PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Weshalb Chinesen nur schwer „Nein!“ sagen können
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Oliver Steeger
China ist den meisten Projektmanagern ein Rätsel. Bei ihrem Einsatz im „Reich der Mitte“ sammeln sie häufig alles andere als gute Erfahrungen. Bei Verhandlungen, so heißt es, sind Chinesen zäh und wenig verlässlich. Chinesische Mitarbeiter kann man schlecht führen, und sie reagieren mimosenhaft auf Kritik. Man sagt, sie seien kühl, unberechenbar und häufig illoyal. „Ein großes Missverständnis“, behauptet die Münchner China-Expertin Ruth Schaefer, die mehrere Jahre in China gelebt hat. Sie weiß: Viele Probleme sind durch die unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Kulturen verursacht. Seit 1996 als interkulturelle Trainerin und Beraterin tätig, baut Ruth Schaefer Brücken zwischen Deutschen und Chinesen. Kennen deutsche Projektmanager die Spielregeln, sind Projekte in China kaum noch ein Abenteuer.
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Der chinesische Philosoph Konfuzius hat empfohlen, man möge einen Meister nachahmen, um so zu werden wie er. Heute stehen die Chinesen im Ruf, gerne und viel westliche Unternehmen nachzuahmen und dabei auch Produkte zu kopieren. Mangelndes Unrechtsbewusstsein wird immer wieder beklagt - ein eher interkulturelles statt wirtschaftspolitisches Problem? Ruth Schaefer: Der Konfuzianismus hat die Art und Weise, wie Chinesen lernen, in der Tat sehr stark geprägt. Man lernt durch Nachahmen, und erst dann, wenn man es zur Meisterschaft gebracht hat, entwickelt man eigene Ideen. Chinesen achten die Qualität unserer Produkte, und deshalb wollen sie von uns lernen. Es schmeichelt ja, gewissermaßen Vorbild für viele Chinesen zu sein. Problematisch wird es, wenn westliche Produkte zur Blaupause für eigene Produkte werden. Man muss sich hüten, in Schubladen zu denken. Es wäre Unsinn, das Verhalten der Chinesen direkt auf einen Philosophen zurückzuführen oder alle Chinesen in die gleiche Schublade stecken zu wollen. Tatsache aber ist: Die chinesische Kultur nachahmenden Lernens fördert eher das Kopieren, als dass sie dies hemmt. Gleichwohl gilt, dass China sich verpflichtet hat, Patente und anderes geistiges Eigentum zu schützen. Viele Projektmanager befürchten bei ihrem Einsatz in China eben diesen Verlust an Know-how - man möge dies Lernen nennen, mangelnde Fairness oder Produktpiraterie. Diese schlechten Erfahrungen haben oft auch ganz andere Gründe, die nichts mit der Lernmentalität des Nachahmens zu tun haben. Welche? In China haben persönliche Netzwerke einen hohen Stellenwert - sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen und insbesondere im privaten Leben. Diese Beziehungsnetzwerke - „Guanxi“ genannt - sind immens wichtig für Projektmanager, die aus dem Westen kommen. Sie beugen dem Verlust von Know-how vor. Inwiefern? Diese Netzwerke bilden ein System gegenseitiger Verpflichtungen - und zudem eine Schutzgemeinschaft. Jeder Chinese ist in verschiedene Netzwerke eingebunden - in sein Netzwerk der Familie, aber auch innerhalb seiner Firma, seines Freundeskreises oder seiner Universität. Man hilft sich gegenseitig, und jeder Chinese fühlt sich verpflichtet, sich für eine Gefälligkeit oder eine Hilfe zu revanchieren. Man spricht ausdrücklich von Beziehungskonten, den sogenannten „Renqing“. Den Umgang mit Gefälligkeiten und In-der-Schuld-stehen hat man über viele Jahrhunderte geübt. Was haben diese Netzwerke mit der Gefahr zu tun, dass bei Joint Ventures oder chinesisch-deutschen Projekten Know-how abfließt, beispielsweise Projektpläne an Mitbewerber weitergegeben werden? Die Netzwerke bilden eine Schutzgemeinschaft. Wer in China außerhalb dieser Netzwerke steht, ist ungeschützt. Besonders wir Deutschen haben Probleme, solche persönlichen Netzwerke aufzubauen und zu pflegen. Persönliches wird nicht in die Arbeitswelt getragen. Wir denken funktional. Wir fassen Vertrauen, wenn die Zusammenarbeit gut funktioniert und sich das Gegenüber dabei als zuverlässig erweist. Ein Chinese fasst Vertrauen, wenn er sein Gegenüber persönlich kennengelernt und in sein Netzwerk eingebunden hat. Deutsche Projektmanager bringen sich also nicht in chinesische Netzwerke ein. Sie sind deshalb ungeschützt, und deshalb machen sich ihre chinesischen Mitarbeiter das westliche Know-how zunutze? Im schlimmsten Falle, ja. Die Bitte aus dem Netzwerk um Know-how wiegt für einen Chinesen schwerer als die Loyalität zum Projektmanager, wenn dieser außerhalb des Netzwerks steht. projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2008 l 9 Oliver Steeger Weshalb Chinesen nur schwer „Nein! “ sagen können Interkulturelle Missverständnisse verursachen Projektprobleme in China China ist den meisten Projektmanagern ein Rätsel. Bei ihrem Einsatz im „Reich der Mitte“ sammeln sie häufig alles andere als gute Erfahrungen. Bei Verhandlungen, so heißt es, sind Chinesen zäh und wenig verlässlich. Chinesische Mitarbeiter kann man schlecht führen, und sie reagieren mimosenhaft auf Kritik. Man sagt, sie seien kühl, unberechenbar und häufig illoyal. „Ein großes Missverständnis“, behauptet die Münchner China-Expertin Ruth Schaefer, die mehrere Jahre in China gelebt hat. Sie weiß: Viele Probleme sind durch die unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Kulturen verursacht. Seit 1996 als interkulturelle Trainerin und Beraterin tätig, baut Ruth Schaefer Brücken zwischen Deutschen und Chinesen. Kennen deutsche Projektmanager die Spielregeln, sind Projekte in China kaum noch ein Abenteuer. PM_4-08_1-60: Inhalt 26.06.2008 9: 25 Uhr Seite 9 Haben denn deutsche Projektmanager überhaupt die Chance, in dieses Netzwerk zu kommen? Freilich - wenn sie wissen, wie es geht. Stichwort „interkulturelle Kompetenz“? Unserer Erfahrung nach liegen neunzig Prozent aller Geschäftsprobleme in China interkulturelle Schwierigkeiten zugrunde - etwa in der Kommunikation, in den Netzwerken, im Umgang mit technischen Kommunikationsmitteln, bei der Führung oder der Personalentwicklung. Viele Projektmanager beklagen die fehlende Verbindlichkeit bei chinesischen Teammitgliedern ... ... weil diese Projektmanager keine persönliche Beziehung aufgebaut haben. Entscheidungen schleppen sich hin ... ... weil deutsche Projektmanager die nuancierten Botschaften bei den Vertragsverhandlungen fehlinterpretieren. Beispielsweise haben Chinesen eine völlig andere Art, „Ja“ und „Nein“ zu sagen. Das Wort „Ja“ gibt es in der chinesischen Sprache gar nicht. Zustimmung wird durch Wiederholung zum Ausdruck gebracht - und Ablehnung dadurch, dass man das, was man verneint, einfach weglässt. Ein Beispiel? Der westliche Projektmanager schlägt einen Termin für ein Geschäftsessen am Abend vor. Der chinesische Partner wiederholt, dass man sich zum Essen treffen möchte. Er lässt aber bei dieser Wiederholung die Uhrzeit und den Ort weg. Termin und Lokalität passen ihm nicht? Richtig. Chinesen sind sehr harmoniebedürftig. Sie fangen mit dem Positiven an, und das eher Negative kommt erst am Ende der Rede. Wer also die Projektergebnisse lobt, das Engagement der Mitarbeiter und die erreichten Ziele, dann aber auf Verbesserungsmöglichkeiten bei Einzelergebnissen hinweist ... ... will eigentlich nur sagen, dass ihm diese Einzelergebnisse nicht gefallen. Da muss ein westlicher Projektmanager ganz genau hinhören. Deutliche Kritik, ein klares „Ja“ oder „Nein“ wird er von Chinesen kaum hören. Chinesen drücken sich also undeutlich aus? Sie drücken sich anders aus - für uns völlig ungewohnt. Ein weiteres Beispiel. Wir sind es gewohnt, die wichtigsten Dinge bei einer Rede oder auch bei Besprechungen früh zu sagen. Chinesen strukturieren Informationen anders, das Wichtigste kommt am Schluss - dann, wenn die Grundlage dafür gelegt ist. Ein Chinese leitet seine Rede auf das Wichtigste zu, wir stellen das Wichtigste voran und begründen es dann. Eine Strategie? Nein, für Chinesen eine Frage höflichen Benehmens. Und der Tradition: Die gesamte chinesische Sprache und Rhetorik ist so aufgebaut. Es handelt sich um über Jahrhunderte gepflegtes Kulturgut. Viele in China tätige Projektmanager schätzen Chinesen als sehr kühl ein - auch wegen dieser indirekten Art und Weise in der Kommunikation. Das ist ein Trugschluss - zumindest zum großen Teil. Chinesen zeigen selten starke Emotionen, dies gilt als Zeichen der Kultiviertheit und bedeutet nicht, dass sie diese Emotionen nicht genauso intensiv spüren wie wir. Durch Kontrolle von Mimik und Gestik wird außerdem Distanz zum Tier gezeigt, dadurch erscheinen die Gesichter insbesondere älterer Chinesen oft maskenhaft. Tiere bringen ihre Gefühle und Leidenschaften spontan zum Ausdruck, kultivierte Menschen sollten das nach chinesischem Verständnis nicht. Der indirekte Kommunikationsstil verfolgt ein anderes Ziel, nämlich vor allem die Harmonie zu wahren und den Gesprächspartner nicht mit direkten Aussagen zu verletzen. Missverstehen wir also die Chinesen? Dazu komme ich jetzt. Diese von uns empfundene Kühle darf nicht so interpretiert werden, dass Chinesen keinen persönlichen Draht zu ihren Geschäftspartnern suchen. Ganz im Gegenteil: Der persönliche Kontakt, die menschliche Wärme wird im Umgang mit Geschäftspartnern aus Deutschland vermisst. Chinesen schätzen an den Deutschen ihre Zuverlässigkeit, die Qualität der Arbeit, die perfekte Organisation beispielsweise von Projekten. Auch unsere Kultur wird hochgeschätzt. Die Deutschen sind durchaus beliebt in China. Im Chinesischen heißt Deutschland „Deguo“, übersetzt etwa mit Land der Tugend. Aber? Unser Umgang im Geschäftsleben wird als kalt empfunden, weil alles auf Aufgaben und Funktion begrenzt ist. Wir neigen dazu, sofort zur Sache zu kommen, in Aufgaben und Vorgängen zu denken. Dies wird häufig als zu direkt, unhöflich, aufdringlich und ungeduldig empfunden. Um dies zu hören, braucht man nicht nach China zu reisen. Auch Südeuropäer äußern diesen Vorwurf gelegentlich ... Chinesen fällt unsere Mentalität allerdings noch deutlicher als unangenehm auf. Wo liegen die Ursachen? Die Deutschen sind es gewohnt, Arbeit und Privates strikt zu trennen - in China ist dies undenkbar. Dort baut man Vertrauen über die persönliche Ebene auf, man lernt sich kennen und einschätzen, indem man über Privates spricht, beispielsweise über die Familie. Erst wenn dieses persönliche Band da ist, entwickelt man Vertrauen und legt damit den Grundstein für eine gute Zusammenarbeit. In China gilt „ich muss dich mögen, bevor ich Geschäfte mit dir mache“. Wir indes bauen Vertrauen auf, wenn die Zusammenarbeit gut funktioniert. Eine persönliche Beziehung im chinesischen Sinne ist dafür nicht notwendig. Also steht Projektmanagern in China die sprichwörtliche Effizienz der Deutschen im Wege? Sie kann im Wege stehen. Glücklicherweise kann man diese Probleme im interkulturellen Bereich mit Geschick und gutem Willen lösen. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2008 10 REPORT PM_4-08_1-60: Inhalt 26.06.2008 9: 25 Uhr Seite 10 Ein Beispiel dafür? Ich habe vor einiger Zeit ein Projekt begleitet, bei dem ein deutsches Unternehmen ein chinesisches kaufen wollte. Man hat viel miteinander gesprochen, sich gegenseitig besucht, doch die Verhandlungen kamen nicht voran. Die Deutschen konnten sich den schlechten Fortschritt kaum erklären. Hatten die Chinesen kein Interesse mehr? Verhandelten sie bereits mit anderen? Das Unternehmen hat dann eine chinesische Delegation eingeladen und uns hinzugezogen. Wir haben den Aufenthalt so organisiert, dass die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse der Teilnehmer maximale Berücksichtigung fanden. Wir haben Sightseeing-Touren und Sportevents durchgeführt und den Teilnehmern viele Gelegenheiten für Vier-Augen-Gespräche gegeben. Wir haben sogar die Tochter des Delegationsleiters, die in den USA studiert, eingeladen; sie hatte ihre Familie seit langer Zeit nicht mehr gesehen. Dies brachte den Durchbruch, und die Delegation schlug von sich aus einen Vorvertrag vor - mehr, als wir angesichts der Kürze des Aufenthalts zu hoffen gewagt hatten. Die deutschen Manager mussten allerdings im Zuge der Vorbereitung erst überzeugt werden und akzeptieren, dass zunächst in den Aufbau der persönlichen Beziehung investiert werden muss - und zwar nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Erst dann sollte die funktionale Ebene betreten werden. Es geht also um Small Talk, wie US-Amerikaner ihn kennen? Nein, nein, keineswegs Small Talk. Ich empfehle jedem in China Tätigen, bei diesen persönlichen Gesprächen genau zuzuhören und sich das Gesagte zu merken. Dies wird sehr ernst genommen. Diese Gespräche leiten nicht zum Geschäft über; sie bilden das Fundament. Projektmanager beklagen, dass viele Chinesen Schwierigkeiten mit Kommunikationsmitteln wie Telefonkonferenzen haben. Ich empfehle diese Technik nur mit Vorsicht einzusetzen. Für Chinesen erschließt sich Gesagtes ganzheitlich und aus dem Zusammenhang. Dies setzt dem virtuellen Projektmanagement, wie wir es in Europa kennen, kulturelle Grenzen. Ich weiß, dass viele Chinesen in Telefonkonferenzen kaum etwas verstehen, wenn sie nach westlichem Muster durchgeführt werden. Diese Verständigungsprobleme sind unter Projektmanagern gefürchtet. Arbeitsanweisungen werden häufig nicht umgesetzt. Da komme ich nochmals auf die Art des lernens zurück. Chinesen sind Meister darin, durch Nachahmen zu lernen. Deshalb brauchen sie sehr genaue Arbeitsanweisungen, viele Details - die visualisiert und illustriert sein sollten. Es geht darum, die Aufgaben vorzumachen und gleichzeitig Handbücher oder schriftliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die die Umsetzung begleiten. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die im Projektmanagement verbreitete Führung durch Zielvereinbarung nicht funktionieren kann. Es reicht offenbar nicht aus, chinesischen Mitarbeitern ein Ziel und den Rahmen vorzugeben und zu erwarten, dass sie Ergebnisse selbstständig erarbeiten. Nein, dieses Führungsprinzip wird schon aus einem anderen Grund nicht funktionieren. Westliche Teammitglieder sind es gewohnt, Aufgaben entgegenzunehmen und sie selbstständig zu bearbeiten; es gilt als Zeichen des Vertrauens, wenn der Vorgesetzte ihnen dabei nicht über die Schulter blickt und sie gewissermaßen überwacht. In China gilt dies nicht? Überhaupt nicht. Der chinesische Mitarbeiter wird die Abwesenheit des Vorgesetzten als dessen Interessenlosigkeit an ihm und seiner Aufgabe werten. Er wird befürchten, dass er seine Arbeit nicht richtig macht und nicht mehr gefördert wird. Er wird auf diesen Führungsstil, der in Deutschland hochgeschätzt wird, zutiefst verunsichert reagieren. Er sucht die Nähe zum Vorgesetzten und schätzt es, wenn ihm viel erklärt wird und er Informationen bekommt - ein Stil, bei dem sich viele westliche Mitarbeiter bevormundet fühlen würden. Hängt es mit diesem Unterschied in der Führungskultur zusammen, dass viele Projektmanager über die mangelhafte Verbindlichkeit vieler Mitarbeiter klagen? Chinesen sind nicht weniger verbindlich bei Zusagen oder Absprachen als westliche Mitarbeiter. Man muss nur wissen, wie man diese Verbindlichkeit erwirkt. Also, was sollte ein Projektmanager tun? Es kommen mehrere Faktoren zusammen. Chinesische Mitarbeiter müssen - wie auch westliche Mitarbeiter - gut motiviert werden. Chinesische Mitarbeiter wollen lernen, weil Lernen und die damit einhergehende Bildung traditionell die Basis für den sozialen Aufstieg war. Wissen und Bildung wirken sich auch heute noch unmittelbar auf den sozialen Status aus. Chinesische Mitarbeiter kann man demzufolge motivieren, indem man sie am eigenen Wissen teilhaben lässt, sie mit Informationen versorgt und ihnen Entwicklungschancen im Projekt oder Unternehmen aufzeigt. Man sollte freilich daran denken, dass die Uhren in China schneller ticken. Wenn man chinesischen Mitarbeitern solche Chancen eröffnet, sollte man einen Horizont von sechs oder zwölf Monaten, höchstens 18 Monaten betrachten. PM_4-08_1-60: Inhalt 26.06.2008 9: 25 Uhr Seite 11 Sven Ta Viele Projektmanager tun sich schwer damit, ihre chinesischen Mitarbeiter auf Fehler aufmerksam zu machen oder zu kritisieren. Ist Kritik ein Tabu in China? Es ist kein Tabu. Manager in China können und müssen kritisieren. Doch sollte die Kritik eingebettet werden, denken Sie an die Harmoniebedürftigkeit! Also zunächst viel Lob zu dem, was dem Mitarbeiter gut gelungen ist, wortreich mit vielen Sätzen. Und am Ende kann man den Mitarbeiter zurückhaltend auf den Kritikpunkt ansprechen, indem man ihn beispielsweise bittet, sich einen bestimmten Punkt nochmals anzusehen. Sehr zaghaft ...! Aber beim chinesischen Mitarbeiter kommt diese in unseren Augen zaghafte Kritik deutlich an. Sie wird seiner Aufmerksamkeit nicht entgehen. Technische Probleme müssen natürlich direkt kommuniziert werden. Aber wie jede Kritik, sollte sie möglichst immer unter vier Augen geäußert werden. Manchem Projektmanager platzt da durchaus mal der Kragen ... Zu zornigen Worten oder gar einem Wutausbruch darf sich ein in China tätiger Manager nie hinreißen lassen. Die chinesischen Mitarbeiter könnten das Gesicht verlieren? Das auch, ja. Vor allem aber verliert der Manager sein Gesicht. Und er büßt damit seine Autorität ein. Diesen Punkt übersehen viele deutsche Manager. Nochmals zu den eingangs erwähnten Netzwerken, den „Guanxi“. Welche Bedeutung haben sie bei der Führung von Mitarbeitern? Für die Verbindlichkeit spielen diese Netzwerke und die dazugehörende persönliche Beziehung eine große Rolle. Verbindlichkeit wird hergestellt, indem zwischen Mitarbeiter und Projektleiter eine gute persönliche Beziehung, eine „Guanxi“, aufgebaut und ständig gepflegt wird. Ohne diese persönliche Beziehung ist gute Führung kaum möglich und Loyalität seitens des Mitarbeiters kaum zu erwarten. Augenblick! Es kann doch nicht sein, dass man Verträge aufsetzt, im Projekt Verfahren und Prozesse festlegt, Zuständigkeiten bestimmt und Rollen der Mitarbeiter beschreibt - und damit eigentlich nur Papier füllt? Wir Deutschen haben eine stark formalisierte, aufgabenorientierte und regeltreue Arbeitsweise. Wir können dieses Modell nicht eins zu eins auf andere Länder übertragen. Es ist besser, diese Kultur in ihrer starken Ausprägung als Spezialität einiger europäischer Länder zu betrachten. Vor allem: Chinesen bieten Deutschen den Aufbau einer persönlichen Beziehung und damit Teil ihres Beziehungsnetzes zu werden durchaus an. Sie machen aber die Erfahrung, dass die Deutschen diese Angebote nicht wahrnehmen und mehr oder weniger nur auf der funktionalen Ebene agieren. Dann sagen sich Chinesen häufig: Wenn mein Gegenüber nur Geschäfte machen will, dann machen wir nur Geschäfte - und ich hole für mich maximale Vorteile heraus. Netzwerke bestehen aus Geben und Nehmen, wobei auch geschäftliche und private Interessen vermischt werden ... ... wie gesagt, man unterscheidet in China nicht zwischen privater und beruflicher Welt ... ... dann aber besteht die Gefahr, dass die Grenzen zur Vorteilsnahme bis hin zu Korruption überschritten werden. Wir raten unseren Klienten grundsätzlich von Korruption ab. Im Übrigen ist es so, dass die Netzwerke sowohl durch materielle als auch immaterielle Gefälligkeiten funktionieren. Häufig handelt es sich um Gesten, um kleine Geschenke und Aufmerksamkeiten. Das System funktioniert nicht so starr, wie es auf viele Manager aus dem Westen zunächst wirkt. Und diese gegenseitigen Dienste sind nur ein Teil des Wesens von Netzwerken. Wichtiger ist der Punkt, dass es sich um Schutzgemeinschaften handelt. Wenn Sie und Ihr chinesischer Partner oder seine Mitarbeiter Teil des gleichen Beziehungsnetzes sind, wird er sich Ihnen gegenüber zu vertrauensvollem und loyalem Handeln verpflichtet fühlen. Wobei diese Verpflichtung doch wieder begrenzt ist. Die Netzwerke, die jeder Chinese pflegt, stehen in einer bestimmten Hierarchie zueinander. Richtig! Das familiäre Netzwerk bildet den Primat, dem alle andere Netzwerke untergeordnet sind. Auch das Netzwerk von Freunden steht weit oben in der Hierarchie. Mit anderen Worten: Wenn ein Chinese vor der Wahl steht, einem Cousin gegenüber loyal zu sein - oder dem Projekt ... ... dann wird er sich wahrscheinlich für den Cousin entscheiden. Dies muss man akzeptieren. Zu den ersten Aufgaben eines Projektmanagers, der in China angekommen ist, gehört also: Sich in die Netzwerke einzubringen. Zunächst sollte ein Manager lernen und trainieren, diese interkulturellen Aufgaben zu meistern. Anschließend sollte er möglichst viel über seine Partner in China erfahren. Mit wem sind Kunden oder Lieferanten vernetzt? Welche Verbindungen können hilfreich sein, welche sich negativ auf die Geschäftsbeziehung auswirken? Dann, vor Ort angekommen, besteht eine der ersten Aufgaben wirklich darin, sich in diese Netzwerke einzubringen. Dieser Prozess sollte von interkulturellen Experten begleitet werden. Darf der Neuankömmling in China damit rechnen, dass man ihm anfängliche Fehler im interkulturellen Miteinander nachsieht? Natürlich! Viele Chinesen sind hochgebildet und informieren sich vorab sehr genau über das Gegenüber aus dem anderen Kulturkreis. Sie wissen, dass die Deutschen aus einer anderen Arbeitskultur kommen. Entgegenkommen und Anpassungsbereitschaft werden honoriert. Die Fortsetzung dieses Interviews lesen Sie auf S. 53 in diesem Heft. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2008 12 REPORT PM_4-08_1-60: Inhalt 26.06.2008 9: 25 Uhr Seite 12