PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Im Nachbarland das Projekt ohne „Fauxpas“ meistern
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Oliver Steeger
Von Hamburg, Frankfurt oder München ist es ein Katzensprung nach Paris. Einen Einsatz im
Nachbarland Frankreich halten viele deutsche Projektmanager für ein Kinderspiel. Doch Dr. Danielle Dahan-Feucht, gebürtige Französin und heute in Stuttgart lebende Beraterin, warnt: Die Mentalitäten und Arbeitskulturen in Deutschland und Frankreich unterscheiden sich erheblich. Immer wieder kommt es – Nachbarschaft hin, Nachbarschaft her – zu interkulturellen Schwierigkeiten; manche in Deutschland akzeptierte Verhaltensweise wird in Frankreich als „Fauxpas“ verstanden. Seit zwanzig Jahren in der deutsch-französischen Zusammenarbeit tätig, empfiehlt die promovierte Romanistin Projektmanagern mit Einsatzziel Frankreich die sorgfältige Vorbereitung und sehr gute Sprachkenntnisse – damit aus dem gemeinsamen Projekt kein „Malheur“ wird.
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2009 12 REPORT Frau Dr. Dahan-Feucht, können Franzosen keine Kritik vertragen? Dr. Danielle Dahan-Feucht: Wie kommen Sie darauf? Unlängst berichtete mir der Manager eines deutschfranzösischen Projekts, er habe seinen französischen Teilprojektmanager deutlich auf dessen Versäumnisse hingewiesen; er hatte Fertigstellungstermine überzogen. Die Kritik - sehr sachlich formuliert - hatte zu ernsten Verstimmungen geführt. Der deutsche Projektmanager hat möglicherweise meinen Landsmann gekränkt. Der Manager hat die Sache gemeint - und dabei unwissend die Person getroffen. Ein Fauxpas? Zumindest ein ernst zu nehmender Fehler im Umgang mit französischen Mitarbeitern! Kritik wird in Frankreich indirekt übermittelt und höflich - so, wie es in Frankreich als höflich wahrgenommen wird - geäußert. Man vermeidet es, dass der Partner oder Mitarbeiter die Kritik als Kritik an seiner Person begreift. Zu diesem Missverständnis kann es schnell kommen. Augenblick! Man muss doch im Arbeitsleben zwischen der Sache und der Person unterscheiden können. Wer einen Mitarbeiter auf dessen Terminprobleme hinweist, zieht doch damit nicht seine Kompetenz in Zweifel oder bezichtigt ihn sogar, ein fauler Mensch zu sein. Dies mag in Deutschland so sein, die Kritik mag hier so verstanden werden. In der deutschen Arbeitskultur unterscheidet man stark zwischen der Sache, etwa einer Aufgabe, und der Person. Diese Trennung ist vielleicht einmalig in der Welt, sie ist zumindest sehr selten. In französischen Unternehmen kennt man kaum diese starke Trennung zwischen Person und Sache. Kennt man kaum - inwiefern? Person und Aufgabe sind in Frankreich deutlich enger miteinander verbunden. Die Franzosen wundern sich immer wieder darüber, wie ihre deutschen Kollegen beispielsweise Arbeitsergebnisse vor einer Gruppe präsentieren - nämlich so, als hätten sie persönlich gar nichts mit der Aufgabe zu tun. Es wird nüchtern, fast kalt geredet. Eine solche Sachlichkeit wird in Frankreich als Nachbarländer - und doch verschieden Oliver Steeger Im Nachbarland das Projekt ohne „Fauxpas“ meistern Dr. Danielle Dahan-Feucht über Zusammenarbeit in deutsch-französischen Projektteams Von Hamburg, Frankfurt oder München ist es ein Katzensprung nach Paris. Einen Einsatz im Nachbarland Frankreich halten viele deutsche Projektmanager für ein Kinderspiel. Doch Dr. Danielle Dahan-Feucht, gebürtige Französin und heute in Stuttgart lebende Beraterin, warnt: Die Mentalitäten und Arbeitskulturen in Deutschland und Frankreich unterscheiden sich erheblich. Immer wieder kommt es - Nachbarschaft hin, Nachbarschaft her - zu interkulturellen Schwierigkeiten; manche in Deutschland akzeptierte Verhaltensweise wird in Frankreich als „Fauxpas“ verstanden. Seit zwanzig Jahren in der deutsch-französischen Zusammenarbeit tätig, empfiehlt die promovierte Romanistin Projektmanagern mit Einsatzziel Frankreich die sorgfältige Vorbereitung und sehr gute Sprachkenntnisse - damit aus dem gemeinsamen Projekt kein „Malheur“ wird. Foto: privat PM_4-09_1-60: Inhalt 30.06.2009 9: 51 Uhr Seite 12 befremdend, in bestimmten Situationen sogar als unhöflich, direkt und grob empfunden. Deutschland und Frankreich sind Nachbarländer … … und trotzdem gibt es zwischen den Arbeits- und Alltagskulturen einige deutliche Differenzen, wenn Sie darauf hinauswollen. An diesen Differenzen können sich Konflikte entzünden, wie der Projektmanager feststellen musste, von dem Sie berichtet haben. Kein Einzelfall. Laufen deutsche Projektmanager mit ihrer Arbeitsweise in Frankreich gewissermaßen ins offene Messer? Manager lassen sich zu der Annahme verführen, die räumliche Nähe der Länder führe zwangsläufig auch zur Nähe der Arbeitskulturen und Mentalitäten. Diese Annahme ist leider nicht richtig, sie führt in die Irre. Interkulturelle Schwierigkeiten werden häufig mit fernen Ländern assoziiert, mit China, Indien, Japan oder manchmal auch mit den USA. Je weiter die Länder entfernt sind, desto sorgfältiger müssen sich Manager auf ihren Einsatz dort vorbereiten. Eben! So scheint der Einsatz in Frankreich nicht vorbereitet werden zu müssen. Das halte ich für einen Fehler. Kritik wird in Frankreich und Deutschland also deutlich anders geäußert. Gibt es weitere Beispiele für Unterschiede zwischen den Arbeitskulturen? Eine ganze Menge! In Deutschland kommt man bei geschäftlichen Gesprächen zumeist schnell zur Sache. Die offenen Fragen werden diskutiert, vielleicht bleibt danach noch Zeit für ein wenig Small Talk. In Frankreich ist diese Reihenfolge exakt umgekehrt. Am Anfang steht Small Talk, die freundliche Plauderei etwa über die Anreise, das Wetter oder den Flughafen. Und erst danach - zum Ende hin - wird man über geschäftliche Dinge sprechen. Ähnliches gilt auch für das Meeting in Deutschland. In seiner Ausbildung lernt der deutsche Projektmanager, dass man für Besprechungen eine feste Tagesordnung braucht, die vorher jedem Besprechungsteilnehmer zugeht und dann im Meeting abgearbeitet wird. Entscheidungen sind möglichst sofort zu treffen, Ergebnisse werden protokolliert. Als ich erstmals in deutschen Unternehmen gearbeitet habe, musste ich mich zunächst an den deutschen Stil der Besprechung - ihre Sachlichkeit, Zielorientierung, Stringenz - gewöhnen. In Frankreich gibt es freilich auch Meetings, dort werden sie „Réunion“ genannt, wörtlich etwa als „Versammlung“ zu übersetzen. Es handelt sich bei einer Réunion eher um ein loses Treffen. Die Einladung an die Teilnehmer ist weniger verbindlich als hier, die Mitarbeiter kommen selten pünktlich. Nicht immer gibt es auch eine Tagesordnung; gibt es eine, so werden häufig nur wenige Punkte auch besprochen. Auf einer Réunion äußert jeder seine Meinung. Die einzelnen Punkte werden betrachtet - Entscheidungen aber selten getroffen. Es ist auch nicht üblich, ein Protokoll zu schreiben. Kurz: Dem Entscheider geht es darum, die Stimmung unter den Mitarbeitern zu testen; die Mitarbeiter bringen ihre Ideen zur Sprache und tauschen sich mit den anderen aus. Viel geredet, wenig gesagt und kaum Ergebnisse - dies könnte manche deutschen Projektmanager zur Verzweiflung bringen … Betrachten Sie es aus der Perspektive der Franzosen: In Projekten mit einem engen Terminkorsett wird man die deutsche Stringenz notgedrungen akzeptieren. Doch auf einen Franzosen wirkt die deutsche Besprechungskultur unflexibel, manchmal sogar borniert. Und wichtige Projektentscheidungen werden ohnehin nicht gemeinsam mit den Mitarbeitern in Réunions getroffen - sondern meistens davor oder anschließend zwischen dem Entscheider und dem betroffenen Mitarbeiter. Augenblick! Keine gemeinsamen Entscheidungen auf Teammeetings? Nein. Es ist in Frankreich nicht üblich, untergebene Mitarbeiter an Entscheidungen zu beteiligen. Der Chef entscheidet. Die Mitarbeiter setzen um. Damit sind wir bei einem weiteren Unterschied zwischen der deutschen und französischen Arbeitskultur. In Deutschland werden Entscheidungen eher mit den Mitarbeitern getroffen, man entscheidet eher kooperativ und tendenziell am Konsens orientiert. Dieser Führungsstil ist in Frankreich weitgehend unbekannt, sogar ein Stück weit verpönt. Wie kommt’s? Es wird in französischen Unternehmen sehr autoritär geführt. Das Hierarchiedenken ist deutlich ausgeprägt. Jede Hierarchiestufe hat die ihr zukommende Entscheidungsmacht, die sie sich nicht nehmen lässt. Der Chef ist Chef - und in dieser Rolle anerkannt. Entscheidungen werden also „oben“ getroffen; die Mitarbeiter werden vielleicht noch diskutieren, wie die Entscheidungen umzusetzen sind. Dies erklärt übrigens auch, weshalb französische Gesprächspartner bei Verhandlungen immer wieder bei ihren Vorgesetzten Entscheidungen einholen oder sich rückversichern müssen. Davon wissen viele deutsche Geschäftspartner ein Lied zu singen. Sie fühlen sich genervt davon, wie häufig Verhandlungen ergebnislos unterbrochen oder vertagt werden, weil die französischen Partner rückfragen müssen. Oder bei Verhandlungen getroffene Vereinbarungen werden nach Rücksprache wieder gekippt. Auch mög- Deutsche Besprechungskultur „unflexibel“ projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2009 l 13 Dr. Danielle Dahan-Feucht, promovierte Romanistin und zertifizierte interkulturelle Trainerin, hat an der Sorbonne (Paris) und an der Universität Tübingen studiert. Die Inhaberin des Beratungsunternehmens SuccèsKom (Ostfildern bei Stuttgart) betreut Unternehmen und Projekte bei Fragen der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Zudem lehrt Dr. Danielle Dahan-Feucht am Zentrum für Schlüsselqualifikationen in Freiburg unter dem Titel „Deutsch-französische Kommunikation“. Ein Buch zum Thema deutsch-französische Missverständnisse bereitet die Expertin derzeit vor. Weitere Informationen: www.succeskom.com Zur Person PM_4-09_1-60: Inhalt 30.06.2009 9: 51 Uhr Seite 13 lich. Dafür gibt es eine Erklärung. Man ist in Frankreich offen für Unvorhergesehenes; man ist bereit, sich neuen Gegebenheiten und „Sachständen“ immer wieder anzupassen. Heute mag eine Entscheidung richtig sein, doch morgen kann sie bereits … … Schnee von gestern sein? Wenn etwas Unvorhergesehenes dazugekommen ist - ja! Wer in Frankreich verhandelt, muss dem Hierarchiedenken Rechnung tragen. Die kooperative Führung in Deutschland, die Übertragung von vielen Befugnissen auf die Mitarbeiter, wird in Frankreich für zu lax, zu lässig gehalten. Merkwürdig, die Franzosen gelten als leger, als Menschen mit Lebensart. Die autoritäre Führung und das strenge Hierarchiedenken scheinen in dieses Bild nicht zu passen. Mit dieser Meinung sind Sie einem typischen Stereotyp aufgesessen. Ob Deutscher oder Franzose - jeder pflegt über den anderen gewisse Vorurteile. Der Franzose, so sagt man hier, ist leger, er pflegt das „Savoir-vivre“. Er redet viel bis hin zur Geschwätzigkeit. Bei allem Charme und Charisma fehlt ihm letztlich die Seriosität; man darf, so sagt man, nicht zu viel von ihm erwarten. Und die Stereotypen in Frankreich über Deutsche? Die deutsche Selbstdisziplin bis zur Selbstverleugnung. Deutsche werden als kalt und arrogant gesehen, ihr Umgangston als viel zu direkt empfunden. Aber Deutsche gelten auch als zielstrebig und gut organisiert, was man an ihnen eigentlich schätzt. Das Problem an diesen Stereotypen besteht darin … Ausgeprägtes Hierarchiedenken … dass sie nicht zutreffen oder nur sehr bedingt zutreffen? Sie treffen vielfach nicht zu. Dies wird jeder, der in dem jeweils anderen Land länger gelebt hat, bestätigen. Dass die Deutschen nicht alle kalt und bis in die Haarspitzen diszipliniert sind, brauche ich nicht darzulegen. Und der autoritäre Führungsstil in Frankreich zeigt, dass es auch mit der vermeintlich legeren Lebensart nicht immer weit her ist. Solche Stereotypen verkomplizieren die ohnehin nicht einfache Zusammenarbeit noch weiter. Wir haben - ob Deutsche oder Franzosen - eine gefärbte Brille auf der Nase, durch die wir uns gegenseitig betrachten. Kommen wir doch bitte noch einmal auf das eingangs erwähnte Beispiel zurück. Wie äußert man in Frankreich Kritik? Indirekt und behutsam, wie vorhin gesagt. Konkret? Man formuliert sie konditional, etwa „könnten Sie“. Man spricht viel von „vielleicht“ und „möglicherweise“; die französische Sprache hat dafür das Wort „peut-être“. Ich sage nicht, dass mein Gegenüber etwas falsch gemacht hat; ich gebe ihm zu verstehen, dass die Gegebenheiten vielleicht nicht so waren, dass er die Aufgabe korrekt ausführen konnte. Die Franzosen sind in dieser Beziehung Sprachspieler, die viel zwischen den Zeilen sagen und lesen. Auf solche Feinheiten sind viele zielorientiert denkende und nüchtern sprechende deutsche Projektmanager nicht vorbereitet. Wie erklärt sich die Lust vieler Franzosen an Sprachspielen und am Zwischenmenschlichen? Man muss, um dies zu begreifen, eine französische Eigenheit verstanden haben. In Frankreich liegen, wie schon erwähnt, „Arbeitswelt“ und „Persönliches“ deutlich näher beieinander. Franzosen wollen Freude und persönliche Zufriedenheit aus der Arbeit ziehen. Man sucht quasi einen „intellektuellen Spaßfaktor“. Eine Art Befriedigung jenseits der Zielerreichung. Ja. Die an Deutschen heimlich bewunderte Zielstrebigkeit und Gradlinigkeit bei der Arbeit möchte sich kaum ein Franzose zueigen machen. Franzosen suchen nach einer angenehmen Arbeitsatmosphäre, in der sie ihre persönlichen Talente und Kompetenzen entfalten können. Sie kommen nicht nur als Arbeitskraft oder Fachspezialist an den Arbeitsplatz, sondern wollen sich auch menschlich entfalten können. Es wird viel gescherzt, man lernt sich auch persönlich kennen. So lange, bis der autoritäre Chef kommt? Der Chef hat - bei aller Autorität - durchaus die Aufgabe, patriarchalisch zu wirken und Anteil am persönlichen Wohlergehen seiner Mitarbeiter zu nehmen. Der Chef in Frankreich wird übrigens noch „Patron“ genannt … Wortwitz und Zwischenmenschliches 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2009 14 REPORT Reiseziel Nummer eins für in Frankreich tätige Projektmanager: die Wirtschaftsmetropole Paris Foto: © MDLF/ Hervé Le Gac PM_4-09_1-60: Inhalt 30.06.2009 9: 51 Uhr Seite 14 Ein Begriff, der aus dem Religiösen kommt und so viel wie „Schutzpatron“ bedeutet. Richtig. Und die Arbeitnehmer erwarten auch, dass er diese Funktion des Schutzpatrons erfüllt. In diesem Arbeitsklima kann dann eben auch zu direkt geäußerte Kritik als persönlich verletzend empfunden werden. Damit wäre auch das in Frankreich vorherrschende Bedürfnis nach Small Talk ein wenig erklärt. Ja. Bevor man in Frankreich Geschäfte macht, muss die persönliche Basis hergestellt werden. Wenn man sich kennenlernt, „beschnuppert“ man sich und prüft, ob man dem Anderen vertrauen kann, ob die Chemie stimmt. Man tastet sich aneinander heran. Der Small Talk in Deutschland … … wird eher als „Hintergrundmusik“ der Geschäftsverhandlung betrachtet, quasi um sich warmzureden. Man versucht dann so schnell wie möglich zur Sache zu kommen. In Frankreich hat der Small Talk eine deutlich wichtigere soziale Funktion als nur sich warmzureden. Als deutscher Projektmanager würde ich mich hüten, ihn als belanglose Hintergrundmusik abzutun, also belanglos daherzureden, derweil man mit den Gedanken schon beim Geschäft ist. Nehmen Sie den Small Talk in Frankreich ernst! Auch die Bedeutung informeller Kommunikation ist in Frankreich deutlich größer als in Deutschland. In den Mittagspausen essen viele Mitarbeiter gemeinsam auswärts. Die Straßen sind zur Mittagszeit belebt, die Cafés, Bistros und Restaurants voll. In diesen zwanglosen Runden wird auch - nicht immer - Geschäftliches besprochen. Wer von der Kommunikation nicht abgeschnitten sein will, sollte sich den Gruppen zum Lunch - oder „Déjeuner“, wie es in Frankreich heißt - anschließen. Man kann beim Déjeuner häufig Informationen bekommen, die auf Besprechungen nicht zu erhalten sind. Aber es wird auch viel über Persönliches gesprochen. Daran kann man erkennen, wie stark Persönliches und zur Arbeit Gehörendes vermischt wird. Deutsche Manager betrachten die Teilnahme an Mittagessen und anderen eher privat wirkenden Treffen als Zeitverschwendung. Sie vergessen dabei aber, dass dies Teil der französischen Arbeitskultur ist. Manche Projektmanager beklagen, dass Franzosen ein anderes Verständnis von Terminen und Pünktlichkeit haben. Das stimmt! Verspätungen sind in Frankreich üblich. Termine haben nicht die in Deutschland übliche Priorität. Projektaufgaben müssen pünktlich erledigt werden, wenn das Vorhaben termingerecht fertiggestellt werden soll. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Gemeinsames Mittagessen als „Info-Börse“ In Frankreich ist unbestritten, dass Projekte pünktlich sein müssen. Wer in Frankreich Pünktlichkeit einfordern will, muss einen kleinen Umweg nehmen: Er spricht seine Mitarbeiter auf ihre für das Projekt wichtigen Kompetenzen an. Er macht ihnen klar, wie sie dank ihrer Fähigkeiten zum Projekterfolg - und damit auch zur Pünktlichkeit - beitragen können. Allein der Hinweis auf die Pflicht zur Pünktlichkeit reicht also nicht? Nein. Dies würde in Deutschland ohne Weiteres akzeptiert. Ich empfehle deutschen Managern, die Persönlichkeit des Mitarbeiters in den Vordergrund zu stellen. Der deutsche Manager sollte von der Kompetenz des Mitarbeiters sprechen und ihn bitten, seine Kompetenz für die rechtzeitige Fertigstellung des Projekts einzubringen. projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2009 l 15 Meisterstück der Ingenieurskunst (und des Projektmanagements) - der Eiffelturm. Jährlich zieht er sechs Millionen Touristen an. Foto: © MDLF/ Hervé Le Gac PM_4-09_1-60: Inhalt 30.06.2009 9: 51 Uhr Seite 15 Vorhin haben Sie von dem in Frankreich üblichen autoritären Führungsstil gesprochen. Wer in Frankreich Projekte leitet oder in Deutschland Franzosen im Team hat, kommt automatisch in die Führungsrolle. Was erwarten die Mitarbeiter von einer Führungskraft? Franzosen haben ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten. Zum einen muss er die Rolle ausfüllen, er muss Entscheidungsstärke beweisen, er darf nicht lax sein. Er muss zeigen, wo es langgeht. Er gibt Anweisungen, er diskutiert nicht; er ist im klassischen Sinne eine Respektsperson. Wenn er seine Fähigkeiten als Vorgesetzter beweist, wenn er zudem noch - wie in Frankreich üblich - von einer Eliteschule kommt, wenn er Charisma hat und auch eine patriarchalische Beziehung zu seinen Mitarbeitern aufbaut - dann wird er akzeptiert. Doch diese Eignung wird ausgetestet. Füllt der Manager seine Rolle nicht aus, muss er mit Widerstand rechnen. Nahezu das Gegenteil von dem, was Projektmanager in Deutschland zum Thema „Führung“ lernen … Deshalb ist es doch so wichtig, dass deutsche Projektmanager auf einen Einsatz in Frankreich vorbereitet werden. Man sagt, dass Projekte vor allem durch „weiche Erfolgsfaktoren“ wie Kommunikation, „politisches“ Agieren des Projektmanagers in der Organisation und im Führungsverhalten gelingen. Eben in diesen Punkten … … ticken Deutsche und Franzosen anders? Ja, mitunter diametral entgegengesetzt. Verhaltensweisen, die in Deutschland zum Erfolg führen, bringen Manager in Frankreich geradewegs in Schwierigkeiten. Problematisch ist: Ob deutscher oder französischer Manager - beide folgen unbewusst ihren kulturellen Mustern. Sie müssen sich also sowohl ihrer eigenen Kultur als auch der des Gastlands bewusst werden. Sie betonen, dass man in Frankreich einerseits als Vorgesetzter eher autoritär führen muss. Andererseits muss man sich bei den eigenen Vorgesetzten rückversichern, um wiederum deren Kompetenz nicht zu beschneiden. Man muss sich vergewissern, was man darf. Nicht nur im Allgemeinen, sondern auch bei Einzelfragen. Bin ich befugt, diese oder jene Entscheidung zu fällen? Habe ich mich bei dem richtigen Ansprechpartner vergewissert? Dieses Verfahren irritiert Deutsche. Ein recht umständlicher Eiertanz. Mag sein! Doch Deutsche sollten verstehen, weshalb dies so ist. Die französische Arbeitskultur wurzelt tief auch in der Geschichte. Frankreich wird seit mehreren Hundert Jahren zentralistisch, von Paris aus, geführt - übrigens nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Entscheidungen im fernen Paris berühren Projektmanager muss „führen“ können Arbeitskultur wurzelt in Geschichte das Alltagsleben beispielsweise auch an der Mittelmeerküste. Um sich von Paris aus durchzusetzen, musste man, wie es neudeutsch heißt, „durchregieren“. Was die französischen Könige zur Genüge getan haben. Der Zentralismus musste straff organisiert und entschieden durchgesetzt werden. Auch hatten die Entscheider in Paris oder Versailles immer mit Widerstand zu kämpfen, denn der Zentralismus war nicht überall beliebt. Man musste sich als Führungskraft beweisen. Die Spuren der Geschichte finden sich bis heute in der Führungskultur. Hängt damit auch die für Frankreich charakteristische Ausbildung von Führungskräften zusammen? Die Führungskräfte kommen in Frankreich von Eliteschulen, an denen die Bewerber zunächst streng ausgewählt und danach sehr gut ausgebildet werden. Führungskräfte steigen nicht im Unternehmen auf, in dem sie gerade arbeiten. Sie müssen sich beweisen, indem sie häufig den Arbeitgeber wechseln und dabei aufsteigen. So erklärt sich die hohe Fluktuation im Management … … über die die Deutschen häufig klagen. In den höheren Ebenen des Managements wechseln Ansprechpartner schnell. Richtig, Deutsche vermissen hier die Kontinuität. Da wir von Ausbildung reden: Auf Englischkenntnisse der Franzosen hoffen Projektmanager in internationalen Teams häufig vergebens. Wer in Frankreich länger arbeitet, sollte Französisch lernen. Augenblick! Es heißt, dass man nur mit perfekten Französischkenntnissen in Frankreich weiterkommt. Wer die Sprache nicht souverän beherrscht, sollte es besser nicht versuchen. Richtig ist, dass man in Frankreich einen sehr hohen Wert auf Sprachkultur legt. An die zweitausend Institute und Organisationen pflegen die französische Sprache. Richtig ist, dass man in Frankreich sehr offen Fehler verbessert; dies kann mitunter irritieren. Und richtig ist auch, dass man bei Gesprächen wenig Rücksicht darauf nimmt, wie gut oder schlecht jemand am Tisch die Sprache beherrscht. Man passt sich den Sprachkenntnissen der Gäste aus dem Ausland nicht an. Aber …? In der hohen Sprachkultur liegt auch der Schlüssel, weshalb viele Franzosen kein Englisch sprechen wollen. Sie scheuen sich, eine Fremdsprache zu sprechen, wenn sie sie nicht perfekt beherrschen. In Fremdsprachen können sie sich nicht wie gewohnt zwischen den Zeilen ausdrücken oder mit Sprachspielen glänzen. Diese Scheu wird häufig als Arroganz gewertet. Bemühen sich indes andere, Französisch zu sprechen - so wird dies heimlich honoriert. Aber eben nur im Verborgenen. „English spoken? “ 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2009 16 REPORT PM_4-09_1-60: Inhalt 30.06.2009 9: 51 Uhr Seite 16 Mag ja sein! Ein Projektmanager kann aber nicht ein komplettes Team zum Französischkurs schicken - allein, weil ein Franzose mitarbeitet. Englisch ist die weltweit akzeptierte Projektsprache, die „Lingua Franca“, wie man sagt. Man wird sich arrangieren und Kompromisse in solch einem Team finden müssen. Und Franzosen mit Englischkenntnissen gibt es auch in solchen Teams. Wer aber in Frankreich länger arbeitet, wird um gute Französischkenntnisse nicht herumkommen. Damit berühren wir einen wichtigen Punkt in der interkulturellen Zusammenarbeit. Wie weit soll sich ein Projektmanager seinem Gastland anpassen - insbesondere dann, wenn es um essenzielle Projektmanagementmethoden geht? Ein Beispiel dazu. Vor dem Start eines Projekts wollen deutsche Manager so viel wie möglich klären und planen. Auf diese Sicherheit können Franzosen verzichten. Es ist durchaus möglich, dass sie beispielsweise nur ein Viertel der Abläufe klären und dann schon ihr Projekt starten. Eine solche Laxheit bei der Vorbereitung dürfte nicht nur deutschen Projektmanagern, sondern auch vielen Experten ein Graus sein. Der Zusammenhang zwischen sorgfältiger Projektvorbereitung und erfolgreichem Projektabschluss ist nachgewiesen! Und doch hat die französische Arbeitsweise eine Reihe wichtiger Vorteile. Die Mitarbeiter können sich eher an Unvorhergesehenes anpassen. Vor allem will ich auf die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen hinaus. Das Vorteilhafte an der Begegnung beider Arbeitsweisen besteht darin, dass im Projekt sowohl die Flexibilität der Franzosen als auch das Sicherheitsdenken der Deutschen zusammenkommen. Inwiefern? Die Franzosen können den Deutschen zeigen, wie man ans Ziel kommt, ohne durch Unvorhergesehenes aus dem Konzept zu geraten. Die Deutschen können den Vorteile französischer Arbeitsweise projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2009 l 17 Nationalsymbol Arc de Triomphe in Paris: Nicht nur auf ihr Land, sondern auch auf ihre Sprache sind Franzosen stolz. Viele Botschaften werden mit Wortspielen und „zwischen den Zeilen“ übermittelt. Deshalb sind Französischkenntnisse jedem Projektmanager dringend anzuraten, der länger im Nachbarland arbeitet. Foto: © MDLF/ Patrice Thébault PM_4-09_1-60: Inhalt 30.06.2009 9: 51 Uhr Seite 17 Franzosen zeigen, wie sinnvoll Planung und Absicherung sind. Natürlich müssen beide Seiten einen Teil ihrer Eigenheiten zurückstellen. Konkret: Sie können weder nur „deutsch“ noch nur „französisch“ arbeiten. Einen Punkt haben Sie mehrmals angesprochen: Franzosen schätzen die Zielstrebigkeit der Deutschen, ihr Organisationstalent, ihren Mut, sich in Fremdsprachen verständlich zu machen. Offen gesagt, manchmal fühlen sich die Franzosen den Deutschen in punkto Wirtschaft sogar unterlegen. Inwiefern? In Deutschland vertraut man felsenfest und mit - in französischen Augen - enormem Selbstbewusstsein auf seine technischen Leistungen, auf die Qualität der eigenen Produkte und Dienstleistungen. Und man hat Erfolg damit! Dieses Selbstbewusstsein scheint Franzosen manchmal zu fehlen, sie vermissen es selbst an sich. Franzosen hinterfragen und bezweifeln viele eigene Leistungen. Man ist sich - ganz anders als die deutschen Nachbarn - unsicher, weil man immer wieder nach einer noch besseren Lösung sucht. Dieses Unterlegenheitsgefühl kann die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen verkomplizieren. Wie können sich deutsche Projektmanager auf ihren Einsatz in Frankreich vorbereiten? Die Bedeutung der Sprachkenntnisse haben Sie erwähnt. Französische Sprachkenntnisse sind unabdingbar, also entweder die Sprache neu lernen oder die vorhandenen Kenntnisse auffrischen. Doch der Projektmanager muss sich auch auf die Unterschiede der Arbeitskultur vorbe- Sich der eigenen Arbeitskultur bewusst werden reiten. Ganz am Anfang dieser Vorbereitung steht, dass er sich der Besonderheiten seiner eigenen und der französischen Arbeitskultur bewusst wird. Vor allem muss er die eigenen und fremden Stereotypen verstehen, die die Zusammenarbeit im anderen Land erschweren. Der nächste Schritt? Der Projektmanager ermittelt das konkrete Umfeld, in dem er arbeitet. Er holt Informationen über das Unternehmen und das Team ein, mit dem er zusammenarbeiten will. Er setzt sich mit diesen Informationen auseinander und denkt darüber nach, wo Reibungspunkte und Probleme entstehen können. Dies klingt nach einer Art Risikoanalyse, die vom Projektmanagement her bekannt ist. Ja, gewisse Ähnlichkeiten sind zu erkennen. Aber damit meine ich, dass er selbst die Informationen holen muss. Dann überlegt und trainiert der Projektmanager, wie er auf die Schwierigkeiten reagieren kann. Wie er ihnen aus dem Wege geht, sie mildert - und wie er in schwierigen Situationen reagiert. Am Ende der Vorbereitung steht dann eine erste Begegnung mit den Personen, mit denen er zusammenarbeiten wird - mit dem Team beispielsweise. Man lernt sich kennen, beschnuppert sich, man baut Vertrauen auf. Vertrauen ist ein wichtiges Schlüsselwort! Es geht zunächst darum, die Menschen kennenzulernen und für sich zu gewinnen. Eine Art „Antrittsbesuch“? Richtig, aber ein Besuch ohne PowerPoint-Präsentationen, Projektpläne und Arbeitsmeetings. Vor diesem Antrittsbesuch sollte der Projektmanager allerdings nicht zu viel erwarten. Es kann sein, dass das Team diese erste Zusammenkunft nicht so perfekt organisiert hat, wie man es in Deutschland gewöhnt ist. Möglicherweise ist nicht jeder über den Besuch informiert, möglicherweise hat er noch keinen richtigen Arbeitsplatz. Der Einstand kann für ihn nicht so erfreulich wie gewohnt verlaufen … Nicht unwahrscheinlich! Das heißt aber nicht, dass der Projektmanager unwillkommen wäre. Er wird ohnehin sehr freundlich aufgenommen. Aber die deutsche Perfektion ist Franzosen unbekannt, der Projektmanager sollte dies nicht persönlich nehmen. ■ 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2009 18 REPORT Für Deutsche ungewohnt: Franzosen schätzen das Mittagessen als „inoffizielle“ Besprechungsrunde. Geschäftliches kann, muss aber nicht Tischgespräch sein. Eine Impression aus dem Pariser „Maison Blanche Restaurant“ Foto: © MDLF/ Cédric Helsly Praktische Hinweise für Geschäftsreisen nach Frankreich bietet das offizielle französische Verkehrsamt unter www.franceguide.com. Buchtipp: Hofstede, Geert: Lokales Denken, globales Handeln: Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management (DTV-Taschenbuch) Weitere Informationen zu Geschäftsreisen nach Frankreich Uwe Bra PM_4-09_1-60: Inhalt 30.06.2009 9: 51 Uhr Seite 18