eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 20/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
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2009
203 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Systemisch-lösungsorientiertes Risikomanagement

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2009
Verena Korn
Beim systemisch-lösungsorientierten Risikomanagement (RM) konzentrieren sich der Projektleiter und sein Team vor allem auf die Lösungen und Maßnahmen, die den Risikoeintritt verhindern und den Projekterfolg sichern. Das RM wird breit abgestützt. Der Status der Risiken sowie der Maßnahmenumsetzung wird durch einen Risikomanager überwacht. Das Etablieren eines Risikomanagementsystems umfasst acht Schritte: Konzeption des RM-Systems; Managemententscheid, ein RM-System im Unternehmen einzuführen; Informationsveranstaltungen; Planung der RM-Workshops; Durchführung der Workshops, in denen die Projektrisiken identifiziert, priorisiert und mit Maßnahmen belegt werden; Erstellen der Dokumentation, insbesondere der Risikoliste; laufende Aktualisierung der Risiken pro Projekt; kontinuierliche RM-Überwachung durch ein Risk Board.
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2009 l 23 Verena Korn Systemisch-lösungsorientiertes Risikomanagement Vorgehen zum Etablieren eines nachhaltigen Risikomanagementsystems Risiken sind in Projekten immer vorhanden. Auch wenn sie von den Projektbeteiligten ignoriert werden, verschwinden sie nicht - sie begleiten das Projekt. Es gibt einige Aussagen zum Risikomanagement in Projekten, die einem als Projektleiter und Berater häufiger begegnen: ❑ „Wir haben Risiken, aber wir können nichts dagegen tun.“ ❑ „Ich habe die Risiken schnell zusammengestellt, weil sie im Projektvertrags-/ Business Case-/ Projektplanungs-Template/ Monatsbericht verlangt werden.“ ❑ „Risikomanagement ist eine administrative Aufgabe, die nichts zum Projekterfolg beiträgt.“ ❑ „Wir haben eine Schwäche im Bereich Risikomanagement.“ ❑ „Das Managen von Risiken ist wichtig.“ Nachfolgend wird beschrieben, wie ein Risikomanagement (RM), das systemisch-lösungsorientiert ausgerichtet ist, als wirkungsvolles Werkzeug in Projekten angewendet werden und eine breite Akzeptanz bei den Projektbeteiligten gewinnen kann. Für das Unternehmen kann ein Projekt-Risikomanagementsystem gewinnbringend für das gesamte Projektportfolio genutzt werden. Was heißt „systemisch-lösungsorientiert“? Der systemisch-lösungsorientierte Ansatz wurde in der psychologischen Beratung entwickelt und findet heute weltweit sowohl in der Beratung als auch im Coaching Anwendung. Zu den theoretischen Grundannahmen der systemisch-lösungsorientierten Beratung zählen insbesondere die Konzepte der Kybernetik, der Zirkularität und des Konstruktivismus (vgl. [1], S. 8 ff.). Der systemisch-lösungsorientierte Ansatz geht davon aus, dass es in allen Kontexten, in denen Menschen aufeinandertreffen, zu wechselseitigem Austausch (Aktion und Reaktion) kommt. So handelt zum Beispiel ein Projektleiter nicht alleine und losgelöst von der Umgebung, sondern er befindet sich in einem vielschichtigen System, beispielsweise im Kontext verschiedener Stakeholder innerhalb und außerhalb eines Unternehmens (Auftraggeber, Kunden, Behörden etc.). Diese Stakeholder befinden sich wiederum selbst in verschiedenen Systemen und Subsystemen (z. B. eine Umweltschutzbehörde innerhalb einer regionalen Administration, welche ihre Vorgaben wiederum aus den Entscheiden des Bundesministeriums ableitet). Aus einer solchen Konstellation resultieren ein multifaktorieller Zusammenhang und ein komplexes System mit interagierenden „Regelkreisen“ und Wechselwirkungen (Zirkularität). Der Blick auf dieses System ist gemäß dem Konstruktivismus immer subjektiv: Vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen und ihrer Bedeutung wird die Wirklichkeit entsprechend individuell wahrgenommen und interpretiert. Hinzu treten gesellschaftliche Werte, Traditionen und Weltanschauungen, die ebenfalls als Interpretationsraster dienen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Wirklichkeit als „wahr“ angenommen, die sowohl für die eigenen Bedürfnisse als auch für das Zusammenleben mit anderen „nützlich“ ist. Kommen mehrere Personen zusammen, dann wird die sogenannte „Konsensus-Realität“ hergestellt. Diese zeichnet sich durch ähnliche Wahrnehmungen und Interpretationen aus, wodurch eine erfolgreiche Kommunikation und Interaktion gewährleistet werden. Konkret auf das Risikomanagement bezogen, ist in diesem Sinne das Aushandeln der kritischen Risiken mit den Projektbeteiligten sowie der wirksamen Gegenmaßnahmen, um den Risikoeintritt zu verhindern, „nützlich“ und entspricht einem gemeinsam ausgehandelten Konsens zum Risikomanagement. Beim systemisch-lösungsorientierten Risikomanagement (RM) konzentrieren sich der Projektleiter und sein Team vor allem auf die Lösungen und Maßnahmen, die den Risikoeintritt verhindern und den Projekterfolg sichern. Das RM wird breit abgestützt. Der Status der Risiken sowie der Maßnahmenumsetzung wird durch einen Risikomanager überwacht. Das Etablieren eines Risikomanagementsystems umfasst acht Schritte: Konzeption des RM-Systems; Managemententscheid, ein RM-System im Unternehmen einzuführen; Informationsveranstaltungen; Planung der RM-Workshops; Durchführung der Workshops, in denen die Projektrisiken identifiziert, priorisiert und mit Maßnahmen belegt werden; Erstellen der Dokumentation, insbesondere der Risikoliste; laufende Aktualisierung der Risiken pro Projekt; kontinuierliche RM-Überwachung durch ein Risk Board. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ PM_3-09_1-64: Inhalt 28.04.2009 10: 47 Uhr Seite 23 Im Sinne des systemisch-lösungsorientierten Ansatzes versucht ein Berater oder konkret ein Projektleiter, eindimensionale Herangehensweisen an Probleme und Lösungen zu vermeiden und stattdessen deren Mehrschichtigkeit und Mehrdimensionalität zu erfassen und für eine nachhaltige Veränderung zu nutzen. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Lösung nützlich und umsetzbar ist und durch die im Projektsystem Beteiligten getragen wird. „Systemisch-lösungsorientiert“ ist generell kein Ansatz, der sich auf einen bestimmten Berufszweig oder bestimmte Themengebiete beschränken muss. Als Arbeitshaltung und Herangehensweise kann die systemische Lösungsorientierung in allen Bereichen der Lebens- und Arbeitswelt angewendet werden. Wer systemisch-lösungsorientiert denkt, ❑ geht davon aus, dass ein Problem und seine Lösung nie eindimensional, sondern mehrschichtig sind und in einem System zum Tragen kommen; ❑ ist davon überzeugt, dass die Fokussierung auf Probleme die Sicht für die Lösungen verschränkt (vgl. [2]: Das Konzentrieren auf Probleme führt zur „Problemtrance“ (Kreisen um das Problem), das Konzentrieren auf Lösungen zur „Lösungstrance“, einem Zustand, in dem Ideen fließen und neue Aspekte gesehen werden); ❑ weiß, dass die Konzentration auf die Stärken, auf die Ressourcen, die Personen einbringen können, zentral zum Finden von Lösungen und deren Umsetzung beiträgt; ❑ unterstützt das Schaffen von Handlungsoptionen und das Gewinnen neuer Perspektiven. Was leistet systemisch-lösungsorientiertes Risikomanagement? Ein Risikomanagementsystem, das lösungsorientierten Prinzipien folgt, ❑ verbessert die Projektdurchführung, insbesondere, was die Einhaltung von Terminen, Budgets, Lieferergebnissen und die Qualität betrifft; ❑ verbessert die Zusammenarbeit im Projekt; ❑ bringt Projekt und Management (Linie) zusammen; ❑ fördert die Managementattention und -unterstützung. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2009 24 WISSEN Risikogruppe Beispiele für Risiken Projektinhalt und -planung ❑ Die Projektziele sind unklar oder wechseln häufig. ❑ Die Businessanforderungen liegen nicht vor, sind unvollständig etc. ❑ Es gibt häufig Änderungswünsche/ -anträge zu den Businessanforderungen. ❑ Die Finanzierung ist unklar oder das Budget unzureichend. ❑ Die Projektlaufzeit ist zu knapp, Meilensteine können kaum gehalten werden. ❑ Hohe Projektkritikalität ❑ … Abhängigkeiten ❑ Es gibt Abhängigkeiten von anderen Projekten (Projekt erwartet Lieferergebnis von einem anderem Projekt oder muss selbst eines liefern, damit ein anderes Projekt vorankommen kann). ❑ Es gibt Abhängigkeiten von internen oder externen Prozessen, Vorgaben, Managemententscheidungen. ❑ Es gibt Abhängigkeiten von externen Lieferanten. ❑ … Ressourcen ❑ Das Know-how ist unzureichend, auf wenigen Schultern verteilt oder bei externen Mitarbeitern angesiedelt. ❑ Es sind zu wenig Ressourcen vorhanden. ❑ Die Verantwortlichkeiten sind unklar. ❑ Es gibt eine Ressourcenlücke durch Ferien und sonstige, eventuell langfristige Abwesenheiten (z. B. Sabbatical). ❑ Die Mitarbeiter sind unmotiviert oder unzufrieden. ❑ … Projektaufstellung und -organisation ❑ Die Endkunden oder sonstigen Stakeholder werden nicht ausreichend in das Projekt einbezogen. ❑ Ein Projektsteuerungsgremium ist nicht vorhanden oder nicht handlungsfähig. ❑ Die Entscheidungswege sind ineffizient. ❑ Das Projekt oder Teile davon sind stark „politisch“, politischen Entscheidungen und Meinungsbildungen unterworfen. ❑ Das Projekt hat Einfluss auf bestehende Prozesse, ohne dass diese angepasst werden. ❑ Es gibt viele direkt oder indirekt durch das Projekt betroffene Personen. ❑ … Technik ❑ Es werden neue Technologien eingesetzt. ❑ Das technische Design ist neu, ungewöhnlich, kompliziert etc. ❑ Die Stabilität, Sicherheit oder Verfügbarkeit einer Maschine ist eingeschränkt. ❑ … … ❑ … Tabelle 1: Risikogruppen und Beispiele PM_3-09_1-64: Inhalt 28.04.2009 10: 47 Uhr Seite 24 Diese Vorteile werden erzielt, indem ❑ Risiken frühzeitig erkannt, priorisiert und proaktiv Maßnahmen definiert und durch Verantwortliche umgesetzt, ❑ aus jeder am Projekt beteiligten oder vom Projekt betroffenen Einheit Personen in den Risikomanagementprozess eingebunden, ❑ die Stakeholder transparent über die Risiken, potenzielle Folgen und Gegenmaßnahmen informiert und schließlich ❑ projektrisikobezogene Entscheide getroffen sowie ❑ der Status der Risiken und der Maßnahmenumsetzung durch einen Risikomanager, eventuell durch den Projektportfoliomanager, überwacht werden und damit der Dynamik von Projekten Folge geleistet wird. Was sind die Schritte zur Etablierung eines Risikomanagementsystems? Schritt 1: Konzeption des RM-Systems Das Risikomanagementsystem wird entworfen, bestehend aus Personen, Prozessen, Rahmenbedingungen und Lieferergebnissen. Zunächst sollte bestimmt werden, welche Projekte am Risikomanagementprozess zu Beginn teilnehmen. Kriterien können zum Beispiel die Projektkategorie (strategisch, nicht strategisch), die Projektgröße (große, mittlere, kleine Projekte) oder die Art der Aufgabenstellung (Organisations-, F&E-, IT-Projekte etc.) sein. Im weiteren Verlauf sollten dann pro Projekt in Zusammenarbeit mit dem Projektleiter die Personen festgelegt werden, die am Risikomanagement-Workshop teilnehmen sollen. Diese Teilnehmer erarbeiten im dreistündigen Risikomanagement-Workshop die Risiken, priorisieren sie und definieren Gegenmaßnahmen für die hoch priorisierten Risiken (siehe auch Schritt 5). Schritt 2: Managemententscheid Es gibt einen Managemententscheid, dass ein Risikomanagementsystem für die Projekte etabliert werden soll und die Rolle „Risikomanager“ sowie ein „Risk Board“ eingeführt werden. Der Managemententscheid ebnet den Weg, damit das Risikomanagementsystem eingerichtet werden kann und Bestand hat. Schritt 3: Informationsveranstaltungen Das Risikomanagementsystem wird den Projektbeteiligten, zumindest aber den Projektleitern sowie den Linienvorgesetzten, durch den Risikomanager vorgestellt. Damit wird der Informationsfluss gewährleistet, und die Beteiligten können sich ein Bild von dem neuen Prozess machen sowie offene Fragen klären. Schritt 4: Planung der RM-Workshops Der Risikomanager lädt die Projektbeteiligten zum Risikomanagement-Workshop ein. Mit der Einladung erhalten die Teilnehmer/ -innen Informationen zu Ablauf und Ziel des Workshops. Zusätzlich erhalten die Teilnehmer/ -innen zur Veranschaulichung und als Anregung eine Seite mit Beispielrisiken (Tabelle 1). projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2009 l 25 Anzeige PM_3-09_1-64: Inhalt 28.04.2009 10: 47 Uhr Seite 25 Workshop-Teilnehmer/ -innen sind: ❑ der Projektleiter (falls es eine Unterscheidung z. B. nach Business- und IT-Projektleiter gibt: beide Projektleiter/ -innen); ❑ die Mitarbeiter/ -innen des Kernprojekteams. Ist das Team zu groß, muss der Projektleiter entscheiden, wer teilnehmen sollte; ❑ Vertreter aus Unternehmenseinheiten, die am Projekt beteiligt sind oder von den Auswirkungen des Projektes betroffen sind; ❑ ein Moderator und ein Protokollführer (eventuell in Personalunion). Schritt 5: Durchführung der RM-Workshops Mit den Projekten, die für den Risikomanagementprozess ausgewählt wurden, werden Workshops durchgeführt. Zu Beginn eines Workshops werden noch einmal das Workshopziel und der Ablauf besprochen: Ziel: Ziel des Risikomanagement-Workshops ist es, die Risiken des Projektes herauszufinden, deren Folgen bei Risikoeintritt abzuschätzen und insbesondere die Maßnahmen festzulegen, um den Risikoeintritt zu verhindern. Ablauf: 1. Die Risiken werden im Rahmen eines Brainstormings auf Moderationskarten gesammelt und an Pinnwänden befestigt. Für die Sammlung der Risiken eignen sich zwei Vorgehensweisen: A. Die Teilnehmer nennen die Risiken, und der Protokollführer notiert sie auf Karten und heftet sie an die Pinnwand (Zeitaufwand: 1 h). Vorteil: Es wird Zeit gespart, da Risiken nicht mehrfach genannt werden. Nachteil: Es kommen eventuell nicht alle Teilnehmer gleichermaßen zu Wort. B. Die Teilnehmer erhalten Moderationskarten, notieren die Risiken und präsentieren sie nacheinander kurz (Zeitaufwand: bis zu 1,5 h). Vorteil: Es kommen alle Teilnehmer gleichermaßen zu Wort und können die Risiken, die sie sehen, einbringen. Nachteil: Es dauert länger, bis alle ihre Karten vorgestellt und angeheftet haben; Risiken werden mehrfach genannt. 2. Nachdem die Risiken gesammelt sind, werden sie gruppiert: Zusammenhängende Risiken bzw. Risiken, die zur selben Risikoart gehören, werden auf einer zweiten Pinnwand zu Gruppen zusammengefasst (Zeitaufwand: 10 Minuten). 3. Nach der Gruppierung erfolgt die Priorisierung der Risiken (Zeitaufwand: 10 Minuten). Hierzu erhalten die Teilnehmer/ -innen je drei Klebepunkte, um eine Priorisierung zu erzielen. Je nachdem, wie viele Risiken innerhalb des Brainstormings gesammelt wurden, bieten sich auch hier wiederum zwei Vorgehensweisen an: A. Die Risiken innerhalb der Gruppen werden einzeln bewertet. B. Die Risikogruppen werden bewertet (Priorisierung auf die gesamte Gruppe). Je nach Anzahl der Risiken eignet sich eher A (bei weniger Risiken) oder B (bei vielen Risiken). Die Anzahl der „Prio-Punkte“ sollte aber in beiden Fällen nicht mehr als drei sein, damit eine klare Priorisierung zustande kommt. Anschließend werden die Punkte zusammengezählt und zum Risiko bzw. zu der Risikogruppe notiert. Durch die Gruppenbildung und die Priorisierung ergibt sich ein klares Bild der Risiken (Abb. 1, die Risiken und Risikogruppen sind in der Abbildung schematisch mit Ziffern dargestellt. Im echten Workshop befinden sich ausformulierte Risikogruppen und Risiken auf den Karten). 4. Die hoch priorisierten Risiken werden im Workshop detailliert behandelt, und es werden insbesondere Maßnahmen festgelegt, um den Risikoeintritt zu verhindern (Zeitaufwand: mindestens 1,25 h). Was hoch priorisierte Risiken sind, entscheidet sich in jedem Workshop neu; „hoch“ definiert sich über die Verteilung der Prio-Punkte. So kann es zum Beispiel folgende Verteilung geben: ❑ Risikogruppe 1: mit 6 Punkten priorisiert ❑ Risikogruppe 2: mit einem Punkt priorisiert ❑ Risikogruppe 3: mit 4 Punkten priorisiert ❑ Risikogruppe 4: mit 7 Punkten priorisiert ❑ Risikogruppe 5: mit einem Punkt priorisiert ❑ Risikogruppe 6: mit 2 Punkten priorisiert In diesem Beispiel werden auf jeden Fall die Risikogruppen 1 und 4 im Workshop detailliert behandelt. Ob Risikogruppe 3 ebenfalls genauer angeschaut wird, sollten die Teilnehmer entscheiden. Die hoch priorisierten Risiken werden nacheinander bearbeitet. Dabei bringen alle Teilnehmer ihre Erfahrung und ihr Wissen ein, um die Konsequenzen der Risiken zu erfassen und um insbesondere Maßnahmen zu kreieren, die umsetzbar und wirksam sind. Pro Risiko werden folgende Punkte behandelt und dokumentiert (auf Pinnwänden oder digital, wobei dann ein Beamer benutzt werden sollte, damit die Teilnehmer die Resultate der Risikobearbeitung sehen und bei Bedarf direkt korrigieren können): ❑ Auswirkungen und Folgen, wenn das Risiko eintreten würde. Diese Beschreibung veranschaulicht das Risiko und macht es besser nachvollziehbar. Das ist nicht nur für die Workshop-Teilnehmer nützlich, sondern sichert auch das Verständnis zum Beispiel von Personen, die das Protokoll des Workshops erhalten, aber nicht selbst teilgenommen haben. ❑ Maßnahmen, um den Risikoeintritt zu verhindern. Die Maßnahmen werden jeweils mit dem Namen eines Verantwortlichen sowie einem Enddatum versehen. Die Maßnahmen sollten möglichst detailliert sein und die konkreten Schritte beschreiben, die eingeleitet wer- 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2009 26 WISSEN 1 6 4 Risiko 9 Risiko 1 Risiko 14 Risikogruppe 2 Risiko 3 Risiko 4 Risiko 12 Risiko 2 Risikogruppe 1 Risikogruppe 3 Abb. 1: Gruppierte Risiken und Priorisierung auf Gruppen (Punktezahlen 1, 6 und 4) PM_3-09_1-64: Inhalt 28.04.2009 10: 47 Uhr Seite 26 projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2009 l 27 den, damit das Risiko nicht eintritt. Wenn die Maßnahmen vage bleiben und wenig konkret sind, dann verringert sich die Chance, dass sie auch umgesetzt werden und „greifen“. Beispiel für eine zu wenig konkrete Maßnahme: „Es werden dem Projekt mehr Ressourcen zugeordnet.“ ❑ Eintrittswahrscheinlichkeit (EWa) des Risikos (groß, mittel, klein) sowie Auswirkungen (AWi) des Risikoeintritts (groß, mittel, klein). Ist die Priorisierung für Risikogruppen und nicht für Einzelrisiken erfolgt, dann kann sich hierbei herausstellen, dass zum Beispiel zwei von drei Risiken einer Gruppe eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit haben und die Auswirkungen groß sind, während beim dritten Risiko die Auswirkungen mittel sind und die Eintrittswahrscheinlichkeit niedrig ist. In diesem Fall kann das betroffene Risiko übersprungen werden und es werden entsprechend keine Maßnahmen dafür festgelegt. In Tabelle 2 ist der Auszug aus einer Risikoliste enthalten. Ergänzend können die Risiken außerdem in einer Grafik visualisiert werden. Es kommt vor, dass sich bei der Risikopriorisierung eine große Anzahl hoch priorisierter Risiken ergibt, die nicht alle im Workshop behandelt werden können. In diesem Falle sollte ein zweibis dreistündiger Nachfolge- Workshop geplant werden, bei dem die Besprechung der hoch priorisierten Risiken abgeschlossen werden kann. Schritt 6: RM-Dokumentation Die Ergebnisse des Risikomanagement-Workshops werden in einem Protokoll dokumentiert, das an alle Teilnehmer/ -innen versendet wird. Zusätzlich werden die Risiken in die Gesamtrisikoliste übertragen, in der alle Projekte, zu denen Risikomanagement-Workshops stattgefunden haben, enthalten sind. Diese Risikoliste gibt einen vollständigen Überblick zu den Risiken der Projekte des Portfolios. Schritt 7: RM-Status Um eine laufende Aktualisierung der Risiken zu erreichen, plant der Risikomanager mit jedem Projektleiter eine zweiwöchige Sitzungsreihe. Bei Bedarf werden in der Sitzung neue Maßnahmen festgelegt oder neue Risiken in die Liste aufgenommen oder entfernt (Zeitaufwand: 0,5 h pro Sitzung). Die Sitzungsergebnisse werden jeweils in der Risikoliste nachgeführt. Schritt 8: RM-Überwachung Es werden zweiwöchige Risk Board-Sitzungen durchgeführt, die der Risikomanager leitet (Zeitaufwand: 1 h). Teilnehmer am Risk Board sind der Projektportfoliomanager sowie weitere Manager (z. B. Linienvorgesetzte). In der Sitzung werden insgesamt die Veränderungen der Risiken bei den Projekten besprochen, ausgewählte Risiken werden diskutiert sowie kon- Anzeige 1. Konzeption des RM-Systems 2. Managemententscheid 3. Informationsveranstaltungen 4. Planung der RM-Workshops 5. Durchführung der Workshops 6. RM- Dokumentation 7. RM-Status 8. RM-Überwachung Abb. 2: Das Risikomanagementsystem als fortlaufender Prozess PM_3-09_1-64: Inhalt 28.04.2009 10: 47 Uhr Seite 27 krete, zusätzliche Schritte eingeleitet (beispielsweise eine Managementeskalation). Ein etabliertes Risikomanagementsystem endet nicht, wenn mit allen Projekten ein Workshop durchgeführt wurde. Der Prozess des Risikomanagements ist fortlaufend. Kommen neue Projekte während eines Jahres hinzu, werden sie in den Prozess integriert, das heißt, es werden die entsprechenden Workshops durchgeführt, und die Projekte werden in die Risikoliste aufgenommen (Abb. 2). Wann ist der beste Zeitpunkt für die Durchführung eines Risikomanagement-Workshops? Der Risikomanagement-Workshop sollte, bezogen auf die Projektlaufzeit, im ersten Drittel des Projektes stattfinden. Das Projekt sollte konzeptionell schon so weit fortgeschritten sein, dass neben den Projektzielen auch die Aufgaben und die Lieferergebnisse bekannt sind. Wird ein Risikomanagement-Workshop zu einem sehr frühen Zeitpunkt durchgeführt, dann ist es möglich, dass die Aussagen aufgrund der Unschärfe im Projekt ebenfalls unscharf bleiben. In der Folge wird „im Trüben gefischt“, und es muss sehr stark mit Annahmen gearbeitet werden. Ist das Projekt in der Durchführung schon weit fortgeschritten, dann sind manche Risiken schon eingetreten, also zu Problemen geworden, auf die man reagieren muss, anstatt proaktiv dagegen gewappnet zu sein. Nichtsdestotrotz hilft es einem Projekt, wenn ein Workshop zu einem späten Zeitpunkt durchgeführt wird, um die restlichen Risiken zu identifizieren und Lösungen zu finden. Ein Risikomanagement-Workshop kann selbstverständlich auch durchgeführt werden, ohne dass es einen voll etablierten Risikomanagementprozess mit Risk Board etc. gibt. Dieser Workshop kann theoretisch auch vom Projektleiter selbst geleitet und moderiert werden. Empfehlenswert ist allerdings der Einsatz eines Moderators, da der Projektleiter in seiner Rolle als Moderator nicht zusätzlich Risiken einbringen und bewerten sollte. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2009 28 WISSEN Risiko Auswirkungen/ Folgen Maßnahmen Wer/ Wann EWa/ AWi Das Projekt ist zurzeit fast eine „One-Man- Show“ (==> D. Mustermann verantwortet das Projekt und muss teilweise bei der konkreten Umsetzung mitarbeiten). Der 2. Mitarbeiter ist krank und fällt längere Zeit aus. Bei D. S. Musterfrau als weiterer wichtigen Know-how-Trägerin besteht das Risiko, dass ihr Visumsantrag abgelehnt wird. ❑ Ressourcenengpass und große personelle Abhängigkeiten im Projekt ❑ Bei Ablehnung des Visumsantrags droht ein größerer Knowhow-Verlust im Projekt. Um die krankheitsbedingte Ausfallzeit zu überbrücken, wird zusammen mit dem Personalwesen eine Lösung gesucht: Einsatz eines ehemaligen Projektmitarbeiters in den kommenden Semesterferien. D. Mustermann; 31.1.2008 G/ G D. S. Musterfrau stellt schnellstmöglich einen neuen Visumsantrag, um im Projekt arbeiten zu können. D. S. Musterfrau; 31.1.2008 Seit den letzten reorganisatorischen Maßnahmen ist der Requirements Engineering-Prozess unklar (Wer kann/ darf/ soll auf Auftraggeberseite welche Anforderungen weiterreichen? ). ❑ Die Releaseplanung und damit eingeschlossen die Terminplanung sind unsicher. ❑ Es besteht Unklarheit über die Wege, Prozesse, Kompetenzen beim Requirements Engineering, was zu Zeit- und Effizienzverlusten im Projekt führt. H. Mustermann definiert den Requirements Engineering-Prozess neu. H. Mustermann; 31.1.2008 G/ G Die Kommunikation und insbesondere die Implementierung des neuen Prozesses müssen sichergestellt werden. H. Mustermann; 15.2.2008 Die Projektabstimmung zwischen dem Auftraggeber und Projektleiter wird aktiv vom PL angegangen (gesucht). D. Mustermann; 15.2.2008 Es wird geprüft, ob das Nachfolgeprojekt, das in der zweiten Jahreshälfte durchgeführt werden soll, auf Halt gesetzt wird, sollte sich die Abstimmung nicht verbessern. D. Mustermann; 29.2.2008 Tabelle 2: Auszug aus einer Risikoliste PM_3-09_1-64: Inhalt 28.04.2009 10: 47 Uhr Seite 28 In der Rolle als „normaler“ Teilnehmer kann ein Projektleiter wie alle anderen seine Sicht der Dinge einbringen, anstatt in der Rolle des Moderators „neutral“ bleiben zu müssen. Er kann aktiv am Prozess teilnehmen, ohne ihn selbst auch noch führen zu müssen. Fazit Beim systemisch-lösungsorientierten Risikomanagement werden grundsätzlich alle bekannten Risiken eines Projektes identifiziert. Da zunächst keine Einschränkung auf eine bestimmte Risikoart oder -gruppe erfolgt, kann ein Projekt in allen Dimensionen erfasst und verbessert werden. So kann zum Beispiel das Erkennen von Planungsrisiken und das nachfolgende Einleiten von Maßnahmen unmittelbar die Projektplanung verbessern und dazu führen, dass das Projekt pünktlich abgeschlossen wird. Das Realisieren von Risiken, die beispielsweise in der Projektorganisation liegen, kann adressiert und eine verbesserte Form des Projektaufbaus und der Zusammenarbeit gefunden werden. Ein lösungsorientiertes Risikomanagement kann deshalb aktiv dazu beitragen, dass der Projekterfolg gesichert wird. Wird ein ganzes Projekt-Risikomanagementsystem in einem Unternehmen etabliert, kann das Projektportfolio nachhaltig geschützt werden, indem die Risiken bei allen relevanten Projekten frühzeitig erkannt und mit Maßnahmen belegt werden, transparent sind und fortlaufend gemanagt werden. ■ Literatur [1] Bamberger, G. G.: Lösungsorientierte Beratung. Praxishandbuch. 3. Aufl., Weinheim/ Basel 2005 [2] Schmidt, G.: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. 2. Aufl., Heidelberg 2007 Schlagwörter Risikoliste, Risikomanagement, Risikomanagementprozess, Risikomanagementsystem, Risikomanagement-Workshop, systemisch-lösungsorientiert Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.4 Risiken und Chancen, 4.1.2 Interessierte Parteien Autorin Verena Korn, Informationswissenschaftlerin M. A., ist seit über zehn Jahren im Bereich Projekt-, Risiko- und Qualitätsmanagement tätig und hat umfangreiche Erfahrungen durch das Leiten eigener Projekte wie auch durch das Begleiten von Projekten und Coaching von Projektleitern und -teams gesammelt. Sie hat eine große Zahl von Projekten in der Finanzdienstleistungsbranche und im IT-Bereich geleitet und arbeitet als Projektportfoliomanagerin und Projektcoach. Anschrift Ottikerstrasse 30 CH-8006 Zürich E-Mail: verena.korn@bluewin.ch projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2009 l 29 Executive Education Programs in Project & Process Management These part-time executive education programs guarantee a profound international education in project and process management (PPM) enabling you to master challenging projects successfully. Duration: · 8 months: International Program in PPM · 18 months: Professional MBA in PPM · Part-time Start: · October 2009: Professional MBA in PPM · September 2010: International Program in PPM Language: English Contact: andrea.cerny@wu-wien.ac.at +43 1 313 36 5139 www.executiveacademy.at / ip_ppm www.executiveacademy.at / pmba_ppm Next Start: October 2009 Master your projects. And leverage them. Anzeige PM_3-09_1-64: Inhalt 28.04.2009 10: 47 Uhr Seite 29