PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2006
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Gesellschaft für ProjektmanagementDie neue Projektmanagement-Norm - prozessorientiert, integriert und praxisnah
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2006
Markus Obels
Ralf Roeschlein
Marc Staiger
Wolfram von Schneyder
Reinhard Wagner
Gernot Waschek
Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben eine rasante Entwicklung der Wirtschaft mit sich gebracht. Die Beschleunigung von Abläufen, die Intensität der Unterstützung durch die Informationstechnologie und - damit verbunden - das Ausmaß der Verknüpfung von Prozessen innerhalb von Organisationen und über deren Grenzen hinweg haben unsere Welt in einem Umfang verändert, der vor dieser Zeit noch nicht vorstellbar gewesen wäre. Da verwundert es nicht, dass die mehrheitlich im Jahre 1987 erschienenen Normen der Reihe DIN 69900 ff. dem Leser etwas antiquiert erscheinen, dass sie - anders gesagt - die Anforderungen des Projektmanagements unserer Zeit nicht mehr zu erfüllen vermögen [1]. Aus diesem Grund wurde in 2003 eine Neuauflage der Normenreihe auf den Weg gebracht. Dieser Beitrag schließt sich an den Bericht „Deutsche Projektmanagement-Normung“ von Gernot Waschek in der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift an, in dem die bisherige Entwicklung beschrieben wurde.
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43 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 aktuell perten aus verschiedenen Bereichen von Wirtschaft und Forschung gelegt, um eine hohe Praxisnähe zu gewährleisten. Bereits beim Kick-off-Meeting im November 2003 wurde daher jeweils eine Arbeitsgruppe für Prozesse, Methoden, Begriffe und den Datenaustausch ins Leben gerufen. Diese haben in paralleler Arbeit umfangreiche Ergebnisse erzielt, die in den letzten Monaten integriert wurden und bis zur Veröffentlichung noch weiteren Abstimmungen unterliegen. Vorteile der neuen Norm Gegenüber der bislang vorhandenen und in die Jahre gekommenen Norm bietet die künftige Norm wesentliche Vorteile: o konsequente Prozessorientierung über den gesamten Projektverlauf hinweg mit logischer Verknüpfung der einzelnen Prozesse und eindeutiger Definition der Input-Output-Beziehungen, o Darstellung der im Projektmanagement enthaltenen Rekursivität (Rücksprünge innerhalb der Projektmanagement-Phasen sowie über Phasengrenzen hinweg), o Übersicht über die gesamte umgebende Organisation mit Anbindung der Projektmanagement-Prozesse an die Führungs-, Unterstützungs- und Wertschöpfungsprozesse, o Verknüpfung standardisierter Prozesse, Methoden und Begrifflichkeiten (in Deutsch und Englisch), o flexible Anpassung (Skalierbarkeit) an die Gegebenheiten von Projekten aller Größenordnungen und Komplexitäten, o Integration von aktuellen Themenstellungen im Projektmanagement, wie zum Beispiel Multi-Projektmanagement oder Wissensmanagement, o Basis für kontinuierliche Verbesserungen und Erweiterungen, o Kompatibilität zu gängigen Qualitätsmanagement- Konzepten, zum Beispiel zur ISO 9000 ff., o didaktisch optimierte Darstellung, die einen schnellen Zugang sowohl für einen Überblick als auch zur Gewinnung von Detailinformationen erlaubt. Möglichkeiten zur Beteiligung am Normungsprozess Inzwischen hat der fachliche Inhalt der geplanten Norm einen Stand erreicht, bei dem die Leser von projektMA- NAGEMENT aktuell um Stellungnahme gebeten werden können. Dazu wird er zwei Monate lang vom 1. April bis zum 30. Mai 2006 über die Website der GPM (www. gpm-ipma.de) abrufbar sein. Alle termingemäß eingehenden Stellungnahmen werden von der GPM-Fachgruppe „Projektmanagement-Normung“ bearbeitet, die in Abstimmung mit dem DIN das Manuskript der neuen Norm erstellt. Abschluss des Normungsprozesses Nach der Bearbeitung aller Stellungnahmen wird ein Manuskript für die Norm an das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) übergeben, das den weiteren Prozess bis zur Veröffentlichung begleitet. Mit dieser erhält die Norm ihre Gültigkeit und kann zu einer Angleichung des Verständnisses von Projektmanagement beitragen. n Literatur [1] Angermeier, G.: Unternehmen „DIN 69901 neu“ - Ein Praxisbericht über die Verjüngungskur für deutsche PM- Normen. In: Projektmagazin 3/ 2004 [2] Angermeier, G.: Genormtes Datenmodell für Projektmanagement: Katalysator für eine projektorientierte Wirtschaft. In: Projektmagazin 6/ 2005 Schlagwörter Datenmodell, DIN 69900 ff., Führungsprozesse, neue Projektmanagement-Norm, Projektmanagement-Prozesse, Prozessmodell, Unterstützungsprozesse, Wertschöpfungsprozesse Autor Markus Obels, Dipl.-Ingenieur, ist bei T-Systems Enterprise Services GmbH angestellt. Nach seinem Studium der Elektrotechnik an der RWTH Aachen war er in Forschung und Entwicklung in der Halbleiterindustrie tätig, um anschließend in die IT-Branche zu wechseln. Dort betreut er seit über zehn Jahren als (zertifizierter) Projektmanager und Senior Consultant Großkundenprojekte in den Bereichen Banken und Versicherungen, Logistik und öffentlicher Dienst. Seit 2003 ist er an der Erarbeitung der neuen Projektmanagement-Norm beteiligt. Anschrift T-Systems Enterprise Services GmbH IL Services - Global Account DPWN Pfnorstraße 1 D-64293 Darmstadt Tel.: 0 61 74/ 25 79 43 E-Mail: markus.obels@t-systems.com PProzessbeschreibungen • ... I Inputs • ... Projektmanagement-Methoden • ... O Outputs • ... Beschreibung (Vorgehen) • ... Zweck und Hintergrund • ... Nachfolger-Prozesse • ... Vorgänger-Prozesse • ... Prozess-Nummer • ... Prozess-Bezeichnung Abb. 2: Strukturierte Prozessbeschreibung der neuen Norm 44 WISSEN aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 Autor Ralf Roeschlein, Dipl.-Ing. Maschinenbau und Betriebsökonom Dipl. Oek., geb. 1971, ist Geschäftsführer der Roeschlein Project Management GmbH. Er ist seit mehr als zehn Jahren im Projektgeschäft tätig und hat unter anderem diverse internationale Projekte geleitet. Mit seiner Firma wickelt Ralf Roeschlein Projekte auf Mandatsbasis ab, optimiert Unternehmensprozesse, baut PMOs auf, coacht Mitarbeiter in PM-Fragen und unterstützt in Krisenprojekten. Anschrift Roeschlein Project Management GmbH Karl-Arnold-Straße 26 D-33106 Paderborn Tel.: 07 00/ 76 37 24 53 E-Mail: ralf@roeschlein.net Autor Marc Staiger ist Gründer und Geschäftsführer der InfotraX GmbH, die sich mit der Plattform www. prometa.de im Bereich des ganzheitlichen und wissensbasierten Informationsmanagements in der Projektarbeit spezialisiert hat. Er ist darüber hinaus Autor diverser Fachartikel zum Thema und hält im Rahmen der GPM auch Vorträge hierzu. Anschrift I n f o t r a X G m b H Setzer Weg 29 D-57076 Siegen Tel.: 02 71/ 3 86 77 37 E-Mail: staiger@infotrax.de Autor Wolfram von Schneyder, Diplom-Kaufmann, geb. 1967, ist Partner bei der ILTIS GmbH in Rottenburg am Neckar. Er hat in zehn Jahren Unternehmensberatung unter dem Motto „Damit aus Strategien Handeln wird“ eine große Zahl von Projekten verantwortet und verschiedene leitende Funktionen im Unternehmen wahrgenommen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Verwirklichung von Strategien, Strategie- und Zielfindung, Projekt- und Programmmanagement sowie Führungs- und Steuerungsinstrumente. Anschrift ILTIS GmbH Röntgenstraße 15 D-72108 Rottenburg E-Mail: wolfram.von.schneyder@iltis.de Autor Dipl.-Ing. Dipl.-Kfm. Reinhard Wagner ist seit mehr als zehn Jahren in leitenden Funktionen im Engineering mit Schwerpunkt auf der Automobilindustrie tätig. Als Leiter Consulting der euro engineering AG bringt er seine Erfahrungen im Entwicklungs- und Projektmanagement in vielfältigen Beratungsprojekten, Seminaren, Kongressen und Veröffentlichungen ein. Er ist Lehrbeauftragter für Projektmanagement an den Fachhochschulen Augsburg und München. In der GPM engagiert er sich in mehreren Fachgruppen für die Weiterentwicklung des Projektmanagements. Anschrift euro engineering AG Ehrenbreitsteiner Straße 36 D-80993 München Tel.: 0 89/ 35 77 51-117 E-Mail: reinhard.wagner@euro-engineering.de Autor Dipl.-Ing. Gernot Waschek, geb. 1935; Einführung der Netzplantechnik bei der Robert Bosch GmbH; dann bei der Lufthansa AG in Frankfurt im EDV-Bereich: Aufbau einer Stabsstelle für Termine und Kosten, Projektleiter MIS, Abteilungsleiter Software- Entwicklung; daneben Gründungsmitglied und Leiter Normenausschuss „NPT und PM“ im DIN, Mitverfasser ISO 10006, GPM-Fachgruppenleiter „PM-Normung“, GPM-Fachgruppenleiter „PM- Assessments mit PM DELTA“, GPM-Regionalgruppenleiter Frankfurt. Anschrift Projektmanagementberatung Waschek Westendstraße 7a D-63322 Rödermark Tel.: 0 60 74/ 92 23 23 Fax: 0 60 74/ 92 23 24 E-Mail: gernotwaschek@t-online.de 45 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 aktuell Modulare Vorgehensbausteine als Grundlage Vorgehensmodelle beschreiben den idealtypischen Umfang und Ablauf der Aktivitäten, die zur Erreichung eines Projektziels erforderlich sind. Sie geben damit einen Rahmen vor, mit dem ein Projekt strukturiert und durchgeführt werden kann. In der Regel enthalten sie Aussagen zu den Projektphasen und Meilensteinen, den Zwischenergebnissen, den Arbeitsschritten und deren Zuständigkeiten sowie den anzuwendenden Standards, Richtlinien, Methoden und Werkzeugen in einem Projekt. Auch das für IT-Vorhaben bei Bundesbehörden vorgeschriebene V-Modell folgt diesem Grundprinzip. Basis des neuen V-Modells XT in der seit Februar 2006 gültigen Version 1.2 [1, 8, 9] sind 21 miteinander verknüpfte Vorgehensbausteine. Jeder dieser Vorgehensbausteine fasst Ergebnisse und Zwischenergebnisse (im V-Modell als „Produkte“ bezeichnet), Arbeitsschritte („Aktivitäten“) und Zuständigkeiten („Rollen“) zusammen, die für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabenstellung erforderlich sind. Beispielhaft zeigt Abb. 1 den Aufbau des Vorgehensbausteins „Projekt- Das aktuelle Stichwort: V-Modell XT Siegfried Seibert Seit Anfang der 90er Jahre ist das V-Modell ein verbindlicher Standard für IT-Projekte im Verteidigungsbereich und in Bundesbehörden. Anfang 2005 wurde das grundlegend überarbeitete V-Modell XT eingeführt, das mittlerweile in der Version 1.2 vorliegt. Gegenüber dem früheren V-Modell 97 waren mit der Aktualisierung insbesondere eine verbesserte Anpassbarkeit an die Projektrandbedingungen und eine stärkere Betonung der Schnittstelle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer verbunden. Außerdem sollte der Anwendungsbereich auf den gesamten Lebenszyklus von Entwicklungsprojekten ausgedehnt werden. Allerdings gibt es nach wie vor noch Verbesserungspotenziale. Insbesondere das Projektmanagementverständnis des Modells wirft eine Reihe von Fragen auf. Im vorliegenden aktuellen Stichwort wird ein Überblick über die Neuerungen des V-Modells XT und dessen Projektmanagementbausteine gegeben. Berichtswesen Planung und Steuerung Planung und Steuerung Berichtswesen Besprechungsdokument Besprechung durchführen Projekttagebuch Projekttagebuch führen Projektstatusbericht Projektstatusbericht erstellen Projektabschlussbericht Projekt abschließen Projekthandbuch Projekthandbuch erstellen Projektmanagement-Infrastruktur Projektmanagement-Infrastruktur einrichten und pflegen Schätzung Schätzung durchführen Risikoliste Risiken managen Projektplan Projekt planen Arbeitsauftrag Arbeitsauftrag vergeben Projektfortschrittsentscheidung Projektfortschrittsentscheidung herbeiführen Projektleiter Projektmanager Abb. 1: Struktur des Vorgehensbausteins „Projektmanagement“; Quelle: V-Modell XT 1.2 46 WISSEN aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 0 6 management“, der später noch näher behandelt wird. Die 21 Vorgehensbausteine des Modells können in fünf Gruppen untergliedert werden: 1. Die Vorgehensbausteine „Projektmanagement“, „Qualitätssicherung“, „Konfigurationsmanagement“ sowie „Problem- und Änderungsmanagement“ bilden den „V-Modell-Kern“. Sie sind in jedem Projekt obligatorisch. 2. Eine zweite Gruppe ist am umfangreichsten. Sie umfasst die eigentliche Systementwicklung. Hierzu zählen beispielsweise die Vorgehensbausteine „Anforderungsfestlegung“, „Systemerstellung“, „HW-Entwicklung“ und „SW-Entwicklung“ und weitere mehr. 3. Der Baustein „Einführung und Pflege eines organisationsspezifischen Vorgehensmodells“ wird ausschließlich für die Entwicklung eines organisationsspezifischen Vorgehensmodells benötigt. 4. Speziell der Kommunikation zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer dienen die Vorgehensbausteine „Vertragsabschluss“ sowie „Lieferung und Abnahme“. 5. Hinzu kommen noch zwei optionale Bausteine für „Kaufmännisches Projektmanagement“ und „Messung und Analyse von Projektkennzahlen“. Allerdings beschränkt sich das Modell dabei auf Entwicklungsprojekte. Systemeinführungsprojekte zählen nicht dazu. Einen Vorgehensbaustein „Organisatorische Einführung von IT-Systemen“ sucht man daher im V-Modell vergebens. Dies ist nicht unproblematisch, da administrative Systeme häufig auch hinsichtlich der Systemeinführung bei den Benutzern eine große Komplexität aufweisen und - wie eine Untersuchung der gemeinsamen Fachgruppe von GI und GPM gezeigt hat - nicht ohne ein spezielles Change Management auskommen [2]. Für ein Folgeupdate des XT-Modells wäre daher eine entsprechende Erweiterung wünschenswert. eXtreme Tailoring als wichtige Neuerung XT steht für eXtreme Tailoring. Gegenüber dem Vorgänger V-Modell 97 [3] wurde das Tailoring, das heißt die Anpassung des V-Modells an ein konkretes Projekt, wesentlich erweitert. Im Rahmen des Tailoring werden die anzuwendenden Vorgehensbausteine ausgewählt und die Meilensteine des Projekts in eine zeitliche Ablauffolge gebracht. Hierbei wird zunächst gefragt, ob es sich um ein Systementwicklungsprojekt einerseits oder ein Projekt zur Einführung und Pflege eines organisationsspezifischen Vorgehensmodells andererseits handelt. Je nach Typ kommen entweder nur die Vorgehensbausteine der gerade genannten Gruppe 2 oder der Gruppe 3 zum Einsatz. Die Auswahl der Vorgehensbausteine der Gruppe 4 hängt davon ab, ob es sich um ein Projekt mit Auftraggeber-Auftragnehmer- Beziehungen handelt oder nicht, und ob das Projekt aus Sicht des Auftragnehmers oder des Auftraggebers betrachtet wird. Abb. 2 zeigt diese beiden Perspektiven und deren Verknüpfung für Systementwicklungsprojekte. Neben diesen grundlegenden Projekttypen werden die auszuwählenden Vorgehensbausteine durch eine Reihe weiterer Projektmerkmale definiert: o Handelt es sich beim Projektgegenstand um ein eingebettetes System, ein komplexes System, ein HW-System, ein SW-System oder eine Systemintegration? o Welcher Ausschnitt aus dem Systemlebenszyklus wird im Projekt abgedeckt? Hierbei wird zwischen Entwicklung, Wartung und Pflege, sowie Weiterentwicklung und Migration unterschieden. o Sind für das Projekt eine kaufmännische Kostenplanung und Kostensteuerung erforderlich? o Wird ein Gesamtprojekt in mehrere Teilprojekte untergliedert, die unabhängig voneinander realisiert werden? Auftraggeber Auftragnehmer Projekt genehmigt Projekt definiert Angebot abgegeben Projekt beauftragt Abnahme erfogt System spezifiziert Lieferung durchgeführt System entworfen System integriert Feinentwurf abgeschlossen Systemelemente realisiert Projekt abgeschlossen Projekt genehmigt Projekt definiert Anforderungen festgelegt Projekt beauftragt Abnahme erfogt Projekt abgeschlossen 1..* 1..* Unterauftrag 0..* Y Y 0..* 1..* Y 1..* Y Iteration geplant Iteration geplant Projektfortschritt überprüft Projekt ausgeschrieben Abb. 2: Projektdurchführungsstrategien von Auftraggeber und Auftragnehmer mit inkrementeller Systementwicklung; Quelle: V-Modell XT 1.2
