eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 22/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
121
2011
225 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„PM Basic“ – eine Lösung für den Mittelstand?

121
2011
Oliver Steeger
Projektmanagement im Mittelstand? Häufig Fehlanzeige, seufzen Beobachter. Mit modernen Methoden der Projektabwicklung, wie sie sich seit vielen Jahren etwa in Konzernen bewährt haben, wollen mittelständische Unternehmen wenig zu tun haben. Doch Vorsicht! Professor Uwe Braehmer warnt vor Pauschalurteilen. Einige Mittelständler beherrschen meisterhaft die Klaviatur des Projektmanagements. Andere erkennen derzeit neue Geschäftschancen durch Projektmanagement. Und wieder andere brauchen ein dem Mittelstand speziell angepasstes Projektmanagement. Professor Uwe Braehmer weiß: „Auf viele mittelständische Geschäftsführer wirkt Projektmanagement zu akademisch und zu groß dimensioniert.“ Bedarfsgerecht gestaltet könne es im Mittelstand eine wesentlich breitere Akzeptanz finden.
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2011 l 11 „PM-Wüste Mittelstand“, so haben wir in der ProjektMANAGEMENT aktuell vor zwei Jahren einen Beitrag betitelt. Hinter die Überschrift haben wir damals vorsichtshalber ein Fragezeichen gesetzt. Doch glaubt man Einschätzungen von Beobachtern, so dringt das Projektmanagement bislang in der Tat schleppend in den Mittelstand vor. Professor Uwe Braehmer: Ich würde den Satz von der Projektmanagementwüste heute nicht ohne Weiteres unterschreiben. Es hat sich zwischenzeitig einiges getan. Große Teile des Mittelstands bewegen sich aus der Wüste heraus - wenngleich langsam und unter Mühen. Teile des Mittelstands haben die Wüste bereits verlassen, andere Teile waren nie in der Wüste. Trotzdem sind viele Fachleute ratlos. Die Projektwirtschaft gewinnt immer mehr Gewicht. Sie bietet auch mittelständischen Unternehmen große Chancen … … sehr große Chancen sogar … … und trotzdem ist die Bereitschaft, Projektmanagement einzuführen und anzuwenden, im Mittelstand deutlich geringer als beispielsweise bei Großunternehmen. Wie kommt das? Auf viele mittelständische Geschäftsführer wirkt Projektmanagement zu akademisch und zu überdimensioniert. Beispielsweise die Begrifflichkeit des Projekmanagements: Viele mittelständische Unternehmen bevorzugen die deutsche Sprache, dies habe ich immer wieder festgestellt. Der Geschäftsführer heißt nicht Manager, sondern eben Geschäftsführer. Das Coreteam heißt Arbeitsgruppe, der Review Zwischenbericht, die To-do- Liste Aufgabenliste, das Meeting Arbeitssitzung. Im traditionellen Mittelstand sind Anglizismen ungebräuchlich. Handelt es sich dabei nicht um Äußerlichkeiten? Es geht doch um die Methode, die mit den Begriffen bezeichnet wird! Ja, aber solche Begrifflichkeiten schrecken den Mittelstand ab. Sie tragen jedenfalls nicht überall zur Schaf- „PM Basic“ - eine Lösung für den Mittelstand? Im Mittelstand wächst das Interesse am Projektmanagement Projektmanagement im Mittelstand? Häufig Fehlanzeige, seufzen Beobachter. Mit modernen Methoden der Projektabwicklung, wie sie sich seit vielen Jahren etwa in Konzernen bewährt haben, wollen mittelständische Unternehmen wenig zu tun haben. Doch Vorsicht! Professor Uwe Braehmer warnt vor Pauschalurteilen. Einige Mittelständler beherrschen meisterhaft die Klaviatur des Projektmanagements. Andere erkennen derzeit neue Geschäftschancen durch Projektmanagement. Und wieder andere brauchen ein dem Mittelstand speziell angepasstes Projektmanagement. Professor Uwe Braehmer weiß: „Auf viele mittelständische Geschäftsführer wirkt Projektmanagement zu akademisch und zu groß dimensioniert.“ Bedarfsgerecht gestaltet könne es im Mittelstand eine wesentlich breitere Akzeptanz finden. Foto: privat Prof. Dr. Uwe Braehmer lehrt Projektmanagement und Public Relations an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Als Autor hat er beim Fachpublikum mit seinem Buch „Projektmanagement für kleine und mittlere Unternehmen“ breites Echo gefunden. Uwe Braehmer war zwanzig Jahre lang Industriemanager und Projektleiter, unter anderem beim Heizungshersteller Vaillant GmbH, bei der Philips Deutschland GmbH und der Philips Kommunikations Industrie AG. Zuletzt war er Vice President Marketing und Public Relations des Optik-Konzerns Carl Zeiss. Oliver Steeger PM_5-2011_1-60: Inhalt 08.11.2011 7: 51 Uhr Seite 11 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2011 12 REPORT fung von Akzeptanz für Projektmanagement bei. Ich empfehle deshalb Beratern im Mittelstand, eine einfache Sprache zu verwenden statt komplizierter, abstrakter und abgehoben wirkender Begriffe. Wenn es gelingt, so einfach wie möglich für Projektmanagement zu argumentieren, wird es auch im Mittelstand große Chancen haben. Augenblick! Mit viel Mühe hat die internationale PM-Gemeinschaft die Begrifflichkeit harmonisiert, damit man weltweit unter einem Begriff das Gleiche versteht. Man kann doch nicht für den Mittelstand ein neues Projektmanagement schaffen … Kein neues, aber ein verändertes Projektmanagement. Oder besser gesagt: ein dem Mittelstand angepasstes Projektmanagement. Darauf will ich hinaus! Dem Mittelstand angepasstes Projektmanagement - wie darf ich dies verstehen? Die meisten Mittelständler haben es mit Kleinprojekten zu tun, Vorhaben mit einem Volumen bis zu eintausend Arbeitsstunden aller Beteiligten. Für solche Kleinprojekte braucht man nicht das Projektmanagement, das man von Großunternehmen her kennt. Basisinstrumente reichen völlig, beispielsweise einfache To-do-Listen, höchstens noch eine Meilensteinplanung, eine grobe Kostenkalkulation. Nennen wir dieses Projektmanagement „PM Basic“. Ähnliches gilt für mittlere Projekte mit „Dem Mittelstand angepasstes Projektmanagement“ einem Umfang von 10.000 bis 100.000 Arbeitsstunden. Hauptinstrumente wären Balkendiagramme zur Zeit- und Ressourcenplanung, zuvor ein Meilensteinplan. In Ansätzen könnte beispielsweise auch Risikomanagement dazugehören. Dies würde ich „PM Medium“ nennen. Vermutlich ist das uns bekannte, in Literatur und Seminaren vermittelte Projektmanagement erst erforderlich für Großprojekte mit einem Volumen ab 100.000 Arbeitsstunden. Ja. Bei solchen Großprojekten sind beispielsweise die Geld- und Finanzvolumina so erheblich, dass sie geplant und durch Kostencontrolling nachgehalten werden müssen. Für solche Projekte ist das gesamte Instrumentarium erforderlich, wie es in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt worden ist - also Netzplantechnik, Risikomanagement, Kommunikationsplanung und die detaillierte Planung von Ressourcen. Ich nenne dies „PM Premium“. So bestechend die Schlagwörter „PM Basic“ und „PM Medium“ klingen - mit dem vereinfachten Projektmanagement werden sich weder Unternehmen noch Projektmanager zertifizieren lassen können. Nein, freilich nicht. Das muss auch nicht immer sein. Wichtig ist: Den Unternehmen wird geholfen, ihre Vorhaben zu bearbeiten. Bedarfsgerecht gestaltet kann Projektmanagement im Mittelstand eine wesentlich breitere Akzeptanz bekommen. Was macht es so schwierig, im Mittelstand für die Vorteile von Projektmanagement zu werben? Mit dem Wort „Mittelstand“ muss man besonnen umgehen. Den typischen Mittelständler gibt es kaum. Die unter diesem Begriff subsumierte Gruppe von Unternehmen ist sehr heterogen. Wie wird Mittelstand definiert? Zumeist allein an der Betriebsgröße und am Umsatz - ob dies nun sinnvoll ist oder nicht. Das „Institut für Mittelstandsforschung“ in Bonn definiert Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis 50 Millionen Euro und bis 500 Beschäftigte als Mittelstand, die EU-Kommission begrenzt die Mitarbeiterzahl auf 250. Dieser strikten Definition nach eine vergleichsweise kleine Gruppe von Unternehmen … Irrtum! Legen Sie diese Definition zugrunde, so sind 99 Prozent der deutschen Unternehmen mittelständisch - also rund 3,3 Millionen Firmen. In diese Gruppe fallen sowohl der traditionell geprägte Handwerksbetrieb als auch der hoch spezialisierte „Hidden Champion“, der in seiner Nische global führend ist und an hochkomplexen Entwicklungsprojekten mitwirkt. Jeder, der über den Mittelstand spricht, sollte dies im Hinterkopf behalten. Eine Regionalstudie, die wir 2008/ 2009 im Rheinland durchgeführt haben, wies große Unterschiede zwischen Unternehmen mit traditionellem und modernem Betätigungsfeld nach. Wer gehört zum Mittelstand? „Mythos Mittelstand“ in Deutschland: Fast 99 Prozent der deutschen Unternehmen zählen zu dieser Gruppe. Der Mittelstand gilt als Rückgrat und „Jobmotor“ der Wirtschaft. Foto: Dornbracht PM_5-2011_1-60: Inhalt 08.11.2011 7: 51 Uhr Seite 12 projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2011 l 13 Unterschiede - in was? Die Unterschiede bestanden hinsichtlich der Offenheit generell gegenüber Neuem, also gegenüber Wandel, Weiterbildung oder Informationstechnologie. Auch Beobachtungen außerhalb dieser Studie zeigen: Bei einem Teil der mittelständischen Unternehmen herrscht die Meinung vor, dass es bisher auch ohne Projektmanagement ging. Andererseits beobachte ich eine große Aufgeschlossenheit gegenüber einzelnen Methoden. Wie kommt es zu diesen Akzeptanzproblemen im Mittelstand? Die Projektmanagementmethoden sind seit Langem ausgereift. Sie haben sich bewährt und werden teilweise von wissenschaftlichen Studien gestützt. Weshalb zögern die Unternehmen, Projektmanagement einzuführen? Die vorhin genannte akademische Anmutung spielt mit Sicherheit eine wichtige Rolle. Die abstrakte Begrifflichkeit macht mittelständischen Betrieben zu schaffen, wobei ich dies nicht verallgemeinern will. Je gegenständlicher der Prozess der Wertschöpfung ist, je mehr quasi geschraubt, gebaut und verdrahtet wird, desto eher empfiehlt sich einfache, konkrete Sprache. Ist der Gegenstand der Wertschöpfung dagegen abstrakt - die Programmierung von Software beispielsweise -, werden die Mitarbeiter eher mit abstrakten Begriffen und Regeln umgehen wollen. „Akademische Anmutung“ des Projektmanagements Nur die Mitarbeiter? Was ist mit der Geschäftsführung? Auf die Geschäftsführung weisen Sie mit Recht hin. Sie spielt bei der Einführung von Projektmanagement im Mittelstand eine ganz wichtige Rolle. Mit ihrer Einstellung zum Projektmanagement steht und fällt die Akzeptanz. Bei der Einführung der vielfältigen Instrumentarien kommt es darauf an, die Geschäftsführung zu überzeugen. Gewinnt man sie, hat man einen optimalen Promoter für Projektmanagement; kann man sie nicht begeistern, sind die Schwierigkeiten bei der Einführung außerordentlich groß. Mitunter leitet ein Kreis von Topmanagern das Unternehmen. Ja, in familiengeführten Unternehmen hat man es häufig mit einem Geschäftsführerkreis von bis zu vier Personen zu tun. Bei solchen Kollegien kann die Überzeugungsarbeit sehr mühsam sein. Zu erreichen ist das Ziel aber. Bei allem Werben für Projektmanagement darf man eines nicht vergessen: Projektmanagement ist ein moderner Begriff. Viele Mittelständler arbeiten aber seit Jahrzehnten mit Elementen des Projektmanagements - ohne dies zu wissen. Aha? Freilich! Pointiert gesagt, bevor unsere Wissenschaft die Atomtheorie entwickelt hat, gab es doch auch Atome. Ähnlich ist es beim Projektmanagement: Bevor Wissenschaftler das Projektmanagement beschrieben haben, wurden doch auch schon Projekte durchge- Nicht wenige mittelständische Unternehmen aus Deutschland besetzen Marktnischen und gehören in ihrer Nische zur Weltspitze. Projektmanagement ist in diesen Unternehmen weit verbreitet. Foto: Arburg PM_5-2011_1-60: Inhalt 08.11.2011 7: 51 Uhr Seite 13 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2011 14 REPORT führt - und dies auch recht erfolgreich. Man darf den Mittelstand nicht so behandeln, als sei für ihn systematische Abwicklung von Projekten absolutes Neuland. Man hört gelegentlich, dass sich der Mittelstand mit dem Umstellen von Arbeitsabläufen schwertut … Dies halte ich für ein Gerücht. Durch den allgemeinen Trend zu Qualitätsmanagement und Zertifizierung sind auch viele Mittelständler gewohnt, ihre betrieblichen Abläufe zu prüfen und anzupassen. Auch ist die Bedeutung von Zertifikaten spätestens seit der ISO-Zertifizierung bekannt. Man muss sich also in Acht nehmen, Mittelständler nicht vor den Kopf zu stoßen oder gar zu kränken, wenn man sie für Projektmanagement gewinnen will. Indem Berater gewissermaßen besserwisserisch Arbeitsprozesse einführen wollen, die bereits inoffiziell seit Jahren gang und gäbe sind? In diesem Punkt sind Mittelständler sehr empfindlich! Generell haben mittelständische Unternehmen ein ganz anderes Selbstverständnis als beispielsweise Konzerne. Manager von Großunternehmen ziehen Anerkennung und Stolz aus einer hohen wirtschaftlichen Rendite ihres Unternehmens. Von diesem knallharten Renditedenken grenzen sich viele Mittelständler ab. Sie missbilligen es, wenn Mitarbeiter vorrangig als Kostengröße betrachtet werden. Ihre Unternehmen sind über Jahrzehnte gewachsen und vom Vater zumeist auf den Sohn vererbt worden. Ich kenne Mittelständler, die ausgesprochen stolz darauf sind, viele Mitarbeiter in Lohn und Brot zu haben - und sich sehr schwertun damit, zwecks Kostensenkung Mitarbeiter zu entlassen. In solchen Organisationen entwickelt sich eine ganz andere Mitarbeiterbindung als in Großunternehmen. Trend zu Qualitätsmanagement und Zertifizierung Wachstum und Erfolg werden nicht allein an Umsatz und Ertrag gemessen, … … sondern auch an der Unternehmensgröße und an der langjährigen Verbundenheit der Belegschaft. Ich will diese Sichtweise nicht glorifizieren, doch wir sollten einen Blick darauf haben, wenn wir über Akzeptanzprobleme für Projektmanagement sprechen. Diese Mentalität muss man unbedingt berücksichtigen, wenn man den Mittelstand auf Projektmanagement anspricht. Kann es sein, dass Mittelständler Projektmanagement für eine Methodik für Konzerne halten - und Konzerne eben die Unternehmen sind, von denen sie sich bewusst abgrenzen? Im Mittelstand hat man eine gewisse Scheu vor Großunternehmen. Zum einen finden sich neidische Blicke auf Großunternehmen und Konzerne, die in Absolutzahlen ganz andere Auftragsvolumina bewegen. Zum anderen wollen viele Mittelständler mit Konzernstrukturen und Konzernpolitik nichts zu tun haben. Inwiefern? Man will beispielsweise die Unternehmenspolitik nicht mit Analysten diskutieren oder unter öffentlicher Beobachtung Vorstände berufen, wie dies in Aktiengesellschaften üblich ist. Denken Sie nur an die Wellen, die die Neuberufung des Siemens-Vorstands vor einigen Jahren geschlagen hat! So etwas wäre einem Mittelständler völlig fremd. Die Stärke des Mittelstands liegt darin, dass in diesen Unternehmen schnell entschieden wird. Richtig! Ich bin vielen Familien-Geschäftsführern begegnet, die ihren Markt, ihre Kunden, Produkte und Technologien ausgezeichnet kennen - darunter auch Patriarchen der alten Schule. Die Geschäftsführung kann schnell entscheiden und direkt die Geschäftstätigkeit steuern; dort müssen sich vielleicht zwei Geschäftsführer abstimmen, von denen einer für das Technische, der andere für das Kaufmännische zuständig ist. Dagegen muss man im Großkonzern erst einmal eine Vorstandssitzung terminieren, um überhaupt entscheiden zu können. Aber: Schnelle Entscheidungen und einfachere Strukturen sind nicht immer hilfreich. In Konzernen findet man wesentlich mehr demokratisches Abstimmungspotenzial. Ruht die Entscheidung nur auf ein oder zwei Schultern, so kann die Gefahr des Irrtums recht groß sein. Viele mittelständische Unternehmen befinden sich im Umbruch. Die Gründergeneration übergibt das Unternehmen an Nachfolger, zumeist an die Söhne. Haben sie studiert, so bringen Juniorchefs aus ihrem Studium Aufgeschlossenheit für Projektmanagement mit … Dies erleichtert die Einführung von Projektmanagement. Die zuweilen patriarchalisch agierende Genera- Umbruch und Generationswechsel Mittelständler scheuen „Konzernmanagement“ Schwerpunkt Maschinen- und Anlagenbau: In dieser Sparte genießen mittelständische Unternehmen aus Deutschland weltweit einen guten Ruf. Projektmanagement könnte ihnen helfen, die Weltmärkte noch weiter zu erschließen. Foto: Pro2 Anlagentechnik PM_5-2011_1-60: Inhalt 08.11.2011 7: 51 Uhr Seite 14 projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2011 l 15 tion, die sich schwertat, Befugnisse an Projektmanager zu übertragen, zieht sich aus dem Geschäftsleben zurück. In einem entsprechenden Studium beispielsweise der Betriebswirtschaftslehre und der Ingenieurwissenschaften haben die Junioren sich bereits mit Projektmanagement befasst. Trotzdem bleiben Schwierigkeiten? Der Prozess der Übergabe zieht sich teilweise über Jahre hin, dies ist das Problem. Der Ablöseprozess kann für alle Beteiligten sehr schwierig, ja sogar schmerzvoll sein. Also hat die junge Führungsgeneration wenige Chancen, Projektmanagement als neues Führungsinstrument durchzusetzen? Nein! Will der Juniorchef moderne Methoden einführen, so wird er sich über kurz oder lang gegen den Senior durchsetzen. Gelingt ihm dies nicht, droht das Unternehmen zu zerbrechen. Erst dann, wenn der Nachwuchs fest im Sattel sitzt, steigt in der Regel die Aufgeschlossenheit für Projektmanagement. Auch nach dem Generationswechsel bleibt in mittelständischen Unternehmen eine gewisse Hemdsärmeligkeit bei Managern bestehen. Mittelständische Unternehmen neigen zum knappen Planen, diese Eigenheit mag als „Hemdsärmeligkeit“ verstanden werden. Die Unternehmen fangen an umzusetzen, die Planung läuft nebenher - völlig anders als in der reinen Lehre, in der man auf Zieldefinition, Planung und anschließende Realisierung pocht. Im Mittelstand wird diese Phasenabfolge also selten eingehalten. Man beobachtet, dass Planung anhand der Realität korrigiert wird. Da dürfte es Projektmanagementexperten kalt den Rücken herunterlaufen. Wie soll es möglich sein, etwa ohne Zieldefinition ein Projekt erfolgreich zu steuern? Mit dieser reinen Lehre erreichen Sie den Mittelstand nur schwer, wie schon gesagt. Wir brauchen einen Mittelweg zwischen der akademischen und der hemdsärmeligen Vorgehensweise. Wir müssen dem Mittelstand entgegenkommen! Ein Beispiel? In Teilen des Mittelstands tut man sich schwer damit, abstrakte Ziele zu definieren und nachmessbar festzulegen. Unternehmen wie regional tätigen Handwerksbetrieben wäre schon geholfen, wenn die zu erreichenden Ziele durch die Ausschreibung klar vorgegeben wären. Sie können doch nicht die Zieldefinition an den Auftraggeber delegieren? Die Zielvorgabe ist Aufgabe des Auftraggebers. Und es lohnt sich, wenn er eine detaillierte Zieldefinition formuliert. Dies würde diesen Unternehmen die grobe Planung erleichtern! Die Ausschreibung von Aufträgen ist bekanntlich die einfachste Form des Lastenhefts. Wir wissen aber auch: Nicht alle Auftraggeber sind selbst Mittelwege für den Mittelstand Forschung und Entwicklung bilden wichtige Säulen im Mittelstand. Projektmanagement hilft, die immer kürzeren Innovationszyklen zu bewältigen und mit innovativen Produkten wettbewerbsfähig zu bleiben. Foto: REIS Leiternhersteller PM_5-2011_1-60: Inhalt 08.11.2011 7: 51 Uhr Seite 15 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2011 16 REPORT in der Lage, die Ziele ihres Auftrags deutlich herauszuarbeiten. Sie sprachen vorhin von einem vereinfachten Projektmanagement für bestimmte mittelständische Betriebe, die kleine Projekte durchführen. Was gehört Ihrer Einschätzung nach zu den elementaren Methoden, die ein Mittelständler zur Zieldefinition benötigt? Er sollte aufschreiben, was eigentlich erreicht werden soll und wie er dieses Ziel erreichen kann. Schafft er es überhaupt von der Zeit und seiner Kapazität her? Dies ist eine elementare Frage für Mittelständler. Dann gehört zur Basis noch eine tragfähige Kalkulation, zu der man die Leistung anbietet. Apropos Kalkulation. Mittelständische Geschäftsführer räumen unter der Hand ein, dass sie erst am Ende des Projekts wissen, was es eigentlich gekostet hat - und welchen Gewinn sie erwirtschaftet haben. Schlimmer noch: Viele mittelständische Unternehmen sind dauerhaft überlastet. Ihre Mitarbeiter leisten statt der vereinbarten 38 Stunden wochenlang 40 oder 45 Stunden Arbeit. Viele Büros und Werkshallen sind samstags, teils sogar sonntags belebt. Die Überlastung ist in der Tat bei vielen Unternehmen ein Problem. Woran liegt’s? Haben Sie je einen mittelständischen Handwerker erlebt, der einen Auftrag ablehnt, weil er ihn nicht schaffen kann? Überlastung im Projektgeschäft Im Ernst … Dies ist mein Ernst. In der Flexibilität der Mitarbeiter liegt ein Vorteil für die Projektarbeit im Mittelstand. Großunternehmen sind sehr fest an die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter gebunden. Dort Terminprobleme oder andere Schwierigkeiten in Projekten auszugleichen - etwa durch Mehrarbeit an Wochenenden oder in Nachtstunden -, dies scheitert häufig an der starken Arbeitnehmervertretung von Großunternehmen. Beim Mittelstand ist dies völlig anders. Dort gibt es diese Komplikationen nicht - oder zumindest nicht so ausgeprägt. Wenn im Projekt Notstand herrscht oder zu viele Projekte gleichzeitig abgewickelt werden müssen, dann packt jeder mit an und arbeitet notfalls auch sonntags. Der Mittelstand dürfte sich doch mit dieser Praxis in einer arbeitsrechtlichen Grauzone bewegen … Vieles davon ist arbeitsrechtlich nicht zulässig, und ich will keineswegs solchen Verstößen das Wort reden. Ich beschreibe nur die Sachlage. Die Taktik, Probleme in Projekten durch Mehrarbeit in den Griff zu bekommen, ist bekannt. Wäre der Mittelstand nicht besser beraten, durch Multiprojektmanagement und Ressourcenmanagement solche Schwierigkeiten zu meistern - statt mit Feiertagsschichten und Nachtarbeit? Hier würden sich dem Mittelstand handfeste Chancen bieten. Dies ist alles richtig. Ich würde allerdings andere Chancen nennen, wenn ich im Mittelstand für Projektmanagement werben wollte. Projektmanagement verbessert die Marktchancen von mittelständischen Unternehmen. Durch Projektmanagement können die Unternehmen ganz neue Aufträge akquirieren. Zum Beispiel? Denken Sie an die Automobilindustrie, die die deutsche Wirtschaft stark prägt! Kein Hersteller kann heute das Entwicklungsprojekt für ein neues Auto alleine stemmen. Er gibt den Rahmen vor und überträgt Entwicklungsprojekte für einzelne Komponenten an seine Zulieferer. In einem Lastenheft beschreibt er, was jede Komponente leisten soll - bei dem Motor beispielsweise Verbrauch, Leistung und andere technische Spezifikation. Die direkten Zulieferer wiederum gliedern Teilprojekte an ihre Lieferanten aus - und zwar vielfach an mittelständische Unternehmen. In der Partnerschaft bei solchen Projekten bieten sich große Chancen für Mittelständler, zusätzliches Geschäft zu generieren. Augenblick! Wer an solchen Großprojekten teilhaben will, braucht eine Zertifizierung. Er muss Projektmanagementkenntnisse nachweisen. Mit PM-Basiswissen allein wird kein Unternehmen an den Start gelassen; der Hersteller sperrt diesen Lieferanten sofort. „PM Basic“ und „PM Medium“, wie ich es eben genannt habe, reichen für diese spezialisierten Unternehmen nicht aus. Sie müssen in hochkomplexen Projekten mitwirken, sinnvoll ihre Leistung zum geforderten Zeitpunkt zu den geforderten Kosten in der gefor- Mitwirkung an hochkomplexen Projekten Viele Mittelständler haben bislang kaum die Chance entdeckt, an Großprojekten mitzuwirken. In der Partnerschaft mit Konzernen bieten sich große Chancen für sie, zusätzliches Geschäft zu generieren. Dafür aber brauchen sie Projektmanagement. Foto: MAN Diesel und Turbo SE PM_5-2011_1-60: Inhalt 08.11.2011 7: 51 Uhr Seite 16 derten Qualität erbringen. Doch auf Druck von Kunden und Markt sind die Unternehmen eher bereit, sich weiterzuentwickeln - hin zu „PM Premium“, wie ich es genannt habe. Welche weiteren Chancen eröffnen sich dem Mittelstand durch Projektmanagement? Wir haben bisher nur über Forschungs- und Entwicklungsprojekte gesprochen, wie sie in der Industrie und mittlerweile auch in der Dienstleistung stattfinden. Auch auf die Teilnahme an klassischen Projekten etwa aus dem Anlagenbau kann sich der Mittelstand strategisch ausrichten. Weshalb soll er sich nicht am Aufbau einer Fabrik in Schwellenländern beteiligen? Die dortigen Firmen sind häufig fachlich nicht in der Lage, als Auftragnehmer in solchen Projekten zu arbeiten. Dann sind deutsche Mittelständler mit einer gewissen Mannschaftsstärke im Ausland vor Ort tätig. Das internationale Projektgeschäft gilt als recht kompliziert. Internationale Projekte laufen anders als Projekte hierzulande. Man muss in bestimmten Ländern improvisieren können, dort mangelt es an Infrastruktur. Auch können Einfuhrbestimmungen solche Projekte gefährden, wenn bestimmte Zulieferungen im Zoll für Wochen hängenbleiben. Deutscher Mittelstand global? Übernimmt sich ein Mittelständler nicht mit dem Ziel, an internationalen Projekten mitzuwirken? Er muss sich mit dem internationalen Projektmanagement befassen, daran führt für ihn kein Weg vorbei. Nochmals zu dem bedarfsorientierten Projektmanagement, wie Sie es nennen, zu „PM Basic“ und „PM Medium“. Findet der Mittelstand Lehrbücher und Weiterbildungsangebote für diese vereinfachte Methodik? Mir sind kaum Bücher oder Seminare bekannt. Bisher mussten Projektmanager aus dem Mittelstand mangels Alternative an zeitaufwendigen und teuren Seminaren teilnehmen. Vielleicht braucht der Mittelstand Qualifizierungen, die kürzer und preiswerter als die bestehenden Angebote sind. Dann hätten wir neben den klassischen Lehrgängen zwei weitere Angebote, nämlich zum Basisprojektmanagement und zum Projektmanagement für mittelschwierige Projekte. - Aber ich will die Weiterbildungsszene damit nicht belehren. Trotzdem - vielleicht eine Marktlücke? Vielleicht, ja! Wie gesagt, 99 Prozent der deutschen Unternehmen entstammen dem Mittelstand. Wir haben über die Chancen gesprochen. Projektmanagement kann vielen mittelständischen Unternehmen neue Möglichkeiten bieten. Andersherum kann der Mittelstand auch dem Projektmanagement vielleicht völlig neue Chancen eröffnen. ■ projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2011 l 17 Aus den Lieferketten des deutschen Automobilbaus ist der Mittelstand kaum fortzudenken. Im Bild die BMW-Produktion in Leipzig. Foto: BMW PM_5-2011_1-60: Inhalt 08.11.2011 7: 51 Uhr Seite 17