eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 23/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
121
2012
235 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Bauprojektmanagement - Kooperative Projektabwicklung als Schlüssel zum Erfolg komplexer Projekte

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2012
Ailke Heidemann
Das Lean-Projektabwicklungssystem definiert die Projektorganisation, die Vergabe und die vertraglichen Regelungen sowie auch die interne Organisation des Bauherrn. Grundsätzlich kann das Lean-Projektabwicklungssystem für jede Art von Projekten angewendet werden, es empfiehlt sich besonders für komplexe Projekte, deren Bausoll vorab nicht genau definiert werden kann. In diesem Fall kann der Projekterfolg in besonderem Maße von der Planung in interdisziplinären Teams und dem Input der Ausführenden bereits zu Projektbeginn beeinflusst werden. Dieses wäre auch insbesondere für öffentliche Auftraggeber entscheidend und Erfolg versprechend. Derzeit können öffentliche Auftraggeber eine frühzeitige Integration der Beteiligten aufgrund der in Deutschland geltenden Vergabevorschriften nicht adäquat umsetzen.
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1 Einführung Ein kooperatives und vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Projektbeteiligten ist Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Projekten, dieses gilt insbesondere auch für Bauprojekte. Eine frühzeitige Integration aller Projektbeteiligten, insbesondere der ausführenden Firmen, sowie eine gemeinschaftliche Projektabwicklung von der Planung über die Ausführung bis hin zur Fertigstellung haben einen wesentlichen Anteil am Projekterfolg, der sich sowohl im finanziellen als auch im zeitlichen Projektergebnis positiv widerspiegelt. Auch in Deutschland ist erkannt worden, dass hohes Konfliktpotenzial dem Projekterfolg schadet. Der in den USA entwickelte Lean Construction-Ansatz integriert die Ausführenden bereits frühzeitig in den Planungsprozess und erreicht so die Optimierung des Gesamtprojektes. Ein ähnlicher Ansatz steckt hinter dem in Australien besonders im öffentlichen Bereich verwendeten Alliancing- System. Beide bauen auf einer frühzeitigen Integration der Beteiligten sowie einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf, unterstützt durch entsprechende Vertrags- und Vergabeformen. Die Kombination dieser Faktoren führt zu einer Verbesserung der Projekterfolge. 2 Internationale Erfahrungen - Lean Management und Alliancing 2.1 Lean Management Lean Management geht auf das Toyota-Produktionssystem zurück, das von Taiichi Ohno, einem Projektingenieur bei Toyota, entwickelt wurde. Mit diesem System ist es Toyota gelungen, weltweit zum Klassenprimus in der Automobilproduktion zu werden und seine Führungsposition beständig und zielstrebig auszubauen. Das Toyota-Produktionssystem ist kurz nach dem zweiten Weltkrieg entstanden mit der Anforderung, kleine Stückzahlen unterschiedlicher Modelle bei geringer Nachfrage zu liefern. Das Ziel war es, durch konsequente Vermeidung von Verschwendung die Wirtschaftlichkeit der Produktion zu erhöhen [1]. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat in einer 1990 veröffentlichten Studie erstmals die Ursachen und Hintergründe des japanischen Erfolgs analysiert und systematisiert und in seiner Studie den Begriff „Lean Production“ geprägt, der im Deutschen meist mit dem Begriff „schlanke Produktion“ übersetzt wird [1]. Die Ergebnisse sind in dem Buch „The Machine That Changed The World“ von James P. Womack veröffentlicht worden. „Lean Production“ ist der Ausdruck für das wesentlich Andersartige dieser neuen Vorgehensweise bei Toyota. Der Ausdruck „lean“ steht nach Ohno „für die Effizienz der Prozesse, weitgehende Fehlerfreiheit der Produkte und Präzision bei Planung und Synchronisation parallel auszuführender Aufgaben …“ [1]. projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 l 37 Bauprojektmanagement - Kooperative Projektabwicklung als Schlüssel zum Erfolg komplexer Projekte Die frühzeitige Integration der Projektbeteiligten sowie eine gemeinschaftliche Projektabwicklung von der Planung über die Ausführung bis hin zur Fertigstellung haben einen wesentlichen Anteil am Projekterfolg. Wie dieses in Deutschland im Bauwesen umgesetzt werden kann, wird durch das für Deutschland entwickelte Lean-Projektabwicklungssystem beschrieben. Dieses baut auf dem in den USA entwickelten Lean Construction-Ansatz sowie dem in Australien verwendeten Alliancing-System auf. Grundlage für den Projekterfolg und damit die Erreichung der Projektziele ist die Kombination einer frühzeitigen Integration der Beteiligten mit einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit, unterstützt durch entsprechende Vertrags- und Vergabeformen. Ailke Heidemann Das Lean-Projektabwicklungssystem definiert die Projektorganisation, die Vergabe und die vertraglichen Regelungen sowie auch die interne Organisation des Bauherrn. Grundsätzlich kann das Lean-Projektabwicklungssystem für jede Art von Projekten angewendet werden, es empfiehlt sich besonders für komplexe Projekte, deren Bausoll vorab nicht genau definiert werden kann. In diesem Fall kann der Projekterfolg in besonderem Maße von der Planung in interdisziplinären Teams und dem Input der Ausführenden bereits zu Projektbeginn beeinflusst werden. Dieses wäre auch insbesondere für öffentliche Auftraggeber entscheidend und Erfolg versprechend. Derzeit können öffentliche Auftraggeber eine frühzeitige Integration der Beteiligten aufgrund der in Deutschland geltenden Vergabevorschriften nicht adäquat umsetzen. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 34 Uhr Seite 37 Lean Management konzentriert sich auf die Wertschöpfung - immer aus Sicht des Kunden - und eliminiert die Verschwendung. Dadurch können Durchlaufzeiten verkürzt, Bestände gesenkt und die Produktivität gesteigert werden. So können individualisierte, spezifische Produkte in höchster Qualität hergestellt werden. Im Mittelpunkt des Lean Managements steht zum einen der Kunde mit seinen individuellen Bedürfnissen, zum anderen eine optimale und kontinuierlich verbesserte Organisation der Produktion und Logistik. Dem Konzept liegen fünf Grundprinzipien zugrunde: 1. Spezifikation des Wertes 2. Identifikation des Wertstroms 3. Fluss (Flow) des Wertes ohne Unterbrechung 4. Ziehen (Pull) des Wertes durch den Kunden 5. Streben nach Perfektion [2] Diese fünf Grundprinzipien sind von der Automobilindustrie auf eine Vielzahl anderer Industrien übertragen bzw. adaptiert worden. 2.2 Lean Construction Auch auf das Bauwesen sind die Methoden und Prinzipien des Lean Managements adaptiert und Mitte der 90er-Jahre unter dem englischen Begriff „Lean Construction“ (LC) eingeführt worden. Während die Ursprünge des Lean Managements, die Lean Production, ihre Anwendung in der Massenfertigung fanden, steht 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 38 WISSEN Erfolgsfaktoren Empfehlung Änderungen VOB Erfolge Eine frühzeitige bedarfsgesteuerte Einbindung Beteiligter aller Disziplinen - auch von Nachunternehmern und ggf. von Lieferanten - ist für die Optimierung des Designs sowie für das Generieren von Innovationen und damit für die positive Beeinflussung des finanziellen Projektergebnisses entscheidend. Bei der Finanzierungsplanung ist zu beachten, dass zu Projektbeginn ein höherer Finanzierungsbedarf notwendig ist. Hohes Potenzial zur Beeinflussung der Kosten von Projektbeginn an durch: ❑ Know-how der Ausführenden ❑ Reduzierung von Änderungen ❑ gleichzeitige Planung von Prozess und Produkt Grundlage für den Erfolg der verschiedenen Werkzeuge Damit ausführende Firmen ihr Wissen und ihre Erfahrung in die Planungsphase einbringen können, müssen sie ihr qualifiziertestes Personal zur Verfügung stellen, das sie andererseits aber auch in der Ausführungsphase gebraucht hätten. Eine reine Bezahlung der Planungsleistung auf Stundenbasis ist selten attraktiv genug, sodass Anreize zu schaffen sind. Teilnehmern aus der Planungsphase müsste es ermöglicht werden, am Wettbewerb für die Ausführung teilzunehmen, um so das bereits erworbene Wissen zu erhalten. Das Kompetenzprofil des Bauherrn ändert sich, indem der Bauherr als ein Teil des Teams in sämtliche Entscheidungen und Prozesse eingebunden ist und darüber hinaus Aufgaben im Team übernehmen muss. Im Rahmen der Auswahlprozesse obliegt ihm die Bewertung der Bieter und deren Fähigkeit zum Projekterfolg beizutragen. Durch Schulungen und Workshops kann der Bauherr auf seine neuen Aufgabenbereiche und Rollen vorbereitet werden. Die Wünsche des Bauherrn werden mit ihm gemeinsam im Team erarbeitet. So reduzieren sich Designänderungen, die sonst oft später im Prozess stattfinden und zu hohen Kosten führen. Eine Vielzahl von Werkzeugen aus dem Lean-Werkzeugkasten steht zur Verfügung, um unter anderem eine zuverlässige Zusammenarbeit sowie das konzeptionelle Bestimmen eines Zielpreises zu ermöglichen. Dabei ist wichtig, dass das Team geschult wird, diese zu implementieren, fortlaufend zu überprüfen und zu verbessern. Diesen Prozess sollten ein oder mehrere Lean-Manager, die über entsprechende Erfahrung verfügen, begleiten. Die Anwendung der Werkzeuge beeinflusst die Kosten, die Qualität und die Zeit positiv. Die Wirkung hängt von den Rahmenbedingungen, im Wesentlichen der frühzeitigen Einbindung, ab. Tab. 1: Auszug Lean-Projektabwicklungssystem LEAN-PROJEKTORGANISATION Frühzeitige Einbindung der Beteiligten Einbindung Bauherr Werkzeuge Kostenverschiebung: höherer Finanzierungsbedarf zu Projektbeginn Hohe Kompetenzanforderungen Anreiz für ausführende Firmen, sich in die Planungsphase einzubringen Integration und Implementierung neuer Lean-Werkzeuge PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 34 Uhr Seite 38 das Bauwesen im Gegensatz zur stationären Industrie anderen Herausforderungen gegenüber. Das Bauwesen ist geprägt durch eine Unikatfertigung, die an immer neuen Orten stattfindet. Damit entstehen auch geänderte Anforderungen an die Umsetzung des Lean Managements. Für die Bauindustrie sind eigene Werkzeuge zur Umsetzung der Lean-Prinzipien entwickelt worden. Dieses sind insbesondere das Last Planner System TM und das Lean Project Delivery System (LPDS). Das Last Planner System TM ist ein Produktionsplanungs- und Steuerungsinstrument, das insbesondere das Ziehprinzip (Pull-Prinzip) im Bauwesen verwirklicht und alle Projektbeteiligten zu einer aktiven Zusammenarbeit bewegt, um so einen stabileren Prozess und dadurch eine höhere Produktivität zu erreichen [3]. Das LPDS ist ein ganzheitlicher Ansatz, der sich von der Definitionsphase eines Projektes über die Planungs- und Ausführungsphase bis hin zur Nutzung des Bauwerks erstreckt. Ziel des LPDS ist es, die Arbeiten so zu gliedern und aufzubauen, dass die Lean-Ideale ❑ liefern, was der Kunde wünscht, ❑ im richtigen Augenblick, ❑ ohne Verschwendung bestmöglich umgesetzt werden. Während traditionelle Projekte in verschiedene Phasen (Planung, Vergabe und Ausführung) eingeteilt und voneinander getrennt vom jeweiligen Personenkreis bearbeitet werden, sind bei der Abwicklung im LPDS die Ausführenden bereits in die Entscheidungsprozesse während der Planung eingebunden [4]. Die USA sind bei der Umsetzung des Lean Managements im Bauwesen weltweit führend, insbesondere im Hinblick auf eine ganzheitliche Umsetzung des Lean-Gedankens im Rahmen des Lean Project Delivery Systems. Speziell hierfür ist die „Integrated Form of Agreement“ (IFOA) in den USA entwickelt und erstmalig im Jahr 2005 veröffentlicht worden. Diese Vertragsform ist darauf ausgerichtet, die speziellen Bedürfnisse bei der Umsetzung der Lean-Prinzipien durch einen relationalen Vertrag zu unterstützen. Die IFOA zielt auf eine gemeinsame partnerschaftliche Projektführung ab, die es dem Bauherrn ermöglicht, die Entwicklung permanent zu beeinflussen, Fehler rechtzeitig festzustellen und gemeinsam im Team zu korrigieren. Der Grundgedanke besteht darin, den Fokus des Teams auf die gemeinsame Realisierung eines erfolgreichen Projektes zu lenken [5]. Die IFOA ist ein Mehrparteienvertrag, den Bauherr, Architekt und Generalunternehmer gemeinsam unterzeichnen. Charakteristisch für die IFOA ist, dass neben den kommerziellen Bedingungen das Verhalten der Vertragsparteien untereinander geregelt wird. Darüber hinaus werden Entscheidungen gemeinsam im Team getroffen und Risiken weitestgehend eliminiert bzw. gemeinsam getragen. Vorhandene Gewinne bzw. Verluste am Projektende werden im Team geteilt [6]. 2.3 Alliancing Allianzen sind vorwiegend in Australien im öffentlichen Sektor zu finden. Allianzen eignen sich insbesondere für komplexe Projekte, deren Bausoll vorab nicht eindeutig festgelegt werden kann, deren Risiken nicht voll einschätzbar bzw. teilweise noch unbekannt sind und die während der Ausführung ein hohes Maß an Flexibilität verlangen. Mit dem Zeitpunkt der Bildung einer Allianz wird eine sogenannte fiktive Projektgesellschaft gegründet, die nach außen hin wie eine eigene Gesellschaft fungiert und auch als solche registriert ist. Sämtliche Anstellungen laufen über die Allianzpartner. Der Allianzvertrag ist ein Mehrparteienvertrag. Alle Vertragspartner - bestehend aus dem Bauherrn und einem oder mehreren Planern sowie einer oder mehreren ausführenden Firmen - unterzeichnen denselben Vertrag und sind damit an dieselben Vertragsbedingungen gebunden. Sämtliche Entscheidungen sind immer unter Beachtung der Allianzprinzipien zu treffen. Diese werden gemeinsam entwickelt und als Vertragsbestandteil in den Allianzvertrag aufgenommen. In den Ausschreibungsunterlagen beschreibt der Bauherr die Werte seiner Firmenphilosophie und gibt einen Leitfaden für die Entwicklung der Beziehungen in dem Projekt vor [7]. Das Konzept einer Allianz beruht darauf, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in der Planung ein Team aus Designern/ Planern und Ausführenden auszuwählen und mit diesem gemeinsam das Projekt zu planen, zu kalkulieren und zu realisieren. Dabei ist der Bauherr ein Teil des Teams und übernimmt verschiedene Aufgaben innerhalb des Teams. Die Allianz wird unter dem Gedanken eines einzigen Teams (One Team) - unabhängig von verschiedenen Firmenzugehörigkeiten und den traditionellen Rollen der Beteiligten - verwirklicht. Alle Entscheidungen werden stets mit dem Ziel der Optimierung des Gesamtprojektes (Best for Project) getroffen. Bei einer Allianz verlässt der Bauherr seine traditionelle Rolle, in der er ausschließlich als Kontrollinstanz fungiert, und wird ein Teil des Teams [6]. Aufgrund der großen Akzeptanz und der verzeichneten Erfolge insbesondere im öffentlichen Sektor sind Allianzen im Hinblick darauf, wie durch ihre Anwendung das Projektergebnis erfolgreich beeinflusst und darüber hinaus zu einer gemeinschaftlichen Projektabwicklung beitragen kann, näher betrachtet worden. 3 Das Lean-Projektabwicklungssystem Basierend auf den Untersuchungen verschiedener kooperativer Projektabwicklungsformen sowie innovativer und relationaler Verträge ist das Lean-Projektabwicklungssystem entwickelt worden. Es fokussiert drei Bereiche: eine Projektorganisation anhand von Lean-Prinzipien, eine Vergabestrategie und eine Vertragsstrategie. Darüber hinaus werden Handlungsanweisungen für projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 l 39 wir können. sympathisch anders. 30 Jahre © 2005 www.first- T r a i n i n g Stufe für Stufe die richtige Qualifikation - Ausbildung mit ibo-Zertifikat für den • Projektmanagement-Fachmann/ -frau • Projektleiter/ in • Projektmanager/ in Einzel- und Vertiefungsseminare • Projektmanagement - Die wichtigsten Werkzeuge • Projekterfolg durch effektive Führung und Zusammenarbeit • Multiprojektmanagement und Ressourcenmanagement Studium Master of Arts Projekt- und Prozessmanagement in Kooperation mit der German open Business School (GoBS) Die Ausbildung ibo-Zertifikat Projektleiter wird im 1. Semester angerechnet. Internationale Standards Zertifizierungsvorbereitungsseminare • IPMA Level D • Prüfungsvorbereitung zum PMP® Ihre Ansprechpartnerinnen Barbara Bausch, Heike Borschel Katja Zink (Produktmanagerin, Trainerin) Weitere Infos finden Sie auch unter www.ibo.de/ training/ projektmanagement ibo Beratung und Training GmbH Im Westpark 8 | D-35435 Wettenberg T: +49 641 98210-300 F: +49 641 98210-500 training@ibo.de | www.ibo.de Beratung | Software | Training | Verlag Projektpersonal optimal vorbereiten Anzeige PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 34 Uhr Seite 39 die interne Organisation des Bauherrn gegeben. Für jeden der Bereiche sind Erfolgsfaktoren identifiziert und Handlungsanweisungen zur Umsetzung auf Projektebene entwickelt worden. Für die Umsetzung im öffentlichen Sektor werden Vorschläge gemacht, die notwendige Änderungen für die Implementierung einer kooperativen Projektabwicklung umfassen. Am Beispiel der Lean-Projektorganisation wird in Tabelle 1 ein Auszug aus dem entwickelten Lean-Projektabwicklungssystem gegeben. Grundsätzlich kann das entwickelte Lean-Projektabwicklungssystem für jegliche Art von Projekten angewendet werden. Es empfiehlt sich besonders für komplexe Projekte, deren Umfang vorab nicht genau definiert werden kann. Solche Projekte profitieren von einer integrierten Projektabwicklung besonders. 3.1 Lean-Projektorganisation Für den Erfolg der Lean-Projektorganisation sind die nachfolgenden Faktoren entscheidend: ❑ Planung und Ausführung in einem integrierten Team, ❑ frühzeitige Einbindung der Projektbeteiligten, ❑ Beteiligung des Bauherrn, ❑ Anwendung verschiedener Werkzeuge zur Integration und Implementierung der Lean-Prinzipien. Für die Projektabwicklung in einem integrierten Team ist eine Vielzahl von Faktoren wichtig. Dazu werden Empfehlungen für die Aufstellung des Teams, für die generelle Integration der Teammitglieder sowie speziell für die Einbindung neuer Teammitglieder während des Projektes gegeben. Darüber hinaus werden die neuen Funktionen und Rollen der verschiedenen Projektbeteiligten definiert. Das Vertrauen zwischen den Beteiligten sowohl in der Phase der Teambildung als auch später im Team spielt eine besondere Rolle. Bei der Projektplanung - insbesondere aus finanzieller Sicht - ist zu beachten, dass in der Planungsphase aufgrund der frühzeitigen Einbindung verschiedener ausführender Projektbeteiligter höhere Kosten entstehen. Diese werden im späteren Projektverlauf durch geringere Gesamtkosten kompensiert. Bei der frühzeitigen Einbindung der ausführenden Beteiligten muss beachtet werden, dass ausführende Firmen ihr Geld mit der Realisierung in der Ausführungsphase verdienen. Um in der Planungsphase gute Mitarbeiter zu bekommen, die sich auch kreativ und innovativ in das Team einbringen, müssen für die ausführenden Firmen Anreize gesetzt werden. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass das während der Planung eingebrachte Wissen nicht später vom Bauherrn anderweitig verwendet werden kann. Auf den Bauherrn kommt eine neue Rolle zu; er muss auf seine neuen Anforderungen und Aufgaben im Team vorbereitet werden. Für die Zusammenarbeit im Team sowie für die Entwicklung des Zielpreises müssen verschiedene Werkzeuge eingeführt werden [6]. 3.2 Vergabe Verschiedene Prozesse sind für die Vergabe notwendig. Im ersten Schritt müssen potenzielle Bieter vor der Ausschreibung über die neue Vergabemethode sowie das neue Projektabwicklungssystem informiert werden. Der Auswahlprozess mit den ausschlaggebenden Kriterien und deren Gewichtung muss intern definiert und extern kommuniziert werden. Dabei ist zu empfehlen, für die einzelnen Stufen im Auswahlprozess die Kriterien und deren Gewichtung getrennt festzulegen. Es kann eine Vergabeart gewählt werden, die ausschließlich auf qualitativen Kriterien oder auf einer Kombination aus qualitativen und monetären Kriterien beruht. Ein reiner Preiswettbewerb ist für den Auswahlprozess nicht zielführend [6]. 3.3 Vertrag Der Vertrag sichert im Zusammenhang mit der Lean-Philosophie die Ausgangslage, damit kreative und innovative Ideen entstehen können und das Team motiviert ist, zusammen ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Das ist die Optimierung des Gesamtprojektes. Die Erweiterung der kommerziellen Strategie um eine Verhaltensstrategie bildet die Grundlage für die Zusammenarbeit im integrierten Team. Die Verhaltensstrategie definiert eine gemeinsame Sprache und vermittelt ein gemeinsames Verständnis. Sie sollte auf den Lean-Prinzipien und den Werten des Bauherrn aufbauen. Eine gemeinsame Entwicklung der Prinzipien führt dazu, dass sich die Teammitglieder später mit ihr identifizieren können. Die kommerzielle Strategie sollte eine faire Vergütung und ein Anreizsystem enthalten, das die einzelnen Projektbeteiligten für ihr Engagement belohnt. Die Belohnungen können sowohl an finanziellen als auch an anderen Erfolgen orientiert sein, sie können beispielsweise in den Bereichen Sicherheit, Qualität und Umweltschutz liegen. Die Vergütung nach dem Selbstkostenerstattungsprinzip unterstützt die gemeinsame Projektabwicklung. Dabei kann ein unabhängiger Prüfer das Preis-Leistungs-Verhältnis sicherstellen. Besonders bei einer Auswahl aufgrund ausschließlich qualitativer Kriterien ist ein unabhängiger Prüfer wichtig [6]. 4 Anwendbarkeit in Deutschland und Übertrag auf andere Industrien Zur erfolgreichen Umsetzung des Lean-Projektabwicklungssystems ist der Fokus der Vergabestrategie auf die Auswahl des passenden Teams zu richten. Dabei werden die Vertragspartner anhand ihrer Erfahrungen und Leistungen bei abgeschlossenen Projekten und insbesondere anhand ihrer Fähigkeiten zur Abwicklung eines erfolgreichen Projektes ausgewählt. Anhand eines reinen Preiswettbewerbes ist es nicht möglich, das passende Team zur gemeinschaftlichen Projektentwicklung zu finden. Dabei sind die Vergabekriterien auf das gemeinsame Projektziel abzustimmen, dieses ist die Optimierung des Gesamtprojektes. Ein relationaler Vertrag, der neben der üblichen kommerziellen Strategie als wesentlichen Bestandteil eine Verhaltensstrategie enthält, ist als Grundlage zur Unterstützung einer gemeinschaftlichen Projektabwicklung am besten geeignet. Ein Mehrparteienvertrag knüpft alle Vertragsparteien an die gleichen Vertragsbedingungen. Die kommerzielle Strategie kennzeichnet sich durch ein gerechtes Vergütungssystem, das in Verbindung mit einem entsprechenden Anreizsystem die Vertragsparteien anspornt, ein herausragendes Projektergebnis zu liefern. Dabei werden die Risiken, aber auch die Belohnungen zwischen dem Bauherrn und den weiteren Vertragsparteien geteilt. Die Verhaltensstrategie definiert eine 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 40 WISSEN PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 34 Uhr Seite 40 gemeinsame Grundlage für das Verhalten der verschiedenen Vertragsparteien untereinander und legt auch das Verfahren im Falle von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien fest. Dabei ist es entscheidend, die Verhaltensprinzipien auf die Lean-Prinzipien sowie die Prinzipien des Bauherrn und die Projektziele abzustimmen. Die gemeinsame Entwicklung der Prinzipien im Team stärkt dabei die Identifizierung der Teammitglieder mit diesen und erleichtert die Umsetzung der Prinzipien im Projektalltag. Für den Projekterfolg ist entscheidend, dass die Prinzipien insbesondere vom Bauherrn und vom Führungspersonal des Projektes vorgelebt werden. Das entwickelte Lean-Projektabwicklungssystem stellt die Grundlage für die Umsetzung des Lean-Ansatzes mit der dazugehörigen Organisation, der Vergabestrategie und dem Vertragsmodell dar. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass insbesondere komplexe Projekte, bei denen das Bausoll vorab schwer zu bestimmen ist, von einer gemeinschaftlichen Projektabwicklung profitieren. Komplexe Projekte finden sich insbesondere im Infrastruktursektor, der von öffentlichen Bauherren bestimmt wird, wider. Während in den USA bereits einzelne Staaten versuchen, eine gemeinschaftliche Projektabwicklung auch im öffentlichen Sektor zu ermöglichen, ist das in Australien bereits geschehen. Dort sind insbesondere im Infrastrukturbereich große Erfolge mit der gemeinschaftlichen Projektabwicklung in Form von Allianzen zu verzeichnen. In Deutschland müssen öffentliche Bauherren die VOB anwenden. Diese lässt derzeit keine frühzeitige Integration der Projektbeteiligten zu. Damit fehlt der Grundstein für eine gemeinschaftliche Projektabwicklung zur Optimierung des Gesamtprojektes und die Möglichkeit zur Reduzierung der Kosten von Projektbeginn an. Auch ein Vergabeverfahren, das die Vertragsparteien ausschließlich anhand qualitativer Kriterien bestimmt, ist derzeit nicht zulässig. Die kommerzielle Strategie, bestehend aus einem Selbstkostenerstattungsvertrag und einem dazugehörigen Anreizsystem, ist nach VOB nur in Ausnahmesituationen vorgesehen. Das Ziel, komplexe Projekte gemeinsam in einem integrierten Team - bestehend aus Bauherrn, Planern und ausführenden Firmen - zu entwickeln und gemeinsam zu realisieren, kann für öffentliche Bauherren in Deutschland derzeit nicht verwirklicht werden. Dabei ist es gerade hier entscheidend und Erfolg versprechend, das Wissen und die Erfahrung insbesondere auch ausführender Firmen frühzeitig einzubinden. Das Bauprojektmanagement hat aufgrund der Besonderheit als nicht stationäre Industrie sowie der hohen Individualität im Produkt hohe Anforderungen an das Projektmanagement und gilt als Vorreiter für viele andere Industrien. In anderen Industrien ist oftmals eine frühzeitige Einbindung der Projektbeteiligten bereits Bestandteil der Projektabwicklung. Dabei kann hier insbesondere von der Umsetzung des Lean-Projektabwicklungssystems profitiert werden: Vergaben können so gestaltet werden, dass die Auswahl der Projektbeteiligten auf den Team Fit und die Ausrichtung der Projektziele ausgerichtet ist. Durch das vorgestellte Lean-Projektabwicklungssystem wird der Fokus auf die gemeinschaftliche Projektabwicklung und die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels, der Optimierung des Gesamtprojektes, gerichtet. Dieser Ansatz lässt sich auch auf andere Wirtschaftszweige, insbesondere solche, die durch ein starkes Projektgeschäft geprägt sind, übertragen. 5 Fazit Ein hoher Projekterfolg liegt in einer gemeinsamen Planung in einem Team verschiedener Disziplinen. Dieser lässt sich sowohl an der Höhe der Kosten, der Länge der Bauzeit als auch in Bereichen wie Sicherheit, Qualität der Ausführung und Zufriedenheit der Beteiligten messen. Dabei ist die Einbindung ausführender Firmen bereits zu Beginn der Planung von entscheidender Bedeutung. Es ist essenziell, das Wissen und die Erfahrung der ausführenden Firmen so früh wie möglich einzubeziehen. Geschieht dieses erst nach Abschluss der Planung, lassen sich die Kosten kaum noch beeinflussen. Es entstehen in Form Anzeige PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 34 Uhr Seite 41 von Planungsänderungen in der Regel höhere Kosten. Das oben genannte Vorgehen fordert von allen Beteiligten ein Umdenken und bringt Herausforderungen mit sich. Für eine frühzeitige Integration der Beteiligten und die Verfolgung des gemeinsamen Ziels, der Optimierung des Projekterfolges, müssen die äußeren Rahmenbedingungen stimmen und darüber hinaus die Unterstützung durch die Führung sowie die passende Organisation innerhalb des Unternehmens gegeben sein [8]. Das deutsche Vergabewesen gibt derzeit eine klare Trennung zwischen Planung und Ausführung vor und fördert darüber hinaus die strikte Aufteilung der Bauleistung nach einzelnen Gewerken. Das Lean-Projektabwicklungssystem zeigt, inwieweit auch in Deutschland die Anwendung des LPDS bereits in einem frühen Stadium der Planung möglich ist. Die Umsetzung des Lean Managements im Bauwesen steht derzeit in Deutschland erst am Anfang. Das entwickelte Lean-Projektabwicklungssystem bildet die Grundlage dafür, Lean Management im Bauwesen als einen ganzheitlichen Ansatz auf Bauprojekten zu implementieren. Dazu sind die erarbeiteten Vertragskriterien in für Deutschland gültige Verträge umzusetzen sowie Bauherren erforderlich, die erste Projekte unter dem Lean- Ansatz ausführen. ■ Literatur [1] Ohno, T.: Das Toyota-Produktionssystem. New York 1993 [2] Womack, J./ Jones, D.: Lean Thinking - Ballast abwerfen, Unternehmensgewinne steigern. Frankfurt 2004 [3] Gehbauer, F.: Lean für den Baubetrieb - Ansätze zur Lean Construction. In: Newsletter des Lean Management Instituts, 4/ 2006, S. 3 [4] Ballard, G.: The Lean Project Delivery System: An Update. In: Lean Construction Journal 2008, S. 1-19 [5] Post, N.: Sutter Health Unlocks the Door to a New Process - Team contract with shared risk and reward, fosters „all-for-one, one-for-all“ spirit. In: Engineering News- Record, November 26, 2007, S. 80-84 [6] Heidemann, A.: Kooperative Projektabwicklung im Bauwesen unter der Berücksichtigung von Lean-Prinzipien - Entwicklung eines Lean-Projektabwicklungssystems. Internationale Untersuchungen im Hinblick auf die Umsetzung und Anwendbarkeit in Deutschland. In: Gehbauer, F./ Gentes, S. (Hrsg.): Reihe F, Forschung, Heft 68, KIT Scientific Publishing, 2011 [7] Morwood, R./ Scott, D./ Pitcher, I.: Alliancing - a Participant’s Guide: Real Life Experiences for Constructors, Designers, Facilitators and Clients. Maunsell AECOM, Brisbane 2008 [8] Gehbauer, F.: Lean Organization: Exploring Extended Potentials of the Last Planner System. In: Proceedings of the 16 th annual conference of the International Group for Lean Construction. Manchester 2008 Schlagwörter Alliancing, Integrated Form of Agreement, Lean Construction, Lean-Projektabwicklungssystem, kooperative Projektabwicklung, partnerschaftliche Zusammenarbeit, Vergabe- und Vertragswesen Elemente der NCB 3.0 4.1.6 Projektorganisation, 4.1.13 Kosten und Finanzmittel, 4.1.14 Beschaffung und Verträge, 4.1.18 Kommunikation Autorin Dr. Ailke Heidemann arbeitet als Consultant bei The Boston Consulting Group in Stuttgart. Ihre Dissertation hat sie im Themengebiet Lean Construction am KIT Karlsruher Institut für Technologie geschrieben. Die Dissertation ist 2011 mit dem Deutschen Studienpreis Projektmanagement der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. ausgezeichnet worden. Als Bauingenieurin hat sie zuvor mehrjährige Erfahrung als Bauleiterin großer Infrastrukturprojekte für die Bilfinger Berger AG in Skandinavien und als Beraterin bei der Porsche Consulting GmbH gesammelt. Anschrift Am Hörchersberg 22, D-79117 Freiburg E-Mail: Ailke.Heidemann@web.de 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 42 WISSEN Würden Sie sich ein komplexes Projekt anvertrauen? Seminare für Projektmanager: «Project Management II - Leadership of Project and Team» vom 3. - 5. Dezember 2012; «Projektmanagement I - Methodik und Instrumente» vom 21. - 23. Januar 2013; «IPMA Zertifizierungsbegleitung, Level C+D», Start: 15. Februar 2013; Ende: 31. Oktober 2013; «Risikomanagement in IT-Projekten» am 7. März 2013. Informationen, Anmeldung und alle weiteren Themen: www.bwi.ch Anzeige Jens Kö PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 34 Uhr Seite 42