PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
31
2006
171
Gesellschaft für ProjektmanagementPunktlandung: Ab 4. Oktober konnten Kaffee-Kunden „tchibofonieren“
31
2006
Oliver Steeger
Von dem Verkauf von Kaffeebohnen allein finanziert sich der Hamburger Röster Tchibo schon lange nicht mehr. Wöchentlich räumt Tchibo ein neues Warensortiment in die Regale seiner bundesweit 900 Filialen ein: je nach Saison Skijacken, Bügeleisen, Spielzeug, Uhren, Heimwerker-Werkzeug oder Stereoanlagen. Am 4. Oktober 2004, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft, wagte sich die norddeutsche Kette allerdings auf neues Terrain. Gemeinsam mit dem Mobilfunkanbieter O2 Germany machte sie ihrer Kundschaft das „Tchibofonieren“ schmackhaft. Sie stellte ein eigenes Mobilfunkprodukt mit günstigem Ganztags-Einheitstarif vor. Doch vor dem Aufsehen erregenden Marktstart hatte O2 Germany in einer Blitzaktion seine technischen Hausaufgaben zu machen. Binnen zehn Monaten gelang es dem Projektteam von O2 Germany, die technische Infrastruktur für dieses hanseatisch-bayerische Joint-Venture bereitzustellen. Lohn für die Müh’: Das Projekt trug zum größten Quartalswachstum in der Geschichte des Unternehmens bei, und das für die Technik zuständige Team um Projektleiter Josef Gigl holte den „Deutschen Projektmanagement Award 2005“ der GPM nach München.
pm1710003
3 REPORT Punktlandung: Ab4.OktoberkonntenKaffee- Kunden„tchibofonieren“ Projektmanagement-AwardgingnachMünchenzu„O 2 Germany“ OliverSteeger VondemVerkaufvonKaffeebohnenalleinfinanziertsichderHamburgerRösterTchibo schonlangenichtmehr.WöchentlichräumtTchiboeinneuesWarensortimentindieRegaleseinerbundesweit900Filialenein: jenachSaisonSkijacken,Bügeleisen,Spielzeug, Uhren,Heimwerker-WerkzeugoderStereoanlagen.Am4.Oktober2004,pünktlichzum Weihnachtsgeschäft,wagtesichdienorddeutscheKetteallerdingsaufneuesTerrain. GemeinsammitdemMobilfunkanbieterO 2 GermanymachtesieihrerKundschaftdas „Tchibofonieren“schmackhaft.SiestellteeineigenesMobilfunkproduktmitgünstigem Ganztags-Einheitstarifvor.DochvordemAufsehenerregendenMarktstarthatteO 2 GermanyineinerBlitzaktionseinetechnischenHausaufgabenzumachen.BinnenzehnMonaten gelangesdemProjektteamvonO 2 Germany,dietechnischeInfrastrukturfürdieseshanseatisch-bayerischeJoint-Venturebereitzustellen.LohnfürdieMüh’: DasProjekttrugzum größtenQuartalswachstuminderGeschichtedesUnternehmensbei,unddasfürdieTechnikzuständigeTeamumProjektleiterJosefGiglholteden„DeutschenProjektmanagement Award2005“derGPMnachMünchen. „H ermes“ war streng vertraulich. Sogar am Münchner Georg-Brauchle-Ring, wo der Mobilfunkanbieter O 2 Germany seine Deutschlandzentrale hat , wussten nur wenige etwas über das Projekt „Hermes“. Verschwiegenheitserklärungen wurden unterzeichnet, Projektakten gegen Zugriff von außen abgeschirmt und Türen bei Besprechungen gelegentlich fest verschlossen. Gegenüber den Mitbewerbern wollten die Mobilfunker den Zeitvorsprung halten. Ihr Coup: Gemeinsam mit dem hamburgischen Kaffeeröster Tchibo hatten die Münchner ein Joint-Venture geschlossen. Zwei auf den ersten Blick grundverschiedene, doch bei näherem Hinsehen sich gut ergänzende Partner hatten zueinander gefunden. O 2 Germany brachte Mobilfunktechnik mit in die Ehe ein. Tchibo steuerte eine hochbegehrte Kundenklientel bei: Frauen über 30 Jahre, zumeist mit Familie, beim Einkauf spontan entscheidend und doch auf Preise und die Produktmarken blickend. „Budgeters“ heißt die Zielgruppe bei den Marketingstrategen, und für Tchibo gilt, dass Budgeters in den Kaffee-Shops mehr als nur Kaffee kaufen. Nämlich auch, so mutmaßten die Marketingleute, Handys und Prepaidkarten. „Tchibofonieren“ab4.Oktober2004 So wollten die beiden Partner über die rund neunhundert Tchibo-Filialen und unter dem Logo der Tchibo- Marke „TCM“ diese Zielgruppe erreichen. Das Kunstwort „Tchibofonieren“ sollte für Telefonieren zu einem fairen, leicht verständlichen und einheitlichen Rund- GlücklicheAwardgewinnerbeiO 2 Germany: AxelStoßno(TechnicalDesign Lead),technischerGesamtprojektleiterJosefGigl,FlorianRang(technischer TeilprojektleiterPortalsysteme),SandraGoll(LeiterinProjectOffice),Bernd Reuschenberg(TeilprojektleiterInformationSystems). Foto: OliverSteeger projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd3 20.12.200517: 09: 24Uhr 4 REPORT um-die-Uhr-Tarif stehen. Ohne näheren Blick hinter die Marketing-Kulisse lässt sich die bemerkenswerte hanseatisch-bayerische Kooperation nicht begreifen. O 2 Germany ist kein Leichtgewicht im Mobilfunkmarkt. Das Unternehmen zählt fast 8,4 Millionen Kunden und über 4.000 Mitarbeiter. Mit seinem Slogan „O 2 can do“ und seinen auffälligen blauen Blasen („Bubbles“) hat sich das Unternehmen einen Namen gemacht. Rund 94 Prozent der Verbraucher ist die Marke aus München ein Begriff. Tchibo wiederum kennen 99 Prozent der Verbraucher. Weshalb aber eine Allianz zwischen zwei Markenunternehmen, die nahezu jeder kennt? Die Antwort: Beide Unternehmen haben unterschiedliche Zielgruppen. O 2 Germany sah bei den Budgeters noch viel Potenzial für seine Marke. Auf diesem von Tchibo gut erschlossenen Terrain wollten die Mobilfunker einen kräftigen Wachstumsschub bewirken und damit ihre Marktposition stärken. In Zahlen: In den fünf Jahren nach Verkaufsstart sollten über den Kaffeeröster zwischen 600.000 und 1,3 Millionen Kunden zusätzlich gewonnen werden. Versteht sich, dass beim O 2 -Topmanagement die Liaison mit Tchibo Chefsache war und dass der Verkaufsstart des neuen Produkts am 4. Oktober 2004 ein wichtiger Meilenstein in der Firmengeschichte beider Unternehmen werden sollte. Die Strategen bewiesen den richtigen Riecher: Direkt am ersten Tag gingen 20.000 Mobiltelefone über die Ladentheke, allein im ersten Quartal nach Verkaufsstart gewann O 2 Germany 146.000 zusätzliche Tchibo-Kunden hinzu. „Stiftung Warentest“ und Fachzeitschriften wie „Computer Bild“ und „Connect“ räumten dem neuen, übersichtlichen Angebot den Spitzenplatz unter den deutschen Mobilfunkofferten ein. Nur knapp ein Jahr später zog Rudolf Gröger, CEO von O 2 Germany, auf einer Pressekonferenz Bilanz. „Tchibo und O 2 haben mit dem Start ihres Joint-Ventures vor einem Jahr den Mobilfunkmarkt verändert“, meinte er mit Verweis auf die rund 435.000 neuen Kunden, die sein Unternehmen durch die Kooperation gewonnen hat. Stephan Swinka, Vorstandsmitglied von Tchibo, ergänzte: „Als First Mover haben wir einen Einheitstarif für den Prepaid-Markt entwickelt und damit den Markt revolutioniert.“ Der Glanz des Verkaufserfolgs fiel auch auf das Team zurück, das ihn technisch binnen kürzester Zeit - nur zehn Monaten - ermöglicht hat. Das Mobilfunkunternehmen O 2 Germany (ein Tochterunternehmen von O 2 plc) verfügt in Deutschland über ein eigenes Mobilfunknetz (über 9.000 GSM- und mehr als 3.100 UMTS-Basisstationen) und bietet ein nahezu flächendeckendes Mobilfunknetz. Der Mutterkonzern O 2 plc in London hat 24,6 Millionen Kunden in Großbritannien, Irland und Deutschland. In Deutschland hat O 2 Germany 8,3 Millionen Kunden, davon 4,5 Millionen so genannte Postpaid-Kunden mit langfristigem Vertrag. Deutschlandweit beschäftigt O 2 Germany rund 4.000 Mitarbeiter. In seinem Vertriebsnetz unterhält O 2 Germany unter anderem 540 O 2 -Shops und O 2 -Partnershops (alle Zahlen Stand 30. Juni 2005). ÜberO 2 Germany Aktivitäten Jan 04 Feb 04 Mrz 04 Apr 04 Mai 04 Jun 04 Jul 04 Aug 04 Sep 04 Okt 04 Nov 04 Gate 0 Feasibility/ Analyse Gate 2 High Level Design Design & Development Testing Lab E2E Test Lab NW, IS, O2SG IS Rollout Live Implementation Testing/ FOA E2E Test Live CRT/ FUT Commercial Launch Postlaunchphase MitzweiMonatenwenigeralsbeisolchenProjektenüblichmusstedasHermes-Teamauskommen. FürPuffertageundReserve-WochenbliebbuchstäblichkeineZeit. MitseinemProjekt„Hermes“nahmO 2 GermanyinMünchenerstmaligeinProjektdieserGrößenordnunginAngriff.DerErfolgdesmutigenVorhabensblieb nichtaus. Foto: O 2 Germany Grafik: O 2 Germany aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd4 20.12.200517: 09: 26Uhr 5 EiserneinzuhaltendeDeadline-undkeine Terminpuffer Man braucht kein erfahrener Projektleiter zu sein, um den Erfolgsdruck zu erahnen, der angesichts des zu erwartenden Marktdurchbruchs auf dem Projektteam lastete. Am 19. Januar 2004 startete das Team. Eine der harten Nüsse, die es zu knacken hatte: der eisern einzuhaltende Termin, die unumstößliche Deadline. „Nach dem 4. Oktober hätten wir das Produkt nicht mehr so erfolgreich zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt bringen können“, sagt Projektleiter Josef Gigl, „bis zum Endtermin musste also die Technik für das neue Produkt unter dem Tchibo-Logo angepasst sein.“ Nach herkömmlicher Planung hätte sein Team die Technik fürs „Tchibofonieren“ eigentlich nicht vor Dezember bereitstellen können. Seine Mannschaft musste sprinten und zweieinhalb Monate aufholen. Kompromisse bei der Qualität kamen nicht in Frage. Das neue Prepaid-Produkt musste ein vollständiges Tchibo-Produkt werden. Nichts sollte an die O 2 -eigene Prepaid-Marke „Loop“ erinnern. Nötig waren eigene SIM-Karten, jene Chipkarten, die der Kunde ins Handy einsteckt, um es im Netz anzumelden. Zudem mussten Gutscheine, Meldungen und Ansagen der neuen Marke angepasst werden. Sogar im Call- Center wurde zwischen den Kunden von O 2 und Tchibo unterschieden. „Die Bereitstellung unserer Dienste mit dem Tchibo-Branding war eine bisher einzigartige und spannende Aufgabe“, meint Florian Rang, als technischer Teil-Projektleiter im Hermes-Team zuständig für Portalsysteme. Sein Kollege Bernd Reuschenberg (Teilprojektleiter Information Systems) fügt an: „Die Kooperation mit einem solchen Partner war für mich eine ganz besondere Motivation.“ 31technischeSystemeundPlattformen Das Team musste 31 technische Systeme und Plattformen anpassen und sieben Lieferfirmen sowie 80 Mitarbeiter beteiligen. Bei aller Euphorie und Begeisterung der Mannschaft - das Team nahm mit der um zwei Monate verkürzten Entwicklungszeit einige Risiken in Kauf. Auf Termin-Puffer bei seiner Zeitplanung musste es völlig verzichten. Die rechtzeitige Entwicklung der Software zeichnete sich als Wagestück, als Risiko für den Projekterfolg ab. Für einen umfassenden Produkttest blieb wenig Zeit. Hier musste sich das Team mit sehr gezielten Tests die nötige Sicherheit verschaffen - und womöglich kleinere technische Probleme und Fehler („Bugs“) nach Verkaufsstart noch beseitigen. Auch macht der Projektleiter heute keinen Hehl daraus, dass es bei den Ressourcen Engpässe gab - und dass O 2 Germany mit „Hermes“ erstmalig ein bereichsübergreifendes Projekt dieser Größenordnung in Angriff nahm. So musste sich das Team um Projektleiter Josef Gigl der Herausforderung stellen und die zehn Monate, die ihm zur Verfügung standen, bestmöglich nutzen. Er sagt: „Uns war klar, dass wir unser Managementkonzept für das Hermes-Projekt so einfach und wirkungsvoll wie möglich halten mussten.“ Der Projektleiter machte Anleihen bei den O 2 -internen Projektprozessen seines Unternehmens sowie bei den Vorgehensmodellen der GPM, insbesondere bei „Project Excellence“, dem Modell, das RudolfGröger,ChiefExecutiveOfficervonO 2 Germany, lobtedasHermes-Projekt: „TchiboundO 2 habendenMobilfunkmarktverändert.“ dem „Deutschen Projektmanagement Award“ zugrunde liegt. Die Nähe zur „Best-Practice“-Philosophie der GPM hat sich, so sagt er, für sein Projekt gelohnt. EinfachheitundKonsequenz-dieErfolgsfaktoren! „O 2 can do“, diesen Slogan haben die Münchner Mobilfunker vor einigen Jahren gewählt. Klar, offen, ehrgeizig und vertrauenswürdig will das Unternehmen an seine Herausforderungen herangehen. Projektleiter Josef Gigl hat in seinem Projekt erfahren, dass er mit vergleichsweise pragmatischem und konsequentem Vorgehen am ehesten zum Ziel kommen kann. Heute spricht er souverän von einem „Wasserfall des Erfolgs“. Er steckt, wenn er über sein Projekt spricht, mit wenigen Stichwörtern die sieben Stufen dieses Wasserfalls ab. Der „Wasserfall“ führt von klaren Zielvorgaben des Managements zu einem reibungslosen, effektiven und frühen Projektstart; er gibt einem Projekt eine gute „Pole Position“ und lässt das Team Spielräume gewinnen. Weiter führt der Weg über klare Anforderungen und ein rigoroses Änderungsmanagement, über striktes Terminmanagement und die mögliche Parallelisierung der Aufgaben sowie über ein intelligent konzipiertes Qualitätsmanagement, das Doppelarbeit vermeiden hilft und für das das Team sogar externe Berater verpflichtete. Außerdem sind zusätzliche Testaktivitäten nötig - und freilich der Einsatz und das Engagement der Mitarbeiter im Team. Das sind im Kern die Erfolgsfaktoren. Foto: O 2 Germany projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd5 20.12.200517: 09: 27Uhr 6 REPORT Doch wie kann ein Projektteam, das über so wenige Arbeitswochen für sein Vorhaben verfügt, sicher ans Ziel kommen? Ein Weg ist es, sich gewissermaßen einzuschließen und dann nach der Devise „Augen zu und durch“ die Arbeiten ungestört zu erledigen. Projektleiter Josef Gigl wählte einen anderen Weg. Er setzte nach allen Regeln des Projektmanagements sein Projekt auf und band dann sorgfältig die Stakeholder ins Projekt ein. Aber: Viele Köche verderben den Brei. Und droht das Team nicht Zeit zu verlieren, wenn jeder sich zu Wort melden darf und seine Interessen, Bedürfnisse und Animositäten berücksichtigt sehen will …? Nein, eben nicht. FrüheundgründlicheStakeholderanalyse Wer die Interessen der Stakeholder ignoriert, schiebt die Probleme nur vor sich her. Am Ende des Projekts drohen sich die Probleme und Konflikte mit Kunden, Kollegen, Mitarbeitern, Lieferanten und anderen Gruppen zu einer gewaltigen Hypothek zu summieren, die sich angesichts des Termindrucks nicht mehr abtragen lässt. Die Alternative: die Probleme möglichst vorwegnehmen und systematisch etwaige Unstimmigkeiten im Vorfeld klären. Sandra Goll, Leiterin des Project Office, fasst diese Strategie in andere Worte: „Ein grundlegender Erfolgsfaktor unseres Projekts war die Fähigkeit des Teams, schnell und flexibel auf Änderungen im Umfeld zu reagieren.“ Sie kommt schnell auf die Stakeholderanalyse zu sprechen. „Wir brauchten die richtigen Informationen aus der Umgebung des Projekts“, erläutert sie. Welche Faktoren beeinflussten das Projekt mit welchen Potenzialen und Problemfeldern? Welche Konsequenzen konnten diese Faktoren für die einzelnen Phasen im Projekt haben? Wie konnte das Team seine Kommunikation im Projekt und seine Beziehungen zum Umfeld verbessern? 31 interne und externe Stakeholder entdeckte das Team. Fünf von ihnen - darunter der Endkunde - galten als kritisch. „Die Analyse offenbarte mögliche Projektrisiken, die sich aus Widersprüchen zwischen den jeweiligen Erwartungen ergaben“, berichtet Josef Gigl. Auf diese „kritischen“ Gruppen ging das Team zu, protokollierte Erwartungen, baute feste Verbindungen auf, installierte ein System für regelmäßiges Feedback und ließ sie das Projekt gewissermaßen mitsteuern. Entscheidend dabei: Die Bedürfnisse und die Zufriedenheit der Stakeholder dürfen nicht „aus dem Bauch heraus“ beurteilt werden. Das Hermes-Team entwickelte beispielsweise standardisierte Fragebögen zu Projektverlauf und Projektleitung; so konnte es die Zufriedenheit messen und aufgrund der Zahlen Schwachstellen beseitigen. „Feedbackmanagement“ nennt das Team diese Methode. KommunikationswegeinMatrixfestgelegt Für zeitkritische Projekte gilt, dass die Kommunikation reibungslos funktionieren muss. Das Hermes-Projektteam plante den Informationsfluss sorgfältig. Wie auf einem Blockschaltbild hat es die einzelnen Informationspartner angeordnet, darunter Stakeholder wie beispielsweise Tchibo, das O 2 -Topmanagement, das gemeinsame Joint-Venture-Unternehmen, das Programm- und Produktmanagement, das Linienmanagement und das Steeringkomitee, die Lieferanten sowie das eigene Team mit seinen drei Teilprojekten. Pfeile verdeutlichen auf diesem Bild überschaubar, wer (über wen) mit wem spricht; in einer Legende sind die Prozesse festgehalten, beispielsweise „wöchentliches Meeting“, „wöchentlicher Report“, „Monatsbericht“, „Teilnahme an Meetings bei Bedarf“ oder „informeller Kontakt“. Sandra Goll betont: „Die Informations- und Kommunikationsbedürfnisse der Stakeholder rangieren bei dieser Konzeption an erster Stelle.“ Das Team habe mit dieser Priorität gute Erfahrungen gesammelt. Das Team sozusagen als Info-Dienstleister? Ja, ganz genau. Kommunikation ist eindeutig „Bringschuld“ in einem Spitzen-Projekt. Im Team selbst fanden unter anderem alle drei Wochen Projektkonferenzen statt; das gesamte technische Team war eingeladen. Doch merkt der Leiter des preisgekrönten Projekts augenzwinkernd auch die Grenzen der Planbarkeit an: „In einem Projekt haben informelle, kleine Gespräche im Büroflur, in der Mittagspause und nach Meetings eine große Wirkung.“ Solche Gespräche seien, obgleich ungeplant, in ihrer Bedeutung gewiss nicht zu unterschätzen. DiplomatischeFührungtrotzdesZeitdrucks Hinweise auf die Bedeutung solcher nicht planbaren „informellen Kommunikation“ in der Projektarbeit gibt Josef Gigl immer wieder. Er spricht davon, wie hilfreich der Smalltalk mit Projektgebern vor und nach den offiziellen Sitzungen ist, wie entscheidend der Plausch mit Mitarbeitern und das „offene Ohr“ für sein Team ist. Projektmanager in Zeitnot neigen manchmal dazu, die Sacharbeit der Beziehungsarbeit vorzuziehen - besonders bei der Teamführung. Ihnen entgeht, wenn einzelne Mitarbeiter überlastet sind, wenn die Stimmung sinkt und Konflikte verborgen schwelen. Zu besonders belasteten und mit Arbeit eingedeckten Mitarbeitern hielten die (Teil-)Projektleiter nachdrücklich Kontakt und boten ihnen Coaching an. Überlastungen durfte es nicht geben, sie sind ein Warnsignal. So rechnet man in München auch die Tatsache zu den Projekterfolgen, dass niemand seinen Urlaub verschieben musste - auch nicht während Tchibo Joint Venture O 2 Managing Directors Steering Committee Technische Teilprojektleit -ung O 2 SG Technische Teilprojektleit -ung NW O 2 Linienmanage -ment Technische Projektleitung „Technical Delivery“ Programme Management Projektteam „Technical Delivery“ Lieferanten Technische Teilprojektleit -ung IS Product Management (AG) 1 2 4 5 6 7 8 1 1 2 2 3 4 Tchibo Joint Venture O 2 Managing Directors Steering Committee Technische Teilprojektleitung O 2 SG Technische Teilprojektleitung NW O - 2 Linienmanagement Technische Projektleitung „Technical Delivery“ Programme Management Projektteam „Technical Delivery“ Lieferanten Technische Teilprojektleitung IS Product Management (AG) 1 2 4 5 6 7 8 1 1 2 2 3 Sorgfältiggeplant: WieineinemBlockschaltbildhatdasProjektteam Kommunikationswegefestgelegt. Grafik: O 2 Germany aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd6 20.12.200517: 09: 28Uhr 7 der kritischen Implementierungsphase im Hochsommer. Weiteres Indiz: Die Krankheitsrate im Team, die häufig als Zeichen der Überlastung interpretiert wird, lag deutlich unter dem Unternehmensschnitt. „Diplomatische Führung“ nennt Josef Gigl seine Art und Weise, wie er seine Mitarbeiter motiviert. Bereits beim Kick-off-Meeting hat er ihnen diese Führungskultur vermittelt. Bei nachfolgenden Meetings praktizierte er sie konsequent, auch dann, wenn er selbst unter Termindruck stand. „Mir war es ein wichtiges Anliegen, für gute Rahmenbedingungen im Projekt zu sorgen, jedem Mitarbeiter die Ziele, den Sinn und Zweck des Projekts klar zu machen und ihm Handlungsspielräume für eigenverantwortliches Arbeiten zu geben“, sagt er. Das bedeute offene Kommunikation, Präsenz und Zielstrebigkeit. Aber auch das „Einfordern von Verbindlichkeit zu jeder Zeit“. TransparenzundEigenverantwortung Solche Transparenz und offene Kommunikation sind immer eine Gratwanderung, wenn das Projekt selbst vertraulich ist. „Unseren Anspruch an Transparenz mit Leben zu füllen war eine Herausforderung für mich“, meint Josef Gigl rückblickend. Ein Ziel der Kommunikation: Die Abwicklungsstrategie des Projekts musste in der Praxis immer wieder überarbeitet, in Frage gestellt und kontrolliert werden. Letztlich hilft diese Reflexion über die eigene Vorgehensweise auch, die Mitarbeiter ins Projekt noch besser einzubinden. Konsequent folgte Josef Gigl seinem ehrgeizigen Führungsziel, soweit es ging, bei Meetings und Konferenzen mit offenen Karten zu spielen, die Mitarbeiter bei der Suche nach Lösungen und Entscheidungen einzubinden und damit letztlich auch die Eigenverantwortung seines Teams zu stärken. Beispielsweise übernahmen einzelne Designer im Laufe des Projekts das Lieferantenmanagement - Aufgaben, die mehr Verantwortung erforderten. „Uns war es wichtig, die Mitarbeiter während der Projektlaufzeit wachsen zu lassen und ihnen Zukunftschancen zu eröffnen“, berichtet Josef Gigl. Regelmäßige „Performance-Dialoge“ mit den Mitarbeitern flankierten diese Strategie. In diesen Gesprächen sollen regelmäßig individuelle Ziele abgesteckt, die erbrachten Leistungen verfolgt und Ergebnisse gewürdigt werden. Zudem hat das Team fünfmal während des Die Kooperation mit Tchibo O 2 Telekommunikation: Dienste & Infrastruktur Tchibo Mobil Joint Venture: Kundengewinnung & Kundenmanagement Tchibo Marke & Marketing & Vertrieb & Logistik „Tchibo-Mobil“-Tarif Prepaid - „Der erste Schritt“ DasKooperationsmodelldesHermes-Projekts: „Tchibofonieren“mitO 2 Germany projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd7 20.12.200517: 09: 29Uhr 8 REPORT zehnmonatigen Projekts die Mitarbeiter mit Fragebögen befragt und die Stimmung in dem bis zu achtzigköpfigen Team gemessen. Es erstellte eine Trendanalyse. Der Zufriedenheits-Wert pendelte sich im Zielbereich von rund 85 Prozent ein. Nicht ohne Stolz meint Josef Gigl: „Bei einem Projekt mit enormem Erwartungsdruck auf alle Beteiligten ist dies außergewöhnlich und besonders erfreulich zu werten.“ Ja, und es sei auch ein Kompliment an die Führung. ProzessfürProduktentwicklung„madeby O 2 Germany“ Mit einem eigenen Prozess-Modell entwickelt O 2 Germany seine neuen Produkte. Der Prozess startet damit, dass ein Marktpotenzial erkannt wird, und er endet mit der (erfolgreichen) Einführung. Sechs Stufen - durch so genannte Gates voneinander getrennt - umfasst der Prozess. Am Anfang steht die Ideenentwicklung. Diese Ideen werden ins Unternehmen „eingespeist“ und auf strategische Eignung und möglichen Nutzen geprüft; aus den losen Gedanken werden schlüssige und überzeugende Konzepte formuliert. Auf den nächsten Stufen wird das Konzept verfeinert, werden Anforderungen und Definitionen festgelegt, wird die nötige Technik erstellt und das Produkt in den Markt eingeführt. Immer eingeplant: In der Vorprojektphase wird ein gewisser Anteil der Prozessergebnisse gewissermaßen an den Gates als noch nicht ausgereift abgewiesen; diese Punkte müssen überarbeitet werden. Bei der Ideengestaltung muss noch rund die Hälfte des „Rohmaterials“ in die Revision. Mit jedem höheren Gate bis zum Projektstart sinkt dieser Anteil. Die Spreu trennt sich vom Weizen. Das Projekt folgt früh der vorgezeichneten Spur. Indes, trotz ausgeklügelter Planung mit Stufen und Gates droht einem Projekt von zwei Seiten her Gefahr. Zum einen können die „normalen“ Projektrisiken die Arbeiten behindern und erschweren. Zum anderen können Änderungen seitens des Kunden das Projekt unsicher machen; gerade unter IT-Projektleitern sind neue und zusätzliche Anforderungen als „Störungsquelle“ berüchtigt. Die klassische Risikoanalyse hilft bekanntlich, mögliche Risiken aufzuspüren sowie die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts und ihre Wirkung auf das Projekt zu ermitteln. In einem bereichsübergreifenden Risiko-Register erfasste das Hermes-Team die Gefahren sowie mögliche Gegenmaßnahmen; mindestens wöchentlich prüfte und aktualisierte das Team dieses Register. Ähnlich formalisiert begegnete es einem möglichen Wildwuchs an zusätzlichen und geänderten Anforderungen. Die ursprünglichen Projektanforderungen waren fest vereinbart. Mit einem eigenen Formular wurden neue Anforderungen direkt auf ihre Auswirkungen hinsichtlich des Projektumfangs und vor allem des Zeitplans geprüft. Binnen fünf Tagen, so verpflichteten sich die Teilprojektleiter, mussten die neuen Anforderungen geprüft und Änderungen in die Wege geleitet werden. Termintreue„aufKosten“derKosten? Viel wird über das allen Projektmanagern bekannte „Magische Dreieck“ (Budget - Zeit - Qualität) gesprochen. Ist ein Projekt zu sehr auf einer Ecke des Dreiecks positioniert, kippt das Gleichgewicht. Konkret: Unterfinanzierte Projekte drohen sich in die Länge zu ziehen; zeitkritische Projekte können teuer werden und sie verfehlen womöglich auch Qualitätsziele. Ein ehernes Gesetz? Das Münchner Hermes-Projekt scheint den Gegenbeweis zu liefern - obwohl das Top-Management die Direktive „Termin vor Kosten“ ausgegeben hatte. Es unterschritt das vorgegebene Budget im „deutlich zweistelligen Prozentbereich“, eine Ersparnis von in summa weit mehr als einer Million Euro. Und trotzdem übertraf das Team die Qualitätserwartungen. O 2 Germany akzeptierte, dass mit Blick auf den eng gesteckten Zeitplan technische Fehler eventuell noch nach Marktstart ausgebügelt werden mussten. Mit sehr gezielten Testläufen hielten sich die Nachbesserungen in Grenzen. Bedeutungsvoll nennt Josef Gigl den „Mini- Friendly-User-Test“ mit Endkunden, der sich den internen Tests anschloss. Ein unkonventionelles Vorgehen: Sechs ausgewählte Kunden aus der Zielgruppe durften mit den ersten Geräten telefonieren und die Technik testen. Alle zwei Tage sendeten sie E-Mails an das Team. „Zum Glück“, wie Josef Gigl meint. Schon am zweiten Tag des Tests stellten diese „Friendly User“ einen Konfigurationsfehler fest, der den Verkaufsstart gefährdete. „Da musste schnell eine Entscheidung getroffen und Abhilfe geschaffen werden“, berichtet der Projektleiter. Erleichterung und eine Spur Genugtuung schwingen heute in seiner Stimme mit, wenn er von der in letzter Minute umschifften Klippe berichtet. Ausschließen kann man solche Risiken - ob technischer oder anderer Natur - in keinem Projekt. Entscheidend ist nur, dass man sich auf sein Management und seine Prozesse, die Kommunikation und die Planung verlassen kann. Und besonders auf sein Projektteam. „Bei solchen gemeisterten Problemen stelle ich fest, dass sich jede Minute, die man in sorgfältiges Projektmanagement steckt, am Ende rentiert“, sagt der Münchner Projektleiter. ■ DasAwardgewinner-TeamhatbinnenkürzesterZeit31technischeSystemeund Plattformenangepasstunddamitdas„Tchibofonieren“technischermöglicht. Foto: O 2 Germany aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd8 20.12.200517: 09: 31Uhr
