PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Querverbindung zwischen heutigen und zukünftigen Projekten“
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Oliver Steeger
Noch diskutieren Politiker, wie lange die deutschen Kernkraftwerke am Netz bleiben dürfen.
Sicher ist: Abgeschaltet werden sie. Wann – dies steht in den Sternen. Beim Energiekonzern E.ON legt man trotz der Ungewissheit nicht die Hände in den Schoß. Das Unternehmen baut derzeit Kernkraftwerke im norddeutschen Stade und in Würgassen bei Kassel zurück. Diese Pionierprojekte wertet ein „Wissensmanagement-Team“ aus. Denn wenn der Startschuss für die Demontage auch der anderen Kernkraftwerke fällt, wird das Wissen von heute den Projekten von morgen helfen. Über das Wissensmanagement als Erfolgsfaktor bei E.ON berichten Uwe Altmann (Leiter Rückbauplanung und -steuerung) und Mathias Wolf (Mitarbeiter Rückbauplanung und -steuerung).
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 l 11 Oliver Steeger „Querverbindung zwischen heutigen und zukünftigen Projekten“ Wissensmanagement-Team bei E.ON „auf der Jagd“ nach Projekterfahrungen Noch diskutieren Politiker, wie lange die deutschen Kernkraftwerke am Netz bleiben dürfen. Sicher ist: Abgeschaltet werden sie. Wann - dies steht in den Sternen. Beim Energiekonzern E.ON legt man trotz der Ungewissheit nicht die Hände in den Schoß. Das Unternehmen baut derzeit Kernkraftwerke im norddeutschen Stade und in Würgassen bei Kassel zurück. Diese Pionierprojekte wertet ein „Wissensmanagement-Team“ aus. Denn wenn der Startschuss für die Demontage auch der anderen Kernkraftwerke fällt, wird das Wissen von heute den Projekten von morgen helfen. Über das Wissensmanagement als Erfolgsfaktor bei E.ON berichten Uwe Altmann (Leiter Rückbauplanung und -steuerung) und Mathias Wolf (Mitarbeiter Rückbauplanung und -steuerung). Der Rückbau von Kernkraftwerken gilt unter Projektmanagern als große Herausforderung. Die Projekte laufen über zehn und mehr Jahre, kosten häufig mehr als eine halbe Milliarde Euro und sind technisch hochkomplex. Zudem: Mit dieser Art von Projekten hat man kaum Erfahrung. Uwe Altmann: Erste Erfahrungen gibt es. Weltweit wurde bislang etwa ein halbes Dutzend Kernkraftwerke vollständig zurückgebaut. Die Technologien für einen sicheren und effizienten Rückbau liegen daher alle vor. Die größte Herausforderung für die Zukunft liegt darin, den Gesamtablauf zu optimieren. Beim Energiekonzern E.ON laufen derzeit gleich zwei Rückbauprojekte, eines in Stade bei Hamburg, ein anderes in Würgassen bei Kassel. U. A.: Unser Projekt in Würgassen ist sehr weit vorangeschritten. Das Werk wurde 1994 abgeschaltet, der Rückbau dann 1997 genehmigt. Bis zum Jahr 2014 soll es atomrechtlich zurückgebaut sein, dann sind die Gebäude zum Abriss freigegeben … … zum „normalen“ Abriss, weil die zulässigen Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung unterschritten wurden. Mathias Wolf: Richtig - was Stade bei Hamburg betrifft: Das Werk wurde 2002 abgeschaltet, und 2005 haben wir die Rückbaugenehmigung erhalten. Wir wollen bereits 2014 mit dem Abriss beginnen können. Das Projekt in Würgassen ist dem in Stade voraus. Das Team in Norddeutschland kann also von den Erfahrungen aus Würgassen profitieren. U. A.: Kann es, ja, und dies tut es auch. Anderenfalls würden wir den Termin im Jahr 2014 nicht erreichen können. Aber: Die beiden Reaktortypen sind unterschiedlich. Würgassen hat einen Siedewasserreaktor, Stade einen Druckwasserreaktor. Die technischen Aufgabenstellungen gehen eher auseinander. Die Erfahrungen aus Würgassen lassen sich nicht ohne Weiteres übertragen. Bedauerlich? M. W.: Ich finde dies nicht bedauerlich. So können wir für den Rückbau beider Reaktortypen Erfahrungen sammeln und aufbereiten. Wir wissen, dass wir zukünftig weitere Reaktoren beider Typen zurückbauen müs- Zerlegte Komponenten eines Kernkraftwerks werden „ausgeschleust“. Wie sich dieser Vorgang am besten bewerkstelligen lässt - diese Erfahrungen zeichnen die Wissensmanager bei E.ON für künftige Projekte auf. Foto: E.ON PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 11 sen. Dies ist sicher. Wir wissen nur noch nicht, wann diese Projekte starten werden. Im Interesse unseres Unternehmens hoffen wir aber, dass unsere laufenden Anlagen nicht allzu bald „in den Ruhestand“ geschickt werden, denn die Kernkraft als Komponente des Energiemixes trägt ihren Teil zur Erfüllung der Unternehmensziele bei. Der „Atomausstieg“ wurde politisch beschlossen. Heute diskutiert man - auch mit Blick auf die Klimaschutzziele - die Länge der Restlaufzeiten, die den bestehenden Kernkraftwerken noch bleiben. M. W.: Dies macht unsere Planung so schwierig. Im Augenblick ist offen, wie lange wir die Kraftwerke noch betreiben können und wann sie zurückgebaut werden müssen. Ob wir also die neuen Rückbauprojekte beispielsweise in drei, neun oder vierzehn Jahren aufsetzen müssen … Da kann man nur abwarten … U. A.: Nein, mit reinem Abwarten hätten Sie einen wichtigen Punkt übersehen. Angenommen, die nächsten Projekte stehen erst in zehn oder fünfzehn Jahren an - dann können Sie auf das Projektwissen von Würgassen und Stade möglicherweise nicht mehr zugreifen. Die Projektmanager und ihr Team wären nicht mehr greifbar. Die Teams müssten dann fast ganz von vorne beginnen und das Rad quasi ein zweites Mal erfinden. Es gehört doch zu den Basics des Projektmanagements, am Ende des Projekts einen Abschlussbericht zu schreiben, in dem Vorgehensweise, Erfahrungen und Hinweise für künftige Projekte dokumentiert werden. M. W.: Das ist richtig. Aber Hand aufs Herz: Welcher Projektmanager weiß nach zehn Jahren Projektlaufzeit noch, welche Erfahrungen er beispielsweise während der Planung gemacht hat? Er überblickt ein halbes Jahr, vielleicht ein Jahr - doch nicht die Projektlaufzeit von fünf oder sechs Jahren. U. A.: Und gesetzt, er würde seine Erfahrungen komplett rekonstruieren können. Dann muss er beim Schreiben des Berichts einschätzen, welches Wissen für künftige Projekte von Nutzen sein könnte. Kann er dies? Stichwort „Betriebsblindheit“? U. A.: Ein Projektmanager überblickt sein Projekt, dies ist seine Aufgabe. Ihm fehlt aber die ganzheitliche Perspektive, in die auch andere Projekte seiner Organisation - laufende und geplante - einbezogen werden. Also die Projektflotte. Nochmals: Woher soll er wissen, welche seiner Erfahrungen für andere Projekte wichtig sein könnten? Deshalb haben wir in unserer Organisation ein zentrales Wissensmanagement aufgebaut. Wir überblicken alle laufenden und geplanten Projekte. So können wir Querverbindungen zwischen diesen Projekten herstellen. M. W.: Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Nicht jedem Projektmanager ist es in die Wiege gelegt, Abschlussberichte zu schreiben und Erfahrungen so aufzubereiten, dass sie auch von künftigen Projekten genutzt werden können. Unterstützung vom zentralen Wissensmanagement wird dankbar entgegengenommen. Wir sprechen viel von künftigen Projekten. Ihr Wissensmanagement hat auch das Ziel, die beiden heute laufenden Projekte zu unterstützen. U. A.: Dieser Aufgabe kommen wir auch nach. Doch wir müssen Prioritäten setzen, und die liegen bei der Erfahrungssicherung für die Zukunft. Hier können wir am besten den Hebel ansetzen, um aus dem Wissensmanagement einen für unser Projektmanagement größtmöglichen Effekt zu erzielen. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 12 REPORT Das Wissensmanagement beim Rückbau von Kernkraftwerken hat E.ON im Jahr 2004 eingeführt, seither steht es im „Regelbetrieb“. „Die letzten vier Jahre haben uns gezeigt, dass wir auch die Systematik im ,Managen von Wissen‘ einem Regelkreis kontinuierlichen Lernens unterziehen müssen“, erklärt Uwe Altmann, Leiter Rückbauplanung und -steuerung. Als Potenziale für die Weiterentwicklung haben sich vor allem die zeitliche Beanspruchung der Kollegen bei der Ausformulierung der Erfahrungsberichte, die systematische Aufbereitung der Erfahrungsberichte und die „Verfügungsstellung“ im Wissensmanagementportal erwiesen. So hat Altmanns Team seit Anfang 2008 das bestehende Wissensmanagement systematisch analysiert, Schwächen aufgedeckt und die Verbesserungsmöglichkeiten in einem neuen Konzept zusammengetragen. „Wir haben im Wesentlichen drei Punkte festgestellt“, erklärt er, „wir benötigen einen höheren Managementanteil beim Managen von Wissen, wir müssen unser bereits vorhandenes Wissen systematischer und strukturierter dokumentieren, und wir müssen die Bereitstellung am jetzigen und zukünftigen Bedarf spiegeln.“ Das Wissensmanagement-Team der E.ON Kernkraft GmbH arbeitet daran. Einige Pilotmaßnahmen hat es bereits umgesetzt. Weitere werden folgen. Bis Jahresmitte 2009 soll das Wissensmanagement vollständig angepasst sein. Wissensmanagement im „Regelbetrieb“ Foto: E.ON Mathias Wolf, Mitarbeiter Rückbauplanung und -steuerung PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 12 Bleiben wir doch bitte einen Augenblick beim Wissensmanagement für die laufenden Projekte. Wie profitieren die in Stade und Würgassen tätigen Teams von Ihrem Wissensmanagement? M. W.: Wir arbeiten daran, im Tagesgeschäft entstehendes Wissen verfügbar zu machen. Wir wollen Wissen für die Projektteams beschaffen, indem wir beispielsweise Kontakte vermitteln, eintreffende Informationen aufbereiten und diese gezielt verbreiten - dies ist das Ziel für unser Wissensmanagement, an dem wir heute arbeiten. Eine Art „Nachrichtenbüro“ für Ihre Projektteams? M. W.: Benötigt ein Projektmanager Erfahrungswissen, spezielles Marktwissen oder technisches Know-how, so ruft er vielfach einen Kollegen an. Wir wollen, dass er dann auch uns anruft. Wir haben möglicherweise Informationen in unserer Datenbank, die die Auskünfte seines Kollegen ergänzen. Außerdem können wir erkennen, wo der Bedarf liegt, und unter Umständen verschiedene Anfragen clustern, wenn sich dieselben Problemstellungen bei mehreren Kollegen finden. Sie recherchieren also auch auf Anfrage? M. W.: Ja, auch dies sehen wir als unsere Aufgabe. Wir haben eine ganz andere Routine bei Recherchen, die sich im Tagesgeschäft eines Projekts nur schwer gründlich durchführen lassen. Unternehmen anderer Branchen stehen vor einer ähnlichen Herausforderung wie E.ON bei seinen Rückbauprojekten. Diese Unternehmen wissen: Es werden bei ihnen in absehbarer Zeit Projekte anstehen, die ihren gegenwärtig durchgeführten sehr ähnlich sind. Fachleute bemängeln aber: Wissensmanagement wird heute noch recht selten betrieben. Sie sehen in dieser Disziplin viel Nachholbedarf. Was hat E.ON bewogen, Wissensmanagement einzurichten? M. W.: Wir arbeiten in einem besonderen Umfeld, vielleicht haben wir auch deswegen die Notwendigkeit für Wissensmanagement erkannt. Besonderes Umfeld - inwiefern? U. A.: In der Kernkrafttechnik sind viele Spezialkenntnisse erforderlich. Beim Rückbau arbeiten wir in einer Nische der Kerntechnik. Erfahrungsträger, die Rückbauprojekte leiten können, sind nicht nur in unserem Konzern selten, sondern auch weltweit. Wo liegt das Problem genau? U. A.: Für zukünftige Rückbauprojekte wird erfahrenes Personal benötigt. Die Herausforderung ist dabei weniger die technische Einzellösung als vielmehr das Wissen um die Komplexität derartiger Großprojekte. Daher müssen wir schon jetzt Vorsorge treffen, dass entsprechendes Personal für die Zukunft qualifiziert wird. M. W.: Wir finden vielleicht Dienstleister, die mit Teilaufgaben des Rückbaus Erfahrung haben. Fachleute aber, die das Projekt routiniert aufsetzen und als Bauherren durchführen können, wird man weder in der eigenen Organisation, da die Kollegen an anderer Stelle genauso benötigt werden, noch auf dem Personalmarkt rekrutieren können. Auf gut Deutsch: Der künftige Projektmanager muss sich in das Thema „Rückbau“ einarbeiten. M. W.: Einarbeiten muss er sich in jedem Fall. Es stellt sich aber die Frage, wie und womit er sich einarbeitet. Drastisch gesagt: Er findet kein Buch unter dem Titel „So leite ich den Rückbau eines Kernkraftwerks“, das ihm die Einarbeitung erleichtert. U. A.: Dies ist der springende Punkt. Dieses Wissen muss mühsam erworben werden. Von dieser Erkenntnis aus ist es nur ein kleiner Schritt hin zur Einsicht, systematisches Wissensmanagement einzurichten. Wie sind Sie bei der Einrichtung Ihres Wissensmanagements vorgegangen? U. A.: Wir haben ein Wissensmanagement-Team mit mehreren Mitarbeitern in das CoC Rückbau [Unternehmensbereich von E.ON, die Redaktion] integriert. Unterstützt von den Rückbaustandorten sammelt dieses Team die Erfahrungen ein, wertet sie aus, dokumentiert sie und bereitet sie so auf, dass sie später den Projekten zur Verfügung stehen. Klingt recht allgemein … M. W.: Ich beschreibe eines unserer Ziele konkret: Wir arbeiten an einem Leitfaden für künftige Projekte. In diesem Leitfaden beschreiben wir, wie der Rückbau eines Kernkraftwerks zu planen und durchzuführen ist. Ein Leitfaden im Sinne eines Projektplans oder Masterplans? M. W.: Ja, im Prinzip ein Masterplan! Auf unserem Leitfaden sollen in Zukunft unsere Projektmanager ihren projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 l 13 Uwe Altmann, Leiter Rückbauplanung und -steuerung Foto: E.ON PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 13 Projektplan aufbauen können, es handelt sich bei unserer Handreichung also um eine Art Grobplanung für den Einstieg ins Projekt. U. A.: Wir vergleichen den Leitfaden gelegentlich mit einem Koch- oder Rezeptbuch; die Rezepte müssen den jeweiligen Anlagen angepasst und für das Projekt verfeinert werden. Wir wollen gute Ideen und Erfahrungen transportieren; inwieweit diese Impulse für künftige Projekte anwendbar sind, diese Prüfung können wir nur eingeschränkt leisten. Dies ist Aufgabe des Projektmanagers. M. W.: Um ein Beispiel zu nennen. Es sollen bestimmte Komponenten im Kernkraftwerk demontiert werden. Der Leitfaden gibt einen Rahmen für die Planung von Terminen und Kosten, von Verfahren und technischen Konzepten. Wir wissen selbstverständlich, dass dieser Leitfaden niemals vollständig sein kann. Doch Konzepte, auf die ein Projektmanager aufsetzen kann, werden wir bieten. Wir verstehen diesen Leitfaden als Hilfsmittel für Projektmanager, als Denkanstoß für Aufgaben, die mit zurückliegenden Aufgaben vergleichbar sind. Solche Leitfäden gibt es in vielen Unternehmen für das Projektmanagement und seine Prozesse. M. W.: Das Projektmanagement ist auch Inhalt unseres Leitfadens. Er geht aber weit über das Projektmanagement hinaus in technische oder inhaltlich-strategische Aufgabenstellungen. Er beinhaltet ganzheitlich die Erfahrungen, die in einem Projekt gesammelt wurden. Dazu gehören bei Rückbauprojekten technische Konzepte für die Demontage, Zerlegetechniken, Zuverlässigkeit und Qualität der Verfahren. Bedeutsam sind vor allem Konsequenzen und strategische Ausrichtungen für weitere Projektbereiche, beispielsweise Arbeitssicherheit, Strahlenschutz, Entsorgung oder den Anlagenbetrieb. Was sind die Vorteile Ihres Leitfadens? U. A.: Die Vorteile liegen auf der Hand. Die künftigen Projekte werden Zeit sparen, nicht nur bei der Vorbereitung, sondern auch bei der Durchführung. Man kann Sackgassen bei der Projektstrategie und Fehler bei der Umsetzung vermeiden. Quasi aus den Fehlern der Vorgänger lernen? U. A.: Nicht nur aus Fehlern, sondern auch aus besonders guten Lösungen, mit denen man Aufgaben gemeistert hat. So werden künftige Projektmanager ihr Budget effektiver einsetzen können, indem man etwa günstigere Lösungen oder erfolgreiche Strategien für Aufgaben aus den vergangenen Projekten kennt. Und die Qualität der Projektergebnisse wird auch erhöht. - Wir bewegen uns also im magischen Dreieck des Projektmanagers. Ein Unternehmen, das in Wissensmanagement investiert, wird auch über den „Return of Investment“ nachdenken. Haben Sie Zahlen zur Wirtschaftlichkeit ermittelt? U. A.: Es ist schwierig, die finanziellen Vorteile von Wissensmanagement auf Euro und Cent abzuschätzen. Man kann nicht sagen, indem diese oder jene Empfehlung genutzt wird, spart das Projektteam zwei Millionen Euro. Solcherlei Zahlen wären sehr spekulativ. M. W.: Wenn ein Projekt aufgesetzt wird, bestehen viele Unklarheiten. Jeder, der sich mit Projektmanagement befasst hat, weiß: In dieser Frühphase wird der Keim für spätere Fehlentwicklungen gelegt, die dann kostspielig korrigiert werden müssen. Wissensmanagement kann die Unklarheiten vermindern, aber nicht komplett vermeiden. Konkret: Es kann die planerischen oder budgetseitigen Risiken für künftige Projekte minimieren sowie Fehler und Unschärfen vermeiden helfen. Dies ist schon ein bedeutender „Return of Investment“. Die Praxis des Wissensmanagements, so sagen Sie, erfordert mehr als nur Berichte aus Projekten einzusammeln. Ihr Team geht auf die Jagd nach Erfahrungen … M. W.: Der Begriff „Jagd“ klingt ein wenig stark … U. A.: … aber er beschreibt im gewissen Sinne unsere Arbeitsweise. Wissensmanagement muss aktiv betrieben werden. Wir wollen auch verborgene, vielleicht für unwichtig gehaltene oder im Tagesgeschäft der Projekte verschüttete Erfahrungen aufnehmen - etwa durch Interviews, Workshops mit Projektleitern und durch eigene Recherchen. Wir stoßen dabei neue Themen an. Nun weiß man, dass Erfahrungsträger ihr Wissen nicht ohne Weiteres teilen wollen. Erfahrung ist ein scheues Reh … M. W.: Man muss achtgeben, wie man Wissen erfragt. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 14 REPORT Sicherheit im Vordergrund: Der Rückbau von Kernkraftwerken ist ein komplexes, anspruchsvolles Vorhaben. Foto: E.ON PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 14 Ein Beispiel für richtiges Fragen? M. W.: Ein Beispiel können zielgerichtete Workshops mit Projektmanagern sein. In den Workshops werden gezielt Themen mit Blick auf zukünftige Rückbauprojekte hinterfragt, etwa Brandschutz oder Demontagestrategien. Bei diesen Workshops muss der Eindruck vermieden werden, man wolle das laufende Projekt prüfen. Unsere Fragen dürfen also nicht missverstanden werden. Das bedeutet in der Praxis? M. W.: Wir fragen so: Wenn der Projektleiter noch einmal ein solches Projekt oder eine Projektaufgabe durchführen würde - was würde er tun? Was würde er nicht tun? Welche Empfehlungen würde er geben? Damit rücken wir die Perspektive bewusst von dem laufenden Projekt ab. Nicht das Projekt, sondern nur die Erfahrungen werden angesprochen. Vorhin haben Sie gesagt, dass sich Projektmanager nach Ende eines mehrjährigen Rückbaus kaum noch beispielsweise an die Anfangsphase des Projekts erinnern. Wie stellen Sie sicher, dass gerade die Erfahrungen der Frühphase, die im Projektmanagement so wichtig ist, nicht verloren gehen? U. A.: Das Wissensmanagement muss die Projekte begleiten - und nicht nur am Ende durchgeführt werden. Je nach der individuellen Aufgabenstellung des Projekts kann zum Beispiel ein Zwischengespräch mit dem Projektleiter erforderlich sein. Durch unser Wissensmanagement-Team und seine funktionale Einbindung in das CoC Rückbau haben wir die Möglichkeit, bereits während der Projektabwicklung auf alle dort verfügbaren Informationen zuzugreifen und bei Bedarf gezielt zu reagieren. Sie sprechen von Interviews und Workshops - viele Ihrer Instrumente des Wissensmanagements folgen dem Dialogprinzip. U. A.: Sei es, dass wir vom Wissensmanagementteam Fragen stellen, sei es, dass wir Projektmanager miteinander ins Gespräch bringen und ihren Dialog verfolgen. Diese Technik kostet Zeit und bindet Ressourcen. Wäre es nicht effizienter, im Wissensmanagement mit Fragebögen zu arbeiten? M. W.: Es reicht nicht aus, Fragebögen auszufüllen oder Berichte zu schreiben - dies haben wir aus der Vergangenheit gelernt. Dafür haben unsere Erfahrungsträger zu viel im Tagesgeschäft zu tun. U. A.: Der persönliche Dialog hat viele Vorteile. Er erleichtert die Aufbereitung. Er ist flexibel und schnell durchzuführen. Er erzielt bessere Ergebnisse und spart in Summe für die Gesamtorganisation Aufwand. Doch vor allem werden wir im Dialog auf wichtige Themen aufmerksam, die der Erfahrungsträger vielleicht für nebensächlich hält. Wie gesagt, er hat nur den Blick auf sein Projekt. Wir überblicken alle Projekte, wir kennen den Informationsbedarf der laufenden Projekte und versuchen den künftigen Bedarf nachfolgender Vorhaben abzuschätzen. So können wir das Gehörte mit bereits Vorhandenem kombinieren, nachfragen und vertiefen. Wie können Sie die Fülle von Informationen verarbeiten? M. W.: Unser Ehrgeiz besteht darin, vollständig zu dokumentieren, gewissermaßen das Ideal zu erfüllen. Doch in der Praxis wird man Prioritäten setzen müssen. Auf diese Prioritäten wollte ich hinaus. Wie setzen Sie sinnvolle Schwerpunkte und vermeiden es, sich zu verzetteln? M. W.: In unserem Team stehen regelmäßig Strategiebesprechungen an, in denen wir Antworten auf die Frage suchen, welche Themen uns wirklich wichtig sind. Und wichtig sein heißt: Sie sind erfolgskritisch für unsere Projekte. U. A.: Wir orientieren uns zum einen am erfolgskritischen Pfad der Projektplanung, also an der Kette von Aufgaben, auf der es immer wieder zu Verzögerungen und Schwierigkeiten bei Großprojekten kommt. Das mit diesen Aufgaben zusammenhängende Wissen ist besonders wichtig. Zum anderen gehen wir iterativ vor. Wir sprechen mit erfahrenen Kollegen und erfragen dort deren Prioritäten. Die Aufgabe der Wissensmanager besteht ja nicht nur darin, Wissen zu sammeln. Es muss aufbereitet - und vor allem für Projektteams verfügbar gemacht werden. Was so viel heißt: Die Projektmanager müssen mit ihren Teams das Wissen in fünf oder fünfzehn Jahren noch finden können. U. A.: Völlig richtig. Man muss darauf achten, dass das IT-System zukunftsfähig ist. Die IT-Technik entwickelt sich weiter, in Zukunft gelten vielleicht andere Standards. Durch die gezielte Aufbereitung von Schwerpunktthemen können wir aber heute auch das Risiko begrenzen, dass Informationen morgen nicht mehr gefunden werden. Damit haben wir nur die technische Auffindbarkeit besprochen. Wie aber kann sich der Projektmanager in Ihrer Datenbank praktisch orientieren, wenn er etwas sucht? M. W.: Die Nutzer von Datenbanken suchen nach sehr unterschiedlichen Methoden. Jeder hat eine eigene Vorgehensweise, mit der er besonders gut zurechtkommt. Nicht alle Projektmanager sind mit der einfachen Stichwortsuche zufrieden, mit der man beispielsweise auch im Internet sucht … projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 l 15 Anzeige PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 15 M. W.: Die Stichwortsuche bildet bei uns nur einen Zugang zur Datenbank. Es gibt weitere. Man kann beispielsweise in Themenbereichen suchen, etwa zum Thema „Brandschutz“ oder „Demontagetechnik“ - also sowohl in technischen als auch in aufgabenorientierten Bereichen. Wir planen auch, eine prozess-orientierte Sicht zu erstellen. Zudem haben wir eine Rückbaulandkarte erstellt … Eine Rückbaulandkarte? Was darf ich mir darunter vorstellen? U. A.: In einem stark vereinfachten, modellhaften Plan werden die Hauptsysteme eines Kernkraftwerks abgebildet - vom Reaktor bis zur Turbine. Auf dieser Landkarte kann man demontagetechnische Aufgaben anwählen und entsprechende Dokumentationen aufrufen. Dies geht schnell und einfach. Schnell und einfach - ist eine gewisse Bequemlichkeit für den Nutzer ein Erfolgsfaktor dafür, dass die Wissensdatenbanken genutzt werden? M. W.: Sagen wir besser: Eine nachvollziehbare, durchgängige und benutzerfreundliche angepasste Struktur ist ein Garant dafür. Man sollte sich vorsehen, diese Struktur allein der IT-Technik anzupassen. Über die Struktur entscheiden andere Faktoren, beispielsweise die Mitarbeiter, die Prozesse, die technischen Systeme oder der Aufbau der Organisation. Mit einem Wort: Ganzheitliches Design der Datenbank - und eine Warnung davor, sich zu sehr auf das IT-System zu fokussieren? U. A.: Im Wissensmanagement betrachten wir die IT lediglich als Hilfsmittel, als Werkzeug. Wenn Unternehmen ein zentrales Wissensmanagement für ihr Projektmanagement aufbauen wollen - auf was sollten sie bei der Auswahl der Teammitglieder achten? U. A.: Die Mitarbeiter müssen dem Projektmanager auf Augenhöhe begegnen können, um akzeptiert zu werden. Sie müssen also kommunikationsfähig sein, sie brauchen rhetorisches Talent für die Moderation und Interviews. Verlässlichkeit, Integrität, schnelle Auffassungsgabe und ein Blick für Wissensschwerpunkte gehören auch zu den Anforderungen. Wissensmanager betrachten die Projekte ihres Unternehmens aus einem ganzheitlichen Blickwinkel, quasi aus der Vogelperspektive. Wie viel Fachwissen über Rückbauprojekte bringen Sie mit? M. W.: Eine Mischung aus betriebswirtschaftlichmethodischem Wissen und technischem Fachwissen ist hilfreich. Doch wir sehen uns eher als Generalisten. Wir wissen so viel, dass wir mit dem Wissen arbeiten können. Was leicht untertrieben ist. Wissensmanager haben buchstäblich das Wissen ihrer Organisation präsent. Sie wissen, wie und wo sie sich informieren können. Der Schritt liegt nahe, Wissensmanager gezielt zu Projektmanagern künftiger Projekte zu entwickeln, also im Wissensmanagement-Team die Projektleiter von morgen zu suchen. U. A.: Fest steht, dass die Arbeit im Wissensmanagement eine einmalige Chance für die Qualifizierung bildet. Unter den Mitarbeitern im Wissensmanagement lassen sich in der Tat Manager für die Projekte der Zukunft finden. ■ Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.20 Projektabschluss (mit Einschränkung) 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 16 REPORT Rund um den Globus sind 439 Kernkraftwerke in 31 Ländern in Betrieb, die Nettoleistung beläuft sich auf rund 372 Gigawatt. Im Bau befinden sich 33 Kraftwerke in 12 Staaten, sie ergeben eine zusätzliche Kapazität von knapp 30 Gigawatt. In Deutschland betreibt E.ON (rund 88.000 Mitarbeiter und knapp 69 Milliarden Euro Umsatz) zwölf Anlagen mit einer Gesamtnettoleistung von rund 7.500 Megawatt; zwei Kraftwerke (Stade und Würgassen) sind abgeschaltet und werden von dem Konzern zurückgebaut. Den Rückbau von Kernkraftwerken hat der Konzern jüngst in seinem Bereich „CoC Rückbau“ zusammengefasst. Dort arbeiten Experten an dem Rückbau der Kernkraftwerke Stade und Würgassen, ein weiteres Projekt läuft derzeit in Schweden. „Im Sinne eines Flottenmanagements ist es unsere Aufgabe, die unternehmensweiten Rückbauprojekte zu optimieren“, erklärt Uwe Altmann (Leiter Rückbauplanung- und Steuerung). „Wir stellen die Transparenz der Projekte sowie ausreichend Steuerungsinformationen in den Rückbauprojekten sicher.“ Zudem stellt das ,CoC Rückbau‘ Schlüsselkomponenten für den Rückbau und das Reststoffmanagement bereit und erarbeitet standardisierte Tools und Instrumente. Dabei blickt das Team des CoC Rückbau weit in die Zukunft. „Wir bereiten vorausschauend und langfristig die zukünftigen Rückbauprojekte vor“, erklärt Altmann. „Wir übernehmen dann auch die Projektverantwortung bei der Aufplanung neuer Rückbauprojekte bis zum Vorliegen der Rückbaugenehmigung.“ E.ON fasst Rückbau-Kompetenz zusammen Präzision beim Rückbau: ein Blick in den Turbinenflur Foto: E.ON PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 16