PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
101
2012
234
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Mit 220 Bar durch die „Erdgas-Autobahn“ am Meeresgrund
101
2012
Oliver Steeger
Erdgas soll eine Brücke bilden zur klimafreundlichen Energieversorgung der Zukunft. Beispielsweise belasten Gaskraftwerke das Klima deutlich weniger mit CO2 als Kohlekraftwerke. Folglich wird der Gasbedarf in Europa wachsen. Für das Jahr 2030 rechnet man mit einem zusätzlichen Import von 211 Milliarden Kubikmetern. Neue Pipelines verbinden deshalb Europa mit den gewaltigen russischen Erdgasvorkommen. Eine davon: die jüngst in Betrieb genommene Nord Stream-Pipeline durch die Ostsee. Bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas transportiert sie jährlich, diese Energiemenge entspricht der Stromproduktion von 148.000 Windkrafträdern. Projektmanager Dr. Georg Nowack stellt auf dem „29. Internationalen Deutschen Projektmanagement Forum“ (23.–24. Oktober 2012, Nürnberg) dieses gewaltige Vorhaben vor. Im Interview berichtet er über technische Sicherheit, über internationale Teamarbeit – und über sogenannte „Molche“, die regelmäßig die Pipeline inspizieren.
pm2340009
projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 9 Herr Dr. Nowack, die Nord Stream-Pipeline durch die Ostsee gilt als technische Meisterleistung. Sie ist 1.200 Kilometer lang und verläuft bis zu 200 Meter unter dem Meeresspiegel. Kaum eine Erdgaspipeline hat bisher diese Dimensionen erreicht. Dr. Georg Nowack: Nicht ganz! Es gibt bereits Pipelines ähnlicher Länge, beispielsweise von Norwegen nach Großbritannien. Diese hat aber einen geringeren Durchmesser als unsere Pipeline. Wir haben zwei Rohrstränge mit einem Durchmesser von jeweils 48 Zoll verlegt, hier ist die technische Herausforderung zu finden. Es gibt keine andere Pipeline mit unserer Kombination von großem Durchmesser und Länge. Wer die britischen Inseln mit Skandinavien verbinden will, muss zwangsläufig den Weg durchs Meer wählen. Anders bei Ihnen. Statt die Pipeline offshore, also durch die Ostsee zu bauen, wäre auch eine Route über Land denkbar. Eine Landroute ist kürzer und wohl auch einfacher im Bau. Kürzer ja, aber nicht einfacher im Bau. Erstaunlich! Laien erscheint der Aufwand gerade für Offshore-Pipelines sehr hoch. Auf Verlegeschiffen werden - wie auf schwimmenden Fabriken - Rohre zu einem Strang verschweißt und metergenau auf den Meeresgrund abgelassen. Versorgungsschiffe bringen ständig neue Rohre heran. Dies alles entfällt doch bei Landleitungen. Wo liegt der Vorteil der Route durchs Meer? Ein wesentlicher Vorteil liegt darin, dass wir eine Offshore-Leitung mit sehr hohem Gasdruck betreiben können. Landleitungen sind in der Regel auf 100 Bar beschränkt ... ... vereinfacht gesagt: der hundertfache Druck unserer Atmosphäre ... Mit 220 Bar durch die „Erdgas- Autobahn“ am Meeresgrund Pipelineprojekt in der Ostsee: Wie „Molche“ die Stahlrohre prüfen Erdgas soll eine Brücke bilden zur klimafreundlichen Energieversorgung der Zukunft. Beispielsweise belasten Gaskraftwerke das Klima deutlich weniger mit CO 2 als Kohlekraftwerke. Folglich wird der Gasbedarf in Europa wachsen. Für das Jahr 2030 rechnet man mit einem zusätzlichen Import von 211 Milliarden Kubikmetern. Neue Pipelines verbinden deshalb Europa mit den gewaltigen russischen Erdgasvorkommen. Eine davon: die jüngst in Betrieb genommene Nord Stream-Pipeline durch die Ostsee. Bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas transportiert sie jährlich, diese Energiemenge entspricht der Stromproduktion von 148.000 Windkrafträdern. Projektmanager Dr. Georg Nowack stellt auf dem „29. Internationalen Deutschen Projektmanagement Forum“ (23.-24. Oktober 2012, Nürnberg) dieses gewaltige Vorhaben vor. Im Interview berichtet er über technische Sicherheit, über internationale Teamarbeit - und über sogenannte „Molche“, die regelmäßig die Pipeline inspizieren. Oliver Steeger Seit Januar 2008 ist Dr. Georg Nowack Project Team Leader bei Nord Stream und dort verantwortlich für alle On- und Offshore-Bautätigkeiten in Deutschland. Er führte ein Team von rund zwanzig Mitarbeitern, die auf Schiffen, in Baubüros in Deutschland oder dem Firmensitz in Zug gearbeitet haben. Zu ihren Fachgebieten zählten Vertragsmanagement, Bauüberwachung und Inspektion, Design, Umwelt, Recht, Behördenkontakte und Controlling. Zuvor war Dr. Georg Nowack als Projektleiter in verschiedenen internationalen Projektgesellschaften tätig. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 9 In unserer Offshore-Pipeline wählten wir aber einen Einspeisedruck von 220 Bar. Am Ende der Leitung haben wir dann einen Druck im laufenden Betrieb von 100 Bar. Dies bedeutet: Wir brauchen keine Verdichter dazwischen. Nicht so schnell, bitte! Was sind Verdichter? Beim Transport von Gas durch Pipelines geht Druck verloren. Je größer der Durchmesser des Rohres ist, desto geringer der Druckverlust. Dahinter stehen einfache physikalische Gesetze. Deshalb findet sich entlang der Landleitungen in Westeuropa alle zweihundert Kilometer ein Verdichter, der den Druck wieder anhebt - etwa von 60 auf 100 Bar. Man darf die Größe dieser Verdichter nicht unterschätzen: Es handelt sich um komplexe Anlagen von der Größe eines Fußballfeldes. Solche Verdichter blieben uns bei unserer Offshore-Pipeline erspart. Der Einspeisedruck ist deutlich höher als bei Landleitungen, und wir können über 1.200 Kilometer einen optimalen Druck halten. Dafür ist der Bau einer Offshore-Pipeline allerdings teurer ... Die Baukosten sind etwa dreißig Prozent höher als bei einer vergleichbaren Landleitung, dies stimmt. Jedoch sind die Betriebskosten nicht so hoch wie bei einer Pipe- Optimaler Transportdruck line über Land. Verdichter müssen gewartet werden, sie brauchen Personal. All dies fällt weg. Wir haben ermittelt: Nach zwanzig Jahren ist eine Offshore-Pipeline klar im Vorteil. Wir sparen durch den günstigeren Betrieb insgesamt fünfzehn Prozent beim Gesamtaufwand. Also im Geschäftsmodell preiswerter. Richtig! Und unsere Pipeline ist nicht auf zwanzig, sondern auf fünfzig Jahre Betrieb ausgelegt. Das rechnet sich. Fünfzig Jahre Betrieb? Erstaunlich! Gaspipelines halten extrem lange. Erdgas ist nicht korrosiv. Manche Gasleitungen stammen aus den Zwanzigerjahren, und sie halten bis heute tadellos. Neben den Betriebskosten sprechen zwei weitere Gründe für Offshore-Pipelines. Erstens: Die Pipeline verläuft weitgehend durch internationale Gewässer, also in den internationalen Wirtschaftszonen. Es werden nur die Territorialgewässer von Russland, Deutschland und Dänemark tangiert. Damit reduzieren sich Steuern und Transitgebühren. Zweitens: Bei Offshore-Pipelines ist der sogenannte Umweltraum-Widerstand nicht so groß. Umweltraum-Widerstand? Unter diesen Begriff fallen verschiedene Faktoren, im Wesentlichen aber die Umwelt. Gemeint ist: Eine Pipeline über Land kann heute niemand mehr so einfach bauen. Die Pipeline durchquert Naturschutzgebiete, Wälder, Flüsse oder bewohntes Gebiet - also sensible Bereiche, die man kaum umgehen kann. Bei unserer Offshore-Pipeline hatten wir es nur mit einem Naturschutzgebiet in Deutschland zu tun. Die Durchquerung anderer sensibler Bereiche konnten wir durch eine auf Minimierung der Umwelteinflüsse ausgerichtete Routenplanung vermeiden. Die Umweltbilanz kann bei einer Offshore-Leitung also deutlich besser sein als bei einer Leitung über Land? In unserem Fall ist die Pipelineroute durch die Ostsee wesentlich verträglicher als eine Alternative über Land. In meinem Zuständigkeitsbereich Deutschland kreuzen wir empfindliche Naturschutzgebiete, den Greifswalder Bodden. Durch eine sehr aufwendige Wiederverfüllung des Grabens konnten wir erreichen, dass voraussichtlich vier Jahre nach Ende der Bauzeit der ursprüngliche Zustand äquivalent wiederhergestellt sein wird. Das ist onshore in Wäldern schwieriger zu erreichen - aufgrund der langen Wuchszeit der Bäume oder in Sumpfgebieten aufgrund der Verdichtung des Bodens. Wo liegen die technischen Herausforderungen beim Bau einer solchen Pipeline? Die Nord Stream-Pipeline wird, wie gesagt, mit sehr hohem Druck und großen Druckunterschieden betrieben. Die Technik ist ganz darauf ausgerichtet, mit diesem Druck sicher umgehen zu können. Es geht also um die Integrität der Leitung, sowohl innen als auch außen. Offshore mit besserer Umweltbilanz 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 10 REPORT Über 200.000 Stahlrohre wurden zu zwei Pipelinesträngen zusammengeschweißt. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 10 Die Pipeline ist 1.200 Kilometer lang und liegt tief unter der Wasseroberfläche. Wie wird die Integrität sichergestellt? Durch spezielle, intelligente Geräte, die wir Molche nennen. Diese Molche werden durch den Gasstrom in den Leitungen gefahren. Sie ermitteln den Zustand der Leitung. Mit diesen Geräten können wir für uns und Dritten nachweisen, dass die Leitung integer ist. Also kleine Prüfroboter ...? So klein sind die gar nicht! Es werden verschiedene technische Module miteinander verkoppelt, je nach welchem physikalischen Prinzip geprüft werden soll. Die Molche können bis zu zehn Meter lang sein. Diese Technologie hat dazu beigetragen, dass wir die 1.200 Kilometer langen Leitungsstränge überhaupt offshore verlegen konnten. Was diese Verlegearbeiten betrifft: Drei der fünf weltgrößten Verlegeschiffe waren an Ihrem Projekt beteiligt. Die Pipeline wurde von den Schiffen - manche rund 300 Meter lang - wie ein durchgehender Spaghettistrang über eine spezielle Rampe zum Meeresgrund herabgelassen. So entstanden drei Kilometer Rohrleitung am Tag. Prüfende „Molche“ projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 11 Anzeige Umweltschutz als hohes Gut: Messungen begleiteten die Bauarbeiten. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 11 Dieses Verfahren erfordert höchste Präzision. Stellenweise muss die Leitung auf ein oder zwei Meter genau am Meeresboden abgelegt werden. Dafür muss das Zusammenspiel von Mensch und Technik mit hoher Zuverlässigkeit funktionieren. Bei einem Großprojekt wie dem Ihrigen steht der Umweltschutz weit im Vordergrund. Sie hatten es mit einer Vielzahl von Auflagen, Genehmigungen und eigenen Zusagen etwa gegenüber Behörden oder Umweltschutzverbänden zu tun. Die Zahl der Auflagen ging in die Tausende. Wir haben sie sorgfältig dokumentiert und auf Konsistenz geprüft. Diese Auflagen mussten sich letztlich auch widerspiegeln in den Verträgen, die wir mit den ausführenden Unternehmen geschlossen haben. Vor Ort haben wir überprüft, ob diese Umweltauflagen von unseren Auftragnehmern auch umgesetzt werden. Solch ein striktes Monitoring gilt als aufwendig ... Wir hatten zu allen Baustellen unsere eigenen Fachleute entsandt. Sicher, das ist aufwendig. Auf den Verlegeschiffen wurde rund um die Uhr gearbeitet. Dafür mussten wir Personal bereitstellen. In Deutschland waren von unserer Seite beispielsweise auf den beiden eingesetzten Verlegeschiffen insgesamt zwanzig Bauüberwacher und Inspektoren sowie auf der Landbaustelle acht Mitarbeiter tätig. Aber: Gegenüber den Behörden sind wir für die Einhaltung der Auflagen verantwortlich, nicht unsere Vertragsfirmen. Sprechen wir über Ihr Projektmanagement! Solche Projekte stellen besondere Anforderungen an das Management. Wo lagen die Herausforderungen? Eine besondere Herausforderung hat sich durch unsere Organisation ergeben. Wir haben für dieses Projekt eine eigene Projektmanagementgesellschaft gegründet. Normalerweise werden solche Projekte in einer bestehenden Organisation durchgeführt, beispielsweise unter dem Dach eines Konzerns. Ein großer Gasversorger lädt andere Gasversorger ein, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Er stellt praktisch seine Mannschaft als Kernteam zur Verfügung. Zwanzig Bauüberwacher im Einsatz 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 12 REPORT Mindestens fünfzig Jahre lang soll die Nord Stream-Pipeline Gas aus den großen russischen Reserven nach Deutschland bringen. Das System arbeitet völlig automatisiert. Nach Inbetriebnahme Ende dieses Jahres wird die Pipeline jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas ins europäische Netz einspeisen - und damit 16 Millionen Haushalte etwa in Deutschland, Dänemark, Großbritannien, Belgien, Frankreich und in den Niederlanden versorgen. Die Transportkapazität dieser Pipeline ist für elf Prozent der für 2030 erwarteten Gasimportmenge ausgelegt. Der Bau der Pipeline begann im April 2010. Im November 2011 wurde der erste Leitungsstrang fertiggestellt. Im April dieses Jahres schloss die Nord Stream AG die Arbeiten am zweiten Leitungsstrang ab - deutlich früher als vorgesehen. Die Rohre mit einem Innendurchmesser von 1.153 Millimetern wurden in drei Abschnitten verlegt, die jeweils für ein unterschiedliches Gasdruckniveau ausgelegt sind. Der Hintergrund: Durch die Länge des Transportweges (1.224 Kilometer) sinkt der Gasdruck kontinuierlich ab. Anfangs sind die Rohrwände 34,4 Millimeter dick. Im zweiten Abschnitt beträgt die Dicke noch 30,9 Millimeter, im letzten Abschnitt nur 26,8 Millimeter. Diese Anpassung reduzierte den Stahlverbrauch und damit die Kosten. Die Gesamtinvestition für die Nord Stream-Pipeline beträgt 7,4 Milliarden Euro. Der Pipelinebau wurde auch als Wirtschaftsprojekt von strategischer Bedeutung bezeichnet. Das Projekt trage, so die Argumentation, zur Diversifikation der Versorgungswege bei; mehr voneinander unabhängige Pipelines mit unterschiedlichen Routen sind sicherer als ein oder zwei Hauptstränge. So wurden bislang rund vier Fünftel der russischen Gasexporte über ein Pipelinesystem der Ukraine nach Deutschland geliefert. Die Abhängigkeit von nur einem Lieferweg berge, so die Befürworter der neuen Pipeline, ein hohes Risiko für Lieferanten und Abnehmer. Die neue Pipeline reduziere die technischen, ökonomischen und politischen Gefahren für die Versorgung. Hinter diesem Projekt steht die Nord Stream AG (Zug, Schweiz), ein internationales Joint Venture, an dem hauptsächlich die russische OAO Gazprom beteiligt ist. Die deutschen Unternehmen BASF SE/ Wintershall Holding GmbH und die E.ON Ruhrgas AG halten jeweils 15,5 Prozent. Weitere Anteilseigner stammen aus Frankreich und den Niederlanden. Im Profil: Die Nord Stream-Pipeline Grafik: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 12 Dies war bei uns völlig anders. Die an unserem Projekt beteiligten Konzerne - unsere Shareholder - haben sich für den Aufbau einer völlig neuen, unabhängigen Projektgesellschaft entschieden. Dies hat gewisse Vorteile. Aha? Welche Vorteile? Eine Projektgesellschaft kann flexibel an das Projekt herangehen. Sie ist vergleichsweise unabhängig von den Strukturen ihrer Shareholder. Wie zeigen sich diese Flexibilität und Unabhängigkeit konkret? Wir konnten uns an unorthodoxe Lösungen herantrauen. Wir konnten Wege gehen, die uns in einem Konzern möglicherweise versperrt gewesen wären. Zwei Beispiele dazu. Erstens: Ursprünglich hatten wir auf der Hälfte der Pipelinestrecke eine Wartungsplattform vorgesehen. Diese geplante Plattform war aber den Schweden aus politischen und sicherheitstechnischen Gründen ein Dorn im Auge. Ein Konzern hätte wohl um die Zustimmung der Schweden gekämpft. Wahrscheinlich. Wir aber haben das Problem quasi auf den Kopf gestellt. Wir haben uns gefragt, wie es möglich ist, die Pipeline ganz ohne Wartungsplattform zu bauen. Dies hat uns zu der Lösung mit weiterentwickelten Molchen geführt, über die wir vorhin gesprochen haben. Mit Logistikpreis für Pipelineprojekt dieser Lösung haben wir nicht nur ein großes Hindernis im Genehmigungsverfahren aus dem Weg geräumt, sondern auch viel Geld gespart und die Arbeiten beschleunigt. Ein zweites Beispiel für solch unorthodoxe Lösungen war unsere Logistik, also die Versorgung der Verlegeschiffe mit Baumaterial. Für die Logistik haben Sie den „Logistikpreis 2010“ erhalten ... Richtig. Auf den sind wir auch stolz. Meine Kollegen aus dem Logistikteam haben hier ein hervorragendes Konzept entwickelt. Der Hintergrund ist: Die Stahlrohre der Pipeline haben einen Betonmantel. Dieser Mantel macht die Rohre stabil und hilft die Pipeline auf dem Meeresgrund zu verankern. Normalerweise werden die Rohre zu einem Betonwerk transportiert, erhalten dort ihren Mantel und werden dann zur Küste gebracht. Was war anders bei Ihrer Logistik? Die Schwierigkeit besteht darin, dass tonnenweise Material auf weiten Wegen von Werk zu Werk und dann auf die Verlegeschiffe transportiert werden muss. Bei 220.000 Rohren, jedes mit Betonmantel im Schnitt 24 Tonnen schwer, summieren sich die Transportwege. Unsere Lösung war: Wir haben eigene Werke für die Betonummantelung in Küstennähe gebaut. Eigene Werke gebaut? Ist das nicht viel zu teuer? Nein, gar nicht. Rechnen Sie die günstigen Transportkosten ein! Die Stahlrohre kommen ohne Betonmantel an die Küste, man transportiert nur das Stahlgewicht. Vom Betonwerk aus ging das umhüllte Rohr ins Zwischenlager oder direkt aufs Verlegeschiff. Diese effiziente Lösung hat auch die Transportzeit verkürzt und Emissionen erheblich reduziert. Flexibilität bei den Lösungen mag ein Vorteil von Projektgesellschaften sein. Es gibt aber auch einige Nachteile. Man muss diese Gesellschaft für ein Projekt erst aufbauen. So braucht die Gesellschaft Mitarbeiter. Sie muss Spezialisten finden. Völlig richtig! Die Strategie in meinem Bereich in Deutschland war es, das Team aus in unserer Branche erfahrenen Fachleuten und jungen Hochschulabsolventen zu bilden. Zum einen also suchten wir Leute mit zehn oder zwanzig Jahren Berufserfahrung aus verschiedenen Projekten, zum anderen Hochschulabsolventen mit Enthusiasmus und Motivation. Außerdem kamen noch Vertreter unserer Shareholder dazu, vor allem auf Führungspositionen. Durch die Mischung aus diesen drei „Quellen“ haben wir recht dynamische Einheiten gebildet. Vertreter der Shareholder? Weshalb haben sie diese hinzugezogen? Mit diesen Vertretern haben wir persönliche Brücken zu den Shareholdern gebaut. Diese Klammer ist sehr wichtig, sie erleichtert den Umgang mit den Shareholdern. Als Projektgesellschaft darf man unorthodoxe Suche nach Spezialisten projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 13 Wie eine Endlosspaghetti wurde der mit Beton ummantelte Stahlrohrstrang metergenau auf den Meeresgrund herabgelassen. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 13 Lösungen wagen. Aber man braucht auch immer das Einverständnis und die Rückendeckung von den Shareholdern. Deshalb hatten wir als Firma mehrere Gremien, in denen ich die Themen zu Deutschland vorgetragen habe und unsere Shareholder strategische Fragen entschieden haben. Nun ist es nicht leicht, eine völlig neue Projektgesellschaft von heute auf morgen mit den richtigen Leuten zu besetzen. Wir sind schrittweise vorgegangen. So habe ich das Team Deutschland von rund zwanzig Personen - diese Zahl versteht sich ohne Inspektoren - langsam aufgebaut. So viele Fachleute auf einen Schlag gibt der Markt auch nicht her. Das Team ist über drei Jahre gewachsen. Jetzt, mit Abschluss der Bauarbeiten in Deutschland, ist es auch wieder deutlich geschrumpft. Wie sind Sie bei der Personalsuche vorgegangen? Viel über persönliche Kontakte. Wer länger im Pipelinebau arbeitet, hat meistens auch ein Netzwerk zu Fachleuten aufgebaut. Man kennt sich. Viele Spezialisten haben schon bei zurückliegenden Projekten zusammengearbeitet. Ich bin seit zwanzig Jahren im Pipelinebau tätig. Einigen meiner Mitarbeiter bin ich schon vor 15 Jahren begegnet. Manchmal habe ich sogar mit deren Vätern zusammengearbeitet. Kleine „Szene“ im Pipelinebau Also eine sehr überschaubare Szene von Pipelinespezialisten? Ja, so erstaunlich es klingt: Die weltweit vielen Tausend Kilometer Pipelines wurden von wenigen Hundert Spezialisten errichtet. Die Spezialisten sind es gewohnt, von Projekt zu Projekt zu wandern. Deshalb lohnt es sich, im Team eine ausgewogene Mischung aus Mitarbeitern mit verschiedenem Projekt-Background zu haben, etwa aus Projekten im Nahen Osten, aus dem australischen oder europäischen Raum. Der Erfahrungsschatz sollte möglichst breit angelegt sein. Für eine gute Mischung haben wir auch Personen bewusst aus unterschiedlichen Unternehmen zusammengestellt, aus Bauunternehmen, Ingenieurbüros oder anderen Projektgesellschaften. Also Vielfalt pur? Und ob! Bei unseren rund zwanzig dauerhaften Mitarbeitern für das Projektteam Deutschland war es eine gesunde Mischung aus zahlreichen Briten und Deutschen mit lokalem Know-how. In der Gesamtfirma waren zwanzig Nationen vertreten. Projektmanager haben in ihrer Ausbildung gelernt, geeignete Mitarbeiter für das Team sorgfältig auszuwählen. Viele Fachleute empfehlen objektive Methoden für diese Auswahl, beispielsweise präzise Qualifikationsprofile oder Assessment-Center. Kurz: Mitarbeiter im eigenen Netzwerk zu suchen - davon rät man häufig ab. Welche Vorteile bietet Ihrer Erfahrung nach die Mitarbeitersuche im eigenen Umfeld und über persönliche Verbindungen? Dieses Verfahren eignet sich besonders bei Teams, bei denen die Chemie stimmen muss. Man kennt ja die Kandidaten. Man weiß, wie sie arbeiten, ob sie ins Team passen, wie sie sich im Team einbringen und wie ihr Fachhintergrund ist. Vielleicht holt man noch eine zweite Meinung über die Kandidaten ein. Dieses Verfahren ist meiner Erfahrung nach sehr sicher. Jedoch, die persönlichen Kontakte haben wir nur für Spezialisten im Offshore-Bau genutzt, für die Ingenieurtechnik und das Projektmanagement. Bei der Suche nach anderen Fachleuten - beispielsweise für Kommunikation oder Umweltbiologie - sind wir klassisch vorgegangen. Wir haben Stellen ausgeschrieben, Qualifikationsprofile eingesetzt und mit Personalberatern zusammengearbeitet. Vorhin sagte Sie, dass Ihr Team mehrere Nationen umfasste. Wie kann man so ein bunt gemischtes Team führen? Darin liegt wirklich eine große Herausforderung - nämlich aus der gemischten Gruppe, die in dieser Kombination noch nie zusammengearbeitet hat, ein Team zu bilden. Dieses Team muss wissen, wie es optimal zusammenspielt. Denn jeder bringt seinen eigenen kulturellen Hintergrund mit, seinen Erfahrungshintergrund, seinen Stil. Die Zusammenarbeit muss wachsen. Manche Projektmanager neigen dazu, international stark gemischte Teams besonders eng zu führen - bei- Mitarbeiter aus 20 Nationen 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 14 REPORT Präzision und Sicherheit standen auf den Baustellen an erster Stelle. Spezielle Inspektoren überzeugten sich vor Ort von der Einhaltung der Normen. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 14 spielsweise durch detaillierte Anweisungen und Kontrolle. Ich sehe die Herausforderung an anderer Stelle. Zunächst braucht das international gemischte Team eine gute Kommunikationskultur, in der jeder jeden respektiert. Diese Kommunikationskultur muss offen sein. Probleme müssen, wie man sagt, sofort auf den Tisch kommen. Diese Kultur herzustellen ist nicht leicht. Sie sagten vorhin, dass viele Ihrer Mitarbeiter aus einer vergleichsweise kleinen Branche kommen und sich recht gut kennen. Dies dürfte doch hilfreich sein ... Unser Team in Deutschland besteht ja nicht nur aus Offshore-Ingenieuren. Wir haben auch Biologen im Team, Wirtschaftswissenschaftler, Rechtsanwälte, Umweltexperten und Kommunikationsfachleute. Die Menschen aus grundverschiedenen Fachdisziplinen müssen sich respektieren lernen. Wie haben Sie diese Aufgabe gelöst? Mein Führungsstil setzt auf Offenheit. Ich habe dem Projektteam Deutschland viel Freiheit gelassen. Ich habe allerdings gewisse Mindeststandards gefordert. Mindeststandards - wie darf ich dies verstehen? Unsere Projektsprache ist Englisch, darauf habe ich bestanden. Ich habe gefordert, dass jeder seine Mails auf Englisch schreibt, auch dann, wenn ein Deutschsprachiger seinem deutschsprachigen Kollegen eine Nachricht mitteilt. Es kann ja sein, dass diese Mail weitergeleitet wird! Beim Weiterleiten der Nachricht würden Mitarbeiter, die kein Deutsch sprechen, von der Kommunikation ausgegrenzt. Ähnlich empfindlich reagiere ich darauf, wenn Informationen zurückgehalten werden - im Team oder auch durch andere Unternehmen. Wir sind ein termingetriebenes Projekt. Wir können nicht den Informationen hinterherlaufen. Welche Rolle spielt das Vorbild der Führungskräfte? Eine große Rolle! Projektmanager müssen Loyalität, Integrität und Respekt vorleben. Auch müssen Projektmanager ihr Team motivieren können. Für die Motivation haben Sie ein einfach klingendes Rezept: Sie setzen Ihre Mitarbeiter an die Stelle, die ihren Stärken entspricht ... ... an die Position, an der sie ihre Fähigkeiten im Interesse des Gesamtprojekts entfalten können. Völlig richtig! Riskieren Sie damit nicht, dass jeder Mitarbeiter seine Arbeit selbstzufrieden im stillen Kämmerchen tut? Manche Mitarbeiter vertiefen sich in ihre Lieblingsaufgabe und können dabei zu ausgesprochenen Einsiedlern werden. Offene Kommunikationskultur Das Vorbild des Projektmanagers projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 15 Anzeige PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 15 Dem habe ich entschieden einen Riegel vorgeschoben. Ich erwarte, dass Mitarbeiter ihre Tätigkeit im Team transparent machen. Sie sollen ihre Arbeitsergebnisse offenlegen und diese mit anderen diskutieren. Dieses Vier- Augen-Prinzip ist sehr hilfreich. Ähnliches gilt für die multidisziplinäre Diskussion. Multidisziplinäre Diskussion? Spezialisten neigen dazu, sich geistig in den Grenzen ihres Fachs zu bewegen. Ihre Lösungen mögen aus Sicht ihres Fachs richtig sein - und doch aus globaler Sicht des Projekts nicht den optimalen Weg bilden. Deshalb habe ich in meinem Projekt die Spezialisten miteinander ins Gespräch gebracht. Ich wollte, dass das Team Lösungen unter verschiedenen Aspekten erörtert, Aspekte wie Recht, Kosten, Termin, Umwelt oder Technik. Nur so, in der multidisziplinären Diskussion, entstehen für das Projekt wirklich gute Lösungen. Nicht alle Fachleute lieben die Berührung mit anderen Disziplinen. Sie meiden es, sich in die Welt anderer Fachleute hineinzudenken. Dieser multidisziplinäre Ansatz muss Bestandteil der Projektkultur werden, dies ist ein klarer Grundsatz. Das Team muss ihn einüben. Dazu muss anfangs jeder bereit sein. Darauf will ich hinaus. War jeder dazu bereit? Wir haben unsere Mitarbeiter auch danach ausgewählt, ob sie zu dieser Diskussionskultur fähig sind. Selbstverständlich hat es ernste Mahnungen gegeben, und wir mussten uns von einzelnen Mitarbeitern auch trennen. Doch als das Team einmal zusammengefunden hatte, wurde den Mitarbeitern die multidisziplinäre Diskussion schnell zur Selbstverständlichkeit. Wir sprachen vorhin von der Flexibilität einer Projektgesellschaft. Eine solche Gesellschaft ist auch in Mit „Task Force“ unterwegs ihrer Organisation, ihrem Aufbau sehr beweglich. Sie kann ihre Organisation den jeweiligen Aufgabenschwerpunkten des Projekts anpassen. Diesen Vorteil haben wir genutzt. In jeder Etappe unseres Projekts bildete sich ein anderer inhaltlicher Fokus. Anfangs stand die Planung im Vordergrund, später das Genehmigungsverfahren, der Bau, zuletzt die Inbetriebnahme der Pipeline. Der Wechsel der Aufgaben spiegelte sich immer auch in unserer Projektorganisation wider. Die Genehmigungsphase stellte andere Anforderungen an die Organisation als die Bauphase. Wir haben die Organisation deshalb den jeweiligen Aufgaben angepasst. Da wir unabhängig sind, konnten wir dies auch frei gestalten. Wie darf ich mir dies konkret vorstellen? Wir haben in Deutschland zuerst eine sogenannte Task Force eingesetzt für die Genehmigungsphase. Sie hat insbesondere die zeitgerechte und hochqualitative Erstellung der Antragsunterlagen koordiniert. Und weiter? Vor Beginn der Bauarbeiten ist dann die Organisation so geändert worden, dass eine andere Task Force mit umfassender Verantwortung für alle baurelevanten Tätigkeiten eingesetzt wurde, die alle Disziplinen zusammenfasste. Die einzelnen Fachabteilungen haben dann Personal im Sinne einer Matrixorganisation an die Task Force abgestellt, wo es von mir funktional geführt wurde. Für jede Task Force wurden die Mitarbeiter je nach ihren Fähigkeiten neu zusammengestellt. Dies war ein fortlaufender Prozess des Wandels, der den einzelnen Mitarbeiter mal mehr, mal weniger erreicht hat. Auf diesen Punkt wollte ich hinaus. Organisatorische Flexibilität verlangt Mitarbeitern viel ab. Manche empfinden diesen Umbruch, mit dem sich die Organisation neu aufstellt, als strapaziöses Stühlerücken. Aus dem Change Management sind Probleme mit solchen Veränderungen bekannt. Erkaufen Sie sich die Flexibilität nicht um einen recht hohen Preis? Mit jedem Projektschritt hat sich in dem Team Deutschland für rund dreißig bis vierzig Prozent der Personen der Arbeitsschwerpunkt verändert. Wir hatten allerdings keine Schwierigkeiten damit. Zum einen haben wir Mitarbeiter ausgewählt, denen solche Veränderungen leichtfallen. Der Bedarf des Projekts bestimmt die eigene Tätigkeit, dieses Prinzip war ihnen bekannt. Zum anderen haben wir Sorge getragen, dass die Aufgaben für einzelne Mitarbeiter interessant blieben. Dass sie sich begeistern konnten für ihre Tätigkeit und sie sich gefordert fühlten. Kann man jedem Mitarbeiter solch eine spannende Aufgabe geben? Warum nicht? Meiner Erfahrung nach ist eine spannende Aufgabe das A und O für die Motivation. Wir haben ein spannendes Projekt. Aus diesem Projekt lassen sich viele hochinteressante Teilaufgaben herauslösen. Ich lasse Mitarbeiter möglichst eigenverantwortlich Spannende Aufgaben motivieren 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 16 REPORT Die weltgrößten Pipeline-Verlegeschiffe waren bei diesem Projekt im Einsatz. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 16 arbeiten und gebe ihnen die Freiheit, ihre Lösungen zu gestalten. Unsere Mitarbeiter sind erfahren genug, mit dieser Freiheit umzugehen. Selbstverständlich gelingt dies nur, wenn man deutlich die Verantwortlichkeiten klärt. Solche Verantwortlichkeiten kann man gut am Budget festmachen. Über welchen Maximalbetrag darf ein Mitarbeiter entscheiden? Welche Weisungsbefugnis hat er? Wen darf er anweisen? Sie haben gerade das Stichwort Budget erwähnt. Pipelineprojekte stehen unter dem Druck von Kosten und Terminen. Wobei bekanntlich eine kurze Projektlaufzeit und die pünktliche Abwicklung auch zu günstigen Kosten führen. Termingerechte Projekte haben in der Regel deutlich weniger mit Nachträgen der ausführenden Unternehmen zu kämpfen. Der Zusammenhang von Kosten und Terminen liegt auf der Hand. Wie haben Sie Ihr Projekt von den Terminen her in der Spur gehalten? Zunächst: Wir haben robuste, erprobte Methoden eingesetzt. Diese Methoden wurden dutzendweise bei vorangegangenen Projekten getestet. Sie sind sicher. Also bewusst auf komplizierte Innovationen, auf Experimente verzichtet? Solche Innovationen versucht man zu vermeiden, wenn ein Projekt so exponiert ist wie das unsrige. Mit robusten Methoden kann man gut planen. Wir hatten bewährte Richtwerte für die Planung von Kosten und Terminen an der Hand. Außerdem hatten wir gleich mehrere erfahrene Unternehmen, die mit diesen Methoden umgehen können. Also einen recht breiten Anbietermarkt für diese Methode. Ich kann nicht ganz folgen. Wo liegt der Vorteil eines breiten Markts, der diese Methoden anbietet? Angenommen, Sie haben nur ein oder zwei Unternehmen, die mit einer hochinnovativen Baumethode überhaupt arbeiten können. Auf diese Unternehmen sind Sie „Robuste Methoden“ dann angewiesen. Was machen Sie, wenn diese Unternehmen - aus welchen Gründen auch immer - plötzlich nicht mehr für Ihr Projekt zur Verfügung stehen? Wir brauchen doch Rückfallpositionen, eine Art „Plan B“! - Eine weitere Strategie für die Einhaltung von Terminen besteht in der konsequenten Terminüberwachung. Terminüberwachung - wie sind Sie vorgegangen? Wir haben den Arbeitsfortschritt vor Ort, auf den wesentlichen Schiffen, genau überwacht. Mit eigenen Fachleuten. Im Bauwesen berichten doch normalerweise die ausführenden Unternehmen, wie sie mit ihren Arbeiten im Terminplan liegen ... Wir haben überprüft, ob das, was uns Unternehmer berichten, auch stimmig ist. Ob das, was wir vorgegeben haben, wirklich umgesetzt wird. Wir haben uns einen eigenen Eindruck auf den Schiffen und an anderen Baustellen verschafft. Kommen wir bitte noch einmal zu Ihrer Strategie, einen „Plan B“ bereitzuhalten, falls ein Lieferant oder ein ausführendes Unternehmen ausfällt. projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 17 Anzeige Fundstück: Mit Sorgfalt wurde eine Kanone aus dem 16. Jahrhundert geborgen. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 27.08.2012 7: 50 Uhr Seite 17 Diese Strategie haben wir breit angewendet. Falls „Plan A“ trotz bester Vorbereitung nicht funktionierte, hatten wir eine Alternative parat. Bei fast jedem wichtigen Schritt im Projekt haben wir vorgesorgt mit einem „Plan B“. Auf diese Weise zweigleisig zu planen und sich mit System gegen Eventualitäten zu wappnen, dies kostet doch auch Geld? ! ? Selbstverständlich! Man muss häufig - nicht immer - Geld in die Hand nehmen, um einen „Plan B“ zu entwickeln. Doch dieses Geld war bei unserem Projekt sehr gut angelegt. Im Übrigen kostet es immer Geld, Sicherheiten im Plan aufzubauen. Aha? Zum Beispiel? Nehmen wir an, Sie bauen zur Sicherheit Zeitpuffer in den Terminplan ein. Es wurde beispielsweise das Ziel festgelegt, dass ein bestimmter Projektabschnitt bis Jahresende fertiggestellt ist. Maschinen können ausfallen, Unvorhergesehenes kann eintreten; als Projektmanager kennt man solche Probleme. Ich plane also, dieses Zwischenziel nicht erst im Dezember zu erreichen, sondern bereits im Oktober. Ich setze dafür mehr Ressourcen ein. Aber diese acht Wochen Puffer werde ich wahrscheinlich brauchen. Was entscheidend ist: Den Puffer aufzubauen kostet Geld. Ich muss den Mehraufwand bezahlen. Solche Puffer werden gerne als Verfügungsmasse gesehen, nicht als Rückstellung für wirklich schwierige Situationen. Jeder im Team kennt den Oktobertermin für das Zwischenziel - weiß aber, dass eigentlich Zeit bis Dezember bleibt. Und so wird das Zwischenziel eben doch erst zum Jahresende erreicht. Wie kann man sich Puffer verteidigen gegen eine solche Verschwendung von kostspielig aufgebauten Puffern wehren? Wir haben beispielsweise immer dafür gesorgt, dass solche Puffer in unserem Besitz bleiben, dass wir sie nicht aus der Hand geben. Puffer nicht aus der Hand geben - wie darf ich dies verstehen? Ich nenne Ihnen ein Beispiel, es geht um Umweltauflagen. Wenn im Wasser gebaggert wird, wirbelt dies Boden auf. Die Bauarbeiten trüben das Wasser. Für diese Trübung gibt es Grenzwerte. Wir haben mit den Behörden einen Schwellenwert für die Trübung vereinbart, den wir nicht überschreiten durften. Wie vorhin gesagt, die Projektgesellschaft steht für die gewissenhafte Einhaltung der Grenzwerte ein. Bei Überschreitungen wird die Gesellschaft zur Rechenschaft gezogen ... Um eine Überschreitung zu verhindern, haben wir den ausführenden Unternehmen einen niedrigeren, schärferen Schwellenwert genannt. Wir haben also einen Puffer eingesetzt. Die Differenz zwischen dem Schwellenwert der Behörden und dem, den wir mit unseren Unternehmern vereinbart haben, haben wir uns schwerlich abringen lassen. Mit einem Wort: Sie haben gegenüber den Unternehmen die Auflagen schärfer formuliert, als sie mit den Behörden vereinbart waren? Ja! Wir wissen, dass Unternehmen mit dem Schwellenwert möglicherweise zu kämpfen haben. Aber ein Spezialunternehmen kennt doch den Schwellenwert der Behörden. Diese Unternehmen wissen, dass der vertraglich vereinbarte Wert nicht der gesetzliche Wert ist! Selbstverständlich wissen die Unternehmen dies. Sie haben mit uns auch um den Schwellenwert gerungen. Sie wollten auch unseren Puffer ausschöpfen. Doch wir haben unsere Puffer und Sicherheiten verteidigt. Als öffentlich exponiertes Unternehmen kann man sich nicht erlauben, gegen die Auflagen zu verstoßen. Auf diese Weise ist es uns gelungen, nirgends Schwellenwerte zu überschreiten. Nochmals zurück zum Kostenmanagement. Kostenschätzungen müssen realistisch sein, dies ist die Grundlage für gutes Kostenmanagement. Wie sind Sie bei der Schätzung vorgegangen? Wir haben mit Richtpreisen geschätzt. Wir kennen den Markt. Solche Projekte sind schon vielfach durchgeführt worden. Also reine Routine? Nicht ganz! Die Herausforderung beim Kostenmanagement liegt bei den Risiken. Risiken wirken sich ja nicht nur auf Termine aus, sondern auch auf die Kosten. Wir haben zunächst die Kosten klassisch geschätzt, dann haben wir die Risiken hineingerechnet. Kostenschätzungen - mit Risiken! 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 18 REPORT Für sein Logistikkonzept gewann das Projekt einen renomierten Preis. Im Bild: Stahlrohre im Zwischenlager Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 18 Konkret? Wir haben die Risiken in zwei Gruppen geordnet. Erstens die Gruppe mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von über 50 Prozent ... ... die wahrscheinlichen Risiken ... ... und zweitens die Gruppe mit Risiken mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 50 Prozent. Also eher unwahrscheinliche Risiken. Die Rückstellungen für die wahrscheinlichen Risiken, die Über-50-Prozent-Risiken, haben wir in die Kostenschätzung eingearbeitet. Denn realistische Kostenschätzung heißt für mich, dass man sorgfältig die Risiken untersucht, ihre Auswirkungen auf die Kosten dokumentiert und anhand dieser Dokumentation die Kostenschätzung nochmals überprüft. Viele Projekte haben einen zentralen Finanztopf mit Rückstellungen für Risiken. Aus diesem Topf wird geschöpft, wenn ein Risiko eingetreten ist. Diesen zentral gemanagten Topf hatten wir auch. In ihn flossen die Rückstellungen für die eher unwahrscheinlichen Risiken, für die Unter-50-Prozent-Risiken. „Risikokurve“ nachgehalten Im Klartext: Die Rückstellungen für Risiken flossen entweder in die Kostenschätzung ein oder in einen zentralen Topf ... ... wobei der zentrale Topf in der Verantwortung unseres Finanzdirektors stand. Er hat die Mittel bei Bedarf projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 19 „Projekte scheitern nicht an Technik, sondern an Menschen.“ Wie steht es um den Faktor Mensch in Ihren Projekten? Ich biete Ihnen Projekt-Team- Entwicklung Mit Persönlichkeit auch schwierige Vorhaben steuern Solveidos ® Projektcoaching Robert Flachenäcker PMP® Telefon: 0 6708 - 63 95 60 mobil: 0160 - 97 66 84 23 @ www.solveidos.de Einfach Anzeige Pipelineendstation nach 1.224 Kilometern in Deutschland. Die Anlagen auf dem Festland speisen russisches Erdgas ins europäische Netz ein. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 19 freigegeben. In keinem Fall haben wir die Risikorückstellungen Teilprojekten zugeordnet. - Und noch etwas: Wir haben die Risikovorsorge während des Projekts nachverfolgt. Nachverfolgt? Wie das? Wir haben während der Planung ermittelt, zu welchem Zeitpunkt welche Risiken eintreten können. Anhand dieser Ermittlung haben wir eine Plankurve entwickelt ... ... quasi eine Sollkurve. Gegen diese Plankurve haben wir später, bei der Bauausführung, die Ist-Werte gehalten. Mit dieser recht einfachen Technik haben wir eine gute Indikation erhalten, ob das Projekt im Kostenrahmen bleibt. Bei dem Bau einer Offshore-Pipeline hat man es nicht nur mit bautechnischen Risiken zu tun. Ein solches Projekt berührt die Interessen vieler Gruppen. Widerstand der Stakeholder kann ein Bauprojekt heute durchaus gefährden. Beim Bau von Pipelines über Land rechnet man damit, dass man je Kilometer einen Stakeholder hat. Dies ist ein Richtwert, er gilt für Westdeutschland und die Beneluxländer. Ihre Pipeline verläuft weitgehend durchs Meer und fernab von Siedlungen. Da dürften Sie für Ihr Projekt auf deutlich weniger Stakeholder kommen ... Irrtum! Bei unserer Stakeholderanalyse haben wir rund zweitausend Vertreter in verschiedenen Interessengruppen gezählt, die von dem Projekt im weitesten Sinne berührt wurden. Ein Mitglied im Umweltausschuss des estnischen Parlaments gehörte beispielsweise ebenso zu diesen Stakeholdern wie ein Naturschutzbund an der Ostseeküste. Unsere Mitarbeiter sind viele Tausend Kilometer gereist, um Gespräche zu führen. Wir haben eine sehr intensive Kommunikation mit den Stakeholdern gepflegt. Dies erfordert feste Strukturen beim Stakeholdermanagement ... Wir haben für das Stakeholdermanagement Instrumente und Arbeitsprozesse entwickelt. Ein Beispiel: Wir reagieren in kurzer Zeit auf Fragen und andere Mitteilungen zu unserem Projekt. Dafür haben wir ein „Issue Management-Büro“ eingerichtet ... ... klingt kompliziert ... ... es ist nicht kompliziert. Wir haben eine zentrale Stelle aufgebaut. Sie beantwortet alle Anfragen. Die Anfragen werden mit einem „Customer Relation Ma- Stakeholdermanagement ... nagement“-System bearbeitet. Durch diese IT-Lösung hat die Beantwortung einen festen, zuverlässigen und schnellen Weg. Darüber hinaus haben wir mögliche Antworten auf Fragen in einem „Knowledge Pool“ zusammengefasst. Für siebzig bis achtzig Prozent der Fragen konnten Antworten aus diesem Pool geschöpft werden. Die übrigen Fragen wurden an die jeweiligen Fachabteilungen weitergeleitet. In der Genehmigungsphase 2008 bis 2009 haben wir damit 2.400 Anfragen systematisch beantwortet und Stakeholder zufriedengestellt. Und zusätzlich haben wir intensive Verbindungen zu Vertretern von Behörden, Politik, Öffentlichkeit und Presse gepflegt. Apropos Presse! Gegenüber der Presse öffnen nur wenige Projekte ihre Bücher. Uns haben allein in einem Jahr 1.200 Anfragen von Medien erreicht. Wir haben intensiv und vor allem offen mit der Presse zusammengearbeitet. Also ganz auf Dialog und Transparenz gesetzt. Dies galt auch für Medien, von denen wir vermutet haben, dass sie sehr kritisch über unser Projekt berichten. Wir haben auch diesen Medien Einblicke in die Arbeit der Untersuchungs- und Verlegeschiffe gegeben und für sie Interviews mit unseren Geschäftsführern organisiert. Kaum ein Konzern würde bei der Kooperation mit Journalisten so weit gehen ... Da zeigt sich ein weiterer Vorteil einer eigenständigen Projektgesellschaft. Sie kann auch beim Stakeholdermanagement und bei der Öffentlichkeitsarbeit ganz flexibel nach Bedarf des Projekts agieren. Wir waren überzeugt, dass sich Offenheit und Dialogbereitschaft auszahlen - und sind konsequent unserem Ansatz der Kommunikation gefolgt. Unsere Website war in zehn Sprachen aufbereitet. Wir haben im Prinzip alle Genehmigungsdokumente offengelegt. Mit Verlaub, die allermeisten Stakeholder verstehen das Fachchinesisch solcher Dokumente kaum. Für Laien haben wir sogenannte „Non Technical Summaries“ aufbereitet, um wissenschaftlich geschriebene Dokumente begreifbar zu machen. Summaries beispielsweise zu den Themen „Umgang mit Munitionsvorkommen am Meeresgrund“ oder „Sedimente im Wasser“. Viele Fragen, Befürchtungen und Einwände der Stakeholder kann man nicht im Voraus erahnen. Wie geht man vor? Auch wir haben lernen müssen. Es gab anfangs erstaunliche Befürchtungen, mit denen wir nie gerechnet hätten. ... und Umgang mit der Presse 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 20 REPORT Spezielle Roboter - „Molche“ genannt (rechts im Bild) - reisen mit dem Gasstrom durch die Pipeline. Sie inspizieren die Rohre. Foto: Nord Stream AG PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 20 Shakeholder argwöhnten, dass man Spionagekabel durch die Pipeline zieht oder Gift in die Ostsee einleitet? In etwa! Deshalb mussten wir ganz am Anfang lernen und das für die Kommunikation mit Stakeholdern erforderliche Detailwissen sammeln. Wir mussten also zusehen, dass wir argumentativ auf Augenhöhe kamen. Öffentlichkeitsarbeit kostet Geld. Ist dieses Geld gut angelegt? Die Investition in die Betreuung der Stakeholder hat sich mit Sicherheit gelohnt. Anfangs nahm die Öffentlichkeit eine eher kritische und distanzierte Haltung gegenüber dem Bau der Pipeline ein. Später haben wir breite Akzeptanz gefunden. Wir konnten unsere ambitionierten Zeitpläne nur einhalten, weil wir diese Akzeptanz hatten. Aha? In Schweden beispielsweise hatten wir kein rechtliches Mittel in der Hand, die Entscheidung im Genehmigungsprozess zeitlich zu fixieren. Der Vorgang hätte ein Jahr oder auch drei Jahre dauern können. Angesichts solcher Herausforderungen kann man erkennen, dass man der Akzeptanz viel Aufmerksamkeit schenken muss. Ihr Projekt stand in den ersten Jahren stark in der öffentlichen Diskussion. Stakeholder haben vereinzelt das Projekt polemisch diskreditiert. So hat ein Politiker den Albtraum einer Baustelle von der Größe Luxemburgs heraufbeschworen ... Mit solch politisch bedingten Äußerungen mussten wir umgehen lernen. Darum geht es mir! Großprojekte werden schnell zum Spielball von politischen Auseinandersetzungen. Sie geraten zwischen die Fronten von Konflikten, mit denen Spielball der Politik? sie gar nichts zu tun haben. Wie kann man sich dagegen wehren? Anfangs waren wir in der Tat manchmal solch ein Spielball, wie Sie sagen. Letztlich kann man sich nur auf sachliche Argumente konzentrieren und Fakten entgegenhalten. Fruchtet diese Strategie? Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht. Je weiter das Projekt vorankam, desto mehr entwickelte sich die Kommunikation hin zu einem fachlichen, technischen Dialog mit Behörden, Experten und Organisationen. Ein Beispiel: Die Fischer waren gegen den Bau der Pipeline. Sie fürchteten um ihre Schleppnetze. Wir haben uns die Boote angeschaut und die Sorgen der Fischereibetriebe genau geprüft. Dann haben wir ihnen geholfen, die Netze so zu modifizieren, dass es keine Probleme mit unserer Pipeline gibt. Solche alle Seiten zufriedenstellenden Lösungen mit Betroffenen gelingen nur nach intensiver, an der Sache und an Lösungen orientierter Kommunikation. ■ projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 21 Endstation für die „Molche“: Durch diese gewaltigen Schleusen werden in Deutschland die Molche genannten Prüfroboter aus der Pipeline geholt und zu ihrem erneuten Einsatz wieder nach Russland gebracht. Foto: Nord Stream AG Damit erfolgreiche Projekte nicht auf Hoffnung basieren. Seminare für Projektmanager: «Risikomanagement in IT-Projekten», 27. September 2012; «Agiles Projektmanagement für Innovationsvorhaben», 3. - 4. Oktober 2012; «Projektmanagement I - Methodik und Instrumente», 24. - 26. Oktober 2012; «Projektmanagement II - Projektleitung und Teamführung», 29. - 31. Oktober 2012. Informationen & Anmeldung unter: www.bwi.ch Anzeige PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 02 Uhr Seite 21