eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 23/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
51
2012
233 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projektmanagement im Bildungsbereich

51
2012
Herbert Eugster
Béa Sager
Erfolgreiche Projekte und Veränderungen im Bildungsbereich basierten bisher oft auf enorm hohem Engagement der Beteiligten und weniger auf der strukturierten Arbeitsweise des Projektmanagements. Partikularinteressen von involvierten Organisationen, zum Beispiel der Politik, stehen oft über den sachlichen Projektzielen und behindern ein zügiges Vorwärtskommen. Leadership und Managementkompetenzen sind zwingend notwendig, um die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Bildungsbereich zu bewältigen. Projekte gewinnbringend umsetzen und handlungsfähig bleiben sind die Aufgaben der Führungspersonen im Bildungsbereich. Sie brauchen ein professionelles und agiles Projektmanagement, das einem extrem hohen sozialen Anspruch standhält und unterschiedlichsten Stakeholdern entspricht.
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A n vielen Berufs- und Fachhochschulen, die technisch orientiert sind, gehört die Ausbildung im Projektmanagement seit Jahren zu den Grundlagen. Es ist fester Bestandteil und Voraussetzung für eine solide Ausbildung in allen technischen Berufen. In der Volks- und Mittelschule wird Projektmanagement seit Kurzem als Schulfach geführt: Schülerinnen und Schüler lernen im Projektunterricht, wie Projekte geplant, durchgeführt und evaluiert werden. Doch wie steht es mit der Umsetzung großer Projekte im Bildungsbereich außerhalb des Schulzimmers? Wie fit sind Schulführungspersonen, wenn es darum geht, Projekte professionell anzugehen? Mit Engagement wettgemacht Lange Zeit wurde im Bildungsbereich bei der Umsetzung von Projekten der Bedeutung von Managementfähigkeiten wie Planen, Organisieren, Führen und Steuern zu wenig Beachtung geschenkt. Basisdemokratische Entscheidungen prägten den Führungsalltag. Allgemein wurde angenommen, Schulleitungen hätten selbstverständlich entsprechende Kompetenzen, ihnen läge das Führen einfach im Blut. Doch die Ausbildung von Führungspersonen ist oft schon ein paar Jahre her und eine fundierte Ausbildung im Projektmanagement haben sie meistens nicht genossen. Erfolgreiche Projekte und Veränderungen im Bildungsbereich basierten bisher oft auf enorm hohem Engagement der Beteiligten und weniger auf einer strukturierten Arbeitsweise. Eye of Competence Markus Sulzberger, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation und Management SGO, meint dazu: „Es ist ein Jammer, wie schwach Projektierungen im Bildungsbereich laufen. In vielen Projekten herrscht Hilflosigkeit. Es fehlen echte Chefs.“ Mittlerweile haben Bildungsorganisationen realisiert, dass die immer komplexer werdenden Projekte eine Verlagerung der Entscheidungskompetenzen bedingen. Um effizientes und zielorientiertes Vorgehen zu gewährleisten, sind Führungskompetenzen und Managementwissen erforderlich: Gefragt ist Leadership. Kein Problem, sollte man meinen. Doch näher betrachtet ist das Anforderungsprofil für zertifiziertes Projektmanagement nahezu gigantisch. 46 Kompetenzbereiche (Eye of Competence) auf über 180 Seiten beschreibt der Verein zur Zertifizierung von Personen im Management VZPM in der Swiss National Competence Baseline. Die Kompetenzbereiche beziehen sich auf die Beurteilungsstruktur für das Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement der International Project Management Association IPMA. Für die Kaderausbildung in der Schweiz gibt es eine Vielzahl von abgestuften und zielgerichteten Ausbildungsangeboten für alle Branchen. Daniel T. Baumann, Präsident des Vorstands der Swiss Project Management Association, vertritt die Meinung: „Projektmanagement ist nicht gleich Projektmanagement. Es ist branchenspezifisch zu differenzieren.“ Gerade im Bildungsbereich gelten für das Projektmanagement gemäß seinen Erfahrungen spezielle und zum Teil anspruchsvollere Rahmenbedingungen als für technische Projekte. So müssen Bildungsprojekte in der Umsetzung einem extrem hohen sozialen Anspruch standhalten und unterschiedlichsten Stakeholdern entsprechen wie Eltern, Gesellschaft, Wirtschaft etc. Daniel T. Baumann erwähnt, dass nicht selten Partikularinteressen von involvierten Organisationen, zum Beispiel der Politik, über den sachlichen Projektzielen stehen. Hinzu kommt, dass die Kundenanforderungen über die Projektphasen nicht stabil bleiben und sich die Bedürfnisse oft ändern. Herausforderungen im Bildungsbereich Heinz Buholzer ist Leiter der Abteilung Schulaufsicht/ Evaluation des Kantons Obwalden und bestätigt als Mann der Praxis die oben angesprochenen Statements. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2012 32 WISSEN Herbert Eugster, Béa Sager Projektmanagement im Bildungsbereich Dem Bildungsbereich wird oft ein unkoordiniertes Vorgehen bei Reformprojekten vorgeworfen. Das Autorenteam geht der Frage nach, wie Experten das Projektmanagementwissen von Führungspersonen im Bildungsbereich einschätzen und welche Anforderungen das Projektmanagement an diese Führungspersonen stellt. Was schnell klar wird: Projektmanagement ist nicht gleich Projektmanagement. Erfolgreiche Projekte und Veränderungen im Bildungsbereich basierten bisher oft auf enorm hohem Engagement der Beteiligten und weniger auf der strukturierten Arbeitsweise des Projektmanagements. Partikularinteressen von involvierten Organisationen, zum Beispiel der Politik, stehen oft über den sachlichen Projektzielen und behindern ein zügiges Vorwärtskommen. Leadership- und Managementkompetenzen sind zwingend notwendig, um die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Bildungsbereich zu bewältigen. Projekte gewinnbringend umsetzen und handlungsfähig bleiben sind die Aufgaben der Führungspersonen im Bildungsbereich. Sie brauchen ein professionelles und agiles Projektmanagement, das einem extrem hohen sozialen Anspruch standhält und unterschiedlichsten Stakeholdern entspricht. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ PM_3-2012_1-52: Inhalt 29.05.2012 12: 58 Uhr Seite 32 Er sieht die Problematik respektive die Hauptherausforderungen bei der Umsetzung von Projekten im Bildungsbereich wie folgt: „Kader sind zu sehr im Alltagsgeschäft eingebunden, als dass ein professionelles Vorgehen im Projektmanagement möglich ist. Nicht selten werden Projektmanagementaufgaben zweitrangig priorisiert. Projekte laufen neben den Kerngeschäften Unterricht und Schulentwicklung und brauchen dadurch sehr viel Zeit für die Umsetzung. Wenn die Projekte dann noch von übergeordneten Instanzen kommen, werden sie oft als ,aufgedrückt‘ empfunden und sind somit erst einmal Störfaktoren im Tagesgeschäft. Auch wird das politische Umfeld eher als projekthinderlich bezeichnet. Neuwahlen, personelle Änderungen, gesellschaftliche Ansprüche etc. bringen laufend Änderungen in den Bildungsbereich und somit auch in laufende Projekte ein. Bei nationalen Projekten sind außerdem häufig viele Personen involviert, die Kommunikationswege sind kompliziert und die Finanzführung äußerst komplex.“ Diese Problematiken zeigen auf, dass Planbarkeit und Flexibilität in der Entscheidungsfindung vielfach auf der Strecke bleiben. Es ist daher nicht überraschend, dass Bildungsprojekte letztlich oft stur durchgezogen werden und die Nachhaltigkeit schon während der Projektumsetzung hinterfragt wird. Um Projekte gewinnbringend umzusetzen und handlungsfähig zu bleiben, muss vor allem die Komplexität reduziert werden. Nach Daniel T. Baumann braucht man im Bildungsbereich ein agiles Projektmanagement, geprägt von systemischem Denken (siehe nachfolgender Kasten). Erforderlich ist ein Projektdesign, welches in der Projektumsetzung Variationen ermöglicht und eine Umsetzung in kleinen Schritten und Teilprojekten erlaubt. Verhaltenskompetenzen sind gefragt Bildungsorganisationen haben inzwischen den Wert des Projektmanagements erkannt. Soziale Bildungsinstitute bieten Projektmanagement seit einigen Jahren in ihrem Programm an. Für Ruth Peyer, Bereichsleiterin Führung, Akademie für Erwachsenenbildung Luzern aeB, ist professionelles Projektmanagement ein führungsstarkes Mittel, um Komplexität zumindest phasenweise zu reduzieren. Sie sagt, Schulen scheitern oft, weil sie die vielen guten Ideen nicht auf den Boden der Realität bringen können. Nach ihrer Meinung brauchen Schulen zwingend Projektmanagement-Know-how für die Umsetzung ihrer Projekte. Sie stellt fest, dass der Stellenwert des Projektmanagements in der Ausbildung von Führungspersonen innerhalb des Bildungsbereichs klar zugenommen hat. Heute bieten Hochschulen explizit für Schulleitungspersonen Crashkurse wie auch umfassende Weiterbildungen an. Eine entsprechende Nachfrage für Projektmanagementfähigkeiten ist beim Schulkader eindeutig festzustellen. Gemäß Ruth Peyer liegt bei ihrer Organisation der Ausbildungsfokus auf Veränderungsprojekten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil bei Veränderungen und Organisationsentwicklungsprojekten Verhaltensbzw. Sozialkompetenzen, Teamführung und Kommunikation entscheidend sind. Die Schulleitungen finden nach Ruth Peyer diese Angebote faszinierend und für den Führungsalltag sehr hilfreich. projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2012 l 33 In unserem Leadership-Verständnis sind wir uns bewusst, dass alle direkt und indirekt beteiligten Personen eines Projekts Teil eines Systems sind und selbst als System funktionieren. Wir stehen alle miteinander in Beziehung und beeinflussen uns wechselseitig. Systeme sind per Definition in sich komplex, nicht genau berechenbar und ihre Entwicklungen nicht vorhersagbar. Entsprechend sind unsere Einflussmöglichkeiten beschränkt. Sobald wir ein System beobachten, sind wir bereits Teil des Systems und nicht mehr nur außenstehende Beobachtende. Uns ist bewusst, dass unsere persönlichen Werthaltungen und Sichtweisen maßgeblich unsere Beobachtung mit beeinflussen. Diese subjektive Beobachtung ist nicht die einzige Wirklichkeit, sondern ein Konstrukt unserer eigenen Wirklichkeit. Wir realisieren dabei, dass es neben der eigenen auch eine andere Wirklichkeit gibt. Folglich handelt es sich bei der individuellen Wahrnehmung nur um vorläufige Annahmen, um Hypothesen. Durch das Bilden von Hypothesen können wir die Komplexität verringern und das Thema dadurch fassbarer machen. Weiter suchen wir bei der Informationsgewinnung nach Mustern, statt nach Fakten. Es wird uns dann möglich, Verhaltensweisen in einen Zusammenhang von Beziehungen zu stellen und nicht nach Ursache/ Wirkung und Schuld zu suchen. Dieses Leadership-Verständnis erachten wir für Führungspersonen im Bildungsbereich als äußerst bedeutsam. Systemische Sichtweise Anzeige www.rillsoft.de Download 30-Tage-Vollversion Rillsoft GmbH • Mollenbachstrasse 14 • 71229 Leonberg Tel.: 07152-395745 • Fax: 07152-395744 • E-Mail: info@rillsoft.de Projektmanagement Software - Terminplanung - Ressourcenmanagement - Kapazitätsplanung - Personaleinsatzplanung - Projektportfolio - Integrierter Report-Generator - Terminplanung - Ressourcenmanagement - Kapazitätsplanung - Personaleinsatzplanung - Projektportfolio - Integrierter Report-Generator PM_3-2012_1-52: Inhalt 29.05.2012 12: 58 Uhr Seite 33 Rollenverständnis klären Hans Peter Gächter, Trainer und Ausbilder für Projektmanagement an diversen Instituten, meint zu den Projektmanagementfähigkeiten von Schulleitungspersonen: „Den Führungspersonen fehlt es oft an Wissen, wie sie in größeren Projekten systematisch vorgehen können. Eine Verunsicherung ist klar spürbar. Führungspersonen haben häufig auch Unklarheiten im führungstechnischen Rollenverhalten.“ Als sehr positiv wertet er hingegen das große Engagement sowie die große Motivation der Beteiligten, was wiederum sehr oft das fehlende Projektmanagementwissen kompensiert. Führungspersonen im Bildungsbereich, die ihre „Managementsozialisierung“ primär im schulischen Umfeld, also mit der klassischen Lehrerkarriere erworben haben, können sich nicht von heute auf morgen eine unternehmerische Projektmanagementpraxis überstülpen. Für Hans Peter Gächter wäre ein höherer Stellenwert des Projektmanagements in der Ausbildung von Führungspersonen sehr wünschenswert. Leadership Leadership- und Managementkompetenzen sind zwingend notwendig, um die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Bildungsbereich zu bewältigen. Ruth Peyer definiert Leadership: „Die Führungsperson braucht die Gesamtübersicht sowie eine Vorstellung betreffend die Frage, wohin sich die Organisation entwickeln soll und kann und wie das Projekt demzufolge zu führen ist. Die Schritte müssen in das gesamte Umfeld eingebettet sein. Die Führungsperson muss den Spiel- und Gestaltungsraum zusammen mit anderen Personen erkennen und sinnvoll nutzen.“ Hans Peter Gächter ergänzt mit seiner Aussage: „Eine Führungsperson muss einen Auftrag klar definieren, ein griffiges Controlling installieren und allfällige Korrekturen rechtzeitig vornehmen können, um den Projekterfolg sicherzustellen. Es ist für Kader ein Muss, die klassischen Instrumente des Projektmanagements zu kennen, denn nur so ist eine erfolgreiche Projektdurchführung erst möglich. Vor allem sollte die Führungsperson delegieren können. Hans Peter Gächter betont in diesem Zusammenhang, dass eine klare Zielformulierung, kombiniert mit einer transparenten Kommunikation, erste Priorität hat. Seines Erachtens scheitern Projekte im Bildungsbereich tendenziell oft mangels sozialer Kompetenzen. Wirkung und Erfolg erzielen Fazit: Es braucht im Bildungsbereich „neue Chefs“, die den hohen Führungsanforderungen in Organisationsfragen und Projektmanagement gewachsen sind. Es geht nicht darum, amtierende Führungspersönlichkeiten auszutauschen, sondern darum, sich der projekthindernden Führungsdefizite bewusst zu werden. Mit gezielter Führungs- oder Projektmanagementausbildung können Lücken rasch geschlossen werden. Es ist zu prüfen, ob eine Kaderweiterbildung im pädagogischen Setting wie bisher oder in einem von Wirtschaft und Unternehmertum geprägten Umfeld zweckmäßiger ist. Eines ist klar, die Herausforderungen und Anforderungen für Kader im Bildungsbereich steigen kontinuierlich. Der Umgang mit Komplexität wird zum Führungsstandard, und Leadership heißt, mit diesen anspruchsvollen Rahmenbedingungen Wirkung und Erfolge zu erzielen. ■ Links [1] Schweizerische Gesellschaft für Organisation und Management SGO, www.sgo.ch [2] Swiss Project Management Association, www.spm.ch [3] Akademie für Erwachsenenbildung Luzern aeb, www.abe.ch Schlagwörter Eye of Competence, Leadership, Projektmanagement im Bildungsbereich, Sozialkompetenz, Zertifizierung Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.18 Kommunikation, 4.2.1 Führung Autor Herbert Eugster, Ingenieur, hat langjährige Führungs- und Projekterfahrung in der Flugzeugindustrie. Seit zehn Jahren ist er Direktor des Berufsbildungszentrums Bau und Gewerbe Luzern (4.500 Studierende und 300 Mitarbeiter). Neben der operativen Führung gehören Bildungs- und Entwicklungsarbeit zu seinem Führungsalltag. Ein aktuelles Projekt am Institut ist „EFQM Recognized to Excellence“. Herbert Eugster ist Teilnehmer des Executive MBA an der Hochschule Luzern, Wirtschaft. Anschrift Berufsbildungszentrum Bau und Gewerbe Robert-Zünd-Straße 4 CH-6002 Luzern E-Mail: Herbert.Eugster@edulu.ch Autorin Béa Sager, Rektorin, ist Primarlehrerin und hat Organisationsentwicklung und Coaching studiert. Sie arbeitete zehn Jahre lang als Lehrerin an einer Primarschule. Seit 13 Jahren hat sie Führungsverantwortung in der Volksschule (Volksschule in der Schweiz = Kindergarten bis Sekundarstufe I in Deutschland). Sie leitet innovative Projekte in der Schul- und Unterrichtsentwicklung, wie zum Beispiel integrative Orientierungsschule mit selbstgesteuertem Lernen und heterogenes Lernen in der altersdurchmischten Primarschule. Sie ist Mitglied der Geschäftsleitung der Gemeinde Sarnen. Béa Sager ist Teilnehmerin des Executive MBA an der Hochschule Luzern, Wirtschaft. Anschrift Schule Sarnen Brünigstraße 162 CH-6060 Sarnen E-Mail: Bea.Sager@sarnen.ow.ch 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2012 34 WISSEN Jens Kö PM_3-2012_1-52: Inhalt 29.05.2012 12: 58 Uhr Seite 34