eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 23/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
11
2012
231 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projektmanagement unter Unsicherheit - Die tägliche Herausforderung im Projekt, Teil 1

11
2012
Steffen Scheurer
Michael Ribeiro
Projektmanagement als Führungskonzeption erweist sich als geeigneter Ansatz, um ein Unternehmen in der heutigen hochkomplexen Umwelt zu steuern. Mit dem Projektwertbeitrag wird eine Steuerungsgröße vorgestellt, die aus dem Wertsteigerungsmanagement abgeleitet den lebenszyklusorientierten Beitrag eines Projektes zum Unternehmenswert ausweist. Zudem werden mit der Szenarioanalyse und dem Realoptionsansatz zwei Methoden zum Umgang mit zunehmender Ungewissheit in Projekten vorgestellt und deren Einsatzmöglichkeiten diskutiert. Der praktische Einsatz von Szenarioanalysen für den Projektwertbeitrag wird abschließend anhand eines praktischen Tools verdeutlicht.
pm2310027
projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2012 l 27 WISSEN 1 Rahmenbedingung des Projektmanagements 1.1 Komplexität im Projektmanagement Parallel zur Globalisierung der Kapitalmärkte hat eine weltweite Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft stattgefunden. Durch die Digitalisierung vieler Lebensbereiche nehmen gesellschaftliche, politische und ökonomische Wechselwirkungen zu. Eine Beschleunigung aller Lebensbereiche ist die Folge. Bezogen auf unternehmerische Aktivitäten führt die Beschleunigung des technologischen Fortschritts in vielen Branchen zu immer kürzeren Produktlebenszyklen, zu zunehmender technologischer Komplexität, aber auch zu einer wachsenden Bedeutung technologischer Innovationen für den Geschäftserfolg. Becker spricht sogar von der „… vielleicht dramatischsten Anpassungsphase seit der industriellen Revolution …“. Aus seiner Sicht werden „… Effektivität und Geschwindigkeit in Innovation und Anpassung … zu entscheidenden Faktoren …“ [1]. Die Unternehmensführung steht somit vor der Herausforderung, die sich immer schneller wandelnden Beziehungen zwischen Umwelt und Unternehmung möglichst frühzeitig wahrzunehmen und in die unternehmerischen Entscheidungen mit einzubeziehen. Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit der Unternehmen müssen erhöht werden, um mit den sich immer wieder ändernden Unternehmenssituationen und dem erhöhten Kostendruck erfolgreich umgehen zu können [2]. Hierzu gehören der Aufbau einer breit im Unternehmen verankerten organisationalen Lernfähigkeit sowie die Entwicklung einer breit angelegten strategischen Kompetenz. Dies kann bestens im Rahmen des Projektmanagements umgesetzt werden. Projektmanagement benötigt Projektmanagement unter Unsicherheit - Die tägliche Herausforderung im Projekt, Teil 1 Projektmanagement ist zunehmend als Führungsfunktion zu verstehen. Damit muss Projektmanagement einen Beitrag zur Unternehmensentwicklung und zur Steigerung des Unternehmenswertes leisten. Dabei reicht es nicht mehr aus, Projekte nach den Größen des magischen Dreiecks (Kosten, Zeit, Leistung) zu führen. Dementsprechend müssen auch neue Steuerungsgrößen im Projektmanagement eingeführt werden. In diesem Artikel wird mit dem Projektwertbeitrag eine Steuerungsgröße vorgestellt, die an die übergeordneten, wertsteigerungsorientierten Steuerungsgrößen eines Unternehmens anschlussfähig ist. Darüber hinaus wird diskutiert, wie die zunehmende Ungewissheit in Projekten mittels Szenarioanalyse und Realoptionsansatz bei der Berechnung des Projektwertbeitrages mit einbezogen werden kann. Der Transfer der theoretischen Betrachtungen in die Projektpraxis wird durch die Vorstellung des Value Navigators verdeutlicht. Hierbei handelt es sich um ein Szenariotool, das den Projektleiter bei der Berechnung von Projektwertbeiträgen unter Ungewissheit unterstützt. Teil 2 dieses Artikels lesen Sie im nächsten Heft. Steffen Scheurer, Michael Ribeiro eine eigenständige, flexiblere Sekundärstruktur. Projektmanagement ermöglicht, aus Sicht des Multiprojektmanagements betrachtet, eine Flexibilisierung der strategischen Ausrichtung. Im Grunde kann die Gesamtstrategie eines Unternehmens mittels Multiprojektmanagement in eine Reihe konsistenter Strategiebündel zerlegt und somit flexibel gesteuert werden. Projektmanagement findet in dezentralen Projektteams statt, die nahe am jeweiligen Markt und Kunden arbeiten. Damit sind Projekte prädestiniert für eine frühe Wahrnehmung von Veränderungen. Dies macht sie zu einem idealen Nukleus für eine lernende Organisation. Dass diese Herausforderungen mittels Projektmanagement sinnvoll bewältigbar sind, zeigen auch die Ergebnisse der HAYS-Studie zur betrieblichen Projektwirtschaft aus dem Jahr 2009. Demnach werde eine Vielzahl von externen und internen Ursachen für die Einführung einer betrieblichen Projektwirtschaft in Unternehmen genannt, die einen engen Bezug zu den oben Projektmanagement als Führungskonzeption erweist sich als geeigneter Ansatz, um ein Unternehmen in der heutigen hochkomplexen Umwelt zu steuern. Mit dem Projektwertbeitrag wird eine Steuerungsgröße vorgestellt, die aus dem Wertsteigerungsmanagement abgeleitet den lebenszyklusorientierten Beitrag eines Projektes zum Unternehmenswert ausweist. Zudem werden mit der Szenarioanalyse und dem Realoptionsansatz zwei Methoden zum Umgang mit zunehmender Ungewissheit in Projekten vorgestellt und deren Einsatzmöglichkeiten diskutiert. Der praktische Einsatz von Szenarioanalysen für den Projektwertbeitrag wird abschließend anhand eines praktischen Tools verdeutlicht. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ PM_1-2012_1-60: Inhalt 30.01.2012 16: 04 Uhr Seite 27 beschriebenen Trends und Herausforderungen aufweisen [3] (Abb. 1 und 2). Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass die Problemstellungen, die mit Projekten bearbeitet werden sollen, zunehmend schlecht strukturiert und immer stärker wechselseitig miteinander vernetzt sein werden. Nicht zuletzt ist davon auszugehen, dass sich die Aufgabenstellungen im Zeitverlauf, und damit wohl auch während der Bearbeitung, noch ändern werden. Mit anderen Worten: Es ist mit zunehmend komplexen Projekten zu rechnen. 1.2 Wertsteigerung im Projektmanagement Die Steigerung des Unternehmenswertes als Unternehmensziel hat in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der Globalisierung der Kapitalmärkte und des erhöhten Kapitalbedarfs international tätiger Unternehmen stark an Bedeutung gewonnen. Eigenkapital muss mittlerweile auf den internationalen Kapitalmärkten besorgt werden. Dabei konkurrieren die Unternehmen weltweit um das knappe Kapital der Investoren. Eine Orientierung der Unternehmensentwicklung an den Interessen der Anleger und damit an der Leitidee der wertorientierten Unternehmensführung wird damit immer dringlicher. Somit sind alle unternehmerischen Entscheidungen an der Wertsteigerung des Unternehmens auszurichten. Bezogen auf das Projektmanagement liegt ein Projekterfolg dann vor, wenn Projekte zur Steigerung des Unternehmenswertes beitragen. Wenn Projektmanagement sowohl im Hinblick auf die Steigerung des Unternehmenswertes als auch im Hinblick auf die strategische Positionierung des Unternehmens und damit im Hinblick auf die Verbesserung der relativen Wettbewerbsfähigkeit eine aktive Rolle spielen soll, muss Projektmanagement umfassender verstanden werden: ❑ Projektmanagement muss als Führungskonzeption verstanden werden und in Form eines Multiprojektmanagements konkrete Aufgabenstellungen im Hinblick auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens übernehmen. ❑ Projektmanagement muss systematisch an der Steigerung des Unternehmenswertes ausgerichtet werden. Dies gilt sowohl für das Multials auch für das Einzelprojektmanagement. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags wird die Rolle des Multiprojektmanagements nicht weiter thematisiert. Für Interessenten sei auf weitere Quellen verwiesen [4]. Hier wird die wertorientierte Abwicklung von Projekten auf der Einzelprojektebene fokussiert. Dabei stehen zwei Schwerpunkte im Vordergrund: Der erste Schwerpunkt wird darauf liegen, mit dem „Projektwertbeitrag“ eine Kennziffer vorzustellen, mit der direkt der Beitrag eines Projektes zum Unternehmenswert bestimmt werden kann. Diese Kennziffer kann zugleich als eine wichtige Steuerungsgröße für eine wertsteigerungsorientierte Projektabwicklung gesehen werden. Der zweite Schwerpunkt besteht in der Diskussion der Projektwerttreiber. Darunter werden die wesentlichen Einflussgrößen des Projektwertbeitrags verstanden. 1.2.1 Darstellung des Projektwertbeitrages Zunächst wird im Folgenden der Projektwertbeitrag als Steuerungskennziffer eingeführt. Eine wertsteigerungsorientierte Steuerungskennziffer muss aus Sicht des Wertsteigerungsmanagements die richtigen Steuerungsinformationen bieten. Ein Projekt lässt sich aus gesamtunternehmerischer Sicht nur dann rechtfertigen, wenn das Projekt einen Beitrag zum Gesamtunternehmenswert erbringt, der mindestens gleich hoch oder höher ist als der Beitrag eines Alternativprojektes oder wenn das Projekt für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens von strategischer Bedeutung ist. Damit muss der Projektwertbeitrag den wirtschaftlichen Totalerfolg des Projektes über alle Phasen des Projektlebenszyklus hinweg messen. Ausgangspunkt für die Ableitung einer wertsteigerungsorientierten Projektsteuerungskennziffer sind die theoretischen Grundlagen des Wertsteigerungsmanagements. Demnach stellt die Überlassung von Eigenkapital aus Sicht eines Investors (Shareholders) eine Investition dar. Sofern es sich bei dem Eigenkapitalgeber um einen ökonomisch rational vorgehenden Investor handelt, wird er seine Entscheidung hinsichtlich einer Durchführung oder Unterlassung der Investition von der Risiko-Rentabilitäts-Kombination der Investition abhängig machen. Damit besteht die Aufgabe des Wertsteigerungsmanagements darin, den Wert der betrieblichen Investitionen stellvertretend für den Eigenkapitalgeber zu steigern. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2012 28 WISSEN Abb. 1: Externe Motivation zur Einführung betrieblicher Projektwirtschaft Zunahme der Komplexität von Produkten und Dienstleistungen Marktdruck und -erfordernisse (z. B. Nähe zum Kunden) Kostendruck (daher Nutzung von unternehmensinternen Potenzialen) Nutzung von Synergien zwischen Fachbereichen und Niederlassungen Kürzere Innovationszyklen bzw. -druck Flexibilisierung der Arbeitswelt Keine Angabe Angaben in % Mehrfachnennung möglich N = 217 60 56 50 48 41 33 6 Externe Ursachen Abb. 2: Interne Motivation zur Einführung betrieblicher Projektwirtschaft Angaben in % Mehrfachnennung möglich N = 217 79 72 55 50 42 4 Interne Ursachen Bessere Bewältigung von komplexen Fragen- und Aufgabenstellungen Nutzung der Kompetenzen und des Know-hows aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen Neue Produkte und Dienstleistungen lassen sich über Projektteams besser entwickeln Steigerung der Innovationsfähigkeit Schaffung einer höheren Flexibilität Keine Angabe PM_1-2012_1-60: Inhalt 30.01.2012 16: 04 Uhr Seite 28 Es kann nun davon ausgegangen werden, dass ein Projekt als betriebliche Investitionsalternative zu verstehen ist. Damit stellt sich letztlich die Frage, wie vom Entscheidungswert des Eigenkapitalgebers ausgehend ein sinnvoller unternehmensinterner Entscheidungswert zur Beurteilung von Projektwertbeiträgen abgeleitet werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage wird an das cashfloworientierte Shareholder Value-Konzept von Rappaport angeknüpft [5]. Zunächst wird die grundsätzliche Funktionsweise mit Blick auf Entscheidungs- und Steuerungsgrößen für das Gesamtunternehmen dargestellt. Anschließend wird dann darauf eingegangen, inwieweit sich das Konzept auch für die Generierung von Entscheidungs- und Steuerungsgrößen für Projekte eignet. Rappaport definiert den Shareholder Value als Barwert sämtlicher Nettozahlungen an die Eigner. T FCF t Residualwert SV = Σ ------------ + ------------- + MW nbV - MW FK t = 0 (1 + WACC) t (1 + WACC) T mit FCF : Freier Cashflow WACC : Weighted Average Cost of Capital (Kapitalstrukturgewichteter Gesamtkapitalkostensatz) MW nb V : Marktwert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens MW FK : Marktwert des Fremdkapitals Damit berechnet sich der Marktwert eines Unternehmens nach Rappaport als Summe aller zukünftigen diskontierten Free Cashflows. Die diskontierten Cashflows stehen für den Unternehmenswert aus der laufenden Geschäftstätigkeit. Rappaport geht dabei davon aus, dass nicht alle anfallenden Cashflows über die ganze Zeit des Bestehens eines Unternehmens genau prognostiziert werden können. Deshalb teilt er die Summe aller diskontierten Cashflows in exakt geplante Cashflows für eine bestimmte Planungsperiode und in einen Residualwert für die Cashflows nach dieser Planungsperiode auf. Die Cashflows der Planungsperiode und der Residualwert werden auf den Betrachtungszeitpunkt diskontiert. Hierzu wird noch der Marktwert der Vermögensgegenstände, die nicht der laufenden Geschäftstätigkeit dienen - das nicht betriebsnotwendige Vermögen -, hinzuaddiert. Von dieser Summe muss noch der Marktwert des Fremdkapitals abgezogen werden, um zum Shareholder Value, dem Marktwert des Eigenkapitals, zu gelangen. Bei der Übertragung des Shareholder Value-Konzepts auf die Projektebene ergeben sich sowohl praktische Vereinfachungen aber auch theoretische und praktische Schwierigkeiten [6]. Die Ermittlung von projektorientierten Free Cashflows fällt zunächst aufgrund der besseren Überschaubarkeit des Planungszeitraums eines Projektes leichter. Damit kann bei der Betrachtung von Projekten die Berechnung eines Residualwertes entfallen. Zudem ist davon auszugehen, dass auf Projektebene gewöhnlich nur betriebsnotwendige Vermögensgegenstände eingesetzt werden; daher erscheint eine Zurechnung nicht betriebsnotwendigen Vermögens auf Projekte nicht sinnvoll. Darüber hinaus erfolgt die Finanzierung von Projekten in der Regel nicht auf der Ebene der Projekte selbst, sondern im Rahmen der Optimierung der Kapitalstruktur gesamter Unternehmenseinheiten. Insofern kann bei der Berechnung des Projektwertbeitrages auch auf den Abzug des Marktwertes des Fremdkapitals verzichtet werden. Dieser Abzug erfolgt dann automatisch im Rahmen der Totalbetrachtung des Unternehmenswertes, wenn auf der Ebene des Gesamtunternehmens beziehungsweise der zu bewertenden Unternehmenseinheit der Abzug des Marktwertes des Fremdkapitals erfolgt. Demnach kann der Projektwertbeitrag wie folgt berechnet werden: T ProjektFCF t Projektwertbeitrag (PWB) = Σ ------------- t = 0 (1 + WACC) t Schwierigkeiten bei der Berechung des Projektwertbeitrages machen jedoch die exakte projektbezogene Zurechnung von Free Cashflows, die Zurechnung von projektspezifisch eingesetztem Kapital sowie die Berechnung projektspezifischer Kapitalkosten. Wie damit umgegangen werden kann, wird im nächsten Abschnitt kurz dargestellt. In Summe kann davon ausgegangen werden, dass das Shareholder Value-Konzept auf die Berechnung eines Projektwertbeitrages angewendet werden kann. Somit kann der Projektwertbeitrag als eine zukunftsorientierte, auf projektlebenszyklusorientierten Planungsdaten basierende Steuerungsgröße definiert werden, ❑ mit deren Hilfe bereits vor dem Projektstart der Beitrag eines Projektes zum Gesamtunternehmenswert abgeschätzt wird und ❑ die im weiteren Verlauf des Projektes als Sollgröße zur Sicherung der Projektwirtschaftlichkeit zugrunde gelegt werden kann. Im Folgenden wird detaillierter darauf eingegangen, wie die wichtigsten Bestandteile des Projektwertbeitrages zu ermitteln sind. (1) In einem ersten Schritt wird die Ermittlung des Free Cashflows des Projektes dargestellt. Entscheidend für die Berechnung eines Projektwertbeitrages sind die Höhe der geplanten Free Cashflows aus einem Projekt sowie deren zeitlicher Anfall. Die Berechung des Projekt-Free Cashflows wird an die Vorgehensweise von Pape, allerdings ohne die Berücksichtigung von Steuern, angelehnt [7] (Abb. 3). Schwierigkeiten bereitet bei dieser Ableitung der Free Cashflows vor allem die projektspezifische Zurechnung der Cashflows. Diese Schwierigkeiten resultieren zum einen aus der verursachungsgerechten Zurechnung von Gemeinkosten auf die Projekte, zum anderen aus Verbundproblemen, die sich aus der gemeinsamen Nutzung gleicher Potenzialgüter durch mehrere Projekte ergeben können. Wie solche Effekte berücksichtigt werden können, wird im nächsten Abschnitt aufgezeigt. Zudem laufen Projekte in der Regel über mehrere Abrechnungsperioden hinweg. Damit wird zur Erfassung des Zeitwertes des Geldes eine entsprechende Einordnung der Projekt-Cashflows auf der Zeitachse des Projektes notwendig. Hierzu kann eine Einteilung des Projektes in typische Projektlebenszyklen, wie zum Beispiel die Projektvorlaufphase, die Nutzungs- und die Projektnachlaufphase, vorgenommen werden. (2) In einem zweiten Schritt wird im Folgenden auf den Kalkulationszinsfuß eingegangen. Rappaport zieht als Diskontierungszinssatz den kapitalstrukturgewichteten Gesamtkapitalkostensatz (Weighted Average Cost of projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2012 l 29 PM_1-2012_1-60: Inhalt 30.01.2012 16: 04 Uhr Seite 29 Capital = WACC) heran. Dieser Kapitalkostensatz ergibt sich als gewichteter Durchschnitt der Eigenkapital- und Fremdkapitalkosten, wobei die Wirkung von Steuern hier ebenfalls vernachlässigt wird. Bezogen auf die Berechnung eines Gesamtunternehmenswertes stellt der Gesamtkapitalkostensatz unzweifelhaft eine sinnvolle Größe dar. Im Hinblick auf ein Projekt müsste hier auch die zugehörige Finanzierungsstruktur des Projektes bestimmt werden. In der Praxis dürfte es äußerst schwerfallen, jedem speziellen Projekt seine eigene Finanzierungsstruktur zuzurechnen. Zudem hängt der kapitalstrukturgewichtete Gesamtkapitalkostensatz nicht nur von der Kapitalstruktur, sondern auch von der Risikostruktur der finanzierten Unternehmenseinheit ab. Die Abschätzung des projektspezifischen Risikos stellt schon an sich eine komplexe Aufgabenstellung dar. Die Quantifizierung dieses Risikos im Sinne einer theoretisch richtigen Einpreisung in einen „projektspezifischen Betafaktor“ zur Berechnung von projektspezifischen Eigenkapitalkosten ist nicht möglich [9]. Stattdessen ist es sinnvoll, für die Berechnung des Projektwertbeitrages auf den kapitalstrukturgewichteten Gesamtkapitalkostensatz zurückzugreifen, der sich aus der Kapital- und Risikostruktur einer übergeordneten Einheit ableiten lässt. Hierbei kommt entweder die Kapital- und Risikostruktur des Gesamtunternehmens infrage oder, sofern eine bereichsspezifische Kapital- und Risikostruktur im Unternehmen abgebildet wird, der kapitalstrukturgewichtete Gesamtkapitalkostensatz des Unternehmensbereiches, in dem das Projekt ablaufen soll [10]. 1.2.2 Ermittlung der Werttreiber des Projektwertbeitrages Bei der Ableitung des Projektwertbeitrages ist deutlich geworden, dass die Projekt-Free Cashflows als die Schlüsselgröße für den Beitrag eines Projektes zum Gesamtunternehmenswert anzusehen sind. Insofern kommt der Planung und der Erfassung der Einflussgrößen des Projekt-Free Cashflows die zentrale Bedeutung bei der Ermittlung möglicher Projektwertbeiträge zu. Im Folgenden werden die wesentlichen Einflussgrößen auf den Projekt-Free Cashflow als Projektwerttreiber bezeichnet. Für die Ermittlung eines aussagefähigen Projektwertbeitrages kommt es somit vor allem darauf an, die wesentlichen Projektwerttreiber des jeweiligen Projektes herauszukristallisieren und deren Wirkung auf die Projektzahlungsströme in den verschiedenen Phasen des Projektlebenszyklus abzuschätzen. Die Wirkung der Projektwerttreiber auf die Zahlungsströme hängt wiederum von einer ganzen Anzahl von Einflussgrößen ab. Idealerweise sind diese Einflussgrößen gleich mit zu erfassen. Welches nun die wichtigsten Projektwerttreiber sind, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Die relevanten Projektwerttreiber unterscheiden sich je nach Branche, nach Projekttyp, ja sogar innerhalb derselben Projekttypen noch nach den spezifischen vertraglichen Ausgestaltungen des Projektes. Beispielsweise weist ein Projekt zur Entwicklung neuer Komponenten eines Automobils vollkommen andere Werttreiber auf als ein Projekt zur Entwicklung und zum Aufbau einer großen Raffinerie. Wenn für ein Projekt die spezifischen Werttreiber ermittelt sind, müssen diesen Werttreibern ihre jeweiligen Zahlungsströme zugerechnet werden. Idealerweise werden diese Daten aus einer internen, möglichst noch aus einer projektorientierten Cashflow- Rechnung ermittelt. Leider sind solche projektorientierten Cashflow-Rechnungen jedoch in der Praxis eher selten zu finden, allenfalls in Branchen, in denen das Geschäft nahezu ausschließlich von Projekten abhängt. Als Beispiel seien hier der Anlagenbau oder die Baubranche genannt. Aus diesem Grund muss bei der Ermittlung der benötigten Cashflow-Daten ein Umweg über die Umsatzplanung, die Investitionsplanung sowie über die weit verbreitete Kostenplanung gemacht werden. Aus der Umsatz- und der Investitionsplanung lassen sich in der Regel direkt zahlungsstromorientierte Größen ableiten, nicht jedoch aus der Kostenplanung. Hier tauchen aufgrund des Periodenbezugs und der nicht zwingend projektbezogenen Erfassung von Kostendaten Adjustierungsnotwendigkeiten auf. Zunächst muss sichergestellt werden, dass nur projektbezogene Kostendaten in die Free Cashflow-Berechnung eingehen. Gemeinkosten verursachen sachliche Abgrenzungsprobleme und sollten wenn möglich durch projektbezogene Prozesskosten ersetzt werden. Falls nicht anders möglich, können Gemeinkosten gemäß einem Vorschlag von Riezler auch über die Zurechnung von Deckungsbudgets auf die Projekte verrechnet werden [11]. Ein weiteres Problem sachlicher Abgrenzung ergibt sich aus der Nutzung von gemeinsamen Potenzialfaktoren oder durch die gemeinsame Nutzung von Vorlaufleistungen, wie zum Beispiel F&E-Leistungen, durch mehrere Projekte. Solche Verbundeffekte lassen sich entweder über die Berechnung von stückbezogenen Verrechnungssätzen mit anschließender Verrechnung über die Projektproduktstückzahlen oder über sekundäre Zahlungen erfassen. Grundsätzlich sind im Rahmen einer Projektwertbeitragsermittlung alle dem Projekt zuzurechnenden Kostendaten über den gesamten Lebenszyklus des Projektes hinweg zu erfassen. Eine projektorientierte Kostenrechnung ist somit grundsätzlich als lebenszyklusorientierte Kostenrechnung zu sehen, in der die Kosten den jeweils richtigen Lebenszyklusphasen des Projektes zugeordnet 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2012 30 WISSEN Abb. 3: Ermittlung des projektorientierten Free Cashflows [8] Betriebliche Einnahmen aus laufender Projekttätigkeit - Betriebliche Ausgaben aus laufender Projekttätigkeit = Projekt-Operating Cashflow - Projektbezogene Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen in das Anlagevermögen + Projektbezogene Desinvestitionen im Anlagevermögen - Projektbezogene Erhöhung des Working Capital + Projektbezogene Verringerung des Working Capital = Projekt-Free Cashflow (aus laufender Unternehmenstätigkeit und vor Zinsen) PM_1-2012_1-60: Inhalt 30.01.2012 16: 04 Uhr Seite 30 werden können. Mit dem Projekt als Betrachtungsobjekt und dem gesamten Lebenszyklus als Betrachtungszeitraum wird die klassisch kurzfristige und periodenbezogene Perspektive der Kostenrechnung zugunsten einer investitionstheoretischen Totalbetrachtung verändert. Erfolgt die Hinwendung zu einem dynamisch ausgerichteten Kalkül, welches nicht die periodenbezogene, sondern die periodenübergreifende Gesamtbetrachtung fokussiert, wird die Orientierung an einem zahlungsstromorientierten - also an einem pagatorischen - Kostenbegriff relevant. Da in der betrieblichen Praxis aber nahezu uneingeschränkt von der Verwendung eines wertmäßigen Kostenbegriffs ausgegangen werden kann, müssen folglich von den erfassten Kosten jene Kostenbestandteile wieder abgezogen werden, die zu keinen Zahlungswirkungen geführt haben. Insbesondere gilt dies natürlich für alle kalkulatorischen Kosten, die von vornherein ignoriert werden müssen [12]. Mit der Modifikation der kostenrechnerischen Daten im obigen Sinne kann ein Operating Cashflow berechnet werden. Entscheidend für die Berechnung von Projektwertbeiträgen ist jedoch die Berechnung des Free Cashflows. Aus diesem Grunde müssen nach der Modifikation der kostenrechnerischen Daten hin zu einem kurzfristigen Cashflow noch die periodenbezogenen Investitionen in das projektbezogene Anlage- und Umlaufvermögen abgezogen werden. Die Fortsetzung dieses Beitrages folgt im nächsten Heft der projektMANAGEMENT aktuell . ■ Literatur / Anmerkungen [1] Becker, L: Unternehmensführung in bewegten Zeiten. In: Becker, L./ Ehrhardt, J./ Gora, W. (Hrsg.): Führungskonzepte und Führungskompetenz. Düsseldorf 2006, S. 18 [2] Vgl. Bea, F. X./ Scheurer, S.: Neue Herausforderungen für deutsche Unternehmen - Mit Projektmanagement in die Zukunft. In: Wagner, R. (Hrsg.): Projekt als Strategie - Strategie als Projekt. Trends, Potenziale, Perspektiven. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, 2009, S. 12 ff. [3] Vgl. Betriebliche Projektwirtschaft. Eine Vermessung. Eine empirische Studie des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) im Auftrag von HAYS. Zitiert nach www.ibe-ludwigshafen.de/ images/ stories/ pdf/ betriebliche %20projektwirtschaft-ergebnisse.pdf, aufgerufen am 12.4.2010, S. 14 f. [4] Bea, F. X./ Scheurer, S./ Hesselmann, S.: Projektmanagement. Stuttgart 2011. Sowie Bea, F. X./ Scheurer, S.: Neue Herausforderungen für deutsche Unternehmen - Mit Projektmanagement in die Zukunft. In: Wagner, R. (Hrsg.): Projekt als Strategie - Strategie als Projekt. Trends, Potenziale, Perspektiven. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, 2009 [5] Vgl. zu den folgenden Ausführungen: Rappaport, A.: Shareholder Value - Ein Handbuch für Manager und Investoren. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 1998 [6] Vgl. Bea, F. X./ Scheurer, S./ Hesselmann, S.: Projektmanage ment. UTB, Stuttgart 2011, S. 525 ff. [7] Vgl. Bea, F. X./ Scheurer, S./ Hesselmann, S.: Projektmanage ment. UTB, Stuttgart 2011, S. 535 [8] In Anlehnung an Pape, U.: Wertorientierte Unternehmensführung und Controlling. Verlag Wissenschaft & Praxis, Sternenfels 1999, S. 98 [9] Vgl. Bea, F. X./ Scheurer, S./ Hesselmann, S.: Projektmanage ment. UTB, Stuttgart 2011, S. 539 f. [10] Vgl. Riezler, S.: Lebenszyklusrechnung. Instrumente des Controlling strategischer Projekte. Gabler Verlag, Wiesbaden 1996, S. 213 f. Vgl. hierzu auch die Ableitung von bereichsspezifischen Gesamtkapitalkostensätzen bei der Siemens AG. Geschäftsbericht 2007, S. 142 [11] Vgl. zu den folgenden Ausführungen: Riezler, S.: Lebenszyklusrechnung. Instrumente des Controlling strategischer Projekte. Gabler Verlag, Wiesbaden 1996, S. 151 ff. Sowie Schmidt, F. R.: Life Cycle Target Costing. Ein Konzept zur Integration der Lebenszyklusorientierung in das Target Costing. Shaker Verlag, Aachen 2000, S. 155 ff. [12] Ausführlicher hierzu: Siegwart, H.: Der Cash-flow als finanz- und ertragswirtschaftliche Lenkungsgröße. Zürich, Stuttgart 1994, S. 37 f. Schlagwörter Analysewerkzeug, Projektwertbeitrag, Realoption, Szenarioanalyse, Unsicherheit, Value Navigator, Wertsteigerung Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.3 Projektanforderungen und Ziele, 4.1.4 Risiken und Chancen, 4.3.3 Portfolioorientierung Autor Prof. Dr. Steffen Scheurer ist Gründer und Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Scheurer GmbH & Co. KG. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Unternehmensführung, Controlling, Projektmanagement, HR-Strategien und Kompetenzmanagement. Er hat erst kürzlich zusammen mit Prof. F. X. Bea und S. Hesselmann das Lehrbuch „Projektmanagement“ in der 2. Auflage veröffentlicht. Seine Arbeits- und Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Unternehmens- und Geschäftsbereichsstrategie, Multiprojektmanagement und Projektsteuerung sowie strategische Personalentwicklung. Prof. Scheurer ist Inhaber einer Professur für Rechnungswesen und Controlling an der Hochschule Nürtingen-Geislingen. Autor Dipl.-Phys. und MBA Michael Ribeiro ist seit sieben Jahren als Berater und Trainer in den Bereichen Projektmanagement, Multiprojektmanagement, Unternehmensstrategie sowie Prozessmanagement schwerpunktmäßig in Entwicklung, Controlling und Vertrieb aktiv. Zuvor war er lange Jahre in der Siemens AG tätig und hat den EMEA-Vertrieb eines amerikanischen Systemanbieters geleitet. Michael Ribeiro hat sich als Project Management Professional (PMP ® ) und Senior Projektmanager (GPM) zertifiziert und hat Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen. Anschrift der Autoren Unternehmensberatung Dr. Scheurer GmbH & Co. KG Hauffstraße 9 D-72793 Pfullingen E-Mail: info@ub-scheurer.de www.ub-scheurer.de projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2012 l 31 PM_1-2012_1-60: Inhalt 30.01.2012 16: 04 Uhr Seite 31