eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 24/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
31
2013
242 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Die Verfehlung der Projektziele bei Großprojekten

31
2013
Klaus Eschenbruch
Bei diesem Artikel handelt es sich gleichzeitig um eine Anmerkung zur Kritik der Projektabwicklung beim Berliner Hauptstadtflughafen und der Elbphilharmonie von Herrn Prof. Werner Rothengatter in Heft 5/2012 der projektMANAGEMENT aktuell.
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D ie Zeitschrift „projektMANAGEMENT aktuell “ hat im Rahmen des Heftes 5/ 2012 das Thema des Scheiterns einer Reihe von Megabauprojekten in Deutschland aufgegriffen. In der Tat hat es in den letzten Monaten Hiobsbotschaften bei einer Mehrzahl von Megaprojekten gegeben, die typischerweise mit einer gravierenden Fehlsteuerung in Bezug auf Termine und Kostenziele einhergegangen sind. Der Berliner Hauptstadtflughafen und die Elbphilharmonie sind nur zwei besonders in den Fokus der Öffentlichkeit geratene Großprojekte dieser Art. Während im Ausland, speziell in den angelsächsischen Ländern, das Thema der sachgerechten Abwicklung bei Großprojekten Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Untersuchungen und der Tätigkeit einschlägiger Verbände ist, sind die hiermit im Zusammenhang stehenden Sonderprobleme in Deutschland wenig aufgearbeitet. Umso wichtiger ist es, dass die Zeitschrift „projektMANAGEMENT aktuell “ der Fachwelt ein Forum bietet, die bei der Großprojektrealisierung kritischen Prozesse herauszuarbeiten und einen Beitrag zum besseren Gelingen dieser Projekte in der Zukunft zu leisten. Die Verfehlung der Projektziele bei Großprojekten Ein Diskussionsbeitrag zur Ursachenanalyse Bei diesem Artikel handelt es sich gleichzeitig um eine Anmerkung zur Kritik der Projektabwicklung beim Berliner Hauptstadtflughafen und der Elbphilharmonie von Herrn Prof. Werner Rothengatter in Heft 5/ 2012 der projektMANAGEMENT aktuell. Klaus Eschenbruch Derzeit stehen wir noch am Anfang der Problembewältigung. Die Beiträge von Prof. Rothengatter in dem Interview in Heft 5/ 2012 von „projektMANAGEMENT aktuell “ können lediglich erste Denkanstöße geben. Die Hinweise auf die vielen öffentlichen Großprojekte und erste Erklärungsversuche mögen für die eine oder andere Fallgestaltung zutreffen. Die Einschätzungen in Bezug auf den Berliner Hauptstadtflughafen und die Elbphilharmonie basieren indessen nicht auf einschlägiger Kenntnis der jeweiligen Projektabwicklung. 1 Der Hinweis, Projekte wie der Berliner Hauptstadtflughafen oder die Elbphilharmonie hätten besser mit mehr privatwirtschaftlichem Know-how und unter Regie eines Generalunternehmers abgewickelt werden sollen, ist schon im Ansatz nicht nachvollziehbar. Bei der Elbphilharmonie hat es einen weitestgehenden Transfer von Projektmanagementkompetenz an einen Generalunternehmer gegeben. Bei dem Projekt Berliner Hauptstadtflughafen sind eine Reihe von Teilgeneralunterneh- Prozessorientiertes Projektmanagement - Anzeige PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 11 mern tätig gewesen. Für einen Gesamt-GU fand sich seinerzeit - mit den Mitteln des Vergaberechts - kein Markt. Darüber hinaus kann es als gewachsene Erkenntnis der Projektabwicklungspraxis der letzten beiden Jahrzehnte gelten, dass keine Unternehmereinsatzform als solche prinzipiell besser geeignet ist, sondern dass für das jeweilige Projekt eine maßgeschneiderte Einsatzform für Projektmanager/ Planer und ausführende Unternehmen gesucht werden muss. Da helfen Allgemeinplätze nicht weiter. Selbst bei Flughäfen sind genauso viele in Einzelvergaben ordnungsgemäß fertiggestellt wie fehlgeschlagen wie solche mit Generalunternehmereinsatz. 2 Prof. Rothengatter hat recht, dass die Kosten- und Terminrisiken, zumal in der frühen Projektphase, oft viel zu optimistisch eingeschätzt werden. Das ist nicht nur ein Problem der öffentlichen, sondern auch der privat realisierten Projekte. Darunter haben in den letzten Jahren auch Generalunternehmer gelitten. Diese Erkenntnisse haben insbesondere dazu geführt, dass sich die deutsche Bauindustrie weitestgehend aus dem Generalunternehmergeschäft für Großprojekte zurückgezogen hat. Der Markt für entsprechende Projektrealisierungsangebote hat sich daher sehr reduziert. Selbstverständlich haben auch bei den Projekten Berliner Hauptstadtflughafen und Elbphilharmonie Entscheidungen (der öffentlichen Hand) eine wesentliche Rolle gespielt; vorbereitet wurden sie jedoch durch markterfahrene und angesehene Projektmanagementunternehmen, die in beiden Projekten in umfassender Form eingesetzt worden sind. Entgegen den Einschätzungen von Prof. Rothengatter haben hier keineswegs Defizite rein technisch-instrumentellen Projektmanagements eine Rolle gespielt, wie fehlende Terminpläne. Nur: In beiden Projekten hat sich gezeigt, dass die Steuerung eines Großprojektes mit Terminplänen, die Tausende von Einzelvorgängen enthalten, nur unter erschwerten Bedingungen durchzuführen ist. Derartige Terminpläne und entsprechend detaillierte Kostenermittlungen sind zumeist bereits in dem Moment überholt, in dem sie abschließend bearbeitet sind. Die gestörten und zum Teil fehlgeschlagenen Megaprojekte bedürfen daher einer detaillierten seriösen Analyse und Aufarbeitung. Zumeist ist für ihr Scheitern während der langjährigen Projektrealisierung eine Mehrzahl von Ursachen relevant, ohne dass im Nachhinein eine belastbare Rückführung der Zielverfehlungen auf singuläre Einzelursachen möglich ist. Zu vermeiden sind deshalb auch plakative, althergebrachte Denkansätze, die darauf hinauslaufen, per se brächte ein höherer Generalunternehmereinsatz oder private Initiative einen wesentlichen Fortschritt bei der Großprojektrealisierung. Dabei wird eine Vielzahl von Themen ausgeblendet, die ebenfalls für Fehlsteuerungen speziell bei Großprojekten maßgeblich sind, die jedoch noch einer wissenschaftlichen Aufarbeitung harren. Dieser Beitrag kann keine Lösungen liefern. Er kann lediglich das Augenmerk auf einige Themen richten, die bislang nicht in den Vordergrund des Interesses der Projektbeteiligten gelangt sind, aber nach der Auffassung des Verfassers bei vielen Großprojekten der Bauwirtschaft eine erhebliche Rolle spielen. 2.1 Praktikable Handlungsanweisungen für den Umgang mit Komplexität und Chaos bei der Großprojektrealisierung sind bislang nicht entwickelt worden. Dabei ist sich die Fachwelt einig, und es kann bei all diesen Projekten erkannt werden, dass die technisch-instrumentellen Steuerungsmittel (auch des Projektmanagements) bei den Großprojekten zunehmend versagen. Die ständige Verfeinerung von Kosten- und Terminplänen und des Berichtswesens bringt am Ende bei diesen Projekten kaum noch einen Erkenntnisfortschritt. Vielmehr besteht die Gefahr, dass derartige Controlling-Instrumente aufgrund des Projektfortschritts schneller überholt werden, als sie geschrieben werden können. Der Versuch, möglichst wasserdichte Termin- und Kosteneinschätzungen zu treffen, wird umso nutzloser, je komplexer und größer das Projekt ist. Auch die Bedeutung der Verträge nimmt als Steuerungsmittel ab; der nächste Nachtrag und die nächste Ergänzungsvereinbarung stehen den Beteiligten schon vor Augen, wenn die letzte Vertragsänderung gerade unterzeichnet worden ist. Hier gilt es, Organisationskonzepte zu entwickeln, die die Beteiligten in die Lage versetzen, erlerntes Handwerkszeug auch wirklich einzusetzen. In den letzten Jahren sind - ebenfalls gestützt durch die Zeitschrift „projektMANAGEMENT aktuell “ - die „weichen Faktoren“ des Projektmanagements mehr in den Blickwinkel der Branche geraten. In einer eigenen Kolumne zu den weichen Faktoren in Projekten wird insbesondere der „Collective Mind“ als Instrument hervorgehoben. Was bislang fehlt, sind allerdings Ansätze, die die technokratischen und weichen Faktoren zusammenführen. Prof. Rothengatter hat gerade im Hinblick auf den Berliner Hauptstadtflughafen gerügt, dass am Ende alle versucht haben, um jeden Preis den definierten Termin der Inbetriebnahme zu halten, obwohl das Scheitern bereits wahrscheinlich war (legt man diese Annahmen zugrunde, führte gerade ein Collective Mind zu Fehlsteuerungen). Bislang hat die Projektmanagementwissenschaft keinerlei Strategien hervorgebracht, um harte und weiche Faktoren sachgerecht miteinander abzugleichen und für die Projektabwicklung zusammenzuführen. 2.2 Bei den Großprojekten des Hochbaus zeigt sich überdies ein gewichtiger Trend. Das sind die zunehmende Bedeutung und die kritische Masse der Technischen Gebäudeausrüstung. Sowohl im Bereich der Planung, der Genehmigung wie auch der Bauausführung selbst wird die Technische Gebäudeausrüstung (TGA) zu einem Megarisiko. Dieses Thema ist bei dem Projekt Hauptstadtflughafen bezüglich des Brandschutzes und bei der Elbphilharmonie in Bezug auf die Neubearbeitung der Ausführungsplanung für die TGA relevant geworden. Bei anderen Projekten sieht es nicht anders aus. Beim Flughafen Wien musste das gesamte Projekt zunächst abgebrochen werden, um die Ausführungsplanung für die TGA neu zu bearbeiten. Hier offenbart sich auch die Notwendigkeit, Erkenntnisse aus dem IT-Projektmanagement für derartige, mehr technisch basierte Prozesse fruchtbar zu machen. Controlling-Strategien, wie sie etwa bei IT-Projekten für die Fortschrittskontrolle ent- 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 12 REPORT PM_2-2013_1-68: Inhalt 27.03.2013 14: 55 Uhr Seite 12 wickelt worden sind, müssen bei Bauprojekten eingesetzt werden. Die Erkenntnis, dass bei technisch geprägten Projekten die letzten 5 Prozent bis zur Erreichung der werkvertraglichen Ziele mehr als 30 Prozent des Aufwandes erfordern, wird bei beiden bekannten Beispielprojekten bestätigt. Zu guter Letzt hat sich gezeigt, dass sich die technologischen Risiken durch den Einsatz von Generalplanern keineswegs prinzipiell besser beherrschen lassen. 2.3 Nicht zuletzt ist aber auch das Augenmerk auf die erheblichen Qualitätsdefizite der bei Großprojekten des Baus eingesetzten Architekten und Ingenieure zu richten. Zu sehr beschränken sich die Beteiligten auf ihr eigenes Fachgebiet. Zu wenig mitdenkende, interdisziplinär agierende Ingenieure sind vorzufinden. Deutsche Ingenieurbüros sind zudem aufgrund ihrer Größe nicht in der Lage, die bei Großprojekten notwendigen Personalressourcen aus der Stammbelegschaft aufzubieten, sondern ergänzen sich regelmäßig mit sogenannten „Freelancern“, deren Performance erst im Laufe des Projektes beurteilt werden kann und mit denen bislang nie eine erprobte Zusammenarbeit geübt werden konnte. So ist eine in der Breite zu geringe Know-how- und Erfahrungsdichte bei den in innerdeutschen Bauprojekten eingesetzten Ingenieuren festzustellen. Dies mag auch mit Preisverzerrungen (insbesondere einer zu geringen Bezahlung) zusammenhängen, die auf staatliches Preisrecht (HOAI) zurückgeführt werden kann. Die aufgezeigten Aspekte sind nur einige (wesentliche) Ursachenkomplexe für das derzeit festzustellende Scheitern einiger Großprojekte des Hochbaus in Deutschland. Immer spielen auch schlichte Fehlentscheidungen handelnder Beteiligter eine Rolle. Das Intellektualitäts- und Know-how-Gefälle zwischen den Projektbeteiligten ist eine der wichtigen Ursachen für die Eskalation in Großprojekten. Der Anregung von Prof. Rothengatter, mehr vertieftes Know-how, sei es auch durch zusätzliche Expertengremien, in die Großprojekte zu bringen, kann daher nur zugestimmt werden. Dies gilt umso mehr, da die Projekte meist langjährig laufen und die Beteiligten in den Projektmanagementorganisationen der Auftraggeber und Auftragnehmer vielfach wechseln, sodass durchgängige, belastbare Projektstrategien eher seltener vorzufinden sind. Das Scheitern der Megaprojekte im Bauwesen - trotz des jahrzehntelangen Einsatzes erfahrener Projektmanagementbüros - zeigt, dass der Systemansatz Projektmanagement bei der Großprojektrealisierung ergänzender wissenschaftlicher Fundierung bedarf. Dieser Beitrag kann nur einladen, die Diskussion hier zu beginnen und nicht schon im Vorfeld durch einige tradierte Denkansätze abzuschneiden. Die Zeitschrift projektMANAGE- MENT aktuell könnte hierfür ein Podium bieten. ■ Schlagwörter Generalunternehmerschaft, Großprojekte, Projektfehlschläge, Termin- und Kostenschätzungen, „weiche Faktoren“ in Projekten Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.1 Projektmanagementerfolg, 4.1.6 Projektorganisation, 4.1.14 Beschaffung und Verträge, 4.1.15 Änderungen, 4.1.16 Überwachung und Steuerung, Berichtswesen Autor RA Dr. Klaus Eschenbruch ist geschäftsführender Partner des im Bauwesen marktführenden Anwaltsbüros Kapellmann und Partner. Er ist Lehrbeauftragter an der RWTH Aachen und hat zum Thema Projektmanagement vielfältig publiziert, insbesondere in dem nunmehr in der 3. Auflage vorliegenden Buch „Projektmanagement und Projektsteuerung für die Immobilien- und Bauwirtschaft“. Anschrift Kapellmann und Partner Postfach 19 01 15 D-40111 Düsseldorf E-Mail: Klaus.Eschenbruch@kapellmann.de projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2013 l 13 Trauen Sie sich ein komplexes Projekt zu? 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