PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Mit Protesten müssen alle Großprojekte leben“
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Oliver Steeger
Menschenketten vor Baustellen, Transparente an Konzernzentralen, Protestwellen im Internet – die Bevölkerung bringt sich gegen Großprojekte in Stellung. Kraftwerksbauten geraten in Misskredit. Der Ausbau von Flughäfen scheitert am Widerstand der Anwohner. Das jüngste, prominenteste Beispiel: die eskalierende Gewalt beim Projekt „Stuttgart 21“. Der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs spaltet die Bevölkerung tief. Unversöhnlich stehen sich Gegner und Befürworter gegenüber. Lassen sich Großprojekte überhaupt noch in Deutschland durchführen? Ist Deutschland vor allem einig Gegner-Land? Und: Wie können Projektmanager mit dem Widerstand aus der Bevölkerung umgehen? Kommunikationswissenschaftler Professor Frank Brettschneider (Universität Hohenheim) verfolgt das Projekt „Stuttgart 21“ seit vielen Jahren. Sein Fazit: Großprojekte brauchen heute wirksame Öffentlichkeitsarbeit. Im Gespräch zieht er die Lehren aus den Fehlern, die heute bei Großprojekten gemacht werden.
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2011 12 REPORT Oliver Steeger „Mit Protesten müssen alle Großprojekte leben“ Professor Frank Brettschneider (Universität Hohenheim) zieht Lehren aus „Stuttgart 21“ Menschenketten vor Baustellen, Transparente an Konzernzentralen, Protestwellen im Internet - die Bevölkerung bringt sich gegen Großprojekte in Stellung. Kraftwerksbauten geraten in Misskredit. Der Ausbau von Flughäfen scheitert am Widerstand der Anwohner. Das jüngste, prominenteste Beispiel: die eskalierende Gewalt beim Projekt „Stuttgart 21“. Der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs spaltet die Bevölkerung tief. Unversöhnlich stehen sich Gegner und Befürworter gegenüber. Lassen sich Großprojekte überhaupt noch in Deutschland durchführen? Ist Deutschland vor allem einig Gegner-Land? Und: Wie können Projektmanager mit dem Widerstand aus der Bevölkerung umgehen? Kommunikationswissenschaftler Professor Frank Brettschneider (Universität Hohenheim) verfolgt das Projekt „Stuttgart 21“ seit vielen Jahren. Sein Fazit: Großprojekte brauchen heute wirksame Öffentlichkeitsarbeit. Im Gespräch zieht er die Lehren aus den Fehlern, die heute bei Großprojekten gemacht werden. Herr Professor Brettschneider, die Bilder von Wasserwerfern, verletzten Demonstranten und Abrissbaggern am Stuttgarter Hauptbahnhof gingen durch die deutsche Presse. Schüler, Rentner und Familienväter machten mobil gegen ein Großprojekt - und die Gewalt eskalierte. Gegner und Befürworter stehen sich unversöhnlich gegenüber. Schon zweifeln Fachleute daran, ob man Großprojekte wie Kraftwerksbauten, Stadtentwicklung oder Infrastrukturmaßnahmen überhaupt in Deutschland noch durchführen kann. Ist der Widerstand gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ ein Einzelfall - oder wird Projektmanagern künftig immer häufiger solch ein Proteststurm ins Gesicht blasen? Professor Frank Brettschneider: Mit Protesten müssen alle Großprojekte leben. Aber in Stuttgart kommen verschiedene Aspekte zusammen: Auf der einen Seite haben wir es mit dem Widerstand gegen das konkrete Projekt „Stuttgart 21“ zu tun. Auf der anderen Seite richtet sich der Protest aber auch gegen das Handeln der Politiker im Allgemeinen. Zudem wird er für die anstehende Landtagswahl in Baden-Württemberg instrumentalisiert. Dann war der Baubeginn für den unterirdischen Hauptbahnhof quasi nur der letzte Tropfen, der das Fass in Stuttgart zum Überlaufen brachte? Ja, das Projekt ist auch eine Projektionsfläche für Unmut, der mit dem Vorhaben selbst wenig zu tun hat. Der richtet sich auch gegen einzelne Projektträger - gegen die Stadt, gegen das Land, gegen die Bahn und gegen die Berliner Politik. Wer immer mit diesen Partnern unzufrieden ist, findet bei „Stuttgart 21“ die Chance, Dampf abzulassen. Die Akteure von „Stuttgart 21“ haben also bislang richtig gehandelt - und sind nur im Fahrwasser einer allgemeinen Unzufriedenheit gefahren, die sich dann im Protest gegen das Projekt entladen hat? Frank Brettschneider ist Professor für Kommunikationswissenschaft. Er hat 1995 promoviert zum Thema „Öffentliche Meinung und Politik“, 2002 folgte seine Habilitation an der Universität Stuttgart („Spitzenkandidaten und Wahlerfolg“). Von 2001 bis 2006 war er Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Augsburg, seither ist er Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie, an der Universität Hohenheim. 1996 war er Preisträger des Wissenschaftspreises des Deutschen Bundestages für Arbeiten zum Parlamentarismus, 1997 des EMNID-Wissenschaftspreises für das Projekt „Personalisierung der Politik: Kandidatenimages und Image-Agenda-Setting der Massenmedien“ (gemeinsam mit Angelika Vetter). Zu seinen Fachschwerpunkten zählen unter anderem Wahl- und Einstellungsforschung, Medienwirkungsforschung/ Medieninhaltsanalysen, Communication Performance Management, Themenmanagement und Campaigning sowie Politik- und Kommunikationsberatung. Zum Projekt „Stuttgart 21“ forscht er seit 15 Jahren. 1997 veröffentlichte er eine repräsentative Bevölkerungsumfrage zu den Einstellungen der Bürger zu „Stuttgart 21“. Die über 80 Stunden der Schlichtung zu „Stuttgart 21“ hat er ebenso analysiert wie die Einstellungen der Bevölkerung vor und nach der Schlichtung. Foto: privat PM_1-2011_1-26_36-60: Inhalt 31.01.2011 13: 43 Uhr Seite 12 Nein, so einfach verhält es sich nicht. Die Projektträger haben über viele Jahre versäumt, die kursierenden Widersprüche, Sorgen und Gerüchte zu dem Großprojekt zu erkennen und ernst zu nehmen. Da wurden große Fehler gemacht. Teilweise war auch kommunikativer Dilettantismus am Werk. Hat man den Widerstandswillen der Bevölkerung auch unterschätzt? Man hat in jedem Fall unterschätzt, wie stark sich Widerstand formiert und in die Öffentlichkeit getragen wird, wenn das Projekt erst einmal sichtbar wird und die Bauarbeiten gestartet werden. Plötzlich sahen die Menschen Staub, hörten Lärm, standen vor einem Bauzaun. Abrissbagger fraßen sich in den historischen Nordflügel. All das hatte Symbolcharakter; diese Sichtbarkeit war ein zündender Funke. Die Projektträger erschienen fassungslos. Befürworter führen das Argument zu Felde, dass die Pläne für „Stuttgart 21“ lange bekannt waren, dass das Vorhaben alle parlamentarischen Hürden genommen hat und die Genehmigungen vorliegen. Es musste doch jedem klar sein, dass früher oder später Abrissbagger anrollen werden. Mag sein! Doch die vorangegangenen Debatten und die Ausstellungen waren für die Bevölkerung viel zu abstrakt. Menschen gehen dann auf die Straße, wenn ein Projekt sichtbar und greifbar wird. Eine so späte Reaktion macht jedes Großprojekt unkalkulierbar. Wer möchte Projekte in Deutschland durchführen, wenn er nach jahrelanger Planung und vielen Genehmigungsverfahren am Ende doch Straßenschlach ten vor seiner Baustelle befürchten muss? Die Wirtschaft wird möglicherweise eine folgenschwere Konsequenz aus „Stuttgart 21“ ziehen: Solche Großprojekte sind in Deutschland nicht durchführbar, nicht mehr kontrolliert zu managen. Aus dem Protest gegen das Projekt „Stuttgart 21“ ziehe ich eine ganz andere Konsequenz: Wir können aus den Fehlern lernen, wie man Interessengruppen einbindet - insbesondere, wie man mit der diffusen, inhomogenen Interessengruppe „Bevölkerung“ umgeht. Neben die rechtsstaatliche „Legitimation durch Verfahren“ - vor allem durch parlamentarische Beschlüsse und Planfeststellungsverfahren - muss die „Legitimation durch Kommunikation“ treten. Welche Fehler wurden bei der Kommunikation mit der Bevölkerung gemacht? Hat man die Bevölkerung schlecht informiert? Erstens haben die Projektträger anfangs nicht mit einer Stimme gesprochen. Die Koordination untereinander ließ sehr zu wünschen übrig. Zweitens wurde lange nur scheibchenweise informiert - erst auf Drängen und beharrliches Nachfragen hin statt proaktiv. Zahlreiche Menschen hatten deshalb den Eindruck, sie stünden einem übermächtigen Projektträger gegenüber. Auf dessen Wohlwollen fühlten sie sich angewiesen, wenn sie Zu abstrakte Debatten Antworten auf ihre Fragen zum Projekt haben wollten. Mehr noch: Teile der Bevölkerung hatten das Gefühl, dass es dem Projektträger nicht um Dialog, Interessenabgleich, Interessenausgleich ging, sondern um Geheimniskrämerei - darum, keine Handvoll Informationen mehr als unbedingt erforderlich nach außen zu geben. Diese Informationspolitik hat die Bevölkerung - darf man sagen: gekränkt? Zumindest hat die Bevölkerung darin weder Respekt noch Wertschätzung gegenüber ihren Einwänden, Vorschlägen und Sorgen erkannt. Diese Art der Kommunikation dürfte wesentlich zu den massiven Protesten und der Eskalation beigetragen haben. Außerdem: In den Informationen hat man sehr stark die technische Seite des Projekts beleuchtet. Es handelt sich immerhin um ein technisches Projekt ... Viele Großprojekte sind technisch ausgerichtet, dies stimmt. Aber: Wer mit der Öffentlichkeit spricht, spricht in der Regel mit Laien. Die Kommunikation richtet sich an Menschen, die keine Fachleute sind. In der Bevölkerung wird die spezielle Sichtweise der Juristen, der Betriebswirte und der Ingenieure selten verstanden. Ingenieure beschreiben, wie viele Kubikmeter Erde bewegt werden oder welcher Tunnelbau zum Einsatz kommt. Damit schafft man nicht automatisch positive Bilder von einem Projekt. Moment! Die Projektgegner haben sich erstaunlich sattelfest in technischen Dingen gezeigt ... Richtig. Bei der Schlichtung, die ja im Fernsehen und über das Internet übertragen wurde, hat Schlichter Heiner Geißler wiederholt beide Seiten gebeten, für die Zuschauer schwer Verständliches zu erläutern und Fachbegriffe zu erklären. Auf was ich hinauswill: Mit Zahlen, Daten und Fakten alleine verbreitet man keine positiven Visionen von einem Projekt ... Positive Visionen? Können sich Menschen, wenn sie von „Stuttgart 21“ hören, etwas Wertvolles und Wünschenswertes unter diesem Projekt vorstellen? Was die Mehrheit betrifft - vermutlich nicht ... Man hätte früh den Einwänden der Gegner ein positives Bild entgegensetzen können. Sogar an der Baustelle fehlte ein Baustellenschild, das das Projektziel visualisiert ... Augenblick! Es gibt Modelle von dem zukünftigen Bahnhof. Sie sind im Bahnhofsturm ausgestellt ... Das reicht aber nicht, um das Projekt positiv zu besetzen und eine begeisternde Vision davon in den Köpfen der Menschen zu erzeugen. Pläne und Modelle alleine Großprojekte „positiv besetzen“ Mangelnde Wertschätzung projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2011 l 13 PM_1-2011_1-26_36-60: Inhalt 31.01.2011 13: 43 Uhr Seite 13 sind nicht plastisch genug. Die Menschen sollen eine Beziehung entwickeln zu dem Projekt und dem, was dort entsteht. Beim Bau des neuen Durchgangsbahnhofs in Wien gelingt das ja auch. Da braucht es mehr als Computergrafiken, Tabellen und Hochglanzbroschüren! Zum Beispiel? Gespräche und eindringliche Bilder. Wenn man Stuttgart aus der Vogelperspektive betrachtet, findet man die Stadt in einem Kessel von Hügeln, über die sich die Stadt nicht ausdehnen kann. Mittenrein ragen 16 Gleise und zerschneiden die Stadt. Wird der Bahnhof unter die Erde verlegt, wird diese Fläche frei. 80 Hektar Fläche können bebaut werden. Die Stadt wächst zusammen, ein enormer Fortschritt. Und 20 Hektar kommen dem Stadtpark zugute. Dies wäre doch schon eine positive Vision. Nein, eine Vision ist dies noch nicht, sondern nur eine Zahl zu einer Fläche. Die Stuttgarter wollen wissen, was dort entsteht. Ein gesichtsloses Neubauviertel mit Glaspalästen der Banken? Oder eine Mustersiedlung, wie es sie bereits in Stuttgart gibt? Eine Mustersiedlung? In Stuttgart gibt es die Weißenhofsiedlung, die für ihre damalige Zeit extrem fortschrittlich war und nun zum kulturellen Erbe der Stadt gehört. Sie wurde 1927 unter der Leitung von Mies van der Rohe errichtet. Die Bevölkerung ist stolz auf dieses Bauhaus-Erbe. So könnte man heute für „Stuttgart 21“ eine Vision kreieren, die sich auf diese Tradition beruft und eine zeitgemäße Weißenhofsiedlung 2.0 in Aussicht stellt - mutig, wegweisend, für und mit den Menschen entworfen. Solche Details über die konkrete künftige Nutzung werden recht spät festgelegt. Erst einmal muss der Bahnhof unter die Erde. Auf die Details kommt es zu diesem Zeitpunkt auch nicht an. Entscheidend ist aber das Signal, dass man nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeiplant. Eine geeignete Vision kann Sorgen über neue, tote Stadtteile entkräften und die Fantasie der Menschen anregen. Wer die Bevölkerung informiert, sollte also mit Informationen den Kopf und mit Visionen das Herz erreichen. Es geht um beides, ja. Projektmanager sind es seit Längerem gewohnt, sich der Interessengruppen ihres Projekts anzunehmen. Man weiß, dass Projekte am Widerstand der Stakeholder durchaus scheitern können. Neuerdings spricht man statt von Stakeholdern auch von „interessierten Parteien“. Die meisten dieser interessierten Parteien sind scharf umrissen; ihre Interessenlage ist greifbar, überschaubar und nachvollziehbar. Für die Bevölkerung gilt dies aber nicht. Vielen Projektmanagern ist die Bevölkerung als Interessengruppe ein Buch mit sieben Siegeln. Sie gilt als schwierig ... „Kopf und Herz erreichen“ Weshalb finden Sie die Interessengruppe „Bevölkerung“ schwierig? „Stuttgart 21“ hat gezeigt, wie inhomogen und unberechenbar diese Gruppe ist. Der Widerstand von der Bevölkerung trat spät auf. Viele Menschen haben sich ihre Meinung erst gebildet, als wichtige Weichen für das Projekt bereits gestellt waren. Zudem haben Umfragen Mitte der Neunzigerjahre durchaus Sympathie in der Bevölkerung für das Projekt „Stuttgart 21“ ermittelt. Es war sogar von einer deutlichen Mehrheit der Befürworter die Rede. Dann aber ist die öffentliche Meinung umgeschlagen, womit kaum jemand gerechnet hat. Und was noch hinzukommt: Zu Beginn eines Projekts finden Projektmanager kaum einen Ansprechpartner der Interessengruppe „Bevölkerung“. Viele Bürgerinitiativen gründen sich erst, wenn das Projekt bereits so weit Kontur angenommen hat, dass es nur noch schwer zu verändern ist. Für gutes Stakeholdermanagement bildet dies eine schlechte Ausgangslage. In der Tat dauert es eine Weile, bis sich in der Öffentlichkeit feste Meinungen zu einem Großprojekt bilden. Anfangs hat man es mit Stimmungen zu tun. Befürchtungen werden geäußert, Gerüchte verbreiten sich. Fachleute staunen dann, wie wenig Teile der Bevölkerung wissen. Da hilft nur zielgruppengerechte Kommunikation - verständlich, im Dialog und auf Augenhöhe. Provokant gefragt: Wie sollen Projektmanager mit so einer diffusen Interessengruppe arbeiten können? Mit Politikern oder Behörden kommt man recht schnell zu Verhandlungen und Gesprächen. Mit der Bevölkerung scheinbar nicht. Die öffentliche Meinung bildet sich langsam. Am Anfang stehen nur vage Sorgen, Einwände und Ängste, aus denen sich langsam eine Meinung, eine Haltung zum Projekt herausbildet. In dieser frühen Phase haben Projektträger die Chance, Gehör zu finden. Sie können Sorgen entkräften, Gerüchten die Nahrung entziehen und Vertrauen aufbauen. Dafür muss man aber das öffentliche Stimmungsbild rechtzeitig analysieren. Dies hat man für „Stuttgart 21“ getan. Man hat in den Neunzigerjahren die Stimmung in der Bevölkerung kartografiert. Ja, und dabei zeigte sich, dass die unterschiedlichen Dimensionen des Projekts sehr unterschiedlich bewertet wurden. Die Bevölkerung hat schon damals die Finanzierung des Großprojekts eher kritisch gesehen, Ähnliches gilt für mögliche Probleme mit Umwelt und Geologie der Region. Positiv indes wurden die Chancen für die Wirtschaftsdynamik betrachtet. Auch die Möglichkeiten für den Fernverkehr hat man begrüßt. Eine doch recht gute Ausgangslage für das Projekt! Was ist danach schiefgelaufen? Es wurden nicht die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Nach dieser Analyse hätte eine Kommunikationsstrategie entwickelt werden müssen. Man hätte versuchen können, die festgestellten Vorbehalte auszuräumen. Dies Stimmungsbild analysieren 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2011 14 REPORT PM_1-2011_1-26_36-60: Inhalt 31.01.2011 13: 43 Uhr Seite 14 ist nicht geschehen. Man hat den Projektgegnern damit ... ... eine offene Flanke geboten? Wenn Sie es so nennen wollen - ja, das hat man. Es rächt sich, wenn man die in einem Stimmungsbild sich ausdrückenden Sorgen und Ängste nicht ernst nimmt, Informationen nur auf Drängen herausgibt und sich dem Dialog entzieht. Damit treibt man die Bevölkerung den Projektkritikern in die Arme. Projektträger sollten verstehen, dass sich früh zu Wort meldende Skeptiker und Kritiker wertvoll und hilfreich sind. Sie sind ein Seismograf für Stimmungen. Wer Kritiker als Störer abweist, verschließt letztlich auch eine Informationsquelle. Mit einem Wort: Das Ziel früher Projekt-PR besteht darin, dass sich aus Stimmungen, Einwänden, Fragen und „gefühlten Problemen“ kein handfester Widerstand entwickelt? Dies genau ist die Aufgabe. Man muss, um es bildhaft zu beschreiben, dem aufflammenden Feuer Sauerstoff entziehen. Sauerstoff in diesem Fall sind mangelnde Informationen für den Verstand und mangelnde Visionen für das Herz. Überlässt man Skepsis sich selbst, dann entwickelt sie ein Eigenleben - bis hin zu handfestem Protest, der zum Flächenbrand werden kann. Die Gruppen schaukeln sich gegenseitig hoch. Sie machen die Öffentlichkeit immer misstrauischer: Mit diesem Argwohn wird dann jede neue Information betrachtet: „Welche Hinterhältigkeit steckt nun wieder dahinter? “ In Stuttgart kann die Bahn heute erklären, was sie will. Bei den Kerngruppen der Gegner wird sie damit keinen Blumentopf mehr gewinnen. Dort wird jede Äußerung der Projektträger als neue Intrige und gezielte Desinformation fehlinterpretiert. Dann skandieren die Projektgegner „Lügenpack“. Wer die Protestwelle gegen „Stuttgart 21“ genau betrachtet, wird auf einen Unterschied zu vielen anderen Protesten aufmerksam. Der Widerstand beschränkt sich nicht auf kleine Gruppen, die Radau machen. Er zieht sich quer durch die Bevölkerung, durch jedes Alter, durch alle Schichten und Milieus. Sind die Bürger plötzlich kritischer und politisch aktiver geworden? Zum einen fühlen sich in Stuttgart viele Menschen von der Politik getäuscht. Vor Jahren hat man ein Bürgerbegehren zu „Stuttgart 21“ angestrebt. Der Oberbürgermeister hat ursprünglich zu erkennen gegeben, dass ein solches Begehren unter bestimmten Umständen durchgeführt werden kann; am Ende hat er es aus juristischen Gründen dann doch abgelehnt. Nicht nur der Kern der Projektgegner, sondern erhebliche Teile der Bevölkerung fühlten sich verschaukelt. So verschafften sie sich eben auf der Straße Gehör. Stuttgart ist also ein Sonderfall? Nicht nur. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich in der Bevölkerung einiges verändert. Erstens ist in vielen Bevölkerungsschichten die Fähigkeit gewachsen, „Dem Feuer Sauerstoff entziehen“ Informationen zu verarbeiten und zu bewerten. Die Bildung und - damit verbunden - die kognitive Kompetenz sind gestiegen. Damit wächst auch das Selbstvertrauen der Menschen, die eigene Stimme zu erheben und sich ins politische Geschehen einzumischen. Wächst mit dieser Bildungsexpansion auch das politische Selbstbewusstsein in der Bevölkerung? Ja - und zwar vergleichsweise unabhängig von der Parteineigung der Menschen. Darüber hinaus - dies ist der zweite Punkt - hat sich der Umgang mit Medien drastisch verändert. Spielen Sie auf das Internet an? Genau. Das Internet spielt eine zentrale Rolle. Die Menschen haben es heute leicht, schnell und unaufwendig Informationen zu finden und auszutauschen. Denken Sie an die Protestbewegung der 80er-Jahre, beispielsweise an den Widerstand gegen den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen. Damals hat die Protestbewegung Flugblätter gedruckt, Akten zur Einsicht in ihren Geschäftsstellen ausgelegt und Telefonketten organisiert. Mühe und Aufwand, die nur die Kerngruppen der Gegner auf sich genommen haben. „Stuttgart 21“ - nicht nur ein Sonderfall projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2011 l 15 Anzeige PM_1-2011_1-26_36-60: Inhalt 31.01.2011 13: 43 Uhr Seite 15 Richtig! Dagegen hat die Protestbewegung in Stuttgart gezeigt, wie schnell sich Gegner im Internet aufstellen und viele Menschen erreichen können. Die Gegner sind geschickt vorgegangen. Sie haben die Themen aufgefächert und verschiedene Websites aufgebaut - jeweils mit Themenschwerpunkten. Die Seiten sind miteinander verlinkt; Nutzer werden hin und her geführt. Um mit den Anliegen der Projektgegner in Kontakt zu kommen, muss man nicht mehr zwingend Versammlungen oder Informationsveranstaltungen besuchen. In vielen Internetforen, in denen sich die Nutzer selbst äußern können, vermischen sich Tatsachen mit Gerüchten und Meinungen mit Fakten, Schmähungen mit sachlichen Äußerungen. Man sagt, selbst von haltlosen Gerüchten bleibt immer etwas hängen. Haben Projektträger überhaupt eine Chance, sich dagegen durchzusetzen? Argumente und Gerüchte, die auf den Seiten der Gegner geäußert werden, wirken erst, wenn sie in der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fallen. Durch frühe, intensive PR-Arbeit können Projektträger dem vorbeugen. Und: Auch die Befürworter eines Projekts und die Projektträger selbst können sich das Internet zunutze machen. Beim Projekt „Stuttgart 21“ hat man dies erst sehr spät realisiert. Wie können sich Projektmanager beim Dialog mit der Öffentlichkeit das Internet zunutze machen? Ich sehe vor allem zwei Ansätze. Zum einen ist das Internet ein Seismograf für die öffentliche Meinung. Unternehmen können das Internet für das Monitoring verwenden. Welche Foren gibt es zu einem bestimmten Thema? Welche Diskussionen werden dort geführt? Welche Argumentationsmuster gewinnen an Bedeutung, welche Bedenken werden geteilt? Früher wurden Diskussionen in Hinterzimmern geführt. Heute können Projektträger die Meinungsbildung im Internet live verfolgen. Diese Transparenz ist enorm gewachsen, ein großer Vorteil. Solche Erhebungen kann man doch mittels Umfragen durchführen … Selbstverständlich. Bei repräsentativen Umfragen kann man erkennen, welche Einwände von welchen Bevölkerungsgruppen geteilt werden, wie alt die Mitglieder dieser Gruppen sind, welche Bildung und welches Einkommen sie haben, welchen Berufen sie nachgehen und in welchen Milieus sie sich bewegen. In Stuttgart haben wir beispielsweise festgestellt: Frauen lehnen dieses Projekt häufiger und intensiver ab als Männer. Dies überrascht nicht. Das Vorhaben wurde als ingenieurgetriebenes Technikprojekt vermittelt. Um diesen Punkt zusammenzufassen: Die Umfrage ermöglicht Detailanalysen zu einem bestimmten Zeitpunkt - und das Monitoring des Internets unterstützt die fortlaufende Beobachtung der Stimmungslage. Richtig. Wobei durch das Monitoring die Chancen des Internets nicht ausgeschöpft sind. Neues Medium „Internet“ Wie kann man das Internet darüber hinaus beim Stakeholdermanagement einsetzen? Das Internet ist geradezu prädestiniert für den Dialog mit der Bevölkerung. Auf der eigenen Homepage kann dieser offene Dialog angeboten werden. Dies setzt freilich voraus, dass der „Kontakt“-Button nicht versteckt wird - und dass Bürger, die auf dieses Angebot eingehen, nicht mit vorgefertigten Standardantworten abgespeist werden. Das, was hereinkommt, muss sorgfältig und wertschätzend bearbeitet werden. Man braucht dafür Redakteure, die auf geäußerte Fragen, Einwände und Bedenken eingehen. Davor scheuen sich Unternehmen - nicht allein wegen des Aufwands. Letztlich geben sie die Kontrolle über die Kommunikation auf. Natürlich gibt man ein Stück der eigenen Kontrolle aus der Hand. Wer beispielsweise ein Forum betreibt, muss auch kritische Äußerungen in Kauf nehmen. Indes ist die Vorstellung, man könne Kommunikation heute noch kontrollieren, ohnehin pure Illusion. Von dieser Idee sollten sich Projektträger sehr schnell lösen. Werden wir bitte konkret. Eingangs haben Sie von Projektträgern früh einsetzende Kommunikation mit der Bevölkerung gefordert. Wie können Projektmanager in den Dialog einsteigen? Projektmanagern bietet sich eine zweigleisige Vorgehensweise an. Zum einen können sie die Einstellungen der Bevölkerung beispielsweise durch Monitoring des Internets analysieren. Dazu gehören nicht nur klassische Homepages von Interessengruppen, sondern auch Social Networks wie Facebook oder StudiVZ und Social-Media- Netzwerke wie Youtube. Zum anderen sollten sie früh mit Interessenverbänden, Bürgerinitiativen oder anderen Organisationen in einen Dialog treten, die in der Öffentlichkeit als Multiplikatoren auftreten. Beispielsweise Umweltschutzverbände, Verbraucherschützer, Interessenvertretungen ...? Richtig. Diese Gruppen stehen möglicherweise dem Projekt skeptisch gegenüber. Sie sind in dieser Frühphase aber selten unversöhnliche Gegner des Vorhabens. Wie darf ich dies verstehen? Verbände und Initiativen suchen häufig zunächst das direkte Gespräch, um ihre Bedenken und Interessen geltend zu machen. Erst wenn dies scheitert, versuchen sie Druck über die Bevölkerung aufzubauen. Das Ziel besteht also darin, dass diese Organisationen nicht direkt die Öffentlichkeit mobilisieren. Man spricht mit den Verbänden - und meint eigentlich die Öffentlichkeit? Es geht um beides: Einerseits ernsthaft mit diesen Interessengruppen zu reden und ihre Interessen, wenn mög- Kontrolle von Kommunikation? Kommunikation in der Sprache der Laien 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2011 16 REPORT PM_1-2011_1-26_36-60: Inhalt 31.01.2011 13: 43 Uhr Seite 16 lich und sinnvoll, zu berücksichtigen. Andererseits muss man mit der Bevölkerung, die von den Gruppen mobilisiert werden könnte, auch direkt kommunizieren. Die Verständlichkeit von Information spielt bei der Öffentlichkeitsarbeit für Projekte eine wichtige Rolle. Mit dieser Aufgabe, Informationen für Laien aufzubereiten, tun sich viele Fachleute schwer. Sie wissen nicht, welche Informationen sie geben und auf welche Punkte sie sich konzentrieren sollen. In der Regel kommuniziert man Argumente für ein Projekt; man begründet es, wirbt für das Ziel und versucht, Irrtümern zu begegnen oder Gerüchte zu zerstreuen. Die Analyse der öffentlichen Meinung gibt bereits Hinweise auf den Informationsbedarf in der Bevölkerung. Die Argumente für das Projekt sind in verständliche Botschaften zu kleiden. Wir sprachen vorhin davon, wie schwierig es für Fachleute ist, in der Sprache der Laien zu informieren. Dafür braucht man Kommunikationsfachleute, die Fachsprache in verständliche Sprache übersetzen. Dazu gehört: keine Bandwurmsätze, Wortungetüme und Schachtelsätze. Sätze sollten in der Regel nicht länger als zwölf Wörter sein. Es sollten gebräuchliche Wörter verwendet werden. Fachbegriffe sind zu vermeiden oder zu erklären. Anglizismen werden eher von jungen Zielgruppen verstanden. Zudem sollte aktiv statt passiv und konkret statt abstrakt kommuniziert werden. Entlarvt sich nicht diese künstliche PR-Sprache von allein? Statt von Abriss wird mancherorts von „Rückbau“ gesprochen ... Verständlichkeit ist nicht mit künstlicher PR-Sprache gleichzusetzen. Nur wer verstanden wird, kann auch überzeugen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor einiger Zeit wurde in der Diskussion um das Gesundheitswesen ein Vorschlag mit dem Begriff „Kopfpauschale“ belegt. Weshalb man dieses Wort gewählt hat, ist mir ein Rätsel; es weckt nur negative Assoziationen und verfehlt völlig sein Ziel. Kurz, dieser Begriff hat ein Eigenleben entwickelt und den Vorschlag beschädigt, bevor dieser überhaupt sinnvoll diskutiert werden konnte. Anders der Schachzug von Franz Müntefering: Er verwendete den Begriff „Heuschrecken“ für ausländische Finanzinvestoren. Der Begriff hat gewirkt, beim Wort „Heuschrecken“ hat jeder sofort gierige, gefräßige, über alles herfallende und alles vernichtende Plagegeister im Sinn. Solche Wortschöpfungen fallen nicht vom Himmel. Sie werden an Fokusgruppen getestet. Nur so kann man Sachargumente zu inspirierenden, selbsterklärenden Botschaften weiterentwickeln, die in den Köpfen der Menschen hängen bleiben. Wenn man seine Positionen nicht mit Bildern transportieren kann, benötigt man eben Sprachbilder. Und diese sollten positiv besetzt sein. Statt vom „Abriss“ wird dann vom „Rückbau“ gesprochen. Ein Problem wird das erst, wenn die Realität eher an einen Abriss als an einen Rückbau erinnert. Dann wird Kommunikation unglaubwürdig. Vorsicht bei der Wortwahl! Für „Stuttgart 21“ hat man eigens einen Sprecher bestellt, der die Botschaften nach außen trägt. Eine gute Maßnahmen, die allerdings viel zu spät kam. Bei öffentlichen Großprojekten sollte man frühzeitig nach Menschen suchen, die das Projekt nach außen repräsentieren und die Botschaften transportieren. Gesichter sind in den Public Relations sehr wichtig. Die Gegenseite hatte viel früher Fürsprecher, beispielsweise einen bekannten Schauspieler, der sich für die Anliegen einsetzte. Welche Menschen kommen für diese Projektrepräsentanz infrage? Man braucht Personen mit einem gewissen Ansehen, die Glaubwürdigkeit und Integrität ausstrahlen. Und sie müssen in einem nachvollziehbaren Zusammenhang mit den Projektinhalten stehen. Also nicht die klassischen Experten, die mitten in der Sache stehen? Nicht unbedingt. Bei der Wahl des Repräsentanten muss man sehr vorsichtig sein. Da werden viele Fehler gemacht - wie übrigens auch in der Symbolik! Symbolik? Was ist damit gemeint? Dazu gehören beispielsweise Bilder und Handlungen, die vorzugsweise von der Presse aufgegriffen werden. Emotional aufgeladene Bilder von verletzten Demonstranten, gefällten Bäumen oder einem sich ins Gemäuer fressenden Abrissbagger interpretiert jeder Betrachter in wenigen Millisekunden. Diese Bilder wecken Assoziationen, sie scheinen selbsterklärend und beeinflussen das Meinungsklima enorm. Deshalb sollten Projektträger auf die Symbolik ihres Handelns achten, sie für ihre Ziele nutzen - und vor allem nicht durch ungeschickte Symbolik oder schlechtes Timing den Gegnern in die Hände spielen. Timing? Manche Handlungen mit negativer Symbolik lassen sich nicht vermeiden. Dann muss man darauf achten, nicht in eine zeitlich ungünstige Gemengelage zu geraten. Wenn die äußeren Umstände für eine bestimmte Handlung schlecht sind, verschiebt man sie besser. Anderenfalls kann das gesamte Projekt diskreditiert werden. Auch die Gegner von „Stuttgart 21“ haben sich der Symbolik bedient. Am Bauzaun hingen Flugzettel und kreativ gestaltete Basteleien, auch Parolen mit politischer Stoßrichtung. „Wir sind das Volk! “ Dieser Slogan suggeriert Parallelen zum DDR-Regime. Politikern wird unterstellt, sie seien Repräsentanten eines Unrechtsregimes. Am Bauplatz hing auch ein Plakat, auf dem stand: „Platz des himmlischen Friedens“. So etwas geht eindeutig zu weit. Statt sachlich zu argumentieren, werden die Handelnden in „gut“ und „böse“ eingeteilt. Durch Moralisieren und Kriminalisieren werden Projektbefürworter in eine bestimmte Ecke gestellt. Die Gegner des Projekts kämpfen dann vermeintlich gegen „Unrecht“ ... Symbolik nutzen projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2011 l 17 PM_1-2011_1-26_36-60: Inhalt 31.01.2011 13: 43 Uhr Seite 17 Gegen solche Kampagnen kann sich ein Unternehmen doch kaum zur Wehr setzen. Wenn der Konflikt bereits so stark eskaliert ist, dann wird Kommunikation sehr schwer. Bei „Stuttgart 21“ macht es die erreichte Eskalationsstufe unmöglich, überhaupt noch zu einer Einigung zu kommen. Im Zuge des Projekts ist zwischen Befürwortern und Gegnern tiefes Misstrauen entstanden. In solchen Situationen muss alle Aufmerksamkeit dem Ziel dienen, die Diskussion so weit wie möglich wieder zu versachlichen - und sie nicht weiter eskalieren zu lassen. Weshalb dann noch die Schlichtung? Die Schlichtung konnte zwar keine Einigung in der Sache herbeiführen - zumindest nicht zwischen den Kerngruppen der Konfliktparteien. Ein Kompromiss zwischen einem Kopf- und einem Durchgangsbahnhof ist eben nicht möglich. Dennoch erfüllte die Schlichtung eine sehr wichtige Aufgabe: Sie hat die Eskalationsspirale gestoppt. Und sie hat dazu beigetragen, die zuvor eingeforderte Transparenz herzustellen. Beispielsweise begegneten die Landesregierung und die Bahn AG den Gegnern des Projekts auf Augenhöhe. Nicht zuletzt hat sie viele Bürger in die Lage versetzt, sich durch das Verfolgen von Rede und unmittelbarer Gegenrede eine eigene Meinung zu bilden - das zeigen zumindest unsere Umfragen, die wir direkt vor und nach der Schlichtung durchgeführt haben. Aber es stimmt: Eine solche Schlichtung sollte künftig als Moderation am Anfang von Projekten stehen - und nicht erst am Ende, wenn es eigentlich zu spät dafür ist. Bestehen also Zweifel an dieser Maßnahme? Nein, sie war völlig richtig. Sie war in der konkreten Situation das einzige Mittel, das überhaupt noch infrage kam. Aber normalerweise sollte der Dialog früher stattfinden. Die Öffentlichkeitsarbeit eines Projekts muss das Ziel haben, verhärtete Fronten und damit auch eine nachgeordnete Schlichtung zu vermeiden. Bekanntlich kann man nicht jeden Wunsch, jeden Einwand, jede Anforderung von Stakeholdern im Projekt berücksichtigen. Manche Interessen muss der Projektmanager abweisen. Selbstverständlich. Das ist auch möglich. Drei Voraussetzungen sind dafür aber wichtig: Erstens müssen die Stakeholder überhaupt eine Chance haben, auf Augenhöhe bei dem Projektträger Gehör zu finden. Zweitens muss die Entscheidung öffentlich nachvollziehbar begründet werden. Drittens darf der Ruf des Projektträgers nicht so beschädigt sein, dass diese Entscheidung unfair wirkt. Wer in der Vergangenheit einen kooperativen Umgang mit den öffentlichen Stakeholdern gepflegt hat, wird schneller Akzeptanz für seine Entscheidungen finden. Die Öffentlichkeitsarbeit, wie Sie sie skizziert haben, erscheint aufwendig. Für viele Projekte dürfte ein solcher Aufwand schlichtweg zu groß sein ... Diskussion versachlichen Richtig ist, dass man die Öffentlichkeitsarbeit für öffentlich sichtbare Großprojekte ausbauen muss. Daran wird in Zukunft kaum ein Weg vorbeiführen. In den Projektteams braucht man Spezialisten für die Beobachtung und Gestaltung der öffentlichen Meinung, so, wie man Ingenieure beispielsweise für die Antriebstechnik und Geologen für den Baugrund braucht. Der Schaden, der „Stuttgart 21“ durch die eskalierenden Proteste entstanden ist, wird wohl deutlich höher sein als die Aufwendungen für eine professionelle Begleitung durch Öffentlichkeitsarbeit. Können Projekte, die ähnlich wie in Stuttgart in das Kreuzfeuer der Gegner geraten, auch Schatten werfen auf die Projektträger selbst? Selbstverständlich können sie auch den beteiligten Unternehmen Schaden zufügen. Die Reputation kann leiden; ein Reputationsrisiko besteht immer. Reputationsrisiko? Heute stellt die Reputation, der „gute Ruf“ eines Unternehmens, einen zentralen immateriellen Vermögenswert dar. Dies ist ein Wert, der durchaus mit materiellen Gütern wie Grundbesitz oder Maschinen vergleichbar ist. Viele Unternehmen investieren in den Erhalt ihrer Maschinen, aber noch nicht genug in den Aufbau und den Erhalt ihrer Reputation. Unternehmen, die ihren Ruf zu verteidigen haben, müssen rasend schnell auf Kritik reagieren. Kinderarbeit in der Textilbranche, Dumping-Löhne bei der Produktion von Computern, Schadstoffe in Spielzeug - solche Probleme müssen schnell beseitigt werden. Anderenfalls übertrifft der Reputationsschaden ein Vielfaches der Summe, die zur schnellen Lösung der Probleme hätte aufgewendet werden müssen. Was bedeutet dies für Unternehmen? Sie sollten ihre gesamte Wertschöpfung - von der Quelle ihrer Rohstoffe bis zum verkaufenden Handel - kritisch betrachten. In der globalisierten Welt gibt es keine Informationsbarrieren. Wer beispielsweise seine Reputation in Asien aufs Spiel setzt, riskiert seinen guten Ruf automatisch weltweit - auch auf dem heimischen Markt. Dafür braucht man Reputationsrisikomanagement. Projekte sind bekanntlich Teile von Unternehmen ... Allein schon wegen des Reputationsrisikos sollten Unternehmen ihren Projektteams die Mittel an die Hand geben, professionelle Öffentlichkeitsarbeit für ihr Projekt zu machen. Eskalationen wie beim Projekt „Stuttgart 21“ sind zwar selten, können aber den Ruf eines Unternehmens auf viele Jahre hin beschädigen. Der „gute Ruf“ als Vermögenswert 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2011 18 REPORT PM_1-2011_1-26_36-60: Inhalt 31.01.2011 13: 43 Uhr Seite 18