eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 23/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
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2012
234 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Weiche Faktoren in Projekten: Unvermeidliche Nebensache oder Schlüssel zum Projekterfolg? – Teil 4: Gerüst und Kompass

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2012
Jens Köhler
Mit diesem Beitrag wird eine Folge von fünf Projektgeschichten zur Hinführung zum Thema „Collective Mind Methode (CMM)“ fortgeführt (vergleiche dazu auch die Rezension in Heft 5/2011 der projektMANAGEMENT aktuell). Die Darstellung der Inhalte erfolgt anhand einfacher Beispiele. Die ersten drei Teile wurden in den Heften 1, 2 und 3/2012 veröffentlicht, den fünften und letzten Teil lesen Sie in der nächsten Ausgabe. Teil 1: Harte und weiche Faktoren: Unterschiede zwischen harten und weichen Faktoren. Herausarbeitung der drei wichtigsten Bereiche von weichen Faktoren im Projekt. Teil 2: Messbarkeit weicher Faktoren: Skizzierung der Wirkungsweise der MBTI-Typologie bei Menschen, Organisationen und Projekttypen. Teil 3: Projekttemperament und Projektteam: Die vier Projekttemperamente nach der Collective Mind Methode. Warum es wichtig ist, dass sich Projektteam und Stakeholder über das Projekttemperament einig sind. Eventuelle Differenzen geben Hinweise auf mögliche Schieflagen im Projekt. Teil 4: Der Collective Mind 1: Was ist der Collective Mind (CM), wie ist er aufgebaut und warum ist er so wichtig? Teil 5: Der Collective Mind 2: Wie der CM von den weichen Faktoren abhängt und wie durch einen stabilen CM die Erfolgsfaktoren erfüllt werden können.
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 44 WISSEN „Gerüst und Kompass“ Heiner Priesberg und Tobias Ehrlich treffen sich, um den Workshop zur Bestimmung des Funktionsumfangs des Datenmanagementtools vorzubereiten. Der Fokus der Vorbesprechung ist der Aufbau eines Collective Mind. Priesberg äußert seine Erwartungshaltung: „Im Idealfall werden wir wissen, was das Datenmanagementtool alles können muss. Im Normalfall wird aber jedes Projektteammitglied seine individuellen Anforderungen an das Tool äußern und danach werden wir wieder auseinandergehen. Hoffentlich haben wir genügend Glück, damit Letzteres nicht eintreten wird.“ Ehrlich erläutert: „Es gibt durchaus eine Methode, die Sitzung so zu moderieren, dass am Ende ein Verständnis der Anforderungen existiert. Das sollten wir auch tun, denn unser Zeitrahmen ist zwar nicht zu eng, da es sich hier um ein Missionarsprojekt handelt, aber dennoch erlaubt er uns nicht, Sitzungen allzu oft zu wiederholen.“ Ehrlich geht an die Tafel und zeichnet dort drei horizontale Balken hin. Auf den obersten Balken schreibt er Ziel-Ebene, auf den mittleren Balken Was-Ebene und auf den dritten Balken Wie-Ebene. „Dieses Schema ist das Gerüst des Projektverstandes, also des Collective Mind. Wird es in der Sitzung konsequent angewendet, dann ist es sogar der Kompass, der uns zur Lösung führt.“ Priesberg unterbricht ihn: „Dann müssen wir die Workshops so strukturieren, dass am Anfang die Ziel- Ebene erarbeitet wird, später die Was-Ebene und noch später die Wie-Ebene? “ „Im Prinzip ja. Die Ziel-Ebene skizziert den ganzen Kontext des Problems und prinzipielle Lösungswege. Der Detaillierungsgrad ist gering, aber die inhaltliche Breite ist hoch. Das Ergebnis lässt sich meist auf einer Folie verdichten. Bei einem Missionarsprojekt ist die Erarbeitung der Ziel-Ebene besonders wichtig.“ Priesberg fährt fort: „Dann enthält die Was-Ebene die Anwendungsfälle des neuen Tools, also dessen Funktionen. Und die Wie-Ebene enthält dann sicherlich die Detailanforderungen.“ Ehrlich nickt anerkennend: „Ja, das ist die Logik dahinter.“ Priesberg blickt dennoch wenig enthusiastisch. „Das ist doch alles offensichtlich. Was ist denn nun der tiefere Sinn des Dreischichtmodells? “ Ehrlich grinst: „Ich habe deine Frage erwartet. Erstens bevorzugt jede der drei Ebenen einen bestimmten Kom- Jens Köhler Projektgeschichten und -fallstudien Weiche Faktoren in Projekten: Unvermeidliche Nebensache oder Schlüssel zum Projekterfolg? Teil 4: Gerüst und Kompass Mit diesem Beitrag wird eine Folge von fünf Projektgeschichten zur Hinführung zum Thema „Collective Mind Methode (CMM)“ fortgeführt (vergleiche dazu auch die Rezension in Heft 5/ 2011 der projektMANAGEMENT aktuell). Die Darstellung der Inhalte erfolgt anhand einfacher Beispiele. Die ersten drei Teile wurden in den Heften 1, 2 und 3/ 2012 veröffentlicht, den fünften und letzten Teil lesen Sie in der nächsten Ausgabe. Teil 1: Harte und weiche Faktoren: Unterschiede zwischen harten und weichen Faktoren. Herausarbeitung der drei wichtigsten Bereiche von weichen Faktoren im Projekt. Teil 2: Messbarkeit weicher Faktoren: Skizzierung der Wirkungsweise der MBTI-Typologie bei Menschen, Organisationen und Projekttypen. Teil 3: Projekttemperament und Projektteam: Die vier Projekttemperamente nach der Collective Mind Methode. Warum es wichtig ist, dass sich Projektteam und Stakeholder über das Projekttemperament einig sind. Eventuelle Differenzen geben Hinweise auf mögliche Schieflagen im Projekt. Teil 4: Der Collective Mind 1: Was ist der Collective Mind (CM), wie ist er aufgebaut und warum ist er so wichtig? Teil 5: Der Collective Mind 2: Wie der CM von den weichen Faktoren abhängt und wie durch einen stabilen CM die Erfolgsfaktoren erfüllt werden können. PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 04 Uhr Seite 44 munikationsstil und ein bestimmtes mentales Modell. Und zweitens: Wenn das Schema konsequent angewendet wird, reicht eine Folie (z. B. die Ziel-Ebene) aus, um bei allen Teammitgliedern die nötigen Assoziationen hervorzurufen.“ Priesberg schaut auf die Uhr: „Wir müssen los, in die Sitzung.“ Die Projektteammitglieder, Wolfgang Mainzer und Klaus Klein, zwei Forscher, sowie Silke Meier als Vertreterin der IT, sitzen bereits im Raum, als Ehrlich und Priesberg hinzueilen, um mit dem dreitägigen Workshop zu beginnen. Fred Kraushaar hat das Team verlassen, da für ihn die Aufgabe aus IT-Sicht nicht spannend genug ist. Ehrlich beginnt: „Wir wollen nun die Anforderungen aus Forschersicht an das zu erstellende Datenmanagementtool erarbeiten. Ich werde die Moderation übernehmen. Wir folgen einem Dreischichtmodell.“ Nachdem er es knapp erläutert hat, stellt Ehrlich die erste Frage: „Welche prinzipiellen Komponenten benötigt das neue System? Bitte bedenkt immer, dass eure Kollegen später damit arbeiten müssen.“ Klaus Klein springt auf und sprudelt los: „Also, wir wollen wissen, welche chemischen Strukturen wie bei späteren Medikamenten wirken. Also brauchen wir ein Grafiktool, mit dem man zwei- oder dreidimensionale Plots unterschiedlicher Variablen darstellen kann. Damit wollen wir Daten auswählen, die wir durch automatische Verfahren bearbeiten wollen, um beispielsweise auszurechnen, welche Dosis eine bestimmte Wirkung erzeugt. Wir benötigen also ein Werkzeug zur automatischen Datenauswertung, an das man unterschiedliche Verfahren für Berechnungen andocken kann.“ Schließlich zeichnet Ehrlich drei Blöcke mit Anforderungen auf dem Flipchart: Einen für das grafische Tool, einen zweiten für das Tool zur automatischen Datenauswertung, einen dritten für den Datenspeicher sowie die benötigten Schnittstellen. Klaus Klein lehnt sich entspannt zurück. Wolfgang Mainzer kommentiert genervt: „So geht das nicht. Bevor ich nicht den genauen Funktionsumfang der Tools evaluiert und verstanden habe, kann ich keine verbindlichen Aussagen zu den auszuwählenden Komponenten machen. Ich weiß nicht, was das Ganze hier soll.“ Ehrlich entgegnet: „Die Blöcke, die ich gezeichnet habe, skizzieren den möglichen Funktionsumfang geeigneter Tools. Wolfgang, du benötigst Details der Lösung, um einen Sachverhalt zu erfassen und Entscheidungen treffen zu können. Klaus, du bist ein visionärer Typ mit einer abstrakten, auf die Zukunft ausgerichteten Sprache und bevorzugst die Ziel-Ebene, die ich ja eben gezeichnet habe. Für dich ist ein Problem gelöst, wenn die Lösungsideen und -wege ausformuliert sind. Knapp gesprochen heißt das, ihr seid in eurer Sprache zu weit auseinander. Somit müssen wir uns auf die Was-Ebene, das heißt auf die Ebene der Prozesse, begeben.“ Ehrlich zeichnet mithilfe des Teams einen typischen Arbeitsablauf im Labor an die Flipchart. Dabei achtet er darauf, dass der Arbeitsablauf nicht der Ziel-Ebene widerspricht, die wie eine Klammer darum wirkt. Umgekehrt, dort, wo die Ziel-Ebene widersprüchlich ist, kann sie nun ergänzt werden. Er fährt fort: „Wolfgang, wir schreiben jetzt in jeden Prozessschritt die Funktionen, die aus deiner Sicht wichtig sind. Dann haben wir die Verknüpfung zwischen euch beiden: Der Prozess als Was- Ebene verknüpft die Ziel-Ebene mit der Wie-Ebene. Silke Meier meldet sich zu Wort: „Anhand der Funktionen, die dann in jedem Prozessschritt stehen werden, kann ich das Anforderungsdokument ausformulieren, um damit die Auswahl der nötigen Komponenten und Programmierungen in die Wege zu leiten.“ Nach Abschluss des Workshopmarathons steht die Was-Ebene, und sogar mit der Wie-Ebene wurde in Form der Detailanforderungen begonnen. Klaus Klein wirkt nun gar nicht mehr entspannt, irgendwie fühlt er sich so, als ob er zu lange in eine rotierende Spirale geschaut hat. Wolfgang Mainzer und Silke Klein wirken dagegen zufrieden und merken an, dass der nötige Detaillierungsgrad nun doch erreicht wurde. Ehrlich zieht ein Resümee: „Alle Kollegen wurden mit einbezogen: Am ersten Tag überwog die Ziel-Ebene, am dritten Tag die Wie-Ebene. Daher war Klaus Klein am dritten Tag auch so erledigt und die beiden anderen waren heute so munter. Und vorgestern war es gerade umgekehrt.“ Priesberg kommt zum Punkt: „Ja, genau. Und durch das Dreischichtmodell haben wir alle Sichten, die visionäre und die praktische Sicht, integriert. Jeder fühlt sich verstanden und kann seinen Beitrag leisten. Aber jeder muss auch auf die Beiträge der anderen eingehen, auch wenn es wehtut. So werden die Vorstellungen aller Teammitglieder verknüpft und das Problem wird in seiner Gesamtheit gelöst. Dann existiert ein Collective Mind. Jetzt habe ich es verstanden.“ ■ Schlagwörter Kultur, MBTI, Organisationsentwicklung, Persönlichkeit, Soft Skills, temporäre Organisation Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.6 Projektorganisation, 4.1.7 Teamarbeit, 4.1.18 Kommunikation Autor Dr. Jens Köhler hat an der Universität Bonn Physik studiert und dort promoviert. Seit 1999 ist er bei der BASF SE beschäftigt. Als Projektleiter liegt sein Haupttätigkeitsfeld in der Prozessanalyse sowie der Konzeption, Realisierung und Implementierung von komplexen IT-Systemen in der Forschung. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung der Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams durch die gezielte Beherrschung von Soft Skills und Kommunikationsprozessen. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen. Anschrift BASF SE GV/ WH-C6 D-67056 Ludwigshafen E-Mail: Jens.Koehler@basf.com projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2012 l 45 PM_4-2012_1-72: Inhalt 22.08.2012 14: 04 Uhr Seite 45