PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2006
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Gesellschaft für ProjektmanagementProjektmanagement - Beruf und Organisationsform in der Postbank System AG
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2006
Michael Gessler
David Thyssen
Der IT-Dienstleister Postbank System AG hat sich in den vergangenen Jahren zu einer projektorientierten Organisation entwickelt. Wenige, aber entscheidende Strukturen haben die teilweise organische Entwicklung unterstützt:
Bereits mit Gründung des Unternehmens wurde ein eigenständiger PM-Karrierepfad angelegt. Die strategische Entscheidung wurde schrittweise konkretisiert und in Instrumenten und Strukturen des Unternehmens verankert. Diese trugen wesentlich dazu bei, ein unternehmens- und domänenspezifischen Berufsbild „Projektmanager“ zu etablieren.
Der Artikel zeigt beispielhaft, welche Herausforderungen entstehen, wenn Projektmanagement dauerhaft in der Organisation verankert werden soll. Die Postbank Systems vollzog eine grundlegende organisatorische Veränderung, um einen großen Teil des Unternehmens zu einer reinen Projektorganisation - mit den daraus resultierenden Vor- und Nachteilen - zu machen.
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19 Projektmanagement-Beruf undOrganisationsforminder PostbankSystemsAG EinWegzurprojektorientiertenOrganisation MichaelGessler,DavidThyssen DerIT-DienstleisterPostbankSystemsAGhatsichindenvergangenenJahrenzueiner projektorientiertenOrganisationentwickelt.Wenige,aberentscheidendeStrukturenhaben dieteilweiseorganischeEntwicklungunterstützt: BereitsmitGründungdesUnternehmenswurdeeineigenständigerPM-Karrierepfadangelegt.DiestrategischeEntscheidungwurdeschrittweisekonkretisiertundinInstrumenten undStrukturendesUnternehmensverankert.Diesetrugenwesentlichdazubei,einunternehmens-unddomänenspezifischesBerufsbild„Projektmanager“zuetablieren. DerArtikelzeigtbeispielhaft,welcheHerausforderungenentstehen,wennProjektmanagementdauerhaftinderOrganisationverankertwerdensoll.DiePostbankSystemsvollzog einegrundlegendeorganisatorischeVeränderung,umeinengroßenTeildesUnternehmens zueinerreinenProjektorganisation-mitdendarausresultierendenVor-undNachteilen- zumachen. 1 Ausgangssituation Im internationalen Vergleich besitzt Deutschland eine hohe Banken- und Filialdichte. Die Produktpalette im Endkundengeschäft ist bei allen Voll-Banken nahezu identisch. Potenziale liegen vor allem in der permanenten Optimierung von internen Prozessen und Verfahren [7]. Banken, die ihre Prozesse transparent dokumentieren und standardisieren, sind in der Lage, einzelne Schritte aus ihrer integrierten Wertschöpfungskette herauszulösen und sich auf die Kernkompetenzen in ihren Geschäftsmodellen zu konzentrieren. Outsourcing wird bedeutsam und Spezialbanken für Back-Office-Funktionen - wie zum Beispiel Zahlungsverkehr oder Kontenführung - werden möglich. „Die Deutsche Postbank AG ist sowohl aus ihrer Historie als auch in ihrer strategischen Ausrichtung eine Bank für das kundenbezogene Massengeschäft“ [2] und damit auf die kosteneffiziente Abwicklung ihrer Back-Office-Prozesse angewiesen. Ende der 90er Jahre stand die Postbank vor der Herausforderung, ihre Applikationslandschaft auf diesen bevorstehenden Strukturwandel vorzubereiten. Es wurde eine strategische Kooperation mit der SAP AG zur Entwicklung und Implementierung einer weltweit einsetzbaren Standardsoftware für Banken eingegangen. Zur Bewältigung dieser Aufgabe wurde die IT-Kompetenz des Konzerns in einer eigenständigen und flexibel steuerbaren Aktiengesellschaft gebündelt. Die Mitarbeiter der neuen Postbank Systems AG kommen heute zu ca. einem Drittel von der Postbank (inkl. ehemaliger DSL-Bank), zu ca. einem Drittel von der früheren IT-Tochter Postbank Data und zu ca. einem Drittel vom freien IT-Markt. Im Jahr 2000 entstand eine neue Organisation mit unterschiedlichen individuellen Erfahrungs- und Kulturhintergründen. 2 Entwicklungsphasen Die Entwicklung der Organisation verlief evolutionär und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf mehreren Ebenen zeitgleich. Aus heutiger Sicht sind drei Entwicklungsphasen erkennbar: eine Aufbruchphase (2000- 2003), eine Ausbauphase (2003-2004) und eine Umbauphase (2004-2005). 2.1 Aufbruchphase(2000-2003) Die erste Phase dauerte etwa von der Gründung der Postbank Systems AG im Frühjahr 2000 bis Anfang des Jahres 2003. In der Postbank IT wurden vor der Gründung der Postbank Systems AG bereits zahlreiche Projekte in unterschiedlichen Größenordnungen durchgeführt (z. B. Jahrtausendwechsel, Einführung Internet-Banking). Mit der Entscheidung zur Kooperation zwischen der SAP AG und der Postbank wurde ein Programm ausgelöst, das schon allein aufgrund seiner Größenordnung im deutschen Bankensektor Aufmerksamkeit erregte. Die Benennung des Programms „IT-2003“ verdeutlichte die Zielfokussierung. Diese ausgesprochene Herausforderung bildete die Initialzündung zur Entwicklung und Professionalisierung eines umfassenden Projektmanagement-Systems. In dieser frühen Phase wurde Projektmanagement zunächst nicht als eigenständige Management-Disziplin anerkannt. Projekte wurden in der Regel neben oder zuprojekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd19 20.12.200517: 09: 42Uhr 20 SCHWERPUNKT sätzlich zum Tagesgeschäft durchgeführt. Eine interne Analyse Ende 2002 ergab, dass über 120 Mitarbeiter Projekte leiteten, aber nur 20 „offizielle“ Projektmanager benannt waren. Die Erfahrung in der Durchführung einzelner Projekte und die Zusammenarbeit der verschiedenen Projektgruppen innerhalb des Programms IT-2003 machten es notwendig und möglich, verbindliche Vorgehensweisen im Programm zu erarbeiten. Schrittweise wurden diese Vereinbarungen erweitert, auf neue Projekte angewandt, an internationale Standards angeglichen und durch einige wenige vom Management definierte Ergebnistypen ergänzt. In dieser Phase wurden erste strukturelle Elemente wie (1) die Bündelung der IT-Kompetenz in einer eigenständigen Organisation, (2) der Aufbau eines „PM-Office“ und (3) die Struktur des Karrieremodells (inkl. des eigenständigen PM-Karrierepfades) geschaffen. Wichtig war die Erkenntnis der am Programm beteiligten Projektleiter, dass durch eine abgestimmte Projektmanagement-Methodik operative Erfolge in einem fachlich und technologisch hochkomplexen Umfeld erreichbar sind. 2.2 Ausbauphase(2003-2004) Noch vor dem Abschluss des SAP-Programms im Oktober 2003 startete die nächste Phase. Kern dieser Phase war ein Organisationsentwicklungsprojekt unter dem Titel „Professional Services“. Die unterschiedlichen Professionalisierungsbemühungen zu den Themenfeldern PM- Handwerkszeug (Methoden und Tools), PM-Mitarbeiter (Projektleiter, Projektassistenten, Qualifizierung, Zertifizierung etc.) und PM-Services (Networking, Audits etc.) wurden in diesem Projekt koordiniert und gebündelt. Die notwendige Managementunterstützung wurde erreicht, da ein Vorstand des Unternehmens die Patenschaft übernahm und die Leitung des Projekts einem der Programmmanager übertragen wurde. Zahlreiche Veranstaltungen, Networking-Events und erste Inhouse-Trainings wurden von den Projektleitern und den Projektteams gemeinsam entwickelt und realisiert. Zum Ende dieser 2. Phase war das Profil der Projektmanager im Unternehmen deutlich geschärft: Nahezu das gesamte PM-Personal wurde nach dem IPMA-Standard qualifiziert und zertifiziert. Projekte durften nur noch von ausgebildeten Projektmanagern geleitet werden, und der Projektmanagement-Karrierepfad war etabliert und besetzt. Im Rückblick sind zwei Gesichtspunkte von Bedeutung: (1) Die Etablierung von Standards kann nur gelingen, wenn die Projektleiter das „PM-Handwerkszeug“ beherrschen, von dessen Nutzen überzeugt sind und eine breite Kenntnis und Zustimmung für die PM- Systematik auch im Umfeld bestehen. Dies wurde insbesondere durch eine umfassende Informationspolitik sowie vielfältige Qualifizierungs- und Zertifizierungsangebote erreicht. (2) Ein akzeptierter Standard stellt keinen Selbstzweck dar. Jedes Projekt hat spezifische Einschränkungen, weshalb eine Anpassung des Standards oftmals erforderlich wird. Hierfür ist eine Professionalität erforderlich, die sich von der mechanischen Ausführung dogmatischer Vorgaben löst, den Sinn der Projektmanagement-Methodik versteht und diese zu variieren vermag. 2.3 Umbauphase(2004-2005) Die dritte Entwicklungsphase hat im Mai 2004 mit einer strukturellen Neuorganisation des Unternehmens begonnen. Die Postbank Systems ist heute in vier Ressorts aufgestellt. Das Ressort „Betrieb“ stellt die IT-Produktion im Rechenzentrum sowie das Auftrags-, Account- und Produktmanagement sicher („Run the Bank“), das Res- Abb.1: ProjekteindenWertschöpfungsprozessen aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd20 20.12.200517: 09: 43Uhr 21 sort „Projekte“ führt Aufträge zur Veränderung der bestehenden IT-Landschaft aus („Change the Bank“), das Ressort „Technologiemanagement“ hat die Aufgabe, die technologische und qualitative Weiterentwicklung der IT zu forcieren („Guide the Bank“). Daneben sind Supportaufgaben wie Controlling, Finanzen und Personalmanagement in einem eigenen Ressort gebündelt. Die Abb. 1 zeigt die Wertschöpfungsprozesse als Ausschnitt der gesamten Prozesslandkarte. Entscheidend für den Kunden Deutsche Postbank sind nicht die einzelnen IT-Projekte, sondern die durch Projekte letztendlich ermöglichte Weiterentwicklung und Optimierung der Bankprodukte und -prozesse. Projekte sind zwar ein eigenständiges Produkt der IT, aber nie Selbstzweck (mit Ausnahme von reinen Ideenstudien, die nicht unmittelbar zu einer Veränderung der IT-Landschaft führen). Projekte sind für fast die Hälfte der Mitarbeiter an die Stelle der Arbeit in einer relativ stabilen Linienorganisation getreten. Ziel der klaren organisatorischen Trennung von IT- Produktion und IT-Projekten ist unter anderem die dadurch mögliche Transparenz. Die Struktur des Ressorts Projekte bildet heute eine reine Pool-Organisation, die in Abb. 2 dargestellt ist. Neben IT-fachlichen Mitarbeiter- Pools (z. B. Systemintegration) sind alle Projektleiter und alle Projektservicefunktionen in einer eigenen Organisationseinheit zusammengeführt worden. Die Mitarbeiter des neuen Ressorts stehen der Projektarbeit zu 100 Prozent zur Verfügung. Ziel- und Aufgabenkonflikte konnten dadurch deutlich reduziert werden. Ein Erfolgsfaktor des Projektgeschäftes ist die Auflösung eines häufig auftretenden Zielkonfliktes zwischen den Projekten und der Gesamtorganisation. Die „People- Manager“ genannten disziplinarischen Führungskräfte des Mitarbeiter-Pools steuern keine Projekte. Sie haben die Aufgabe, den Projekten und damit den Projektmanagern Mitarbeiter „zur Verfügung zu stellen“. Dafür verfügen sie sowohl über interne Mitarbeiter wie auch über ein Budget für externe Mitarbeiter. Um eine optimale Auslastung der internen Mitarbeiter zu erreichen, ist der People-Manager gefordert, die Mitarbeiter frühzeitig für kommende Anforderungen zu qualifizieren. Er verfolgt damit gesamtorganisatorische Ziele. Der Projektmanager hingegen hat die Aufgabe, sein Projekt erfolgreich ins Ziel (also in die IT-Produktion) zu bringen. Er kann vom People-Manager angebotene Mitarbeiter zurückweisen, wenn sie nicht die erforderlichen Qualifikationen besitzen und damit den Projekterfolg gefährden würden. Dieses Spannungsfeld zwischen Projektmanager und People- Manager ist durchaus gewollt. Da sie sich in keinem hierarchischen Unterbzw. Überordnungsverhältnis befinden, müssen die Zielkonflikte im gleichberechtigten Diskurs gelöst werden. Stabilisiert werden die relativ variablen Strukturen durch eine eindeutige Prozess- und Ergebnisorientierung. In diesem Zusammenhang spielt die Professionalität des Projektmanagementpersonals eine entscheidende Rolle. Nur professionelle Projektleiter sind in der Lage, die relevanten Projektprozesse zum Leben zu erwecken und die zielgerichtete Anpassung und Umsetzung sicherzustellen. Auftrags- und Produktmanagement durchführen Anwendungen entwerfen und erstellen Systemintegration Frontend SAP Middleware Umsysteme Projektmanagement Projektservices Vorstudie Grobkonzept Feinkonzept Release Vorstudie Grobkonzept Feinkonzept Release Abb.2: StabileProzesse-DynamischeStrukturen projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd21 20.12.200517: 09: 44Uhr 22 SCHWERPUNKT 3 IntegrationindiePersonalmanagementstrategie Ein projekt- und prozessorientiertes Unternehmen wird nicht allein von einer einheitlichen Projektmanagement- Systematik getragen. Die Entwicklung der Projektprozesse bildete den (notwendigen) Anfang. Ohne Berufsprofile und ein attraktives Karrieremodell, das den Projektmitarbeitern eine institutionalisierte „Heimat“ bietet und Perspektiven eröffnet, ist die Nachhaltigkeit der Maßnahmen nur schwer zu sichern. Allerdings muss in Zukunft beobachtet werden, inwieweit die klassischen Karrieremotivatoren für die spezifische projektaffine Zielgruppe passend sind. Der Projektmanagement-Karrierepfad der Postbank Systems ist in die unternehmensweite Personalmanagementstrategie integriert. Ausgehend von einem Kompetenzmodell und dem Prozessmodell des Unternehmens sind Funktions- und Anforderungsprofile für alle Aufgabengruppen beschrieben. Abb. 3 verdeutlicht die Zusammenhänge der einzelnen Instrumente. Kompetenzmodell: Dem Personalmanagement kam gemeinsam mit den Vorständen in der Gründungsphase (2000) die Aufgabe zu, einen stabilen und gemeinsam getragenen Werterahmen für die junge Postbank Systems AG zu entwickeln und durch Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen im Unternehmensalltag zu verankern. Die Grundlage hierfür bildet ein unternehmensspezifisches Kompetenzmodell. Es entstanden 15 „Competencies“ 1 , die eine Kombination aus gezeigtem Verhalten, eingesetzten Fähigkeiten und angewandtem Wissen darstellen. „Competencies“ sind laut Postbank-Systems-Definition „beobachtbar, entwicklungsfähig und messbar“. Beispiele hierfür sind Marktund/ oder Unternehmenskenntnisse, Fachkenntnisse, Organisationsvermögen, Gestaltung der Zusammenarbeit sowie Motivation und Integration. Funktionsprofil: Parallel zum Aufbau des Kompetenzmodells wurde die Orientierung an Geschäftsprozessen als Managementinstrument eingeführt. Alle Aufgaben des Unternehmens wurden und werden kontinuierlich dokumentiert, analysiert und optimiert. Einzelne Prozessschritte werden zu Funktionsprofilen zusammengefasst. Diese ergeben die Aufgabenbeschreibungen für die Mitarbeiter. Funktionsprofile sind nicht im herkömmlichen Sinne Stellenbeschreibungen für einzelne Mitarbeiter oder Positionen [3]. Sie definieren vielmehr die Hauptaufgaben und notwendigen Erfahrungen einer Gruppe von Mitarbeitern mit gleichen Tätigkeiten (z. B. Softwareentwickler, Qualitätssicherer). Kompetenzbasiertes Anforderungsprofil: Für jedes Funktionsprofil legen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung in einer gemeinsamen Kommission einstimmig ein Kompetenzprofil fest. Die 15 Competencies werden hierfür auf einer sechsstufigen Skala bewertet. Während das Funktionsprofil fachliche Aufgaben beschreibt, sind im Kompetenzprofil die bewerteten fachlichen und überfachlichen Anforderungen entlang des Kompetenzmodells abgebildet. Die Anforderungen an einen Mitarbeiter ergeben sich aus der Kombination von Funktions- und Kompetenzprofil. Auf diesem Kombinationsprofil basieren Personalentwicklungsinstrumente wie Entwicklungsgespräche, Zielvereinbarungen, Qualifizierungsangebote und -programme genauso wie das Karrieremodell. 1. Rahmenbedingung: Initialzündung durch das Programm „IT-2003“ 2. Prozesse: Bündelung der Entwicklungsaktivitäten im Projekt „Professional Services“ 3. Kultur: Frühzeitige Einrichtung eines Project Office 4. Management: Fortlaufende Unterstützung durch den Vorstand 5. Weiterbildung: Umfassende Qualifizierung aller Projektmitarbeiter 6. Zertifizierung: Verpflichtung zur PM-Personenzertifizierung 7. Karrieremodell: Entwicklung eines Karrierepfades für Projektpersonal 8. Berufsbilder: Entwicklung domänenspezifischer Berufsprofile 9. Pool-Organisation: Unterstützen der Projektprozesse durch den Aufbau der Organisation ErfolgsfaktorenderPostbankSystemsaufdem WegzurprojektorientiertenOrganisation Funktionsprofil Grundvergütung Variable Vergütung Mitarbeiter SOLL Kompentenzmodell IST Entwicklungsgespräch Qualifizierung Karrieremodell Abb.3: IntegriertesPersonalmanagement 1 Im deutschsprachigen Verständnis wird der Begriff „Kompetenz“ subjektbezogen verstanden und meint die individuellen Dispositionen einer Person. Im englischsprachigen Gebrauch meint „competencies“ abgeschlossene Lerneinheiten zum Zwecke der Zertifizierung [4]. aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd22 20.12.200517: 09: 47Uhr 23 Durch Funktionsprofile und die neu entwickelte Karrieresystematik wurde Projektmanagement in dauerhafte Organisationsstrukturen umgesetzt. 4 Anforderungenundexemplarisches Funktionsprofil Die Postbank Systems hat insgesamt sechs projektbezogene Funktionsprofile geschaffen: drei im Bereich Mitarbeiter (Professionals) und drei weitere als spezifische Laufbahn, die als Grundlage für Personalrekrutierung und -entwicklung dienen. Als Eingangsbedingungen in die Laufbahnstufen sind folgende Anforderungen beschrieben: ❏ Projektmanager: relevantes Studium oder vergleichbare Berufserfahrung sowie mindestens drei Jahre Erfahrung im Projektmanagement, davon ein Jahr in einer verantwortlichen Projektleitungsfunktion; ❏ Senior-Projektmanager: relevantes Studium oder vergleichbare Berufserfahrung sowie mindestens fünf Jahre Erfahrung im Projektmanagement, davon drei Jahre in verantwortlichen Projektleitungsfunktionen (z. B. als Projektmanager); ❏ Programmmanager: relevantes Studium oder vergleichbare Berufserfahrung, mindestens zehn Jahre Erfahrung im Projektmanagement, davon fünf Jahre in verantwortlichen Projektleitungsfunktionen (insbesondere bei der Koordination von Projekten und im Portfoliomanagement). Für jedes Profil liegen Funktionsbeschreibungen vor. Exemplarisch stellen wir die Hauptaufgaben eines Senior-Projektmanagers vor: ❏ projektspezifisches Anpassen und Optimieren des vorgegebenen Verfahrens (z. B. Vorgehensmodell „Strukturierte Anwendungsentwicklung“), ❏ Aufbau von Projektorganisationen auf Zeit einschließlich notwendiger Querschnittsfunktionen (z. B. Projektbüro), ❏ Leiten von Projekten, insbesondere das Planen, Durchführen und Steuern der einzelnen Projektphasen über Projektmanagement-Teilaufgaben wie Integrations-, Kommunikations-, Umfangs-, Qualitäts-, Risiko-, Zeit- und Ressourcenmanagement sowie Kostencontrolling und Beschaffung, ❏ Integrieren der Projektaufgaben und -auswirkungen in das Unternehmens- und Konzernumfeld, ❏ Einsatz geeigneter PM-Methoden und -werkzeuge für die formale Planung und Kontrolle eines Projektes (z. B. Stakeholder- und Risikoanalyse) auf Basis des unternehmensweiten PM-Verfahrens, ❏ Mitwirken bei der Festlegung eines relevanten Projektvorgehens durch Analyse und Auswahl geeigneter PM- Methoden und -werkzeuge und eines geeigneten Verfahrens (z. B. Vorgehensmodell „Strukturierte Anwendungsentwicklung“), ❏ Verantworten der fachlichen Entwicklung von Projektmanagern und Projektmitarbeitern, ❏ Mitwirken bei der Weiterentwicklung des unternehmensweiten PM-Verfahrens. 5 QualifizierungundZertifizierung In Reifegradmodellen zum Projektmanagement (wie z. B. PMMM) stellt das Thema Qualifizierung und Weiterbildung immer eine notwendige Voraussetzung zum Erreichen eines bestimmten Levels dar. Die Erfahrungen in der Postbank Systems gehen darüber hinaus: Qualifizierung und Zertifizierung waren ausschlaggebend dafür, dass die Entwicklung in Richtung einer Projektorientierten Organisation überhaupt möglich war und von einer breiten Basis nachhaltig getragen wurde. Eher zufällig und von einzelnen Führungskräften initiiert, wurden zu Beginn insbesondere Projektassistenten und ähnliche Unterstützungsfunktionen zum Projektmanagement-Fachmann (GPM) ausgebildet. Da bereits nach kurzer Zeit eine deutliche Verbesserung der PM- FACHLAUFBAHN FÜHRUNGSLAUFBAHN PROJEKTLAUFBAHN Projektassistent Projektkoordinator Projektspezialist Leiter Projektkoordination und -services Projektmanager Senior Projektmanager Programmmanager Methodenberater Leiter Competence Center Projektmanagement Abb.4: Projektmanagement-FunktionenimKarrieremodell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd23 20.12.200517: 09: 50Uhr 24 SCHWERPUNKT Dienstleistungen erkennbar war, wäre anzunehmen, dass ein breites Interesse an Qualifizierung einsetzte. Dies geschah jedoch zunächst nicht. Mit der Ankündigung des neuen Projektmanagement- Karrierepfades wuchs die Nachfrage nach PM-Qualifizierung. Erwartungsgemäß bekundeten zunächst diejenigen Mitarbeiter Interesse, die sich durch die Qualifizierung und anschließende Zertifizierung eine positive Karriereentwicklung oder den Einstieg in den neu geschaffenen PM- Karriereweg erhofften. Die in der Organisation gefestigten Projektleiter lehnten hingegen zu Beginn eine mehrtägige Qualifizierung ab: „zu umfangreich“, „Ich mache bereits seit X Jahren Projekte und brauche keine Grundlagenschulung“, „Warum soll ich mich einer Prüfung unterziehen? “ und ähnliche Äußerungen verdeutlichen die anfängliche Zurückhaltung. Die Bedenken der Mitarbeiter wurden ernst genommen. Um ein passgenaues Qualifizierungsangebot erarbeiten zu können, wurden verbindliche Self- Assessment-Veranstaltungen auf Basis des PM-Kanons der GPM zur Identifikation von Qualifizierungsthemen angeboten. Das Ergebnis des Assessments wurde anonymisiert der gesamten Organisation zur Verfügung gestellt. Nach dem Assessment entschieden sich weitere Projektmanager für die Teilnahme an einer PM-Qualifizierung. Die „kritische Masse“ schien erreicht. Durch die steigende Professionalität ihrer Kollegen unterlagen die Projektmanager einem „Pull-Effekt“ der Masse. Dieser Effekt wurde vom Vorstand durch einen „Push-Effekt“ gestützt: Alle professionellen Projektmanager mussten in den kommenden Jahren eine Projektmanagement-Zertifizierung erwerben. Ende des Jahres 2004 war die Personenzertifizierung nahezu abgeschlossen, weitere Zertifizierungsstufen werden nun angestrebt. 6 FazitundLessonsLearned Die Gesamtheit der Prozesse und Technologien eines IT- Dienstleisters birgt eine nicht zu unterschätzende Komplexität. Durch die Beschreibung von Funktionsprofilen wird die Prozesskomplexität für den Einzelnen reduziert und in der Gesamtheit Handlungsfähigkeit erreicht. Trugen insbesondere die Führungskräfte zuvor fachliche, finanzielle und personelle Leitungsverantwortung, so steht nun die Spezialisierung im Vordergrund. Entgegen der allgemeinen Meinung, unterschiedliche Laufbahnen müssten eingerichtet werden, um aufgrund von abflachenden Hierarchien und den daraus entstehenden geringeren Beförderungschancen alternative Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen, steht in der Postbank Systems explizit die Professionalisierung im Vordergrund. Um ein exzellenter Experte zu sein, bedarf es anderer Kompetenzen als komplexe Programme zu managen oder mit einer mittel- und langfristigen Perspektive einen Mitarbeiterpool weiter zu entwickeln. Allen gemeinsam ist jedoch die übergreifende Fähigkeit, Begeisterung bei den Mitarbeitern zu wecken und dadurch fachlich, projektbezogen oder disziplinarisch zu führen. Für die Glaubwürdigkeit eines eigenständigen PM-Karriereweges waren einheitliche Rahmenbedingungen von zentraler Bedeutung. Aufstiegsmöglichkeiten und Gehaltsbestandteile in den drei Karrierepfaden „Führung“, „Fach“ und „Projekt“ wurden schrittweise aneinander angeglichen. In allen drei Laufbahnen ist die gleiche Karrierestufe erreichbar und heute auch besetzt. Da die Postbank Systems über kein formales Gehaltsbzw. Tarifgefüge verfügt, hat sich an der individuellen Gehaltsausgestaltung durch die Einführung einer Karrieresystematik nichts geändert. Heute ist der Projektmanagement-Karrierepfad im Hinblick auf Vergütung, Nebenleistungen und Entwicklungschancen ein eigenständiger und gleichwertiger Karrierepfad. Nicht selten gab und gibt es Ressentiments gegenüber der geforderten Spezialisierung auf eines der drei Verantwortungsgebiete. Von jedem Einzelnen wird eine Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und Schwächen und ggf. ein Loslassen von zum Teil jahrelang gewachsenen Einfluss- und Entscheidungsstrukturen gefordert. Eben jene „Machtstrukturen“ zu stören ist eine bewusste Konsequenz der Einführung von gleichwertigen Karrierepfaden. Der Gewinn ist eine erhöhte Binnenkomplexität der Organisation, die der gestiegenen Komplexität von Entscheidungs- und Kommunikationsprozessen Rechnung trägt. Neben den Koordinationsmechanismus der formalen Kompetenz (Hierarchie) treten fachliche Kompetenz (Expertise) und methodische Kompetenz (Projektmanagement). Alle drei Laufbahnen erfordern mit steigendem Kompetenzniveau eine spezifische Form von Führungskompetenz. Nur wenn eindeutig festgelegt ist, wer für welche Ergebnisse die echte Verantwortung übernimmt bzw. übertragen bekommt, können sich gleichwertige Karrierestufen entwickeln. Ein Projektmanager, der Zeit, Kosten und Qualität gegenüber seiner Führungskraft und nicht gegenüber dem Kunden verantwortet, wird sich nicht als in einer gleichwertigen Karriere empfinden. Wenn unterschiedliche Interessen und Zielkonflikte nicht mehr innerhalb einer Hierarchie, sondern zwischen unterschiedlichen Laufbahnen aufzulösen sind, bedarf es neuer Koordinationsmechanismen. In der Postbank Systems ist dazu zusätzlich zu den einzelnen, projektbezogenen Lenkungsausschüssen ein Gremium eingerichtet worden, das sich „PTS-Professional Services Team Systems“ nennt. In diesem Gremium sind neben dem Vorstandsvorsitzenden und dem Projektvorstand alle Programmmanager, Senior-Projektmanager und die „People-Pool“-Manager des Ressorts Projekte vertreten. Dieses Gremium entscheidet über Fragen der Projektprozesse und des Projektportfolios und steuert damit die gesamten Projektaktivitäten des Unternehmens. Die ebenfalls neu eingeführte Projektportfolio-Koordination liefert die notwendigen Informationen, um die Gesamtheit der Programme und Projekte zu steuern und zu priorisieren. Welcher Anteil des IT-Budgets wird für die Erreichung des vereinbarten Qualitätsniveaus der Betriebsprodukte (bspw. Online-Banking oder Betrieb des LAN-Netzwerks) verwandt und wie viel muss in die Durchführung der Projekte investiert werden? Diese Fragen können heute sehr viel eindeutiger beantwortet und damit gesteuert werden. ■ Literatur [1]Becker,M.: GeändertesKarriereverständnis: PersonalentwicklungimZeichenvonFührungs-,Fach-und Projektkarrieren.Martin-Luther-Univ.Halle-Wittenberg, Wirtschaftswiss.Fakultät,BetriebswirtschaftlicheDiskussionsbeiträge,6,Halle(Saale)1996 [2]Berensmann,D.: GesamtarchitekturderDeutschen PostbankAG.In: Moormann,J./ Fischer,T.(Hrsg.): HandbuchInformationstechnologieinBanken.2.,vollständig erneuerteunderweiterteAuflage.Gabler,Wiesbaden2004, S.61-77 aktuell projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 PM_1_06.indd24 20.12.200517: 09: 51Uhr 25 [3]Berthel,J./ Koch,H.-E.: KarriereplanungundMitarbeiterförderung.ExpertVerlag,Stuttgart1985,S.58 [4]Frommberger,D.: ZurFormierungnationalerberuflicher AusbildungsstandardsimeuropäischenVergleich.In: Grollmann,P./ Kruse,W./ Rauner,F.(Hrsg.): EuropäisierungBeruflicherBildung.LIT-Verlag,Münster2005,S.89 [5]Kessler,H./ Hönle,C.: KarriereimProjektmanagement. Springer,Hamburg2002 [6]Lang,K.: LebeninProjekten: ProjektorientierteKarriere- undLaufbahnmodelle.Linde(Lindeinternational.Fachbuch Wirtschaft),Wien2005 [7]Moormann,J.: TransformationdesBankensektors. In: Moormann,J./ Fischer,T.(Hrsg.): HandbuchInformationstechnologieinBanken.2.,vollständigerneuerteund erweiterteAuflage,Gabler,Wiesbaden2004,S.3 Schlagwörter BerufsbildProjektmanager,Karrieremodell,ProjektorientierteOrganisation Autor Prof.Dr.MichaelGessleristProfessor fürBeruflicheBildungundBerufliche WeiterbildungimFachbereich12 undimInstitutTechnikundBildung (ITB)derUniversitätBremen.Erist GPM-RepresentativeimCouncilof DelegatesderIPMAInternational ProjectManagementAssociation, ChairmandesIPMAYoungCrewManagementBoardund ProjektleiternationalerundinternationalerForschungs- undEntwicklungsprojekte(u.a.MinisteriumfürBildungund Forschung,EuropäischeKommission). Anschrift UniversitätBremen Fachbereich12 Bibliothekstraße D-28359Bremen Tel.: 0421/ 2187773,Fax: 0421/ 2187219 E-Mail: mgessler@uni-bremen.de www.ifeb.uni-bremen.de,www.itb.uni-bremen.de Autor DavidThyssenstudiertePädagogik mitdenSchwerpunktenErwachsenenbildungundWirtschaftslehrein Köln,MünsterundLeiden.Seit2001 begleiteterimPersonal-undProzessmanagementderPostbankSystems AGinBonnunteranderemdieEntwicklungundImplementierungeines Karrieremodells,bestehendausFach-,Führungs-und Projektlaufbahn.ErpromoviertanderUniversitätBremen zumThema„Organisations-undKarrieremodelleinprojektorientiertenOrganisationen“. Anschrift PostbankSystemsAG Personal-undProzessmanagement/ Personalentwicklung Postfach260146,D-53153Bonn Tel.: 0228/ 920-69414 Fax: 0228/ 920-69402 E-Mail: david.thyssen@postbank.de projekt M A N A G E M E NT 1/ 20 0 6 aktuell PM_1_06.indd25 20.12.200517: 09: 53Uhr