PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
101
2012
234
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Der Kampf um Öl und Vormacht befeuert den Nahost-Konflikt
101
2012
Oliver Steeger
Die arabischen Länder sind für Projektmanager derzeit ein extrem heißes Pflaster. Seit Beginn des „Arabischen Frühlings“ stecken sich die Länder offensichtlich gegenseitig mit Unruhen an. Doch die Nachrichten, die Europa erreichen, sind häufig verzerrt und ungenau. Nahost-Experte Professor Peter Scholl-Latour mahnt: Die offenen und schwelenden Konflikte drohen sich zu einem Flächenbrand auszuweiten. Der bekannte Journalist und Publizist wird als Keynote Speaker auf dem „29. Internationalen Deutschen Projektmanagement Forum“ (23.–24. Oktober 2012, Nürnberg) die Situation in der arabischen Welt erläutern. Vorab legte Peter Scholl-Latour im Interview die Hintergründe der Konflikte dar. Das Fazit: Nicht der Kampf um Freiheit heizt die Kämpfe an, sondern das Ringen um die Vormacht in dieser Region – und der Kampf um Erdöl. (Stand des Interviews: Juni 2012)
pm2340003
Herr Prof. Scholl-Latour, nicht wenige deutsche Projektmanager sind im arabischen Raum tätig. Seit Anfang 2011 haben der stecken gebliebene „Arabische Frühling“ und andere Bewegungen Unruhe in viele arabische Länder gebracht. Derzeit steht Syrien im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie sind die Informations- Bröckchen, die Europa erreichen, einzuordnen? Prof. Peter Scholl-Latour: Was Syrien betrifft, so wird in der Presse vieles hochgespielt und maßlos übertrieben. Verglichen mit seinem Vater ist der jetzige syrische Präsident Assad ein harmloser Mann, so schrecklich auch die Ereignisse sind. Dagegen verliert die Presse die Entwicklung in anderen Ländern völlig aus dem Blick, im Libanon und Iran beispielsweise. Um was geht es bei diesen Konflikten, von denen immer wieder zu lesen ist? Wo liegen die Grundmotive? Nicht um Menschenrechte, das ist Unsinn! In diesem Punkt irrt die deutsche Politik, die mit erhobenem Zeigefinger moralisiert. Ganz im Gegenteil, sogar in der liberalen Mittelschicht der arabischen Länder wird die Befreiungsbewegung vielfach skeptisch gesehen. Viele lehnen die Bewegung der sympathischen jungen Menschen ab. Sie vermissen Führungspersonen und vor allem ein Programm. Wo liegen also die Wurzeln? Die eigentliche Auseinandersetzung dreht sich um handfeste Interessen, gewaltige Interessen. Es geht bei alledem, was wir beobachten, um die Frage: Wer bekommt die Vorherrschaft am Persischen Golf? Es wird kolportiert, letztlich gehe es um Erdöl. Selbstverständlich geht es auch um Erdöl. China steht vor der Tür am arabischen Golf, man will China hinausdrängen. Warum hat im Sudan Umar al Baschir seinen Kredit verspielt? Doch nicht wegen seiner blutigen Niederschlagung der Rebellion von Darfur. Der Mann projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 3 REPORT Der Kampf um Öl und Vormacht befeuert den Nahost-Konflikt Projektumfeld „Naher Osten“ - ein heißes Pflaster für Projektmanager Die arabischen Länder sind für Projektmanager derzeit ein extrem heißes Pflaster. Seit Beginn des „Arabischen Frühlings“ stecken sich die Länder offensichtlich gegenseitig mit Unruhen an. Doch die Nachrichten, die Europa erreichen, sind häufig verzerrt und ungenau. Nahost-Experte Professor Peter Scholl-Latour mahnt: Die offenen und schwelenden Konflikte drohen sich zu einem Flächenbrand auszuweiten. Der bekannte Journalist und Publizist wird als Keynote Speaker auf dem „29. Internationalen Deutschen Projektmanagement Forum“ (23.-24. Oktober 2012, Nürnberg) die Situation in der arabischen Welt erläutern. Vorab legte Peter Scholl-Latour im Interview die Hintergründe der Konflikte dar. Das Fazit: Nicht der Kampf um Freiheit heizt die Kämpfe an, sondern das Ringen um die Vormacht in dieser Region - und der Kampf um Erdöl. (Stand des Interviews: Juni 2012) Oliver Steeger Prof. Peter Scholl-Latour promovierte an der Sorbonne in Paris in den Sciences Politiques und studierte zudem an der Libanesischen Universität in Beirut. Der Journalist und Publizist war unter anderem als ARD-Korrespondent in Afrika und Indochina tätig, als ARD- und ZDF-Studioleiter in Paris, als Programmdirektor des WDR-Fernsehens sowie als Chefredakteur und Herausgeber des „Stern“. Seine TV-Sendungen und Bücher haben ihn deutschlandweit zu einem der bekanntesten Auslandskorrespondenten gemacht. Prof. Peter Scholl-Latour ist seit 2007 Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Ihr Ziel ist der kontinuierliche Ausbau der deutsch-arabischen Freundschaft und die Vertiefung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und der arabischen Welt. Foto: Ullstein Verlag PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 01 Uhr Seite 3 hat sein Öl an die Chinesen verkauft, dies war der Grund. Die Machthaber in diesem Raum können sich die schlimmsten Verbrechen erlauben, solange sie den geostrategischen und vor allem auch den wirtschaftlichen Interessen des Westens folgen. Dies macht die Reaktion von Europa so heuchlerisch. Geht es nur um Erdöl? Nicht nur. Neben dem Erdöl spielen andere Motive in den Konflikt hinein. Viele in Europa nehmen an, hinter dem Konflikt in Syrien steht der Ruf nach Freiheit und Menschenrechten. Das ist Unsinn. Bei diesem Konflikt geht es um die Frage, ob die Iraner eine Verbindung zum Mittelmeer bekommen - und zwar über Irak, Syrien und den Libanon. Dies bildet den Hintergrund der Aktionen gegen den syrischen Präsidenten. Immerhin vermutet man, dass der Iran an seiner Atombombe baut. Die Atombombe wird überschätzt - falls der Iran sie überhaupt baut. Zumindest schaffen die Iraner die Voraussetzungen für den Bau. Dies mit Sicherheit. Aber die Bombe ist nicht gedacht, um Israel auszulöschen oder sie gar auf Europa abzuschießen. Ich habe Putin nie so lachen hören wie an dem Tag, als man ihm weismachen wollte, der für Europa diskutierte Raketenschutzschild sei gegen den Iran gerichtet. Bei der iranischen Atombombe würde es sich um reine Abschreckung handeln. Ich kenne keinen Staat, der seine Atombombe mit der Absicht für einen Abwurf gebaut hat. Auch Israel verwendet seine Bomben nur zur Abschreckung. Angenommen, Israel würde den Iran angreifen, um den möglichen Bau einer Atombombe zu unterbinden ... Angriff Israels auf den Iran? Ich glaube nicht mehr an einen Angriff Israels auf den Iran. Falls doch? Israel würde mit konventionellen Waffen angreifen, nicht mit Atomwaffen. Ob diese konventionellen Bomben allerdings den Schutz der iranischen Bunkeranlagen durchschlagen, ist in keiner Weise gewiss. Man darf eines nicht vergessen: Der Iran hat sich zu einer beachtlichen Macht im mittelöstlichen Raum entwickelt. Auch ohne Atombombe stellt er ein beachtliches Potenzial dar. Er wird von der westlichen Welt derzeit völlig unterschätzt. Die teils aggressiven außenpolitischen Ankündigungen von Präsident Mahmud Ahmadinedschad bereiten westlichen Sicherheitspolitikern Sorgen. Die Politiker machen nicht den Eindruck, dass sie Ahmadinedschad unterschätzen. Dass der iranische Präsident über die Atombombe verfügen kann - sollte diese eines Tages existieren -, dies ist doch eine völlige Fehleinschätzung des Westens. Die letzte Entscheidung liegt beim höchsten geistlichen Führer, Ali Chamenei, und vor allem bei den Revolutionswächtern, den Pasdaran. Die Revolutionswächter sind die wirkliche Macht im Staat, die wahrscheinlich noch stärker ist als der Klerus. Verfügt der Iran über eine wirksame konventionelle Streitmacht? Über eine sehr wirksame Streitmacht. Man sollte das militärische Potenzial des Irans nicht unterschätzen. Auch nicht unterschätzen sollte man die iranische Wirtschaft und die Entwicklung des Lebensstandards in diesem Land. Die Armut und das Elend, von denen immer wieder geredet wird ... ... das gibt es dort nicht. Der Iran baut beispielsweise eigene Autos, die die Iraner preiswert und zu günstigen Ratenkrediten kaufen können. Ich habe wirklich zahllose dieser Autos im Iran gesehen! Und noch etwas: In Teheran, wo die Mittel- und Oberschicht recht groß ist, 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 4 REPORT Nahost-Experte Professor Peter Scholl-Latour wird auf dem „29. Internationalen Deutschen Projektmanagement Forum“ (23.- 24. Oktober 2012 in Nürnberg) die Situation in der arabischen Welt erläutern. Der Keynote Speaker warnt international tätige Projektmanager: Die offenen und schwelenden Konflikte drohen sich zu einem Flächenbrand auszuweiten. Aktuelle Informationen aus allererster Hand PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 4 sind die Menschen die Mullahs leid. Die Mullahs werden auf den Straßen Teherans sogar offen angepöbelt. Auch ich glaube nicht, dass Ahmadinedschad so viele Wahlstimmen erhalten hat, wie bekannt gemacht wurde. Aber er hat eine Mehrheit bekommen, wenn auch nicht in dem Maße wie behauptet. In den Provinzstädten des Irans dürfte sich vermutlich ein anderes Bild abzeichnen? Dort geht es traditioneller und frommer zu. Vielfach bestimmt der Imam in seiner Freitagspredigt, wie die Gläubigen bei Wahlen stimmen sollen. In den vergangenen Jahren hat der Westen im arabischen Raum Niederlagen hinnehmen müssen. Nach zwei Kriegen sollte der Irak der Leuchtturm der Demokratie werden ... ... dies war in der Tat der Traum von US-Präsident George W. Bush. Er hat fest daran geglaubt und ähnlich gedacht, wie beispielsweise Francis Fukuyama es formulierte. Er dachte, das Ende der Geschichte sei erreicht. Die Menschheit habe nun die ideale Gesellschaftsform gefunden, nämlich die amerikanisch-europäisch ausgerichtete Form mit Demokratie und Marktwirtschaft. Und es sei gut, wenn die ganze Welt dieses Modell übernehmen würde. Immerhin haben die Amerikaner im Irak frei wählen lassen. Dies haben sie, ja. Was ist danach geschehen? Siebzig Prozent der Bevölkerung im Irak sind Schiiten, die durchaus den Schiiten im Iran nahestehen, wenn es zum Schwur kommt. So haben die Amerikaner heute einen schiitischen Präsidenten und eine schiitische Parlamentsmehrheit. Das ist ihnen alles andere als recht. Was daran ist für die USA problematisch? Die Amerikaner pflegen ihre Zwangsvorstellung, dass der schiitische Iran ihr Todfeind sei, seit 1981 der Schah im Iran gestürzt worden ist und die Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft stattgefunden hat. Eine ähnliche Vorstellung haben auch die Israeli. Weshalb, verstehe ich nicht. Denn Israel wird mit der Alternative zu den Schiiten - den Sunniten und Salafisten - auch keine Freunde haben. Was befürchten die USA? Sie befürchten eine durchgehende schiitische Allianz von der Grenze Afghanistans über den Irak, Iran, Syrien bis zur Mittelmeerküste des Libanons. Jetzt wird mit allen Mitteln dagegen gekämpft, dass der schiitische Iran zur beherrschenden Macht in der Region und vielleicht das Zentrum dieser Allianz wird. Auch hier wieder das Grundmotiv des Kampfes um Öl? Sorgen der USA Iran mit großem Potenzial Professional MBA Project & Process Management Taught in English by top professors and industry experts, enabling you to master challenging projects successfully. Duration: 18 months part-time (blocked modules) Location: Vienna, Austria Next Start: October 2012 Contact: WU Executive Academy pmba_ppm@wu.ac.at +43-1-313 36-5421 www.executiveacademy.at/ pmba PMBA_PPM projektmgmt-aktuell 116x297+5mm_2012_sw.indd 1 12.12.2011 16: 32: 41 PMBA_PPM projektmgmt-aktuell 116x297+5mm_2012_sw.indd 1 12.12.2011 16: 32: 41 PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 5 Der Iran und der Irak verfügen bereits für sich über gewaltige Erdölvorkommen. Und die immensen Ölvorräte des sunnitisch beherrschten Saudi-Arabiens liegen ausgerechnet in der an Kuweit grenzenden Region - wo die schiitische Minderheit des Landes lebt. Der schiitische Iran als Großmacht in dieser Region hätte also einen nahezu monopolistischen Zugriff auf die Erdölvorkommen des Orients. Genau dies wollen die USA mit allen Mitteln verhindern. Ihr Verbündeter dabei ist Saudi-Arabien, das von seinen amerikanischen Verbündeten maßlos aufgerüstet wurde. Auf der einen Seite stehen also schiitisch beherrschte Länder wie der Iran und der Irak, auf der anderen sunnitisch beherrschte Länder wie Saudi-Arabien. Schiiten und Sunniten sind seit vielen Jahrhunderten verfeindet. Ja. Diese Feindschaft können Sie sehr gut im Irak erkennen. Unter den Arabern im Irak waren über lange, lange Zeit die Sunniten praktisch vorherrschend. Die Masse der Iraker waren aber immer Schiiten, sie wurden geknechtet und geknebelt. Dies hat sich über die Jahrhunderte kaum verändert. Während der Kolonialzeit haben sich die Briten immer an die Sunniten gehalten, und Saddam Hussein war ebenfalls Sunnit. 1991 hat Saddam Hussein eine massive Revolte der Schiiten im Süden des Iraks blutigst niedergeschlagen. Die Amerikaner hatten die Schiiten damals zum Aufstand gegen Hussein aufgerufen und dann fallen lassen. Wie wirkt sich dieser Konflikt heute aus? Derzeit läuft vieles auf eine Konfrontation im Irak zwischen Sunniten und Schiiten hinaus. Mir haben Schiiten berichtet, sie würden umgebracht, wenn sie in den sunnitischen Teil des Iraks gehen; man erkenne sie dort am Akzent ihrer Sprache. Nochmals zu Iraks Nachbarland Syrien. Syrien ist ein sunnitisches Land. Ein sunnitisches Land mit einer Minderheit von Alawiten, die aber in der Armee und den mächtigen Geheimdiensten stark vertreten ist. Zudem leben in Syrien noch Christen verschiedener Konfessionen, etwa zehn Prozent der Bevölkerung, von denen bei uns niemand redet. Die Christen haben die berechtigte Angst, dass ihnen das bevorsteht, was den Christen im Irak passiert ist. Dort sind die Hälfte der zwei Millionen Christen bereits geflohen. Saddam Hussein hatte die Christen in seinem Land geschont, er hat ihre Religion sogar gefördert. Er ließ Klöster aus der christlichen Frühzeit wieder aufbauen. Ich habe einen christlichen Kongress im Irak besucht. Nach seinem Sturz hat sich die Lage für die Christen des Iraks massiv verschlechtert. Wie war die Lage der Christen bislang in Syrien? Den Christen ging es bislang sehr gut in Syrien. Syrien wird ja von der säkularen Baath-Partei regiert, die sich religiös recht tolerant verhält. Christen hatten in Syrien zwar nie die höchsten Ämter inne. Sie hatten aber bisher ein wirtschaftlich gutes Auskommen in diesem Land. Die Christen sagen sich jetzt natürlich: So gut wie bisher wird es uns unter einer streng islamischen, vielleicht sogar salafistischen Regierung nicht mehr gehen. Genau dies könnte aber die Alternative zu Assad sein. Viele Christen stehen deshalb auf der Seite von Assad, auch wenn sie in die Kämpfe nicht involviert sind. Moment! Präsident Assad ist doch Alawit, nicht Sunnit wie die Bevölkerungsmehrheit. Wie verträgt sich dies? Man hört immer wieder, das Alawitentum sei eine Form des Schiitentums. Dies ist nicht ganz richtig, das Alawitentum ist eine Geheimlehre mit schamanistischen Elementen. Entscheidend für uns ist: In bestimmten Situationen der Bedrohung dürfen Alawiten ihre Religion verleugnen. Assad deklariert sich als Sunnit und hat sich auch offiziell vom Großmufti zum Sunniten erklären lassen. Wie steht die syrische Bevölkerung zu der Befreiungsbewegung, die derzeit gegen Assad kämpft? Syrien ist, obwohl es wenig Erdöl hat, ein relativ wohlhabendes Land. Es gibt eine bedeutsame syrisch-sunniti- Syrien im Spannungsfeld Mittelschicht fürchtet Chaos 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 6 REPORT Prof. Peter Scholl-Latour ist als Korrespondent und Zeitzeuge unterwegs zu den Krisenherden des Weltgeschehens. Foto: Cornelia Laqua PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 6 sche Mittelschicht. Sie will sich nicht mit einer Bewegung einlassen, die weder Programm noch Führung hat - dies ist ja die Schwäche des gesamten Arabischen Frühlings. Die Mittelschicht hält sich eher an Assad, er lässt sie in Ruhe ihre Geschäfte machen. Vor allem hat die Mittelschicht das vor Augen, was die Revolution Libyen eingebracht hat. Inwiefern Libyen? Nach dem Sturz Gaddafis fiel Libyen ins Chaos. Zum Glück ist Libyen ein sehr reiches Land. Die Menschen werden jetzt nicht verhungern. Libyen wird mit seinem Erdöl immer einen ordentlichen Lebensstandard für seine Bevölkerung erreichen können. Unter Gaddafi hatte Libyen den höchsten Lebensstandard der gesamten arabischen Welt. Viele Syrer befürchten also chaotische Verhältnisse wie in Libyen, wenn sich die Machtverhältnisse in ihrem Land ändern? Nicht nur wie in Libyen. Auch der algerische Bürgerkrieg der Neunzigerjahre ist den Syrern noch immer in schlimmer Erinnerung. Die machthabenden Militärs hatten seinerzeit in Verkennung der Lage freie Wahlen ausgeschrieben. Die Wahlen wurden auch relativ ehrlich durchgeführt. Zum Entsetzen der Militärs kam eine islamische Mehrheit an die Macht, die Islamische Heilsfront. Dies endete damals im Chaos, die Militärs haben geputscht. Es gab einen Bürgerkrieg mit 200.000 Toten. Dies alles wollen die Syrer nicht in ihrem Land. Wie viele Syrer stehen gegen Assad? Meiner Einschätzung nach die Hälfte der Syrer, mehr nicht. Die Situation steuert auf einen entsetzlichen Bürgerkrieg zu. Die Fronten verlaufen dann zwischen der sunnitischen Mehrheit und den Alawiten, die bei den Schiiten der Nachbarländer begrenzte Unterstützung finden, während die sunnitischen Rebellen von Saudi-Arabien, Katar, der Türkei und den USA stark aufgerüstet werden. Was befürchten die Alawiten? Die Alawiten wissen: Bei einem Sieg der radikalen Salafisten und auch der „Moslembrüder“ verlieren sie nicht nur ihre wirtschaftlichen Vorteile und Machtpositionen, sondern womöglich auch ihr Leben. Ein solcher Sieg könnte für sie ein unglaubliches Gemetzel werden. Stehen sich denn auch die Sunniten und Alawiten verfeindet gegenüber? Ich habe vor zwei Jahren die Region von Homs besucht. Dort gibt es streng geteilt alawitische und sunnitische Viertel. Man hatte mich eindringlich vor den Schusswechseln zwischen den Vierteln gewarnt. Wie gesagt, dies schon vor zwei Jahren! Saudi-Arabien ist die treibende Kraft hinter der sunnitischen Bewegung. In der syrischen Befreiungsarmee befinden sich viele von Saudi-Arabien ausgebildete Kämpfer und sogar erfahrene Veteranen von El Quaida. Die sunnitischen Pro- In Syrien droht blutiger Bürgerkrieg Beides! MSc & MBA. Warum schwarz oder weiß? Doppelabschluss MSc & MBA in den Königsdisziplinen der Zukunft International Business und Projektmanagement Sie studieren beide Disziplinen. Zeitlich abgestimmt auf Ihre berufliche Situation bestimmen Sie das Lerntempo. _Projektmanagement Know-how von PM-Experten _Managementkompetenz auf MBA-Niveau _Hoher Praxistransfer durch Projektarbeiten mit Fach- und Führungskräften aus der Wirtschaft _Reflective Practice: Ihre Erfahrungen und Kompetenzen nutzen _Auslandsaufenthalt an internationalen Hochschulen zubuchbar _MSc Project Management & MBA International Business (akkr.) _Hochschulzertifikat nach jedem Semester _Internationale Zertifizierung (IPMA, PMI, IAPM) auf Wunsch _Ab 15 Monate: MSc Project Management einzeln buchbar _Ab 26 Monate: MSc & MBA Key facts Abschlüsse Studiendauer Offen für Ihre Erfahrungen Besuchen Sie uns auf unserer Webseite, wir erweitern kontinuierlich unser Weiterbildungsangebot! _Mastertitel ohne Erststudium bei besonderer Eignung Einzelfallprüfung gfw: munich.management gGmbH - Internationale Bildung & Wissenschaft 1987 als gfw an der Universität der Bundeswehr München e.V. gegründet und zu einem unabhängigen Institut mit nationalen und internationalen Hochschulpartnern weiterentwickelt. www.gfw-munich.de Hotline: 089 6060 6363 Karriereplanung mal anders! Anzeige PM_4-2012_1-72: Inhalt 27.08.2012 7: 49 Uhr Seite 7 vinzen des Iraks grenzen unmittelbar an Syrien. Auch von dort kommen freiwillige Kämpfer und Waffen nach Syrien. Welches Gewicht hat Saudi-Arabien in diesem Kräfteverhältnis? Ein großes! Die Amerikaner haben Saudi-Arabien maßlos aufgerüstet, wie gesagt. Es wird mit allen Mitteln unterstützt. In der Königsfamilie gibt zur Stunde die proamerikanische Fraktion den Ton an. Aber? In Saudi-Arabien findet sich die strengste islamische Ausrichtung. Manche in Europa empören sich darüber, dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Autofahren dürfen. Dass man keine Bibel und kein christliches Kreuz nach Saudi-Arabien bringen darf - davon redet hier niemand. Christlichen Priestern droht in Saudi-Arabien die Verhaftung. Dort arbeitende Christen dürfen keiner Messe beiwohnen. Kein Jude darf nach Saudi-Arabien einreisen, es sei denn, er heißt Henry Kissinger. Andere Muslime, etwa aus der Türkei, distanzieren sich resolut von den in Saudi-Arabien herrschenden Salafisten. Ist dies im Iran anders? Im Iran leben ungestört knapp 30.000 Juden, die ihre Religion frei ausüben können; Zionisten dürfen sie natürlich nicht sein. Auch Syrien steht uns Europäern näher als Saudi-Arabien. In Syrien braucht sich keine Frau zu verschleiern; Frauen fahren dort Auto und sind in den Städten vergleichsweise emanzipiert. Ähnlich liberal war Libyen bei den Frauenrechten. Frauen waren an den Hochschulen zahlreicher als Männer. Dies gilt auch teilweise für den Iran. Frauen tragen in Teheran den Tschador am Hinterkopf und schminken sich, auch, um die Mullahs zu provozieren. Vorhin sprachen Sie von einer durchgehenden schiitischen Allianz, die von Afghanistan bis zum Mittelmeer reicht. Der an Syrien grenzende Libanon müsste sich dieser Allianz anschließen, damit sie wirklich bis ans Mittelmeer gelangt. Wie wahrscheinlich ist dies? Der Libanon wird bereits von den Schiiten beherrscht. Von Schiiten beherrscht - inwiefern? Die Hisbollah ist eine schiitische Organisation. Und die Hälfte der Libanesen sind heute Schiiten. Sie üben die wirkliche Macht im Libanon aus. Ist die Hisbollah tatsächlich so einflussreich? Sie hat eine schlagkräftige Partisanenarmee aufgestellt, die vielleicht weltbeste Partisanenarmee. Ich kenne diese Leute gut. Bei uns gilt diese Organisation als verbrecherisch, dies ist völliger Unsinn. Die Hisbollah geht darauf zurück, dass die dortigen Schiiten jahrhundertelang unterdrückt und verachtet wurden. Seitdem haben sie sich zu einer mächtigen Bewegung zusammengeschlossen. Vor sechs Jahren ist der israelische Angriff auf den Südlibanon wenige Kilometer hinter der Grenze stecken geblieben und am Widerstand der Hisbollah gescheitert. Brücke über den Libanon zum Mittelmeer Wie kam es dazu? Die Hisbollah hatte Waffen entwickelt, mit denen sie den angeblich unverwundbaren Panzern Israels schwere Verluste zufügte. Heute hat sie außerdem weit reichende Raketen aus iranischer Produktion in ihren Arsenalen, mit denen sie problemlos Tel Aviv erreichen könnte. Diese Raketen hielt die Hisbollah bislang unter Verschluss, um ihre Verbindung zum Iran nicht zu offenbaren. Kommt es zum israelischen Angriff auf den Iran, stehen diese Raketen der Hisbollah zum Abschuss bereit. Wie wird es ihrer Einschätzung nach im arabischen Raum weitergehen? Welche Prognose geben Sie? Zweifellos steuern wir in Syrien auf einen sehr, sehr blutigen Bürgerkrieg zu. Er wird auf den Irak übergreifen, dort schwelt er ja schon. In Bagdad sind die schiitischen und sunnitischen Viertel längst eingemauert. Auch an den heiligen Stätten vermehren sich mittlerweile Betonmauern zum Schutz vor Attentaten. Würde sich der Iran aus diesem Bürgerkrieg heraushalten? Nein, dies tut er ja schon heute nicht. Bisher hat er sich jedoch erstaunlich zurückgehalten. Der Iran hat die von den Amerikanern im Irak eingesetzten Regierungschefs anerkannt und Beziehungen mit ihnen aufgenommen. Ich bin mir aber sicher, dass die Iraner heute schon über den Irak Waffen an die Alawiten nach Syrien liefern. Angenommen, es käme zu einem Angriff auf den Iran - welche Optionen hat dieses Land? Die iranischen Revolutionswächter verfügen über eine Vielzahl hochgerüsteter Schnellboote mit Raketen und Torpedos. Damit wird man gegen die amerikanischen Flugzeugträger im Persischen Golf wenig ausrichten können ... In diesem Punkt wäre ich mir nicht so sicher. Aber abgesehen davon - der Iran braucht nicht einmal die amerikanische Flotte anzugreifen. Es reicht, ein paar die Meerenge von Hormuz passierende Tanker in Brand zu stecken. Vierzig Prozent des maritimen Erdöltransports passieren die Küste Irans. Eben! Überdies verfügen die Iraner über treffsichere, tief im Gestein eingebunkerte Raketen. Man sollte nicht blind darauf vertrauen, dass bei einem Angriff diese Raketen komplett ausgeschaltet werden. Würden sie gezielt auf die nahen saudischen und kuweitischen Erdölfelder oder Verschiffungsanlagen abgefeuert, würde der Erdölpreis weltweit ins Unermessliche steigen. Vorhin sagten Sie, ein solcher Angriff auf den Iran sei wenig wahrscheinlich. Zumindest ein Angriff der USA ist kaum vorstellbar. Die USA haben eine Kette von Rückschlägen hinnehmen müssen - etwa im Irak, in Afghanistan oder in Somalia. Ich rechne nicht mehr mit einem massiven amerikanischen Eingreifen. ■ Betonmauern gegen Attentate 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 8 REPORT Oliver St PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 8