PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2009
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Messung der Komplexität von Projekten
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Gerold Patzak
In diesem Beitrag wird versucht, das Phänomen der Komplexität von Projekten aus Sicht der Systemtheorie greifbar zu machen. Dabei wird auf deduktivem Wege, das heißt herleitend und nicht durch zufallsbedingtes Sammeln von Einzelmerkmalen, ein Schema zur analytischen Bewertung der Komplexität von Projekten entwickelt.
Der Mensch kann mit Komplexität schlecht umgehen. Je komplexer ein Sachverhalt ist, desto eher wird die Zuflucht zu intuitiven, emotional getriebenen Entscheidungen gesucht (Paradoxon der Planung). Die Systemtechnik bietet hier mit ihrer strukturierenden Denkweise Hilfe an. Ein Instrument zur vergleichenden Messung der Komplexität von Projekten ist aus vielen Gründen sehr
hilfreich, insbesondere bei der Kategorisierung von Projekten und bei der adäquaten Beauftragung von Projekten, um Überforderung bei nicht entsprechender Kompetenz zu vermeiden.
Komplexität ist letztlich nicht objektiv messbar. Es kann für Komplexität kein absolut gültiges Maß geben, die Erfassung setzt sich vielmehr bei analytischer Betrachtung aus einer Vielzahl von subjektiven Urteilen zusammen, die mit Graubereichen und Unsicherheiten behaftet sind.
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2009 42 WISSEN Aufgrund der zentralen Bedeutung des Systemmerkmals Komplexität ist ein dringender Bedarf der Messung desselben gegeben. Es sollten dafür objektiv beobachtbare Größen herangezogen werden, die zwar die Komplexität mitbestimmen, jedoch niemals ein absolut gültiges Maß für die subjektiv empfundene Komplexität beim Beobachter im Umgang mit dem Betrachtungsobjekt liefern können. Ein „Urmeter“ zur generell gültigen Messung von Komplexität ist nicht möglich. Komplexität und deren Auswirkung als Grad der Schwierigkeit des Umgangs mit einer Sache kann nur durch subjektiv gefärbte Urteile in Form von persönlichen Einschätzungen erfasst werden, wobei die Bewertung durch Einzelpersonen oder auch durch Personengruppen erfolgen kann. Aus Sicht der Erkenntnistheorie könnte man Komplexität als Ausmaß des Nichtwissens über ein System definieren. Es ist dies demgemäß die Differenz zwischen möglichem, erreichbarem Wissen und tatsächlich erforderlichem Wissen, um einen Sachverhalt abbilden zu können. Dem steht der Begriff der Kompliziertheit gegenüber, der durch den Aufwand zur Vermittlung eines wohldefinierten Sachverhalts, etwa durch die Länge der Beschreibung, erfasst wird. All dies bedeutet jedoch nicht, dass man ein derartiges Merkmal nicht messen kann - es lässt sich alles messen, wenn eine entsprechende Messskala vorgegeben wird, und das gilt genauso für das Merkmal Komplexität. Das Messergebnis hat allerdings dann eine bloß relative Bedeutung, was vor allem zum Zwecke des Vergleichens in unterschiedlichstem Zusammenhang wertvolle Dienste liefert. Es wird etwa bei Projekten meist die Projektdauer, aber auch das Projektbudget, als objektiv messbare Größe zur Erfassung der Komplexität herangezogen. Kausal betrachtet liegt hier jedoch bloß eine beobachtbare positive Korrelation zwischen der Dauer des Projekts und dessen Komplexität vor; es ist nämlich durchaus vorstellbar, dass ein lang dauerndes Vorhaben nur sehr geringe Komplexität aufweist. Das ursächlich die Komplexität beeinflussende Merkmal ist vielmehr die Wahrscheinlichkeit von Veränderungen, die mit der Projektdauer erfahrungsgemäß exponentiell zunimmt. Gerold Patzak Das aktuelle Stichwort: Messung der Komplexität von Projekten In diesem Beitrag wird versucht, das Phänomen der Komplexität von Projekten aus Sicht der Systemtheorie greifbar zu machen. Dabei wird auf deduktivem Wege, das heißt herleitend und nicht durch zufallsbedingtes Sammeln und Nennen von Bewertungsaspekten, ein Schema zur analytischen Bewertung des Merkmals Komplexität entwickelt. Deduktives Vorgehen erhebt dabei den Anspruch der theoretischen Vollständigkeit und einer Nachvollziehbarkeit der Argumentation. 1. Allgemeine Betrachtungen zur Komplexität von Systemen Aus Sicht der Allgemeinen Systemtheorie lässt sich zum Begriff „Komplexität“ Folgendes feststellen: ❑ Komplexität ist ein konstituierendes Merkmal von Systemen. ❑ Komplexität ist eine Eigenschaft von Systemen, die aus unterschiedlichen Gründen besonders interessiert und damit als ein wesentliches Merkmal beliebiger Systeme anzusehen ist. ❑ Komplexität ist konstituierend für die Existenz eines Systems, das als eine zweckrationale Zusammenfassung von Elementen in Form eines gedanklichen Konstrukts zu sehen ist. ❑ Betrachtungsobjekte, die keine Komplexität aufweisen und damit leicht durchschaubar strukturiert sowie eher statisch sind, erfordern keinen systemorientierten Zugang, brauchen nicht als System aufgefasst zu werden. In diesem Beitrag wird versucht, das Phänomen der Komplexität von Projekten aus Sicht der Systemtheorie greifbar zu machen. Dabei wird auf deduktivem Wege, das heißt herleitend und nicht durch zufallsbedingtes Sammeln von Einzelmerkmalen, ein Schema zur analytischen Bewertung der Komplexität von Projekten entwickelt. Der Mensch kann mit Komplexität schlecht umgehen. Je komplexer ein Sachverhalt ist, desto eher wird die Zuflucht zu intuitiven, emotional getriebenen Entscheidungen gesucht (Paradoxon der Planung). Die Systemtechnik bietet hier mit ihrer strukturierenden Denkweise Hilfe an. Ein Instrument zur vergleichenden Messung der Komplexität von Projekten ist aus vielen Gründen sehr hilfreich, insbesondere bei der Kategorisierung von Projekten und bei der adäquaten Beauftragung von Projekten, um Überforderung bei nicht entsprechender Kompetenz zu vermeiden. Komplexität ist letztlich nicht objektiv messbar. Es kann für Komplexität kein absolut gültiges Maß geben, die Erfassung setzt sich vielmehr bei analytischer Betrachtung aus einer Vielzahl von subjektiven Urteilen zusammen, die mit Graubereichen und Unsicherheiten behaftet sind. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ PM_5-09_1-60: Inhalt 24.09.2009 11: 10 Uhr Seite 42 Das Merkmal Komplexität lässt sich ganzheitlich gesehen wie folgt beschreiben und begreifen: ❑ Ein komplexer Betrachtungsgegenstand ist nicht vollständig überblickbar, nie erschöpfend zu erfassen, zu durchschauen und in seiner Wirkungsweise zu verstehen und damit in seiner Entwicklung sowie dem Verhalten nicht mit Sicherheit vorhersagbar. ❑ Ein komplexes System entzieht sich wegen seiner Eigendynamik der exakten Analyse und ist daher einer gezielten Beeinflussung auf direktem Wege nicht zugängig, somit nur schwer zu managen. Zur Messung dieses Verhaltens lässt sich eine Skala aufstellen, in die der mit dem System Befasste seine persönlichen Einschätzungen der Komplexität einträgt. Genauer und die Wirklichkeit besser abbildend ist dem gegenüber ein analytisches, das heißt zerlegendes Vorgehen bei der Erfassung der Komplexität, was das Urteil bei aller Subjektivität nachvollziehbar und damit tragfähiger macht, da die einzelnen erfassten Fakten in ein Maß der individuell empfundenen Komplexität überführt werden. Dies geschieht vor allem durch Setzen von Ankerwerten. So ist etwa das Faktum, dass eine bestimmte Anzahl von Personen im Projekt mitarbeitet, sicherlich für die Komplexität relevant, ob in einem gegebenen Fall aber mittlere oder hohe Komplexität vorliegt, hängt vom Setzen der Klassengrenzen auf der Messskala ab, was jeweils eine subjektive Entscheidung darstellt. Ganz allgemein gesprochen sei hier folgender Zugang der analytischen Erfassung von Komplexität gewählt: Die objektiv messbare Komplexität eines Systems wird erfasst durch die ❑ Elementevielfalt: Dies ist die Menge der Elemente (Bestandteile, Komponenten), gemessen anhand der Anzahl der Elemente und der Unterschiedlichkeit der Elemente. projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2009 l 43 Scoring-Schema zur Bewertung der Komplexität von Projekten Schritt Aspektsystem Zu bewertende Kriterien 1 2 3 4 5 Summe 1 Zielsystem: PROJEKTZIEL (Was soll erreicht werden? ) Anzahl und Unterschiedlichkeit der Einzelziele unter Berücksichtigung der Ziele und Erwartungen der relevanten Stakeholder, unterschiedliche Zielkategorien: Prozessziele, Nutzungsziele (Business Case), Operationalisierbarkeit sehr wenige Ziele, quantitativ angegeben wenige Ziele, gut formuliert, ohne Priorität mehrere Ziele unterschiedlicher Art viele Ziele, Prozessziele, Nutzungsziele sehr viele, schwer erfassbare Ziele aller Art Anzahl und Unterschiedlichkeit der Wechselwirkungen zwischen den Zielen der Zielhierarchie (Zielbeziehungen), Prioritätensetzung/ relative Gewichtung, Zielkonkurrenz und Optimierungskriterien, Antinomie, K.-o.-Kriterien keine Zielbeziehungen zu berücksichtigen vereinzelt Zielkonkurrenz vorliegend unterschiedliche Zielbeziehungen vielfältige z. T. unklare Zielabhängigkeiten starke, unklare Wechselbeziehungen Zieländerungen betreffend Inhalt, Gewichtung, Präferenz und deren Unsicherheiten (Eintrittswahrscheinlichkeiten) keine vereinzelt möglich Änderungspotenzial groß hohe Wahrscheinlichkeit laufend und sehr unklar 2 Objektsystem: PROJEKTGEGEN- STAND (Was ist der Leistungsinhalt? ) Anzahl und Unterschiedlichkeit der Komponenten, d. h. Subsysteme, Module, Baugruppen, Bauteile, Elemente, hinsichtlich Dimensionen, Technologien, Spezifikationen, Testvorschriften, Abnahmebedingungen, Neuheitsgrad sehr wenige Komponenten wenige Komponenten viele Komponenten unterschiedlicher Art sehr viele Komponenten und Teilpläne, Technologien unüberschaubar viele Baupläne, Planhierarchie Anzahl und Unterschiedlichkeit der zu berücksichtigenden funktionalen und technologischen Beziehungen zwischen den Komponenten (Flüsse von Energie, Materie, Info), auf den Prozess sich auswirkende Ordnungsbeziehungen einfachster Aufbau klarer Aufbau, wenige relevante Abhängigkeiten viele wesentliche Abhängigkeiten stark vernetzte Abhängigkeiten zwischen den Bauteilen mannigfaltige sehr kritische Beziehungen technolog. Art Änderungen der Konfiguration, Technologie, Spezifikationen, Qualität, Funktionalität, Lieferanten, Wahrscheinlichkeit keine Änderungen zu erwarten wenig Änderungen Objektstruktur nicht fix Creeping Scope unabsehbare Änderungen 3 Handlungssystem: PROJEKTAUFGABE (Was ist zu tun? ) Anzahl und Unterschiedlichkeit der Phasen, erforderlichen Arbeitspakete, Vorgänge, Operationen; Hierarchieebenen im PSP, Meilensteine, erforderliche Fachdisziplinen, Know-how, Neuheitsgrad, Einsatzmöglichkeiten von Standards sehr wenige (< 30) wenige (100) nur wenige Fachdisziplinen viele neuartige (300) unterschiedliche Disziplinen sehr viele (1.000) Machbarkeit noch unklar unüberschaubar viele (3.000), neuartig, alle Disziplinen Anzahl und Unterschiedlichkeit der Abhängigkeiten zwischen den Vorgängen (Vernetzungsgrad, Arten von AOB, pos./ neg., MIN/ MAX), Begleitvorgänge. Planhierarchien, intermediate Schnittstellen/ Interfaces, Programm-Interfaces linear, nur Normalfolgen vereinzelt Überlappungen stark vernetzt, alle AOBs aufscheinend sehr stark vernetzt, Schnittstellen viele Subnetze mit intermediaten Abhängigkeiten Änderungen der Arbeitspakete wegen Abänderung bei Scope, Technologie; Erfahrungsmangel, Risikobegegnung fix Änderungen möglich viele Änderungen starke Änderungsneigung alles kann geändert werden 4 Handlungsträgersystem: PROJEKT- AUSFÜHRENDE (Wer tut etwas? ) Anzahl und Unterschiedlichkeit der im Projekt unmittelbar Mitwirkenden/ Interessengruppen (Auftraggeber, Lenkungskreis, Mitarbeiter, Subs); Qualifikationen, Verfügbarkeit, Diversität, Kulturen, örtl. Verteilung, Motivationslage sehr wenige, untereinander bekannte MA, wenige Mittel wenige Organisationseinheiten einer Firma involviert viele MA unterschiedl. Disziplin, viele Abteilungen unterschiedl. Qualifikationen aus vielen Firmen/ Externe großes, stark inhomogenes, verteiltes Team, Crosscultural Anzahl und Unterschiedlichkeit der Wechselwirkungen (Unterstellungen, Berichtswege, formelle und informelle Kommunikationsbeziehungen, Arten des Zusammenwirkens, Vertretungsregelungen, Arbeitsverträge) klare Aufgabenverteilung klare Zuständigkeiten vermaschte Berichtswege starke Wechselbeziehungen über Firmengrenzen/ Ort unüberschaubar vernetzte Interaktionen, jeder mit jedem Personelle Änderungen bei den Mitwirkenden, Fluktuation, Eintrittswahrscheinlichkeiten und sich ergebende Risiken Personen sind fix geregelte Organisation hohe Fluktuation Änderungen überall möglich nicht vorhersehbare Dynamik 5 Umsystem: PROJEKTUMFELD (Welche Einflüsse von außen? ) Anzahl und Unterschiedlichkeit der relevanten Einflussgrößen aus der Umwelt (sachliche und soziale Umfeldfaktoren, Erwartungen der mittelbar einwirkenden Stakeholder), gesetzliche Randbedingungen, zu beachtende Beschränkungen das Projekt ist als isoliert zu betrachten leicht kontrollierbare Einflüsse ähnlicher Art, Risiken klar abgrenzbar starke Einflüsse aus mehreren Umfeldausschnitten mit einzelnen hohen Risiken viele schwer zu berücksichtigende, starke Einflüsse mit hohen Risiken unklares, chaotisches Umfeld, unbekannt viele Einflüsse mit völlig unbestimmten Risiken Anzahl und Unterschiedlichkeit der Art der Einflussbeziehung (Einstellungen, Erwartungen/ Befürchtungen, Macht, Auswirkungsschwere, Erkennungsmöglichkeit), Konsequenzen bei Nichtbeachtung, Pönalfunktionen Änderungspotenzial der Einflüsse, Unsicherheiten (Eintrittswahrscheinlichkeiten der Varianten), Risikohöhe Total GESAMTSYSTEM KOMPLEXITÄT DES PROJEKTS einfach wenig komplex ziemlich komplex hoch komplex extrem komplex 0 Tabelle 1: Vorschlag einer Scoring-Tabelle PM_5-09_1-60: Inhalt 24.09.2009 11: 10 Uhr Seite 43 ❑ Beziehungsvielfalt: Dies ist die Menge der Beziehungen zwischen den Elementen (die Wechselwirkungen), erfasst anhand der Anzahl der Beziehungen (Vernetzungsdichte) und der Unterschiedlichkeit der Beziehungen (Beziehungsinhalte). Dies erfasst die strukturelle Komplexität, eine statische Betrachtung, eine Momentaufnahme! Es kommt dazu die Varietät als dynamischer Aspekt, die Veränderung in der Zeit, erfasst durch das ❑ Änderungspotenzial bzw. die Unsicherheit: Dies ist die Menge möglicher Zustände, die die Elemente und die Beziehungen im Laufe der Zeit einnehmen können, die Entwicklungseffekte, die Auswirkungen von Feedback, die Eigendynamik (Autopoiesis). Dieser Anteil an der Komplexität ist als Prognose subjektiv gefärbt. Obige Aussagen zur Erfassung von Komplexität gelten ganz allgemein und für beliebige Systeme. Generell können Systeme unterschieden werden nach den Merkmalausprägungen ❑ konkret oder abstrakt (greifbar oder gedanklich), ❑ natürlich oder künstlich (gegeben oder vom Menschen geschaffen), ❑ technisch oder sozial oder informationell sowie alle Kombinationen (z. B. sozio-technisch), ❑ offen oder geschlossen (es existieren Beziehungen mit der Umwelt oder es existieren keine). Im vorliegenden Zusammenhang interessieren nur offene Systeme. Es ergibt sich damit folgende Aussage: Die Komplexität eines beliebigen offenen Systems steigt ❑ mit der Anzahl der im System enthaltenen Elemente (erfasst durch Abzählen) sowie mit der Unterschiedlichkeit der im System enthaltenen Elemente. Dabei sind generell folgende Kategorien von Elementen zu unterscheiden: Menschen (sozial), Bauteile (technisch), Daten/ Informationen (abstrakt). ❑ mit der Anzahl der im System enthaltenen Beziehungen, der Beziehungsdichte (erfasst durch Abzählen) sowie mit der Unterschiedlichkeit der Beziehungen. Dabei sind generell folgende Kategorien von Beziehungen zu unterscheiden: Übertragungsbeziehungen (Flüsse von Materie, Energie, Information) und logische Beziehungen (relevante Ordnungsbeziehungen). ❑ mit der Anzahl und Unterschiedlichkeit der Beziehungen mit der Systemumwelt. ❑ mit der Anzahl der im Zeitablauf einnehmbaren unterschiedlichen Zustände, die sich als Änderungspotenzial bzw. Dynamik manifestieren. 2. Spezifische Betrachtungen zur Komplexität von Projekten Obige Erkenntnisse seien nun auf das System „Projekt“ als spezielle Ausprägung einer Organisation angewendet: Projekte können definitionsgemäß als Unternehmungen auf Zeit aufgefasst werden. Bei Projekten sind, wie dies für jede zweckorientierte Organisation gilt, vier Subsysteme und ein Umsystem zu unterscheiden. Diese sind als Teilsysteme - besser angesprochen als Aspektsysteme - des ganzen Systems genannt „Projekt“ aufzufassen. Zu unterscheiden sind ❑ das Zielsystem (abstraktes System): hierarchische Gliederung des Gesamtzieles der Organisation bis zu operablen Einzelzielen, eingebracht von den relevanten Stakeholdern, ❑ das Objektsystem (konkretes oder abstraktes System): hierarchische Gliederung des Arbeitsgegenstandes als Output des Prozesses bzw. Realisierung des Gesamtzieles (Deliverables), ❑ das Handlungssystem (abstraktes System): hierarchische Gliederung der Gesamtaufgabe bis zu den Einzelaufgaben, die zur Erreichung des Gesamtzieles erforderlich sind, ❑ das Handlungsträgersystem (konkretes System): hierarchisch oder als Netzwerk dargestellte Gesamtheit aller Organisationseinheiten, die Einzelaufgaben ausführen, um das Gesamtziel zu erreichen, ❑ das Umsystem (konkret und abstrakt): alle relevanten Größen, die nicht Bestandteile des betrachteten Systems sind, jedoch in Wechselwirkung mit dem System stehen, das heißt, auf dieses einwirken. Obige Untergliederung kann auch anhand eines sogenannten Input-Output-Modells hergeleitet werden. Alle vier Teilsysteme sowie das relevante Umsystem müssen im Projektmanagement betrachtet werden und tragen zur Komplexität bei. Demgemäß setzt sich die Komplexität eines Projekts, systemtheoretisch betrachtet, aus der Komplexität folgender Aspektsysteme zusammen: ❑ der Komplexität des Zielsystems, des Projektzieles, zu beurteilen anhand der Projektzielhierarchie, ❑ der Komplexität des Objektsystems, des Projektgegenstandes, zu beurteilen anhand des Objektstrukturplanes OSP, ❑ der Komplexität des Handlungssystems, der Projektaufgabe, zu beurteilen anhand des Projektstrukturplanes PSP, ❑ der Komplexität des Handlungsträgersystems, der Projektorganisation, zu beurteilen anhand des Projektorganigramms PO, ❑ der Komplexität des Umsystems, der Projektumwelt, zu beurteilen anhand der relevanten Umfeldfaktoren und Stakeholderbeziehungen. Diesen Beiträgen zur Komplexität des Gesamtsystems ist jeweils noch deren Dynamik zu überlagern, das heißt die erwarteten Änderungen (Changes) samt Auswirkungen. Auf Basis obiger Erkenntnisse kann eine Scoring- Tabelle zur quantitativen Erfassung der Komplexität von Projekten erstellt werden, wie sie in Tabelle 1 vorgeschlagen wird. Fazit Zusammenfassend sei hier festgehalten: Der Mensch kann mit Komplexität schlecht umgehen. Je komplexer ein Sachverhalt ist, desto eher wird die Zuflucht zu rein intuitiven, emotionalen Entscheidungen gesucht (Paradoxon der Planung). Der Mensch versucht als Überlebensstrategie permanent, die erlebte Komplexität für sich - bewusst oder auch unbewusst - zu reduzieren. Dies zeigt sich etwa im Phänomen der selektiven Wahrnehmung, aber auch in der Konstruktion seiner Erklärungsmodelle der Umwelt, die meist unzulässige Vereinfachungen der Sichtweise darstellen. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2009 44 WISSEN PM_5-09_1-60: Inhalt 24.09.2009 11: 10 Uhr Seite 44 Das beinhaltet diverse, der Realität nicht entsprechende Annahmen und Verkürzungen wie ❑ rein lineare Zusammenhänge und Abhängigkeiten, ❑ Monokausalität, ohne andere Ursachen mit zu betrachten, ❑ statisches Verhalten, ohne Beachtung von Entwicklungen, ❑ das Nichtbeachten von Zufallsabhängigkeit, ❑ die Annahme unidirektionaler Ursache-Wirkungs- Ketten (Wenn-Dann-Beziehungen) unter Nichtbeachtung von Rückkopplungen. Um erfolgreich zu sein, muss der Mensch die immer komplexer werdenden Phänomene seiner Umwelt besser erfassen, sie besser verstehen und managen können. Komplexität ist letztlich nicht objektiv messbar. Es kann für Komplexität kein absolut gültiges Maß geben, die Erfassung setzt sich vielmehr bei analytischer Betrachtung aus einer Vielzahl von subjektiven Urteilen zusammen, die mit Graubereichen und Unsicherheiten behaftet sind. Diesem Faktum kann man nur dadurch begegnen, indem man das Messwerkzeug durch Festlegen von Gültigkeitsbereichen sowie von Ankerwerten auf der Basis von Erfahrung standardisiert. Es muss ein Bewertungsschema erstellt und dieses im Sinne von Versuch und Irrtum laufend verbessert und an das gewünschte spezifische Einsatzgebiet angepasst werden, wodurch sich die Validität der Messung von Komplexität erhöht. Regelmäßige Evaluierung und Nacheichung des Bewertungsschemas sind erforderlich. ■ Schlagwörter Definition, Komplexität, Kompliziertheit, Messung, System, Teilsystem Kompetenzelemente der NCB 3.0 1.09 Projektstrukturen Autor Dipl.-Ing. Dr. Gerold Patzak, Univ. Prof., Universitätsprofessor an der TU Wien für Systemtechnik und Projektmanagement, Gastprofessor an mehreren Universitäten in den USA, Adjunct Prof. an der Univ. of Colorado at Boulder, USA, Vortragender an der Donauuniversität Krems im Bereich MBA seit Beginn 1989 sowie Mitbegründer und Vortragender der Universitätslehrgänge Qualitäts- und Prozessmanagement, Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Autor mehrerer Fachbücher (Systemtechnik, Projektmanagement, Prozessmanagement und Zuverlässigkeitstheorie), Mitbegründer der Beratungsfirma Primas Consulting, Gründungsmitglied der AFQM, Austrian Foundation for Quality Management, Assessor für Projektmanagement bei der Deutschen GPM als nationaler Untergliederung der IPMA International Project Management Association, Zivilingenieur für Wirtschaftsingenieurwesen. Anschrift Thimiggasse 39 A-1180 Wien Tel.: ++43/ 1/ 4 79 80 69 E-Mail: Gerold.Patzak@aon.at projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2009 l 45 Executive Education Programs Project & Process Management (PPM) Taught in English by top professors and industry experts, enabling you to master challenging projects successfully. Duration: › 18 months: Professional MBA in PPM › 10 months: International Program in PPM › Part-time, blocked modules Start: › October 2009: Professional MBA in PPM › March 2010: International Program in PPM Contact: andrea.cerny@wu.ac.at, +43-1-313 36-5139 www.executiveacademy.at Anzeige PM_5-09_1-60: Inhalt 24.09.2009 11: 10 Uhr Seite 45
