PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Man dreht sich um – schon ist die U-Bahn da!“
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Oliver Steeger
Wer eine Projekt-Sternstunde erleben will, fährt in Nürnberg mit der U-Bahn: Die Linien 2 und 3 verkehren in der Frankenmetropole automatisch. Statt von einem Fahrer werden die Züge durch ein komplexes System gesteuert – ein deutschlandweit einzigartiger Fortschritt. In einem Pionierprojekt hat die VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg den schwierigen Schritt zum automatischen Betrieb gemeistert. Auf dem „28. Internationalen Deutschen Projektmanagement Forum“ in Nürnberg (25./26. Oktober 2011) stellt Dr. Rainer Müller, Technischer Vorstand der VAG, dieses Pionierprojekt vor. Das Fazit des Keynote-Speakers: Kommunikation ist ein wichtiger Baustein für den Erfolg solcher Pionierprojekte.
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Wer am Nürnberger Flughafen in die U-Bahn steigt, wird vielleicht erst auf den zweiten Blick bemerken, dass etwas in der Bahn fehlt - nämlich der Fahrer. Die Strecke vom Flughafen zum Hauptbahnhof fährt die Bahn automatisch, zwölf Minuten lang. Sitzt jemand in der Leitstelle, der den Zug per Joystick fernsteuert? Dr. Rainer Müller: Nein, unsere U-Bahn-Linien U2 und U3 fahren tatsächlich vollautomatisch. Drei Mitarbeiter in der Leitstelle überwachen das System. Sie greifen nur ein, wenn es zu Störungen kommt oder eine Sonderfahrt ansteht, beispielsweise ein Zug aus dem Verkehr ausgeschleust wird, um in die Werkstatt gebracht zu werden. Alles andere wird vom System gesteuert. Wenn Sie also die Leitstelle betreten, finden Sie Ihre Mitarbeiter in der Regel entspannt vor … … jetzt zuallermeist entspannt. Und ich freue mich darüber. Dies zeigt, dass unser System immer besser funktioniert. Jede Phase des Betriebsablaufs ist im System vorgeplant, nach diesem Programm läuft alles ab - das Bremsen und Beschleunigen, das Öffnen der Türen, die Durchsagen. Da greift niemand ein. Bisher haben wir zwei U-Bahn-Linien sukzessive automatisiert. Auf den Strecken fahren bis zu dreißig Züge gleichzeitig. Zu Ihrer Eingangsfrage: Es wäre kein Vorteil, dreißig Bahnen, wie Sie sagen, mit Joystick zu steuern. Den automatischen Betrieb haben Sie im Juni 2008 begonnen. Bis heute ist Nürnberg damit Pionier in Deutschland. Weshalb sind automatische U-Bahnen so selten? So selten sind sie gar nicht. In Deutschland ist unsere Bahn tatsächlich einzig. Europaweit oder gar weltweit finden Sie viele automatische Systeme. projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2011 l 3 REPORT „Man dreht sich um - schon ist die U-Bahn da! “ Projekt „automatische U-Bahn“ im Fokus des Nürnberger PM Forums Wer eine Projekt-Sternstunde erleben will, fährt in Nürnberg mit der U-Bahn: Die Linien 2 und 3 verkehren in der Frankenmetropole automatisch. Statt von einem Fahrer werden die Züge durch ein komplexes System gesteuert - ein deutschlandweit einzigartiger Fortschritt. In einem Pionierprojekt hat die VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg den schwierigen Schritt zum automatischen Betrieb gemeistert. Auf dem „28. Internationalen Deutschen Projektmanagement Forum“ in Nürnberg (25./ 26. Oktober 2011) stellt Dr. Rainer Müller, Technischer Vorstand der VAG, dieses Pionierprojekt vor. Das Fazit des Keynote-Speakers: Kommunikation ist ein wichtiger Baustein für den Erfolg solcher Pionierprojekte. Foto: VAG - Peter Roggenthin Dr. Rainer Müller (63) ist seit 1992 Vorstand Markt und Technik der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg und seit 1998 Mitglied der Geschäftsführung der Städtischen Werke Nürnberg GmbH, die als klassisches kommunales Querverbundunternehmen 100 Prozent der Anteile der VAG hält. Der promovierte Diplom-Mathematiker, der 1979 bei der VAG begonnen hat, setzte sich von Beginn an maßgeblich für die Realisierung der automatisierten U-Bahn in Nürnberg ein und begleitete das Projekt über alle Jahre intensiv. Dr. Rainer Müller ist unter anderem im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und im Internationalen Verband der Verkehrsunternehmen, der UITP, tätig. Er ist Vorstandsvorsitzender bei der Nürnberger Verkehrsinitiative CNA - Center for Transportation and Logistics Neuer Adler e. V., die an den historischen Adler, Deutschlands erste Eisenbahn, anknüpft und über die Grenzen der Metropolregion Nürnberg hinaus innovative Projekte im Verkehr begleitet. Oliver Steeger PM_4-2011_1-68: Inhalt 22.08.2011 11: 24 Uhr Seite 3 Im Prinzip müsste man die Bahnen an Großflughäfen, die automatisch verkehren, auch dazurechnen … Die sogenannten People Mover, ja. Doch sprechen wir hier von den klassischen U-Bahn-Systemen. Vorbild für unsere Bahn in Nürnberg war eine automatische U-Bahn im französischen Lyon. Darüber hinaus finden Sie solche Systeme unter anderem in Paris, Vancouver, London, Bordeaux - es gibt etwa 100 solcher Systeme. In unserer Branche gilt die Automatisierung als Topthema. Viele beschäftigen sich damit, unsere Branche ist stark in Bewegung gekommen. Paris beispielsweise! Dort wird im Augenblick die Umstellung der Linie 1 vorbereitet, sie soll im nächsten Jahr in den automatischen Betrieb gehen. In Helsinki ist man auch dabei, eine konventionelle Strecke umzurüsten; alle haben sich bei uns über unser Projekt informiert, wollten wissen, wie wir die Umstellung vorbereitet und durchgeführt haben. Und Deutschland? In fast jeder größeren Stadt fahren U-Bahnen. Von automatischem Betrieb ist kaum die Rede. Hinken wir dem Trend hinterher? So einfach ist dies nicht. In den meisten Städten fahren die U-Bahnen auch oberirdisch im Straßenverkehr, beispielsweise als Stadtbahnen. Solche Strecken können Sie noch nicht automatisieren. Deshalb bleiben nur vier Städte, die aufgrund ihrer Bahnen überhaupt für den automatischen Betrieb infrage kommen: Hamburg, Berlin, München - und Nürnberg. Der Aufwand für die Umrüstung ist ziemlich hoch. Die Projekte sind kostspielig. Weshalb bleibt man nicht weiterhin beim Fahrer, der die Bahn steuert? Für automatische U-Bahnen spricht eine Reihe von Gründen. Man braucht weniger Personal. Gegenüber dem konventionellen Betrieb brauchen wir auf den automatischen Linien rund 95 Mitarbeiter weniger. So können wir zusätzliches Personal für kundenfreundlichen Service an den Bahnsteigen einsetzen. Wir benötigen auch deutlich weniger Fahrzeuge … Deutlich weniger Fahrzeuge - inwiefern? Am Ende der Strecke müssen die Fahrzeuge gewendet werden. Im konventionellen Betrieb dauert dies länger als beim automatischen. Der Fahrer muss den Führerstand wechseln … Dafür braucht er fünf Minuten. In dieser Zeit steht die Bahn. Beim automatischen Betrieb rechnen wir mit zwanzig Sekunden für das Wenden. Unter dem Strich können wir dadurch acht Fahrzeuge sparen. Darüber hinaus spart der automatische Betrieb Strom. Die Bahnen können energieoptimiert fahren. Der wichtigste Vorteil für den Kunden dürfte darin liegen, dass Sie auf den automatisierten Strecken einen dichteren Takt fahren. Wie kommt es zu diesen kürzeren Taktzeiten? Normalerweise fahren wir mit Zügen aus zwei Fahrzeugen. Jetzt können wir die Züge trennen und einzeln fahren lassen. Wir haben also doppelt so viele Einzelzüge auf dem Gleis, die in dichteren Abständen verkehren. Im Augenblick arbeiten wir uns Schritt für Schritt an eine Taktfolge von 100 Sekunden heran. Kurz nachgerechnet: Alle eineinhalb Minuten kommt ein Zug. Richtig, da braucht niemand lange zu warten. Man dreht sich um - und schon ist der Zug da. So etwas kommt bei den Kunden gut an! Der flüssige Verkehr wird auch durch den flexiblen Einsatz der Fahrzeuge unterstützt. Wir können bei Bedarf unkompliziert Fahrzeuge aus den Abstellanlagen abrufen; wir können schnell kuppeln und entkuppeln. Früher mussten wir Dienstpläne von Fahrern beachten. Hatten wir wegen der Dienstpläne keinen Fahrer, blieb das Fahrzeug wohl oder übel auf dem Abstellgleis. Spielen wirtschaftliche Gründe bei der Umrüstung auf automatischen Betrieb eine Rolle? Wirtschaftliche Gründe spielen mit Sicherheit eine Rolle! Neben der Energieeinsparung fällt die erhöhte Attraktivität der U-Bahn ins Gewicht. Wir bekommen mehr Fahrgäste. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2011 4 REPORT Von Anfang an ein Erfolg: Die U-Bahn-Linien U2 und U3 sind inzwischen beide automatisiert. Derzeit arbeiten die VAG und der Hersteller Siemens an der schrittweisen Einführung des 100-Sekunden-Taktes auf der Stammstrecke. Foto: VAG - Peter Roggenthin Vom Projektstart an hat die VAG intensiv informiert und mit der Öffentlichkeit kommuniziert. Das Spektrum umfasste dabei alle Instrumente der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. In den Monaten vor der Inbetriebnahme gab es auch eine Wanderausstellung, die an U-Bahnhöfen der U2 gezeigt wurde. Foto: VAG - Claus Felix Mehr Personal für Service PM_4-2011_1-68: Inhalt 22.08.2011 11: 24 Uhr Seite 4 Wie groß wird die Steigerung sein? Als Annahme steht eine Steigerung von etwa fünf bis zehn Prozent im Raum - gemessen am Stand der Anfangsphase unseres Projekts und im Endausbau. Mit Ihrem Projekt RUBIN - das Akronym steht für Realisierung einer automatisierten U-Bahn in Nürnberg - haben Sie in Deutschland Pionierarbeit geleistet. Wie kam es zu diesem Projekt? Automatischer U-Bahn-Betrieb war schon vor unserem Projekt eine ganze Weile im Gespräch. Man hat erkannt, dass U-Bahnen eigentlich keinen Fahrer brauchen. Auch die wirtschaftlichen Vorteile der Automatisierung waren bekannt. 1996 wurde in Nürnberg eine Initiative zur Verbesserung der Verkehrswirtschaft gegründet, genannt „Center for Transportation and Logistic Neuer Adler“. Dort wurde eine Studie zur Frage angestoßen, ob sich eine Automatisierung der Nürnberger U-Bahn lohnt. Weshalb Nürnberg? Hamburg, Berlin oder München eignen sich auch, wie wir eben festgestellt haben. Was Nürnberg betraf, so hatten wir optimale Ausgangsbedingungen. Zu diesem Zeitpunkt war der Bau einer neuen Linie geplant, der heutigen Linie U3. Für diese neue Linie mussten auch neue Fahrzeuge beschafft werden. Außerdem brauchten wir weitere neue Fahrzeuge, die ältere Wagen aus den 1970er-Jahren ersetzen sollten. Hinzu kam: Ein Streckenabschnitt in der Innenstadt sollte von zwei Linien befahren werden, deshalb mussten wir die veraltete Signalisierungstechnik ohnehin aufrüsten. Zusammen mit der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung haben diese Gründe dafür gesprochen, in Nürnberg die erste automatische U-Bahn Deutschlands zu installieren. Ein solches Pionierprojekt ist sehr komplex und schwierig zu managen. Wo lagen die Herausforderungen bei diesem Vorhaben? In der Technik? Die Technik dieses Systems - insbesondere die Software - war in der Tat eine große Herausforderung. Und wir haben, wie man weiß, mit ihr auch unser Waterloo erlebt. Doch die Technik war vielleicht nicht einmal die wichtigste Herausforderung. Worin bestand die größte Herausforderung? Die eigentliche Herausforderung bestand darin, die verschiedenen Mitspieler bei diesem Projekt zueinander zu bringen. Wir haben bei der VAG Nürnberg einen großen Besprechungsraum, an den Tisch passen etwa 25 Personen … Dieser Tisch dürfte bis auf den letzten Platz besetzt gewesen sein … So war es! Die Teilnehmer der Besprechung kamen aus allen Bereichen: die technische Aufsichtsbehörde, der Generalunternehmer, die Zuschussgeber, die Stadt Nürnberg, der Verkehrsbetrieb - alle waren vertreten. Die Frage war: Wie bringen wir unser Projekt voran? Wie bekommen wir dies in den Griff? Gute Frage! Wie ist dies gelungen? Das Entscheidende für den Erfolg war die frühe Zusage aller, dass sie hinter dem Projekt stehen. Wir haben uns bei allen des Commitments versichert, dass sie die automatische U-Bahn für Nürnberg wollen, und dass sie bereit waren, gemeinsam für den Erfolg zu arbeiten. Damit hatten wir von Anfang an ein gutes, förderndes Klima im Projekt. Die Partner haben nicht nach Problemen gesucht, sondern nach Lösungen. Die entscheidende Aufgabe bestand darin, die Beteiligten immer wieder einzuschwören auf das Ziel, sie alle in die richtige Richtung zu bringen. Stichwort Kommunikation? Ein solches Projekt kann nur mit ausgefeilter, gut geplanter Kommunikation gelingen. Wir haben exakt vereinbart, wer wann wem wie zu berichten hat - auf allen Ebenen des Projekts. Die Arbeitsgruppen beispielsweise für die Betriebsabwicklung, für die Mitarbeiterschulung oder die Öffentlichkeitsarbeit haben sich zu regelmäßigen Sitzungen getroffen. Das sechsköpfige projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2011 l 5 Kürzere Taktzeiten Beste Bedingungen in Nürnberg Anzeige Erfolgsfaktor Kommunikation PM_4-2011_1-68: Inhalt 22.08.2011 11: 24 Uhr Seite 5 Projektteam der VAG kam zu ebenfalls wöchentlichen Besprechungen zusammen. Auch das oberste Lenkungsgremium, in dem hochrangige Mitarbeiter der beteiligten Organisationen sowie die Projektleiter zusammenkamen, traf sich regelmäßig, etwa alle zwei Monate. Dieser Ausschuss hat dafür gesorgt, dass dann, wenn es zu Problemen kam, sofort Maßnahmen ergriffen wurden. Pionierprojekte gelten als besonders schwierig und störanfällig. Kurz vor der Inbetriebnahme hatten Sie mit einem gewaltigen Problem zu kämpfen … Dies war das Waterloo, von dem ich eben gesprochen habe. Wir haben die U-Bahn-Linie in die Hand eines Generalunternehmers gegeben. Er sollte uns das abgenommene System komplett liefern. Ende 2005 teilte uns der Hersteller mit, dass wir im Jahr 2006 den Betrieb aufnehmen könnten. Wenig später meldete er uns, dass er mit seinen Arbeiten zwei Jahre im Verzug sei. Diese Nachricht war sehr bitter für uns. Sie hat in Nürnberg ein politisches Beben ausgelöst. Die U-Bahn-Linie war vom Bau her fertig - und konnte wegen Fehlern in der Software nicht befahren werden. Dies den Beteiligten zu vermitteln, war sehr schwierig. Wo lag der Kern dieses Problems? Der Zeitplan war - im Nachhinein betrachtet - sicherlich zu eng, zu ambitioniert. Zudem: Als Besteller eines solchen Systems können Sie die Software, die ja eine entscheidende Rolle bei der Automatisierung spielt, kaum auf ihre Funktionsfähigkeit prüfen. Wir sind Spezialisten für Schienenverkehr und können Züge prüfen, aber keine Software. Wir können nicht nachsehen, ob die Software das leistet, was man von ihr will. Wir sehen es nur am Ergebnis. Was also tun? Wir haben aus der Krise unsere Konsequenzen gezogen. Zum einen hat der Hersteller einen neuen Projektleiter eingesetzt und den Stil im Projektmanagement verändert. Er hat vorbildlich auf die Probleme reagiert. Zum anderen haben wir Quality Gates eingeführt. Quality Gates definieren präzise zu bestimmten Stufen im Projektverlauf die Ziele, die zu erreichen sind. Wir haben in kleinen Schritten den zu erzielenden Projektfortschritt festgelegt, alle Beteiligten angehalten, diese Fortschrittstufen zu erreichen - und dies anschließend auch überprüft. Diese Methode hat uns auf die Erfolgsspur gesetzt. In kürzester Zeit haben wir das System zum Laufen gebracht. Die Quintessenz aus der bitteren Erfahrung: Man muss sich vorher überlegen, wie man den Hersteller auch bei Aufgaben überwachen kann, von denen man als Besteller selbst wenig versteht. Man neigt zu der Illusion, dass Software so, wie sie als Grundprodukt ausgeliefert wird, auch funktioniert. Diese Illusion ist gefährlich, dies haben wir gelernt. Man braucht also Instrumente, mit denen man den Hersteller überwacht oder die helfen, gemeinsam mit dem Hersteller zu prüfen, ob das System funktioniert. Ein Projekt, wie Sie es durchgeführt haben, greift stark in den Alltag der Nürnberger Bürger ein. Eine automatische U-Bahn fährt genauso zuverlässig wie eine Bahn mit Fahrer - doch vermissen viele Fahrgäste den Fahrer als Ansprechpartner für den Fall des Falles. Diese Bedenken hat man insbesondere vor der Betriebsaufnahme immer wieder gehört, und wir haben sie schnell ausgeräumt. So verfügbar, wie viele meinen, ist der Fahrer nicht. Er ist allein im Zug. Der Zug ist 70 Meter lang. Wie viel Hilfe kann man von dem Fahrer wirklich erwarten - zumal wenn er fährt? Diesen Punkt haben wir unseren Kunden ausführlich erklärt. Die Erläuterung ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Wir hatten für die automatische U-Bahn keine nennenswerten Akzeptanzprobleme. Heute ist es unseren Kunden gleich, ob sie in einem automatischen oder konventionellen Zug fahren. Dennoch, die Akzeptanz des automatischen Verkehrs wird Ihrem Projektteam nicht in den Schoß gefallen sein. Nein, wir haben sie durch intensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit erwirkt. Wir haben regelmäßig informiert, technische Hintergründe verständlich gemacht und vor allem die Vorteile für die Kunden herausgestellt. Wir haben dabei nicht gekniffen, wenn es nicht rund lief. Kommunikationsexperten empfehlen öffentlich bedeutsamen Großprojekten wie RUBIN, der Bevölkerung eine Projektvision zu vermitteln und mit dieser Vision das Projekt als nützlich und wünschenswert für alle zu präsentieren. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2011 6 REPORT Ambitionierter Zeitplan Akzeptanz der Technik Die zentrale Serviceleitstelle der VAG ist Herz und Hirn des öffentlichen Nahverkehrs in Nürnberg. Ihr kommt im automatischen Betrieb eine noch größere Bedeutung zu als im konventionellen U-Bahn-Betrieb. Sie hält auch Kontakt zu den Mitarbeitern des Kunden- und Systemservice, die entlang der automatisierten Linien im Einsatz sind. Foto: VAG - Claus Felix PM_4-2011_1-68: Inhalt 22.08.2011 11: 24 Uhr Seite 6 Wir haben durch frühe Untersuchungen ermittelt, wie Fahrgäste und Bevölkerung zu unseren Plänen stehen. Doch letztlich haben Argumente wie dichtere Takte und flexibler Einsatz die allermeisten Kunden angesprochen und überzeugt. Und wir haben die komplexe Technik, die Sicherheitssysteme erläutert; wir haben vermittelt, dass wir einen hohen Standard ansetzen, dass wir verlässlich und offen sind. Jeder Fahrgast spürt heute, dass sich der Service verbessert hat durch die Automatisierung. Welche Rolle spielte das Thema „Sicherheit“ bei der Kommunikation? Sicherheit hat oberste Priorität, anderenfalls hätten wir die Zulassung nicht bekommen. Die Sicherheitsanforderungen an ein automatisches System sind deutlich höher gesetzt als an ein konventionelles System. Die Hersteller mussten für alle sicherheitsrelevanten Funktionen nachweisen, dass die gestellten Anforderungen erfüllt werden. Was bedeutet dies konkret für Fahrgäste? Den Fahrgästen haben wir von Anfang an die sicherheitstechnischen Komponenten gezeigt und erklärt, beispielsweise die Schiebetritte an den Türen, die Türen selbst oder das Bahnsteig-Sicherungssystem. Dadurch ist es gelungen, das Vertrauen der Fahrgäste in die Sicherheit des Systems zu gewinnen. Andernfalls wären sie sicherlich nicht so unvoreingenommen eingestiegen. Was muss man beachten, wenn man für ein öffentliches Großvorhaben wie das Ihrige Öffentlichkeitsarbeit startet? Entscheidend ist meiner Einschätzung nach, dass die Kommunikation während des Projekts intensiv und regelmäßig ist. Seit 2001 haben wir neben dem Erreichen von Meilensteinen auch kleinere Projektfortschritte als Anlass für Informationen genutzt, haben Presseinformationen herausgegeben, Pressetermine angeboten und in der Kundenzeitschrift und im Internet regelmäßig informiert. Wer zur automatischen U-Bahn etwas wissen wollte, dem haben wir auch einen Vortrag angeboten. So wichtig die Kommunikation ist - allein mit Informationen werden sich Fahrgäste kaum für den automatischen U-Bahn-Betrieb gewinnen lassen. Sie wollen ihre Anforderungen und Wünsche berücksichtigt sehen. Wir haben beispielsweise intensiv mit Behindertenverbänden zusammengearbeitet und deren Interessen in die Planung einbezogen. Es war uns wichtig, die U-Bahn für Fahrgäste mit eingeschränkter Mobilität sowie Seh- und Hörbehinderte tauglich zu machen. Sind diese Einschränkungen in der Planung berücksichtigt, so kommen auch alle anderen Fahrgäste mit der neuen Technologie zurecht. Ist es nicht etwas riskant, bei solch einem komplexen Projekt von Beginn an intensiv und offen zu kommunizieren …? Nein, es gibt - auch im Nachhinein betrachtet - keine Alternative dazu. Eine Entwicklung im stillen Kämmerlein wäre nicht möglich gewesen. Angesichts der Veränderungen, die Ihr Projekt für Ihr Unternehmen brachte, gab es erstaunlich wenig Widerstand in Ihrer Organisation. Wie haben Sie die Mitarbeiter der VAG für Ihr Vorhaben gewonnen? Indem wir sie sehr früh eingebunden haben. Wir hatten viele Stakeholder bei der VAG, von den U-Bahn- Fahrern über die Leitstelle bis hin zum technischen Dienst. Unsere Stakeholder waren von Anfang an eingebunden. Zudem haben wir intensiv geschult, unter dem Strich kamen 3.000 Manntage zusammen, an denen wir unsere Mitarbeiter mit dem System vertraut gemacht haben. Auch nach Betriebsstart haben wir massiv nachgeschult. Das eine oder andere saß noch nicht richtig. Diese Schnittstelle zwischen komplizierter Technik und dem Menschen darf man einfach nicht unterschätzen. Das Projektteam, das in Helsinki eine automatische U-Bahn realisieren wird, hat sich bei Ihnen über Ihre Erfahrungen informiert. Welche Empfehlungen haben Sie dem Team in puncto Projektmanagement gegeben? Ich empfehle die Projektstruktur so zu gestalten, dass sie regelmäßige Kommunikation und ein offenes Miteinander ermöglicht. Auch den Einsatz von Quality Gates, über den wir gesprochen haben, gebe ich als Empfehlung mit. Mein vielleicht wichtigster Rat aber ist: Gehen Sie bei solchen Projekten in kleinen, kontrollierten Schritten vor. Machen Sie nicht zwei Schritte gleichzeitig. Anderenfalls überfordert man Mensch und System. Dr. Rainer Müller, Technischer Vorstand der VAG, präsentiert dieses Projekt am 26.10.2011 von 9 bis 10 Uhr auf dem PM Forum. Informationen und Anmeldung zum Forum unter www.pm-forum.de, Info-Tel.: 09 11/ 43 33 69-0 ■ projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2011 l 7 Öffentlichkeit einbinden „Musterprojekt“ für viele Länder Nicht nur Kinder lieben den freien Blick auf die Strecke. Den Fahrgästen bieten die automatischen Linien in jeder Hinsicht neue Perspektiven. Foto: VAG - Claus Felix PM_4-2011_1-68: Inhalt 22.08.2011 11: 24 Uhr Seite 7