PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Vertragsleben und Projektleben – Die vertragliche Steuerung der Zusammenarbeit in Projekten
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Ralph Schumann
Die Zusammenarbeit in Projekten wird zu einem erheblichen Teil durch den Vertrag determiniert, vor allem durch Vorschriften zur Leistungsbestimmung, Aufwandszuweisung und zum Zusammenwirken auf der Arbeitsebene. Diese Bestimmungen können mehr oder weniger kooperativ angelegt sein, was
a priori nichts über ihre Qualität aussagt, bedeutsam ist allein, ob sie der Disposition und den Möglichkeiten der Vertragspartner entsprechen. Wie die Kooperation durch einen Vertrag konkret geregelt ist, lässt sich über dessen Kooperationsmatrix ermitteln, die den Ausprägungsgrad seiner Zielintegration, der Intensität der Zusammenarbeit, des Machtgleichgewichts und seiner
Unvollständigkeit erfasst. Hierdurch wird eine Beurteilung möglich, ob die Vertragsbestimmungen mit dem gewählten Kooperationskonzept übereinstimmen und mit dem Beziehungsmanagement harmonieren.
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2013 24 WISSEN den“ kann, wo er nur hervorgeholt wird, wenn Leistungsstörungen eintreten. Für einfache Rechtsgeschäfte ist diese Vorstellung durchaus zutreffend. Solche „klassischen Verträge“ dienen dazu, das von den Parteien Gewollte zu klären, Transaktionsrisiken zuzuweisen, die Vertragspflichten unter Zuhilfenahme staatlicher Institutionen erzwingbar zu machen und, in begrenztem Maße, um kontrollieren zu können, ob das vereinbarte Leistungsprogramm realisiert wurde. Bei komplexen Transaktionen verändern diese Funktionen teilweise ihre Relevanz, teilweise treten andere hinzu: Nun hat der Vertrag vor allem die Aufgabe, die Kommunikation zwischen den Vertragsparteien und deren Kooperation sicherzustellen. Er rückt die Kontrolle in den Mittelpunkt und legt sie nicht mehr nur punktuell, sondern als fortlaufenden Prozess an. Er geht über die unmittelbare Problemregelung hinaus und beeinflusst in vielfältiger Weise das Vertrauen in den Partner und damit die Kooperationsbereitschaft. Da dieser Vertragstyp demnach primär die Ausführung des Leistungsprogramms organisiert, entfaltet er einen Großteil seiner Wirkungen nach der Unterzeichnung. Diesem „neoklassischen Vertrag“ sind auch die Projektverträge zuzuordnen. Damit der Vertrag seine Funktion als Steuerungsinstrument erfüllen kann, muss er das Projekt möglichst realitätsnah erfassen. Je nach Art des Geschäftes ist eine vollständige vertragliche Abbildung jedoch nicht möglich. Nur für einfache Transaktionen, die kurzfristig zu realisieren sind und deren Gegenstand vollständig bekannt ist, kann die Leistungserbringung für alle Eventualitäten mit einem angemessenen Aufwand erfasst werden. Die Praxis spricht von einem „wasserdichten“, die Wissenschaft von einem „vollständigen“ Vertrag. Je komplexer die Transaktion und je weiter sie sich in die Zukunft erstreckt, desto weniger sind bei Vertragsschluss alle möglichen Entwicklungen voraussehbar, weswegen wichtige Regelungspunkte offengelassen oder sehr allgemein gehalten werden: Der Vertrag wird „unvollstän- Vertragsleben und Projektleben - Die vertragliche Steuerung der Zusammenarbeit in Projekten Projekte zeigen meist ein Spannungsverhältnis zwischen der Zusammenarbeit der Partner und den entsprechenden Regelungen im Vertrag. Diese durchaus gefährliche Diskrepanz lässt sich reduzieren, indem der Vertrag stärker auf die Gegebenheiten der jeweiligen Parteibeziehung ausgerichtet wird. Die dazu erforderliche Bestimmung seiner Kooperationsvorgaben kann über eine Kooperationsmatrix erfolgen, welche die Kooperationsmerkmale des Vertrages nach ihrem Ausprägungsgrad erfasst. Dabei lassen sich ein koordinatives, ein partnerschaftliches und ein gemeinschaftliches Konzept nachweisen. Mithilfe der Kooperationsmatrix kann festgestellt werden, ob die vertraglichen Regelungen das zugrunde liegende Kooperationskonzept widerspiegeln oder sich in ihren Aussagen und damit eventuell in ihren Wirkungen überlagern. Ralph Schuhmann A rt und Intensität der Zusammenarbeit in Projekten sind zu einem Großteil im Vertrag angelegt, der in der Praxis jedoch in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zum Projektleben steht: Zahlreiche Interaktionen der Beteiligten finden außerhalb oder ungeachtet der vertraglichen Regelungen statt. Dies ist teilweise auf die Natur des Projektes, teilweise jedoch auch darauf zurückzuführen, dass das Management das Funktionieren und die Wirkungen des Vertrages nicht zutreffend einschätzt. Die folgenden Ausführungen zeigen, wie Verträge die Zusammenarbeit in Projekten organisieren und stellen eine Kooperationsmatrix vor, die es ermöglicht, Kooperationskonzept und Ausgestaltung des Vertrages auf ihre Konsistenz zu überprüfen. 1 Die Bedeutung des Vertrages für das Projekt Nach der Vorstellung des betrieblichen Praktikers ist der Vertrag für die Juristen gemacht und hat mit der Geschäftsrealität wenig zu tun. Er wird als Dokument gesehen, das die Parteivereinbarung schriftlich fixiert und nach der Unterzeichnung „in der Schublade verschwin- Die Zusammenarbeit in Projekten wird zu einem erheblichen Teil durch den Vertrag determiniert, vor allem durch Vorschriften zur Leistungsbestimmung, Aufwandszuweisung und zum Zusammenwirken auf der Arbeitsebene. Diese Bestimmungen können mehr oder weniger kooperativ angelegt sein, was a priori nichts über ihre Qualität aussagt, bedeutsam ist allein, ob sie der Disposition und den Möglichkeiten der Vertragspartner entsprechen. Wie die Kooperation durch einen Vertrag konkret geregelt ist, lässt sich über dessen Kooperationsmatrix ermitteln, die den Ausprägungsgrad seiner Zielintegration, der Intensität der Zusammenarbeit, des Machtgleichgewichts und seiner Unvollständigkeit erfasst. Hierdurch wird eine Beurteilung möglich, ob die Vertragsbestimmungen mit dem gewählten Kooperationskonzept übereinstimmen und mit dem Beziehungsmanagement harmonieren. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ PM_1-2013_1-64: Inhalt 30.01.2013 13: 37 Uhr Seite 24 dig“. Seine offenen oder halboffenen „relationalen Bestimmungen“ funktionieren nicht mehr nur auf der rechtlichen, sondern auch auf einer Beziehungsebene, und zur Steuerung der Transaktion muss neben den Normbefehl ein systematisches Beziehungsmanagement treten, das auch nicht rechtliche Instrumente umfasst. Projektverträge zählen zu diesen „unvollständigen Verträgen“, weswegen sie sich teilweise außerhalb des Vertrages entwickeln. Dessen ungeachtet geht die Praxis davon aus, auch für Projekte ließen sich „wasserdichte“, vollständige Verträge nach dem Modell des „klassischen“, erzwingbaren Vertrages schaffen. Die Relevanz des Vertrages für die Zusammenarbeit in Projekten erscheint vielfach begrenzt, weil er nicht das gesamte Vorhaben, sondern nur die Leistungsbeziehungen zwischen den einzelnen Beteiligten erfasst. Dadurch zerfällt die Netzwerkstruktur größerer Projekte in eine Vielzahl gegeneinander isolierter Einzelverträge, was zu erheblichen Effizienzverlusten führt. Dies hat jedoch keine rechtliche Ursache, sondern liegt in der Entscheidung der Projektbeteiligten begründet, das Vorhaben auf Basis verschiedener Leistungspakete zu organisieren. Das Recht stellt, zum Beispiel mit dem Gesellschaftsvertrag, durchaus Instrumente bereit, ein Leistungsnetzwerk zwischen mehreren Beteiligten abzubilden. 2 Die Grundausrichtung: Gemeinsam oder miteinander arbeiten Es gibt zwei grundsätzliche Wege, Zusammenarbeit zu organisieren: gemeinsam oder miteinander. Oder rechtlich gefasst: in Form eines Austausch- oder eines Gesellschaftsvertrages. Der Austauschvertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass jede Partei ein anderes Ziel verfolgt, also zum Beispiel die Erstellung eines Bauvorhabens einerseits und die Leistung der Vergütung andererseits. Beim Gesellschaftsvertrag verfolgen die Vertragsparteien dasselbe Leistungsziel, erbringen also zum Beispiel dieselbe Bauleistung im Rahmen einer ARGE, und haben damit dieselbe Rolle inne. Traditionell sind Projektverträge als Austauschvertrag angelegt. Sie zeigen für die Beteiligten abgegrenzte Aufgabenbereiche, die sich zu dem Gesamtprojekt zusammenfügen. Kennzeichen sind eine grundsätzlich einseitige Chancen-/ Risikozuweisung für den jeweiligen Aufgabenbereich sowie eine auf das Schnittstellenmanagement ausgerichtete Kooperation, die sich darauf beschränkt, der anderen Partei die Erbringung ihrer vertraglichen Leistung möglich zu machen und Störungen aus fremden Aufgabenbereichen zu erfassen. Gesellschaftsverträge hingegen integrieren die Ziele der Beteiligten und schaffen in ihrer Reinform eine Chancen-/ Risikogemeinschaft. Selbst bei intern abgegrenzten Aufgabenbereichen, wie beim Konsortium, bleiben die Parteien zur Herbeiführung des übergeordneten Gesamtprojekterfolges verpflichtet, wenn auch die Chancen-/ Risikogemeinschaft intern weitgehend aufgehoben ist. Die Zusammenarbeit ist bei Gesellschaften derart vielfältig, dass sie sich durch vertragliche Normbefehle nicht mehr sinnvoll organisieren lässt und ein gemeinsames Entscheidungsgremium erforderlich wird, das die Aktivitäten der Partner lenkt. Für die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages ist ihre Rollenneutralität charakteristisch, das heißt sie wenden sich nicht an einen bestimmten Ausführenden, sondern gelten - abgesehen von der Federführung - für jeden Gesellschafter. Dies zeigt sich insbesondere in den Haftungsregelungen sowie in gleichartigen und gleichgewichtigen Entscheidungsbefugnissen. In der Projektpraxis treten Austauschverträge nicht rein auf, sondern haben einen stark gesellschaftsähnlichen Einschlag, da eine isolierte Leistungserbringung durch den Auftragnehmer, also ohne Abstimmung mit und Unterstützung durch den Auftraggeber, theoretisch zwar denkbar ist, praktisch aber selbst bei Turnkey-Projekten wohl nicht vorkommt. Je mehr ein Vertrag eine Chancen-/ Risikogemeinschaft sowie eine gemeinsame Entscheidung und Lenkung realisiert, desto mehr zeigen sich Züge einer Gesellschaft. Umgekehrt gibt es Gesellschaftsverträge, die dem Austauschvertrag stark angenähert sind, zum Beispiel das stille Konsortium im Anlagenbau. Auch bei Alliance- und FuE-Verträgen treten - wenn sie als Gesellschaftsvertrag angelegt sind - die Merkmale eines Austauschvertrages stark hervor. Da die Leistungserbringung bei Projekten typischerweise auf Basis einer Rollenteilung in Auftraggeber und Auftragnehmer erfolgt, selbst wenn Letzterer eine Gesellschaft ist, sollen im Folgenden nur noch Austauschverträge betrachtet werden. 3 Kooperationsregelungen in Austauschverträgen Die gängigsten in Projektverträgen anzutreffenden Kooperationsbestimmungen werden nachfolgend in den Unterkapiteln 3.1 und 3.2 erläutert. Unabhängig von der Branche - betrachtet wurden IT-Technik, Bau, Anlagenbau, Sondermaschinenbau und FuE-Vorhaben - lassen sie sich drei großen Bereichen zuordnen: 1. Leistungsbestimmung, 2. Aufwandszuweisung und 3. Zusammenarbeit. Die Bereiche 1. und 2. erfassen die Integration der Ziele der Parteien, der Bereich 3. die konkrete Organisation der Zusammenarbeit. Dabei zeigen die Regelungen eine unterschiedliche Ausprägung des Kooperationsgedankens, die sich zumindest grob in hoch, mittel oder gering einteilen lässt. Freilich ist eine eindeutige Klassifizierung wegen der vielfältigen Möglichkeiten der vertraglichen Ausgestaltung nicht immer möglich. 3.1 Die Zielintegration bei Austauschverträgen Im Projektgeschäft realisieren die Austauschverträge eine gesellschaftsähnliche Zielintegration. In dem Maße, in dem ein gemeinsames Teilziel vereinbart wird, entsteht ein Anreiz, aber auch die Notwendigkeit zur Kooperation. Gegenstand der Zielintegration sind die Leistungsbestimmung und die Aufwandszuweisung (Abb. 1). Die Leistungsbestimmung und als ihr Bezugspunkt die Leistungsbeschreibung sind zentrale Problemfelder des Projektgeschäfts. Da es für komplexe Unikate ökonomisch nicht sinnvoll ist, sie vor Vertragsschluss im Detail durchzuplanen, ergeben sich erhebliche Risiken, die vom Auftraggeber als Verwendungsrisiko - er hat die „falsche“ Leistung bestellt - oder vom Auftragnehmer als Kalkulationsrisiko zu tragen sind. Dieser Rahmencharakter des Projektvertrages wie auch sein Langzeitcharakter bedingen zudem eine hohe Änderungswahrscheinlichkeit, die den Auftraggeber mit Budgetrisiken und den Auftragnehmer mit weiteren Kostenrisiken belastet. Durch die Leistungsbeschreibung werden diese Risiken der für den jeweiligen Aufgabenbereich verantprojekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2013 l 25 PM_1-2013_1-64: Inhalt 30.01.2013 13: 37 Uhr Seite 25 wortlichen Partei zugewiesen. Diesem eindimensionalen Konzept folgt der Vertrag durch die Instrumente freie Kündigung, Sistierung oder Änderungsanordnung, jeweils einseitige Eingriffsrechte des Auftraggebers mit hohem Kosten- und damit Konfliktpotenzial. Kooperativer angelegte Verträge flexibilisieren die Verantwortungsbereiche. Besonders deutlich wird dies bei einer gemeinsamen Leistungsbestimmung, wie bei der agilen Softwareentwicklung und dem Alliancing im Bau und Anlagenbau, die auf ein Lastenheft beziehungsweise ein Anforderungsprofil verzichten und stattdessen eine Entwicklung des Leistungsgegenstandes gemeinsam durch die Parteien vorsehen. Dadurch kann das Mehraufwandsrisiko zwar nicht beseitigt werden, die ex ante angelegte Dynamisierung bei festgelegten Vergütungsmechanismen ermöglicht jedoch eine stärker bedarfsgerechte Leistungsbestimmung. Neuverhandlungs- und Hardship-Klauseln greifen bei gravierenden Verschiebungen der Geschäftsgrundlagen und ermöglichen eine gemeinsame und damit effizientere Anpassung des Vertrages an geänderte Verhältnisse. Für die vorzeitige Vertragsbeendigung findet sich mitunter eine Exit-Regelung zum gemeinsamen kontrollierten Projektabbruch, die mit einer Abstandszahlung verbunden oder als Option auch für den Auftragnehmer ausgestaltet sein kann. Sie macht vor allem für mit besonders hohen Unsicherheiten verbundene Vorhaben, zum Beispiel FuE-Projekte, Sinn. Leistungsbestimmung und Aufwandszuweisung korrespondieren miteinander, sind aber jeweils eigenständige Regelungsgegenstände. Bei den im Festpreisvertrag ex ante festgeschriebenen Leistungen ist ein nicht geplanter Aufwand stets einer der Parteien zugewiesen, wenn auch je nach Vergütungsmodell unterschiedlich. Mehraufwände lassen sich jedoch auch vergemeinschaften. So sollen Bonusund/ oder Malusregelungen Anreize zur Identifizierung von Möglichkeiten zur Kosteneinsparungen, Qualitätserhöhung oder vorfristigen Fertigstellung und damit zur Weiterentwicklung des Vorhabens geben. Auch werden die Interessen der Parteien mitunter durch eine Beteiligung des Auftraggebers an dem Kalkulations- oder Haftungsrisiko des Auftragnehmers verknüpft, wodurch sich hohe Risikozuschläge vermeiden und die Projektgesamtkosten geringer halten lassen. Ähnlich wirken Force Majeure-Regelungen, wobei aber stets zu prüfen ist, inwieweit es sich um eine sinnvolle Risikoteilung oder um eine erzwungene Risikoüberwälzung handelt. Ausdruck einer besonders ausgeprägten Zielintegration sind ein Gewährleistungs- oder ein Haftungsausschluss wie bei Alliancing- und bei FuE-Verträgen. 3.2 Die Intensität der Zusammenarbeit Neben den zentralen Fragen der zu erbringenden Leistungen regeln die Projektverträge das konkrete Zusammenwirken der Parteien. Die häufigsten diesbezüglichen Bestimmungen zeigt Abbildung 2 unter Angabe der Ausprägung des Kooperationsgedankens. Projektverträge treffen vielfältige Aussagen zum Zusammenwirken der Parteien. Seit den Kooperationsurteilen des Bundesgerichtshofes statuieren sie meist eine allgemeine Kooperationspflicht. Wie andere generisch gehaltene Vorschriften, zum Beispiel die zahlreichen Erscheinungsformen von Informationspflichten, haben solche Bestimmungen mehr symbolischen als juristischen Wert und sollten auch in ihrer programmatischen Aussage nicht überbewertet werden, da es sich um Klauseln handelt, die meist unreflektiert mit dem Mustervertrag übernommen werden. Untersuchungs-, Warn- und Hinweispflichten können zu diesem Regelungstyp zählen, werden häufig aber zur Überwälzung von Risiken auf den Vertragspartner eingesetzt, sodass es im Einzelfall auf die Ausgestaltung der Bestimmung ankommt. Wesentlich bedeutsamer ist eine zweite Gruppe von Vorschriften, die konkrete Fragen der Zusammenarbeit regeln, etwa auf der Baustelle oder für bestimmte Ab- 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2013 26 WISSEN Abb. 1: Vertragliche Regelungen der Zielintegration Gegenstand Regelung Ausprägung Leistungsbeschreibung 1. Leistungsbestimmung 2. Aufwandszuweisung Vertragliche Regelungen der Zielintegration Lastenheft Offene Leistungsbeschreibung Änderung Beendigung Change-Order-Regelung Neuverhandlungsklausel Hardship-Klausel (Teil )Kündigung, Sistierung Exit-Regelung Anreize Bonus/ Malus Beteiligung am Kalkulationsrisiko Force Majeure Risikoteilung / / Haftungsbegrenzung Gewährleisungs-, Haftungsausschluss Ausprägungsgrad der Kooperation: gering mittel hoch ______________________ Abb. 2: Vertragliche Kooperationsregelungen Vertragliche Kooperationsregelungen Gegenstand Regelung Ausprägung Grundsatz Kooperationsklausel Kommunikation Information Untersuchung, Warnung, Hinweis / Kommunikationsstrategie/ -infrastruktur Ausführung Baustellenordnung Gemeinsame Feststellung/ Befundung Gemeinsam entwickeltes Konzept Gemeinsames Projektteam Lenkung Projektkoordinator Konsultation Regelmäßige Besprechungen Lenkungsausschuss Konfliktbeilegung Verpflichtung zur gütlichen Einigung Verbot der Leistungszurückhaltung / Eskalationssystem ADR Verzicht auf Klagbarkeit ______________________ Ausprägungsgrad der Kooperation: gering mittel hoch PM_1-2013_1-64: Inhalt 30.01.2013 13: 37 Uhr Seite 26 läufe wie Tests, Abnahmen, die Erstellung von Terminkonzepten, Änderungen etc. Keine eigene Kategorie bilden die Partnerschaftsvereinbarungen und Festlegungen zu einer gemeinsamen Kommunikationsstrategie und -infrastruktur, bei denen es sich um neben dem Leistungsvertrag bestehende Sondervereinbarungen handelt, in die sehr umfangreiche und detaillierte Regelungen der Zusammenarbeit und der Kommunikation aus Gründen der Praktikabilität ausgelagert werden. Deutlich kooperativer angelegt sind Bestimmungen, die eine gemeinsame Entwicklung von Konzepten, Standards und Verfahren, gemeinsame Feststellungen und Befunde oder die Bildung gemeinsamer Projektteams vorsehen, da sich die Parteien hier in wichtigen Fragen einigen müssen. Dies gilt auch für eine institutionalisierte gemeinsame Lenkung des Projektes, sei es über regelmäßige Besprechungen, sei es über einen Lenkungsausschuss, was ein flexibles Reagieren ermöglicht und Zeit- und Kostenvorteile bringt, die Kontrolloptionen freilich reduziert. Im Gegensatz dazu stehen einseitige Festlegungen durch eine Partei, denen allenfalls eine Konsultation vorauszugehen oder gar nur einer Information nachzulaufen hat. Die Regelung der Konfliktbeilegung weist starke Bezüge zur Ordnung der allgemeinen Zusammenarbeit auf, ist jedoch auf ein anderes Ziel ausgerichtet. Ihre Kooperationsintensität ist umso größer, je mehr der Vertrag bei Meinungsverschiedenheiten auf eine gemeinsame Entscheidungsfindung baut. Die rechtliche Relevanz von Bestimmungen, die eine allgemeine Pflicht zur gütlichen Streitbeilegung statuieren und die sich nun in einem Großteil der Verträge finden, ist freilich fraglich. Anders ist dies bei konkreten Verboten eines einseitigen Handelns etwa in Form des Verbots der Leistungseinstellung, die in der Praxis allerdings meist nur einer Partei auferlegt werden und dann als einseitige Rechtsverkürzung das kontrollzentrierte Kooperationskonzept verwirklichen. Bindende Entscheidungen einer externen Institution - Experte, staatliches Gericht, Schiedsgericht - ersetzen ebenfalls das Einvernehmen der Parteien und können eine nachhaltige Störung der Geschäftsbeziehung nach sich ziehen, von Zeit- und Kostennachteilen ganz zu schweigen. Partnerschaftliche Modelle des Austauschvertrages legen die verbindliche externe Streitentscheidung daher als ultima ratio an und halten sie gegenüber Instrumenten der ADR bewusst unattraktiv. Die Hauptlast trägt hier ein System der geordneten parteiinternen Konfliktbeilegung, das die Eskalationsstufen Projektebene - Unternehmensebene - ADR (Alternative Dispute Resolution) umfasst. Am kooperationsintensivsten sind Alliance-Verträge in ihrer reinen Ausprägung, die eine Anrufung Dritter zur autoritativen Streitentscheidung ausschließen - dann aber wohl als Gesellschaftsvertrag zu qualifizieren sind. 4 Die Kooperationsmatrix des Vertrages Die in Projektverträgen angelegte Zusammenarbeit lässt sich mit den vier Kriterien Zielintegration, Intensität der Zusammenarbeit, Machtgleichgewicht und Unvollständigkeit erfassen. Deren Ausprägung wird vorliegend in hoch, mittel oder gering unterschieden, was jeweils einem gemeinschaftlichen, einem partnerschaftlichen oder einem koordinativen Kooperationskonzept entspricht. „Gemeinschaftlich“ kennzeichnet dabei eine hohe Interessenübereinstimmung, „partnerschaftlich“ einen intensiven und gleichgeordneten Leistungsaustausch und „koordinativ“ traditionell abgegrenzte Verantwortungs- und Interessenbereiche. Hieraus lässt sich für einen Vertrag die in Abbildung 3 gezeigte Kooperationsmatrix erstellen. Sie vermag die Kernpunkte der vertraglichen Organisation der Zusammenarbeit aufzuzeigen und Auskunft über die Konsistenz der verwendeten Kooperationskonzepte zu geben. Die Kriterien Zielintegration und Intensität der Zusammenarbeit wurden bereits oben unter 3.1 und 3.2 erläutert. Machtgleichgewicht: Vertragliche Bestimmungen können eine gemeinsame oder eine einseitige Entscheidungsfindung vorsehen und reflektieren dann ein Machtgleichgewicht oder -gefälle. Einseitige Verfahren haben den Vorteil, eine schnelle Entscheidung zu ermöglichen, und folgen dem Schema „vertragliche Festlegung - Kontrolle - einseitige Reaktion - Sanktion“. Sie sind auf eine Optimierung der Interessen einer Partei angelegt und Ausdruck eines starken Kontrollbedürfnisses, eventuell auch einer Benachteiligungsabsicht. Beispiele sind traditionell ausgestaltete Verfahren für Inspektionen/ Freigaben, Change Order, Leistungseinstellung, Teilkündigung, Selbstvornahme, Sistierung oder Claim. Sie indizieren einen Interessengegensatz, der notfalls durch faktischen oder rechtlichen Zwang überwunden wird, was beim Vertragspartner wiederum zu Umgehungs- oder Kompensationsstrategien führen kann, womit die Eskalationsspirale in Gang gesetzt wird. Kooperativ angelegte Bestimmungen regeln Konsultations- und Verhandlungserfordernisse, gemeinschaftliche Entscheidungsprozesse, Einigungserfordernisse oder nicht bindende Lösungsvorschläge Dritter. Unvollständigkeit: Die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses begrenzte Vorhersehbarkeit künftiger Entwicklungen führt zu einem partiellen Regelungsverzicht. Ein ausgeprägt unvollständiger Vertrag reduziert vorderhand die Opportunitätskosten und ermöglicht ein flexibles Reagieren, eröffnet aber Raum für opportunistisches Verhalten, das heißt eine Optimierung der eigenen Position auf Kosten des Vertragspartners. Soweit die fehlende rechtliche Sicherheit als Bedrohung empfunden wird, versucht man, sie durch eine Vielzahl sehr detaillierter Verfahrensvorschriften zu reduzieren, um die Transaktion so weit wie möglich kontrollieren und steuern zu können. Solche Verträge erfordern viel Erfahrung in der Handhabung, sind teuer in der Administration und laufen Geprojekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2013 l 27 Die Kooperationsmatrix des Vertrages Ausprägungsgrad Merkmal hoch mittel gering Zielintegration Intensität der Zusammenarbeit Machtgleichgewicht Unvollständigkeit Konzept gemeinschaftlich partnerschaftlich koordinativ Abb. 3: Die Kooperationsmatrix des Vertrages PM_1-2013_1-64: Inhalt 30.01.2013 13: 37 Uhr Seite 27 fahr, dass bei der Projektrealisierung als hinderlich empfundene Regelungen ignoriert werden. Auch kann eine hohe Regelungsdichte dazu führen, dass der Vertragspartner sie als Zeichen mangelnden Vertrauens auffasst, seinerseits Misstrauen entwickelt und seine Kooperationsbereitschaft reduziert. Am anderen Ende des Spektrums der Kooperationseinstellungen rangiert eine auf Vertrauen basierende Haltung, die davon ausgeht, dass der Vertragspartner auch bei Fehlen konkreter Regelungen an einer Lösung mitwirkt, die die eigenen Interessen angemessen berücksichtigt. Wofür sich die Parteien auch immer entscheiden, rechtliche Regelungssicherheit und Flexibilität schließen einander jedenfalls aus. 5 Die Funktionsbedingungen der Kooperationskonzepte In den Sozialwissenschaften ist es Allgemeinplatz, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu besseren Ergebnissen führt als ein durch Misstrauen geprägtes Verhältnis. Dies bedeutet jedoch nicht, dass im Geschäftsverkehr ein kooperatives Vorgehen in jedem Fall vorzuziehen ist, denn jedes Konzept funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen, und wenn diese nicht vorliegen, kann es zum Scheitern der Transaktion beitragen oder dieses gar verursachen. Eine erfolgreiche gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Arbeitsweise setzt voraus, dass sämtliche Parteien kooperationswillig und -fähig sind - und zwar dauerhaft, das heißt auch bei personellen Veränderungen oder bei Verschiebungen in der Ergebniserwartung. Erfahrungen mit der Mediation zeigen, dass auf Vertrauen und Offenheit basierende Verfahren zu kontraproduktiven Ergebnissen führen, wenn eine Partei nicht kooperationswillig ist, und der in der deutschen Bauindustrie zunächst mit großen Erwartungen aufgenommene, stark partnerschaftlich ausgerichtete GMP-Vertrag (Garantierter Maximalpreisvertrag) brachte enttäuschende Ergebnisse, weil in dieser Branche traditionell eine misstrauische, wenn nicht gar gegnerschaftliche Einstellung herrscht. Neben der Kooperationsbereitschaft ist das Kooperationsvermögen der Beteiligten bedeutsam. Insbesondere staatliche Einrichtungen sind durch rechtliche und administrative Vorgaben in ihren Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Ähnliches wird für Großunternehmen berichtet. Darüber hinaus stellt ein kooperativer Ansatz erhebliche Anforderungen an die Erfahrung der Beteiligten im Umgang mit entsprechenden Instrumenten. Ob bei Projekten eine offene, vertrauensvolle Parteibeziehung angezeigt ist, bleibt somit Frage des Einzelfalls. Empirische Untersuchungen legen nahe, dass die Wirtschaft formale Verträge mit einer hohen Regelungsdichte bevorzugt. Nur wenn das Vorhaben nicht hinreichend genau geplant werden kann, wird - wie die Erfahrungen bei IT-Projekten, bei FuE-Vorhaben sowie für das Relational Contracting belegen - auf einen vertrauensbasierten Ansatz zurückgegriffen. Lässt sich das Projekt dagegen nach Gegenstand, Umfang, Terminierung und Qualität gut beschreiben und sind die Umwelteinflüsse überschaubar, wird ein kontrollzentrierter Vertrag als überlegen angesehen. Welches Kooperationskonzept auch immer gewählt wird, jedenfalls sollte die Ausgestaltung der vertraglichen Regelungen mit ihm in Einklang stehen. Während die Zielintegration üblicherweise einer konzeptionellen Entscheidung folgt, ist dies für die eher vertragstechnisch verstandene Regelung der Zusammenarbeit meist nicht der Fall. Sie wird gegenüber anderen Gegenständen als weniger wichtig angesehen und im Rahmen der Verhandlungen nur selten erörtert, weswegen die Bestimmungen meist nicht einer konkreten Geschäftsstrategie, sondern den generellen Vorgaben des Standardvertrages folgen. Zwar liegen widersprüchliche Befunde dazu vor, ob sich Regelungen mit unterschiedlicher Kooperationsaussage - also zum Beispiel vertrauensbasierte und stark kontrollzentrierte Vorschriften - in ihren Wirkungen beeinflussen. Vieles spricht jedoch dafür, dass sie sich konterkarieren können. 6 Schlussfolgerungen Das Zusammenwirken der Parteien in Projekten wird durch den Vertrag und durch außervertragliche Instrumente organisiert. Beide folgen im Idealfall - freilich allzu häufig nicht - einer Strategie, die anhand der Erfordernisse der konkreten Transaktion sowie der Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Beteiligten entwickelt wurde. Wie die Kooperation durch den Vertrag konkret geregelt ist, zeigt dessen Kooperationsmatrix, die es ermöglicht, seine Bestimmungen auf die Konsistenz ihres Kooperationsgehalts sowie auf ihre Übereinstimmung mit dem gewählten Kooperationskonzept zu überprüfen. Hieraus lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die Eignung des Standardvertrages, den Änderungsbedarf des Vertragsentwurfs sowie die Erfordernisse des Beziehungsmanagements. Nur bei einem integrierten Konzept für Vertrags- und Beziehungsmanagement lassen sich Vertragsleben und Projektleben zu einer Übereinstimmung bringen. Voraussetzung ist freilich, dass die Kooperationsvorschriften neben den die Vertragsverhandlungen dominierenden Leistungs- und Haftungsregelungen angemessene Beachtung finden. ■ Schlagwörter Aufwandszuweisung, Kooperationskonzepte, Kooperationsregelungen, Leistungsbestimmung, unvollständige Verträge, Vertragsfunktionen Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.8 Projektorganisation, 4.1.10 Leistungsumfang und Lieferobjekte, 4.1.14 Beschaffung und Verträge, 4.1.15 Änderungen, 4.1.18 Kommunikation, 4.2.12 Konflikte und Krisen Autor Nach einer leitenden Tätigkeit im Großanlagenbau lehrt Prof. Dr. jur. Ralph Schuhmann Wirtschaftsrecht am Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen der Ernst-Abbe-Hochschule Jena und ist Co-Direktor des Contractual Management Institute Berlin der SRH Hochschule Berlin. Anschrift Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena Carl-Zeiss-Promenade 2 D-07745 Jena E-Mail: Ralph.Schuhmann@fh-jena.de 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2013 28 WISSEN Karen D PM_1-2013_1-64: Inhalt 30.01.2013 13: 37 Uhr Seite 28