PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2012
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Interpersonal Skills for Portfolio, Program, and Project Managers
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2012
Heinz Schelle
Levin, G.: Interpersonal Skills for Portfolio, Program, and Project Managers. Management Concepts, Vienna, VA, USA, 2010, 286 S., englisch, ISBN 978-1-56726-288-9, ca. EUR 30,–
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2012 52 WISSEN Wer sich mit Fragen des Multiprojektmanagements befasst, wird in der Literatur auch heute noch vorwiegend auf Publikationen stoßen, die sich in der Hauptsache mit dem technokratischen Instrumentarium zur optimalen Zusammensetzung des Portfolios und zur Planung und Steuerung des gesamten Projektspektrums einer Organisation befassen. Eine sehr frühe Ausnahme, das Buch von Gero Lomnitz mit dem Titel „Multiprojektmanagement“ (1. Auflage 2002), in dem auch erstmals organisationspsychologische Fragen behandelt wurden, hat kaum Nachfolger gefunden. Das Werk von Ginger Levin, unter anderem Professorin an der Universität Lille, kann man deshalb also getrost als Pioniertat betrachten. Die Verfasserin, die ein umfangreiches und beeindruckendes Literaturverzeichnis bietet, beginnt mit der Darstellung des allerdings nicht ganz unumstrittenen Tuckman-Modells der Teambildung in Projekten mit den Phasen Forming, Storming, Norming, Performing und Adjourning, das natürlich idealtypisch ist. Sie bringt es mit den Vorgehensmodellen für Projektmanagement, Portfoliomanagement und Programmmanagement des PMI zur Deckung und arbeitet Probleme heraus, die sich in der Praxis ergeben können. Außerdem wird bereits hier in der Einleitung auf neue Trends wie Offshoring, agile Methoden und virtuelle Teams eingegangen. Die Rollen des Projektleiters, des Programmmanagers und des Projektportfoliomanagers werden dabei, wie überall im Buch, immer sorgfältig unterschieden. Mit dem einführenden Kapitel werden die folgenden Ausführungen dann auch sehr gut strukturiert. Die nachstehenden Überschriften zeigen schon, wie umfassend das Themenspektrum ist, das Levin anschließend behandelt: ❑ Leadership ❑ Strategien der Teambildung ❑ Die Kunst zu motivieren ❑ Kommunikation (Interpersonal Communication Tools) ❑ Aufbau und Management der Beziehungen zu den Stakeholdern ❑ Entscheidungen treffen ❑ Umgang mit Stress ❑ Konfliktmanagement ❑ Critical Incidents (Wie man mit traumatischen Ereignissen in Projekten umgeht.) ❑ Zukünftige Aspekte, Karrieremanagement und einige Gedanken zu menschlichen Beziehungen in Projekten (Interpersonal Issues) Imponierend ist, wie konsequent die Autorin die hohen Anforderungen, die an die Sozialkompetenz von Projektmanagern, Programmmanagern und Portfoliomanagern zu stellen sind, aus den Charakteristika von Projekten und Programmen, also z. B. zeitliche Begrenztheit, gewisser Neuheitsgrad, große Anzahl von Stakeholdern, wechselndes Personal und komplizierte Organisationsformen wie die schwache oder starke Matrix, ableitet. Sehr differenziert ist beispielsweise die Definition der vier Rollen, die Projektleiter und Programmmanager nach Auffassung von Levin übernehmen müssen, nämlich die Aufgabe des Leaders - ich scheue mich, das mit Führer zu übersetzen -, des Managers, des Facilitators - auch dieser Ausdruck ist schwer zu übersetzen - und des Mentors. Dabei ist der Verfasserin natürlich klar, dass die überaus anspruchsvollen Anforderungsprofile und die vielfältigen Verhaltensempfehlungen, die im weiteren Verlauf erheblich ergänzt werden, von niemandem perfekt erfüllbar sind. Kritisch ist anzumerken, dass die Anforderungen, die sich an Führungskräfte in interkulturellen Projektteams ergeben, kaum expliziert werden. So werden die Arbeiten von Fons Trompenaars und Vater und Sohn Hofstede sowie die Ergebnisse der monumentalen, weltwei ten, über 800 Seiten starken GLOBE 1 (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness Research Programm)-Studie völlig ignoriert. Vor allem die zuletzt genannte Untersuchung, die eine umfassende Theorie der kulturbedingten Unterschiede von Führungsstilen und Organisationen bietet, hätte unbedingt und vielleicht durchaus auch sehr kritisch berücksichtigt werden müssen. Der Vorwurf, dass für das Management höchst relevante Unterschiede zwischen den Kulturen nicht beachtet werden, gilt freilich für viele Managementbücher aus den USA. Ein weiterer Vorwurf ist, dass die Prozesse der Projektauswahl, die ja erst das Projektportfolio einer Organisation entstehen lassen, sehr knapp behandelt werden. Dabei spielen gerade bei diesen Prozessen, die in der Literatur bisher fast ausschließlich technokratisch behan- Buchbesprechung Interpersonal Skills for Portfolio, Program, and Project Managers Levin, G.: Interpersonal Skills for Portfolio, Program, and Project Managers. Management Concepts, Vienna, VA, USA, 2010, 286 S., englisch, ISBN 978-1-56726-288-9, ca. EUR 30,- 1 House, R. J./ Hanges, P. J./ Javidan, M./ Dorfman, P. W./ Gupta, V. (Eds.): Culture, Leadership, and Organizations. The GLOBE Study of 62 Societies. Thousand Oaks, California, 2004 PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 35 Uhr Seite 52 delt werden - erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die Darstellung von zahlreichen, meist zweidimensionalen Portfolioanalysen -, Fragen der Macht, des Widerstands gegen Wandel und des Umgangs mit Betroffenen eine große Rolle und sind für die Verantwortlichen eine ganz besondere Herausforderung. Trotz dieser Kritik kann das Werk nur allen, die an Themen des Multiprojektmanagements interessiert sind, wärmstens empfohlen werden. Levin bringt nicht nur eine ganze Reihe von kleinen informativen Fallstudien und fordert in den Discussion Questions den Leser zum Nachdenken auf, sondern bietet eine beeindruckende Fülle von Informationen, die ich bisher zumindest in dieser Ausführlichkeit nirgends gefunden habe. Dazu gehören etwa die Anforderungen, die virtuelle Teams an das Management stellen, der Umgang mit traumatischen Ereignissen und Stress im Projekt sowie Ratschläge, wie man Karriere in Projekten macht. Heinz Schelle ■ Buchbesprechung Megaprojects and Risk Flyvberg, B./ Bruzelius, N./ Rothengatter, W.: Megaprojects and Risk. An Anatomy of Ambition. Cambridge University Press, Cambridge 2003, 267 S., ISBN 978-0-521-00946-1, ca. EUR 25,- Ich gebe zu, dass ich das Buch im Erscheinungsjahr übersehen habe. Ich bin erst jetzt darauf gestoßen, als sich Prof. Rothengatter, einer der Autoren, im SPIEGEL zum Katas trophenprojekt „Flughafen Berlin-Schönefeld“ geäußert hat. Der Emeritus der Universität Karlsruhe hat unserer Zeitschrift in dieser Ausgabe (S. 8 f.) auch ein Interview zum Desaster in unserer Hauptstadt gegeben. Das mit großer Sorgfalt erstellte Werk mit einem 21-seitigen gewaltigen Literaturverzeichnis gewinnt angesichts des kläglichen Scheiterns höchste Aktualität. Meine Behauptung: Es wären schon viele Projektfehlschläge vermieden worden, hätte man das Buch nur sorgfältig gelesen und seine handfesten Ratschläge befolgt. Die Autoren beginnen mit einer ausführlichen Analyse abgeschlossener Projekte im Verkehrssektor. Sie zählen dazu Eisenbahn-, Brücken-, Tunnel-, Flughafen-, Pipeline-, Straßen-, Stromnetz- und Telekommunikationsvorhaben. In die Stichprobe sind auch Projekte der Bundesrepublik eingegangen. Besonders eingehend werden die folgenden Projekte und das entsprechende Vorgehen bei der Planung untersucht: der Kanaltunnel, die Querung des Großen Belt durch eine Brücke und durch einen Eisenbahntunnel sowie die Øresundbrücke, die für kombinierten Straßen- und Eisenbahnverkehr konstruiert wurde. Die Verfasser formulieren aufgrund ihrer Untersuchungen das Megaprojekt-Paradoxon, das da lautet: Obwohl immer mehr und immer größere Infrastrukturprojekte durchgeführt werden, also eigentlich Lerneffekte eintreten hätten müssen, sind die meisten davon alles andere als erfolgreich. Immer wieder hofft man, dass schon alles gut gehen wird. Enorme Kostenüberschreitungen und viel zu hohe Prognosen des zu erwartenden Verkehrsaufkommens und der daraus resultierenden Einnahmen charakterisieren die Vorhaben. Die Auswirkungen auf die Umwelt werden regelmäßig unter-, regionale und gesamtwirtschaftliche Wachstumseffekte überschätzt. Eine erste Empfehlung, die als Analyseresultat dann gegeben wird, lautet deshalb: Traue keinen Kostenschätzungen und Vorhersagen des Verkehrsaufkommens und den daraus resultierenden Einnahmen, die von den Befürwortern eines Projekts abgegeben werden. Oder noch drastischer: „The use of deception and lying as tactics aimed at getting projects started appears to best explain why costs are highly and systematically underestimated and benefits overestimated in transport infrastructures projects.“ Die Folge ist, dass zahlreiche Vorhaben realisiert wurden, die bei realistischer Kosten-Nutzen-Analyse niemals in Angriff ge- Anzeige PM_5-2012_1-68: Inhalt 31.10.2012 10: 35 Uhr Seite 53
