eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 22/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
31
2011
222 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Beschreibung von komplexen Projektstrukturen

31
2011
Michael Frahm
Komplexität begegnet uns überall im Projektgeschäft. Aus diesem Grund versucht der vorhandene Beitrag verschiedene Begriffe und Kriterien einzuführen, um Projektstrukturen und ihre Komplexität besser beschreiben zu können. Hierzu wurden aus verschiedenen Wissensgebieten wie der Biologie, den Ingenieurwissenschaften, dem kybernetischen Management Ansätze zusammengetragen. Nach dem Lesen dieses Artikels haben Sie ein Gefühl für Knoten und Wechselbeziehungen, für Varietäten und Komplexität von Projektstrukturen im Projektmanagement.
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Allgemeines Naturgemäß ist für uns alles, was nicht leicht erklär- oder beschreibbar ist, „kompliziert“ oder auch „komplex“. In der Literatur finden sich, sehr ausführlich beschrieben, verschiedene Eigenschaften von Komplexität. Nachfolgend sind einige davon, welche man einer komplexen Struktur zuordnen kann, erläutert. Nicht nur, wie landläufig erwartet, sind Budget (Kosten) und Dauer (Termine) ein Merkmal, sondern auch die Elementvielfalt (Messmöglichkeit anhand der Menge der Elemente eines Systems und deren Unterscheidung), die Beziehungsvielfalt (z. B. soziologische, organisations- und arbeitspsychologische, technische und kaufmännische Beziehungen der Elemente etc.), die sehr hohe Wahrscheinlichkeit von Veränderungen der statischen Struktur und die Nichtvorhersagbarkeit von Wirkungsweise und Entwicklung [1] [2]. Der vorliegende Beitrag soll sich damit befassen, wie man Projektstrukturen beschreiben kann, welche wir, womöglich auch subjektiv, als komplex einstufen. Aus der Sicht des Verfassers ist eine entscheidende Frage: Wie kann deren Zustand formal beschrieben werden und wie könnte eine mögliche Klassifizierung der Struktur aussehen? Das würde heißen: Eine zu entwickelnde Methode sollte im Falle der Projektstrukturierung modellhaft alle vorhandenen Organisationsteile und deren Wechselwirkungen (soziologisch, organisations- und arbeitspsychologisch, technisch und kaufmännisch) beschreiben und abbilden können. Bekannte und gängige Praxis ist die Darstellung von Organisationsstrukturen über horizontale/ vertikale und gemischte Organigramme. Diese stellen die Hierarchie, die organisatorischen Einheiten, deren Aufgabenverteilungen und Kommunikationsbeziehungen dar. Sie sind vereinfachte Darstellungen einer Projektstruktur, sind aber für die üblichen Einsatzzwecke durch praktischen Einsatz vielfach bestätigt und geeignet. Eine formale Beschreibung für einen Vergleich der geplanten mit einer vorhandenen Struktur ist mit zweidimensionalen Betrachtungen allerdings nur bedingt möglich. Daher wird für den vorliegenden Beitrag zur Beschreibung der Projektstruktur ein räumliches System gewählt, welches mittels Vektoren formuliert werden kann. Vorteil dieser Vorgehensweise ist die um eine Ebene/ Dimension ergänzte sowohl formale (mathematische) als auch grafische Darstellung. Von großem Nutzen wird die mathematische Formulierung insbesondere dann, wenn man beginnt außer der reinen Struktur auch Wechselbeziehungen (Verbindungen zwischen den Elementen) darzustellen. Hierzu bietet die vektorielle Darstellung, wie nachfolgend dargestellt, eine Vielfalt an Möglichkeiten. Wer Ähnlichkeiten mit dem biologischen Vorbild, den Nervenzellen und den neuronalen Netzwerken, oder mit der numerischen Mathematik und der Finite-Elemente- Methode erkennt, liegt in seiner Annahme richtig. Das Ziel einer solchen Formulierung ist, die Strukturen weitgehend transparent zu machen. Dadurch kann die Möglichkeit geschaffen werden, Schwächen der Ele- 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2011 22 WISSEN Michael Frahm Beschreibung von komplexen Projektstrukturen Die Fragen des Beitrags lauten: 1.) Wie können Strukturen formal beschrieben werden? 2.) Wie könnte eine mögliche Klassifizierung der Struktur aussehen? Beide Fragen werden im Rahmen des Artikels beantwortet. Abschließend lässt sich feststellen: Die Existenz vieler Wechselbeziehungen bedeutet, dass ein hoher Grad an Information für verschiedenste Arten von Beziehungen vorliegt. Diese Informationen können möglicherweise nicht in ausreichendem Maße durch die vorhandenen Strukturen verarbeitet werden. Dann kommt es zum „Informations-Overkill“. Daher ist es nach einer formalen Beschreibung der Struktur interessant zu wissen, welche Wechselbeziehungen existieren können, zu welcher Art sie gehören, wie sie ausgeprägt sind und wie sie sich verhalten. Durch die Bestimmung der Wechselbeziehungen lassen sich Organisationsmodelle realitätsnah modellieren und vielleicht als komplexe Struktur identifizieren. Komplexität begegnet uns überall im Projektgeschäft. Aus diesem Grund versucht der vorhandene Beitrag verschiedene Begriffe und Kriterien einzuführen, um Projektstrukturen und ihre Komplexität besser beschreiben zu können. Hierzu wurden aus verschiedenen Wissensgebieten wie der Biologie, den Ingenieurwissenschaften, dem kybernetischen Management Ansätze zusammengetragen. Nach dem Lesen dieses Artikels haben Sie ein Gefühl für Knoten und Wechselbeziehungen, für Varietäten und Komplexität von Projektstrukturen im Projektmanagement. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ PM_2-2011_1-56: Inhalt 30.03.2011 8: 59 Uhr Seite 22 mente und ihrer Wechselbeziehungen besser sichtbar zu machen. Es könnte bestimmt werden, wo Regulierungsinstrumente installiert werden sollten. Eine solche Anwendung empfiehlt sich insbesondere für große Projektstrukturen, welche durch einen hohen technischen und prozessualen Integrationsgrad gekennzeichnet sind [3]. Die nachfolgende Vorgehensweise liefert einen ersten Ansatz. Die vom Verfasser hierzu aufgestellten Grundlagen sollen im Weiteren vorgestellt und erläutert werden. Definition des Knotens Mit nachfolgender Gleichung (1) wird die allgemeine mathematische Formulierung des Knotens im Raum vorgenommen. Der Knoten ist die Grundlage der Projektstruktur und wird in den nachfolgenden Beispielen 1 bis 3 als Kugel dargestellt. Die Knoten sind die Schnittstellen und Schaltzentralen. An ihnen laufen die Fäden sprichwörtlich zusammen. Zur besseren Veranschaulichung sehen Sie in Abbildung 1 die Visualisierung eines neuronalen Netzwerkes mit Knoten und Verbindungen von Nicolas P. Rougier. Den Knoten werden die Kriterien Knotennummer, Ordnungsebene und Ordnungseinheit zugeordnet: r ijx {R ij } = [ r ijy ] (1) r ijz mit folgenden Eigenschaften: R = Raummatrix r = Knoten i = Ordnungsebenen j = Organisationseinheit x, y, z = Vektor Die Vorgehensweise in diesem Beitrag, mag recht formal und praxisfremd erscheinen, doch im Hinblick auf eine spätere elektronische Verarbeitung von Daten ist das streng formale Vorgehen unerlässlich. Beispiel 1: Räumliche Darstellung einer Projektstruktur mit zwei Ordnungsebenen In Abbildung 2 wird mit dem dargestellten Beispiel 1 die praktische Umsetzung der oben beschriebenen Formel (1) vorgenommen. Wie zu sehen ist, handelt es sich bei dieser Projektstruktur um eine auf den ersten Anblick einfache und kleine Organisationseinheit. Sie ist mit folgenden Knoten (als Kugeln dargestellt) ausgestattet: einer Projektleitung (PL), welche sich hierarchisch auf der 1. Ordnungsebene befindet. Es folgen fünf nachgeschaltete Knoten (als Kugeln dargestellt) auf der 2. Ordprojekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2011 l 23 Abb. 1: Neuron SEM Bild: Nicolas P. Rougier, 2005 Stab 0 8 0 , 1 PL OE R Ordnungsebene 1 Ordnungsebene 2 AL2 AL3 AL4 4 6 2 0 2 -1 -2 1 x y z 0 2 2 2 8 2 0 14 2 2 8 2 0 8 2 , 2 AL OE R Stab AL 1 AL 2 AL 3 AL 4 PL Legende: PL: Projektleitung AL: Abschnittsleitung/ Teilprojektleitung Stab: Stab/ beratende Stellen AL1 PL 8 Abb. 2: Beispiel 1 PM_2-2011_1-56: Inhalt 30.03.2011 8: 59 Uhr Seite 23 nungsebene. Diese bestehen aus vier Abschnittsleitungen (AL) einzelner Teilprojekte und einer Stabsstelle. Auch wenn die Projektstruktur aus Beispiel 1 klein erscheint, so ließe sich mit ihr doch schon einiges an Projektmanagementarbeit bewältigen. Aber ist sie deswegen schon komplex? Diese Frage kann mit diesem Beispiel noch nicht beantwortet werden, allerdings ist nach Lesen des 2. und 3. Beispiels eine bessere Einschätzung möglich. Summe der Wechselbeziehungen Der Knoten als Schnittstelle der Projektstruktur wurde oben erläutert. Befassen wir uns nun mit den Lebensadern der Struktur, den Wechselbeziehungen. Die Wechselbeziehungen sind die Verbindungen zwischen den Knoten. Die Summe der Wechselbeziehungen könnte als wichtiges Messkriterium identifiziert werden. Die Summe wird unter Betrachtung der einzelnen Knoten zueinander bestimmt. Dabei ist der Grad eines Knotens die Anzahl seiner jeweiligen Nachbarn. Je mehr Knoten benachbart sind, desto höher wird der Grad der Wechselbeziehungen einer Struktur und desto mehr Wechselwirkungen finden statt bzw. desto mehr Verbindungen bestehen [4]. Die allgemeine Formulierung zur Ermittlung der Summe der Wechselbeziehungen lautet wie folgt: [N ij ] · [G ij ] = [W ij ] (2) mit folgenden Eigenschaften: N = Anzahl der Knoten G = Grad der Wechselbeziehung W = Summe der Wechselbeziehungen i = Ordnungsebene j = Organisationseinheit Beispiel 2 - Projektstruktur mit Angabe der Wechselbeziehungen Die Abbildung 3 zeigt eine allgemeine Projektstruktur, bestehend aus insgesamt 53 Knoten mit vier Ordnungsebenen. Das Beispiel dient dazu, die oben eingeführte Formel (2) zur Ermittlung der Wechselbeziehungen zu erläutern. Zu sehen ist in der 1. Ordnungsebene die Projektleitung (PL) mit 41 Wechselbeziehungen zu der nachgeschalteten 2. Ordnungsebene (AL), welche aus vier einzelnen Teilprojekten und einem Stab besteht. Die vier Teilprojekte/ Abschnitte (AL) haben in Summe ebenfalls 41 Wechselbeziehungen untereinander und zu der darunterliegenden 3. Ordnungsebene (P). In Ordnungsebene 3 (P) sind acht Planungs- und Entwicklungseinheiten und die in dieser Hierarchiestufe liegenden Stäbe dargestellt. Des Weiteren sind die den Planern zugeordneten Nachunternehmer (NU) in Ordnungsebene 4 dargestellt. Vor allem die 3. Ordnungsebene (P) fällt mit ihren 116 Wechselbeziehungen auf. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden für die Ordnungsebenen 3 (P) und 4 (NU) Zwischenknoten eingeführt, welche den Grad der Wechselbeziehungen zu einer nachfolgend kommenden Organisationseinheit anzeigen. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2011 24 WISSEN 5 5 5 4 4 NU 2 NU 2 P2 6 S 6 P3 6 Stab 5 P1 6 AL1 9 AL2 9 AL3 9 Stab 5 PL 41 AL4 9 Ordnungsebene 1 Ordnungsebene 2 Ordnungsebene 3 Ordnungsebene 4 Legende: PL: Projektleitung AL: Abschnittsleitung/ Teilprojektleitung Stab: Stab/ beratende Stellen P: Planer (im jeweiligen Abschnitt) NU: Nachunternehmer (im jeweiligen Abschnitt) Grad der Wechselbeziehungen Zwischenknoten (gibt den Grad der Wechselbeziehungen zu einer untergeordneten OE an) Knoten Abb. 3: Beispiel 2 PM_2-2011_1-56: Inhalt 30.03.2011 8: 59 Uhr Seite 24 Trägt man die Wechselbeziehungen über die Formel Σ W ij (3) differenziert über die einzelnen Ordnungsebenen in ein Diagramm ein, so lässt sich daraus die Summe der Wechselbeziehungen ermitteln und eine Trendlinie erzeugen, welche in Abbildung 3 als Diagramm dargestellt ist. Nachfolgend ist auf Basis der Formel (2) das Beispiel mathematisch allgemein formuliert und mit Werten hinterlegt wiedergegeben: OE 1: N OE1,PL · G OE1,PL = W OE1,PL (4) OE 2: N OE2,AL · G OE2,AL + N OE2,S · G OE2,S = W OE2,AL+S (5) OE 3: N OE3,P · G OE3,P + N OE3,S · G OE3,S = W OE3,P+S (6) OE 4: N OE4,NU · G OE4,NU = W OE4,NU (7) OE 1: 1 · 41 = 41 = W OE1,PL (8) OE 2: 4 · 9 + 1 · 5 = 41 = W OE2,AL+S (9) OE 3: 16 · 6 + 4 · 5 = 116 = W OE3,P+S (10) OE 4: 32 · 2 = 64 = W OE4,NU (11) Die Summe aller Wechselbeziehungen: Σ W ij = 262 (12) Die Summe aller Knoten: Σ N ij = 58 (13) Die Trendlinie, genauer gesagt deren Lage und Ausprägung, könnte eine interessante Rolle bei der Beurteilung der Komplexität einer Projektstruktur spielen. Berechtigterweise stellt sich wieder, wie bei Beispiel 1, die Frage: Ist diese Struktur nun komplex? Sie ist doch bereits erheblich größer als die Struktur aus dem ersten Beispiel, welche nur aus sechs Knoten besteht. Diese besteht immerhin schon aus 53 Knoten. Man kann jetzt versuchen, diese Frage zu beantworten: Die Struktur ist auf Basis der Daten, welche im obigen Diagramm als Trendlinie wiedergegeben werden, vorerst als „nicht komplex“ oder als einfach deterministisch zu beurteilen. Wie die Beurteilung vorzunehmen ist und warum die Struktur aus Beispiel 2 nicht als komplex zu beurteilen ist, wird nachfolgend unter anderem anhand zweier Begriffe erläutert. Beurteilung der Komplexität In obigen Abschnitten wurden nun einige der notwendigen Grundlagen geschaffen. Es wurde die Festlegung der formalen und grafischen Darstellung vorgenommen. Es wurde außerdem erläutert, was Knoten und Wechselbeziehungen sind, und definiert, wie Wechselbeziehungen zu ermitteln sind. Nun wird ein weiterer Schritt gegangen: Es wird versucht die Komplexität der Struktur einzuschätzen. Dafür werden zwei Begriffe eingeführt: Die „Varietätszahl“ und der „Varietätsgrad“. Varietät heißt in diesem Zusammenhang nichts anderes als Vielfalt und bezeichnet die Vielfältigkeit der Wechselbeziehungen, welche auftreten können. In der Kybernetik kann die Komplexität durch die Maßgröße Varietät ausgedrückt werden, welche die Anzahl der möglichen Zustände einer Struktur beschreibt [5]. ❑ Die Varietätszahl beschreibt den Quotienten der Summe aller Wechselbeziehungen einer Projektstruktur zur Anzahl der Ordnungsebenen. ❑ Der Varietätsgrad ist der Quotient aus der Summe aller Wechselbeziehungen zu der Anzahl der Knoten der Projektstruktur. Varietätszahl: VZ = Σ W ij (14) Σ OE ij Varietätsgrad: VG = Σ W ij (15) Σ N ij Bezogen auf Beispiel Nr. 2 ergeben sich folgende Werte: VZ = 262 = 65,5 (16) 4 VG = 262 = 4,5 (17) 58 Beispiel 3: Große Projektstruktur mit Angabe der Wechselbeziehungen Die Abbildung 4 zeigt eine große Projektstruktur, bestehend aus insgesamt 142 Knoten mit vier Ordnungsebenen. Die Struktur wird als symmetrisches, statisches und geschlossenes System betrachtet. Sie soll vor allem den Kontrast zu der Projektstruktur aus Beispiel 2 aufzeigen. In der 1. Ordnungsebene befindet sich lediglich ein Knoten, nämlich die Projektleitung (PL); es finden aber 228 Wechselbeziehungen statt. Das liegt an den sehr vielen Wechselbeziehungen der darunter liegenden Ordnungsebenen, welche wiederum über eine Vielzahl an Wechselbeziehungen verfügen. In der 2. Ordnungsebene sind neun Knoten als Abschnittsleitungen (AL) einzelner Teilprojekte und sechs Knoten als Stab (S) mit ebenfalls in Summe 228 Wechselbeziehungen dargestellt. Die 3. Ordnungsebene besteht aus 84 Knoten, Planungs- und Entwicklungseinheiten (P) und in Summe 294 Wechselbeziehungen, die 4. projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2011 l 25 TRANSPORTVERPACKUNGEN VERKAUFSVERPACKUNGEN DISPLAYS INDIV. 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Beurteilen wir die Struktur nun anhand der Varietätszahl und des Varietätsgrades, ergibt sich Folgendes: Die Summe der Wechselbeziehungen beträgt: Σ W ij = 792 (18) Die Summe aller Knoten beträgt: Σ N ij = 142 (19) Die Varietätszahl beträgt: VZ = 792 = 198 (20) 4 Der Varietätsgrad beträgt: VG = 792 = 5,6 (21) 142 Im Vergleich zu Beispiel 2 lässt sich feststellen, dass es sich bei Beispiel 3 um eine Struktur mit sehr vielen Wechselbeziehungen und Knoten, insbesondere auf der 1. und 2. Ordnungsebene, handelt. Daraus folgt auf Basis der oben getroffenen Annahmen, dass das vorliegende System als „komplex“ beurteilt werden könnte. Es stellt sich nun die Frage, warum, ab welcher Varietätszahl bzw. ab welchem Varietätsgrad eine Projektstruktur als „komplex“ eingestuft werden kann. Diese Frage lässt sich noch nicht abschließend beantworten. Dennoch könnte eine Jabzw. Nein-Einschätzung stattfinden. Dann nämlich, wenn, wie im vorliegenden Beispiel 3, die Summe der Knoten der 1. und 2. bzw. der oben liegenden Ordnungsebene im Verhältnis deutlich kleiner ist als die Summe der Wechselbeziehungen. Warum das so sein könnte, wird im letzen Abschnitt erläutert. Zusammenfassung Bezogen auf die oben dargestellten Strukturen aus Beispiel 2 und Beispiel 3, lässt sich folgender Zusammenhang ableiten. Mit zunehmender Varietätszahl, das heißt mit Zunahme der Wechselbeziehungen bezogen auf die Anzahl der Ordnungsebenen, könnte die Ausprägung der Komplexität im oben genannten Sinne steigen. Und mit zunehmendem Varietätsgrad, das heißt mit Zunahme der Wechselbeziehungen bezogen auf die Anzahl der Knoten, könnte die Ausprägung der Komplexität steigen. Die Abbildung 5 liefert als Darstellung „der Trendlinie“ für oben genannte Beispiele einen ersten allgemein formulierten Ansatz. In Anlehnung an Stafford Beer [6] werden folgende Parameter verwendet: ❑ einfach deterministisch ❑ komplex deterministisch ❑ äußerst komplex deterministisch 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2011 26 WISSEN NU 1 NU 1 P12 3 P3 3 P11 3 P1 5 P2 3 NU 1 NU 1 NU 1 NU 1 P9 5 P7 3 P5 3 P4 3 P8 3 P6 5 P10 3 12 AL5 21 Ordnungsebene 1 Ordnungsebene 2 Ordnungsebene 3 12 E 1 E 1 E 9 E 1 E 1 AL2 10 AL9 21 AL1 13 AL5 21 AL6 21 AL7 21 AL3 22 AL4 23 AL8 22 12 12 12 12 12 12 S6 9 S2 9 S4 9 S1 9 S3 9 S5 9 PL 228 E 1 E 1 E 1 E 1 E 1 Ordnungsebene 4 Legende: PL: Projektleitung AL: Abschnittsleitung/ Teilprojektleitung Stab: Stab/ beratende Stellen P: Planer (im jeweiligen Abschnitt) NU: Nachunternehmer (im jeweiligen Abschnitt) Abb. 4: Beispiel 3 PM_2-2011_1-56: Inhalt 30.03.2011 8: 59 Uhr Seite 26 ❑ einfach stochastisch ❑ komplex stochastisch ❑ äußerst komplex stochastisch Die eingangs gestellten Fragen zu den Strukturen lauteten wie folgt: 1.) Wie kann deren Zustand formal beschrieben werden? 2.) Wie könnte eine mögliche Klassifizierung der Struktur aussehen? Beide Fragen wurden im Rahmen des Artikels erarbeitet und vorgestellt. Eine zulässige Kritik, dass die Berechnung der Wechselbeziehungen und Knoten subjektiv ist und die Betrachtungsebene vernachlässigt wird, ist bei der vorgestellten Verfahrenweise nicht gegeben. Eine subjektive Betrachtungsebene existiert „vorerst“ nicht. Abschließend lässt sich feststellen: Das Vorhandensein vieler Wechselbeziehungen bedeutet, dass ein hoher Grad an Information für verschiedenste Arten von Beziehungen vorliegt. Diese können vielleicht nicht in ausreichendem Maße durch die vorhandenen Strukturen verarbeitet werden - es kommt zum „Informations-Overkill“. Daher ist es nach einer formalen Beschreibung der Struktur interessant zu wissen, welche Knoten und Wechselbeziehungen existieren können, zu welcher Art sie gehören, wie sie ausgeprägt sind und wie sie sich verhalten [7]. Folglich lassen sich durch die Bestimmung der Struktur, der Knoten, der Wechselbeziehungen und der Varietäten die Organisationsmodelle realitätsnah modellieren und vielleicht als komplexe Struktur identifizieren. Über fachlichen Austausch, Kritik und Ideen freut sich der Autor. ■ Literatur [1] Mainzer, K.: Komplexität. UTB Profile, 1. Auflage, Berlin- Heidelberg 2008 [2] Patzak, G.: Messung der Komplexität von Projekten. In: projektMANAGEMENT aktuell 5/ 2009, S. 42-45 [3] Haaspe, A.: Umgang mit Komplexität im Projektmanagement. Konferenz interPM 2006, 4/ 2006 [4] Scholz, M.: Komplexe Netzwerke. Universität Greifswald 2009, www.network-science.org [5] Schwaninger, M.: Systemtheorie. Universität St. Gallen, Institut für Betriebswirtschaft, 3. Auflage 12/ 2004 [6] Beer, S.: Kybernetik and Management. 3. Auflage, Frankfurt 1967 [7] Malik, F.: Strategie des Managements komplexer Systeme. 6. Auflage Schlagwörter Komplexität, Management, Projektleiter, Projektmitarbeiter, Projektorganisation, Projektsteuerung, Projektstruktur Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.6 Projektorganisation; 4.1.9 Projektstrukturen Autor Michael Frahm hat ein Diplom als Bauingenieur und einen Master in Geotechik und Tunnelbau. Seine Themen sind das Projektmanagement im Bauwesen und im Tunnelbau. Er ist Gewinner des GPM Young Project Manager Awards 2010 für „Projektmanagement im Tunnelbau“ und Mitglied der GPM - Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Er arbeitet bei einem großen Infrastrukturunternehmen als Tunnelbauingenieur im Projektmanagement und lebt mit seiner Familie in Stuttgart. Anschrift E-Mail: frahm@portalarte.de projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2011 l 27 ij W ij OE ij N ij OE ij W ij N ij W ij OE ij N äußerst komplex komplex einfach äußerst komplex komplex einfach deterministisch deterministisch stochastisch stochastisch Abb. 5: Klassifizierung der Komplexität Haftungsausschluss Die Inhalte dieser Zeitschrift werden von Verlag, Herausgeber und Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erarbeitet und zusammengestellt. Eine rechtliche Gewähr für die Richtigkeit der einzelnen Angaben kann jedoch nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für die Websites, auf die verwiesen wird. Es wird betont, dass wir keinerlei Einfluss auf die Inhalte und Formulierungen dieser Seiten haben und auch keine Verantwortung für sie übernehmen. Grundsätzlich gelten die Wortlaute der Gesetzestexte und Richtlinien sowie die einschlägige Rechtsprechung. PM_2-2011_1-56: Inhalt 30.03.2011 8: 59 Uhr Seite 27