eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 17/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
61
2006
172 Gesellschaft für Projektmanagement

Teammanagement - Eine diplomatische Herausforderung

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2006
Astrid Pfeiffer
Qualifikation und Fachkompetenz sind nur Teilaspekte eines erfolgreichen Projektteams. Viel schwerer wiegen oft psychosoziale Faktoren. Projektarbeit hat viel gemein mit Politik: Unterschiedliche Interessen müssen identifiziert und ausgeglichen werden, und das schon in Kleinprojekten mit einer Handvoll Mitarbeitern. Denn Querelen von lustlosem Arbeiten über Dauerstreit bis hin zur Totalverweigerung kosten Produktivität. Schon durch die richtige Teambesetzung lassen sich „politische“ Probleme abmildern. Fehlt es dem Projektleiter dabei an Gestaltungsfreiheit, sollte er Interessengegensätze und Antipathien zumindest begrenzen. Sein diplomatisches Geschick ist der Schlüssel zum Erfolg.
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14 SCHWERPUNKT aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 Teammanagement - Eine diplomatische Herausforderung Psychosoziale und „politische“ Projektrisiken richtig handhaben Astrid Pfeiffer Qualifikation und Fachkompetenz sind nur Teilaspekte eines erfolgreichen Projektteams. Viel schwerer wiegen oft psychosoziale Faktoren. Projektarbeit hat viel gemein mit Politik: Unterschiedliche Interessen müssen identifiziert und ausgeglichen werden, und das schon in Kleinprojekten mit einer Handvoll Mitarbeitern. Denn Querelen von lustlosem Arbeiten über Dauerstreit bis hin zur Totalverweigerung kosten Produktivität. Schon durch die richtige Teambesetzung lassen sich „politische“ Probleme abmildern. Fehlt es dem Projektleiter dabei an Gestaltungsfreiheit, sollte er Interessengegensätze und Antipathien zumindest begrenzen. Sein diplomatisches Geschick ist der Schlüssel zum Erfolg. 2 50.000 Euro will sich eine Behörde eine Studie zum Verbraucherschutz kosten lassen. Um bei der Ausschreibung eine Chance zu haben, tun sich eine Spezialagentur (Hauptauftragnehmer) und ein Forschungsinstitut zusammen. Doch kurz nach Auftragseingang bricht Streit über Aufgabenverteilung und Mitspracherechte aus. Der Institutsleiter findet, seine Rolle als Unterauftragnehmer werde seinem exzellenten Ruf als Experte nicht gerecht. Die Lage verkompliziert sich weiter, als auf Bitten des Auftraggebers ein Designbüro zum Team stößt, das sich immer wieder den Anweisungen des Projektleiters widersetzt. Den Grund erfährt dieser erst viel später: Das Designbüro hatte sich selbst - erfolglos - um den Gesamtauftrag für die Studie beworben. Als plötzlich der Leiter des Forschungsinstituts mit unbekanntem Ziel verreist, eskaliert die Situation. Dieses Projekt hat es mit allen beschriebenen Problemen wirklich gegeben. Der Projektleitung unterliefen schwere handwerkliche Fehler, vor allem der Verzicht auf eine Stakeholderanalyse, „weil man keine Zeit verplempern, sondern gleich mit der Studie beginnen wollte.“ Deshalb fehlte ein „Plan B“, der aussagt, wie Projektbeteiligte im Notfall ersetzt werden können. Mit wenigen Stunden Aufwand für eine Analyse, einigen persönlichen Vorgesprächen und etwas Hintergrundrecherche hätte der Projektleiter die Fallstricke des Projekts auf der psychosozialen Ebene rechtzeitig erkannt. Fachkompetenz wird zur Nebensache degradiert Dieses Beispiel zeigt: Fachkompetenz kann im Projektalltag schnell zur Nebensache werden. Das soll nicht heißen, dass sie unwichtig ist, im Gegenteil. Doch wer ein Projektteam zusammenstellt, muss neben der fachlichen Eignung der Teammitglieder auch zwischenmenschliche Risiken und persönliche Interessenlagen einkalkulieren und sich ein Handlungsrepertoire aneignen, um sie zu begrenzen und zu steuern. Denn kaum ein Projektleiter kann auf ein allzeit harmonisches „Dreamteam“ zurückgreifen. Häufig muss er mit „politischen“ Besetzungen leben, für die er sich aus Gründen der Diplomatie selbst entscheidet oder die ihm der Kunde oder das eigene Management aufzwingen. Wegen ihrer zentralen Bedeutung stehen die „politischen“ Aspekte der Teambesetzung und -bildung im Mittelpunkt dieses Beitrags. Abb. 1 zeigt einige Beispiele für „politische“ Probleme, die auf Projektleiter zukommen können. Mit einem „politischen“ Projekt im Sinne des Projektmanagements sind demnach nicht Projekte gemeint, an denen Politiker beteiligt sind, sondern - viel weiter gefasst - Vorhaben, bei denen die Vertretung von Stakeholderinteressen die eigentliche Projektarbeit (potenziell) stark beeinflusst. Manche Projekte sind als rein „politisch“ zu betrachten: fachlich unbegründete, überflüssige Vorhaben, die jemand aus einer „politischen“ Motivation heraus ins Leben ruft (z. B. ein Vorstandsmitglied, das sich profilieren möchte). In welchem Fall ein Projekt als mehr oder weniger „politisch“ eingestuft wird, hängt auch vom jeweiligen Unternehmen und den Rahmenbedingungen ab. Bei einem Konzern mit Tausenden Beschäftigten fallen 100 aus betrieblichen Gründen gestrichene Stellen kaum auf, während sie bei einem Mittelständler mit 500 Mitarbeitern als Katastrophe betrachtet werden. Vielleicht sind aber auch die Zeiten gesamtwirtschaftlich so gut, dass der Abbau reibungslos über die Bühne geht, weil alle Betroffenen Ersatzarbeitsplätze finden. In schlechten Zeiten dagegen müssen das Management des Unternehmens und der Leiter dieses Reorganisationsprojekts mit massiven Protesten und Einflussnahmen (z. B. Betriebsrat, regionale Politiker, Medien) rechnen. Ein gutes Beispiel für die „politische“ Dimension eines Projekts ist die Einführung von Projektmanagement in einer Organisation. Verschiedenste Interessen, Hoffnungen und Ängste prallen dabei aufeinander. Ohne eine „politisch“ ausgerichtete Teambesetzung, die alle Betroffenen zu Beteiligten macht, wird dieses Projekt in vielen Un- 15 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 aktuell ternehmen kaum auf Akzeptanz stoßen. Auch bei anderen Projektarten drängen „politische“ Faktoren die fachlichen in den Hintergrund. Das Mautprojekt „Toll Collect“ gilt hier als Paradebeispiel. Bei diesem Vorhaben hat die stark „politisch“ ausgerichtete Teamstruktur die Arbeit eher behindert, die Medien berichteten darüber ausführlich. In einem für die Projektlaufzeit gebildeten Konsortium trafen mehrere Konzerne aufeinander, die jeweils ihre eigenen Führungskräfte, Organisationsgrundsätze, Managementphilosophien und Vorstellungen vom Projektergebnis in das Projektteam einbrachten. Klassische „politische“ Projekte sind auch Unternehmensfusionen, wofür es in den vergangenen Jahren prominente Beispiele in der Automobil- und der Bankenbranche gab. Der Projektleiter muss dabei Personalentscheidungen managen, die oft stark von außerhalb des Projekts beeinflusst werden. „Wenn Abteilung A im Team vertreten ist, muss Abteilung B auch eingebunden werden“, so eine typische Überlegung. Dadurch werden Projektgruppen schnell zu groß und häufig auch zum Schauplatz für Stellvertreterkriege, wenn Mitarbeiter beispielsweise ungelöste „politische“ Streitigkeiten aus der Linienorganisation einschleppen. Schon bei Kleinprojekten versuchen Teammitglieder, eigene Vorstellungen sowie Interessen der Organisation(seinheit) durchzusetzen, aus der sie stammen: Unternehmensbereiche und Abteilungen, der Vorstand, Ge- Typische „politische“ Problemfelder Typische Hinweise Mangelnde Akzeptanz für Personalentscheidungen „Wieso machen die ausgerechnet diesen Versager zum Projektleiter? “ Konkurrenz innerhalb der Organisation „Weshalb hat Abteilung A zwei Leute in diesem Projekt und wir nur einen? “ Konkurrenz zwischen Rollen/ Funktionen „Zwei Experten in diesem Team sind einer zu viel.“ Persönliche Konkurrenz „Ich eigne mich viel besser für diese Aufgabe als dieser Typ.“ Ungeklärte Konflikte aus früheren Projekten „Spätestens in diesem Projekt muss er doch kapieren, dass er mit seinen Vorschlägen danebenliegt! “ Hierarchieprobleme Projekt/ Linie „Ich bin Abteilungsleiter, der Kollege nur Sachbearbeiter. Wieso soll ich hier im Projekt tun, was er sagt? “ Mangelnde Einsicht in den Sinn des Projekts „Warum wollen ‚die da oben‘ diesen Unsinn jetzt noch mal aufgreifen? “ Persönliche Ziele „Der Meier will mit diesem Projekt den Sprung ins Management schaffen.“ Persönliche Antipathien „Der quatscht mir zu viel, den konnte ich noch nie leiden.“ Abb. 1: Beispiele für „politische“ Probleme 16 SCHWERPUNKT SCHWERPUNKT aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 werkschaften, Partnerfirmen und viele mehr - und dazu informelle Gruppen und Netzwerke, die ihre Ziele mehr oder weniger offen benennen (z. B. Gegner des neuen Vorstandsvorsitzenden). Oft haben diese informellen Netzwerke beachtlichen Einfluss. Sie erhalten wichtige Informationen früher als offizielle Stellen. Auch ganz offiziell in Unternehmen agierende Gruppen etablieren informelle Kommunikationswege (z. B. Arbeitnehmervertretung). Ein geschickter Projektleiter bindet die maßgeblichen Akteure dieser Netzwerke in seine Strategie ein, um sie sich nicht zum Gegner zu machen und sie als Informationsquelle und Unterstützer für sein Projekt zu nutzen. Mitarbeitern, die loyal zum Projekt stehen, sollte er es daher ermöglichen, informelle Kommunikationswege und Informationsquellen zu nutzen (z. B. Teilnahme an Verbandstreffen). „Gleichgewicht der Mächte“ Um ein fachlich einwandfreies Projektergebnis zu ermöglichen, muss der Projektleiter die unterschiedlichen Interessenlagen der Projektbeteiligten ausbalancieren wie einst Bismarck mit seinem „Gleichgewicht der Mächte“. Es gilt zu verhindern, dass das Projektergebnis einseitig nach den Vorstellungen besonders einflussreicher Teammitglieder ausfällt, wenn dabei fachliche Anforderungen unter die Räder kommen. Um zu vermeiden, dass politische Taktiererei dem Projektergebnis schadet, kann es hilfreich sein, ein (externes) Fachgremium als Korrektiv einzusetzen, das „politischer“ Interessen relativ unverdächtig ist und von allen akzeptiert wird (z. B. Expertenrat). Es beurteilt fachliche Zwischenergebnisse und stärkt dem Projektleiter den Rücken. Ein Gremium stößt tendenziell auf größere Akzeptanz und widersteht Manipulationsversuchen aus dem Team eher als eine Einzelperson. Das Management kann dem Projektleiter im Einvernehmen mit diesem einen externen Unterstützer zur Seite stellen, der dem Projekt neutral gegenübersteht. Er berät den Projektleiter als externer Projektcoach und steht dem Team als Ansprechpartner in psychosozialen Fragen zur Verfügung. Eine Alternative besteht darin, ihn unmittelbar in die Projektarbeit einzubinden. Dabei fungiert er als integrative „Klammer“ über die Beteiligten. Er macht das Team arbeitsfähig (Teambildung) und hält damit dem Projektleiter den Rücken für das operative Geschäft frei. Als „Externer“ kennt er die Mitarbeiter zwar nicht. Gerade darin kann aber auch ein Vorteil liegen, weil er unvoreingenommen an das Team herantritt. Strukturen und Entscheidungsbefugnisse Eine sinnvolle Struktur für das Projekt zu finden, die alle Beteiligten akzeptieren, kann schon bei kleinen Vorhaben schwierig sein. Nicht ohne Grund berichteten die Medien bei „Toll Collect“ immer wieder über Wechsel an der Führungsspitze. Tun sich mehrere gleichberechtigte Partner zusammen, müssen sie sich auf eine gemeinsame Führungsspitze für das Projekt einigen, bevor die operative Projekttätigkeit beginnt. Wird der Posten nicht mit einem von allen mitgetragenen Fachmann, sondern - wie häufig bei Prestigeprojekten - „politisch“ besetzt, kann das ein erhebliches Risiko für das Projektergebnis darstellen. Fungiert dagegen ein Führungsgremium mit Vertretern aller Partner quasi als „Legislative“, das einem als reine „Exekutive“ installierten Projektleiter Weisungen erteilt, birgt dies den Nachteil eines hohen Abstimmungsaufwands, der schnelle Entscheidungen unmöglich macht, und der schwachen Stellung des Projektleiters gegenüber Auftraggeber und Projektpersonal. Bei zwei gleichberechtigten Partnern wird oft schon in sehr kleinen Projekten eine Doppelspitze installiert - eine formelle Doppelspitze mit gleich verteilter Entscheidungsbefugnis oder eine informelle, bei der diese Befugnis offiziell bei einer Person liegt, inoffiziell aber bei beiden (z. B. Große Koalition mit Kanzlerin und Vizekanzler). Ob eine solche Konstellation dauerhaft hält, hängt stark von der Einsicht in den Nutzen der Partnerschaft, der Persönlichkeit und den Führungsqualitäten der beiden Spitzenmanager ab. Sie müssen in der Lage sein, loyal zusammenzuarbeiten und Kompromisse zu finden, um ein dauerhaftes Patt und ständigen Streit zu vermeiden. Die Erfahrung zeigt, dass Unterordnung, Kompromissfindung und der Verzicht auf persönliche Profilierung nicht jedermanns Sache sind. Bei einem Projekt beispielsweise, in dem zwei Firmen aus der Medienbranche gemeinsam einen Geschäftsbericht für einen Konzern erstellen sollten, gab es eine offizielle Doppelspitze. Doch einer der beiden sorgte mit Alleingängen für Ärger. So verschickte er beispielsweise ein Konzept an den Kunden, das mit dem Partner nicht abgestimmt war. Die Entscheidungsbefugnis wäre hier in einer Hand besser aufgehoben gewesen. Techniken zur Problem- und Konfliktlösung Beim Ausarbeiten von Kompromissen helfen Techniken zur Problem- und Konfliktlösung sowie Verhandlungstechniken. Ziel ist eine Win-win-Situation, wie sie unter anderem Barry W. Boehm, Professor an der University of Southern California (USC), in seiner Managementtheorie „Theorie W“ beschrieben hat. Der Begriff mag in den vergangenen Jahren etwas überstrapaziert worden sein, das dahinter liegende Prinzip bleibt aber gültig. Bei einer Win-win-Strategie geht es nicht darum, die eigene Position durchzusetzen oder aufgrund von Zwang und einer ausweglosen Lage Abstriche zu machen. Ziel ist, eine dauerhafte Lösung zu finden, die alle Beteiligten mittragen. Zunächst versucht der Projektleiter, die Beteiligten und ihre Ziele zu verstehen. Er muss sich bestmöglich in sie hineinversetzen und die Situation „erspüren“, in der sie sich als Gewinner fühlen. Welche Eigenschaften haben sie? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein? Dann setzt er sich mit der Gruppe zusammen, um falsche Erwartungen zu identifizieren und realistische zu formulieren. Er stellt die unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten dar und vergleicht sie miteinander und mit den Erwartungen und Ergebnissen aus anderen Projekten. Die beste Argumentationshilfe sind solide Zahlen und Fakten, eventuell präsentiert von einem unbeteiligten Dritten. Es ist besser, zuerst die Hoffnungen etwas zu dämpfen als zu große Hoffnungen zuzulassen und später mit der Enttäuschung der Betroffenen umgehen zu müssen. Nun geht es darum, Alternativen aufzuzeigen, die alle akzeptieren können, und deutlich zu machen, dass Unnachgiebigkeit allen schadet. Das Schlüsselwort heißt „Nutzen“: Jedem Beteiligten muss klar sein, welchen Nutzen er persönlich hat, wenn er sich auf eine Alternativlösung einlässt (z. B. mehr Zeit für andere Projekte, positives Image, Karrieresprung). Alle Gruppen- 17 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 aktuell mitglieder sollten im weiteren Projektverlauf das Gefühl haben, gut informiert zu sein und den Gang der Dinge mit gestalten zu können. Solche Techniken erfordern zwar die Bereitschaft der Beteiligten, sich für einige Stunden gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Bedenkt man jedoch die Zeit, die andernfalls später durch Streitereien verschwendet wird, lohnt sich das allemal. Es kann sinnvoll sein, strittige Punkte zunächst auszuklammern, um das Gesamtprojekt zeitnah auf die Schiene bringen und später in aller Ruhe eine gemeinsame Lösung ausarbeiten zu können. Wichtige Punkte zu verschieben birgt allerdings auch Konfliktpotenzial, weil die Stimmung im Projekt sich womöglich verschlechtert und es den Beteiligten dann schwerer fällt, sich zu einigen. Hierarchien aus der Linienorganisation sollten im Projektteam in den Hintergrund treten. Fehlt dem Projektleiter die offizielle Weisungsbefugnis, kann er versuchen, sich durch persönliche Gespräche auf informellem Weg die Rückendeckung der Organisation(seinheiten) zu holen, aus denen die Teammitglieder stammen. Delegiertensystem Idealerweise entsendet jede am Projekt beteiligte Interessengruppe maximal einen Delegierten in das Projektteam. Alle Beteiligten benennen einen Stellvertreter, der im Notfall nahtlos einspringen kann. So lässt sich vermeiden, dass Entscheidungen aufgeschoben werden müssen, weil das ständige Mitglied fehlt. Jeder Delegierte verpflichtet sich, seinen Stellvertreter laufend über das Projektgeschehen zu informieren. Zu geeigneten Terminen (z. B. größere Statusmeetings) sollten auch die Stellvertreter eingeladen werden, damit sie sich mit dem Projekt identifizieren („erweitertes Team“). Zu große Gruppen, die entstehen, wenn zu viele Partner und damit auch zu viele Delegierte vorhanden sind, arbeiten allerdings meist ineffizient. Möglichkeiten, arbeitsfähige Gruppengrößen herzustellen, sind: o฀ Projektbeteiligte (z. B. Abteilungen), die im Projekt die gleichen Ziele verfolgen, einigen sich auf einen gemeinsamen Delegierten. o฀ Am Projektgegenstand arbeitet nur ein operatives Kernteam. Es wird aus dem Gesamtprojektteam extrahiert und um notwendige operative Mitarbeiter ergänzt (z. B. Projektassistenz). Das Gesamtteam dient als Aufsichtsgremium, das der Projektleiter vor wichtigen Entscheidungen konsultiert und das Zwischenergebnisse absegnet. o฀ Für bestimmte (Teil-)aufgaben werden kleinere operative Einheiten (z. B. Arbeitsgruppen) gebildet, die über einen Vertreter im Gesamtteam präsent sind. Der Projektleiter beschränkt sich darauf, die Fäden zusammenzuhalten. Abb. 2 zeigt grob skizziert beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine Teambesetzung für ein Reorganisationsprojekt, durch das Personalkosten eingespart werden sollen. Die Arbeitnehmerseite darf wie alle anderen Organisationseinheiten nur einen Delegierten einbringen - was in diesem Fall mit Blick auf den Projektgegenstand zu einem Ungleichgewicht der Interessen führen könnte. Jedes Teammitglied, das eine Organisation(seinheit) vertritt, bestimmt maßgeblich mit, welche Informatio- 18 SCHWERPUNKT SCHWERPUNKT aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 nen in welcher Form aus dem Projekt dorthin gelangen und umgekehrt („Gatekeeper“, „Flaschenhals“). Tatsächliche und vermeintliche Erwartungen von dort an den Delegierten, aber auch dessen eigene Vorstellungen wirken wie ein Filter. Jeder Mensch wählt Informationen subjektiv aus und interpretiert sie individuell. Für den Projektleiter ist es schwierig, hier den Überblick und den nötigen Einfluss zu behalten, um einer selektiven Informationspolitik, Fehlinformationen und Gerüchten vorzubeugen. Er muss versuchen, sich aktiv an dieser Kommunikation nach außen zu beteiligen, um die Filterfunktion des Gatekeepers im Auge behalten zu können. Gatekeeper, die loyal zum Projekt stehen, bringen jedoch großen Nutzen, wenn sie als Machtpromotor nach außen agieren. Probleme in Matrixorganisationen Die Matrixorganisation, bei der Projekt- und Linienorganisation kombiniert werden, ist besonders anfällig für „politische“ Probleme. So fürchtet beispielsweise die Linienorganisation in vielen Unternehmen, Einfluss an die Projektorganisation zu verlieren. Deshalb leihen Fachabteilungen fähige Fachleute nur ungern an Projekte aus. Meist ist die Linienstruktur so fest in der Organisation verankert, dass die Projektorganisation sich schwer tut, ihren Bedarf dort durchzusetzen. Die Mitarbeiter engagieren sich oft lieber für Linienaufgaben, weil sie befürchten, während ihrer Zeit im Projekt wichtige Entwicklungen zu versäumen und/ oder ihre angestammte Position in der Linie an Konkurrenten zu verlieren - insbesondere in Unternehmen, in denen ein Karrierepfad im Projektmanagement fehlt. Diese Bedenken sollte der Projektleiter bei der Teambesetzung und -bildung im Auge behalten. Zweck der „politischen“ Besetzung ist ja überdies gerade, dass diese Mitarbeiter die Organisation(seinheit) vertreten, aus der sie stammen. Deshalb müssen sie dort entsprechend zeitlich verankert sein. Regelmäßige Kontakte dorthin erleichtern es dem Projektleiter, den Informationsfluss aus dem und in das Projekt zu verfolgen und sich dort gleichzeitig für seine Projektmitarbeiter einzusetzen, damit sie nach Projektende nahtlos wieder eingegliedert werden. Idealerweise ist der Projektleiter während der Projektlaufzeit Disziplinarvorgesetzter der Mitarbeiter oder hat zumindest weitgehende Weisungsbefugnis. Dieses Konzept ist zwar aufgrund der Dominanz der Linie meist schwer umsetzbar, kann aber als Richtschnur dienen. Aktivitäten zum Projektstart Ein umsichtiger Projektleiter verschafft sich so früh wie möglich einen Überblick über die Interessenlagen und Machtverhältnisse, über offizielle und versteckte Erwartungen („Hidden Agendas“). In einer Stakeholderanalyse recherchiert er die Interessen jedes einzelnen Teammitglieds, vom Vorstandsvertreter bis zum Werkstudenten. Er berücksichtigt unterschiedliche Perspektiven und Quellen - beispielsweise seinen eigenen Eindruck auf Basis von Beobachtung, Vorerfahrungen und Gesprächen mit der Person sowie Informationen von Dritten (z. B. Ex-Kollegen), Internetrecherchen (z. B. Medienberichte über ähnliche Projekte in anderen Unternehmen) und Recherchen in der Projektlerndatenbank der Organisation. Entsprechend trägt er Vorsorge- und Gegenmaßnahmen in seine Stakeholdermatrix ein (Abb. 3). Bei der Projektzielformulierung achtet er darauf, dass die von den einzelnen Delegierten vertretenen Interessen angemessen berücksichtigt werden. Am besten ist es, eine Vorlage mit Basisdaten zu erarbeiten und die Stakeholder dann in den weiteren Zielfindungsprozess einzubeziehen. Können bestimmte Ziele nicht berücksichtigt werden, erklärt der Projektleiter den Betreffenden, warum das so ist und inwiefern der Verzicht auf dieses Ziel für sie vielleicht sogar Vorteile bringt. Dann erarbeitet er gemeinsam mit ihnen Alternativen oder Kompromisse. Typische Beispiele sind Entwicklungsprojekte, in denen der Projektleiter den Softwareentwicklern das eine oder andere kostspielige Feature oder dem Kunden überzogene Vorstellungen ausreden muss. Er stellt - notfalls durch Einzelgespräche - sicher, dass alle Teammitglieder die Projektziele kennen und akzeptieren. Das Berichtswesen wird eingerichtet, wobei bei allen Beteiligten Klarheit über Hol- und Bringschuld bestehen muss. AG 1 AG 2 Unterbzw. Arbeitsgruppen (Gemeinsamer Delegierter) Personalabteilung Betriebsrat Initiative der freien Mitarbeiter Vorstand Finanzen Bank AG 3 Projektteam Abb. 2: Exemplarische Variante für ein Delegiertensystem 19 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 aktuell Das Wir-Gefühl fördern Schon in der Startphase stößt der Projektleiter den Teambildungsprozess an und fördert das Wir-Gefühl. Potenzielle (Interessen-)konflikte spricht er mit den Beteiligten offen an und sucht gemeinsam mit ihnen nach Lösungen. Gleichzeitig gilt es, Gemeinsamkeiten der Teammitglieder herauszuarbeiten - was die Erwartungen an das Projekt angeht, aber auch im Privatbereich, z. B. Hobbys. Dabei helfen gemeinsame Aktivitäten wie Messebesuche, Diskussionsrunden mit Experten oder ein Projektinformationstag. Das Bewusstsein für Gemeinsamkeiten schafft Verständnis für andere und erleichtert den Umgang miteinander. Man kann es nicht oft genug sagen: Lieber vorab ein paar Euro mehr für die Teambildung ausgeben als sich in der Produktivphase mit einem Haufen Einzelkämpfer abzuplagen, die lustlos zusammenarbeiten und halbgare Ergebnisse produzieren. Klare, von allen gemeinsam erarbeitete und akzeptierte Spielregeln für die Zusammenarbeit und eindeutige Zuständigkeiten sind ebenfalls ein Beitrag zur Teambildung. Solche Spielregeln können beispielsweise sein: 1. Wir reden offen miteinander. Tuscheln und Intrigieren ist verboten. 2. Wir tun keinem Teammitglied etwas an, was wir auch selbst als unangenehm empfänden, wenn es uns passieren würde (z. B. Bloßstellen vor dem Team, Abschieben lästiger Arbeiten). 3. Gemeinsam gefällte Entscheidungen tragen wir loyal mit. 4. Zusagen halten wir ein. 5. Informationen geben wir freiwillig und aktiv weiter (Bringschuld). Stakeholder Macht Erwartungen/ Befürchtungen durch das Projekt (positiv +/ negativ -) Vorsorgemaßnahmen Gegenmaßnahmen im Streitfall Vertreter des Betriebsrats + - - Teilnahme an Statusmeetings - Regelmäßige Information - Infoveranstaltungen für Belegschaft einmal pro Monat - Einzelgespräche bei Bedarf - … - Fragestunden abteilungsweise (Vorstandsmitglieder und Projektleiter verfügbar) - Einzelgespräche bei Bedarf - Einbeziehung Projektcoach - … Vertreter der Partnerfirma + + - Einladung zu Vorstandsessen - Teilnahme an Statusmeetings - … - Einzelgespräche bei Bedarf - … … … … … … Abb. 3: Stakeholdermatrix 6. Veränderte Aufgaben und Tätigkeitsbereiche stimmen wir mit den anderen Teammitgliedern ab, bevor wir aktiv werden. 7. … Wie intensiv sich ein Teammitglied für das Projekt einsetzt, hängt in hohem Maße von der Haltung der Organisation(seinheit) ab, aus der es stammt, und davon, wie stark es sich ihr verpflichtet fühlt. Der Projektleiter kann diese emotionale Bindung nicht so einfach aufbrechen. Er kann aber versuchen, in Gruppen- und Einzelgesprächen ein „Wir sitzen in einem Boot“-Gefühl zu erzeugen: „Wir sind jetzt eine ‚Schicksalsgemeinschaft auf Zeit‘, wir haben eine gemeinsame Aufgabe. Keiner von uns freut sich, dass wir dieses Projekt machen müssen. Bitte tragen Sie dazu bei, dass wir die Sache schnell hinter uns bringen.“ Offene Gespräche und Verlässlichkeit sind die wichtigsten Mittel zur Vertrauensbildung. Ein gutes Beispiel sind die Koalitionsverhandlungen 2005: Politiker, die sich kurz zuvor im Wahlkampf erbittert bekämpft haben, mussten sich an einen Tisch setzen - um bald verwundert festzustellen, dass „die anderen“ eigentlich ganz umgängliche Typen sind, mit denen man nicht nur fachliche Ziele gemeinsam hat. Natürlich ist es kaum möglich, in jedem Projekt ein Team aus dem Hut zu zaubern, dessen Mitglieder sich alle gegenseitig „riechen“ können. Um vor Projektstart herauszufinden, wer mit wem (nicht) „kann“, eignet sich beispielsweise eine Informationsveranstaltung mit inoffiziellem Teil, noch vor dem Projektstart-Workshop. Hier lässt sich gut beobachten, welche Grüppchen sich bilden und welche Themen besprochen werden. Verstehen sich zwei Beteiligte nicht, muss der Projektleiter gemeinsam mit ihnen vor der Produktivphase eine Einigung auf 20 SCHWERPUNKT SCHWERPUNKT aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 ein tragfähiges Arbeitsverhältnis erzielen oder notfalls ein Teammitglied austauschen. Hierzu kann ein persönliches Gespräch mit dessen Vorgesetztem beitragen: Worin besteht das Problem? Welche Folgen hat es für die Beteiligten? Gibt es eine attraktive Ersatzaufgabe für den Mitarbeiter? Wie kann sein Gesicht gewahrt werden? Helfen kann der Weg zum Projektcoach, Projektsteuerungsgremium oder zum Management mit der Bitte, bei der Konflikteskalation behilflich zu sein oder ein Machtwort zu sprechen. Besonders nachträgliche Teamzuwächse - etwa wenn der Projektauftrag während des Projektablaufs erweitert wird oder Zulieferer zum Team stoßen - stellen den Projektleiter vor eine Herausforderung. Denn in der Gruppe sind die Rollen bereits verteilt und die Interessenlagen ausbalanciert, sie hat sich gefestigt und ihre Arbeitsfähigkeit erreicht. Neue Mitglieder brechen durch ihr bloßes Auftauchen diese Strukturen auf, Unruhe entsteht. Der Projektleiter muss die Arbeitsfähigkeit der Gruppe schnell wiederherstellen, indem er die „Neuen“ über Teambildungsmaßnahmen integriert und Klarheit über die veränderte Konstellation der Interessenlagen schafft. Generell sollte er seine Mitarbeiter nicht nur informieren, sondern möglichst auch konsultieren, bevor er das Team erweitert. Ihnen einfach jemanden „vor die Nase zu setzen“ gilt als Verrat an der Gruppe. Fazit Neben der fachlichen Eignung der Teammitglieder spielen auch psychosoziale Faktoren bei der Teambesetzung, -bildung und -führung eine Rolle. Projektleiter sehen sich häufig mit Stakeholdern konfrontiert, die massiv versuchen, eigene Interessen durchzusetzen und damit das fachliche Projektergebnis gefährden. Projekte, bei denen „Politik“ die eigentliche Projektarbeit potenziell stark beeinflusst, sind daher besonders risikobehaftet und erfordern umfassende Maßnahmen schon in der Startphase. Selbst bei kleinen Vorhaben ist es wichtig, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Dazu brauchen Projektleiter aber das Rad nicht neu zu erfinden, sondern nur die vorhandenen Methoden des Projektmanagements konsequent anzuwenden. n