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PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2013
245 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Wer will schon den Abrissbagger an ‚seiner‘ Kirche sehen?“

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2013
Oliver Steeger
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 l 7 Herr Pfarrer Dargel, in den evangelischen Kirchen im Rheinland und in Westfalen gehört Projektmanagement bereits seit Mitte der 1990er-Jahre zur Ausbildung von Pfarrern - und ist seit 2007 auch Teil des Examens. Jüngere Pfarrer sollten heute sowohl predigen als auch Projekte managen können. Aber wie passt dies zusammen - Pfarramt und Projektmanagement? Matthias Dargel: Die Kirchen in Deutschland befinden sich in starkem organisatorischen Wandel. Und dieser Wandel muss gestaltet werden. Da kommt den Pfarrerinnen und Pfarrern eine besondere Rolle und Verantwortung zu. Wegen der zahlreichen Kirchenaustritte? Die Austritte fallen gar nicht mal so stark ins Gewicht. Hauptsächlich stehen die evangelischen Kirchen vor demografischen Entwicklungen. Die Mitgliederzahlen nehmen insgesamt bereits seit den 1970er-Jahren ab - allerdings mit großen regionalen Unterschieden aufgrund von Wanderungsbewegungen, etwa durch Umzüge, mancherorts wächst eine Gemeinde sogar noch. Wir erkennen also starke, aber unterschiedliche Veränderungen - darauf müssen die kirchenleitenden Gremien reagieren. Etwa, indem Gemeinden fusionieren, nicht mehr benötigte Gebäude aufgegeben werden oder die Verwaltung effizienter organisiert wird. Dieser Wandel ruft bei den Betroffenen Sorgen hervor, manchmal auch Angst. Nicht nur mit ihren Gemeinden steht die Kirche vor einem Wandel, sondern auch bei ihren Einrichtungen wie der Diakonie. Krankenhäuser, Altenhilfe, Einrichtungen für Jugendliche und Behinderte - überall zeichnen sich Veränderungen ab. Es wird mehr Effizienz und Qualität gefordert. Das Gesundheitswesen mit all seinen Reformen war quasi nur die Vorhut. Auch in diesem Bereich müssen die Kirchen mit ihren diakonischen Einrichtungen - wie alle Unternehmen - „Wer will schon den Abrissbagger an ‚seiner‘ Kirche sehen? “ Die evangelische Kirche steht vor umstrittenen Veränderungsprojekten Ein Bürocenter in „meiner“ Kirche? Ein Wohnhaus? Oder eine Kneipe? Fast jedes zehnte Gotteshaus soll in Deutschland zur Disposition stehen. Vom Mitgliederschwund gebeutelt legen die Kirchen Gemeinden zusammen, fusionieren Kirchenverwaltungen und geben Gebäude auf. Auch die Evangelische Kirche im Rheinland steht vor diesem schmerzhaften Wandel. Mehr noch: Sie muss zudem in ihren Einrichtungen - etwa in Altenheimen oder Krankenhäusern - „Changeprojekte“ starten. „Die Veränderungen rufen teils enormen Widerstand hervor“, erklärt Pfarrer Matthias Dargel, der seine Kirche nicht nur von der Kanzel her kennt. Als Projektmanagementexperte und Unternehmensberater hat er viele Projekte des organisatorischen Wandels begleitet. Sein Motto: „Wenn niemand dagegen ist, habe ich nichts verändert.“ Wie er mit hartnäckigem Widerstand politisch geschickt umgeht, erklärt er im Interview. Oliver Steeger Pfarrer Matthias Dargel (Jahrgang1965) studierte Evangelische Theologie und Wirtschaftswissenschaften. Er war sechs Jahre lang Pfarrer, bevor er zu einer Unternehmensberatung nach Hamburg wechselte, bei der er als Partner den Bereich der Beratung von kirchlichen, diakonischen und kommunalen Organisationen ausbaute und verantwortete. 2005 wurde er Vorstandssprecher der Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf, einem der ältesten diakonischen Unternehmen in Deutschland. 2012 wechselte er als Vorstandsvorsitzender zur Theodor Fliedner Stiftung. Darüber hinaus nimmt er Lehraufträge im Predigerseminar Wuppertal (Gemeindeaufbau und Diakonie) und an der Evangelischen Fachhochschule Bochum wahr. Über Aufsichtsratsmandate ist er in die Entwicklung verschiedener großer diakonischer Organisationen im Rheinland aktiv involviert. Foto: Haroc Marcard/ Marcard-Fotodesign PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 7 die Strukturen und Arbeitsweisen permanent anpassen, um handlungsfähig zu bleiben. Die vielen erforderlichen Projekte, die den organisatorischen Wandel vorantreiben sollen, erklären den Bedarf an Projektmanagement. Projekte des Wandels gehören heute zur evangelischen Kirche wie der Gottesdienst am Sonntag. Wie nehmen die Pfarrer die Projektmanagementausbildung an? Bei einigen Pfarrern kommt die Projektmanagementausbildung gut an, bei anderen weniger. Es gibt durchaus Pfarrer, die grundsätzlich jedem Management sehr skeptisch gegenüberstehen, denen schon die Terminologie des Projektmanagements viel zu kalt und zu rational ist. Der Veränderungsdruck ist in den vergangenen Jahren mächtig gewachsen. Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt. In manchen Kirchen sind zum Sonntagsgottesdienst gerade einmal die ersten beiden Sitzreihen gefüllt. Man muss Gemeinden zusammenlegen und Kirchen aufgeben. Der Widerstand gegen diesen Wandel wächst. Die Betroffenen tragen Konflikte öffentlich und in aller Schärfe aus. Demonstrationen, Leserbriefaktionen bis hin zu wüsten Beschimpfungen begleiten die Projekte. Wie kommt es zu diesem plötzlichen Veränderungsdruck? Der Druck kam nicht plötzlich. Die Vorzeichen des Wandels waren in der evangelischen Kirche lange be- PM-Ausbildung für Pfarrer kannt. Um die demografische Entwicklung und die rückläufigen Mitgliederzahlen wissen die Kirchen im Grunde seit vierzig Jahren. Auch die noch stärker rückläufigen Einnahmen aus Kirchensteuermitteln sind seit mindestens fünfzehn Jahren bekannt. Trotzdem wuchs beispielsweise in der westfälischen Kirche noch bis vor zehn Jahren durch Neueinstellungen die Zahl der Pfarrer … … und jetzt werden etwa im Ruhrgebiet Dutzende Kirchen geschlossen und anders genutzt. In einigen entwidmeten Kirchen finden sich heute beispielsweise Hotels, Wohnhäuser oder Restaurants. Oder die Kirchen werden von anderen Glaubensgemeinschaften weitergeführt. Diese Umnutzung ist ein nach außen gut erkennbares Zeichen des Wandels. In manchen Städten des Ruhrgebiets hatte eine Kirchengemeinde zum Beispiel Ende der 1940er-Jahre vielleicht vierbis fünftausend Mitglieder. Durch Zuzug und starke Geburtenjahrgänge wuchs dies in den 1970er-Jahren auf über 20.000 Mitglieder; zusätzliche Kirchen und Gemeindezentren wurden gebaut. Dann fiel die Zahl wieder auf derzeit um die 5.000 Mitglieder - mit weiter sinkender Tendenz. Einige der damals gebauten Kirchen stehen heute in vorwiegend von muslimischen Bürgern bewohnten Stadtteilen. Die Gemeindemitglieder sind in andere Stadtviertel oder ins Umland verzogen. Und so kommt es, dass stark geschrumpfte Gemeinden ihre Gebäude weder aktiv nutzen noch unterhalten können. Das Schiff hat also ziemlich Schräglage. So ist es. Anhand der kommunalen Bevölkerungsstatistiken und -prognosen lässt sich aber sehr gut die Zahl der Kirchenmitglieder hochrechnen und abschätzen, wo die Kirchen beispielsweise in zwanzig Jahren stehen werden. Doch der Widerstand gegen den Wandel ist groß. Solange es geht, halten viele Gemeinden lieber am Status quo fest, an der Kirche, in der man getauft und konfirmiert wurde und in der man geheiratet hat. Über den Widerstand - und den Umgang im Veränderungsprojekt damit - will ich mit Ihnen sprechen. Der Abschied von Gebäuden schmerzt. Aber dies ist doch nicht der einzige Grund für den Widerstand? Die Schließung oder gar der Abriss von Kirchen rührt für viele Menschen an einem wunden Punkt. Die persönliche Biografie, viele Erinnerungen sind mit dem Gebäude verknüpft. Solche Konflikte eskalieren bis in die Medien hinein. Gerade Kirchenmitglieder, die dem kirchlichen Leben sonst eher distanziert gegenüberstehen, werden dann oft sehr aktiv in ihrem Protest gegen die Schließung einer Kirche. Es gibt aber noch eine andere, mindestens ebenso bedeutsame Quelle von Widerstand: Die evangelische Kirche wird auch in ihrer Leitung stark von Ehrenamtlichen getragen, etwa von Mitgliedern der örtlichen Presbyterien oder der Kirchenkreis-Synoden. Widerstand gegen Wandel Kirchen werden umgewidmet 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 8 REPORT Kirchengemeinden stehen vor einem tief greifenden Wandel: Ihnen gehen die Kirchenmitglieder aus - ein demografisches Problem, wie Fachleute wissen. Foto: eyetronic - Fotolia.com PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 8 Diese Ehrenamtlichen wollen in ihrer Gemeinde etwas bewegen. Sie wollen nicht die Angebote reduzieren und etwa Gemeindezentren schließen. Solche „Negativaufgaben“ haben nichts mit dem Selbstverständnis zu tun, mit dem diese Menschen ihr Ehrenamt angetreten haben. Sie sagen, solche Konflikte stehen denen bei „Stuttgart 21“ kaum nach. Wenn Menschen emotional betroffen sind und sich stark engagieren und identifizieren, kann die Auseinandersetzung auch bei Kirchenschließungen in puncto Mittel und Stil gelegentlich eskalieren. Zum Glück gab es bislang keine Polizeieinsätze oder körperliche Gewalt. Aber die in den Medien geführten Auseinandersetzungen machen deutlich, dass viel Enttäuschung und Wut dabei sind. Mit Projektmanagement versucht die evangelische Kirche den Wandel praktisch in den Griff zu bekommen und ihre Veränderungsaufgaben zu kanalisieren. Beispielsweise hat die Evangelische Kirche von Westfalen unter dem Titel „Kirche mit Zukunft“ von 1997 bis 2005 ein groß angelegtes Projekt zum Wandel initiiert. Zukunftsszenarien wurden den Kirchenkreisen und Gemeinden vorgelegt. Es gab Informationsabende. In Diskussionsrunden wurden angemessene Strukturen erörtert. Auch in puncto Projektmanagement wurde geschult. Das Ziel bestand und besteht darin, auch mit weniger Einnahmen und einer kleiner und älter werdenden Mitgliederzahl ein angemessenes kirchliches Angebot für alle sicherzustellen. Die Maßnahmen reichen von Fusionen bei Gemeinden und Kirchenkreisen über größere Verwaltungseinheiten, die leistungsfähiger und effizienter als bisher arbeiten können, bis hin zur Reduktion von Personal und Gebäuden. Konkret? Das Gebiet der Evangelischen Kirche von Westfalen umfasste Ende der 1990er-Jahre 33 Kirchenkreise. Es wurde dann im Rahmen eines Projekts in elf sogenannte „Gestaltungsräume“ gegliedert, denen jeweils drei bis vier Kirchenkreise zugeordnet waren. Innerhalb dieser „Gestaltungsräume“ für die Kirchen Gestaltungsräume sollen dann die Kirchenkreise Partnerschaften schließen bis hin zur Fusion. Ähnliches haben manche Kirchenkreise dann auch jeweils für ihr Gebiet mit den Gemeinden durchgeführt. Die Schwierigkeit: Den selbstständigen Kreisen und Gemeinden können die erforderlichen Fusionen nicht verordnet werden. Und mancherorts ist es auch sinnvoll, „unterhalb“ einer Fusion zu kooperieren und lediglich Verwaltungen, Jugendarbeit oder diakonische Angebote zusammenzuschließen. Hat man Erfolg mit diesen Konzepten? Auf jeden Fall, wenn auch nicht flächendeckend einheitlich. Einige Kirchenkreise und Gemeinden sind schon projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 l 9 Taufe, Hochzeit, Konfirmation - Kirchengebäude sind bei vielen Kirchenmitgliedern fest mit der Biografie verwoben. Wo Kirchen aufgegeben werden, regt sich häufig Widerstand. Foto: elisabetta figus - Fotolia.com Anzeige www.rillsoft.de Download 30-Tage-Vollversion Rillsoft GmbH • Mollenbachstrasse 14 • 71229 Leonberg Tel.: 07152-395745 • Fax: 07152-395744 • E-Mail: info@rillsoft.de Projektmanagement Software - Terminplanung - Ressourcenmanagement - Kapazitätsplanung - Personaleinsatzplanung - Projektportfolio - Integrierter Report-Generator - Terminplanung - Ressourcenmanagement - Kapazitätsplanung - Personaleinsatzplanung - Projektportfolio - Integrierter Report-Generator PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 9 sehr weit. So haben sich beispielsweise die ursprünglich vier Kirchenkreise in Dortmund zu einem zusammengeschlossen und auch die Verwaltung vollständig integriert. Auch viele Gemeindezusammenschlüsse sind zu verzeichnen. Dennoch ist viel Protest zu hören. Manche Gemeinden schließen sich dem Wandel nicht an. Nach evangelischem Kirchenverständnis sind die Gemeinden letztlich selbst verantwortlich dafür, Personal abzubauen oder Gebäude aufzugeben. Sie können nicht „von oben“ dazu gezwungen werden. Deshalb nimmt man vor allem den Weg der Ermutigung und Motivierung: „Macht euch auf den Weg“. Im Projekt wurden Einige Gemeinden schon sehr weit positive Beispiele für den Wandel gesammelt. Man hat Informationen, Prognosen, Szenarien, Ziele sowie Konzepte präsentiert. Angebote zur Strukturierung und Planung des Vorgehens mit dem erforderlichen Projektmanagement wurden unterbreitet. Kann man nicht über die Finanzen das Umdenken erzwingen? Leere Gemeindekassen sind doch ein überzeugender Grund für den Wandel … Das ist auch eine Frage der Wahrnehmung und Transparenz. Das kirchliche Finanzwesen fußte lange Zeit faktisch auf einer Ein- und Ausgabenrechnung auf Jahresbasis - ähnlich wie bei kommunalen Haushalten. Insbesondere der Werteverzehr bei Anlagen und Gebäuden wurde und wird zum Teil bis heute nicht abgebildet. Stichwort „Abschreibungen“ … Lange Zeit ging dies ja auch gut. Jetzt aber stellen viele Gemeinden fest, dass sie die anstehende Sanierung ihrer Immobilien kaum noch bezahlen können. Man hat die Einrichtungen jahrelang auf Verschleiß gefahren, um Veränderungen zu umgehen und so weiterzuarbeiten wie in den Jahrzehnten zuvor. Vielerorts wurde vom Vermögen gezehrt - ohne Nachhaltigkeit zu sichern. Kein inhabergeführtes mittelständisches Unternehmen würde so wirtschaften. Allerdings haben mittlerweile unter anderem die Evangelische Kirche im Rheinland und die Evangelische Kirche von Westfalen begonnen, ein neues kirchliches Finanzwesen einzuführen. Es soll diese Fehlsteuerung vermeiden - ebenfalls ein mehrjähriges Projekt mit vielen Problemen, vor allem bei der EDV und der Anlagenbewertung. Sprechen wir über Strategien. Welche Strategien bieten sich für solche Veränderungsprojekte an? Theoretisch gibt es drei Optionen. Die erste Option: Die Gemeinde nimmt sich über Jahre Zeit für den Wandel und gewöhnt ihre Mitglieder langsam an die Veränderungen. Der Konfirmandenunterricht findet beispielsweise für mehrere Bezirke nur noch in dem Gemeindezentrum statt, das langfristig Bestand haben wird. Hochzeiten und andere Veranstaltungen mit hoher emotionaler Bindung der Kirchenmitglieder werden in die Kirchen verlegt, die langfristig erhalten werden sollen. So werden die Bindungen beispielsweise an bestimmte Gebäude gelockert und damit der Abschied von bestimmten Gebäuden erleichtert. Ein schleichender und wirkungsvoller Prozess. Wo ist der Haken? Der Veränderungsdruck ist anfangs zu niedrig. Kaum jemand geht diesen langen Weg, weil er viele Jahre dauert und viel Erklärungszwang mit sich bringt. Deshalb die zweite Option: Man versucht mit mehreren Gemeinden eine regionale Lösung durch Aufbau einer mittelfristigen Planung. Dies setzt aber politische Einigung voraus. Strategien für den Wandel „Macht euch auf den Weg“ 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 10 REPORT Im Ze berate in ein Sie an FÜR PROJE Immer weniger Kirchgänger: Schätzungsweise jede zehnte Kirche in Deutschland muss geschlossen werden. Foto: Phoxo - Fotolia.com PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 10 Der X-Moment: Wir sind bereit für den nächsten Level. Wird das Projekt gelingen? Sind unsere Prozesse effizient? Können wir diesen Gipfel gemeinsam erreichen? Welche Route sollen wir wählen? Vor uns liegt ein langer Weg, gehen wir’s an! Wird das Team den Wandel mittragen? Im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen Sie. Unsere Experten in sechs Ländern beraten Sie ebenso professionell wie innovativ und begleiten Sie mit großem Einsatz in eine erfolgreiche Zukunft. Effiziente Lösungen und begleitendes Training bringen Sie an Ihr Ziel. FÜR X-MOMENTS, DIE BEWEGEN. www.nextlevelconsulting.eu PROJEKTMANAGEMENT | PROZESSMANAGEMENT | CHANGE MANAGEMENT PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 11 Wie sieht die dritte Option aus? Das kurzfristige Hau-Ruck-Verfahren. Das Geld ist „plötzlich“ weg. Mit allen Schmerzen und Verwerfungen, die beim Handeln unter großem Zeitdruck entstehen, wird ein Gebäude geschlossen oder abgegeben. „Sachzwänge“ sind dann das Argument. Dafür müssen die Verantwortlichen dann aber auch „schlechte Presse“ und kurzfristig massiven Widerstand aushalten können. Sprechen wir von der Diakonie. Die evangelische Kirche ist auch Unternehmerin. In der Diakonie mit ihren Einrichtungen für Senioren, Behinderte und Jugendliche sind allein im Rheinland und in Westfalen weit über 100.000 Hauptamtliche beschäftigt. Diese Einrichtungen unterliegen ebenfalls einem Wandel. Allein die Finanzierung etwa von Krankenhäusern, Jugendarbeit oder Altenhilfe hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Wer so wie vor zehn Jahren wirtschaftet, steht bald vor leeren Kassen. Das ist richtig und betrifft aber nicht nur die Kirchen und ihre Diakonie. Die sogenannte Ökonomisierung des sozialen Handelns ist staatlich gewollt und Teil einer Veränderung gesellschaftlicher Steuerungsprozesse in Deutschland insgesamt. Aha? Inwiefern? Grob gesagt, früher haben die sozialen Einrichtungen ihre Kosten auf Nachweis mehr oder weniger komplett erstattet bekommen. Dabei wurden die höheren kirchlichen Tarife ebenso anerkannt wie manche diakonische „Zusatzleistung“, beispielsweise ein Krankenhausseelsorger. Heute rechnet man in Fallpauschalen, Fachleistungsstunden oder Pflegestufen. Die Preise sind gedeckelt. Die Leistungen sind statistisch normiert über alle Anbieter, sei es privat, öffentlich oder kirchlich. Diakonische Zusatzleistungen müssen nun über Gewinne oder Spenden finanziert werden. Hinzu kommt: Die Preisfindung erfolgt dabei nicht immer nach tatsächlichen Kosten, sondern manchmal einfach nach Kassenlage der Versicherungssysteme oder öffentlichen Haushalte. Stichwort „Kostendruck“. Was ist zu tun? Zunächst: Strukturell wird es weniger mittelgroße Einrichtungen geben. Entweder eine Einrichtung positioniert sich als relativ kleiner Nischenanbieter ohne teuren Overhead - allerdings in der Regel auch ohne großes Innovations- und Investitionspotenzial - oder es gibt Zusammenschlüsse zu Großunternehmen mit mehreren Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dann: Prozesse müssen effizienter gestaltet werden - so, wie man es aus der Wirtschaft kennt. Dies ruft teilweise massive Widerstände unter den Mitarbeitern hervor, vor allem im mittleren Management. Dort kommt es in der Regel zu den meisten Veränderungen. Und auch hier gilt: Die Einrichtungen der Diakonie sind selbstständige Unternehmen. Niemand kann ihnen zentral ein strategisches und ökonomisches Denken verordnen. Augenblick! Der Geschäftsführer oder der Vorstand einer Stiftung, die eine Einrichtung trägt, haftet doch. Eine gewisse Einsicht in ökonomische Notwendigkeit darf man voraussetzen. Natürlich gibt es eine Haftung für grobe Pflichtverletzung oder Verschulden. Aber einen verantwortlichen, persönlich haftenden Eigentümer im klassischen Sinne suchen Sie bei diesen Einrichtungen vergebens. Denn der Anlass für die Gründung eines solchen Unternehmens war ja auch nicht der Wunsch, Eigentum zu bilden. Es geht um das Hilfsangebot bei sozialen oder gesundheitlichen Problemen in der Gesellschaft. Viele Mitarbeiter dieser Einrichtungen halten bis heute diese Ökonomisierung und die damit verbundenen Managementaufgaben für unvereinbar mit ihrem Auftrag. Sie wollen individuell auf Menschen eingehen. Dieser Wunsch reicht bis in die Vorstände hinauf. Die Einführung von Leistungsnormierung und Festpreisen führt hingegen zur Rationalisierung und Standardisierung der sozialen Arbeit. Die dabei empfundene Kälte widerspricht dem beruflichen Selbstbild vieler Mitarbeiter. Argument „Kostendruck“? 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 12 REPORT Mitarbeiter der Krankenhäuser befürchten, dass Changeprojekte zur „Ökonomisierung“ von Medizin und Pflege führen. Foto: Gina Sanders - Fotolia.com Auch die Einrichtungen der Kirche müssen sich anpassen und Projekte des organisatorischen Wandels durchführen. Foto: Peter Atkins - Fotolia.com PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 12 Dort Gewinnstreben und Ökonomisierung, hier Mitmenschlichkeit und tätige Nächstenliebe? Ich begegne in diakonischen Einrichtungen viel intrinsischer Motivation, also Motivation, die sich aus dem Interesse an dem sozialen Beruf und dem Helfenwollen speist. Es gibt besondere Gründe, weshalb jemand Arzt, Pflegekraft oder auch ehrenamtlicher Mitarbeiter wird. Dieses Für-andere-da-Sein hat bei diesen Menschen sicher einen höheren Stellenwert als sonst in der Gesellschaft. Manche verdeutlichen dies an einem Dreieck, dessen drei Spitzen die Begriffe „Struktur“, „Kultur“ und „Ziele“ bilden. Die Mitarbeiter verorten sich also auf der Achse „Kultur - Ziele“ … … derweil die Strukturaspekte subjektiv in den Hintergrund treten. In diesem Punkt unterscheiden sich die diakonischen Unternehmen sicher von Organisationen der Wirtschaft, hier ist vermutlich die Achse „Ziele - Struktur“ viel dominanter ausgeprägt. Da bleibt manchmal die Kultur auf der Strecke … Mangelnde Kultur wird ja der Wirtschaft häufig vorgeworfen, gerade von Menschen aus sozialen Berufen. Ja, das ist ein kaum überprüfbares Vorurteil. Es prägt aber das eigene Handeln in Kirche und Diakonie erheblich: „So wie in der Wirtschaft wollen wir nicht sein.“ Aber der Widerstand richtet sich ja nicht nur gegen die vermeintliche oder tatsächliche Ökonomisierung, sondern gegen fast jeden Wandel. Beispielsweise will die Geschäftsführung den Organisationsaufbau restrukturieren und die Abläufe verändern. Die Mitarbeiter widersetzen sich. Sie sind auch über Sachargumente kaum zu erreichen. Da spielt viel Emotionales mit. Richtig. Mit den klassischen Sachargumenten erreicht man insbesondere intrinsisch motivierte Mitarbeiter nicht, also Menschen, die man mitunter „Überzeugungstäter“ nennen kann. Dies können Sie anhand der Konflikte von „Stuttgart 21“ gut studieren. Niemand kann die hartgesottenen Projektgegner mit Sachargumenten überzeugen. Es handelt sich um Menschen mit Idealen, mit innerer Überzeugung und festen Wertvorstellungen, aus denen heraus sie gegen das Projekt sind. Dies gilt auch für viele Mitarbeiter in der Medizin oder Pflege. Inwiefern? Das Ökonomische gehört nicht vorrangig zum Selbstbild der Mitarbeiter - zumindest so lange, wie die Mitarbeiter keinen persönlichen Veränderungsdruck, also eigene ökonomische Not spüren. Veränderungen „nur“ aus Gründen der Wirtschaftlichkeit werden in der Regel abgelehnt. Die Ökonomisierung wird von den Mitarbeitern als Beitrag zur Rationierung von Leistungen erlebt, daraus ergibt sich die eher ablehnende Haltung auch gegenüber vielen Managementbausteinen. PM zunächst abgelehnt Emotional gefärbte Widerstände Auch gegen das Projektmanagement? Projektmanagement versachlicht und rationalisiert Entwicklungsprozesse. Man bringt einen bestimmten Prozess von Entscheidungen und Ausführung in eine logische Reihenfolge. Bei den Mitarbeitern steht hingegen die ganz und gar nicht immer sachlogische individuelle Beziehung zum Klienten im Vordergrund. projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 l 13 Viele Einrichtungen wie Krankenhäuser, Rehakliniken oder Pflegeheime sind mit den Kirchen verbunden. Foto: Robert Kneschke - Fotolia.com Sichern Sie Ihren Erfolg durch unsere Expertenteams aus China und Taiwan. Wir sind Profis in PM-Beratung, Echtzeit-Controlling, Führungs-Coaching, Team-Bildung und interkulturellem Training. www.huang-jaumann.de MANAGEMENT KNOW-HOW FÜR CHINA-PROJEKTE China-Projekte effektiv durchführen. Wir zeigen den Weg. Anzeige PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 13 Angebote zum Projektmanagement - etwa Schulungen - laufen also ins Leere? Zumindest ist es sehr schwer, einen akzeptierten Zugang zu finden. Einen zunächst schwer zu durchschauenden Gruppenprozess methodisch transparent zu machen, professionelle Beziehungen zu versachlichen gilt manchmal schon als menschenverachtend. Die Methode steht von ihrem eigenen Anspruch her dem entgegen, was diese Menschen erwarten und wollen. Diesen Widerstand kennen wir auch von den Versuchen her, Qualitätsmanagement im sozialen Bereich einzuführen. Bestimmte Beziehungsprozesse im Geschehen etwa zwischen Pflegekraft, Arzt und Klient sollen in eine nachvollziehbare, standardisierte Form gebracht werden. Qualitätsmanagement rationalisiert diese Prozesse, macht sie messbar und überprüfbar. Dies verbessert die Verlässlichkeit und Güte einer Dienstleistung. Aber wie will man so etwas wie menschliche Zuwendung in dieses Raster pressen? Beziehungsgeschehen, so entgegnen Kritiker, kann man halt nicht rationalisieren. Man erreicht mit dem Management offenbar eine Grenze. Sicher kann man menschliche Zuwendung nicht standardisieren. Doch sind viele, vielleicht sogar die meisten Tätigkeiten etwa von Ärzten und Pflegekräften nicht von menschlicher Zuwendung geprägt. Es ist technisches Handeln - oft ohne Patientenkontakt. Standardisierung und Technisierung macht einen Teil dieser Prozesse günstiger sowie sicherer und besser. Betten zu reinigen, eine Operation vorzubereiten, eine Pflegeplanung zu erstellen - dies alles ist Sacharbeit und keine Beziehungsarbeit. Hier kann man gut technisch rationalisieren, ohne die Patientenbeziehung zu beeinträchtigen. Ähnliches gilt für das Projektmanagement. Viele Aufgaben auch im Gemeindeleben und in der Diakonie kann man versachlichen - zumal dies unter dem Strich dem Klienten zugutekommt. Und offen gesagt: Dies wissen viele Mitarbeiter in der Regel auch. Was steckt also letztlich hinter dem Widerstand und steht dem Wandel entgegen? Der Wandel verändert massiv den Beruf etwa von Ärzten oder Pflegepersonal. Ein Beispiel: Die Pflegeausbildung in Deutschland war lange davon geprägt, dass jede Pflegekraft „alles“ macht. Dies führt insbesondere bei kurzen Verweildauern der Patienten und knappem Personal zu permanenten Informationsdefiziten und zu Verwirrung beim Patienten, wer denn sein Ansprechpartner sei. Daher orientieren sich heute viele Krankenhäuser verstärkt an dem im Ausland verbreiteten „Primary- Nurse“-System. Der Patient hat genau eine Pflegekraft als Ansprechpartner, als Bezugspflegekraft. Genau! Diese überwacht den Pflegeprozess und setzt die anderen Kräfte passend ein. Der Patient fühlt sich interessanterweise dadurch besser versorgt und informiert. Dieses System verändert den Pflegeberuf massiv. Während die Bezugspflegekraft eher aufgewertet wird (tendenziell auch in der Ausbildung etwa durch ein Bachelorstudium), entfallen manche anderen Arbeitsplätze für Pflegekräfte zugunsten von Servicekräften. Und nicht jeder hat mehr den gleichen Kontakt zum Patienten und das Gefühl, er sei Bezugsperson für den Patienten. Dies stört nicht nur das Selbstbild der Mitarbeiter, sondern betrifft auch Entlohnungsfragen und einen ganzen Berufsstand. Um es auf den Punkt zu bringen: Einrichtungen im Gesundheitswesen sind sogenannte „Expertenorganisationen“. In diesen Organisationen machen einzelne Mitarbeiter deswegen Karriere, weil sie über Expertenwissen verfügen, oft sogar als Einzige. Will ich etwas verändern oder gar Abläufe standardisieren, gehe ich damit an die Grundinteressen der Stakeholder. Ein Projektmanager in der Diakonie sollte daher die Stakeholder mit ihren speziellen Sichtweisen sehr genau kennen. Er sollte versuchen, die Wurzel des Widerstands schnell zu erreichen. Und nicht immer sind das dann Sachargumente, sondern oft trifft er dann auch auf Ängste vor Statusverlust oder auf Erwartungen, die sich aus dem Berufsbild ableiten. Leicht gesagt! Einige Einrichtungen nehmen lieber eine Teilschließung in Kauf, als dass sie ihre Arbeitsweise modernen Anforderungen anpassen. Mit Sachargumenten, dies sagten wir, lässt sich der Widerstand nicht überwinden … … solange der Veränderungsdruck fehlt. Die Kunst bei solchen Projekten ist es, einerseits den Problemdruck der Geschäftsführung in den Problemdruck der Mitarbeiter zu verwandeln und andererseits diesen mit einem Veränderungssog, also einer positiv besetzten Lösungsidee, zu verbinden. Es braucht also immer zweierlei, einen spürbaren Problemdruck und eine attraktive Lösungsidee - und zwar immer aus Sicht der Mitarbeiter und möglichst auch der Patienten. Die erkennbaren Vor- „Berufsbild“ im Fokus der Diskussion Mitarbeiter Problemdruck spüren lassen 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 14 REPORT Stakeholdermanagement in Krankenhäusern: Interessengruppen wie Ärzte und Pfleger müssen beim organisatorischen Wandel mit einbezogen werden. Foto: lilibella - Fotolia.com PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 14 teile und die anlassgebenden Notwendigkeiten für das Changeprojekt müssen von den beteiligten Mitarbeitern verstanden werden. Im Umkehrschluss …? Sind sich die Mitarbeiter einig, dass weder sie noch die Klienten ein Problem haben, sondern nur die Geschäftsführung - dann hat es das Projektmanagement richtig schwer. Dies ist, oft aus Zeitgründen, bei vielen Veränderungsprojekten die Hauptursache für großen Widerstand. Anlass und Ziel des Projekts bleiben den Betroffenen fremd. Auf der einen Seite sollen sie schmerzhaft ihr Selbstbild verändern, auf der anderen Seite sollen offenbar „nur“ die Probleme der Geschäftsleitung gelöst werden. Angenommen, der „Worst Case“ tritt ein. Die Mitarbeiter verschließen sich Sachargumenten. Ein harter Kern von Projektgegnern sträubt sich mit aller Macht gegen die geplanten Veränderungen; Zorn und Wut schäumen hoch, der Widerstand zieht in der gesamten Belegschaft Kreise, es droht ein Flächenbrand. Was kann ein Projektmanager tun? Diskussionen fruchten in dieser Situation kaum noch. Er kann versuchen, eine kritische Masse zu gewinnen. Mit Mehrheiten arbeiten? Wie darf ich dies verstehen? Bei Veränderungsprojekten beobachte ich immer wieder ein Muster: Ein verhältnismäßig kleiner Teil der von dem Projekt betroffenen Stakeholder wendet sich anfangs gegen das Projekt, eine weitere kleine Gruppe begrüßt es von Anfang an. Beide Gruppen umfassen normalerweise jeweils rund 20 Prozent der Stakeholder. Der Rest - also bei Weitem die Mehrheit! - ist unentschieden. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Erstens, wie kann der Projektmanager die große Gruppe der Unentschiedenen auf seine Seite bekommen? Zweitens, wie kann er die Gruppe der Gegner möglichst ruhigstellen? Denn die Kritiker werden ebenfalls versuchen, die Unentschiedenen für sich zu gewinnen. Letztlich geht es bei solchen Projekten des organisatorischen Wandels immer um Mehrheiten, es handelt sich um einen politischen Prozess. Das Projekt „Stuttgart 21“ hat diesen Prozess deutlich gemacht. Eine kleine Gruppe von Kritikern und Gegnern hat virtuos die öffentliche Meinung für sich genutzt, etwa über die Presse, über das Internet oder auf Kundgebungen. In dem schrillen Getümmel sind die positiven Botschaften zum Projekt hoffnungslos übertönt worden. Eben in diesem Punkt liegt die Lösung. Die Kritiker sind normalerweise nicht von Anfang an laut. Sie formieren ihren Widerstand erst während des Projekts. Anfangs wollen sie sich vielleicht auf die Veränderungen sogar noch einlassen. Der Widerstand regt sich erst, wenn die Kritiker merken, dass zentrale Bedingungen nicht erfüllt werden oder die Veränderungen zu massiv ihre Vorstellungen infrage stellen. Zu diesem Zeitpunkt sollte dann aber das Projekt mit positiven Botschaften schon gepunktet haben. Es muss mit seiner Kommuni- Mit Mehrheiten arbeiten kation schneller, immer einen Schritt voraus sein und die Themen bereits formuliert haben. Die Kommunikation wird also stark von der Zeit getrieben. Hinter der Kommunikationsplanung muss eine stringente Zeitplanung stehen. Steht das Projekt einmal in der Defensive, wird es sehr mühsam. Die Chancen auf ein wenigstens mehrheitlich akzeptiertes Finale sinken. Kleiner Exkurs: Auch beim Berliner Hauptstadtflughafen hat man von Anfang an versucht, positive Botschaften zu senden … … die sich dann leider von der Realität abgekoppelt haben. Der Kommunikation fehlte es an Substanz, irgendwann ist die Blase dann geplatzt. Bei „Stuttgart 21“ dagegen scheint es mir so, dass man von vornherein in der Defensive war und gar nicht erst dazu gekommen ist, die öffentliche Diskussion mit positiven Botschaften zu bestimmen. Gegen die laute Stimme der Gegner ist dieses Projekt zumindest am Anfang nicht angekommen. Dies zeigt, wie kompliziert diese Kommunikationsaufgaben sind. Die Kommunikationsaufgaben können im Einzelfall wirklich sehr schwierig sein. Aber: Die Phase der Kommunikation, Ideenfindung und Meinungsbildung ist die Hauptaufgabe bei solch einem Projekt. Darauf muss das Projektmanagement anfangs seine Kraft konzentrieren. Zum einen muss die Sachlösung vorankommen, zum anderen die Kommunikation gut organisiert werden. Dies ist häufig ein Zielkonflikt. Ein Zielkonflikt - weshalb? Manche Projektmanager kommunizieren endlos mit Gruppen und Gremien, weil sie Beteiligung herstellen wollen - bringen aber das Projekt sachlich nicht voran. Dies ist eine verbreitete Falle bei Projekten Zielkonflikte bei der Kommunikation projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 l 15 Der Kostendruck erfordert die Neugestaltung von Prozessen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Foto: M. Schuppich - Fotolia.com PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 15 des organisatorischen Wandels gerade in Diakonie und Kirche! Gestatten Sie mir bitte einen Einspruch! Stakeholder wollen ihre Bedenken und Sorgen äußern. Widerstand braucht seinen Ort - gleich, ob er das Projekt weiterbringt oder nicht. Richtig! Manche Stakeholder sind beispielsweise voll zufrieden, wenn ihre Bedenken gehört und sichtbar Teil des Projekts werden. Widerstand braucht seinen Ort im Projekt, wie Sie sagen. Projektmanager sollten also hinreichend viele Orte für Kommunikation und Beteiligung schaffen. Dafür müssen Zeit und Raum zwar klar angekündigt, aber begrenzt sein. Sonst drohen bei der Kommunikation Endlosschleifen. Man tritt von der Sache her auf der Stelle. Welche Methoden bieten sich für die Kommunikation an? In der Kirche arbeitet man gerne mit Großgruppenmoderation. Sie bringt viele Stakeholder in einen Raum; jeder darf in einem geregelten Verfahren das Wort ergreifen und seine Sichtweise einbringen. Dies hat auch für den Projektmanager Vorteile. Er lernt bei solchen Veranstaltungsformen alle wichtigen Argumente und deren Vertreter kennen. Er kann diese dann im weiteren Verlauf gut einbinden, ohne die Ziele des Vorhabens und die optimale Sachlösung aus dem Blick zu verlieren. Aber: Nicht immer ist das, was eine Gruppe als Kompromiss anbietet, auch eine sachlich gute Lösung. Der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger soll einmal gesagt haben, ein Kompromiss sei nur dann gerecht, brauchbar und dauerhaft, wenn alle Parteien damit unzufrieden sind. Weshalb ich Kissinger zitiere: Die Kommunikation mit Stakeholdern gestaltet sich häufig schwierig - weil die Stakeholder sich selbst nicht einig sind. Der „brauchbare“ Kompromiss Und weil Rollen und unterschiedliche Betroffenheit berücksichtigt werden müssen. Ein Beispiel: Ein Krankenhaus will einen neuen OP-Trakt bauen. Es soll mit der Stakeholder-Gruppe „Ärzteschaft“ mit angenommen 120 Ärzten aus zehn Fachabteilungen gesprochen werden. Diese Fachabteilungen sind von dem Vorhaben unterschiedlich betroffen. Die erste Frage, die sich stellt: Wer spricht mit wem? Mit den Chefärzten spricht die Geschäftsführung, nicht der Projektmanager. Mit den übrigen Ärzten kann eventuell der Projektmanager sprechen; vielleicht nur unter Einbeziehung des zugehörigen Chefarztes. Krankenhäuser sind steil hierarchisch organisiert. Dies passt nicht unbedingt zur projektorientierten Arbeitsweise … Die Rollen und Hierarchien sind also zu klären. Wie sieht es in der Sache selbst aus? In der Sache selbst werden sich die Anästhesisten vielleicht auf den neuen Arbeitsplatz freuen. Einigen Chirurgen hingegen missfällt vielleicht die Gewöhnung an einen neuen OP-Tisch. Den Internisten ist die Veränderung weitgehend gleichgültig, da sie kaum im OP-Bereich arbeiten. Würden Sie in dieser Situation die Ärzte kollektiv befragen, ständen Sie am Ende vor einer Kakofonie von Stimmen aus unterschiedlichen Motivationslagen heraus - und die Mehrheit wäre auf jeden Fall dagegen. Wem also wollen Sie glauben? Dem, der am lautesten ruft? Möglicherweise wettert der internistische Chefarzt am lautesten gegen einen neuen OP-Trakt - obwohl er ihn gar nicht nutzen wird. Aber er ist vielleicht besonders anerkannt im Ärzteteam oder fürchtet Geldmangel für seine eigenen Anliegen. Daher muss man auch ihn individuell für eine optimale Sachlösung ins Boot holen. Kurz und gut - was ist zu tun? Hier gibt es leider kein Patentrezept. Manchmal kommt man nur in Einzelgesprächen voran - immer die Hierarchie und die „politische Augenhöhe“ im Blick. In anderen Projekten bleibt einem nichts anderes übrig, als politisch zu verhandeln, also Angebote zu machen, die vielleicht gar nichts mit dem Projekt zu tun haben. … der klassische Kuhhandel? ! ? Etwa dem Arzt neue Gerätschaften anbieten, den Pflegekräften verbesserte Dienstpläne? Zur Not, ja. Zumindest Sicherheit verschaffen, dass die Ziele dieser Mitarbeiter auch Berücksichtigung finden. Ich kenne kaum einen Projektmanager, der von sich aus solche Angebote machen darf. In der Tat, die Projektleitung kann solch einen „Deal“ nie allein aushandeln. Dafür muss das Projekt hoch verankert sein, möglichst direkt bei der Geschäftsführung. Der Projektmanager muss sich also einerseits in seiner Rolle klar an seine Möglichkeiten halten; er muss sich hüten, zu viel zu versprechen. Andererseits muss er kurzfristig die entscheidungsfähigen Personen an den Tisch holen können. Und die müssen bei Zugeständnissen Wort halten können. Dieses politische Verhandeln ist die „Kuhhandel“ als Notlösung? 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 16 REPORT Die Interessen der unterschiedlichen Stakeholdergruppen im Krankenhaus unter einen Hut zu bringen - dies gilt als schwierige politische Aufgabe. Foto: Rido - Fotolia.com V I THOST Projek Planu Immo Leistu Hande Für die Karrie Pforzh Moska THOST PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 16 V I S I O N E N W E R D E N W I R K L I C H K E I T THOST Projektmanagement zählt zu den führenden Unternehmen im Projektmanagement. Wir koordinieren und steuern die Entwicklung, Planung und Realisierung komplexer Projekte in den Bereichen Immobilien, Mobilität, Anlagen und Energie. Mit einer einzigartigen Leistungsbandbreite betreuen wir Kunden aus Industrie, Gewerbe, Handel und der Öffentlichen Hand. Für diese anspruchsvollen Herausforderungen bieten wir hervorragende Karrierechancen im Projektmanagement - regional und international: Pforzheim, Berlin, Duisburg, München, Hannover, Hamburg, Köln, Moskau, Abu Dhabi, Luzern und Mumbai. THOST Projektmanagement GmbH · Villinger Str. 6 · D-75179 Pforzheim · Tel +49 72 31 15 60-0 · info@thost.de PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 17 „kleine“ Variante, oft gebraucht und vergleichsweise geräuschlos; sie braucht aber Zeit und strategische Perspektive. Die andere Variante? Schnell und hart das Projekt durchziehen. Wenn die Einrichtung quasi mit dem Rücken zur Wand steht und Sachzwänge Eile erfordern, dann muss man konsequent und schnell das Projekt durchziehen. Dann verzichtet man auf ein Beteiligungsprojekt und organisiert eine Sanierung oder Teilsanierung. Proteste und in die Öffentlichkeit getragene Diskussionen sind dann in Kauf zu nehmen; man kann sie über begleitende Kommunikation abmildern, aber nicht vermeiden. Die Überlegung einiger Projektmanager: Lohnt es sich, ein großes Veränderungsvorhaben in kleine, nacheinander zu bearbeitende Projekte aufzuspalten? Der Vorteil liegt auf der Hand: Diese kleineren Projekte könnten besser vermittelt werden. Man hat mit einer überschaubaren Zahl von Stakeholdern zu tun. Quasi eine Salamitaktik. Der Wandel wird den Mitarbeitern scheibchenweise verkauft. Ein Lob der „Salamitaktik“! Eine durchaus naheliegende Strategie. Aus meiner Erfahrung befürworte ich diese Vorgehensweise sehr - sofern das Gesamtvorhaben für alle transparent und „die ganze Salami“ sichtbar bleibt. Dann gibt die Geschäftsleitung das Ziel sowie eine Reihe von zugehörigen Projekten bekannt, das Projektmanagement startet aber zunächst nur das erste. Um in Ihrem Bild zu bleiben: Die Geschäftsleitung als Auftraggeber verwendet die Salamitaktik, zeigt aber zunächst die ganze Wurst, die scheibchenweise und mundgerecht zerteilt wird. In diesem Punkt muss Ehrlichkeit und Offenheit herrschen! Also kein verdecktes Spiel, keine „Guerilla“-Taktik. Was ist außerdem wichtig für die Salamitaktik? Die einzelnen Schritte müssen zeitlich sortiert sein, man braucht Termin-Wegmarken. Was wird sofort angegangen, was erst in fünf Jahren? Dann können sich die Stakeholder besser darauf einstellen. Sie wissen, dass der Wandel auch sie erreicht, dass dies aber noch etwas dauert. Des Weiteren: Die Geschäftsführung muss eine langfristige Veränderungsstrategie haben. Sie muss heute angeben, welche Themen sie in drei bis fünf Jahren angehen will. Und: Auch dieser Projektserie muss - wie generell bei Veränderungsprojekten - eine ausgiebige Analysephase vorausgehen. Dies vergessen viele Projektmanager, wenn sie anfangs unter Zeitdruck stehen. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 18 REPORT Abläufe in der Medizin umzugestalten erfordert Umdenken. Die Ziele von Changeprojekten stehen häufig auch im Konflikt mit dem Selbstbild von Medizinern und Pflegepersonal. Foto: Franck Boston - Fotolia.com PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 18 Stakeholderanalyse - darüber haben wir eben gesprochen. Geht es jetzt um Problemanalyse? Ich spreche jetzt nicht von der Diskussion über Lösungswege und Konzepte. Es geht hier nicht um den Veränderungssog, sondern um die Präzisierung und Vermittlung des Problemdrucks. Es geht um eine vorangehende grundsätzliche Verständigung, um eine Analyse der IST-Situation. Der Geschäftsführungskreis einer Organisation mag sich über Schwierigkeiten bei den Abläufen einig sein. Doch dies bedeutet nicht automatisch, dass auch die Mitarbeiter zu einem ähnlichen Analyseergebnis kommen. Die Mitarbeiter sehen vielleicht ganz andere Probleme. Das Bewusstsein, dass man etwas verändern muss, ist nicht bei allen Gruppen gleich ausgeprägt. Zum Beispiel? Um bei dem Krankenhaus zu bleiben: Die Geschäftsführung bemängelt die hohen Personalkosten im OP- Bereich und will Prozesse verbessern. Die Mitarbeiter haben dagegen ein ganz anderes Bild. Es fehlt ihnen etwa an Kollegen, der Krankenstand ist hoch oder es fehlt an Material. Diese Sichtweisen in Übereinstimmung zu bringen, setzt einen längeren Prozess voraus. Aus den unterschiedlichen Sichtweisen resultiert auch der Widerstand. Projektmanager sollten dieser Analysephase möglichst viel Zeit geben. Eine gut abgeschlossene Analysephase bildet später immer die Basis für eine breite Akzeptanz. Je besser das Problem formuliert ist, desto eher kann man sich auf einen Kompromiss verständigen oder die vorhin genannte Gruppe der Unentschiedenen auf die Seite der Unterstützer führen. Eben diese Zeit fehlt in vielen Veränderungsprojekten. Häufig haben die Projektmanager schon viele Monate mit der Geschäftsführung, dem Aufsichtsrat und anderen Gremien die Probleme analysiert. Ein weiteres halbes Jahr mit den Mitarbeitern in Analyse-Workshops zu diskutieren - dies ist kaum vermittelbar. Ein Problem, mit Sicherheit. Kommt eine Geschäftsführung zur Erkenntnis von Problemen, ist meistens auch schon Geld im Spiel. Dann hat sich vermutlich bereits ein Stau an Veränderungsprojekten gebildet. Es geht nur noch um Zeit und Tempo. Leider. Neben der Zeitnot berichten einige Projektmanager von einem weiteren Problem. Sie analysieren mit ihren Stakeholdern die Probleme, sie suchen mühsam Kompromisse, schließen Vereinbarungen; geht es an die Umsetzung, wollen einige Gruppen nichts mehr von ihren Zusagen wissen und sich nicht an das Vereinbarte erinnern. Dann werden längst abgeschlossene Arbeitspakete wieder aufgeschnürt. Ich habe selbst einige Projekte geleitet, bei denen wir viele Stakeholder in der Analyse mitgenommen haben, alles gut zu laufen schien - und dann der Widerstand ausbrach. Die Leute standen nicht mehr zu dem, was sie Wochen zuvor noch gesagt hatten. Plötzlich gab es viele Schwierigkeiten. Es war aus unterschiedlichen Unterschiedliche Sichtweisen übereinbringen Gründen kein Konsens mehr möglich. Viele konnten sich mit einem Mal nicht mehr erinnern, bereits bestimmte Lösungen mit erarbeitet zu haben. Was ist zu tun? Man muss die Zwischenergebnisse sichern, beispielsweise nach Meilensteinen. Dies wird häufig vergessen. Es geht darum, diese Ergebnisse transparent festzuhalten und den Beteiligten gegenüber „öffentlich“ zu machen. Alle Beteiligten müssen verinnerlichen, dass niemand mehr hinter ein Zwischenergebnis zurückgehen kann. Konkret? Das Projektmanagement muss die erzielten Zwischenergebnisse immer wieder zurückkoppeln - sowohl an den Auftraggeber als auch an die Stakeholder. Insbesondere die Gruppe der „Unentschiedenen“ muss über Zwischenergebnisse auf dem Laufenden gehalten werden. Der Projektmanager muss offen spielen und manchmal sogar winzige Schritte kommunizieren. Dieser dauerhafte Dialog hat neben der Sicherung von Zwischenergebnissen einen weiteren Effekt: Die Transparenz und das ständige, nachhaltige Kommunizieren nimmt auch den Kritikern den Wind aus den Segeln. Sie stellen fest, dass offener Dialog eine Stärke des Projekts ist und sie mit ihren Offensiven schwer dagegen ankommen. Nochmals zur Analysephase. Sie empfehlen, die Konzeptionsphase von der anschließenden Umsetzungsphase zu trennen. Diese Trennung hat einen wichtigen Grund. Gerade bei Projekten in der evangelischen Kirche habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Konzeptionsphase mit der Beteiligung der Stakeholder und der Kompromisssuche das Herzstück von Projekten des organisatorischen Wandels bildet. Der Erfolg hängt stark von den Ergebnissen der Analyse und Konzeption ab. In einem ersten Schritt wird das Problembewusstsein geweckt bis hin zu dem allgemein geteilten Willen, eine Lösung zu suchen. Manchmal lässt sich dann der Lösungsraum hinreichend grob beschreiben. Manchmal muss nach dieser Analysephase noch eine weitere Konzeptionsphase durchgeführt werden, die dann mit einem klar definierten Lösungsvorschlag endet. Dies ist der erste, der politische Teil. Der zweite Teil, die Umsetzungsphase ist dann der technische Teil. Da geht es um Feinkonzepte, Detailkonzepte, vielleicht Pilotmaßnahmen bis hin zur eigentlichen Umsetzung. Kann man die Phasen in der Praxis so sauber trennen, wie Sie es beschreiben? In der Praxis kann ein Kompromiss aus der ersten Phase in der zweiten Phase wieder infrage gestellt werden. In diesem zweiten Teil darf es eigentlich keine politischen Nachbesserungen mehr geben, nur noch technisch- (Zwischen-)Ergebnisse transparent machen „Point of no Return“ setzen projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 l 19 PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 19 sachliche Justierungen. Es gibt also immer einen „Point of no Return“, dies meinte ich eben mit der Sicherung von Zwischenergebnissen. Es darf keine politischen Nachbesserung mehr geben. Aus der Praxis wissen wir aber, dass es sie gibt. Daran ist auch die Projektleitung nicht immer ganz unschuldig. Manchmal sind beispielsweise die politischen Beschlüsse am Ende einer Konzeptionsphase extrem weich gefasst; sie kann man in der Praxis nicht umsetzen. Dahinter steht auch die Strategie einiger Stakeholdergruppen: Sie einigen sich bewusst auf eine schwammige Formel, weil sie in der zweiten Phase noch zu ihren Gunsten nachbessern wollen. Also muss der Projektmanager darauf achten, dass es am Ende der Konzeptionsphase zu einem konkreten Beschluss kommt, mit dem weitergearbeitet werden kann. Dieser Beschluss markiert ein Feld, das nicht verlassen werden darf. Hilfreich ist die Vorstellung, eine andere Projektleitung führe diesen Beschluss aus, die vorher nicht beteiligt war. Dann die Kernfrage: Was muss im Beschluss stehen, damit diese „neue“ Projektleitung das Projekt gut und zielkonform durchführen kann? Welche Rolle hat der Projektmanager in diesem Konzept? Sprechen wir zunächst darüber, welche Rolle die Projektleitung nicht hat. Sie ist auf keinen Fall Entscheidungsträger in der Sache. In der ersten Phase entscheidet die Projektleitung über den Prozess und den Fortlauf des Projekts - nicht aber inhaltlich über die Ergebnisse. Dabei verhält sich die Projektleitung sachlich aber auch Rolle des Projektmanagers nicht absolut neutral. Sie braucht ja einen sachlich vertretbaren, konkreten und für die weitere Arbeit brauchbaren politischen Beschluss. Politisch unabhängig und der Methode und dem Auftrag verpflichtet könnte vielleicht eine Kurzformel für die Rollenbeschreibung des Projektmanagers sein. Beschreibt der Begriff „Moderator“ diese Rolle? Sagen wir besser: Fachmoderator. Man braucht Fachverstand im Hinblick auf den Projektgegenstand, also beispielsweise Verständnis vom Zusammenspiel und den Abläufen in Krankenhäusern. Das Projektmanagement darf und sollte auch eine Meinung zu den diskutierten Fragen haben. Es muss beurteilen können, ob die Lösung, auf die die Diskussion hinsteuert, sachlich in Ordnung ist. Haben die in der Diskussion genannten Argumente Hand und Fuß … … oder „wedelt da einer mit dem Leichentuch“ in der Hoffnung, der Projektmanager sei kein Experte? Ist das Ergebnis also ein fauler oder ein tragfähiger Kompromiss? Dies muss beurteilt werden können aus der Fachsicht. Manchmal hilft hier auch eine Aufteilung der Projektmanagementrolle auf verschiedene Personen. Deswegen spreche ich auch eher von der Projektleitung als vom Projektmanager: Niemand ist in allen Fragen kompetent und Experte. Dies heißt, das Projektmanagement gibt dem Prozess Leitplanken, innerhalb derer Lösungen gefunden werden können. Die Leitplanken dürfen nicht zu eng gesetzt werden, etwa so, dass kein Kompromiss gefunden werden kann. Sie dürfen aber auch nicht zu viel Freiheit lassen. Dies ist die Kunst bei politischen Beschlüssen. Noch etwas: Der Projektmanager muss beurteilen können, welche Entscheidungen in der ersten, der politischen Phase getroffen werden müssen - und welche Entscheidungen besser in die zweite, technische Phase gehören, ohne diese politisch werden zu lassen. Wie darf ich dies verstehen? In der ersten Phase redet man etwa über die Frage, ob man die Prozesse überhaupt verbessern muss. Und was das messbare Ergebnis einer solchen Verbesserung sein kann und soll. Darüber, ob sich die Organisation auf den Weg einer Prozessoptimierung einlässt und wie sie dieses Projekt angehen will, beispielsweise über Best Practice-Beispiele, Selbstentwicklung, mit oder ohne externe Fachexperten, in welchem Zeitraum, mit welcher Beteiligung intern, mit welchem Investitionsbudget etwa für EDV … … die Details einer Prozessverbesserung … … gehören hingegen auf keinen Fall in die politische Debatte. Welcher Mitarbeiter hinterher welchen Handgriff erledigt oder weglässt oder welches technische Gerät genau angeschafft wird - dies sind technische Fragen, keine politischen. Der Diskussion Leitplanken setzen 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 20 REPORT Einrichtungen etwa für Kinder unterliegen ebenfalls dem organisatorischen Wandel. Foto: Gennadiy Poznyakov - Fotolia.com PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 20 Unter Managern von Veränderungsprojekten höre ich immer wieder die Empfehlung, Vertreter jeder wichtigen Stakeholdergruppe in ihr Projektteam zu holen. Das Team zieht also einen Querschnitt durch die Organisation. Dahinter steht nicht nur der Proporzgedanke, sondern auch der Wunsch, über die Teammitglieder Einfluss auf die Stakeholder zu gewinnen. Die Idee ist nicht schlecht, führt aber oft nicht zum Ziel. In der Regel sind für diesen Ansatz zwei Gremien erforderlich, ein Kernteam und eine Steuerungsgruppe. Für das sogenannte Kernteam sollten Mitarbeiter nach ihrer Fachkompetenz ausgewählt werden, dies ist der erstrangige Gesichtspunkt. Einen Querschnitt durch die Abteilungen können Projektmanager besser über entsprechende Repräsentanten in einer übergeordneten Steuerungsgruppe ziehen. In diese Gruppe können sie auch Vertreter der unterschiedlichen Widerstands- und Unterstützungsgruppen holen. Mitarbeiter aus den Gruppen sollten also nicht als „Repräsentanten“ ins Kernteam aufgenommen werden? Dies funktioniert nicht. Das Kernteam muss schlagkräftig sein. Fünf bis sieben Mitarbeiter, mehr nicht. Andere Mitarbeiter können Sie in einzelne Arbeitsgruppen integrieren, die unter dem Kernteam tätig sind. Eine letzte Frage: Viele Mitarbeiter der Kirche und der Diakonie pflegen ihre Aversion gegen Management, auch gegen Projektmanagement. Wir sprachen mehrfach darüber. Wie wollen Sie mit Menschen Projekte vorantreiben, die Management für Teufelszeug halten? Keine Methode darf als Selbstzweck empfunden werden, auch nicht Projektmanagement. Projektmanagement muss genutzt werden, dann wird es sich über die entsprechenden Erfolge für weitere Anwendung empfehlen. Letztlich sollte niemand merken, dass es sich hier um etwas „Besonderes“ handelt. Zum Beispiel …? Der Zwang, vorgedruckte Checklisten abzuarbeiten, kann zu Widerstand in Organisationen führen, in denen bislang Projektmanagement nicht angewendet wurde. Manchmal werden solche Listen verteilt mit dem Argument, sie „gehören nun einmal zum Projektmanagement“. Damit scheint die Systematik über die Sache selbst gestellt zu sein. Projektmanagement muss selbstverständlich werden. Es muss im Hintergrund als Methode mitlaufen. Je weniger die Mitarbeiter davon spüren, desto besser. Manchmal hilft es, die als kühl und beziehungsfeindlich empfundene Managementsprache zu vermeiden. Bei Begriffen wie Humanressourcen oder Kommunikationsmanagement stellen sich sozial sensiblen Menschen die Nackenhaare auf. Ja, solche Begriffe sind unnötige Störgeräusche. Projektmanager sollten diese eher für sich behalten. Andererseits sind aber auch Begrifflichkeiten erlernbar. Heute verwenden wir selbstverständlich viele Begriffe wie etwa Schlagkräftiges Kernteam den des „diakonischen Unternehmens“, darüber hat man vor zwanzig Jahren noch aufgeregt ganze Bücher geschrieben. Offen gesagt: Die Begrifflichkeit und die Methoden des Projektmanagements zu verstecken kann doch auf Dauer keine Lösung sein. Sehen Sie einen Weg, direkt für das Projektmanagement zu werben? Selbstverständlich. Für Projektmanagement geworben wird beispielsweise durch Best Practice-Beispiele aus ähnlichen Organisationen. Manchmal ist es auch hilfreich, das Thema Management mit den Mitarbeitern quasi an einem fremden Objekt zu erörtern. Es wird dann an einem anderen Beispiel diskutiert - auch, wenn man sich selbst meint. Nochmals zur Ausbildung von Pfarrern, zu der obligatorisch auch Projektmanagement gehört. Wird auch über diesen Weg mehr Projektmanagement in die Kirche und die Diakonie gebracht? Auf jeden Fall. Viele Pfarrer sind für das Projektmanagement grundsätzlich sehr aufgeschlossen. Im Übrigen erkennt man auch in den Kirchen, dass in Deutschland viele Menschen, die auch Kirchenmitglieder sind, Projektmanagement zu ihrer Profession erhoben haben. Sie verstehen ihr Handwerk, sie bringen ihre Kompetenz ein und bewirken viel Gutes für die Gesellschaft. Dies beginnt man in der Kirche zu erkennen und auch zu honorieren. Dies ist im Baubereich vielleicht am weitesten entwickelt, gewinnt aber zunehmend mehr Wahrnehmung auch im Bereich von Projekten des organisatorischen Wandels. ■ Aufgeschlossen für Projektmanagement? projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 l 21 Durch neue Finanzierungsmodelle wie Fallpauschalen muss sich die Arbeit in kirchlichen Einrichtungen verändern. Foto: Robert Kneschk - Fotolia.com PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 27 Uhr Seite 21