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PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2006
172 Gesellschaft für Projektmanagement

China: Mit Großprojekten an die Weltspitze

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2006
Oliver Steeger
Anfang Februar feierten die Chinesen ausgelassen das Neujahrsfest. Das Jahr des Feuerhundes, so will es der traditionelle chinesische Kalender, brach an. Nach fünf Jahren stetigem Aufschwung hält man das Symboltier im Reich der Mitte für ein gutes Omen. Auch nüchtern beobachtende Volkswirte prognostizieren der Volksrepublik anhaltendes Wirtschaftswachstum. Mit einem gewaltigen Kraftakt und ehrgeizigen Projekten baut das Land von der Größe Europas seine Infrastruktur aus - Kraftwerke, Flughäfen, Straßen und Eisenbahnen braucht das Land. Rund 600.000 Projektmanager will China mittelfristig qualifizieren - ein Indiz, dass das Land auch in puncto Projektmanagement auf dem Weg zur Weltspitze ist.
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3 REPORT projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 aktuell D as Jahr des Feuerhundes ist angebrochen. Die Chinesen haben das mit Mythen überladene Neujahr mit Feiern begrüßt. Hongbao, ein Kuvert mit einem Geldgeschenk, machte die Runde; das Hongbao symbolisiert das Weiterleiten guter Wünsche. Zum Jahreswechsel haben auch Wahrsager, die in Asien ein deutliches Wort bei Prognosen mitzureden haben, Hochkonjunktur. Sie deuteten ausgiebig die Zeichen für 2006. Für die Schifffahrt und den Möbelbau sei zwar nichts Gutes zu erwarten (Holz und Wasser vertragen sich nicht mit Feuer). Doch werden der Bausektor und die Immobilienwirtschaft prosperieren. „Denn das Feuer ist ein Erdzeichen“, erklärte Feng-Shui-Meister Ang Chong Peng im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Es mag Zufall sein, dass derzeit tatsächlich die Baubranche in China der kräftigste Wachstumsmotor ist. Experten von Morgan Stanley haben errechnet: Der Wert der in Bau befindlichen Immobilien entspricht einem Drittel der gegenwärtigen Gesamtwirtschaftsleistung Chinas. Die in den Metropolen allerorts anzutreffenden Kräne sind Teil des gewaltigen Wirtschaftsbooms. „Der chinesische Drache fliegt weiter“, prognostiziert das Institut der deutschen Wirtschaft (Köln). Für das laufende Jahr rechnet das Institut mit einem Wachstum von 8,5 Prozent. „Früher als erwartet hat China in der Rangliste der Wirtschaftsriesen Länder wie Großbritannien oder Frankreich hinter sich gelassen“, meint Peter Tichauer, Chefredakteur des Fachblatts ChinaContact. Das Land werde aller Voraussicht nach in diesem Jahr hinter den USA, Japan und Deutschland auf Platz vier vorrücken. „Als Zwischenstation auf dem Weg zur Spitzenposition“, wie Tichauer schätzt. Vor fünfzehn Jahren wäre Tichauer für solch eine Prognose belächelt worden. Doch binnen weniger Jahre hat sich im Reich des Drachens ein scheinbar grenzenloser Markt aufgetan. Es ist, als sei mit einem Mal ein neuer Erdteil zur globalisierten Welt hinzugekommen - und China: Mit Großprojekten an die Weltspitze Wirtschaftsboom hält im „Jahr des Feuerhundes“ an Oliver Steeger Anfang Februar feierten die Chinesen ausgelassen das Neujahrsfest. Das Jahr des Feuerhundes, so will es der traditionelle chinesische Kalender, brach an. Nach fünf Jahren stetigem Aufschwung hält man das Symboltier im Reich der Mitte für ein gutes Omen. Auch nüchtern beobachtende Volkswirte prognostizieren der Volksrepublik anhaltendes Wirtschaftswachstum. Mit einem gewaltigen Kraftakt und ehrgeizigen Projekten baut das Land von der Größe Europas seine Infrastruktur aus - Kraftwerke, Flughäfen, Straßen und Eisenbahnen braucht das Land. Rund 600.000 Projektmanager will China mittelfristig qualifizieren - ein Indiz, dass das Land auch in puncto Projektmanagement auf dem Weg zur Weltspitze ist. Shanghai gilt als eine der großen Boomregionen Chinas. Foto: Siemens AG 4 REPORT aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 eine ehrgeizige Nation dazu. China will mit aller Kraft zur Wirtschaftssupermacht aufsteigen. Je schneller, desto besser. Man kauft im globalen Supermarkt ein: Straßen und Flughäfen, Fabriken und Maschinen, Kraftwerke und Forschungseinrichtungen. Dass China die Weltspitze erreicht, scheint für viele Beobachter außer Frage zu stehen. Sie orakeln nur, wann es so weit sein wird - und welche Folgen dies für die alten Wirtschaftsmächte hat. Großaufträge für die deutsche Wirtschaft Der China-Boom stützt derzeit die deutsche Exportwirtschaft. Aufträge aus China verheißen schlagzeilenträchtige Großprojekte. Siemens vermeldete im Spätherbst letzten Jahres den Auftrag für 60 Hochgeschwindigkeitszüge, ein Volumen von fast 670 Millionen Euro. „Damit können wir die langfristige Partnerschaft der deutschen und chinesischen Eisenbahnindustrie weiter ausbauen“, freute sich der Siemens-Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld. Im Januar kündigte Degussa an, sie werde in den nächsten fünf Jahren jährlich 100 Millionen Euro in China investieren. Der Softwarehersteller SAP gab bekannt, er werde ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum in Shanghai bauen; ab dem Jahre 2009 sollen hier rund 1.500 Forscher arbeiten. Die Hochtief AG meldete, sie wolle sich an einem Flughafen in der ostchinesischen Provinz Shandong beteiligen und für 100 Millionen Euro Aktienanteile erwerben. Bis 2020 will China einen bescheidenen Wohlstand für seine Bürger erreichen. Angesichts des wirtschaftlichen Kraftakts ein schlicht anmutendes Ziel. Doch hat China den Wohlstand gleich von 1,3 Milliarden Menschen im Sinn. Dies zwingt zum Wirtschaftsboom, und der Boom wiederum zwingt zu großen Projekten: Die Infrastruktur Chinas - Straßen, Flughäfen, Kraftwerke - kann trotz aller Anstrengungen mit dem Fortschritt kaum mithalten. Statistik: Jeden Monat eröffnen fast zwei Flughäfen So steigerte China binnen fünf Jahren die Zahl der Flughäfen auf 170. Bis 2010 sollen es 240 sein; rein rechnerisch eröffnen monatlich fast zwei Airports. Ähnliches gilt für das Straßennetz. Allein 2004 hat China 4.600 neue Autobahnkilometer gebaut. Bis 2010 will die Volksrepublik ihr Straßennetz (einschließlich Landstraßen) auf 2,3 Millionen Kilometer ausbauen. Trotzdem, künftig werden immer noch Kapazitäten fehlen. Die Zahl der zugelassenen Autos soll jährlich um zehn Prozent steigen, die Transportfähigkeit der Straßen aber nur um drei Prozent. Dies erklärt das Interesse an intelligentem Verkehrsmanagement. Mit dem EU-Projekt DYNASTY (Dynamic Traffic Information Service) und Der Transrapid-Auftrag sorgte für Schlagzeilen. Er gilt als deutsches Vorzeige-Projekt im Reich der Mitte. Foto: Siemens AG 5 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 aktuell dem deutsch-chinesischen TRANSIT-Projekt will man der Verkehrslawine Herr werden und auch im Verkehrsmanagement zur Weltspitze aufschließen. Ähnliches gilt für den Energiesektor. Hier sind die Zuwachsraten vierbis fünfmal größer als im Rest der Welt. Bis 2020 will die Regierung jährlich zwei Kernkraftwerke bauen und die Kapazität auf 40 Gigawatt mehr als vervierfachen. Ein gigantisches Vorhaben, das Fachleuten allerdings angesichts der Energieprobleme als „Tropfen auf dem heißen Stein“ erscheint. So soll auch der Kohleverbrauch bis zum Jahr 2025 um 76 Prozent steigen und regenerative Energiequellen gelten ebenfalls als eine Technik mit großem Zukunftspotenzial. 600.000 Projektmanager mittelfristig benötigt Für diese Vorhaben benötigt China gut ausgebildete Projektmanager. 6.000 Projektmanager sind derzeit nach dem Standard der „IPMA International Project Management Association“ zertifiziert. Den Bedarf schätzen die Behörden allerdings auf 600.000 Projektmanager - allein schon, um die Infrastrukturprojekte voranzutreiben. Die Regierung hat das Defizit erkannt und fördert die Ausbildung wie auch das Projektmanagement selbst. Auch die IPMA trägt dem Rechnung: Der 20. IPMA-Weltkongress wird vom 15. bis 17. Oktober 2006 in Shanghai stattfinden. An Chinas Wirtschaftswunder wollen viele westliche Unternehmen teilhaben. Die Furcht geht um, dass Unternehmen, die jetzt nicht auf den Zug aufspringen, in einigen Jahren bedeutungslos werden. Wer in China die Pole- Position hat, macht auch global das Rennen. Doch vermehrt melden sich kritische Stimmen, die die Euphorie dämpfen. Hierzu erheben insbesondere aus China stammende Berater sowie langjährige China-Kenner aus westlichen Staaten die Stimme. Ein Beispiel: Mehrere tausend Flugzeuge dürfte China in den nächsten Jahrzehnten für seine Fluglinien bestellen. Als Airbus Ende Dezember letzten Jahres den Auftrag für 150 Flieger erhielt, war dies nur der bescheiden wirkende Anfang. Doch der Deal hatte einen Haken. Die Endmontage der Flugzeuge sollte, so die Bedingung, in China stattfinden. Die Endmontage macht mit fünf Prozent der gesamten Wertschöpfung wirtschaftlich durchaus Sinn. Wichtiger aber ist der Transfer von Technologie. „Das Muster ist immer gleich“, kommentiert die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „China besorgt sich ausgefeilte Technologie westlicher Länder, kopiert sie und wirft Nachahmerprodukte, die wegen der niedrigen chinesischen Löhne konkurrenzlos billig sind, auf den Weltmarkt.“ Mit westlichem Know-how den Weltmarkt erobern? Neu ist die Taktik nicht. Vor rund 170 Jahren hat das seinerzeit wirtschaftlich rückständige Deutschland Lokomotiven aus dem Industrieland Großbritannien importiert, sich die Technik zu Eigen gemacht, weiterentwickelt - und selbst eine florierende Bahnindustrie aufgebaut, von deren Ruf Siemens heute noch zehrt. Die Gefahr droht, dass China mit billigen Löhnen und westlichem Know-how nicht nur seinen eigenen Markt deckt, sondern den ganzen Weltmarkt dazu. Siemens-Aufsichtsrat Heinrich von Pierer musste das Thema „Technologie-Diebstahl“ zur Chefsache erklären, als China im Februar die Entwicklung und den Bau einer eigenen Magnetschwebebahn verkündete. Ab Juli soll ein Prototyp auf der 1,7 km langen Versuchsstrecke bei Shanghai fahren; möglicherweise schon in fünf Jahren könnte der Zug unter dem Namen „Zhui“ auf den Markt kommen. Dieses Projekt der Chinesen sei bei Siemens bekannt, versuchte Ex-Manager von Pierer die Wogen zu glätten. Und es gebe „keine Hinweise, dass sie deutsche Technologien abgekupfert haben“. Dem Urteil schlossen sich auch Experten der Deutschen Bahn AG an. Hoffentlich behalten die Fachleute Recht. Immerhin sind die wesentlichen Unternehmen deutlich vorsichtiger geworden. Ihre Projektmanager geben sich Mühe, sich gegen die Wissbegierde ihrer chinesischen Partner zu schützen - und erleben doch immer wieder böse Überraschungen. Ein mittelständischer Hersteller gibt Pläne für die Produktion von Bauteilen aus der Hand; wenige Zeit später finden sich die Pläne bei Mitbewerbern. Ein Kraftwerkhersteller baut gemeinsam mit chinesischen Subunternehmern ein Kraftwerk - und muss sich bei Folgeprojekten mit der Rolle eines Beraters zufrieden geben. Die Wirtschaftswoche zitiert die Studie des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), dass in Branchen wie Werkzeugmaschinen, Textilmaschinen, Pumpen oder Kompressoren jedes zweite Unternehmen negativ betroffen ist und Umsatzrückgänge von bis zu 50 Prozent beklagt. Grelles Licht und finsterer Schatten liegen in China offenbar dicht beieinander. Ohne das notwendige persönliche Netzwerk („Guanxi“ genannt) kann ein Manager in China kaum Fuß fassen. Und eben über dieses Netzwerk fließen dann und wann auch Strategiepapiere und Blaupausen an Mitbewerber ab. Verstehen sich die Pro- Die rasante Entwicklung in Asien und im globalen Markt bildet einen Diskussionsschwerpunkt auf dem „20. IPMA World Congress on Project Management“. Er findet - bezeichnenderweise - in der Wirtschaftsmetropole Shanghai statt. Am 16. und 17. Oktober 2006 werden in der Metropole rund 1.500 Projektmanagement-Fachleute erwartet. Unter dem Leitsatz „Development by Project - a key to an innovative age“ planen die Organisatoren 13 Themenstreams. Außerdem sollen zur geplanten Olympiade 2008 (Beijing) und zur EXPO 2010 (Shanghai) Hintergrundveranstaltungen stattfinden. Höhepunkt des Kongresses wird die Verleihung des „IPMA International Project Management Awards“ auf einer festlichen Abendgala am 16. Oktober. Dank seines Wirtschaftswachstums genieße China eine hohe Aufmerksamkeit der Projektmanagement-Fachleute aus aller Welt, erklärt IPMA-Präsident Adish Jain in seiner Einladung. Mit der Wahl von Shanghai als Veranstaltungsort findet der IPMA-Traditionskongress das zweite Mal außerhalb Europas statt. Der Kongress wird von dem chinesischen „PMRC Project Management Research Committee of China“ mit Unterstützung eines „International Advisory Board“ der IPMA vorbereitet. Hochkarätige PM-Experten aus aller Welt haben bereits ihre Teilnahme zugesagt. Neben dem Fachprogramm bietet der Kongress eine Reihe von Gelegenheiten, China mit seiner jahrtausendealten Kultur kennen zu lernen. Weitere Informationen: www.ipma2006.com. Spezielle Fragen der GPM-Mitglieder beantwortet IPMA-Vice-President Otto Zieglmeier unter O.Zieglmeier@IPMA.ch. IPMA-Weltkongress 2006 in Shanghai 6 REPORT aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 Der Unternehmensberater Dr. Kang Gang Hu gehört zu den wenigen Spezialisten, die sowohl die chinesische als auch die deutsche Wirtschaft gründlich kennen. Er hat in Darmstadt promoviert und anschließend für Volkswagen, Wella und Putzmeister federführend Standorte in seinem Heimatland aufgebaut. Vor sechs Jahren wurde er zum Manager des Jahres der Provinz Shanghai gewählt. Herr Dr. Hu, mit der Wirtschaft in China boomt auch das Projektmanagement. Welche Projekte bilden derzeit das Schwergewicht? Dr. Kang Gang Hu: Nur einmal die staatlichen Projekte betrachtet: Hier stehen Infrastrukturprojekte im Augenblick an vorderster Stelle, beispielsweise in den Bereichen Verkehr, Energie und Kommunikation. Die Regierung sieht sich aber zunehmend in der Pflicht, auch Projekte zur Arbeitssicherheit, zur Medizin und zum Umweltschutz zu starten. Hinzu kommen viele Projekte der Wirtschaft, beispielsweise Forschung und Entwicklung, Fabrikbauten und Ähnliches. An vielen dieser Projekte sind westliche Unternehmen beteiligt, für die das eine Gratwanderung ist: Zum einen können sie China mit Spitzentechnologie unterstützen, zum anderen droht ihr Know-how an chinesische Mitbewerber abzufließen. Dieses Risiko ist, wenn man die derzeitige Lage in China betrachtet, leider unvermeidbar. Die chinesische Regierung arbeitet allerdings daran, den Rechtsrahmen zu verbessern. Nach meiner Kenntnis wurden bereits deutliche Erfolge erzielt. Vielen Unternehmen reichen diese staatlichen Erfolge noch nicht aus. Wie können Unternehmen ihr Know-how schützen? Wichtig ist, die chinesischen Partner sorgfältig auszuwählen. Ihre technische Basis, Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und noch viel mehr - all dies gehört auf den Prüfstand. Dann sollten westliche Unternehmen ihr Know-how selbst schützen. Beispielsweise sollten sie Patente rechtzeitig in China registrieren. Und sie sollten den Schutz des Know-hows vertraglich mit den Partnern regeln, was natürlich nur funktioniert, wenn der Partner vertrauenswürdig ist. Auch sollten sie Kerntechnologie möglichst in eigener Hand belassen. Das ist aber nicht immer leicht. Ihre Hinweise klingen nach einer langen Liste von möglichen Maßnahmen, die Projektmanager in ihrer Risikoanalyse vermerken können … Richtig! Maßnahmen zu finden ist kein großes Kunststück. Die Schwierigkeit besteht darin, sie auch umzusetzen. Denn bei aller Vorsicht darf das Vertrauen zu den chinesischen Partnern und Lieferanten als Fundament der Kooperation durch diese Maßnahmen nicht verletzt werden. Ein Punkt, der auch für Verträge gilt … Ja, das gleiche Prinzip: So viel Vertrauen wie möglich, so wenig Kontrolle wie nötig. Anders als im Westen reicht allein ein Vertrag für eine gute Zusammenarbeit mit chinesischen Auftraggebern nicht aus, gleich, wie ausführlich der Vertrag ist. Als Grundlage ist das gegenseitige Vertrauen mindestens genauso wichtig. In diesem Zusammenhang wird das in China erforderliche persönliche Netzwerk erwähnt … Das „Guanxi“ meinen Sie? Richtig, der Begriff ist hierzulande schon verbreitet und wird verstanden. Hoffentlich richtig verstanden! Manche halten das Guanxi für ein Zaubermittel, das alle Probleme löst. Sie haben den Kern nicht ganz verstanden: Hauptprinzip des Guanxi ist immer eine Win- Win-Situation, wie man im Westen sagt. Es bedeutet sowohl Chance und Gewinn als auch Pflicht und Schuld. Das Guanxi ist ein zweischneidiges Schwert, und man muss bedachtsam damit umgehen. Projektmanager sagen, sie müssten in China wesentlich mehr vor Ort bei ihren Partnern sein und den persönlichen Kontakt pflegen. Ja, der persönliche Kontakt ist besonders wichtig. Den Projektstatus sollten sie am besten vor Ort mit den Partnern besprechen. Für die Endabnahme des Projekts ist dies auf jeden Fall ein Pflichtpunkt; sie muss besonders professionell durchgeführt werden. Und: Auf Fallen achten. Welche persönlichen Eigenschaften sollte ein Projektmanager mit nach China bringen? Darüber ist viel geredet und geschrieben worden. Letztlich kann ich dies aber nur subjektiv, aus meinen Erfahrungen beurteilen. Bitte! Ich halte Verständnis für die chinesische Kultur und Mentalität für sehr wichtig. Dann eine Kombination aus Beharrlichkeit, Sorgfalt und Flexibilität. Hilfreich sind auch ein gutes Beurteilungs- und Bewertungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein, Kreativität und professionelle Verhandlungstechnik. Wie sollten sich Projektmanager auf ihren ersten Einsatz in China vorbereiten? Die gute Vorbereitung ist ganz entscheidend für die Arbeit in China. Man kann sich nie genügend vorbereiten. Entscheidend ist eine präzise Vorstudie des Projekts mit allgemeinen Informationen zu den Rahmen- und Randbedingungen, aktuellen Gegebenheiten auf dem betroffenen Markt. Dann selbstverständlich projektbezogene Informationen über den Partner, über den finanziellen, rechtlichen, technischen und organisatorischen Hintergrund und über die Human Resources. Einige Projektmanager klagen, in ihrem Unternehmen hätten sie nicht genügend Spielraum für diese Vorbereitungen. Ich sehe die Unternehmen in diesem Punkt in die Pflicht genommen. Sie müssen die Vorbereitungen rechtzeitig anstoßen, steuern und unterstützen. Sie müssen den Zugang zu Informationen ermöglichen und dem Projektleiter Zeit, die nötigen finanziellen Mittel und Ressourcen an die Hand geben. Das ist aus meiner Sicht eine wichtige Aufgabe des Top-Managements. Weitere Informationen: www.ge-as.cn „Die chinesische Regierung arbeitet an der Verbesserung des Rechtsrahmens“ Dr. Kang Gang Hu begleitet als Geschäftsführer der Unternehmensberatung GE-AS Co. Ltd. deutsche Unternehmen auf dem Weg nach China. Foto: privat 7 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 aktuell An Elektrizität mangelt es häufig in China. Nur mit Mühe können die Versorger den ständig wachsenden Bedarf decken. Projektmanager Michael Emsberger hat sich am Bau des zurzeit größten chinesischen Kohle-Kraftwerks beteiligt. Das in Stuttgart ansässige Unternehmen lieferte die Dampfkessel und die zugehörigen Aggregate für die Anlage. Die Turbinen kamen von Siemens, die Leittechnik von Hitachi. Herr Emsberger, die Energieversorgung gilt als Achillesferse des Wirtschaftsbooms in China. Michael Emsberger: Ja, deswegen arbeitet man in China auch intensiv an der Sicherung der Energieversorgung. Um die Kraftwerke auszulasten, werden Anreize geschaffen, nachts zu arbeiten; für die Nachtstunden wird der Strom verbilligt. Trotzdem: Bei Überlast werden sogar ausgesuchte Großabnehmer vom Netz abgeschaltet. Ihr Unternehmen hat Kesselanlagen für zwei Kraftwerkblöcke geliefert. Diese Kohle-Kraftwerke sind die derzeit größten in China. Ja. Eine Zahl, damit man sich die Größenordnung vorstellen kann: Wir haben 30.000 Tonnen Stahl und 15.000 Tonnen Stahlrohre verbaut. Davon wurde aber ein großer Teil von chinesischen Partnern geliefert. Die deutsche Wirtschaft fürchtet bei China-Projekten den Abfluss ihres Knowhows. Haben Sie bei Ihrem Projekt in China ähnliche Erfahrungen gemacht? Wir waren vertraglich verpflichtet, viele Dokumente herzugeben - vor allem an so genannte Design-Institute, die unseren Ingenieurbüros vergleichbar sind. Die Partner für Lieferungen benötigten auch genügend Konstruktionszeichnungen für die Produktion. Die Chinesen sind sehr wissbegierig … Inwiefern? Obwohl alles besprochen war, zogen sich manche Meetings in die Länge. Man wollte immer mehr wissen, stellte technische Detailfragen und forderte Einsicht in weitere Dokumente. Mussten Sie auch für Ihr Unternehmen sensible Informationen offen legen? Das war ein ständiges Ringen mit den Partnern, welche Dokumente wir zugänglich machen mussten - und welche nicht. Letztlich haben wir für uns wichtige Informationen aber unter Verschluss halten können. Sie haben seitens Alstom mit bis zu 30 Mitarbeitern aus Deutschland in Shanghai die Gespräche geführt. Die Verhandlungen gestalteten sich nicht leicht … Solche Gespräche sind nie leicht. Man muss auf Überraschungen gefasst sein. Mal saßen die Schlüsselpersonen nicht am Verhandlungstisch, mal zogen sich die Gespräche lange ohne Fortschritt hin. Oft haben wir bis weit nach Mitternacht diskutiert - eine klare „Weichmachtaktik“. Ein anderes Mal wurden vom chinesischen Gesprächspartner einseitige Forderungen gestellt. Wie sind Sie mit solchen Forderungen umgegangen? Zunächst einmal haben wir Zeit einkalkuliert. Entscheidungen sollte man nicht zu hartnäckig fordern. Andererseits: Reagiert der chinesische Verhandlungsführer zu energisch, wird der betreffende Punkt vertagt. Generelle Prinzipien - beispielsweise sehr weitreichende Vertragsbedingungen - sollte man nicht unbedingt akzeptieren; stattdessen eigene Punkte darstellen. Ganz unpassend ist es aber auch gegenüber Lieferanten, arrogant aufzutreten. Das erzeugt nur Gegendruck. Gab es Sprachprobleme? Ja! Englisch war die Vertragssprache, und doch sprachen die Mitarbeiter des Kunden meist nur chinesisch. Wir hatten zum Glück eigene Dolmetscher dabei. Sie waren vorher eingewiesen worden, nicht nur die Worte, sondern auch die Reaktionen beim Kunden zu übersetzen. Nochmals zum Technologie-Abfluss. Haben Sie festgestellt, dass Ihre Unterlagen über das in China so ausgeprägte persönliche Netzwerk verbreitet wurden? Wir haben beobachtet, dass Informationen, die wir an lokale Lieferanten gegeben haben, früher oder später auch beim Kunden auf dem Schreibtisch lagen. Manchmal hatten wir den Eindruck, dass unsere örtlichen Unterlieferanten einen besseren Draht zu unserem Kunden hatten als wir selbst. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit regionalen Subunternehmern gestaltet? Sehr unterschiedlich. Die Qualität einiger Lieferanten kann man sich auch im Westen als Vorbild nehmen. Bei anderen war zwar die Technik hervorragend, doch ihr Management ließ zu wünschen übrig. Dort wechselten beispielsweise ständig unsere Ansprechpartner. Von wieder anderen Lieferanten haben wir überhaupt keine Antworten auf unsere Anfragen bekommen. Wie schwierig war es, in Shanghai Spezialisten für Ihr Team anzuwerben? Wir hatten in zweifacher Hinsicht Glück. Als wir unser Projekt gestartet haben, liefen gerade eine Reihe anderer Kraftwerksprojekte aus. Es gab also freie Spezialisten. Und wir verfügten aus vorangegangenen Projekten über ein „ALS- TOM“-Netzwerk, über das wir auf diese Spezialisten zugreifen konnten. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den chinesischen Mitarbeitern in Ihrem Team? Die Spezialisten sind sehr selbstbewusst. Sie wollen selbständig arbeiten, und auch beim Gehalt kennen sie sehr gut ihren Marktwert. Unternehmen, die auch für chinesische Spezialisten Billiglöhne erwarten, werden also enttäuscht? Auf jeden Fall, vor allem in den Wirtschaftsmetropolen mit hohem und vergleichsweise kostspieligem Lebensstandard. Beim Gehalt verstehen nicht nur die Spitzenkräfte das Pokerspiel. Und bei attraktiven Angeboten wechseln sie schnell mal den Arbeitgeber. „Man wollte mehr über unser Know-how wissen“ Als Projektmanager erfolgreich in China: Michael Emsberger Foto: privat 8 REPORT aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 jektverantwortlichen aus dem Westen auf die Spielregeln des Guanxi noch nicht, so kennen die chinesischen Partner kein Pardon. „Die Rechtsunsicherheit muss man akzeptieren“ „Sogar Geheimhaltungserklärungen und vertragliche Absicherungen muss man mit Vorsicht betrachten“, berichtet Unternehmensberater Matthias Feil, Vorstand und China-Experte bei der Staufen Akademie (Bad Boll). Auch Joint Ventures mit Forschungszentren seien gefährlich. „Die Rechtsunsicherheit muss man einfach akzeptieren“, meint auch Feils Kollege Jörg Bovensmann. Er hat eine Reihe mittelständischer Unternehmen nach China begleitet. Feil ergänzt: „Wir empfehlen Unternehmen, Komponenten mit Kerntechnologie im Zweifelsfall besser in Deutschland zu produzieren.“ Der Berater Kang Gang Hu versteht sich mittlerweile auch als Mahner und Warner in Deutschland (siehe Interview). „China ist anders“, sagt er, „ganz anders.“ Irrig sei die Annahme, man müsse nur ein Händchen für die chinesische Mentalität haben. Ganz im Gegenteil: Die Differenzen zwischen Ost und West sind enorm, und sie berühren fast alle Wirtschaftsbereiche. Beispiel Human Resources: China gilt als Billiglohnland - sofern Unternehmen keine akademisch qualifizierten chinesischen Mitarbeiter wie Ingenieure, IT-Fachleute oder Betriebswirte suchen. Rund 37.500 MBA-Absolventen werden nach Schätzung der Erziehungskommission der Stadt Shanghai in diesem Jahr benötigt. Doch nur 12.000 Absolventen haben im vergangenen Jahr ein solches Studium abgeschlossen. In China rasch wachsende Unternehmen wie Degussa oder der französische Kosmetikhersteller L’Oréal haben nach Informationen der Wirtschaftswoche inzwischen große Schwierigkeiten, geeignete Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Zudem steigt im Wettbewerb um die besten Köpfe die Fluktuationsrate. Nur Gehaltssteigerungen um jährlich 13 bis 14 Prozent halten die Mitarbeiter bei Laune. Noch wichtiger als Geld sind chinesischen Mitarbeitern die Karrieremöglichkeiten und das direkte Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten. Wer auf diese Bedürfnisse nicht eingeht, dem gehen die Mitarbeiter von der Fahne. Beispiel Lieferanten und Sourcing: Westlichen Unternehmen wird in vielen Fällen vorgeschrieben, chinesische Subunternehmer in ihre Projekte einzubeziehen. Anders als in Europa gestaltet sich die Suche nach diesen Partnern aber sehr schwierig. Josef Luerkens, über Jahre Beschaffungsmanager Asien bei INA Schaeffler, hat bei chinesischen Lieferanten beispielsweise starke Qualitätsschwankungen festgestellt. In China müsse man mehr Geld für die Entwicklung der Lieferanten und mehr Zeit für Verhandlungen einkalkulieren. Der heute als Berater tätige Fachmann: „Regelmäßige Besuche, Kontrollen und Schulungen kosten Zeit, Geld, Nerven und Geduld.“ Dies gelte auch für das Aushandeln von Verträgen. Beispiel Binnenmarkt China: „Der Markt in China ist gewaltig, kompliziert, ungleichmäßig und von strengem Wettbewerb geprägt“, erklärt Mi Zhang, General Manager der Mobiltelefongesellschaft „Longyue Telecom Equipment Company“ (Guangzhou). Ein vergleichsweise schmaler Streifen an der Ostküste sei derzeit wirtschaftlich hoch entwickelt, wobei dieser „Speckgürtel“ und die wichtigeren Städte mehr als die Hälfte des chinesischen Markts ausmachen. Binnennachfrage in China muss wachsen Mit eigener Erfahrung und Beratern vor Ort haben Projektmanager gute Chancen, diese Klippen zu umfahren. Auf die Gefahr des Know-how-Abflusses haben westliche Unternehmen bereits taktisch geschickt reagiert. Apple beispielsweise produziert seine Unterhaltungselektronik in China; das Unternehmen treibt seine Entwicklung so schnell voran, dass Nachahmern kaum Zeit bleibt, die Produkte zu kopieren. Einige Beobachter setzen allerdings generelle Fragezeichen hinter das Wirtschaftswunder in China. „Die Firmen bauen dort große Kapazitäten auf - dafür muss aber auch die dortige Binnennachfrage in Schwung kommen“, sagt Dr. Volker Treier, Referatsleiter Konjunktur- und Wachstumspolitik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Die Research-Abteilung der Deutschen Bank weist deutsche Investoren ebenfalls auf die geringe Kaufkraft der Bevölkerung hin - und hält auch die Eskalation sozialer Unruhen für möglich, wenn marode Staatsbetriebe entlassen müssen oder die Zahl arbeitsloser Landarbeiter weiter steigt. Auch eine Überhitzung der Wirtschaft und ein sich ändernder politischer Rahmen werden als Risiko genannt. Einig sind sich die Auguren allerdings in einem Punkt: Gefährlicher als dies alles ist es nur, sich nicht mit China zu beschäftigen und die Chancen in diesem Land zu verpassen. n China bildet immer mehr Ingenieure aus. Auch die Zahl der Projektleiter soll steil ansteigen - von derzeit 6.000 auf künftig 600.000. Foto: Siemens AG