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PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2012
235 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Vielen öffentlichen Projekten fehlt sogar ein fachgerechter Netzplan“

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2012
Oliver Steeger
Wenige Wochen vor dem Eröffnungstermin platzte die Nachricht ins politische Tagesgeschäft: Der neue Hauptstadtflughafen bleibt geschlossen. Vor Herbst 2013 wird hier kein Flieger abheben, kein Passagier abgefertigt, kein Flughafenshop öffnen. Stattdessen kommen Airlines in Bedrängnis und werden mittelständische Partner des Flughafens in den Ruin getrieben. Die Schlagzeilen bringen auch das Projektmanagement „made in Germany“ in schlechtes Licht. Doch das Flughafenprojekt ist nicht das einzige Desaster bei Vorhaben, die in öffentlicher Regie durchgeführt werden. Professor Werner Rothengatter hat solche Großprojekte untersucht. Sein Fazit: „Der öffentliche Bereich versucht, Funktionen zu übernehmen, die normalerweise dem privaten Management zukommen.“ Das kann nicht gut gehen.
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 8 REPORT Herr Professor Rothengatter, die Eröffnung des Berliner Hauptstadtflughafens wurde erneut verschoben. Heute morgen (4. September 2012, die Redaktion) berichten Zeitungen, dass nun der Herbst 2013 angepeilt wird für den Eröffnungstermin. Die Blamage für Berlin ist gewaltig. Das Projekt wurde zum Gespött der Medien. Selten stand ein missratenes Projekt so häufig auf der ersten Seite der Tageszeitungen. Was läuft am Berliner Flughafen schief? Professor Werner Rothengatter: Die Probleme am Berliner Flughafen haben mehrere Ursachen. Die Hauptursache ist: Es fehlt eine klare und konstruktive Rollenverteilung zwischen öffentlichem und privatem Bereich. Der öffentliche Bereich hat versucht, Funktionen zu übernehmen, die normalerweise dem privaten Management zukommen. Außerdem setzt sich der Aufsichtsrat dieses Projekts nahezu gänzlich aus Vertretern der Politik zusammen. Er soll die Kontrolle des Managements vornehmen. Mit dieser Rolle aber ist er so, wie er personell besetzt ist, völlig überfordert. Zu gut Deutsch: Es fehlt eine professionelle Kontrolle des Baufortschritts ... ... und deswegen kam es auch zu den Kommunikationsproblemen. Man hat kurz vor dem Termin bekannt gegeben, dass die Eröffnung verschoben wird. Alle haben versucht, bis zum Ende die Probleme eher zu vertuschen, als anzugehen. Aus diesem Grund hat das Projekt wichtige Termine nicht eingehalten. Erstaunlicherweise sind die Verantwortlichen für dieses Desaster kaum zu greifen. Vor allem seitens der Politik hält niemand den Kopf für die Fehler beim Bau des Flughafens hin. „Vielen öffentlichen Projekten fehlt sogar ein fachgerechter Netzplan“ In der Kritik: Berliner Hauptstadtflughafen und Elbphilharmonie Wenige Wochen vor dem Eröffnungstermin platzte die Nachricht ins politische Tagesgeschäft: Der neue Hauptstadtflughafen bleibt geschlossen. Vor Herbst 2013 wird hier kein Flieger abheben, kein Passagier abgefertigt, kein Flughafenshop öffnen. Stattdessen kommen Airlines in Bedrängnis und werden mittelständische Partner des Flughafens in den Ruin getrieben. Die Schlagzeilen bringen auch das Projektmanagement „made in Germany“ in schlechtes Licht. Doch das Flughafenprojekt ist nicht das einzige Desaster bei Vorhaben, die in öffentlicher Regie durchgeführt werden. Professor Werner Rothengatter hat solche Großprojekte untersucht. Sein Fazit: „Der öffentliche Bereich versucht, Funktionen zu übernehmen, die normalerweise dem privaten Management zukommen.“ Das kann nicht gut gehen. Oliver Steeger Prof. Werner Rothengatter (Karlsruher Institut für Technologie, KIT) hat sein Diplom als Technischer Betriebswirt an der Universität Karlsruhe abgeschlossen, dort promoviert und sich habilitiert. 1989 wurde er zum Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung der Universität Karlsruhe (TH) berufen und war später Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Seit April 2009 ist er aus dem Universitätsdienst ausgeschieden und arbeitet als freier Berater. Prof. Werner Rothengatter war Mitglied und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesvereinigung Logistik und Inhaber des Francqui-Chair für Logistik an der Universität Antwerpen 2011. Von 2001 bis 2007 war er Präsident der World Conference on Transport Research Society. Er ist Mitglied des Bahnbeirats und Mitherausgeber der Springer Series on Transport Economics and Policy sowie Mitglied der Editorial Advisory Boards der Zeitschriften Transport Policy und Logistics Research. Hauptveröffentlichung zum Thema Megaprojekte: mit B. Flyvbjerg und N. Bruzelius: Megaprojects and Risk. An Anatomy of Ambition. Cambridge University Press, Cambridge UK, 2003. Foto: privat PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 32 Uhr Seite 8 Natürlich nicht! Die politisch Beteiligten betreiben jetzt ein ausgesprochenes Versteckspiel. Einige Akteure haben sich so gut verborgen, dass ihre Beteiligung der Öffentlichkeit kaum auffällt. Zum Beispiel? Nehmen Sie den Bund! Der Bundesverkehrsminister hat eine Überprüfung angekündigt, obwohl er über seinen Staatssekretär im Aufsichtsrat vertreten ist. Der Bund hält 26 Prozent Beteiligung an dem Flughafen. Er war auf dem Laufenden. Solche Details sind übrigens typische Reaktionen auf Fehlschläge bei öffentlichen Projekten. Der bequemste Weg besteht darin, den politischen Gegner verantwortlich zu machen. Welchen Fehler hat es in Berlin beim Projektmanagement selbst gegeben? Es waren mehrere Fehler, nicht nur einer. Dann legen wir doch los. Was alles ist beim Projektmanagement schiefgelaufen? Es gab organisatorische Fehler. Für solch ein Projekt hätte ein Generalunternehmer eingesetzt werden müssen, der mit den Risiken umgehen kann - und der nach Möglichkeit selbst am Risiko beteiligt ist. Eine echte Risikobeteiligung der privaten Wirtschaft halte ich übrigens nicht nur beim Flughafen Berlin für entscheidend, sondern bei allen öffentlichen Großprojekten. Kann man einen privaten Generalunternehmer bei solch einem Großprojekt überhaupt in die Risikoverantwortung nehmen? Selbstverständlich! Solch ein Flughafen wird ja nicht zum ersten Mal gebaut. Es gibt auf der Welt genug Beispiele für Flughafenprojekte. Einige Unternehmen haben sich auf den Flughafenbau spezialisiert. Der Bau eines Flughafens ist heute gut kalkulierbar. Man kann diese Erfahrungen für wirksames Management heranziehen. Ein erfahrener Generalunternehmer ist fähig, die einzelnen Baulose eines Flughafenprojekts sinnvoll zusammenzufügen. Was war anders in Berlin? In Berlin sind viele einzelne Beteiligte unter einer Projektgesellschaft zusammengekommen, die mit der Gesamtleitung völlig überfordert war. Diese Projektgesellschaft war von der öffentlichen Hand gegründet und stark politisch liiert. Augenblick! Man wird für diese Gesellschaft doch versierte Projektleiter verpflichtet haben, von denen man wirksames Management erwarten durfte. Die beteiligten Projektleiter sind erfahren, ja. Aber niemand auf der Baustelle ist mit eigenem unternehmerischen Risiko ins Geschäft gegangen. Die einzelnen Aufgabenbereiche wurden an verschiedene Auftragnehmer verteilt. Jeder Auftragnehmer hat natürlich versucht, den ihm aufgetragenen Teil zu liefern und damit seinen Vertrag zu erfüllen. Er haftet aber nicht für das Gesamtergebnis, also dafür, dass sein Beitrag in dem Gesamtprojekt mit den anderen Komponenten zusammenpasst. Echte Risikobeteiligung fehlt Jeder trägt das Risiko für sein Baulos - aber niemand hält seinen Kopf hin für das Gesamtprojekt? In diesem Detail liegt der Generalfehler in der organisatorischen Konstruktion beim Berliner Flughafen. Der Berliner Flughafen endet nicht als einziges öffentliches Großprojekt im Desaster. Auch beim Bauprojekt Elbphilharmonie in Hamburg läuft vieles aus dem Ruder. Dort reißen die Schlagzeilen über immense Kostensteigerungen nicht ab. Bei der Elbphilharmonie liegen die Dinge etwas anders als beim Berliner Flughafen. Die Beteiligten haben in Hamburg echtes Neuland betreten - vor allem bei der künstlerischen Gestaltung. Die architektonischen Vorgaben waren für die Bauwirtschaft sehr schwierig umzusetzen. Also ein gewisses Maß an Einmaligkeit wohnt diesem Projekt inne. Bei einem so komplizierten Projekt mit wirklich neuen künstlerischen und architektonischen Elementen kommt es eigentlich immer zu starken Kostensteigerungen. Denken Sie an den Bau der Oper in Sydney. Die ursprünglich kalkulierten Kosten sind dort um das Fünfzehnfache überzogen worden. Trotzdem wird am Management des Projekts Elbphilharmonie Kritik geübt. Nicht ohne Grund. Auf der einen Seite steht die Politik. Sie wollte bis zuletzt die Verantwortung in eige- Großprojekt Elbphilharmonie in der Kritik projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 l 9 Pleiten und Pannen am neuen Berliner Flughafen: Die ersten Flieger werden hier frühestens ab Herbst 2013 starten. (Symbolfoto) Foto: Sergiy Serdyuk - Fotolia.com PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 32 Uhr Seite 9 nen Händen behalten. Mehrfach und sogar noch sehr spät veränderte sie die Vorgaben; Architekten und Politik haben sich immer wieder Neues einfallen lassen. Außerdem kam keine echte Kommunikation zwischen Politik und Architektur einerseits und den ausführenden Unternehmen andererseits zustande. Beide Seiten hielten sich zu sehr in ihren Bereichen auf. Es mangelte an Querverbindungen. Überdies fehlte echtes Risikomanagement. Eben haben Sie die zurückliegende Kostenexplosion beim Bau der Oper in Sydney angesprochen. Für Hamburg hätte man - bei aller Einmaligkeit des Vorhabens - aus diesem Opernprojekt lernen können. Selbstverständlich hätte man in Hamburg aus dem Projekt in Sydney lernen können. Niemand hätte sich darauf verlassen dürfen, dass das Projekt Elbphilharmonie mit der ursprünglichen Kalkulation von 190 Millionen Euro über die Runden kommt. Kostensteigerungen gehören zu öffentlichen Großprojekten wie Regengüsse zum April. Kaum ein Projekt, das sein Budget einhält. Mitunter drängt sich sogar der Verdacht auf, dass Verwaltung und Politik Kostenschätzungen extra klein rechnen, um ihre Projekte über die politischen Hürden zu bringen. In der Tat sind die Zahlen, mit denen Projekte über die politischen Hürden gebracht werden, häufig manipuliert. Man weiß von vornherein, dass das geplante Pro- Häufig manipulierte Kalkulationen jekt teurer wird. Aber die realistischen Zahlen hält man zurück, solange es wahrscheinlich ist, dass durch Bekanntwerden dieser realistischen Schätzungen das Projekt gekippt werden könnte. Wie funktioniert dies genau? Man lässt früh eine erste Kostenschätzung vornehmen. Diese ist, wenn es zur parlamentarischen Verabschiedung kommt, meistens völlig veraltet. Zum einen also legt man veraltete Schätzungen vor ... ... und zum anderen sind zwischenzeitlich die Ansprüche an das Projekt bereits massiv gewachsen. Diese neuen Anforderungen sind in den veralteten Zahlen überhaupt nicht berücksichtigt. Die Zahlen passen nicht mehr zusammen, doch dies ist zum Zeitpunkt der parlamentarischen Verabschiedung nicht maßgebend. Es geht nur darum, das Projekt anhand dieser ersten Zahlenwelt durchzubekommen. Irgendwann muss doch die Fehlkalkulation erkennbar sein. Nach dem Baubeschluss wird ein Projekt entweder von einem privatwirtschaftlichen Projektmanagement vorangetrieben - oder das Management bleibt ganz in der öffentlichen Hand. Der Unterschied ist: Bei einem privaten Management schießen die Zahlen bei Übernahme des Auftrags einmalig in die Höhe. Kostensprünge von fünfzig Prozent und mehr gegenüber der ursprünglichen öffentlichen Kalkulation sind normal. Anschließend halten die Manager diesen Rahmen allerdings weitgehend ein, das heißt die weiteren Kostensteigerungen sind begrenzt. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 10 REPORT Öffentliche Großbauprojekte wie die Elbphilharmonie laufen finanziell aus dem Ruder. (Symbolfoto) Foto: Daniel Ernst - Fotolia.com PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 32 Uhr Seite 10 Was, wenn ein Projekt in öffentlicher Regie bleibt? Dann kommen alle zwei bis drei Jahre Mitteilungen über maßgebliche Kostenerhöhungen. Also scheibchenweise, die klassische Salamitaktik, wie wir sie derzeit bei den Eröffnungsterminen am Berliner Flughafen mit ansehen mussten? So ist es! Was die Kostensteigerung selbst betrifft: Am Ende eines von öffentlicher Seite gemanagten Projekts können sich die tatsächlichen Kosten gegenüber der ursprünglichen Kalkulation durchaus verdoppeln oder verdreifachen. Für fehlschlagende öffentliche Projekte öffnet letztlich der Steuerzahler das Portemonnaie. In Berlin hat die Terminverschiebung aber auch zu einem enormen Flurschaden für die Privatwirtschaft geführt, einem Schaden, den auch am Projekt unbeteiligte Kleinunternehmer und Mittelständler tragen müssen. So haben Taxiunternehmen sich auf die pünktliche Inbetriebnahme des Airports eingestellt, sie haben Geld in Lizenzen investiert. Händler, die im Airport Geschäfte eröffnen wollten, haben Mitarbeiter unter Vertrag genommen und Ware gekauft. Der um viele Monate verschobene Eröffnungstermin droht solche kleinen und mittleren Unternehmen in den Ruin zu treiben. Völlig richtig! Es steht in den Sternen, ob die Unternehmen diese Kosten je erstattet bekommen. Übrigens gilt dies nicht nur für den Mittelstand. Auch Konzerne leiden unter unnatürlichen Folgekosten. Ein Beispiel: Die Bahn muss am Flughafen Nahverkehrszüge verkehren lassen, in denen kein einziger Passagier sitzt. Wie bitte? Es werden Züge eingesetzt, obgleich der Flughafen nicht eröffnet worden ist? Die Züge haben nur die Aufgabe, die Eisenbahntunnel zu belüften und Schimmelbildung vorzubeugen. Denn die Tunnel haben keine eigene Belüftung etwa durch Ventilatoren. Der Zugverkehr sorgt für den Luftaustausch. Für solche Folgekosten tritt keine Versicherung ein. In Deutschland sind 2012 gleich mehrere öffentliche Großprojekte in die Schlagzeilen geraten. Handelt es sich bei dem Missmanagement um ein typisch deutsches Problem? Nein, solche Fehlschläge bei Projekten finden Sie zur Genüge auch im Ausland. Das Strickmuster ist immer gleich. Zum Beispiel? Im US-amerikanischen Boston wurde ein gewaltiges Verkehrsprojekt vorangetrieben. Interstate Highways wurden dort unterirdisch durch ein Tunnelsystem miteinander verknüpft. Die ursprüngliche Kalkulation lag bei 4,5 Milliarden Dollar, mittlerweile steht das Projekt bei 14,5 Milliarden Dollar. Das Vorhaben ist noch nicht Berlin: Züge ohne Passagiere unterwegs Weltweit Probleme mit öffentlichen Großprojekten ganz am Ende. Man hat Bauschäden festgestellt, und es laufen noch einige Prozesse. Sie sprechen vom immer gleichen Strickmuster. Wie liegt der Fall in Boston? Der Staat Massachusetts ist für die Projektplanung verantwortlich, während die Finanzierung aus Washington kommt, da der Bund für die Finanzierung der Interstate Highways zuständig ist. Vor Ort wird also munter geplant und dafür gesorgt - auch mit manipulierten Zahlen -, dass das Projekt politisch durchkommt. Danach steigen die Kosten für den Bund ins Uferlose. Jeder Projektmanager in der Privatwirtschaft steht für das Gelingen seines Projekts ein. Auch sein Unternehmen haftet für den Erfolg - und muss bei Kostenüberschreitungen oder Terminverzug Verantwortung übernehmen. Vorhin haben Sie angedeutet, dass dies bei öffentlichen Großprojekten fehlt. Dieser Aspekt ist von Bedeutung. Denken Sie an das Risikomanagement. Wirksames Risikomanagement braucht einen Träger des Risikos, jemanden, der die Konsequenzen trägt, wenn etwas schiefgeht. Im öffentlichen Bereich finden Sie niemanden. Darüber hinaus versucht man im öffentlichen Bereich Risiken aus dem Weg zu gehen - aus politischen Gründen. Risiken werden geleugnet und vor sich hergeschoben. Je größer das Projekt ist, desto naiver gestaltet sich die Vorsorge gegenüber auftretenden Risiken, ich nenne dies das „Paradox der Megaprojekte“. Alle hoffen darauf, dass es gut geht. Die Weltbank hat dies mal das EGAP-Prinzip genannt. Kennen Sie das EGAP-Prinzip? Nein ... „Everything goes according to plan.“ Keiner denkt darüber nach, was schiefgehen kann. Risiken werden zunächst vertuscht. Man will das Projekt durchbringen, da redet man nicht von Risiken. Ein Risiko ist für Politiker immer etwas Negatives. Im Klartext: Niemand betrachtet unvoreingenommen die Projektrisiken. Es gibt keine Vorsorge, nicht einmal ein Frühwarnsystem ... projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 l 11 Großprojekte wie der Ausbau von Autobahnen werden schneller abgeschlossen, wenn sie optimal finanziert werden. Foto: Kara - Fotolia.com PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 32 Uhr Seite 11 ... ein Frühwarnsystem gibt es vielleicht. Doch meist bleibt es bei gelben Ampelsignalen, die als lösbare Einzelprobleme gedeutet werden. Auch am Berliner Flughafen war man blind gegenüber der Gefahr, dass das Projekt aus dem Ruder laufen kann. Dass beispielsweise der Brandschutz nicht funktioniert oder neue Vorschriften für die Flugsicherung oder die Sicherheitschecks erlassen werden. Oder, dass es zu unvorhergesehenen Ausgaben beim Lärmschutz kommt. Immer wieder waren die Eigentümer des Flughafens zum Nachlegen von Geld gezwungen - was typisch für öffentlich gemanagte Projekte ist. Es haben doch bereits viele, viele öffentliche Projekte wegen fehlenden Risikomanagements Schiffbruch erlitten. Weshalb lernt niemand aus diesen Erfahrungen? Im öffentlichen Bereich stoßen Sie auf eine zähe Lernresistenz. Man meint, das eigene Projekt sei einmalig, es habe nie Vergleichbares auf der Welt gegeben. Mit Verlaub, dies ist Kirchturmpolitik: In meinem Dorf wurde nie ein solches Projekt durchgeführt. Also betreten wir Neuland. Noch etwas kommt hinzu: Wir haben in Deutschland keine Methode der Ex-post-Bewertung öffentlicher Projekte. Ex-post-Bewertung - wie darf ich dies verstehen? Bei öffentlichen Infrastrukturprojekten werden anfangs die zu erwartenden Kosten und der Nutzen analysiert. Doch nach der Umsetzung des Projekts prüft niemand, ob sich die prognostizierten Kosten auch bewahrheitet haben und der prognostizierte Nutzen tatsächlich eingetreten ist. Also die Effektivität von Projekten ... So ist es! Wurde das, was man erwartet hat, auch erreicht? Es gibt also nur Ex-ante-Analysen, gespickt mit Wunschzahlen vor Beginn des Projekts. Die zurückschauenden Ex-post-Analysen fehlen. In der Privatwirtschaft kommt es auch zu Fehlern. Thyssen Krupp beispielsweise hat sich an amerikanischen Stahlwerkprojekten die Finger verbrannt. Die Vorhaben führten zu exorbitanten Verlusten, mit denen der ganze Konzern bis heute zu kämpfen hat. Aber die Wirtschaft lernt daraus. Solch ein Fehler wird dem Konzern - und vielleicht seiner ganzen Branche - nicht ein zweites Mal passieren. Bei einem ähnlichen Projekt wird man die Erfahrungen aus Südamerika sehr genau auswerten. So etwas wäre bei öffentlichen Projekten nicht zu erwarten? Nein. Nochmals zum Berliner Flughafen. Die Baumängel, deretwegen die Eröffnung verschoben wurde, haben sich Projektrisiken ignoriert Niemand lernt aus Fehlern vermutlich früh angedeutet. Drängt sich nicht der Verdacht auf, dass man einige Zeit bewusst die Augen vor Fehlentwicklungen verschlossen hat? Wie ich schon sagte, das Management war eng mit der Politik verflochten. Bei der Kommunikation nach außen hat man versucht, die Ansprüche der Politik zu erfüllen. Man hat zu den Problemen geschwiegen und versucht, sich durchzuwursteln. Als es gar nicht mehr anders ging, da hat man erst die Verschiebung öffentlich eingestanden. Man hat sogar mit haarsträubenden Notfallplänen versucht, den Termin zu halten. Das war aberwitzig! Man wollte zusätzliches Personal einstellen. Es sollte bei Feueralarm zum Brandschutz Türen manuell, von Hand schließen. Das muss man sich vorstellen: Viele Hundert Leute, die an Türen stehen und darauf warten, dass die Sirene heult - und alles auf unabsehbare Zeit, weil niemand wusste, wann die Automatikanlagen funktionsfähig sein würden. Statt sich durchzuwursteln, hätte man früh sagen sollen: Wir können den Termin nicht halten. Wir müssen nochmals Einzelpakete aufschnüren. Wir können auch noch keinen Termin für die Eröffnung nennen. Zunächst wurde die Eröffnung auf Herbst 2012, dann auf März 2013 verschoben, dann auf Herbst 2013. Ich halte die Termine alle für politisch motiviert. Solchen politisch motivierten Terminen liegt selten eine gründliche, realistische Bestandsaufnahme zugrunde. Wiederum ein Zeichen für die Schwäche des Managements? Ja. Die Misere beim Management öffentlicher Projekte ist also durch die Struktur mit verursacht. Was muss sich verändern, damit Projekte im öffentlichen Bereich eine Chance haben, ihre Ziele zu erreichen? Ein wichtiger Ansatzpunkt liegt bei der Vorbereitungsphase. Sie muss man wesentlich konkreter und intensiver durchführen, als dies bisher der Fall ist. In dieser Phase werden die meisten Fehler gemacht, man lebt zu sehr vom Prinzip Hoffnung. Politiker entdecken eine attraktive Projektidee und betrachten die schön aufbereiteten Pläne und Modelle. Sie sind begeistert, beschließen das Projekt. Dann wird einfach mal angefangen - ohne, dass das Projekt konkret durchgeplant ist. Konkret? Nehmen Sie das Beispiel Stuttgarter Hauptbahnhof. Längst nicht alle Abschnitte des Großprojekts Stuttgart 21 sind planfestgestellt. Doch erst die Planfeststellung ergibt das Baurecht. Es fehlt an rechtlichen Voraussetzungen für den Bau? Nicht für den Hauptbahnhof selbst, aber für die Zulaufstrecken. Dies meine ich mit dem Prinzip Hoffnung: Man fängt an und hofft, dass die Planfeststellung die Behörden und Gremien passieren wird. Bei der Bahn- Intensive Vorbereitung gefordert 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 12 REPORT PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 32 Uhr Seite 12 schnellstrecke von Köln ins Rhein-Main-Gebiet war dies nicht anders. Ein Drittel der Strecke war bei Projektbeginn noch nicht planfestgestellt. Trotzdem hat man das Projekt gestartet. Welche Gefahr ist damit verbunden? Aller Erfahrung nach geht diese Vorgehensweise einher mit enormen Kostensteigerungen. Planfeststellungen enden äußerst selten mit dem Ergebnis, das sich die Projektbeteiligten vorher vorgestellt und gewünscht haben. Bürger und Gemeinden bringen Einsprüche ein. Die Planungen müssen daraufhin verändert und angepasst werden. Dann sind mit einem Mal etwa kostspielige Lärmschutzwände oder sogar Untertunnelungen nötig. Was fordern Sie konkret bei öffentlichen Projekten? Das Vorhaben muss vor Beginn komplett durchgeplant und planfestgestellt werden. Es muss sichergestellt sein, dass das Projekt in der geplanten Form rechtlich auch durchführbar ist. Außerdem: Die Architektenleistung muss abgeschlossen sein. Bei der Elbphilharmonie wurden bis zuletzt immer neue, politisch inspirierte Ideen aufgenommen. Man hat den Bau begonnen ohne klaren architektonischen Gesamtauftrag. Man hat einfach angefangen mit Teilen, bei denen man keine Änderungen mehr für wahrscheinlich hielt. Kurz: Kein Baubeginn ohne Planfeststellung und Abschluss der Arbeiten von Architekten und Statikern. So ist es. Falls es nicht anders geht und man den Bau früher beginnen muss, so braucht das Projekt Reserven, also Risikovorsorge. Dann muss das Projekt Geld für den gar nicht unwahrscheinlichen Fall zurücklegen, dass die noch nicht ganz planfestgestellte, aber bereits in Bau befindliche Bahnstrecke erheblich teurer wird. Oha! In welchen Fällen sollte man gezwungen sein, das Projekt noch vor Abschluss aller Vorbereitung zu beginnen? Manche Zuschüsse und andere öffentliche Mittel drohen zu verfallen, wenn der Bau nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt gestartet wird. Sekunde, bitte! Die Prinzipien bei der Vergabe öffentlicher Mittel können doch das Projekt nicht dazu zwingen, solche Risiken einzugehen? Da müsste doch eher etwas am Haushaltsrecht geändert werden. Keine Frage. Heute werden öffentliche Projekte getaktet nach den Terminen öffentlicher Haushalte. Nehmen Sie als Beispiel ein Projekt mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Für solche Projekte wird nicht eine Gesamtsumme für den gesamten Zeitraum reserviert. Sondern? Jahr für Jahr stellt man bestimmte Summen in den Haushalt ein - unabhängig davon, wie viel Geld das Projekt nach seinem Baufortschritt gerade braucht. Also alles scheibchenweise - und häufig völlig am Bedarf vorbei? Fehlende Planfeststellungen Diese Jahreshaushalte sind pures Gift für effizientes Projektmanagement. Ein weiterer Umstand kommt erschwerend hinzu: Die Mittel, mit denen das Projekt für das laufende Jahr rechnen kann, sind zumeist erst zur Mitte dieses Jahres bekannt. Der Haushalt für ein Jahr wird endgültig zumeist erst im späten Frühjahr verabschiedet. Die Projektmanager wissen erst Mitte des Jahres, mit wie viel Geld sie kalkulieren können. Sie versuchen dann hektisch, diese Summe sinnvoll im Projekt unterzubringen. Ein Unding aus meiner Sicht, so kann man mit Projekten auf Dauer nicht umgehen! Die ausführenden Privatunternehmen haben Verträge und Zahlungstermine. Wie sollen Unternehmen damit leben, dass Mittel erst zur Jahresmitte bewilligt werden? Viele Projektmanager seufzen resigniert und nehmen diese Finanzierung als schicksalhaft gegeben hin. Ich bin der Meinung, dass diese Finanzierungspraxis verändert werden muss. Die strengen fiskalpolitischen Vorgaben sollten gelockert werden. Für Projekte sollte nicht mit einem Jahreshaushalt gearbeitet werden, sondern mit einem Gesamthaushalt. Anderenfalls ist die Finanzierung immer von der jährlichen Haushaltssituation abhängig. Muss gespart werden, wird das Projekt eben ein oder zwei Jahre lang auf Sparflamme weitergeführt. Wie können Alternativen gestaltet sein? Fortschrittliche Programme planen die Finanzierung eines Projekts abgestimmt auf die Laufzeit des Vorhabens. Für jedes Jahr der Gesamtlaufzeit werden dem Projekt bestimmte Summen zugesichert, die zeitlich übertragbar sein müssen im Sinne einer überjährigen und flexiblen Finanzierung. Jahreshaushalte „pures Gift“ für Projekte projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 l 13 Problem Planfeststellung: Infrastrukturprojekte werden häufig ohne endgültiges Baurecht für die gesamte Strecke begonnen. Die Folgen sind immense Kostensteigerungen. (Symbolfoto) Foto: fefufoto - Fotolia.com PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 32 Uhr Seite 13 Welche Auswirkungen haben solche Finanzierungsmodelle in der Praxis? Betrachten Sie die sogenannten A-Projekte, also Projekte für den Autobahnausbau, die durch Lkw-Gebühren weitgehend finanziert werden. Der Ausbau von Autobahnen wird privat vorfinanziert. An solchen privat vorfinanzierten Baustellen werden Sie mehr Maschinen und Personal sehen als bei öffentlichen Baustellen. Die Arbeiten kommen schneller zum Ende. Die Auftraggeber dieser Projekte stellen ein Gesamtbudget bereit und wollen die Baustelle so schnell wie möglich beenden, damit sie mit dem Projekt Geld verdienen können. Als weiterer Hemmschuh für öffentliche Projekte gelten die Änderungen und späten Eingriffe der Auftraggeber, zum Teil noch in der Bauphase. Aber: Manche Großprojekte haben Vorlaufphasen von bis zu zwanzig Jahren. Da bleibt viel Zeit, Änderungen zu ersinnen. Und manche Änderungen werden mit der Zeit sogar technisch und rechtlich notwendig. Bei der Bahnschnellstrecke von Köln ins Rhein-Main- Gebiet waren es sogar 25 Jahre Vorbereitung. Kommt es schließlich zur Genehmigung, ergeben sich neue Erkenntnisse und diese sollen natürlich in die Pläne einfließen. Wir brauchen deshalb einen Kompromiss zwischen der langen Vorlaufzeit bei öffentlichen Projekten und den konkreten Vorgaben, die am Ende der Bauwirtschaft und dem Management gemacht werden. Auf den ersten Blick mag eine kurze, intensive Vorbereitungsphase auch für die Bauwirtschaft attraktiv sein. Doch auf den zweiten Blick ergibt sich ein anderes Bild: Gerade an Änderungen verdient die Wirtschaft gut und gerne. Auch daran muss sich etwas ändern. Ein Grundfehler öffentlicher Projekte ist, dass die Privatwirtschaft nicht am Risiko beteiligt ist. Durch die Ausschreibung zwingt man die Wirtschaft zu günstigen Kalkulationen und Sparangeboten für eine Grundvariante des Projekts. Änderungen, die über die vertraglichen Leistungen hinausgehen, werden dann teuer in Rechnung gestellt. Das ist richtig. Aber dieses Handeln in den sehr engen Grenzen des Vertrags geht zulasten der Flexibilität. Doch komplexe Projekte fordern bekanntlich von den Mitspielern diese Flexibilität, ein Agieren im Sinne der Effektivität des Ganzen. Das heißt? Unternehmen werden sich erst dann flexibel für das Ganze einsetzen, wenn sie selbst für das Gelingen des Ganzen mithaften und im Risiko stehen. Projektmanagementexperten werfen der öffentlichen Verwaltung gerne vor, die Vorgehensweise des Projektmanagements zu ignorieren. Projekte werden, so der Privatwirtschaft am Risiko beteiligen „Überjährige“ Finanzierung Vorwurf, völlig ohne Projektmanagement betrieben. Seit Jahren bewährte Techniken für Projektkommunikation, Kostencontrolling, Terminmanagement ... ... werden im öffentlichen Bereich praktisch nicht angewendet. Bei vielen öffentlichen Projekten finden Sie nicht einmal einen fachgerechten Netzplan, der Abweichungen bei der baulichen Realisierung erkennen und behandeln lässt. Sie finden in solchen Plänen äußerst selten einen ausgearbeiteten kritischen Pfad, den man im Blick halten muss, weil Störungen auf dem kritischen Pfad meistens zu Verzug und Kostenerhöhungen führen. Wir haben über die vielen Änderungen bei öffentlichen Großprojekten gesprochen. Verfügt man wenigstens über gutes Änderungsmanagement? Wie wollen Sie professionell Änderungen managen, wenn bei öffentlichen Projekten häufig ein Generalmanager fehlt? Die Projektgesellschaft versucht einfach, die Änderungen an die Auftragnehmer weiterzuleiten. Wie ich sagte: Je größer das Projekt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass die Beteiligten Überlegungen beispielsweise zum Management von Änderungen anstellen. Seit Jahren empfehlen Sie öffentlichen Großprojekten, einen privaten Generalmanager - besser noch ein Generalunternehmen - einzusetzen. Dieses Unternehmen muss auch das Risiko mittragen. Die öffentliche Verwaltung hat in der Regel kaum Erfahrung mit Großprojekten. Die Verwaltung ist aufgrund dieses Erfahrungsmangels gut beraten, sich nicht vorschnell von dem Angebot eines einzigen Generalunternehmers abhängig zu machen. Deshalb gehe ich einen Schritt weiter: Die Verwaltung kann die notwendigen Ausschreibungen nicht autonom vornehmen, um ein geeignetes Generalunternehmen zu finden. Auch dafür braucht sie kompetente Unterstützung. Unterstützung - von wem? Die öffentliche Verwaltung sollte sich bereits bei der Vorbereitung des Projekts von spezialisierten Consultants aus der Privatwirtschaft beraten lassen. Nicht nur von einem einzigen Consultant, sondern von zwei oder drei. Weshalb gleich mehrere? Mehrere unabhängig voneinander arbeitende Consultants bringen verschiedene Sichtweisen ins Projekt, stehen ihrerseits im Wettbewerb und kämpfen um ihre Reputation. Das Brückenprojekt über den Öresund Belt illustriert dies gut: Drei unabhängig voneinander arbeitende Consultants haben die Ausschreibungen vorbereitet. Sie haben das Projekt in seine Teile zerlegt, Baulose definiert und diese Elemente für die Ausschreibung eines Generalauftrags geordnet. Ein anderes Beispiel: Bei der Planung einer Hochgeschwindigkeitsstrecke für die Eisenbahn in Kanada hat man Berater aus Japan, Frankreich und den USA verpflichtet. Für die japanischen Berater sind Schnellbahnen das Rückgrat des Fernverkehrs; sie gehen davon aus, dass eine neue Bahn auch stark genutzt wird. Skeptisch dagegen sind die Amerika- Spezialisierte Consultants verpflichten 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 14 REPORT PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 32 Uhr Seite 14 ner, wenn es um die Kundenakzeptanz von Eisenbahnverkehr geht. Und im Mittelfeld befinden sich die Franzosen. Mit der Beteiligung mehrerer Consultants bei der Projektvorbereitung deckt man das Spektrum der Expertenmeinungen und den Prognosetrichter ab. Vor einiger Zeit haben wir in unserer Zeitschrift ein Interview zu einem öffentlichen Bauprojekt in Abu Dhabi publiziert („Den Graubereich bei internationalen Projekten beachten“, Interview zum Bau der Formel-1- Rennstrecke in Abu Dhabi; projektMANAGEMENT aktuell , Heft 4/ 2010). Auf der Baustelle traten nur drei Parteien auf: erstens ein Team für Planung, Projektmanagement und Bauleitung, zweitens ein Generalunternehmer und drittens sogenannte „Peer Review Entities“, unabhängige Controller, die den Baufortschritt für den Auftraggeber überwacht haben. Ein gutes Modell! Davon können wir lernen! Sprechen wir nochmals über die Politik. Das Konzept, das Sie beschrieben haben, lässt wenig Raum für Politiker. Die Politik stößt ein Projekt an, beauftragt es - und zieht sich dann zurück, um die Privatwirtschaft mehr oder weniger ungestört arbeiten zu lassen. So vernünftig die Vorschläge klingen, sie werden bei machtbewussten Politikern nicht unbedingt Anklang finden. Politiker müssen ihre Rolle bei öffentlichen Projekten anders als bislang verstehen. Heute mischen sich Politiker gerne ins Projektmanagement ein. Geht alles gut, lassen sie sich bei der Eröffnung oder Einweihung feiern. Sie wollen damit ihr eigenes Profil auf Hochglanz bringen. Manche setzen sich mit „ihrem“ Projekt das viel zitierte Denkmal ... Diese Erwartung, dass öffentliche Projekte das Politikerimage verbessern, sollte reduziert werden. Ich will der Politik nicht die Verantwortung und die Entscheidung nehmen. Die Rolle von Politikern bei öffentlichen Projekten sollten wir aber auf eine geeignete Größe zurechtstutzen. Man kann für Politiker durchaus ein oberstes Gremium für ein Projekt schaffen, das das Projekt bezüglich der politischen Vorgaben überwacht. Aber unter diesem Gremium brauchen wir ein kompetent besetztes, nach privatwirtschaftlichen Maßstäben tätiges Kontrollorgan. Dieses muss den Projektfortschritt permanent kontrollieren und in der Lage sein, dabei auch wirksam mit Frühwarnsystemen und Risikobzw. Änderungsmanagement zu arbeiten. Was die Manager öffentlicher Projekte betrifft: Welche Kompetenzen müssen Projektmanager für solche Projekte mitbringen? Die allgemeine Kompetenz für Projektmanagement ... ... dies versteht sich. Ich denke eher an spezielle Kompetenzen für den öffentlichen Bereich. Kompetenzen der Projektmanager Neue Rolle für Politiker Es muss sich um Projektmanager handeln, die auch gegen Widerstand Probleme aufspüren und transparent machen. Sie müssen diese Probleme definieren und Lösungskonzepte erstellen können. Dies verlangt permanentes Controlling und effektives Risiko-/ Änderungsmanagement. Darüber hinaus brauchen Projektmanager die Fähigkeit, in Netzwerken zu arbeiten und dabei sowohl mit den beteiligten Unternehmen wie auch mit den zuständigen politischen Entscheidungsträgern zu kooperieren. Mit der Politik zu kooperieren? Ja. Bei aller Kritik an ihrer Rolle in öffentlichen Projekten dürfen wir die Politik ja nicht wegdefinieren. Auf der einen Seite muss der Projektmanager deshalb die politischen Interessen verstehen, ohne sie notwendigerweise voll ins Projekt zu integrieren. Auf der anderen Seite muss er die Leistungsmöglichkeiten der beteiligten Unternehmen richtig einschätzen können und die Schnittstellen zwischen den Auftragsbestandteilen transparent und kontrollierbar gestalten. Er muss also die Vorstellungen hinter den politischen Zielsetzungen erkennen und dann so weit es geht umsetzen. Das Projekt ist ja kein Selbstzweck. Es soll ja etwas Nützliches für die Bürger herbeiführen. Da wird die Politik gebraucht. Für diesen Spagat braucht der Projektmanager ein breites Kreuz ... Er muss sich als Persönlichkeit in diesem komplexen Umfeld behaupten können. Nach allem, was Sie in unserem Gespräch angeführt haben: Mit kleinen Veränderungen wird sich das Management öffentlicher Projekte nicht verbessern lassen. Es reicht nicht, die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung in Projektmanagementschulungen zu schicken. Ich will nicht sagen, dass eine Schulung falsch wäre. Es wäre in jedem Fall hilfreich, wenn im öffentlichen Bereich mehr Managementerfahrung gebildet würde. Dennoch wird dies nicht ausreichen, um die Gesamtsteuerung für ein Großprojekt zu übernehmen. Bräuchte man womöglich eine politische Initiative, die diese grundlegenden Barrieren niederreißt? Eine Art Projektwende - analog etwa zur Energiewende? Dass die öffentliche Hand ein Projekt vorbereitet und es dann in die Regie eines Generalunternehmers übergibt, dass die Privatwirtschaft das Projekt selbstständig umsetzt und sogar das Controlling von Privaten übernommen wird, dass ein Projekt überjährig und flexibel finanziert wird - für dies alles brauchen wir erst einmal die rechtliche Verankerung. Diese Vorgehensweise muss rechtlich zulässig sein, und ihre Ergebnisse müssen öffentlich transparent dargestellt werden, um die Akzeptanz der Bürger zu erreichen. Der Begriff einer Wende beschreibt ganz gut, vor welcher Herausforderung wir bei öffentlichen Projekten stehen. ■ „Projektwende“ nötig? projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 l 15 PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 32 Uhr Seite 15