PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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Gesellschaft für ProjektmanagementProjektmanagement geht zu selten über die Standards hinaus
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David Barcklow
Erst in den letzten zehn bis 15 Jahren hat Projektmanagement in Deutschland so stark an Bedeutung gewonnen, dass zur Regelung der neuen Arbeitsform formale Verfahren etabliert wurden. Nach einer Studie der Justus-Liebig-Universität Gießen haben drei Viertel der befragten Organisationen, hauptsächlich aus dem Finanzdienstleistungssektor, inzwischen umfangreiche Standards entwickelt. Große Defizite gibt es dagegen noch bei der quantitativen Bewertung von Projektleistungen und beim Programmmanagement.
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12 SCHWERPUNKT Projektmanagementgehtzu seltenüberdieStandardshinaus Durchschnittlich40ProzentReifegradbeiFinanzdienstleistern DavidBarcklow Erstindenletztenzehnbis15JahrenhatProjektmanagementinDeutschlandsostarkan Bedeutunggewonnen,dasszurRegelungderneuenArbeitsformformaleVerfahrenetabliertwurden.NacheinerStudiederJustus-Liebig-UniversitätGießenhabendreiViertelder befragtenOrganisationen,hauptsächlichausdemFinanzdienstleistungssektor,inzwischen umfangreicheStandardsentwickelt.GroßeDefizitegibtesdagegennochbeiderquantitativenBewertungvonProjektleistungenundbeimProgrammmanagement. P rojektmanagement ist für die Finanzdienstleistungsbranche eine Selbstverständlichkeit geworden. In den letzten zehn bis 15 Jahren haben radikale Marktveränderungen die Unternehmen zum Wandel gezwungen. Die Fähigkeit, innovative Produkte und kundennahe Dienstleistungen in möglichst kurzen Zeitabschnitten auf den Markt zu bringen, wird immer wichtiger. Wenn moderne Arbeit zunehmend aus komplexen Einzelvorhaben besteht, bietet die junge Disziplin Projektmanagement immer wirksamere Wege, um Ressourcen in projektbezogenen Arbeiten optimal zu nutzen. Allerdings hatte es die Idee der projektbezogenen Arbeit im Team in westlichen Unternehmen schwerer als etwa im Fernen Osten. Wirtschaftswissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen wollten wissen, wo die deutschen Unternehmen, speziell die Finanzdienstleister, heute in ihrem Bestreben stehen, die moderne Arbeitsform Projektmanagement zu etablieren. Mit welchen Herausforderungen haben sie zu kämpfen? Grundlage der Studie war das Reifegradmodell des Project Management Institute (Abb. 1). Ein Überblick zu diesem Benchmarkingmodell findet sich in diesem Heft im Beitrag von H. Schelle (Das aktuelle Stichwort) auf S. 29. Mit dieser Entwicklung wurde die bei früheren Modellen auf das Projektmanagement konzentrierte Sichtweise um die wesentlichen Facetten des Programm- und Portfoliomanagements erweitert. Projekt-,Programm-undPortfoliomanagement- BasisderBefragung Projektmanagement bezieht sich auf die zielorientierte Initiierung, die Planung, Ausführung, Steuerung und den Abschluss von einzelnen Projekten. Beim Programmmanagement wird die Fähigkeit bewertet, mehrere Projekte an einer gemeinsamen strategischen Zielsetzung auszurichten und die parallelen Vorhaben mit ihren wechselseitigen Abhängigkeiten effizient zu steuern. Die Aspekte einer unternehmensweiten Ressourcensteuerung und die Einbettung des Projektmanqagements in die Organisation werden mit der Erweiterung des Modells um das Portfoliomanagement berücksichtigt. Anhand von 151 Fragen, die das OPM3-Modell enthält, konnte sich jede Organisation durch Selbsteinschätzung einordnen. Befragt wurden 130 Finanzdienstleistungsunternehmen in Deutschland, von denen 39 bereit waren, an der Selbsteinschätzung teilzunehmen. Außerdem wurden die 350 umsatzstärksten Unternehmen zur Teilnahme per Fragebogen aufgefordert. 17 dieser Unternehmen haben reagiert und den Fragebogen zurückgesandt. Unter anderem gehörten zu den Teilnehmern die Berliner Volksbank, die Deutsche Bank AG, die Deutsche Postbank AG, Miele Cie. GmbH & Co und die Deutz AG. Die hier vorgestellten Ergebnisse der Studie beziehen sich im Wesentlichen auf die Finanzdienstleister unter den befragten Unternehmen. Projektmanagement Eine wesentliche Erkenntnis der Befragung ist zunächst ernüchternd: Trotz aller Bemühungen stehen viele der Abschluss Steuerung Ausführung Planung Initiierung Portfolio Programm Projekt Verbesserungen Kontrollen Prozesse Ebenen Reifestufen Abb.1: KontinuumdesOPM3 ® aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd12 20.12.200517: 09: 35Uhr 13 befragten Organisationen beim Aufbau eines Projektmanagementsystems noch am Anfang. Die Systeme erreichten vielfach nur einen Reifegrad zwischen 20 und 40 Prozent. Zwar wurde das Projektmanagement in diesen Branchen systematisch konzipiert und implementiert, doch die eigentliche Herausforderung liegt woanders - nämlich in der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Systems und dessen Verankerung im Unternehmen. Die Befragungen ergaben, dass es vor allem in den ersten fünf bis zehn Jahren zu Rückschlägen kommen kann (z. B. gut gemeinte Standardisierungen, die in der praktischen Handhabung zu umständlich sind). Auch die Gefahr der Stagnation besteht. Erst danach hat sich Projektmanagement als Arbeitsform etabliert und kann ausgebaut werden (Abb. 2). Zuvor gilt es einige Kämpfe auszutragen: um die Akzeptanz beim Management und auch um Macht und Kompetenzen gegenüber den Funktionsträgern der Linienorganisation. Als besonders hinderlich beim Aufbau eines Projektmanagementsystems gilt die mangelnde Bereitschaft der Linie, die Entscheidungskompetenz mit der Projektorganisation zu teilen (20 Prozent der Antworten auf die Frage „Bitte nennen Sie uns die fünf wichtigsten Faktoren, die für die Entwicklung des Projektmanagements in Ihrer Organisation hinderlich waren“ nannten diesen Punkt; Mehrfachnennungen waren möglich). Probleme bereitet auch die Tatsache, dass die Vorteile des Projektmanagements kurzfristig kaum spürbar sind, sowie die vielfach unzureichende Ausstattung der Projektorganisation mit Ressourcen und Management Support. Zudem verhindern häufig stark formalisierte Regelungen die flexible Anpassung an die jeweilige Situation. Schließlich sind auch komplexe Unternehmensstrukturen sowie Qualifikationsdefizite beim Projektpersonal schuld daran, wenn Projektmanagement in den ersten Jahren nach seiner Einführung nicht schnell genug zum Ziel führt. Um dennoch am Ball zu bleiben, bedurfte es in allen befragten Organisationen mehrerer Anläufe. Alle haben im Zeitraum der Einführung ihr System zwei bis drei Mal grundlegend überarbeitet. 0-5 6-10 11-15 16-20 > 20 Finanzdienstleister Sonstige 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Abb.2: AlterdesPM-Systems projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd13 20.12.200517: 09: 37Uhr 14 SCHWERPUNKT DenrichtigenRahmenschaffen Um Projektmanagement dauerhaft zu etablieren, war zunächst die Schaffung wesentlicher Rahmenbedingungen notwendig. Im Einzelnen gehören dazu ein dauerhaftes Team mit einem eigenen Budget und klarer Aufgabenstellung sowie eine durch das Management verabschiedete Veränderungsstrategie, die die Bedeutung der Projektarbeit für das Unternehmen klarstellt. Als wichtig erwiesen sich auch die Förderung der Kommunikation untereinander sowie die Schaffung einfacher und pragmatischer Arbeitshilfen mit einem möglichst hohen Automatisierungsgrad. Trainings für das Personal sowie ein gewisser Handlungsdruck - sei es von innen oder von außen - runden die Voraussetzungen für ein gelungenes Projektmanagement ab. Trotzdem sind die erzielten Erfolge bislang noch bescheiden. Trotz jahrelanger intensiver Bemühungen liegt der durchschnittliche Reifegrad des Projektmanagements der Finanzdienstleister erst bei 41 Prozent. Immerhin wurde deutlich, dass die teilnehmenden Organisationen branchenübergreifend für Projektmanagement sensibilisiert sind und in den vergangenen Jahren eigene Systeme aufgebaut haben. Sie befinden sich aber in andauernder Auseinandersetzung darüber, wie viel Projektmanagement sinnvoll und notwendig ist. Trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge bei der Einführung hat keine einzige der befragten Organisationen in Erwägung gezogen, der Projektarbeit den Rücken zu kehren. PM-Standardsfastüberalletabliert Während das Gebiet Programmmanagement bislang nur schwach durchdrungen ist, haben sich sowohl das Projektals auch das Portfoliomanagement bei den meisten Unternehmen etabliert - zumindest was die Standards betrifft. Bei immerhin 95 Prozent der Organisationen herrschen klare Vorstellungen darüber, welche Veränderungsvorhaben als Projekt zu bezeichnen sind, wie sie mit einem Projektauftrag sowie Beschreibungen zu Inhalt und Umfang abgegrenzt werden und wie Projekte, aber auch einzelne Projektphasen systematisch initiiert und gestartet werden. Dass große Veränderungsvorhaben ohne einen Verantwortlichen betrieben werden können, ist heutzutage undenkbar; deshalb wird jedem Projekt mit großer Selbstverständlichkeit ein Projektleiter zugewiesen (ebenfalls 95 Prozent). Darüber hinaus haben fast alle Projekte eine standardisierte Projektaufbauorganisation mit den Mindestelementen „Lenkungsausschuss“, „Projektteam“, „Beratungsgremium“ und „Sponsor“. Bei der Definition und der Ausrichtung des jeweiligen Projekts sind die Sponsoren und andere Interessenträger beteiligt. Weil Projektteams heute mehr und mehr als Leistungsträger im Veränderungsprozess gesehen werden, ist es vielfach selbstverständlich geworden, ihnen die Strategie der Organisation und den Zusammenhang mit dem Projektziel zu erläutern. Auch der Austausch unter den Projektleitern ist essentiell, da Veränderungsprozesse in der Organisation nur in Arbeitsteilung gelingen können. Deshalb gibt es bei 76 Prozent der Organisationen leistungsfähige Regelungen zur Zusammenarbeit und Kommunikation, wodurch Projektleiter die Ziele und Pläne aller Projekte kennen, die in Beziehung zu ihren eigenen stehen. Die Suche nach Wegen, das gemeinsame Ziel zu erreichen, wird damit erleichtert. In der Planungsphase greifen die meisten Teams auf bestimmte Vorgehensmodelle zurück, die Phasenkontrollpunkte oder Meilensteine spezifizieren (87 Prozent). An ihnen werden die Projektergebnisse bewertet. So kann über den weiteren Verlauf, also die Fortsetzung oder den Abbruch des Projekts, entschieden werden (84 Prozent). Dabei wird als Grundlage der Leistungsbeurteilung üblicherweise auf die zu Beginn des Projekts definierten Ziele und Erfolgskriterien zurückgegriffen. Die Erfüllungsgrade sind während des ganzen Projekts transparent. Außerdem werden die zentralen Planungsprozesse etabliert und dokumentiert. Diese Verfahren umfassen unter anderem Techniken zur Planung und Definition von Inhalt und Umfang, Schätzung der Vorgangsdauer, Entwicklung des Terminplans und Kostenplanung. Im weiteren Verlauf findet man erst wieder bei den zentralen Steuerungsprozessen fundierte Standards, die die Wege, Inhalte und Intervalle des Berichtswesens festlegen und die Handhabung von Eskalationen eindeutig regeln (84 Prozent). Insgesamt wird immer mehr Wert auf eine verbindliche Anwendung dieser Regelungen gelegt. Dabei haben sich die Organisationen auf eine Auswahl an pragmatischen Methoden konzentriert und verpflichtet. Mit dieser Auswahl können individuelle Projekte wirksam gesteuert werden. Eine Anpassung an spezifische Bedürfnisse wird zwar erlaubt, trotzdem bleibt die Einhaltung der standardisierten Rahmen aber bindend. Die Sammlung aller Regelungen ist meist in einem für alle Beteiligten zugänglichen Projektmanagement-Handbuch dokumentiert (79 Prozent). StrategischeBedeutungistfastallenbewusst In den frühen Jahren des Projektmanagements haben sich die Unternehmen vor allem auf die Organisation des Einzelprojekts konzentriert, während die strategische Bedeutung des Portfoliomanagements eine untergeordnete Rolle spielte. Dass sich das bis heute längst geändert hat, zeigt sich in der relativen Reife dieses Themengebiets. Fast immer wird heute auf der Grundlage der strategischen Attraktivität des jeweiligen Veränderungsvorhabens über die Sinnhaftigkeit von Projekten nachgedacht. Längst etablierte Priorisierungs- und Selektionsprozesse sollen sicherstellen, dass Projekte konsequent an der Geschäftsstrategie ausgerichtet und Projektprioritäten an den Beitrag zur Strategieumsetzung gekoppelt werden (85 Prozent). Regelmäßig wird das bewilligte Portfolio an Projekten überprüft, um dessen optimale Ausrichtung auf die Ziele der Organisation zu gewährleisten (90 Prozent). Das Projektportfolio hat sich zu einem übergreifenden Steuerungs- und Führungselement entwickelt, das längst von allen Sponsoren, Führungskräften und Projektleitern akzeptiert wird. Dagegen wurden Projekte früher nach individuellen Vorstellungen initiiert. Ein Übermaß an heterogenen Zielsetzungen verhinderte von Beginn an den Projekterfolg. Heutzutage werden nur noch jene Projekte in das Portfolio aufgenommen oder fortgeführt, die einen strategischen Wert für die Organisation haben. Allerdings dominieren bei der Bewertung vorerst noch qualitative Ansätze, die sich auf Nutzenargumente stützen. Quantitative Ansätze wie beispielsweise spezielle Wirtschaftlichkeitsrechnungen, die das Werturteil abrunden könnten, finden erst langsam Verbreitung. Zunehmend werden bei der Projektauswahl auch fiaktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd14 20.12.200517: 09: 37Uhr 15 nanzielle und personelle Ressourcen stärker berücksichtigt (87 Prozent). Statt alle Projekte auf einmal umsetzen zu wollen, werden die Projekte in eine Sequenz gebracht, um Parallelarbeit auf ein leistbares und effizientes Maß zu reduzieren. Auch hierbei liegt aber ein eher qualitatives Urteil zugrunde. Nur vereinzelt existieren Budgets für das Projektportfolio, und noch seltener gibt es Plandaten zur Verfügbarkeit von Ressourcen im Zeitverlauf. Die Organisationen haben sich dazu bekannt, Veränderungen über Projekte durchzusetzen und sich dazu innerhalb eines gemeinsamen Rahmens zu bewegen. Dieser Rahmen, der den spezifischen Bedürfnissen der Organisation angepasst ist und ohne Einschränkung für alle Projekte gilt, enthält eine allgemein anerkannte Methode, klare Rollen und Funktionen sowie standardisierte Prozesse. Schulungen zur Handhabung des Projektmanagementrahmens sind vielfach selbstverständlich geworden (87 Prozent). Viele Organisationen bieten dabei modulare Trainings, die auf die unterschiedlichen Rollen abgestimmt sind. Zunehmende Verbreitung finden Entwicklungsprogramme, die die Fähigkeiten des Projektpersonals systematisch und kontinuierlich verbessern. Ob Portfoliomanagement erfolgreich ist, hängt auch und vor allem von der Qualität in der Zusammenarbeit aller beteiligten Entscheidungsträger ab. Nur durch den intensiven Austausch können die notwendigen Gemeinsamkeiten identifiziert und ausgebaut werden. Die allermeisten Organisationen unterstützen eine offene Kommunikation über alle Ebenen und Funktionen hinweg (82 Prozent). Die Prozesse zur Initiierung eines Projektportfolios wurden bei den meisten konsequent standardisiert. Alle Projekte und Programme müssen einen Antragsprozess durchlaufen, der zunächst beim Bewilligungsgremium endet. Erfolgt eine positive Bewertung, kann die Beauftragung erst nach entsprechender Anpassung des Portfolios und der damit verbundenen Ressourcenallokation erfolgen. Die Initiierungsprozesse sind dabei eng verzahnt mit den Planungsprozessen der kurz- und mittelfristigen Unternehmensentwicklung. Vor allem die formale Einbettung des Portfoliomanagements in die jährlichen Budgetplanungsrunden trägt zur strategischen Anbindung von Projekten bei. Durchgehend standardisiert sind ähnlich wie beim Projektmanagement nur zwei weitere Prozesse des Portfoliomanagements. Zum einen betrifft das die Planung des Projektportfolios (85 Prozent), für die in fast allen Organisationen formale Regelungen bestehen. Andererseits verfügen die Organisationen über formale Regelungen zu den Berichtswegen, Eskalation und Änderungsverfahren (79 Prozent). Damit wurden die zentralen Steuerungsprozesse standardisiert, etabliert und dokumentiert. Anhand ähnlicher Reifegrade und Entwicklungsstadien ließen sich die 39 Unternehmen in vier Gruppen aufteilen. Die charakteristischen Merkmale werden im Folgenden beschrieben, so dass auch dem Leser eine Einordnung des eigenen Unternehmens sowie die Ableitung von Entwicklungspotentialen möglich sein sollte. projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd15 20.12.200517: 09: 38Uhr 16 SCHWERPUNKT Gruppe1: FormaleStandardsschaffen Mit einem Reifegrad von bis zu 25 Prozent (Abb. 3) wird die erste Gruppe, die mit 25 Organisationen gleichzeitig auch die größte bildet, vor allem durch die Schaffung formaler Grundlagen dominiert. Mehrere Themenstellungen stehen beim Aufbau von Projektmanagementkompetenz im Vordergrund. Neben der Definition von Grundbegriffen, Methoden, Verfahren, Rollen und Funktionen sind das im Einzelnen der Aufbau dezidierter Projektressourcen, die Sicherstellung einer adäquaten Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten und die Verknüpfung der Projektmanagemententwicklung mit der Organisationsstrategie. Im Fokus stehen die Standardisierung und Kontrolle der Initiierungsprozesse, der zentralen Planungs- und Steuerungsprozesse sowie der Abschlussprozesse. Auffällig ist, dass sich die genannten Regelungen fast ausschließlich auf das Einzelprojekt sowie auf das Projektportfolio konzentrieren, von Programmmanagement ist noch nicht die Rede. Zwei Aspekte stehen bei der Kontrolle im Vordergrund. Einerseits geht es darum, dass die formale Einhaltung der Regelungen sichergestellt wird. Andererseits werden Kontrollen geschaffen, die die Leistungsfähigkeit überwachen sollen. Beim Einzelprojekt geschieht das über Statusmeetings, Meilensteine, Phasenabschlüsse und den Projektabschluss, während beim Portfoliomanagement in der Regel eine enge Verzahnung mit den sehr formalisierten Verfahren der Budgetplanung und -kontrolle zu beobachten ist. In beiden Fällen dominieren qualitative Kriterien als Grundlage der Leistungsbeurteilung. Nur vereinzelt setzen sich bei der Betrachtung der Wirtschaftlichkeit betriebswirtschaftliche Kennzahlen wie erwartete Kostensenkung, RoI und Break-Even-Point durch. Gruppe2: Leistungsfähigkeitschaffen Bei der Gruppe mit einem Reifegrad zwischen 26 und 50 Prozent (Abb. 4) - der mit 19 Teilnehmern zweitgrößten Gruppe - widmen sich die Unternehmen vor allem der Schaffung eines leistungsfähigen Arbeitsumfeldes sowie der Verbesserung der Regelungen. Dazu gehören etwa die Motivation und Weiterbildung der Beteiligten über Anreize und Qualifikationsprogramme oder die Sicherstellung einer kontinuierlichen Verbesserung bei Initiierung, Planung, Ausführung, Steuerung und Abschluss durch Reviews oder Audits. Auch die Schaffung klarer Orientierungspunkte und objektiver Bewertungskriterien mit Hilfe von definierten Zielen und Erfolgskriterien gehört dazu. Neben dem Aufbau einer technischen Infrastruktur zur Automatisierung von Prozessen gehören schließlich auch die Unterstützung durch die Führungskräfte, die Förderung des Bewusstseins für Projektmanagement sowie die aktive Berücksichtigung von Projektmanagementbelangen im Managementprozess dazu. Im Kern geht es um die fortgesetzte Standardisierung und Kontrolle, insbesondere bei den unterstützenden Planungs-, Ausführungs- und Steuerungsprozessen. Auch in dieser Gruppe konzentriert man sich auf die Gebiete Projekt- und Portfoliomanagement, während das Programmmanagement weitgehend unberücksichtigt bleibt. Durch die Verbreitung der Projektmanagementregelungen werden bei dieser Gruppe aber zunehmend Defizite in der übergreifenden Koordination und Ausrichtung von thematisch zusammenhängenden Projekten deutlich. Reaktionen darauf sind einerseits erste Standards für Programme in der Initiierung, der Planung und dem Reporting; allerdings wurden die Regelungen meist aus dem Projektmanagement übernommen beziehungsweise abgewandelt. Andererseits legen die Organisationen immer mehr Wert auf eine klare und eindeutige Handhabung jener Aspekte, die im Schnittpunkt mehrerer Projekte liegen: Dazu zählen gemeinsam genutzte Ressourcen, in Wechselwirkung stehende Ziele, überschneidende Gestaltungsbereiche und Interdependenzen der Projektergebnisse. Gruppe3: EtablierungdesProgrammmanagements Erst in der dritten Gruppe mit einem Reifegrad zwischen 51 und 75 Prozent (acht Teilnehmer, Abb. 5) entwickeln die Organisationen gezielte Regelungen zur Handhabung Standards Maßstäbe Kontrollen Verbesserungen Projektmanagement Programmmanagement Portfoliomanagement 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 0% 25% 50% 75% 100% Gesamtreifegrad des organisationalen Projektmanagements Abb.3: SchaffungvonformalenStandards Standards Maßstäbe Kontrollen Verbesserungen Projektmanagement Programmmanagement Portfoliomanagement 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 0% 25% 50% 75% 100% Gesamtreifegrad des organisationalen Projektmanagements Abb.4: Leistungsfähigkeitschaffen aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd16 20.12.200517: 09: 39Uhr 17 von Programmen. Ziel des Programmmanagements ist eine effektivere Brücke zwischen der Organisationsstrategie und den Projekten. Die Beweggründe für die Definition von Standards und Verfahren für thematisch zusammenhängende Projektbündel sind unterschiedlich. Genannt wurde zum Beispiel die bessere Handhabung der Komplexität größerer Veränderungsvorhaben. So genannte strategische Initiativen überfordern oft genug die Leistungsfähigkeit des Managements von Einzelprojekten. Deshalb sind separate Planungs- und Steuerungsinstrumente notwendig, um das Vorhaben in Projekte zu zerlegen und dieses Projekt koordiniert auf eine strategische Zielsetzung auszurichten. Komplexe Veränderungsvorhaben unterliegen der Gefahr, zu lange in zwar notwendigen, aber umfangreichen Analyse- und Konzeptionsphasen zu verweilen. Nutzeffekte oder Ergebnisse werden für die Organisation erst sehr spät spürbar. Bei einer Zerlegung des Vorhabens in ein Bündel handhabbarer Einzelprojekte, die als Programm behandelt werden, lassen sich sehr viel früher Projektergebnisse umsetzen. Die Sinnhaftigkeit der Vorhaben lässt sich damit gegenüber der Organisation besser belegen. Gleichzeitig wird auf diese Weise das Risiko reduziert. Die kürzeren Zyklen der Rückkopplung über den Erfolg oder Misserfolg eines Projekts erlauben es viel früher, Risiken einer strategischen Initiative zu identifizieren. Gegebenenfalls kann schneller korrigierend in die Entwicklung des Programms eingegriffen werden. Da strategische Initiativen oft auf einer Vision basieren, sind die damit verbundenen Zielsetzungen oft vage gehalten beziehungsweise können sich im Zeitverlauf verändern. Mit Hilfe von Programmen können die notwendigen Klärungsprozesse schrittweise absolviert werden und die strategischen Anforderungen in konkrete Neuentwicklungen und Aktionspakete mit operativen Zielen übersetzt werden. Während Einzelprojekte und Portfolios meist eine Lebensdauer von etwa einem bis zwei Jahren haben, umfassen strategische Initiativen deutlich längere Entwicklungsprozesse. Programme ermöglichen die Etablierung einer befristeten, aber länger währenden Infrastruktur und Zielorientierung, die diesen Anforderungen besser gerecht werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass in vielen Organisationen der Erfolg großer Veränderungsvorhaben wiederholt gefährdet war, obwohl bereits leistungsfähige Regelungen für Projekt- und Portfoliomanagement vorlagen. Diese Erkenntnis hat die Unternehmen der vierten Gruppe dazu gebracht, eigene Standards für die Planungs-, Ausführungs- und Steuerungsprozesse von Programmen zu entwickeln. Dazu werden die bereits für das Projektmanagement erarbeiteten Rollen und Prozesse an die spezifischen Bedürfnisse eines Programms angepasst. Ein Programmmanager und -sponsor wird eingeführt, ein Programmplanungsprozess wird etabliert, ein separates Programmcontrolling wird aufgeführt und so weiter. Wesentlicher Unterschied zwischen Projekt- und Programmmanagement ist zum Beispiel, dass das Vorgehensmodell eines Programms vielfach den gesamten Produktlebenszyklus umfasst. Weiter werden zur Abstimmung zwischen den Projektleitern Koordinationsgremien etabliert. Komplexe Business Cases für langfristige Investitionen ergänzen die einem Einzelprojekt zugrunde liegenden Kosten-Nutzen-Abwägungen. Außerdem kommen zur Sicherung der Passgenauigkeit von Projektergebnissen verstärkt Integrationstechniken von der Szenariotechnik bis hin zum Prototyping oder zur Pilotierung in der Ausführung zum Tragen. Gruppe4: QuantitativeLeistungsmessung Erst in der letzen Gruppe mit einem Gesamtreifegrad von 76 bis 100 Prozent steht die quantitative Leistungsmessung des Gesamtsystems im Vordergrund. Von den Teilnehmern der Studie schafften es nur vier Unternehmen in diese Gruppe. Alle anderen konzentrierten sich bei den Kontrollen auf die formale Einhaltung von Regelungen und Standards. Die individuelle Leistungsfähigkeit von Projekten, Programmen und Portfolios wurde überwiegend qualitativ analysiert. Nur punktuell wurden für die erkannten Defizite Verbesserungen in den Regelungen und Strukturen angestoßen. Erst bei einem so hohen Reifegrad rücken quantitative Messgrößen in den Vordergrund. Mit ihrer Hilfe können Effektivität und Effizienz des gesamten Projektmanagementsystems beurteilt und eine langfristige Leistungssteigerung systematisch vorangetrieben werden. Das Kernziel eines leistungsfähigen Projektmanagementsystems ist die effiziente Umsetzung von Strategien mit Hilfe von Projekten. Mit Nachdruck wird deshalb damit begonnen, zentrale Kennzahlen zur Projektleistung zu sammeln, zu analysieren und zu vergleichen. Noch existieren nicht viele projektübergreifende Kennzahlensysteme. Zu den am meisten genannten Kennzahlen gehören der Cost Performance Indicator (CDI), der Schedule Performance Indicator (SPI), der ROI Performance Indicator (ROIPI), die Project Cycle Time, die Resource Usage (RU), die Total Project Management Costs und das Total Project Risk. Alle genannten Kennzahlen werden bei den betroffenen Unternehmen auch auf Programme oder Portfolios angewandt, so dass auch für diese Ebenen Aussagen möglich und Entwicklungstrends erkennbar sind. Erst mit stichhaltigem quantitativem Datenmaterial können die Organisationen die Leistungen im Programmmanagement-System intern und extern vergleichen und gegebenenfalls Veränderungen anstoßen. Deshalb binden sie das Projektmanagementsystem in das besteprojekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd17 20.12.200517: 09: 40Uhr 18 SCHWERPUNKT hende Qualitätssicherungssystem ein und lassen es wiederkehrend auch durch Externe auditieren. Nicht nur die Leistungsfähigkeit von Strukturen und Regelungen rückt in dieser Gruppe in den Vordergrund, sondern auch die der handelnden Personen. Erstmals werden Verfahren etabliert, die das Wissen und die Erfahrung der Projektbeteiligten beurteilen helfen und sicherstellen sollen, dass Aufgaben und Funktionen entsprechend der Leistungsfähigkeit zugeordnet werden sollen. Das Wissen um Projektmanagement wird als Wert wahrgenommen, den es für die Organisation zu sichern gilt. Über Anreize wird dessen Entwicklung gefördert. Für die unterschiedlichen Rollen werden neue Karrierepfade etabliert, die Leistungen im Projektmanagement würdigen und fördern. Organisationen mit einem so hohen Reifegrad zeigen darüber hinaus eine größere Offenheit gegenüber dem externen Projektmanagementwissen. Erfolgreiche Modelle, Verfahren und Daten aus dem Umfeld (Wettbewerber, Branche, Verbände) werden aktiv gesucht und im eigenen internen System eingesetzt. Die kontinuierliche Weiterentwicklung des Projektmanagementsystems wird von einem Programm zur Erhöhung und Sicherung des Reifegrads vorangetrieben. Zusammenfassung Aus der Verteilung der teilnehmenden Organisationen auf die einzelnen Gruppen wird deutlich, dass die größten Entwicklungspotenziale für Projektmanagementsysteme in den Themen der beiden letzten Gruppen liegen. Für einzelne Organisationen dürfte es deshalb ratsam sein, sich auf Grund der Selbsteinschätzung nach dem OPM3 ® -Fragenkatalog selbst im Etappenmodell zu identifizieren. Aus dieser Positionierung heraus wird erkennbar, welche Inhalte und Fähigkeiten noch Defizite in der Entwicklung aufweisen. Dort könnte gezielt angesetzt werden, um den Reifegrad systematisch anzuheben. Voraussetzung wäre aber auch der Anstoß einer Initiative zur Steigerung der Projektmanagementreife. Die Studie hat gezeigt, dass es vor allem bei der quantitativen Kontrolle und Messung von Projekten noch Defizite gibt. Auch in der aktuellen Projektmanagementforschung wird intensiv an der Frage gearbeitet, welchen Nutzen oder Wert das organisationale Projektmanagement für die Unternehmen hat. Bei einer Studie in den USA wurde kürzlich der Zusammenhang von Projektmanagementreife und Projektleistungsparametern untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Kennzahlen mit zunehmender Reife positiver ausfielen, auch die Standardabweichung sank. Trotzdem blieb auch bei dieser Studie eine monetäre Bewertung sinkender Projektmanagementkosten sowie höherer Termin- und Budgettreue aus. Der wissenschaftliche Beleg des wirtschaftlichen Vorteils einer Organisation mit einer hohen Projektmanagementreife steht noch aus. In diesem Punkt steht die Projektmanagementtheorie nach wie vor vor einer großen Herausforderung. ■ Schlagwörter Finanzdienstleister,OPM3,Portfoliomanagement,Programmmanagement,Projektbenchmarking,Reifegradmodelle Autor DavidBarcklowistGeschäftsführer deriboBeratungundTrainingGmbH mitSitzinWettenbergbeiGießen. Seit1993istderstudierteVolkswirt vorallemfürdieFinanzdienstleistungsbrancheinBeratungsprojekten mitdenThemenProjekt-,Organisations-undProzessmanagementtätig. Anschrift iboBeratungundTrainingGmbH ImWestpark8 D-35435Wettenberg Tel.: 0641/ 98210-00 Fax: 0641/ 98210-500 E-Mail: David.Barcklow@ibo.de www.ibo.de Standards Maßstäbe Kontrollen Verbesserungen Projektmanagement Programmmanagement Portfoliomanagement 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 0% 25% 50% 75% 100% Gesamtreifegrad des organisationalen Projektmanagements Abb.5: AufbauvonProgrammmanagement Standards Maßstäbe Kontrollen Verbesserungen Projektmanagement Programmmanagement Portfoliomanagement 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 0% 25% 50% 75% 100% Gesamtreifegrad des organisationalen Projektmanagements Abb.6: Leistungsfähigkeitcontrollenundverbessern aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd18 20.12.200517: 09: 42Uhr