eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 19/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
11
2008
191 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Prozesscontrolling im Projektmanagement

11
2008
David Barcklow
Die Erfolgsquoten von Projekten lassen immer noch zu wünschen übrig. Dabei ist Projektmanagement in den letzten Jahren ein in Wissenschaft und Praxis viel diskutiertes Thema. Das Projektcontrolling rückt so immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Zahlreiche Studien zu den kritischen Erfolgsfaktoren des Projektmanagements zeigen, dass ein sehr entscheidender Bereich jedoch vernachlässigt wird: die weichen Faktoren. Vor allem die Komponenten Führung, Verhalten, Konflikte, Motivation und Kommunikation sind unter den zehn bedeutendsten Projekterfolgsfaktoren zu finden. Dieser Artikel ist ein kleiner Leitfaden, mit dessen Hilfe ein Projektverantwortlicher die weichen Komponenten des Projektes auswerten und somit auch steuern kann.
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Prozesscontrolling zielt bislang auf Vorgehen und Ergebnis Auch wenn das Thema Projektmanagement in den letzten Jahren ein in Wissenschaft und Praxis viel diskutiertes Thema ist, lassen die Erfolgsquoten der Projekte immer noch zu wünschen übrig. Zwar hat sich in den letzten zehn Jahren die durchschnittliche Anzahl der Projekte, die in der vorgegebenen Zeit, dem geplanten Umfang und dem vereinbarten Budget abgeschlossen wurden, mit 34 Prozent mehr als verdoppelt, aber noch lange kein zufriedenstellendes Maß erreicht [1]. Um bessere Ergebnisse zu erzielen, gelangt daher das Thema Projektcontrolling immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Ein zielgerichtetes Messen und Steuern findet jedoch nicht in allen Bereichen des Projektmanagements statt. Die bisherigen Controllingansätze beschäftigen sich vorwiegend mit dem Projektergebnis oder dem Vorgehen im Allgemeinen. Erstere steuern beispielsweise die Ziele, die Qualität oder Rentabilität eines Projektes und Letztere sind auf den Projektablauf, die Einsatzmittel oder die Zeit gerichtet. Controlling von Gruppenprozessen Glaubt man den zahlreichen Studien zu den kritischen Erfolgsfaktoren des Projektmanagements, wird jedoch ein sehr entscheidender Bereich vernachlässigt. Alle Untersuchungen verweisen auf den wichtigen Einfluss weicher Faktoren auf den Projekterfolg. So sind vor allem die Komponenten Führung, Verhalten, Konflikte, Motivation und Kommunikation unter den zehn bedeutendsten Projekterfolgsfaktoren zu finden [2]. Dieser Bereich der Projektsteuerung soll im Folgenden als Controlling des Gruppenprozesses (kurz: Prozesscontrolling) bezeichnet werden. Seine bisherige Vernachlässigung ist nicht zuletzt auf die schwierige Operationalisierung weicher Faktoren zurückzuführen. In Anbetracht der Dynamisierung der Märkte und somit der wachsenden Bedeutung des Projektmanagements wäre es jedoch geradezu fahrlässig, ein so gewichtiges Thema außer Acht zu lassen. Dieser Artikel soll einen Leitfaden darstellen, mit dessen Hilfe ein Projektverantwortlicher die weichen Komponenten des Projektes auswerten und somit auch steuern kann. Fehlentwicklungen begegnen Unter Prozesscontrolling wird ein Managementinstrument verstanden, das der Diagnose und Steuerung von denjenigen sozio-kulturellen Prozessen dient, an denen wir uns zur Erreichung gemeinsamer Ziele beteiligen. Die sozio-kulturellen Prozesse (Abb. 1) sind eine Abfolge von Zuständen der Teamentwicklung im Laufe der Zeit. Sie werden von Menschen ausgelöst, beeinflusst, erlitten, beobachtet, gemessen oder beschrieben. Diese Prozesse leiten - über konstruierte Erklärungen und Modelle - das Handeln von Menschen [3]. Werden diese Prozesse durchlaufen, kann es jedoch zu Fehlentwicklungen wie Orientierungslosigkeit, Lernbarrieren oder Kommunikationsdefiziten kommen, um nur 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2008 20 WISSEN David Barcklow Prozesscontrolling im Projektmanagement Die weichen Komponenten auswerten und steuern - Ein Leitfaden Die Erfolgsquoten von Projekten lassen immer noch zu wünschen übrig. Dabei ist Projektmanagement in den letzten Jahren ein in Wissenschaft und Praxis viel diskutiertes Thema. Das Projektcontrolling rückt so immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Zahlreiche Studien zu den kritischen Erfolgsfaktoren des Projektmanagements zeigen, dass ein sehr entscheidender Bereich jedoch vernachlässigt wird: die weichen Faktoren. Vor allem die Komponenten Führung, Verhalten, Konflikte, Motivation und Kommunikation sind unter den zehn bedeutendsten Projekterfolgsfaktoren zu finden. Dieser Artikel ist ein kleiner Leitfaden, mit dessen Hilfe ein Projektverantwortlicher die weichen Komponenten des Projektes auswerten und somit auch steuern kann. Abb. 1: Formen sozio-kultureller Prozesse PM_1-08_20-22: Inhalt 21.12.2007 6: 08 Uhr Seite 20 einige davon zu nennen. Diese Effekte wirken wiederum negativ auf den Projekterfolg. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, soll das Prozesscontrolling die Prozesse zielgerichtet und systematisch analysieren, um damit unterschiedliche Wahrnehmungen, Interpretationen und Reaktionen sichtbar zu machen und zu diskutieren. Es verfolgt damit die Zielsetzung, selbst aktiv, gestalterisch in die Prozesse einzugreifen und die Zusammenarbeit im Team zu fördern, um damit die Leistungsfähigkeit der Gruppe zu steigern. Das Prozesscontrolling dient nicht dazu, das Fehlverhalten Einzelner oder der Gruppe anzuklagen. Zum Erreichen dieser Ziele bedarf es im höchsten Maße der Zustimmung und des Konsenses der Mitarbeiter, da das komplette System auf die Beteiligung angewiesen ist. Wenn dieses Commitment der Beteiligten erreicht ist, werden auch die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der Akteure gefördert. Diagnose mit der ibo-Process-Scorecard Nachdem nun die wichtigsten Begriffe und Ziele des Prozesscontrollings erläutert wurden, soll im Folgenden die Durchführung beschrieben werden. Zunächst müssen die relevanten Diagnosekriterien festgestellt werden. Dazu wurde die ibo-Process-Scorecard entwickelt, in deren vier Dimensionen jeweils vier Themen angesiedelt wurden (Abb. 2). Die Dimensionen sind vergleichbar mit denen des „GRPI-Modells“ und decken alle relevanten Aspekte des Gruppenprozesses ab [4]. Die enthaltenen Themen sind seit geraumer Zeit Bestandteil wissenschaftlicher Studien zu Projekterfolgsfaktoren; allerdings sind noch nie alle 16 Themen oder vier Dimensionen gleichzeitig betrachtet worden. In einer Studie von Nerkar et al. aus dem Jahre 1996 wurden vereinzelt Themen aus den ersten drei Dimensionen untersucht, jedoch die Perspektive „Wachstum im Team“ völlig vernachlässigt [5]. Aladwani erforschte zwar die Wachstumsdimension, aber ließ die Aufgabendeckung im Team unberücksichtigt [6]. Die ausgewählten Themen der ibo-Process-Scorecard sind jedoch kein Einheitskonzept. Sie können individuell an das unternehmenseigene System angepasst werden. Dies sollte jedoch in Gruppensitzungen geschehen, bei denen der Projektleiter lediglich als Moderator fungiert. So wird ein für alle Beteiligten tragfähiger Konsens entwickelt. Einsatz der ibo-Process-Scorecard Wie erfolgt nun mithilfe der Scorecard das Controlling des Gruppenprozesses? Am Anfang steht ein Initialisierungs-Workshop. Hier werden Ziele vereinbart, das Controlling-Intervall bestimmt und die Verbindlichkeit der Ergebnisse festgelegt. Die relevante Zielgruppe besteht aus den Projektteammitgliedern und ein bis zwei Beobachtern bzw. Prozessberatern. Um erreichte Veränderungen sichtbar zu machen, muss das Prozesscontrolling zu verschiedenen Zeitpunkten und in regelmäßigen Abständen erfolgen. Dabei werden die Teammitglieder aufgefordert, zu jedem Thema der vier Dimensionen eine Frage zu beantworten. Für jede Antwort wird eine Skala von 1, ich stimme voll zu, bis 7, ich stimme überhaupt nicht zu, vorgegeben. Die Beantwortung kann zum einen anonym und zum anderen im offenen Dialog mit der Gruppe erfolgen. Im ersten Fall wird die Offenheit der Teammitglieder gefördert, da die Antworten frei und ohne etwaige hierarchische Zwänge geäußert werden können. Werden die Fragen in einer offenen Runde beantwortet, kann dies förderlich für den Lernprozess der Gruppe sein, da die einzelnen Mitglieder Einblick in die Sichtweisen der anderen bekommen und sich so eventuelle Paradigmenwechsel besser einstellen können. Sind alle Fragen durch die beteiligten Akteure beantwortet worden, erfolgen die Auswertung und Aufbereitung der Daten durch den Prozessberater (Abb. 3). Die Ergebnisse werden den Akteuren in regelmäßigen, moderierten Teamsitzungen vorgelegt und diskutiert. Um einen Lerneffekt bei allen Beteiligten zu erzielen, herrscht Anwesenheitspflicht. Neben der Diskussion der Fragebogenergebnisse wird auch eine Prozessgeschichte von den Mitarbeitern erarbeitet. Dabei handelt es sich um eine Übersicht, in die die bedeutendsten Einflussgrößen (Critical Incidents) auf das Projekt, aus Sicht der Teammitglieder, eingetragen werden. projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2008 l 21 Abb. 2: ibo-Process-Scorecard Kommunikation im Team • Kommunikationsstil • Feedback/ Erfahrungsaustausch • Informationszugang • Kundenorientierung Perspektiven im Team • Zielkonformität • Entwicklungsperspektiven • Fehlerkultur • Gruppenzusammenhalt Aufgabendeckung im Team • Klarheit der Rollen/ Verantwortlichkeiten • Empowerment/ Führung • Qualifikation • Nutzung von Fähigkeiten Wachstum im Team • Risikobereitschaft • Arbeitsklima • Umgang mit Problemen • Innovation/ Kreativität PM_1-08_20-22: Inhalt 21.12.2007 6: 08 Uhr Seite 21 Fehlentwicklungen gezielt gegensteuern Eine mögliche Form zur Visualisierung ist ein Ishikawa- Diagramm, das auf der Hauptachse in die einzelnen Projektphasen unterteilt ist, denen dann die positiven oder negativen Einflüsse mit Pfeilen zugeordnet werden. Überträgt man die Critical Incidents in die Übersicht der Scorecard-Ergebnisse (blaue Pfeile in Abb. 3) ein, werden die konkreten Auswirkungen der Störgrößen auf die Dimensionen der Process-Scorecard sichtbar. Dadurch wird es frühzeitig möglich, Maßnahmen zur Intervention zu erarbeiten und durchzuführen. Das regelmäßige Auseinandersetzen aller Akteure mit den Störgrößen des Projektes und deren Auswirkungen auf die sozio-kulturellen Prozesse trägt zum besseren Verständnis der Gruppendynamik bei und fördert somit die Teambildung. Ein Prozessberater begleitet diesen Lernprozess, obwohl sich die Gruppe letztendlich selbst steuert, wenn sie die Prozessbeobachtung als selbstverständliche und eigene Aufgabe sieht. Durch das gemeinsame Prozessverständnis wächst eine Kultur des Vertrauens, und die Bereitschaft des gegenseitigen Coachings wird gefördert. Die Methode des Prozesscontrollings anhand der ibo- Process-Scorecard hat sich in Projekten verschiedener Branchen bewährt, vor allem wegen der schnellen Durchführbarkeit und guten Visualisierung von Ursache und Wirkung. Sie liefert ein Instrument, um die weichen Faktoren innerhalb eines Projekts sichtbar zu machen, und macht ein gezieltes Gegensteuern bei Fehlentwicklungen möglich. ■ Literatur [1] www.standishgroup.com, Stand: 28.2.2006 [2] GPM/ PA Consulting Group: Erfolgreich Projekte durchführen. 2004, www.gpm-ipma.de/ download/ Studie_PA_ und_GPM.pdf, Stand: 28.2.2006. Und: Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft: Projektmanagement-Fachmann - Ein Fach- und Lehrbuch sowie Nachschlagewerk aus der Praxis für die Praxis. 7. überarbeitete und ergänzte Auflage 2003, S. 191-200 [3] Für eine Vertiefung der Theorie der Mentalen Modelle vergleiche Jarz, E.: Entwicklung multimedialer Systeme - Planung von Lern- und Masseninformationssystemen. Mit einem Geleitwort von F. Roithmayr. Wiesbaden 1997, S. 78-79 [4] Das GRPI-Modell besteht aus den Komponenten: Goals, Roles/ Responsibilities, Processes and Interpersonal Relationships. Vergleiche dazu www.isixsigma.com/ library/ content/ c011022a.asp, Stand: 1.3.2006. Es kann bei Internationalen Projekten um die Dimension Culture erweitert werden [5] Nerkar, A. A., et al.: Three facets of satisfaction and their influence on the performance of innovation teams. In: Journal of business venturing 11, S. 167-188 [6] Aladwani, A. M.: An empirical examination of the role of social integration in system development projects. In: Info Systems Journal 12, 2002, S. 339-353 Schlagwörter Coaching, Erfolgsquote, Kommunikation, Lernprozess, Process-Scorecard, Prozesscontrolling, Prozessgeschichte, Teambildung Autor David Barcklow ist Geschäftsführer der ibo Beratung und Training GmbH mit Sitz in Wettenberg bei Gießen. Seit 1993 ist der studierte Volkswirt vor allem für die Finanzdienstleistungsbranche in Beratungsprojekten mit den Themen Projekt-, Organisations- und Prozessmanagement tätig. Anschrift ibo Beratung und Training GmbH Im Westpark 8, D-35435 Wettenberg Tel.: 06 41/ 9 82 10-00 Fax: 06 41/ 9 82 10-5 00 E-Mail: David.Barcklow@ibo.de www.ibo.de 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2008 22 WISSEN Abb. 3: Ergebnisse der ibo-Process-Scorecard PM_1-08_20-22: Inhalt 21.12.2007 6: 08 Uhr Seite 22