eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 22/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
101
2011
224 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Mittelstand verbessert Projektmanagement in sehr kleinen Schritten

101
2011
Oliver Steeger
In den Projektmanagement-Lehrgängen sind Mitarbeiter des Mittelstands selten anzutreffen. Ist Projektmanagement für mittelständische Unternehmen kein Thema? Karin Berggold, Bildungsreferentin beim Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft e. V., hat für die Zurückhaltung eine einfache Erklärung: Mittelständler scheuen sich davor, Mitarbeiter aus dem Tagesgeschäft abzuziehen. Die Personaldecke ist zu dünn, jeder Fehltag schmerzt. Karin Berggold regt an, über speziell auf den Mittelstand zugeschnittene Qualifizierungsmodelle nachzudenken.
pm2240020
Frau Berggold, Sie versuchen seit längerer Zeit, den Mittelstand Ihrer Region dafür zu gewinnen, noch mehr Projektmanagement zu nutzen. Im Allgemeinen hält sich der Mittelstand zurück, was die Einführung von Projektmanagement betrifft. Dies erstaunt umso mehr, als einige mittelständische Unternehmen großartige Erfolge mit Projektmanagement erzielen. Karin Berggold: Mittelständische Unternehmen führen Projektmanagement anders ein als Großunternehmen, dies muss man beachten. Sie nähern sich Projektmanagement in kleinen, manchmal sehr kleinen Schritten. Man verbessert beispielsweise die Kommunikation, die Rollenmodelle in Projekten oder die Schnittstellen. Man schickt einzelne Mitarbeiter in Zweitagesworkshops. Es wird im Mittelstand an kleinen Stellschrauben gedreht, und man ist mit kleinen Erfolgen zufrieden. Experten dürften dabei Bauchschmerzen bekommen. Beispiel Ausbildung: Projektmanagement lässt sich am besten in mehrtägigen Lehrgängen erlernen. Mag sein! Mittelständische Unternehmen haben aber häufig eine dünne Personaldecke. Sie können nicht Mitarbeiter für eine Woche freistellen, um sie zu Lehrgängen zu schicken. Vielfach frisst das Tagesgeschäft jede Initiative auf, Projektmanagement einzuführen. Die Initiative muss immer wieder aufgeschoben werden. Die Einführung von Projektmanagement bildet doch eine sinnvolle Investition. Scheut man im Mittelstand Investitionen? Mittelständische Unternehmen investieren wie Großunternehmen, wenn dies erforderlich ist. Die Hürden liegen woanders. Wo liegen die Hürden? Ich beobachte, dass eine Reihe von mittelständischen Unternehmen die Prozessveränderungen scheut. Projektmanagement wirkt kompliziert. Mitunter mutet es mit seinen Anglizismen und Normen regelrecht akademisch an. Man befürchtet, dass die Arbeitsweise des Projektmanagements der Arbeitsweise eines Mittelständlers fremd ist. Einige Mittelständler haben sehr erfolgreich Projektmanagement eingeführt. Was gab bei ihnen den Impuls? Häufig hoher Druck. Viele, die über Projektmanagement nachdenken, haben beispielsweise bei zurückliegenden Projekten Geld oder Zeit verloren. Aus solchen Fehlern lernt man, dass man in Projekten methodischer vorgehen muss. Ich kenne nur wenige Fälle, bei denen quasi nach dem Lehrbuch Projektmanagement proaktiv eingeführt und die Einführung mit einem Strategieprozess verbunden wurde. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2011 20 REPORT Mittelstand verbessert Projektmanagement in sehr kleinen Schritten Braucht der Mittelstand speziell zugeschnittene PM-Qualifizierung? In den Projektmanagement-Lehrgängen sind Mitarbeiter des Mittelstands selten anzutreffen. Ist Projektmanagement für mittelständische Unternehmen kein Thema? Karin Berggold, Bildungsreferentin beim Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft e. V., hat für die Zurückhaltung eine einfache Erklärung: Mittelständler scheuen sich davor, Mitarbeiter aus dem Tagesgeschäft abzuziehen. Die Personaldecke ist zu dünn, jeder Fehltag schmerzt. Karin Berggold regt an, über speziell auf den Mittelstand zugeschnittene Qualifizierungsmodelle nachzudenken. Oliver Steeger Karin Berggold, Bildungsreferentin beim Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft e. V. Foto: privat PM_4-2011_1-68: Inhalt 22.08.2011 11: 24 Uhr Seite 20 Nochmals zur Qualifizierung. Wenn Mittelständler ihre Mitarbeiter nicht für die klassischen PM-Lehrgänge freistellen wollen … … wie gesagt, sie können dies nicht. Mit mangelndem Willen hat dies nichts zu tun. Man kann im Mittelstand nicht Mitarbeiter mehrere Tage lang aus dem Betrieb herausholen; es fehlen Kollegen, die deren Arbeit in dieser Zeit mitmachen. Wie gesagt, ein mittelständisches Unternehmen hat bei Weitem nicht eine so dicke Personaldecke wie ein Konzern. Wie müssten optimale Qualifizierungsangebote speziell für den Mittelstand gestaltet sein? Wir brauchen Qualifizierungsmodelle, die es den Teilnehmern erlauben, auch während der Qualifizierung an ihrem Arbeitsplatz zu sein und ihrer Tagesarbeit nachzugehen. Training on the job? Solche Modelle könnten für den Mittelstand sinnvoll sein. Sie sind darüber hinaus allgemein gut geeignet, Wissen zu verfestigen und Kompetenzen zu schulen. Ähnliche Modelle könnte es auch für die Beratung geben. Auch die Beratung zieht beispielsweise durch Workshops Mitarbeiter aus dem Tagesgeschäft ab. Deshalb müssen Berater beachten, dass sie das Tagesgeschäft so wenig wie möglich beeinträchtigen. Vorhin sagten Sie, dass die Begrifflichkeit und manche Methoden des Projektmanagements auf Mittelständler akademisch wirken. Würde es helfen, das Projektmanagement für den Mittelstand anzupassen, um mehr Akzeptanz zu finden? Womöglich, ja. Beispielsweise sind Anglizismen in vielen traditionellen, familiengeführten Unternehmen wenig gebräuchlich. Wie kann man den Mittelstand von den Vorteilen des Projektmanagements am besten überzeugen. Meiner Erfahrung nach: Durch authentische Praxisbeispiele. Wir haben kürzlich zu einem Informationstag eingeladen, bei dem auch „Best Practices“ vorgestellt wurden. Das Interesse war bemerkenswert groß - insbesondere an den Berichten aus der Praxis. Viele familiengeführte mittelständische Unternehmen gehen derzeit von den Gründern auf ihre Töchter und Söhne über. Der klassische Generationswechsel. Die junge Generation der Geschäftsführer hat Projektmanagement bereits häufig während des Studiums kennengelernt. Kann man die neue Generation von Mittelständlern besser für Projektmanagement erreichen? Vielleicht! Nicht nur die nachfolgende Geschäftsführergeneration, sondern auch viele Mitarbeiter sind ja bereits mit Projektmanagement in Kontakt gekommen. Dies kann natürlich die Akzeptanz fördern. Manchmal setzt die neue Generation in der Geschäftsführung auch neue strategische Akzente. Will sie ihr Unternehmen in Kooperationen mit Konzernen einbringen und beispielsweise Systemlieferant werden - dann wird Projektmanagement plötzlich unerlässlich. ■ projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2011 l 21 Anzeige PM_4-2011_1-68: Inhalt 22.08.2011 11: 24 Uhr Seite 21