die langfristige Qualifikation des Projektleitungsnachwuchses, die schon durch geeignete Assessments auch die grundsätzliche Eignung der Mitarbeiter feststellt. Eine Projektfunktion sollte folglich als Karrierebaustein bei der Mitarbeiterentwicklung vorbereitet werden, die dann sowohl dem Projekt wie auch dem Mitarbeiter gerecht wird. Die Praxis ist natürlich unabdingbar, um auf der Projektkarriereleiter weiter nach oben zu kommen und so eines Tages die Disziplin zu beherrschen, um die es im Projektgeschäft heutzutage geht: Den Mangel zu managen! 2. Entscheidungsbefugnisse des Projektleiters und des Projektteams (Entscheidungskompetenz) Bei den Entscheidungsbefugnissen für Projektleiter drückt man sich gerne vor einer genauen Festlegung. Die Problematik liegt im Verhältnis von Projekt zu Linie in der Matrixorganisation. Klassischerweise hatten in diesem Spannungsfeld in der Vergangenheit die Linienfunktionen die Oberhand. Die technische Kompetenz stand im Vordergrund. Mit der zunehmenden Bedeutung der effizienten Projektabwicklung gewinnt die Projektdisziplin an Einfluss. Man wäre versucht zu sagen, projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 aktuell 24฀฀ WISSEN das Projekt hat Vorfahrt! Dies kann aber so nicht gelten, da auch technische Neuerungen und Innovationen heute wichtige Marktanforderungen sind. Generell lässt sich das Spannungsfeld am besten dadurch lösen, dass der Projektleiter über die finanziellen Mittel verfügt und die Linie die fachlichen Ressourcen abstellt. Konflikte müssen durch das Management gelöst werden, was einen hohen Anspruch an eine konsensfähige Unternehmenskultur setzt. Cooperation Um die Zusammenarbeit im Projekt zu organisieren, bedarf es zunächst einer Definition der zugehörigen Abläufe/ Prozesse. Aus diesen ergeben sich die Rollen und Verantwortlichkeiten der jeweiligen Projektmitglieder, die letztendlich in eine aus den Prozessen abgeleitete Projektorganisation münden. Dies stellt einen wichtigen Aspekt dar, um nicht schon mit einer nicht geeigneten Projektorganisation das Vorhaben zu gefährden. Bei internationalen Projekten der Dräxlmaier Group wird zum Beispiel darauf geachtet, dass in den Teilprojekten sowohl die fachliche Kernkompetenz als auch die regionale Kompetenz nachhaltig vertreten ist. Wichtig ist hierbei auch die Einbindung der Führungskräfte aus den verschiedenen Bereichen. Diese können als „Executive Champions“ mit Querschnittsverantwortung für einzelne Teilbereiche, z. B. Produktgruppen, aktiv integriert werden. Ein Projektleiter muss bis Abschluss des Projektes (SOP) auch verantwortlich sein. Dies ist an sich eine Selbstverständlichkeit, aber in der Praxis doch nicht immer gegeben. Eine umfassende Kapazitäts- und Kostenplanung zu Beginn des Projektes ist ebenso Standard. Sie ist jedoch herunterzubrechen auf eine detaillierte Produktgruppenebene mit separater Target-Bildung für jeden Teilprojektleiter. Für Fahrzeugprojekte wurde ein Dräxlmaier-spezifischer Standardentwicklungsprozess definiert: der Simultaneous Engineering Prozess (SEP) (Abb. 3). Er bildet die Prozesse und Verantwortlichkeiten in einem Gesamtmodell ab und ist ein wesentlicher Baustein im Projektmanagement der Dräxlmaier Group. Die vielfältigen Abhängigkeiten der Unternehmensprozesse werden speziell auf die Belange der Projektarbeit hin beschrieben. Damit ist das Projektmanagement systematisch in das Dräxlmaier Management-System (DMS) integriert. Durch Verankerung von präventiven Elementen im Entwicklungsprozess werden bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Entwicklungsprojekt eine hohe Produkt- und Prozessreife erreicht. Gleichzeitig werden die Aktivitäten der verschiedenen im Projekt mitwirkenden Fachbereiche aufeinander abgestimmt. Es gilt im „Gleichschritt“ das Projekt zu durchlaufen und tatsächlich ein Simultaneous Engineering zu realisieren (Abb. 4). Dies umfasst auch die Lieferanten. Neben den Prozessen und Verantwortlichkeiten werden hierbei auch die weiteren Elemente der eingesetzten Methoden, der Informationsobjekte und Daten sowie der zugehörigen IT-Tools erfasst. Zur durchgängigen Steuerung der Prozesse gehören auch Kennzahlen, mittels deren der jeweils aktuelle Status ermittelt werden kann. So sind zum Beispiel Kennzahlen bezüglich der Durchlaufzeiten im Änderungsmanagement oder der Problembehebung aufschlussreich. Mit der Anzahl der i.o.-Teile bei „First of Tool“* kann die Qualität der Entwicklung per Simulation (Virtual Series) bewertet werden. Reifegradbewertungen von Produkt und Prozess zeigen die Differenz zur Serienqualität auf. Sowohl für eine effektive Projektsteuerung als auch für ein wirksames Projektcontrolling wird das Projekt in einzelne Phasen gegliedert. Die Projektphase wird jeweils durch einen Meilenstein beendet (Stage-Gate-Modell). Sind zu diesem Zeitpunkt die Aufgaben in der geforderten Qualität abgearbeitet, kann die Phase abgeschlossen oder auch das „Gate durchschritten“ werden. Des Weiteren sind Instrumente verankert, mit denen einerseits eine kontinuierliche Projektüberwachung und andererseits an den Phasengrenzen eine tief greifende und umfassende Statuserfassung durchgeführt wird. Über eine Ampelschaltung werden Eskalationsmechanismen aktiviert. So ist bei ROT - Gefährdung der Projektziele - die Geschäftsleitung einzubinden. Bei einem Projektreview sollte immer auch dem Team eine Chance zur Reflexion gegeben werden, um eventuell aufgetretene Spannungen oder Missverständnisse aufzuklären. Die฀Synchronisation฀der฀simultanen฀ Prozesskette฀ist฀ein฀wesentlicher฀Baustein฀für฀ erfolgreiche฀Fahrzeugentwicklungsprojekte Neben der Anwendung von Methoden zur effektiven Produkt- und Prozessentwicklung, den Werkzeugen zur vorausschauenden Qualitätsplanung und einer konsequenten Projektüberwachung und -steuerung ist schließlich die Synchronisation der simultanen Prozesskette ein wesentlicher Baustein zur erfolgreichen Abwicklung von * Mit „First of Tool“ sind die ersten Teile aus dem Werkzeug gemeint. Wenn die zu einem hohen Anteil i. O., das heißt in Ordnung sind, spricht das für die Güte der „virtuellen“ Entwicklung. Mit anderen Worten: Die Rate der i.O.-Teile „First of Tool“ ist ein Messkriterium für die Qualität der virtuellen Entwicklung. Abb.฀3: ฀Der฀Simultaneous-Engineering-Prozess฀(SEP)฀bei฀Dräxlmaier aktuell projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 25฀฀ Fahrzeugentwicklungsprojekten. Die Aufgabe ist firmenübergreifend zu lösen, d. h. Cross Company und reicht vom OEM über den Tier 1 bis zum Tier n. Nur wenn alle Parteien zu einem definierten Zeitpunkt („Gates“) ihren Entwicklungsfortschritt mit einem einheitlichen Stand zusammenfahren, kann das Gesamtergebnis beurteilt werden. Dies hört sich einfacher an, als es ist! Lastenhefte und Spezifikationen gilt es über die gesamte Prozesskette abzustimmen und wenn man dann - sozusagen beim letzten Tier (Tier n) - angekommen ist, wieder rückwärts anzupassen. Verschiedene Konstruktionsstände müssen harmonisiert und wiederum mit Prozessplanungsständen abgeglichen werden. Und das Ganze wird von einem dynamischen Änderungsmanagement überlagert, dessen konsequente Verfolgung das gesamte Projektteam vor Herausforderungen stellt. Zumal die erforderlichen kaufmännischen Abgleiche oftmals zähe Entscheidungsprozesse mit sich ziehen, die den Anforderungen zur technischen Umsetzung hinterherhinken. Die Werkzeugfreigabe ist hierbei ein ganz wesentlicher Meilenstein, da spätere Änderungen aufwendig und teuer werden. Nicht synchronisierte Umfänge bei der Teilebemusterung am Ende der Vorserie schlagen dann voll in den Serienanlauf durch. Bei komplexen Produkten wie einem Gesamtinterieur gibt es letztendlich nur eine Antwort für diese Herausforderung: eine vorausschauende Kooperation sowie eine effiziente Kommunikation von allen Beteiligten in der Prozesskette. Communication Die Kommunikation ist sicher nach wie vor der am meisten unterschätzte Faktor im Projekt. Gerade bei internationalen Projekten wird durch räumliche und sprachliche Trennung die Komplexität der Informationsweitergabe zu einer echten Hürde für eine erfolgreiche Projektabwicklung. Missverständnisse oder Defizite bezüglich aktueller Informationen werden zum Teil erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung wahrgenommen, so dass ihre Auswirkungen umso schwerwiegender sind. Der Start eines Projektes mit einem umfassenden Kickoff-Workshop ist unumgänglich, um alle Teammitglieder Abb.฀4: ฀Sychronisation฀der฀simultanen฀Prozesskette฀(Cross฀Company) projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5 aktuell 26฀฀ WISSEN auf den gleichen Stand zu bringen und auch die Kommunikation zwischen den Teammitgliedern durch persönliche Kontakte (Face Time) zu unterstützen. In diesem Rahmen sollte auch die Freigabe des Projektes durch das zuständige Topmanagement erfolgen. Sinnvoll ist die Wiederholung dieser Workshops, sozusagen als Synchronisationspunkte, in einem Zeitraum von cirka sechs Monaten. Das Feedback der Teammitglieder stellt eine wichtige Information für das Management zur Bewertung des Projektes dar. Regelmäßige Abstimmung in einem Steuerkreis (Steering Committee, STC) sichern die Regelkommunikation mit dem Management. Diese Steuerkreise dürfen nicht nur in der Zentrale tagen, sondern müssen auch am Orte des Geschehens, also dort, wo entwickelt und später das Produkt produziert wird, organisiert werden. Dies gewährleistet die regionale Einbindung. Neben den persönlichen Kontakten gilt es, die Informationen im Projekt effizient zu organisieren. Eine Projektdatenbank auf einem allgemein verfügbaren Laufwerk stellt hierbei einen üblichen Standard dar. Darüber hinaus bieten heute aber so genannte „E-Rooms“ Plattformen an, in denen sich Informationen in übersichtlicher Weise aktuell halten lassen. Weiterhin können in solche Plattformen auch interaktive Komponenten integriert werden, mittels deren die Projektmitglieder sich in einem informellen Rahmen zu den Themen austauschen können. So kann in einem Kreis von Experten ein Erfahrungsaustausch zu konkreten aktuellen Fragestellungen organisiert werden. Eine strukturierte Verteilermatrix zu den diversen Besprechungsprotokollen (gezielte Information! ) macht die Informationsverbreitung übersichtlich. Eindeutige Kommunikationswege zum Kunden sind unabdingbar, um zum aktuellen Zeitpunkt auch die jeweils aktuelle und richtige Information weitergeben zu können. Missverständnisse können hier schnell zu einem erheblichen Mehraufwand an Kommunikation führen! Ein ständiges Auf-dem-Laufenden-Halten aller Beteiligten zu allen Themen ist auch kontraproduktiv, da dies nur zu einem Hetzen von Besprechung zu Besprechung führt, ohne dass die Arbeit erledigt wird. Hierfür gibt es Meilensteine, zu denen eine definierte Synchronisation durchgeführt wird. Ein gewisses Vertrauen in die Arbeit des anderen - auch firmenübergreifend - ist dabei Grundvoraussetzung. Bei Beachtung des zweiten C (Competence) sollten die Grundlagen dafür gegeben sein. Die Durchführung von Lieferantentagen unterstützt die Kommunikation entlang der Prozesskette. Nicht zuletzt ist auch ein „Lessons Learned“-Prozess zu organisieren, der die gewonnenen Erfahrungen anderen Projektteams zugänglich macht, zum Beispiel durch Schulungen zu Projektbeginn. Hierzu eignen sich auch Wissensspeicher und KVP-Prozesse, über die u. a. Erkenntnisse aus der Serienproduktion zu den Entwicklern zurückgespielt werden. Fazit Um den heutigen Rahmenbedingungen für das Projektmanagement gerecht zu werden, müssen die Prozesse und Strukturen für die Projektarbeit (Cooperation) weiterentwickelt werden. Darüber hinaus sind weiter gehende Anforderungen an die Verpflichtung des Managements bzw. der Mitarbeiter (Commitment), die Qualifikation derselben (Competence) als auch an den Informationsfluss (Communication) zu erfüllen. Dies alles ist in einem ganzheitlich vernetzten Ansatz umzusetzen. Daher sind im C4P-Konzept alle vier Schlüsselfaktoren gleichermaßen bedeutsam und konsequent zu beachten, um den Projekterfolg zu gewährleisten. Darüber hinaus muss aber auch das Zusammenspiel derselben effektiv und effizient gestaltet werden, um den maximalen Wirkungsgrad zu erreichen. Dies gilt für die gesamte Projektlaufzeit. Abschließend ist zu bemerken, dass Spielregeln auch gelebt werden müssen. Dafür steht das erste C mit dem Commitment des Managements und der Mitarbeiter. ■ Literatur [1]฀Hab,฀G.; ฀Wagner,฀R.: ฀Projektmanagement฀in฀der฀Automobilindustrie.฀Wiesbaden฀2004฀(siehe฀hierzu฀die฀Besprechung฀ auf฀Seite฀39฀in฀diesem฀Heft) [2]฀Hoffmann,฀H.; ฀Schoper,฀Y.; ฀Fitzsimons,฀C.฀(Hrsg.): ฀Internationales฀Projektmanagement.฀München฀2004 [3]฀Tuczek,฀H.: ฀Projektmanagement฀in฀dem฀sich฀wandelnden฀ Umfeld฀der฀Automobilindustrien.฀Tagungsband฀GPM-Expertentagung,฀Darmstadt฀2003 [4]฀Tuczek,฀H.: ฀Projektmanagement฀im฀Spannungsfeld฀ von฀Qualitätsanforderungen฀und฀knappen฀Ressourcen.฀ Tagungsband฀GPM-Expertentagung,฀Darmstadt฀2004 Schlagwörter Kommunikation฀in฀Projekten,฀Projektmanagement฀in฀der฀ Automobilindustrie,฀Qualifikation฀der฀Projektbeteiligten,฀ Simultaneous฀Engineering,฀Stage-Gate-Modelle Autor Dr.-Ing.฀Hubertus฀C.฀Tuczek; ฀nach฀ dem฀Studium/ Promotion฀der฀Elektrotechnik฀an฀der฀TU฀München฀mit฀ Auslandsstudium฀in฀Australien฀und฀ Frankreich฀übernahm฀er฀eine฀leitende฀ Funktion฀im฀Qualitätsmanagement฀des฀ DaimlerChrysler-Konzerns.฀Seit฀1997฀ ist฀er฀bei฀der฀Dräxlmaier฀Group.฀In฀ der฀Geschäftsleitung฀verantwortet฀er฀den฀Bereich฀„International฀Business“฀sowie฀die฀Zentralfunktionen฀Corporate฀ Quality฀und฀Einkauf. Anschrift Dräxlmaier฀Group Geschäftsleitung Landshuter฀Straße฀100 D-84137฀Vilsbiburg Tel.: ฀0฀87฀41/ 47฀10฀05 E-Mail: ฀Tuczek.Hubertus@draexlmaier.de www.draexlmaier.de aktuell projekt฀ M A N A G E M E NT ฀ 3/ 20 0 5