PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Effizienz versus Effektivität im Multiprojektmanagement
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Jörg Seidl
Die Fachgruppe unterstützt die Arbeit der GPM und deren Mitglieder durch grundlegende Arbeiten im Bereich des Multiprojektmanagements. Sie beschäftigt sich mit den Erfolgsfaktoren und Nutzenpotenzialen des Multiprojektmanagements, entwickelt Konzepte zur Projektauswahl und Projektportfoliosteuerung, zum projektübergreifenden Ressourcenmanagement und zu anderen für Multiprojektsituationen typischen Fragestellungen. Innerhalb der Fachgruppe findet ein regelmäßiger Informations- und Erfahrungsaustausch zu diesen Fragen statt. Interessenten wenden sich bitte an den Autor oder an multiprojektmanagement@GPM-IPMA.de.
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 l 39 Jörg Seidl - Ein Beitrag aus der GPM Fachgruppe Multiprojektmanagement Effizienz versus Effektivität im Multiprojektmanagement Wie können Unternehmen die Ergebnisbeiträge ihrer Projekte nachhaltig verbessern? Die aktuelle wirtschaftliche Situation ist stark geprägt von der Finanzkrise, die inzwischen weite Teile der Realwirtschaft erfasst hat. Diese Entwicklung hat für die Unternehmen und staatlichen Institutionen zahlreiche Fragen und Problemstellungen aufgeworfen, die zügig beantwortet bzw. bewältigt werden müssen. In Krisen eröffnen sich aber auch neue Chancen. Dabei gewinnen erfahrungsgemäß diejenigen, die schnell und richtig reagieren und denen es besonders gut gelingt, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen. Diese Anpassung erfolgt in starkem Maße über Projekte. Dabei kommt dem Multiprojektmanagement eine entscheidende Rolle zu: Nur wer Projekte effektiv auswählt und effizient abwickelt, kann nachhaltige Erfolge erzielen. Ausgangssituation Projekte sind traditionell ein sehr wichtiges und bewährtes Instrument für Unternehmen, um Veränderungen zu bewältigen. Doch gerade in der Krise werden Projekte auch kritisch hinterfragt. Liefert das Projekt die richtigen Ergebnisse? Ist der Zeitpunkt richtig? Kann das Vorhaben überhaupt erfolgreich umgesetzt werden? Können wir uns das Projekt zum jetzigen Zeitpunkt leisten? Viele Projekte werden erst einmal gestoppt, um so Beiträge zur Kostensenkung zu leisten. Andererseits sind Projekte das klassische Instrument, um große Veränderungen und Anpassungen zu meistern. Umso mehr kommt es darauf an, die richtigen Projekte zu finden, zum richtigen Zeitpunkt zu starten und erfolgreich durchzuführen. Zudem muss man sorgfältig überwachen, ob sich Rahmenbedingungen verändern, und ggf. steuernd auf das Projektportfolio einwirken. Große oder kleine Veränderungsschritte? In Zeiten der Krise werden vielfach Restrukturierungs-, Rationalisierungs- oder andere strategische Veränderungsprojekte aufgesetzt. Diese Projekte sind mit hohen Erwartungen an die Ergebnisse verbunden. Sie stehen häufig unter starkem Zeit- und Kostendruck. Ein Scheitern gerade dieser Schlüsselprojekte kommt selbstverständlich nicht infrage, obwohl gerade sie oft besonders risikobehaftet sind und nicht selten massive Widerstände in der Organisation auslösen. Das klingt nach der Quadratur des Kreises. Dennoch sollte man gerade in unruhigen Zeiten bei der Planung notwendiger Veränderungen sachlich und überlegt vorgehen. Das Multiprojektmanagement bietet hierzu einige Hilfestellungen an. Zunächst stellt sich die Frage, wie ein Unternehmen oder eine Organisation sich am besten auf eine neue Situation einstellt und Veränderungsprozesse vollzieht. Kleinen Veränderungen können im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses umgesetzt werden, für die Umsetzung größerer Anpassungen im Unternehmen gibt es hingegen kaum eine Alternative für das Projekt als Instrument der Anpassung. Beide Anpassungsstrategien haben ihre Vorzüge und Nachteile. Wichtig ist es aber, sie einer Gesamtkoordination durch ein übergreifendes Multiprojekt- und Ressourcenmanagement zu unterziehen, da sowohl die kontinuierliche Verbesserung als auch die Durchführung von Projekten Ressourcen des Unternehmens bindet. Steuerung des Projektportfolios Bei der übergreifenden Steuerung der Projekte gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen, wie die Abb. 1 verdeutlicht. Die Leitung eines Unternehmens ist natürlich vorrangig daran interessiert, die selbst gesteckten oder vorgegebenen Unternehmensziele zu erreichen. Daneben muss sie aber auch Risiken vom Unternehmen abwenden. Von den Projekten erwartet die Unternehmensleitung daher Die Fachgruppe unterstützt die Arbeit der GPM und deren Mitglieder durch grundlegende Arbeiten im Bereich des Multiprojektmanagements. Sie beschäftigt sich mit den Erfolgsfaktoren und Nutzenpotenzialen des Multiprojektmanagements, entwickelt Konzepte zur Projektauswahl und Projektportfoliosteuerung, zum projektübergreifenden Ressourcenmanagement und zu anderen für Multiprojektsituationen typischen Fragestellungen. Innerhalb der Fachgruppe findet ein regelmäßiger Informations- und Erfahrungsaustausch zu diesen Fragen statt. Interessenten wenden sich bitte an den Autor oder an multiprojektmanagement@ GPM-IPMA.de. Fachgruppe „Multiprojektmanagement“ PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 39 Umsetzungsbeiträge zu den übergeordneten Zielen sowie die Bewältigung von Zwängen. Im Folgenden werden wesentliche Erfolgsfaktoren der Multiprojektsteuerung näher beleuchtet. Effektivität: Die richtigen Projekte machen Welche sind in der jeweiligen Unternehmenssituation die richtigen Projekte? Dies zu beantworten ist Aufgabe der Projektportfolioplanung. Gerade in schwierigen Situationen sollte die Projektauswahl sehr sorgfältig erfolgen. Aktionismus ist aber hier fehl am Platze. Eine Projektportfolioplanung muss komplizierte Rahmenbedingungen berücksichtigen und besitzt aufgrund der großen Anzahl von Einflussgrößen, Abhängigkeiten und Beteiligten eine hohe Planungskomplexität. Dabei muss vielfach mit Zielkonflikten umgegangen werden. So besteht bei der Projektpriorisierung praktisch in jedem Unternehmen ein Zielkonflikt zwischen den zu bewältigenden Zwängen und den erhofften Nutzenbeiträgen. Das Verfahren zur Priorisierung der Projekte sollte solche Zielkonflikte auflösen und als Ergebnis eine eindeutige Projektrangliste erzeugen. Diese dient dann als Basis für die Ressourcenallokation und als „Vorratsentscheidung“ für den Fall von Ressourcenkonflikten. In der Praxis stehen an der Spitze der Projektrangliste nahezu immer Zwangsprojekte, erst danach folgen die übrigen Projekte. Wichtig ist dabei natürlich, dass ein Zwang auch konkret besteht. Ist z. B. eine gesetzliche Anforderung zu erfüllen, die erst in mehreren Jahren umgesetzt sein muss und innerhalb von wenigen Monaten realisiert werden kann, so ist eine Einstufung als Zwangsprojekt erst in dem Jahr geboten, in dem die Umsetzung dringlich wird. Bei der Priorisierung der Nicht-Zwangsprojekte werden häufig mehrere Bewertungskriterien kombiniert, zum Beispiel eine strategische und eine monetäre Nutzenerwartung an das Projekt. Entscheidend ist, dass diese Nutzenerwartungen realistisch sind und von den Entscheidern getragen werden. Die Priorisierung sollte für alle Beteiligten verständlich und nachvollziehbar gestaltet sein und angemessen dokumentiert werden. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Priorisierung ist die schnelle Anpassbarkeit an neue Rahmenbedingungen. Da sich die Priorisierungskriterien und die Bewertung einzelner Projekte im Zeitverlauf ändern können, ist es notwendig, die Planung des Projektportfolios regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Allokation der richtigen Ressourcen Soll die Priorisierung der Projekte Wirkung zeigen, so muss die Zuweisung der Ressourcen an die Projekte sich an den zuvor gefundenen Prioritäten ausrichten. Eine Priorisierung ohne entsprechende Ressourcenallokation hat keinen Effekt, dennoch wird eine prioritätsorientierte Ressourcenallokation bislang nur selten praktiziert. Dabei ist das grundsätzliche Prozedere recht einfach. Abb. 2 verdeutlicht das Prinzip. Hier wird die Ressourcenbindung der verschiedenen Projekte im Zeitverlauf dargestellt. Auf der X-Achse sind die Betrachtungsperioden angeordnet, während auf der Y-Achse die Ressourcenverbräuche als gestapelte Säulen abgebildet werden. Dabei sind die Segmente der Säulen von unten nach oben nach der Projektrangfolge angeordnet. Als Zusatzinformation wird die Kapazitätsgrenze dargestellt. Dieses Diagramm lässt sich beliebig variieren. So kann es auf alle Ressourcen oder auch nur auf bestimmte Engpassressourcen angewendet werden. Die Filterung sowie die Wahl der dargestellten Perioden und Kennzahlen lassen weitere Varianten zu. Diskrepanzen zwischen der prioritätsorientierten Planung und dem tatsächlichen Ressourcenverbrauch werden sehr schnell sichtbar. So müsste im abgebildeten Beispiel kritisch hinterfragt werden, warum in den bereits abgeschlossenen Perioden die höchsten Aufwände ausgerechnet für das Projekt C erbracht worden sind, das die niedrigste Priorität der drei bearbeiteten Projekte hat. Beim übergreifenden Ressourcenmanagement wird meistens eine Maximierungsstrategie verfolgt, d. h., es wird danach gestrebt, mit gegebenen Ressourcen möglichst hohe Umsetzungsbeiträge zu erwirtschaften. Dies unterscheidet sich von der üblichen Optimierungsstrategie innerhalb eines einzelnen Projekts, bei der eine Umsetzung vorgegebener Ziele mit möglichst geringem Ressourcen- und Zeiteinsatz angestrebt wird (Minimierungsstrategie). Der richtige Zeitpunkt Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um ein Projekt zu starten ? Leider verführen planerisch vorhandene Restkapazitäten dazu, Projektportfolios zu „überladen“. Dann werden Projekte einfach gestartet, obwohl innerhalb der geplanten Projektlaufzeit keine ausreichende Zuordnung von Personal und Budget möglich ist. Statt der gewünschten vollständigen Nutzung der verfügbaren Ressourcen kommt es dann i. d. R. zu Engpässen und Verzögerungen im gesamten Projektportfolio. Die Überlastung einzelner Ressourcen beeinträchtigt nicht nur das Projekt, das die Überlastung verursacht, sondern auch alle anderen Projekte, die von den Engpassressourcen abhängig sind. Projekte sollten daher nur gestartet werden, wenn sich Projektplanung und Ressourcenverfügbarkeit einigermaßen in Einklang bringen lassen. Ansonsten gilt der Grundsatz: Weniger ist mehr! 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 40 WISSEN Abb. 1: Multiprojektmanagement im Gesamtkontext einer Organisation PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 40 Effiziente Projektabwicklung Nach erfolgter Priorisierung und Ressourcenausstattung gewährleisten die Methoden des klassischen Projektmanagements die erfolgreiche und effiziente Umsetzung des vorgegebenen Auftrags in das gewünschte Projektergebnis (Abb. 1). Dabei wird i. d. R. eine Minimierungsstrategie verfolgt: Das gewünschte Ergebnis soll möglichst schnell und ressourcenschonend umgesetzt werden. Mit dem Projektergebnis stellt das Projekt dem Auftraggeber ein Nutzenpotenzial bereit. Der konkrete Nutzen entsteht aber meist erst später durch die Anwendung des Projektprodukts. Hier gilt: Nutzen kommt von Nutzung! Eine Optimierung des projektübergreifenden Nutzens erfordert ein entsprechendes Nutzeninkasso. Leider gelingt es bislang nur wenigen Unternehmen, den Projektportfolioerfolg durch eine systematische Auswertung der Projektergebnisbeiträge angemessen zu überwachen. Dies hat verschiedene Ursachen. Zwei Probleme seien beispielhaft genannt. Zum einen geht ein entstandener Nutzen in der Regel auf verschiedene Einflussgrößen zurück und kann so nicht eindeutig einzelnen Projekten zugeordnet werden. Zum anderen lassen sich manche Ergebnisse schwer quantifizieren, wie z. B. Beiträge zur Vermeidung oder Reduzierung von Risiken. Effektivität und Allokationsqualität versus Effizienz Insgesamt lässt sich feststellen, dass in Mehrprojektsituationen die effektive Projektauswahl und -priorisierung in Verbindung mit einer entsprechenden Ressourcenallokation noch bedeutender für den Gesamterfolg sind als das operative Projektmanagement auf Einzelprojektebene. Die richtige Durchführung eines einzelnen Projekts sichert zwar eine erfolgreiche Projektabwicklung und zeugt von Effizienz. Nur eine vorherige Auswahl der richtigen Projekte kann aber sicherstellen, dass zum Ende eines Planungszeitraums auch die für das Unternehmen richtigen und wichtigen Umsetzungsbeiträge vorliegen. Die Zunahme von Mehrprojektsituationen führt zu einem Wettbewerb um die benötigten Ressourcen, der einerseits unter den Projekten, anderseits aber auch zwischen den Projekten und der Linienorganisation geführt wird. Da eine eindeutige Trennung der Ressourcen in Projekt- und Linienressourcen meist nicht möglich ist, stellt ein übergreifendes Ressourcenmanagement eine maßgebliche Voraussetzung für die unternehmensweite Optimierung der Projektergebnisbeiträge dar. Nur wenn alle diese Elemente zusammenspielen, lassen sich Effizienz und Effektivität auf der Ebene des Projektportfolios erreichen. In diesem Falle sind nachhaltige, positive Wirkungen der Projekte gesichert. Professionelle Unterstützung In Krisensituationen kann man sich größere Projektfehlschläge nicht erlauben. Sorgen Sie daher für ein professionelles Management Ihrer Veränderungsprojekte. Hierfür sind besondere methodische und soziale Kompetenzen gefragt. Sofern bestimmte Kompetenzen im eigenen Haus nicht vorhanden sind oder kritische Fragestellungen eine neutrale Moderation erfordern, sollten Sie gezielt externe Unterstützung hinzuziehen. Literatur [1] Kunz, C.: Strategisches Multiprojektmanagement. Dissertation Universität Bamberg, Wiesbaden 2005 [2] Seidl, J./ Cronenbroeck, W.: Unternehmenszielkonforme Ressourcenallokation in Projekten. In: Lange, D. (Hrsg.): Projektmanagement ohne Grenzen. Dokumentationsband zum 24. Internationalen Deutschen Projektmanagement- Forum 2007 in München, S. 64-70 [3] Seidl, J./ Ziegler, Th.: Management von Projektabhängigkeiten. In: Steinle, C., et. al. (Hrsg.): Handbuch Multiprojektmanagement und -controlling. Berlin 2008, S. 93-108 [4] Seidl, J.: Konvergentes Projektmanagement (KPM). Konzepte der Integration von Projektportfoliosteuerung und operativem Programm- und Projektmanagement. Dissertation, Universität Bremen 2007 Schlagwörter effektive Projektauswahl, Multiprojektmanagement, Projektportfolio, Projektpriorisierung, Ressourcenallokation Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.1 Projektmanagementerfolg, 4.1.12 Ressourcen, 4.3.3 Portfolioorientierung Autor Dr. Jörg Seidl ist geschäftsführender Gesellschafter der BonVentis GmbH (www.bonventis.de) in Langenfeld, einer auf Projekt- und Multiprojektmanagement spezialisierten Unternehmensberatung. Er verfügt über langjährige Erfahrungen als Management Consultant, als GPM/ IPMA-zertifizierter Senior Projektmanager (Level B) und Linienverantwortlicher. Herr Seidl hat Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt studiert und am Institut für Projektmanagement und Innovation der Universität Bremen zu einem Thema im Multiprojektmanagement promoviert. Innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (GPM) leitet er die Fachgruppe Multiprojektmanagement. Anschrift BonVentis GmbH Alte Schulstraße 100 D-40764 Langenfeld E-Mail: joerg.seidl@bonventis.de projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2009 l 41 Abb. 2: Prioritätsorientierte Ressourcenallokation PM_2-09_1-60: Inhalt 03.03.2009 11: 05 Uhr Seite 41