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UVK Verlag Tübingen
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2013
242 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Partnering“ mildert Probleme bei öffentlichen Großvorhaben

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2013
Oliver Steeger
Flughafen Berlin-Brandenburg, Elbphilharmonie, Stuttgart 21 – dieses Trio öffentlicher Großprojekte steht für Verschwendung, Fehlplanung und skandalöses Missmanagement. Fachleute wie Michael Knipper, langjähriger Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V., sprechen mittlerweile von „koordinierter Verantwortungslosigkeit“. So befürchtet Michael Knipper, dass solche Fehlschläge nicht nur das deutsche Projektmanagement beschädigen, sondern auch die Bauindustrie. Hilfe bei öffentlichen Großprojekten können neue Partnering-Modelle bieten. Auch schlägt er veränderte Kriterien bei Ausschreibungen und Reformen beim Haushaltsrecht vor. Vor allem: Die Bauindustrie sollte früher bei Großprojekten hinzugezogen werden. „Die Trennung von Planung und Bauausführung halte ich für eine der Todsünden bei komplexen Projekten“, erklärt der Berliner Fachmann im Interview.
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 l 3 REPORT Deutschlands öffentliche Großprojekte sind in die Schlagzeilen gekommen - leider mit erschreckenden Nachrichten. Die Kosten der Elbphilharmonie ufern aus. Stuttgart 21 hat Straßenschlachten provoziert. Zuletzt brachte das Fiasko am Pannen-Flughafen Berlin-Brandenburg öffentliche Bauprojekte ins Gerede. Es sollen 20.000 Mängel auf der Baustelle katalogisiert worden sein, wie das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ berichtete. Mittlerweile ist in den Zeitungen von „koordinierter Verantwortungslosigkeit“ zu lesen … Michael Knipper: Koordinierte Verantwortungslosigkeit, diesen Begriff verwende auch ich. Er trifft bei vielen öffentlichen Großprojekten zu. Doch wir sollten bei der Ursachenforschung nicht den Flughafen Berlin-Brandenburg, die Elbphilharmonie und Stuttgart 21 in einem Atemzug nennen. Die drei Projekte stehen derzeit massiv in der Kritik und in der öffentlichen Aufmerksamkeit, dies verbindet sie oberflächlich. Im Detail sind die Probleme jeweils völlig anders gelagert. Anders gelagert - inwiefern? Was Stuttgart 21 betrifft: Es gab ein massives Akzeptanzproblem - nicht nur bei einzelnen Gruppen, sondern quer durch die Bevölkerung. Das Projekt, seine Planung und die Vorgehensweise waren einfach nicht mit der Bevölkerung abgestimmt. Es mangelte an öffentlichem Dialog in der Vorphase des Projekts. Anders beim Flughafen in Berlin-Brandenburg, dort fehlt es gar nicht so sehr an der breiten Akzeptanz. Und noch anders bei der Elbphilharmonie: Die Bürgerschaft sehnt dieses Projekt sogar herbei. Die Bürger sind begeistert von dem Plan, in Hamburg einen der weltbesten Konzertsäle zu errichten. Sie haben für das Projekt Sponsoren zusammengebracht und Spenden gesammelt, insgesamt etwa sechzig Millionen Euro. Die Politik wurde geradezu unter Druck gesetzt, dieses Projekt zu realisieren. „Partnering“ mildert Probleme bei öffentlichen Großvorhaben Elbphilharmonie, Stuttgart 21, Flughafen Berlin-Brandenburg im Fokus Flughafen Berlin-Brandenburg, Elbphilharmonie, Stuttgart 21 - dieses Trio öffentlicher Großprojekte steht für Verschwendung, Fehlplanung und skandalöses Missmanagement. Fachleute wie Michael Knipper, langjähriger Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e. V., sprechen mittlerweile von „koordinierter Verantwortungslosigkeit“. So befürchtet Michael Knipper, dass solche Fehlschläge nicht nur das deutsche Projektmanagement beschädigen, sondern auch die Bauindustrie. Hilfe bei öffentlichen Großprojekten können neue Partnering-Modelle bieten. Auch schlägt er veränderte Kriterien bei Ausschreibungen und Reformen beim Haushaltsrecht vor. Vor allem: Die Bauindustrie sollte früher bei Großprojekten hinzugezogen werden. „Die Trennung von Planung und Bauausführung halte ich für eine der Todsünden bei komplexen Projekten“, erklärt der Berliner Fachmann im Interview. Oliver Steeger Michael Knipper ist Rechtsanwalt und seit 1996 Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e. V. in Berlin. Er hat Rechtswissenschaft an der Universität des Saarlandes studiert und war unter anderem beim Oberlandesgericht im Saarland, an der Verwaltungshochschule Speyer sowie in einer Anwaltskanzlei in Saarbrücken tätig. - Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. umfasst dreizehn Landesverbände und fünfzehn Fachverbände. Er repräsentiert die Interessen von rund zweitausend großen und mittelständischen Unternehmen der deutschen Bauindustrie. Foto: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 3 Wo liegen die Probleme in Hamburg? Bei der Elbphilharmonie mangelt es an der Abstimmung zwischen Architekten, Planern und Bauunternehmen. Man hat einen Architekten eingesetzt und ihm alle Freiheiten eingeräumt, dieses Gebäude zu gestalten. Er kann ständig seine Pläne ändern, neue Visionen entwickeln und umsetzen. Mitten in der Bauphase wollte der Akustiker den Konzertsaal drehen - ohne überhaupt die Statik zu kennen. Der Bau gründet ja auf einem alten Hafenspeicher. Ein solcher Eingriff hätte gewaltige bautechnische Probleme ergeben. Riesenlasten hätten auf der Gründung des Baus verteilt werden müssen. Bei einem solchen Projekt, das ständig Änderungen erwarten lässt, kann die Bauindustrie nicht anbieten - oder allenfalls im Rahmen eines speziellen Vertrags, der sie von den Risiken und Lasten solcher Änderungen freihält. Für Projekte mit vielen und späten Änderungen bietet sich die „Cost-plus-Fee“-Vertragskonstruktion an. Cost-plus-Fee-Vertrag …? Bei dieser Vertragskonstruktion legt der Bauunternehmer seine Kosten offen. Diese werden zuzüglich einer fairen Rendite, der „Fee“, abgerechnet. Dies hat man bei besonders aufwendigen Bauprojekten in Frankfurt so gemacht; es handelte sich um äußerst komplexe Unikate. Da hatte sogar jede Fensterscheibe eine neue Struktur. So etwas kann kein Bauunternehmen seriös vorab kalkulieren und zum Festpreis anbieten. Wir sollten aber auch wissen: Moderne Vertragspraxis und Kooperationsmodelle sind in Deutschland nur sehr schwer durchzusetzen. Insbesondere bei öffentlichen Großprojekten. Dieses Land tut sich sehr schwer mit Herangehensweisen, wie sie international längst gang und gäbe sind. Zurück zur Elbphilharmonie. Der Architekt hat alle Freiheiten, dies führt laufend zu Änderungen. Was beeinträchtigt dieses Projekt noch? Im Grunde haben die drei beteiligten Gruppen - Architekten, Planer und Bauausführende - völlig ungesteuert nebeneinander geplant. Sie haben sich durchgewurstelt; die Gesamtverantwortung fehlte. Zuständig seitens der öffentlichen Hand war ja anfangs die Kulturbehörde, nicht die Baubehörde Hamburgs. Dies muss man sich mal vorstellen! Diese fehlende Koordinierung trug - neben den Änderungen - zu den massiven Problemen bei. Zum dritten Projekt im Bunde: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Probleme beim Flughafen Berlin-Brandenburg? Die Gründe sind auch bei diesem Projekt vielfältig. Greifen wir eine Ursache heraus: Der Verwaltung als Bauherrin fehlt es an Kompetenz für diese Rolle, auch an Projektmanagementkompetenz. Dies hat man deutlich gespürt. Gespürt - an was beispielsweise? Das Projekt wurde vor Baubeginn nicht durchgeplant. Nur ein Teil der erforderlichen Planungsleistungen wurde erbracht. Es lagen gerade einmal zehn oder zwanzig Prozent der Pläne vor - da hat man bereits den Bau begonnen. Bei solch einem komplexen Projekt war damit das Chaos vorprogrammiert. Elbphilharmonie, Flughafen Berlin-Brandenburg, Stuttgart 21 - diese Projekte bilden nur die Spitze des Eisbergs. Viele andere öffentliche Projekte scheitern still und unspektakulär. Allgemein gefragt: Weshalb laufen diese Großvorhaben so häufig aus dem Ruder? Es handelt sich um eine ganze Kette von Problemen. Fangen wir vorne an - bei den Auftraggebern. Öffentliche Großprojekte wie Konzertsäle, Flughäfen oder Bahnhöfe sind bekanntlich auch Prestigevorhaben für Politiker. Politiker wollen, dass solche Projekte durchgeführt werden. Die Pläne müssen durch die Gremien … … leider auch mithilfe von geschönten Zahlen, wie man weiß. Dies ist ein Problem. Kosten werden von vornherein zu gering angegeben. Manche Zahlen sind sogar schlichtweg falsch. Politiker glauben, dass sie die Projekte bei realistischer Kalkulation nicht durchbekommen. Die Gesamtverantwortung fehlte „Manche Zahlen schlichtweg falsch“ 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 4 REPORT Baustelle in Deutschland: Die hiesige Bauwirtschaft genießt weltweit einen guten Ruf. Fachleute mahnen, durch professionell gemanagte Großprojekte in Deutschland das gute Image zu pflegen. Dazu gehören auch Großvorhaben der öffentlichen Hand. (Symbolfoto) Foto: Michael Möller - Fotolia.com PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 4 geschönten Kalkulationen sollen die Bürger überzeugen. Es kommt etwas hinzu: Großprojekte laufen sehr lange, manchmal über zwanzig Jahre. In dieser Zeit werden die Preise nicht immer fortgeschrieben … Augenblick! Die Projekte müssen doch über die Jahre aktualisiert werden … Sollten sie, ja! Doch in Deutschland verzichtet man vielfach darauf. In Stuttgart zeigt sich dies dramatisch: Die Kosten, die diskutiert werden, fußen zu einem nicht unerheblichen Teil auf Planungen von 2000 bis 2003. Nehmen Sie als Faustformel, dass die Preise jährlich um drei Prozent steigen. Dann summiert sich dies nach zehn Jahren auf Steigerungen von über dreißig Prozent. Eben! In Stuttgart diskutierte man lange über einen Preis von vier oder viereinhalb Milliarden Euro. Die Summe hat sich in der Diskussion verfestigt. Korrekt ist sie aber bei Weitem nicht. Und noch ein letzter Punkt: Unvollständige und fehlerhafte Planung belastet viele öffentliche Großprojekte. Viele Projekte werden vor Baubeginn nicht zu Ende geplant. Das Projekt Flughafen Berlin-Brandenburg ist kein Einzelfall. In der Planungsphase werden die späteren Kosten festgelegt, dies lernt man in der Basisausbildung für Projektmanagement. Ja, in der Planungsphase werden siebzig bis neunzig Prozent der Kosten je nach Projekt determiniert. Wer ungenau plant, wird zwangsläufig auch die Kosten ungenau ermitteln. Diese Fehler in der Planungsphase können Sie später auf der Baustelle kaum noch reparieren. Anders gesagt: Die öffentlichen Bauherren müssen die Planung sorgfältiger durchführen und dafür mehr Geld in die Hand nehmen. Anderenfalls sind Misserfolge vorprogrammiert. Verfolgen wir die Kette weiter. Auch die Bauindustrie muss sich der Kritik stellen. Man wirft ihr vor, sie würde offensichtlich fehlerhafte oder unvollständige Planungsunterlagen nicht melden. Manche Bauunternehmen machen sich die Schwachstellen schlechter Planung zunutze. Sie leiten daraus später Nachträge ab. Zu gut Deutsch: Sie verdienen an den Fehlern der Bauherren. An dieser Kritik ist etwas dran. Wir sollten dabei aber auch über die Ursachen für dieses Verhalten sprechen. Die Ursachen liegen im harten Preiswettbewerb. Bauunternehmen werden bei öffentlichen Ausschreibungen nicht belohnt, wenn sie auf fehlerhafte Planungen aufmerksam machen. Ganz im Gegenteil: Sie können sich aufgrund der Fehler mit Dumpingpreisen an der Ausschreibung beteiligen. Sie wissen, dass die Schwachstellen und Fehler später für zehn, zwanzig oder dreißig Prozent Nachforderungen gut sind. Über diese Nachforderungen gleichen sie die Dumpingpreise wieder aus. Unternehmen kalkulieren also von Anfang an ein, dass die Projekte aus dem Ruder laufen und ihre Kostenplanung sprengen werden? Sorgfältigere Planung nötig Ja, leider. Seriös kalkulierende Unternehmen haben dabei natürlich das Nachsehen. Diese Praxis hat sich in den vergangenen zehn Jahren der Baukrise entwickelt. Der Druck ist enorm gewachsen. Wir haben in jüngerer Zeit über die Hälfte der Baufirmen und über die Hälfte der Mitarbeiter im Bauwesen verloren. Die Firmen, die überlebt haben, haben gelernt: Dringend benötigte öffentliche Aufträge bekommen sie heute allein und ausschließlich über den Preis. Sie müssen mit dem niedrigsten Preis in die Ausschreibung gehen - und über Nachträge zu ihrem eigentlichen Ergebnis kommen. Wer als Unternehmen mit von vornherein kostendeckenden Angeboten in die Ausschreibung geht, kann sich das Angebot eigentlich gleich sparen. Er bekommt leider nicht den Zuschlag. Ich will nicht sagen, dass Bauunternehmen vorsätzlich falsch kalkulieren - aber die Tendenz ist sichtbar, über juristisch durchgesetzte Nachforderungen an den eigenen Gewinn zu kommen. Dies führt zu dem viel beklagten konfrontativen Verhalten im Bauwesen. Politiker nennen oft Mondzahlen für öffentliche Großprojekte, es wird fehlerhaft geplant, Kosten werden nicht fortgeschrieben, Unternehmen machen mit Dumpingpreisen einen Stich - und am Ende wird alles durch Mehrkosten bezahlt, die man dem Steuerzahler scheibchenweise mitteilt. Jeder hat profitiert, nur die öffentliche Kasse muss herhalten. Steht da ein System hinter? Genau dieses System ist unser Problem. Hier kommt es zu einer unheilvollen Verkettung. Der Kernpunkt ist: Unser Vergaberecht setzt bei öffentlichen Großprojekten die falschen Anreize. Es verstärkt und verfestigt dieses System. Man muss es ändern. Die falschen Anreize - inwiefern? Der Preiswettbewerb ist ruinös. Der Auftrag geht an den billigsten Anbieter, dies wird von unserem Vergaberecht indirekt gefordert. Aber so bekommen wir keinen Qualitätswettbewerb, das Vergabesystem verhindert derzeit den Qualitätswettbewerb geradezu. Es geht nicht um Termine, um Bauqualität, um optimale Lösungen - die Vergabe dreht sich ausschließlich um den Preis. Der Beamte, der die Vergabe durchführt, hat kaum Freiheit bei der Entscheidung. Wählt der Beamte nicht den billigsten, sondern den vergaberechtlich eigentlich vorgesehenen wirtschaftlichsten Anbieter, so nimmt er viel Arbeit und Rechtfertigung auf sich. Er muss seine Entscheidung ausführlich begründen. Schlimmer noch: Er befürchtet, dass ihm unlautere Arbeit unterstellt wird. Es heißt, dass in der Schweiz der billigste Anbieter den Auftrag prinzipiell nicht bekommt. Sondern bestenfalls der zweitbilligste. Ein Ansatz auch für Deutschland? Falsche Anreize bei Ausschreibung Zusätzliche Qualitätskriterien projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 l 5 PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 5 Das System der Schweiz signalisiert: Der Qualitätswettbewerb bei der Vergabe für öffentliche Großprojekte ist gewünscht. Der bietende Unternehmer muss auch nach Qualitätskriterien kalkulieren. Aber wir werden dieses System in Deutschland nicht bekommen. Man hat mehrfach die Einführung versucht. Der Preis spielt doch mit Sicherheit auch in der Schweiz eine Rolle? Natürlich spielt er eine Rolle, doch nicht so eine beherrschende wie hier. Was sich die Bauindustrie für Deutschland wünscht: Künftig sollten zusätzliche Qualitätskriterien die Ausschreibung und Vergabe ergänzen - und zwar in einem entscheidenden Maße. Dies wird derzeit in Deutschland nur bei sogenannten ÖPP-Projekten praktiziert. Wir diskutieren im Verband viel darüber, wie solch ein Kriterienkatalog auch für konventionelle Ausschreibungen genutzt werden kann. Konkret: Welche Kriterien könnten das Kriterium „Preis“ ergänzen? Hinzukommen könnten beispielsweise technische Kriterien, Qualitätskriterien, Termintreue, Baulogistik oder technischer Wert. Diese Kriterien müssen vor der Vergabe individuell auf das Projekt bezogen festgelegt und natürlich in den Ausschreibungsunterlagen mitgeteilt werden. Auch muss angegeben werden, mit welcher Quote jedes Kriterium in die Auswertung der Angebote eingeht. Möglicherweise zählt bei manchen Projekten dann der Preis nur noch zu vierzig Prozent bei der Ausschreibung. Die Gewichtung verschiebt sich. Die Qualitätskriterien müssten für jedes auszuschreibende Projekt vorab festgelegt werden, sagen Sie. Dies würde bedeuten: Die Vorbereitung von Projekten und die Planung braucht mehr Zeit und wohl auch mehr Geld. Natürlich, die Vorarbeit bekäme deutlich mehr Gewicht. Das Projekt muss genau entwickelt werden, man muss sich vorher intensiv damit beschäftigen. Daran darf man sowieso nicht sparen. Der Flughafen Berlin- Brandenburg sollte uns eine Lehre sein. Allein mit der Einführung von Qualitätskriterien sind die Probleme bei der Ausschreibung nicht behoben. In Deutschland haben wir es mit einer strengen Trennung der Arbeitsabläufe zu tun. Der Architekt plant, der Bauherr schreibt aus, der Bauunternehmer setzt die fertigen Pläne um. International ein einmaliger Fall! In den Niederlanden beispielsweise werden Bauteams gebildet. Architekten, Bauherren und Unternehmer entwickeln gemeinsam von Anfang an das Projekt. Weshalb sperrt man sich in Deutschland gegen diesen multidisziplinären Ansatz? Fatale Trennung von Planung und Ausführung 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 6 REPORT Der ruinöse Preiswettbewerb bei öffentlichen Aufträgen hat die Bauindustrie in Schwierigkeiten gebracht. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. will auch die Faszination an Bauprojekten wieder wecken. (Symbolfoto) Foto: photo 5000 - Fotolia.com PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 6 Diese Trennung von Planung und Bauausführung halte ich für eine der Todsünden bei komplexen Projekten. Sie bereitet den Bauunternehmen enorme Probleme. Denken Sie an die vielen Schnittstellen am Bau. Die Beteiligten arbeiten bei uns nacheinander - doch leider nicht genug miteinander. Diese Schnittstellen führen automatisch zu Fehlern und Pannen, wenn die Abstimmung zwischen den Beteiligten ausbleibt. Doch viele Architekten - bei Weitem nicht alle! - beharren strikt auf dieser Trennung. Sie wollen ihre Pläne vor Eingriffen anderer schützen. Die Bauunternehmen müssen diese Planungen dann technisch irgendwie umsetzen. Sie werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Optimale Lösungen sind dabei nicht immer möglich, dies können Sie sehr gut bei der Elbphilharmonie erkennen. Was also tun? Es wäre besser, möglichst alle am Bau Beteiligten anfangs für die Planung am runden Tisch zusammenzuholen, um gemeinsam das Bausoll zu bestimmen. Diese ganzheitliche Sicht und natürlich das Erfahrungswissen der Unternehmen wären hilfreich für die Planung von Bauvorhaben. Deshalb halte ich einen integrierten Architektenwettbewerb für wünschenswert, an dem auch die Bauausführenden teilhaben. Auch dies ist heute nur bei ÖPP-Projekten der Fall. Welcher Vorteil wäre von der Beteiligung der Bauunternehmen zu erwarten? Nicht jeder Planer kümmert sich im ausreichenden Maße darum, ob seine Planungen überhaupt zu angemessenen Kosten baubar sind. Dieses Wissen liegt eher bei den bauausführenden Firmen; dieses Wissen frühzeitig in den Entscheidungsprozess einzubringen, könnte den Bauherren vor mancher unliebsamen Überraschung schützen. Stichwort „nachhaltiges Bauen“? Ja! Auf die reinen Baukosten entfallen vielleicht dreißig oder vierzig Prozent der gesamten Lebenszykluskosten eines Bauwerks. Systematisch werden diese Lebenszykluskosten derzeit jedoch nur bei ÖPP-Projekten in den Entscheidungsprozess einbezogen. Moment! Ich bitte um Erklärung. Was sind ÖPPs genau? Bei den ÖPPs erstellen Privatunternehmen nicht nur ein Bauwerk, sondern unterhalten und betreiben es auch eine Zeit lang im Auftrag der öffentlichen Hand. Später fällt das Bauwerk ganz an die öffentliche Hand. Entscheidend ist: Dem Bauunternehmen ist nicht nur am günstigen Bau gelegen, sondern auch an einem ordnungsgemäßen Erhalt und einem günstigen Betrieb. Es plant, kalkuliert und baut bei solchen Projekten deshalb anders als bei üblichen Bauaufträgen. Denn es versucht, durch wirtschaftliche Planung die Projekte schneller durchzuführen und durch bessere Bauqualität die späteren Betriebskosten zu senken. Aus diesem Grund werden ÖPPs um Jahre früher fertig und halten länger. Lebenszyklus einer Immobilie Der „runde Tisch“, bei dem alle Beteiligten gemeinsam das Projekt aufsetzen und planen, liegt vor allem den Architekten quer im Magen. Sie sehen ihre Gestaltungsfreiheit beschnitten, wenn sie mit Bauherren und Unternehmen das sogenannte „Bausoll“ bestimmen, also ein Verständnis entwickeln von dem, was gebaut werden soll. Längst nicht bei allen Architekten stoßen wir mit diesen Vorschlägen auf Widerstand. Die Architektenschaft scheint in dieser Frage gespalten zu sein. Einige sind durchaus bereit, mit Bauunternehmen während der Planungsphase zu kooperieren. Andere fürchten in der Tat, dass ihnen etwas genommen wird. Hätte eine solche Vorgehensweise am Flughafen Berlin-Brandenburg das Schlimmste verhindern können? Vielleicht, ja. Bei einem Flughafen geht es nicht nur um Design, zuallererst geht es um Funktionalität. Fachleute, denen die Funktionalität am Herzen liegt, klagen aber: Der Baukörper hätte zwei Meter höher sein sollen. Dann hätte die technische Gebäudeausrüstung unter der Decke Platz gefunden. Doch der Architekt war in diesem Punkt nicht kompromissbereit. Er bestand auf seinem Entwurf und seinen Plänen. Er wollte bei seiner Leuchtturmarchitektur nicht nachgeben. Die Baufirmen standen quasi vor vollendeten Plänen. Die Ausbauunternehmen müssen zusehen, wie sie die Haustechnik im Gebäude unterbringen. Sie quetschen und improvisieren, wo es irgend geht. Dies bereitet im Augenblick die bekannten Probleme: Es gibt kaum Platz für komplexe Brandschutzanlagen. Um es deutlich zu sagen: Einige Architekten fassen es als eine Art Majestätsbeleidigung auf, wenn Bauunternehmen an die technische Gebäudeausstattung erinnern und darüber hinaus darauf aufmerksam machen, dass diese Technik später noch gewartet werden muss. Sie muss zugänglich und mit verhältnismäßig geringem Aufwand zu pflegen sein - denken Sie an die Lebenszykluskosten! Ein zweites Riesenproblem - zumindest bei öffentlichen Großprojekten - ist das Vergaberecht. Kämmerer verfolgen ihren Fiskalansatz, der sich kaum mit den Prozessen von Bauprojekten in Übereinstimmung bringen lässt. Behörden und andere Stellen der öffentlichen Hand denken in Haushaltsjahren, Bauprojektmanager in jahresübergreifenden Prozessen. Das deutsche Haushaltsrecht ist extrem unflexibel, dies ist ein Hemmschuh. Die Zuwendungspraxis, wie sie derzeit gehandhabt wird, erschwert Projekte und macht sie extrem bürokratisch. Manchmal werden Projekte auch blockiert. Häufig müssen die bewilligten Mittel bis zum 31. Dezember eines Jahres ausgeschöpft werden, damit einem im folgenden Jahr nicht die Mittel gekürzt werden. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, eine überjährige Finanzierung für ein Bauprojekt auf die Beine zu stellen. Also ein öffentliches Bauprojekt zuverlässig über mehrere Jahre mit den benötigten Geldmitteln zu versorgen. „Majestätsbeleidigung“ für Architekten projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 l 7 PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 7 Man müsste folglich beim Haushaltsrecht ansetzen und dort Einfluss nehmen. Unser Verband versucht dies. Wir wollen dazu beitragen, das Haushaltsrecht flexibler zu gestalten. Zumindest müssten die Mittel überjährig und ganzheitlich einem bestimmten Projekt zugeordnet werden können. Die Mittel also über die Projektlaufzeit verstetigt werden. Außerdem: Die politischen Prozesse im Haushaltsrecht führen regelmäßig zu Verzögerungen. Unternehmer müssen dann nachverhandeln, und dies kostet wiederum Zeit und Geld. Vorhin sprachen Sie von dem partnerschaftlichen Ansatz: Bauherr, Architekten, Bauunternehmen und andere Beteiligte setzen gemeinsam das Projekt auf und bestimmen das Bausoll. Diese Vorgehensweise ist nicht ganz neu. Sie ist ein Kerngedanke von gängigen Partnering-Modellen, wie sie auch von Ihrem Verband entwickelt wurden. Wie zugänglich sind öffentliche Auftraggeber für solche Partnering-Modelle? Es ist schon schwierig, wenigstens einzelne Module dieses Partnerings in öffentlichen Projekten einzusetzen. In einigen Pilotprojekten haben wir dies versucht - durchaus erfolgreich übrigens. Einzelne Module des Partnerings - was genau? Beispielsweise das gemeinsame Festlegen von Projektstrukturen. Oder gemeinsames Controlling. Oder Anreizsysteme, auch im Nachhinein einvernehmlich Verträge zu verbessern und effizienter zu bauen. Im Ausland sind solche Elemente selbstverständlich, in Deutschland stoßen sie häufig auf Vorbehalte und Misstrauen. Auch vertragen sie sich nicht mit dem derzeitigen Vergaberecht. Die eben besprochene Beteiligung der Bauunternehmen an der Planungsphase - wird auch sie durch das Vergaberecht erschwert? Ja. In Deutschland wird zumeist eine öffentliche Ausschreibung durchgeführt. Europaweit können sich alle Unternehmen um den Auftrag bewerben. Bei der öffentlichen Ausschreibung werden Angebote abgegeben, die Angebote bewertet und vor allem die Preise geprüft. Dieses Vergaberecht sieht das Bauunternehmen sehr spät in der Prozesskette. Oder anders: Es sieht nicht vor, dass der Unternehmer bereits in der Planung mit am Tisch sitzt. Man bräuchte andere Modelle für Ausschreibung und Vergabe. Wie könnte man vorgehen? Bei komplexen Projekten könnte man der Ausschreibung einen Dialogprozess vorschalten. Man würde sehr früh eine bestimmte, überschaubare Zahl geeigneter Unternehmen in die Projektplanung einbeziehen und mit ihnen gemeinsam das Bausoll bestimmen. So kann man mit drei oder vier Bietergruppen jeweils das Projekt entwickeln. Zu dieser Entwicklung gehören dann auch Zeitpläne, Kostenpläne und die Vorgehensweise, am Ende dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag zu erteilen. Die anderen Bieter, die nicht zum Zuge gekommen sind, werden dann fair für ihren Aufwand entschädigt. Haushaltsrecht ändern Der Vorteil für den Bauunternehmer liegt auf der Hand: Er kann auf die Pläne so einwirken, dass er am Ende effizient bauen kann, dass er seine Termine einhält und auch die Kosten im Griff hat. Der Nachteil ist: Er kann keine Nachträge mehr stellen. Sofern nichts an den Plänen geändert wird - nein! Kein Bauunternehmer kann sich später etwa auf fehlerhafte Planungen berufen, um Nachträge geltend zu machen. Er war eingebunden. Hat er sich verkalkuliert, muss er die Kosten tragen. Für den Bauherrn ist dies übrigens ein gewaltiger Vorteil. Es gibt ihm Sicherheit bei den Kosten. Darüber hinaus wird übrigens auch den bei Bauprojekten üblichen Gerichtsverfahren ein Stück weit der Boden entzogen. Was ist mit den Projektrisiken? Wer trägt diese? Auch darüber müsste bei der Planung des Projekts gesprochen werden. Völlig richtig. Jedes etwas komplexere Bauwerk ist bereits ein Unikat. Wir bauen Prototypen - und dies ist, wie in anderen Branchen auch, mit unvermeidlichen Risiken behaftet. Risiken bei der Witterung, Risiken im Baugrund, Munitionsfunde, archäologische Ausgrabungen, Preissteigerungen bei Rohstoffen, Risiken bei der eingesetzten Bautechnik … Wie sollen die Partner mit den Risiken umgehen? Bislang versucht jede Partei, der anderen möglichst viele Risiken aufzubürden und sich selbst freizuhalten. Damit sind Scharen von Juristen beschäftigt. An manchen Ausschreibungsprozessen sollen mittlerweile mehr Juristen als Ingenieure teilnehmen. Eigentlich müssten Auftraggeber und Auftragnehmer gemeinsam die Risiken ihres Projekts erkunden und einander die Risiken fair zuordnen. Beide wollen die Risiken schließlich vermeiden, dies verbindet sie. Der Wille zu diesem Schulterschluss dürfte begrenzt sein. Geht es darum, für Risiken finanziell einzustehen, ist die Verbindung schnell wieder getrennt. Es geht zunächst um die Bestandsaufnahme. Mit welchen Risiken ist bei einem Projekt überhaupt zu rechnen? Wie hoch müssen die Rückstellungen sein? Über solche Risiken und Rückstellungen für Großprojekte gibt es Untersuchungen. Man hat Erfahrungen ausgewertet und kann recht zuverlässig sagen, wie viel Prozent der Gesamtbausumme etwa bei einem Tunnelprojekt für die Risikovorsorge zurückgelegt werden müssen. Da hat man einen Anhaltswert. Einen fachkundigen Projektmanager dürfte solch ein Anhaltswert nicht befriedigen. Richtig! Ich fände es besser, wenn man die Risiken eines Großprojekts individuell ermittelt und dafür dann Rückstellungen bildet. Dies wäre auch bei öffentlichen Großvorhaben gegenüber der Politik und dem Steuerzahler wesentlich kostenehrlicher. Gemeinsam das Bausoll bestimmen Fairer Umgang mit Risiken 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 8 REPORT PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 8 Zur Frage: Wer trägt dann welches Risiko? Wie gesagt, die Verteilung der Risiken sollte fair geregelt werden. Bei einem Tunnelbauprojekt beispielsweise könnte der Auftraggeber die Risiken für den Baugrund übernehmen, der Auftragnehmer die technischen Risiken bei der Bauausführung, etwa die der Maschinentechnologie oder der Verfahren. Derzeit werden Lösungswege diskutiert, die Probleme bei öffentlichen Großvorhaben zu beheben. Aus dem Fiasko bei Stuttgart 21 will man offenbar für die Zukunft lernen. Die breite Öffentlichkeit soll künftig noch mehr in die Planung von Großprojekten einbezogen werden. Frühe Kommunikation mit den Stakeholdern verhindert spätere Konflikte. Also sollen die Projekte für die Bürger transparenter sein, verbindliche Planungsdialoge stattfinden. Wie beurteilen Sie diese Ansätze? Sie haben den verbindlichen Planungsdialog genannt, der bei Projekten vorab zwingend durchgeführt werden soll. Ich halte mich beim Stichwort „Verbindlichkeit“ zurück: Es sollte je nach Projekt genau entschieden werden, ob Bürger verbindlich eingebunden werden können - oder ob man gezwungen ist, den unverbindlichen Dialog zu wählen. Dies würde womöglich den Erwartungen einiger Bürger nicht gerecht. Sie wollen ja gerade diese Verbindlichkeit beim Dialog. Sie wollen, dass ihre Anliegen berücksichtigt werden, dass sie nicht als Wünsche, sondern als Erwartungen, auch Forderungen gelten. Beziehen Sie Bürger ins Projekt ein, so müssen deren Erwartungen ernst genommen werden. Beispiel Stromtrassen: Viele Bürger erkennen die Notwendigkeit solcher Stromtrassen quer durch Deutschland. Wir brauchen sie für die Energiewende. Einige Gruppen fordern allerdings die Trassen unterirdisch zu verlegen. Dies würde die Kosten immens steigern. Ein ehrlich geführter verbindlicher Planungsdialog kann also zu massiven Kostensteigerungen führen. Zusätzlicher Lärmschutz oder bestimmte Umweltauflagen kosten immer Geld. Weist man aber die Forderungen der Bürger aus finanziellen Gründen zurück, dann hat man die Akzeptanz der Bürger sofort verloren. Wer also über den verbindlichen Planungsdialog Akzeptanz herstellen will, muss sich über diese Konsequenzen im Klaren sein. Und er sollte zudem wissen, dass er in der Regel die Totalverweigerer des Projekts mit diesem Dialog nicht erreicht. Viele Bauherren fürchten neben den Kosten vor allem den Zeitverlust durch den Dialog. Auch die Klagen der Bevölkerung und die damit einhergehenden Gerichtsverfahren sind vielen ein Dorn im Auge. Der Marsch durch die Instanzen bremst Projekte auf Jahre aus. Wir müssen bei öffentlichen Großvorhaben die Dauer von Planung und Genehmigung verkürzen. Der Verzug kostet immens viel Geld. Und gehen zehn, fünfzehn oder schlimmstenfalls zwanzig Jahre für die Planung und Genehmigung ins Land, dann haben wir es bereits mit der nächsten Bürgergeneration zu tun: einer Generation, Mehrkosten durch verbindlichen Dialog? die das Projekt vielleicht ganz anders infrage stellt und nun auf ihr politisches Recht pocht. Also? Vielleicht setzt man bei den Gerichtsprozessen an und strafft den Klageweg. Klagen sollten innerhalb von fünf Jahren rechtskräftig entschieden werden, dies halte ich für machbar. Nochmals zum Skandal um das Flughafenprojekt Berlin-Brandenburg. Dieses Fiasko hat Deutschland rund um den Globus in die Schlagzeilen gebracht. Hat aus Ihrer Sicht die internationale Reputation der deutschen Bauindustrie gelitten? Im Ausland verfolgt man zumindest verwundert das hiesige Geschehen. Vor uns in Deutschland liegen siebzig Großprojekte mit einem Volumen von 48 Milliarden Euro. Diese Vorhaben hängen nun mehr oder weniger in der Luft. Die Verunsicherung ist groß. Wir tun uns derzeit extrem schwer, hierzulande Großprojekte erfolgreich zu realisieren. Der Geschäftsführer eines deutschen Bauunternehmens sagte mir, solche schlecht gemanagten öffentlichen Projekte würden durchaus ins Ausland ausstrahlen. Bekommt der glänzende Lack des deutschen Bauingenieurwesens Schrammen? Wir müssen aufpassen, ja. Anfangs schmunzelt man in anderen Ländern. Der deutsche Bauingenieur genießt weltweit einen guten Ruf. Doch auf Dauer kann es gut sein, dass die Leistungsfähigkeit der deutschen Bauindustrie infrage gestellt wird. Wir müssen alles dransetzen, die über Jahrzehnte aufgebaute Reputation zu erhalten. Reputation der deutschen Bauindustrie erhalten projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 l 9 Hinter Bauprojekten steht heute eine hochkomplexe Wertschöpfungskette, die ein anspruchsvolles Projektmanagement erforderlich macht. (Symbolfoto) Foto: Kara - Fotolia.com PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 9 Klaus Es Proze Proje Welche Folgen hat dies für die Bauindustrie im internationalen Wettbewerb? Deutsche Unternehmen können kaum noch auf neuere Referenzprojekte in ihrer Heimat verweisen. Bei der internationalen Akquise werden unsere Unternehmen nach solchen Referenzen gefragt. Sie müssen passen. Eben sprachen Sie von bundesweit siebzig Großprojekten, die man in der Pipeline hat. Nicht alle werden so spektakulär Probleme bekommen. Es werden sich doch mit Sicherheit Referenzen finden lassen. Auch die erfolgreichen sind nicht unbedingt Referenzen für große Unternehmen, die im Ausland tätig sind. Öffentliche Großprojekte werden heute häufig in viele Teile zerschlagen, um den Mittelstand und örtliche Firmen einzubeziehen. Die Politik will damit auch die regionale Wirtschaft fördern. Es kommen also immer weniger Großunternehmen zum Zuge? Dies ist politisch im Augenblick so gewollt, ja. Ich meine, es muss in Deutschland auch einen Markt für Großunternehmen geben. Diese Großunternehmen setzen dann zu fairen Bedingungen Subunternehmen ein. Dies Markt für Baugroßunternehmen kann man regeln, etwa durch regionale Quoten. Wir brauchen jedenfalls in Deutschland einen kontinuierlichen Projektfluss auch für die Großen der Bauindustrie; nur so werden auch Referenzen geschaffen, die im internationalen Wettbewerb helfen. Zudem können wir so unsere Ausführungskompetenz erhalten, also die Fähigkeit, solche Projekte technisch und organisatorisch durchzuführen. Manche Baukonzerne denken ohnehin darüber nach, sich bei einigen Projektarten aus dem deutschen Markt zurückzuziehen. Zum Beispiel? Etwa bei ÖPP-Projekten. Wie gesagt, diese Modelle haben sich hier bewährt, im Hochbau ebenso wie im Verkehrswegebau. Die öffentlichen Auftraggeber sind zum Beispiel begeistert von der Bauqualität der Autobahnen, die als ÖPP-Vorhaben realisiert wurden. Die Projekte werden um vier bis acht Jahre früher dem Verkehr übergeben als bei konventioneller Realisierung. Wir brauchen allerdings Rahmenbedingungen, die solche ÖPPs auch für die Bauindustrie attraktiv machen. Wie reagiert Ihr Verband auf diese Entwicklungen? Wir setzen uns vor allem für eine Versachlichung der manchmal doch sehr ideologisch aufgeheizten Diskussion ein. ÖPP-Projekte brauchen eine klare politische Rückendeckung. Erst dann kommt es zu dem regelmäßigen „Deal-Flow“, der diesen Markt für die Bauindustrie auch langfristig attraktiv macht. Manche Bauunternehmer bringen ihre politischen Ziele auf eine simple Formel: Künftig muss in Deutschland am Bau wieder mehr Geld verdient werden. Stimmen Sie zu? Das Anliegen ist berechtigt, ja. Es muss wieder möglich sein, eine seriös berechnete Umsatzrendite von fünf Prozent jährlich zu erwirtschaften - und zwar kontinuierlich. In den vergangenen dreißig Jahren haben sich im Bauwesen extreme Boom-Phasen mit herben Krisenjahren abgewechselt. Kapazitäten mussten aufgebaut und dann schnell wieder reduziert werden. Viele Bauunternehmen haben sich deswegen neue Geschäftsfelder erschlossen, etwa gebäudenahe Dienstleistungen, um dem volatilen Baugeschäft eine stetige Einnahmequelle gegenüberzustellen. Großbaustellen werden in Deutschland immer kritischer gesehen. Früher waren sich drehende Kräne ein Zeichen für Fortschritt, heute werden sie als Bedrohung aufgefasst. Geht den Deutschen die Faszination am Bauwesen und an der Bautechnik verloren? Unser Verband will auch diese Faszination wieder in den Vordergrund stellen. Unsere Branche gestaltet wie keine andere die Umwelt - im positiven wie im negativen Sinne. Gebautes kann man mit Händen greifen. Hinter Bauprojekten steht heute eine hochkomplexe Wertschöpfungskette, die ein anspruchsvolles Projektmanagement erforderlich macht. Wir wollen dies in die öffentliche Wahrnehmung bringen und das Ansehen des Bausektors wieder nach vorne bringen. ■ Am Bau wieder Geld verdienen 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 10 REPORT Handicap im internationalen Wettbewerb: Deutsche Unternehmen können heute kaum noch auf neuere Referenzprojekte in ihrer Heimat verweisen. Vor allem fehlt es an gelungenen öffentlichen Projekten. (Symbolfoto) Foto: Jonn Rübcke - Fotolia.com PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 10