PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Lernende Projekte – der Umgang mit Annahmen und Irrtümer
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Helmut Strohmeier
Zur bewährten Projektmanagementtradition gehört, ganz zu Beginn eines Vorhabens die Ziele exakt zu formulieren. Aus ihnen lässt sich dann eine logische Folge von Aktivitäten mit verantwortlichen Mitarbeitern, vorgesehenen Terminen und geschätztem Aufwand bilden. Ist auf dieser Grundlage dann die Entscheidung gefallen, das Projekt durchzuführen, hat ein Projektleiter die Abwicklung so zu steuern, dass anforderungsgerechte Ergebnisse im Rahmen des vereinbarten Budgets und der Termine entstehen. Der Erfolg des Projektes wie auch der des Projektleiters misst sich daran, ob es ihm bis zum Projektabschluss gelingt, das allseits bekannte magische Dreieck aus beanspruchter Qualität, vereinbarten Terminen und vorgegebenem Budget im Gleichgewicht zu halten.
Was aber, wenn das Projekt in höchstdynamischer Umgebung stattzufinden hat, wenn sich
Arbeitsbereiche späterer Nutzer ganz unabhängig vom Projekt, aber mit gehöriger Auswirkung auf dieses ständig verändern? Was, wenn zu Beginn des Projekts zwar Wünsche und Hoffnungen (wir wollen neue Kundengruppen erschließen) beschreibbar sind, aber noch längst nicht klar ist, was dazu nötig ist (sollen wir neue Internet-Software einrichten oder unsere Vertriebsorganisation straffen, oder vielleicht beides?). Das Projekt so lange auf Eis legen, bis sich die Organisation beruhigt hat, und erst dann loslegen, wenn sie ihre Wünsche klar und eindeutig formulieren kann?
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5 WISSEN projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 07 aktuell Die Eigenheiten des Organisationsprojekts Die Hoffnung, ein Unternehmen könne erst stabile Verhältnisse herstellen, bevor es ein Projekt in Angriff nimmt, war schon in der Vergangenheit eher trügerisch. Künftig aber wird das noch viel weniger der Fall sein, denn wenn man den Auguren glaubt, wird die Dynamik der Märkte unter dem Stichwort Globalisierung eher noch zunehmen. Unternehmen werden so gesehen auf absehbare Zeit nicht mehr in eine stabile Phase der Ruhe kommen und wenn doch, dann brauchen sie eher den Konkursverwalter als Projekte. Sie werden robust gegenüber Dynamik [1] werden müssen, um überhaupt überleben zu können. Um was es hier also geht, sind Organisationsprojekte, Projekte, mit denen sich Unternehmen stärken wollen, um im verschärften Wettbewerb bestehen zu können. Projekte, die eine Reorganisation herbeiführen und die dazu häufig Informationstechnik zu erneuern, zu ergänzen oder anzupassen haben. Es ist zu erwarten, dass sich Projekte dieser Art künftig mehr noch als bereits gewohnt in turbulenten Umgebungen abspielen werden. Wir werden sie dennoch angehen und zum Erfolg führen müssen, denn abwarten hieße, den Mitbewerbern den Vortritt zu lassen. Die typischen Merkmale dieser Projekte werden nun aber noch deutlicher zutage treten: Eine neue organisatorische Lösung sprengt zum Zeitpunkt einer Projektinitiierung, zu einer Phase also, in der man sie konzeptionell beschreiben möchte und müsste, um sie anschließend „nur noch“ geordnet und möglichst störungsfrei fertigen zu können, die Vorstellungskraft jener Menschen, die sie haben und anschließend nutzen wollen. Lernende Projekte - der Umgang mit Annahmen und Irrtümern Helmut Strohmeier Zur bewährten Projektmanagementtradition gehört, ganz zu Beginn eines Vorhabens die Ziele exakt zu formulieren. Aus ihnen lässt sich dann eine logische Folge von Aktivitäten mit verantwortlichen Mitarbeitern, vorgesehenen Terminen und geschätztem Aufwand bilden. Ist auf dieser Grundlage dann die Entscheidung gefallen, das Projekt durchzuführen, hat ein Projektleiter die Abwicklung so zu steuern, dass anforderungsgerechte Ergebnisse im Rahmen des vereinbarten Budgets und der Termine entstehen. Der Erfolg des Projektes wie auch der des Projektleiters misst sich daran, ob es ihm bis zum Projektabschluss gelingt, das allseits bekannte magische Dreieck aus beanspruchter Qualität, vereinbarten Terminen und vorgegebenem Budget im Gleichgewicht zu halten. Was aber, wenn das Projekt in höchstdynamischer Umgebung stattzufinden hat, wenn sich Arbeitsbereiche späterer Nutzer ganz unabhängig vom Projekt, aber mit gehöriger Auswirkung auf dieses ständig verändern? Was, wenn zu Beginn des Projekts zwar Wünsche und Hoffnungen (wir wollen neue Kundengruppen erschließen) beschreibbar sind, aber noch längst nicht klar ist, was dazu nötig ist (sollen wir neue Internet-Software einrichten oder unsere Vertriebsorganisation straffen, oder vielleicht beides? ). Das Projekt so lange auf Eis legen, bis sich die Organisation beruhigt hat, und erst dann loslegen, wenn sie ihre Wünsche klar und eindeutig formulieren kann? Ein neu zu bauendes Haus oder ein neu zu entwickelndes Kraftfahrzeug lässt sich so zeichnen, dass ein künftiger Besitzer sagen kann, ob es ihm gefällt oder nicht. In Organisationsprojekten haben wir diese Mittel zur Veranschaulichung nicht oder nur höchst eingeschränkt. Organisationsprojekte greifen in einen sehr sensiblen Bereich ein, in die Arbeitswelt von Menschen nämlich. Sie sind daher nie frei von persönlichen Hoffnungen, Wünschen und Machtansprüchen, aber auch nicht von Widerständen und Ängsten. Höchst unterschiedliche Emotionen prallen also in Organisationsprojekten aufeinander, und das oft genug ziemlich unerwartet und überraschend. Projekte dieser Art lassen sich deshalb selten auf einer reinen Sachebene zum Erfolg führen, sondern immer nur unter gebührender Beachtung dieser Emotionen. Lösungen aus Organisationsprojekten sind immer nur Teilsysteme eines viel größeren und mächtigeren Systems, das eines gesamten Unternehmens. Das Unternehmen ist aus Sicht eines Organisationsprojekts Umgebung, mit der es auf vielfältigste Weise wird interagieren müssen. Damit geht es in Organisationsprojekten weniger um die bestmögliche Lösung für einen Teilbereich, sondern ums Gesamtoptimum fürs Unternehmen. Seine Lösungen haben sich nahtlos zu integrieren, sonst werden sie vom mächtigeren System erst gar nicht aufgenommen oder sofort wieder abgestoßen. So bestimmt letztlich nicht das Projektteam Umfang und Inhalt des Projekts, sondern die Organisation als Ganzes. Verstößt das Projektteam gegen dieses Prinzip, wird es die Macht der Organisation zu spüren bekommen. 6 WISSEN aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 07 Der Zweck eines Organisationsprojekts ist, Nutzen für das größere mächtigere System zu erzeugen. Aus Sicht eines Projekterfolgs ist es daher oftmals viel weniger entscheidend, ob Termine und das Budget eingehalten werden und die Anforderungen erfüllt sind, sondern ob die neue Lösung Nutzen erzeugt und schädliche Wirkungen ausbleiben. In Organisationsprojekten prallen, vor allem wenn in ihnen Software (sie zählt zu den komplexesten technischen Systemen unserer Zeit) zu produzieren oder einzurichten ist, vollkommen unterschiedlich geartete Systeme aufeinander, technische und soziale. Das technische verlangt nach ingenieurmäßiger Konstruktion und fordert dazu Stabilität. Soziale Systeme aber wollen sich naturgemäß verändern, streben nach Weiterentwicklung. Sie verlangen nach Flexibilität. Damit aber wird das Grunddilemma dieser Projekte deutlich. Derjenige, der den Entwicklungsprozess schematisch abhandeln will und keine Störungen durch neue Erkenntnisse duldet, wird am Ende eine Lösung gefertigt haben, die eine Organisation so nicht (mehr) braucht oder die mehr schädliche Wirkungen als ertragreichen Nutzen erzeugt. Derjenige aber, der ausschließlich die Veränderungen betrachtet, vorsorglich sogar die alsbald nahenden, wird sein Projekt zur Never-ending-Story verkümmern lassen. Wer also zu Extremen neigt, wird kaum ein erfolgreiches Projekt abliefern. Ein stabiler und dennoch flexibler Königsweg muss gefunden werden, für jedes Projekt und für jedes Unternehmen und immer wieder von Neuem. Lernen ist Veränderung Lernen ist ein ständiger Begleiter jeder Veränderung. Wer sich gerne verändern möchte, wird lernen müssen, und wer sich einer Veränderung ausgesetzt sieht, zwangsläufig auch, vielleicht sogar noch mehr. Deshalb sollten wir in unseren Projekten für ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Abwicklungsprozessen und Lernprozessen sorgen, wohl wissend, dass sich beide höchst feindlich gegenüberstehen. Der fein säuberlich konstruierte Abwicklungsprozess wird raten, jede neue Erkenntnis zu ignorieren, damit nur ja keine Termine und Budgets gefährdet werden. Er strebt nach einem Abwicklungserfolg [2]. Der Lernprozess dagegen wird empfehlen, neuste Erkenntnisse einzubauen, damit am Ende des Projekts tatsächlich ein Produkt vorliegt, das die Organisation so braucht. Er strebt nach dem Anwendungserfolg. Diesem doppelten Erfolgsmaßstab maximal gerecht zu werden, kann man nicht. Wir werden uns immer nach der einen oder anderen Seite hin beschränken müssen. Aber genau das ist die Herausforderung, vor der wir in Organisationsprojekten stehen und die wir deshalb künftig mehr denn je echten Könnern überlassen sollten [3]. Menschen, die befähigt sind aus äußerst komplexen Tatbeständen und Zusammenhängen das Optimum zu bilden (ist es entscheidend wichtig, zum Stichtag X einzuführen, oder wäre es doch besser, die Veränderung noch zu berücksichtigen, weil die Chancen aus Sicht des Unternehmens dann steigen? ). Über Vorgehensweisen zur Abwicklung eines Organisationsprojekts brauchen wir uns an dieser Stelle nicht zu unterhalten. Konzentrieren wir uns deshalb auf Lernprozesse, denn sie sind das neuere Thema. Neu nicht in dem Sinn, dass sie früher nicht stattgefunden hätten, nur wie man sie organisiert und in ein komplettes Projektverfahren einbindet, sollte man sich überlegen. Was aber ist Lernen eigentlich „Learning is not finding out what other people already know, but is solving our own problems for our own purposes, by questioning, thinking an testing until the solution is a new part of our lives.” Charles Handy [4] Problemlösung steht also im Mittelpunkt des Lernens, so wie es hier zu verstehen ist. Das Projekt wird somit zur lernenden Organisation auf Zeit, eingebunden in und tätig für ein Unternehmen, das ein Problem lösen möchte. Aber was genau ist eine lernende Organisation? „Eine lernende Organisation ist der Ort, wo Menschen kontinuierlich ihre Fähigkeiten erweitern, um Ergebnisse zu erreichen, die sie wirklich anstreben, wo neue sich erweiternde Muster des Denkens gefördert werden, wo gemeinschaftliche Wünsche frei werden und wo Menschen kontinuierlich lernen, wie man miteinander lernt …“ Peter M. Senge [5] Das hört sich doch wahrlich gut an. „… Fähigkeiten erweitern … Ergebnisse, die man wirklich anstrebt … erweiterte Muster des Denkens …“ Das ist es doch, was wir in unsern Projekten brauchen? Sind lernende Projekte also der Schlüssel für so manches, was uns heute noch so viele Sorgen bereitet? Ob in Projekten ausreichend gelernt wird, ob Menschen überhaupt dazu ermuntert werden oder es ihnen vielleicht sogar verboten ist, ihre Erkenntnisgewinne zu verarbeiten und anderen mitzuteilen, hängt ganz entscheidend von der Führung des Projekts durch Auftraggeber und Projektleiter ab. Wenn ein Auftraggeber für sich in Anspruch nimmt, allein zu wissen, was das Beste für seine Organisation ist, wird er Lernprozesse eher als entbehrlich empfinden. Dann werden sich Projektleiter darauf einzustellen haben. Doch sobald kulturelle Voraussetzungen gegeben oder herstellbar sind, wären wir dumm, das gemeinsame Lernen zu unterlassen oder es nur unzureichend zu fördern. Beste kulturelle Voraussetzungen sind gegeben, wenn Menschen den nachfolgenden Satz als Wert anerkennen, der auch ihr eigener ist. „We should, as charitable organizations do, measure success in terms of outcomes for others, as well as for ourselves.” Charles Handy [6] Was nachfolgend beschrieben ist, setzt somit den unbedingten Willen zur Kooperation unter allen Beteiligten, ein von Respekt geprägtes Verhalten und die Einstellung, nicht nur sich selbst, sondern dem Unternehmen als Ganzem dienen zu wollen, voraus. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob wir als interner Mitarbeiter, als Berater oder irgendwie verpflichteter Dienstleister dem Projekt dienen. Aussagen wie „Die werden schon wissen, was sie sich da antun“ oder „Als Auftragnehmer geht mich das doch alles gar nichts an“ sollten dann nicht mehr zu hören sein. Das organisierte Lernen Betrachten wir aber nun Lerneinrichtungen, die es einzurichten und zu organisieren gilt. Sie lassen sich unterscheiden in: 7 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 07 aktuell o institutionelle Lerneinrichtungen und o prozedurale Lerneinrichtungen. Institutionelle Lerneinrichtungen sind ausgefeilte, hochwertige Formen der Zusammenarbeit. Sie werden eingerichtet, damit einzelne Personen ihre ihnen übertragene Verantwortung tatsächlich tragen können. Menschen mit unterschiedlichen Sichten auf ein Projekt sollen ihre Erkenntnisse und Empfehlungen koordiniert untereinander austauschen. Sie sollen sich gegenseitig unterstützen und helfen und andere auf Irrtümer hinweisen, sodass es neben allem Verständnis füreinander auch zum Konsens untereinander kommt. Voraussetzung für institutionelle Lerneinrichtungen ist eine klar geregelte Verantwortungs- und Rollenteilung, die in ihrer Grundstruktur wie in Abb. 1 dargestellt aussieht. Es gibt in Projekten eine Auftraggeberecke, in der die Manager einer auftraggebenden Organisation, der Linienorganisation also, angesiedelt sind. Sie schauen mit berechtigtem Managementinteresse auf das Projekt. Was bringt das Projekt dem Unternehmen? Stehen Aufwand und Nutzen in einer vernünftigen Relation? Passt das Projekt in die Unternehmensstrategie? Das sind Fragen, die diesen Personenkreis interessieren. Es gibt auch eine Beurteilerecke. Ihr sind Personen zugeordnet, die ein berechtigtes Interesse an den Inhalten haben. Ihre Interessen lassen sich nach fachlichen, technischen und rechtlichen Interessen unterscheiden. Ist der Arbeitsprozess fachlich richtig in der Software abgebildet? Ist das Softwareprodukt so strukturiert, dass es gut wartbar ist? Entspricht die neue organisatorische Lösung der Betriebsvereinbarung? In der Ecke der Auftragnehmer sind alle Personen angesiedelt, die Führungsaufgaben im Projekt übernehmen oder die dafür sorgen, beispielsweise durch Bereitstellung von Ressourcen, dass Projektleiter ihre Führungsaufgaben wahrnehmen können. Hier geht es vordringlich um Fragen einer effektiven und effizienten Projektabwicklung. Schließlich sind in einer Erstellerecke all die Personen angesiedelt, die Projektergebnisse produzieren, die also die neue Lösung erarbeiten. Die Qualität zu produzierender Ergebnisse in einem vereinbarten Termin- und Budgetrahmen hat hier ausschlaggebende Bedeutung. Innerhalb dieser einzelnen Ecken kann es nun eine weitere Aufteilung nach Rollen geben. Wer ist Mitglied im Lenkungsausschuss, wer Projektcontroller, wer Teilprojektleiter usw. Rollen sorgen damit für eine zweckmäßige Arbeitsteilung. Sie regeln die Rechte und Pflichten, und das ist gut und wichtig. Und sie geben Generalisten wie Spezialisten die Möglichkeit, auf das Projekt so zu blicken, wie das aus ihrer Sicht nötig ist. Wie der Begriff Arbeitsteilung aber bereits sagt, teilen Rollen und fassen nicht zusammen. Sie fördern das gemeinsame Lernen nicht, sondern das geschieht, indem wir die Ecken unserer Projektorganisation mit Lerneinrichtungen verbinden. Institutionelle Lerneinrichtungen sind somit die Bindeglieder zwischen den einzelnen Verantwortungsbereichen einer Projektorganisation. Institutionelle Lerneinrichtungen In einer Konsenswerkstatt treffen sich Ersteller und Beurteiler, um hochwertige Lösungen inhaltlich vorzugeben oder vorhandene Ergebnisse danach zu beurteilen. Der Begriff Konsenswerkstatt wurde gewählt, weil es die Verpflichtung aller Beteiligten ist, Konsens herzustellen. Einem Konklave ähnlich, verhandeln sie so lange, bis weißer Rauch aufsteigt; und lernen dabei ungemein viel voneinander. Im Prozessaudit wird überlegt, wie die Prozesse zur Produktentwicklung, die Managementprozesse, die QS- Prozesse und welche Prozesse es sonst noch geben mag, kontinuierlich verbessert werden können. Zudem werden hier Überraschungen und Ausnahmefälle behandelt. Es wird zu überlegen und zu entscheiden sein, was in besonderen Situationen zu tun ist. Bedarfsassessment bringt Manager und Mitarbeiter der beteiligten Linienorganisationen zusammen. Sie beratschlagen, ob es neue Anforderungen gibt, ob Änderungen an den Zielen vorgenommen werden sollten, ob noch am tatsächlichen Bedarf eines Unternehmens gearbeitet wird und ob neue Bedarfsfelder sichtbar geworden sind. Anzeige 8 WISSEN aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 07 Im Strategiesymposium werden die Veränderungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens und ihre Relevanz fürs Projekt beleuchtet. Außerdem wird festgelegt, welche Teilbereiche als Nächstes anzugehen und umzusetzen sind. Es wird also gefragt, auf welchen Gebieten die Erkenntnisse als so ausreichend erscheinen, dass nun die Umsetzung und ggf. auch Einrichtung dieses Teilbereichs erfolgen kann. Dabei sollten sich die Beteiligten von sieben Faktoren leiten lassen: o Chancen - wie hoch ist der Nutzen für das Unternehmen in diesem Teilbereich? o Umfang - an welchen Stellen einer Organisation wird es zu Veränderungen kommen müssen? Um was muss sich das Projekt kümmern? o Risiken Anwendung - welche schädlichen Wirkungen könnten nach Einführung entstehen und wie lassen sich diese Risiken minimieren? o Qualität - welche Ansprüche an die künftige Lösung sind zu stellen? o Termin - bis wann muss dieser Teilbereich realisiert sein? o Budget - wie viel Zeit, Aufwand und Kosten sind nötig? o Risiken Abwicklung - was könnte verhindern, dass Qualität und Termin erreicht werden und das Budget eingehalten wird, und mit welchen Maßnahmen lassen sich diese Risiken minimieren? Aus diesen sieben Aspekten ist der optimale Zuschnitt für eine nun zu produzierende und ggf. einzuführende Teillösung zu bilden. Dabei wird einer dieser sieben Faktoren im konkret vorliegenden Projekt eine Dominanz ausüben. Beispiel: Egal was ihr macht, wir müssen am 31. 12. damit fertig sein. Dann dominiert der Termin. Oder: Wir müssen neue Kunden gewinnen, alles andere ist nachrangig. Dann sind Chancen maßgeblich. Wichtig ist also, dass im Strategie-Symposium dieser dominierende Faktor identifiziert wird, denn nur dann können sich die anderen Faktoren daran ausrichten. In Abb. 2 ist ein Fall gezeigt, in dem offenbar der Termin als dominierender Faktor erkannt worden ist. Und so wurde um ihn herum festgelegt, wie viel von den Inhalten bis zu diesem Zeitpunkt mit welcher Qualität fertig sein kann. Weil das, wie erwähnt, ein Bereich ist, zu dem bereits genügend gesicherte Erkenntnisse vorliegen, kann nun das Projektteam ein Versprechen abgeben, dass es diesen Teil mit größter Wahrscheinlichkeit unter gegebenen Bedingungen wird fertigen können. Sollte es aber feststellen, dass es besonders gut läuft, dann wird es sein Feld erweitern und das fertigen, was in der Abbildung als „Bestreben“ abgegrenzt ist; und möglicherweise auch noch das, was als Option bereits angedacht ist. Im nächsten Strategiesymposium, wenn weitere Erfahrungen vorliegen, werden sich die Beteiligten erneut überlegen, was als Nächstes anzugehen ist. Man wird einen neuen Bereich nach gleichem Muster abgrenzen. Mit dieser Vorgehensweise kommen wir dem recht nahe, was namhafte Softwareexperten schon sehr lange fordern. Barry Boehm beispielsweise hat sein Spiralmodell [7] entwickelt, weil er aus gefertigten Einzelteilen für nächste Projektabschnitte lernen möchte. Tom De- Marco [8] nennt die inkrementelle Systementwicklung eine der bedeutendsten Errungenschaften jüngster Zeit. Und das, was das Manifest agiler Softwareentwicklung [9] zum Ausdruck bringen will, wird sich auf diese Weise ebenfalls verwirklichen lassen. Prozedurale Lerneinrichtungen Was sind nun prozedurale Lerneinrichtungen? Prozedurale Lerneinrichtungen unterbrechen den Prozess einer Lösungsentwicklung immer mal wieder. Sie sorgen dafür, dass Lernschleifen unentwegt in Rotation bleiben: Fragen sind zu stellen, Theorien sind zu bilden, Ergebnisse aus Tests sind zu beurteilen und Reflexionen sind vorzunehmen. Prozedurale Lerneinrichtungen sorgen also für eine besonders intensive Kommunikation unter Beteiligten, egal welcher Ecke einer Projektaufbauorganisation sie angehören. In Workshops soll ein umfänglicher Ideen- Gestalter Kunden Produzenten Auftraggeber Auftragnehmer Beurteiler Ersteller Bedarfs- Assessment Strategie- Symposium Prozess- Audit Konsens- Werkstatt Manager Abb. 1: Lerneinrichtungen im Organisationsmodell Abb. 2: Das Optimieren einer Teillösung 9 projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 07 aktuell austausch stattfinden. Dabei lassen sich drei Arten von Workshops unterscheiden: o die Prospektive, o die Perspektive, o die Retrospektive. In einer Prospektive, die üblicherweise ganz zu Beginn eines Vorhabens stattfindet, zu einem Zeitpunkt, zu dem nur erste Ideen herumschwirren, werden Fragen gestellt und Annahmen dazu formuliert. o Wo stecken die Chancen des Unternehmens? o Unter welchen Bedingungen werden sich die Chancen ausschöpfen lassen, unter welchen nicht? o Was hindert uns momentan noch daran, erfolgreich zu sein, und was wären Promotoren des Erfolgs? o An welchen Stellen hat die Organisation Bedarf sich zu verändern? Wie sollte sie sich verändern? Welche Widerstände werden zu erwarten sein? o … Es wird zu prüfen sein, ob das Vorhaben unter gegenwärtigen Bedingungen erfolgreich sein kann und wird, ob es richtig fit gemacht werden kann. Fragen, abgeleitet aus einem Fitness-Modell [10], sind zu stellen, damit sich ein gemeinsames Annahmengefüge ergibt: o Dieses Projekt wird Nutzen erzeugen, weil … o Das Team ist für die Aufgabe befähigt, weil … o usw. oder eben auch: o Es ist nicht sicher, ob dort, wo wir die Hebel ansetzen, auch der tatsächliche Bedarf ist. Sollen wir nicht erst noch …? o Ob das Unternehmen dem Projekt ordentliche Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt, wissen wir noch nicht. Wir sollten erst noch … Ziel einer Prospektive ist daher stets, die Stärke eines Projektes einzuschätzen und dort, wo sich Schwächen oder Unklarheiten zu erkennen geben, Ideen zu kreieren, wie man sie beseitigen könnte. In einer Perspektive, die während des Projektverlaufs mehrfach zu wiederholen sein wird, werden Annahmen aus der Prospektive kontinuierlich überprüft. o An welchen Stellen ist zu erkennen, dass wir einem Irrtum erlegen sind? o Wo sind zumindest Zweifel angebracht, dass die Annahme noch richtig ist? o Was ist zu tun, um sicherer zu werden, ob sie richtig ist oder nicht? o Von welchen neuen Annahmen müssen wir ausgehen? Und natürlich ist zu klären, was bislang gelernt worden ist und welche Auswirkungen die Erkenntnisgewinne auf das Projekt haben. Sind Ziele anzupassen, die Qualitätsansprüche, die Termine, das Budget? Sind neue Risiken aufgetaucht? Sollten wir das Vorgehen ändern? Was schlagen wir vor, als Nächstes anzugehen? Die Retrospektive schließlich reflektiert in größeren Zusammenhängen [11]. Das ganze Projekt oder wenigstens ein größerer Abschnitt daraus soll nun quasi als Film noch einmal ablaufen, um erkennen zu können, an welcher Stelle man was hätte besser machen können. Neu gewonnenes Wissen gilt es zudem zu archivieren, bewährte best practices ebenfalls. Aber auch mit Emotionen und Gefühlen sollte man nicht hinter dem Berg halten. Es soll offen und ehrlich gesagt werden, was an anderen Menschen gefallen hat und was nicht. Retrospektiven sind somit nicht nur fürs Unternehmen, sondern für jeden Einzelnen wichtig, um sich selbst zu verbessern und eventuell noch für dieses, auf alle Fälle aber für neue Projekte zu lernen. Es ist noch viel zu tun Kürzlich habe ich ein Gespräch belauscht, bei dem die Geschäftsführerin des Projekt-Magazins, Frau Petra Berleb, die Frage stellte, ob in IT-Projekten denn überhaupt Projektmanagement-Methoden Einzug gehalten hätten. Eine berechtigte Frage, aber sie hätte wohl eher lauten Entstehung Annahmen festlegen Entwicklung Handeln und Lernen Evolution/ Erhaltung Irrtümer korrigieren Projekt-Prospektive Projekt-Retrospektive Projekt-Perspektive Abb. 3: Prozedurale Lerneinrichtungen 20 WISSEN aktuell projekt M A N A G E M E NT 2/ 20 07 müssen, warum sich diese nicht haben durchsetzen können, denn probiert haben es - meiner Einschätzung nach - viele Unternehmen. Der nachhaltige Erfolg aber blieb oftmals aus. Vielleicht, weil man immer wieder feststellen musste, dass ein Organisationsprojekt eben seine Eigenheiten hat, die sich zu wenig in traditionellen Vorgehensweisen wiedergefunden haben. Man behandelte Organisationsprojekte wie Projekte in stabiler Umgebung, die rein abwicklungstechnisch organisiert werden können. Ich hege also den Verdacht, dass wir zu oft und zu unüberlegt zu Vorgehensweisen gegriffen haben und diese ziemlich gedankenlos auf Organisationsprojekte anzuwenden versuchten, obwohl sie eigentlich für andere Projektarten entwickelt wurden. Damit aber haben wir weder diesen Vorgehensweisen einen Gefallen getan noch unserer Art von Projekt. Die Vorgehensweisen wurden zur „Schrankware“ degradiert und Projekte erreichten keine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit. Organisationsprojekte zählen wohl nach wie vor zu den kritischsten, zu denen mit äußerst hohen Misserfolgsraten [12]. Dabei steht zunehmend nicht mehr die Frage im Mittelpunkt, ob sie termingerecht und ohne Überschreitung des Budgets fertig wurden, als vielmehr, ob die teuer entwickelte Lösung tatsächlich Nutzen erwirtschaften konnte oder womöglich sogar ungeahnte schädliche Wirkungen mit sich brachte. Die Häufigkeit ihrer Misserfolge hat bereits zur Überlegung geführt, ob Projekte dieser Art nicht besser ganz abgeschafft werden sollten [13]. Das ist eine bedrohliche, weil ernsthaft gestellte Forderung, auch wenn sie wohl nicht ganz zu Ende gedacht ist. Doch man weiß ja nie, auf welchen Boden sie fällt. Der Autor dieser Zeilen ist der Meinung, dass Organisationsprojekte mit und ohne IT nach wie vor ungemein wichtig für unsere Unternehmen sind. Wir sollten uns deshalb verpflichtet fühlen über Vorgehensweisen nachzudenken, die ihnen ein höheres Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit verschaffen. Das gemeinsame Lernen wurde in Projektorganisationen herkömmlicher Art vernachlässigt oder eher dem Zufall überlassen. Seine Bedeutung unterschätzend, glaubte man wohl, dass Vorgehensmodelle und eingerichtete Projektgremien schon dafür sorgen würden, so ganz nebenbei. Daran glaube ich nicht mehr. So manches Gremium (z. B. ein Lenkungsausschuss) fällt heute bedeutende Entscheidungen, ohne jemals in Lernprozesse eingebunden worden zu sein. Und Vorgehensmodelle können zwar Aufgaben und zu produzierende Ergebnisse definieren, aber sie können weder wissen noch vorschreiben, wann jemand einen genialen Geistesblitz haben soll oder haben wird. Sie provozieren das Lernen auch nicht, denn aus Sicht eines Vorgehensmodells sollen Mitarbeiter arbeiten. Wer von Ihnen kennt Vorgehensmodelle, in denen sich Aktivitäten wie „Fragen stellen“, „Annahmen kreieren“, „Irrtümer revidieren“, „nachdenken“, „reflektieren“ finden? Wenn es uns gelingt, in die allgemeingültigen und bewährten Vorgehensweisen des Projektmanagements Lernprozesse einzuklinken, wenn wir es zudem schaffen, dass sich geeignetere Projektvoraussetzungen (Kulturen! ! ! ) in unseren Unternehmen entwickeln [14], und wenn schließlich aufgedeckte Irrtümer als das verstanden werden, was sie sind, ein Gewinn fürs Projekt nämlich, sollten wir einen entscheidenden Schritt hin zu mehr erfolgreichen Organisationsprojekten gegangen sein. n Literatur [1] Wohland, G./ Wiemeyer, M.: Denkwerkzeuge für dynamische Märkte. Münster 2006 [2] Strohmeier, H.: Das aktuelle Stichwort: Was ist eigentlich Projekterfolg? In: projektMANAGEMENTaktuell, 14. Jg., Heft 3/ 2003 [3] Strohmeier, H.: IT-Projektmanagement - man sollte es nur Könnern überlassen. In: Rundbrief Gesellschaft für Informatik (GI), Fachausschuss WI-MAW, 13. Jg., Heft 1, Februar 2007 [4] Handy, H.: The Age of Unreason. Boston 1994 [5] Senge, P. M.: Die fünfte Disziplin. Stuttgart 2001 [6] Handy, Ch.: What’s a business for? In: Corporate Responsibility, Harvard Business Review, 2002 [7] Boehm, B. W.: A Spiral Model of Software Development and Enhancement. In: ACM Sigsoft Software Engineering Notes, August 1986 [8] DeMarco, T./ Lister, T.: Bärentango. München 2003 [9] Cockburn, A.: Agile Software Development. Boston 2002 [10] Strohmeier, H.: Vorhabens-Fitness - Wie Sie Ihren Projekten unwiderstehliche Kraft und Stärke verleihen. In: Frick, A./ Kerber, G./ Marré, R.: Entrepreneurship im Projektmanagement, Beiträge zur Konferenz „interPM“, Heidelberg 2005 [11] Kerth, N.: Post Mortem. Bonn 2003 [12] Gröger, M.: Projektmanagement: Abenteuer Wertevernichtung. München 2004 [13] Fröhlich, A. W.: Mythos Projekt. Bonn 2002 [14] Rietiker, R.: Der neunte Schlüssel. Basel 2006 Schlagwörter Abwicklungserfolg, Anwendungserfolg, Moving Targets, Nutzen eines Projekts, Organisationsprojekte, Wissensmanagement Autor Dipl.-Betriebswirt Helmut Strohmeier, geb. 1949, ist ein erfahrener Projektleiter aus diversen Großprojekten in unterschiedlichen Branchen und zudem langjähriger Methodenberater und -trainer. Derzeit kümmert er sich vorwiegend um Themen der Organisationsentwicklung, insbesondere um Voraussetzungen, die Unternehmen mitbringen sollten, um ihren Projekten höchste Erfolgswahrscheinlichkeit mitgeben zu können. Anschrift Strohmeier & Partner GmbH Am Fischergries 20a D-85570 Markt Schwaben Tel.: 0 81 21/ 43 70 00 E-Mail: strohmeierpartner@t-online.de www.ufi2006.de
