PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. „Irgendwas ist immer“ – Machen Sie Ihre Projektorganisation H.A.P.P.I.
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Stephanie Borgert
Es gibt so gut wie kein komplexes dynamisches Projekt, das ohne Turbulenzen und Probleme einfach „durchläuft“. Irgendwas ist immer. Gerade in Projektkrisen wird die Komplexität als Ursache und Grund gleichermaßen angegeben. Dabei ist sie vielmehr die Gegebenheit unseres (Arbeits-)Lebens, mit der wir umzugehen lernen müssen. Komplexität lässt sich meistern. Das braucht jedoch ein systemisches Verständnis und das Denken in Wechselwirkungen statt in Ursache-Wirkungs- Zusammenhängen. Gleichzeitig gilt es, Projekte nicht ausnahmslos robust aufzusetzen, damit Fehler und Krisen im besten Fall vermieden werden können. Die ergänzenden Konzepte heißen Resilienz und Adaptivität. Mit ihnen lassen sich (Projekt-)Organisationen flexibel und anpassungsfähig gestalten, ohne dabei auf Ziel- oder Ergebnisorientierung zu verzichten. Das H.A.P.-Modell (Hoch Adaptive Projekte) beschreibt die Stellschrauben, mit denen sich die Adaptivität eines komplexen Projektes erhöhen lässt.
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beliebig viele Definitionsversuche, Überlegungen zum Umgang mit Komplexität, philosophische Betrachtungen und jede Menge „Rezepte“ zur Vereinfachung. In vielen dieser Ausführungen findet sich die Angst vor der steigenden Komplexität, die Sorge um die Undurchschaubarkeit unseres Arbeitslebens und die Unsicherheit in der Auswahl der richtigen Werkzeuge. Es scheint offensichtlich, dass wir die Welt (so wie sie von uns geschaffen wurde) nicht mehr im Griff haben. Komplexität wird als Ursache und Grund für viele schwere Krisen benannt - die Finanzkrise, die Schuldenkrise etc. Dabei bemühen wir uns doch so sehr darum, präzise Vorhersagen zu treffen. Wir sagen den Börsenkurs voraus, das Wetter, unser aktuelles Projekt oder auch mögliche Erbkrankheiten. Wir skizzieren ein Bild der Zukunft (so wie sie sein kann bzw. sein sollte), planen und kontrollieren. Das ist das Schema, welches uns auch heute noch in unseren Schul- und Ausbildungssystemen beigebracht wird. Planen und Kontrollieren trainieren wir im Arbeitsleben am intensivsten, und gerade methodisches Projektmanagement ist darauf aufgebaut. Wir sind schließlich Experten. Als 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 44 WISSEN „Irgendwas ist immer“ - Machen Sie Ihre Projektorganisation H.A.P.P.I. Resilienz im Projektmanagement Das Jahr 2013 war, mal wieder, ein Jahr der Krisen. Die Eurokrise befindet sich im Jahr sechs. Die Wirtschaftskraft Griechenlands ist um ein Viertel gesunken, die Jugendarbeitslosigkeit auf mehr als 50 Prozent gestiegen. „Geld gegen Reform“ war die scheinbar einfache Lösung, doch längst ist nicht mehr klar, wer den Staaten morgen noch Geld leiht und was passiert, wenn diese ihre Probleme nicht lösen können. Die globale Finanzkrise beschäftigt Medien und Politik weiterhin - vor allem die Frage, ob und wie man die Krise hätte voraussehen können. Das Drohnen-Projekt erhitzt die Gemüter in Deutschland. Der Untersuchungsausschuss versucht zu klären, wann wer was über das Euro-Hawk-Fiasko wusste. Auch hier scheint die Schuldfrage das höchste Interesse zu wecken. Beim Stichwort „Krise“ sind auch die in Dauerturbulenzen befindlichen Projekte wieder Thema. Allen voran der Flughafen Berlin-Brandenburg - Eröffnung! Teileröffnung! Brandschutzanlage! SPRINT! Mehdorn wird es richten! Wie kann es denn eigentlich sein, dass Krisen von solchen Ausmaßen aus dem Nichts aufzutauchen scheinen und dann nicht in den Griff zu bekommen sind? Können oder wollen wir die Zeichen drohenden Unheils nicht lesen oder gibt es gar keine? Lassen sich Krisen, vor allem kleinere in unseren alltäglichen Projekten, verhindern? Wie sieht eine wirksame Krisenprävention aus? Welche sind die wesentlichen Aspekte der hier skizzierten Turbulenzen? Zumindest die letzte Frage lässt sich mit zwei wichtigen Begriffen beantworten: Komplexität und Resilienz. Komplexität als der Zustand unserer Welt, den wir immer noch nicht akzeptieren wollen. Gleichzeitig fehlt noch der „richtige“ Umgang mit komplexen Situationen, Organisationen oder Problemen. Resilienz ist ein zentraler Aspekt, wenn es darum geht, Krisen frühzeitig zu antizipieren und sie erfolgreich zu meistern. Beide Begriffe und ihre jeweiligen Konzepte werden uns in diesem Artikel beschäftigen. Stephanie Borgert Es gibt so gut wie kein komplexes dynamisches Projekt, das ohne Turbulenzen und Probleme einfach „durchläuft“. Irgendwas ist immer. Gerade in Projektkrisen wird die Komplexität als Ursache und Grund gleichermaßen angegeben. Dabei ist sie vielmehr die Gegebenheit unseres (Arbeits-)Lebens, mit der wir umzugehen lernen müssen. Komplexität lässt sich meistern. Das braucht jedoch ein systemisches Verständnis und das Denken in Wechselwirkungen statt in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Gleichzeitig gilt es, Projekte nicht ausnahmslos robust aufzusetzen, damit Fehler und Krisen im besten Fall vermieden werden können. Die ergänzenden Konzepte heißen Resilienz und Adaptivität. Mit ihnen lassen sich (Projekt-)Organisationen flexibel und anpassungsfähig gestalten, ohne dabei auf Ziel- oder Ergebnisorientierung zu verzichten. Das H.A.P.-Modell (Hoch Adaptive Projekte) beschreibt die Stellschrauben, mit denen sich die Adaptivität eines komplexen Projektes erhöhen lässt. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Komplexität - ein Buch mit sieben Siegeln? Der Begriff „Komplexität“ liefert bei einer Suche mit Google knapp 3 Millionen Ergebnisse. Darin finden sich PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 29 Uhr Seite 44 Experten analysieren wir Situationen und Probleme mit dem Verstand und handeln wohlüberlegt und planvoll. In unserer Wissensgesellschaft sind es die Experten, die mit Vernunft und Verstand dafür sorgen, dass immer wieder Ordnung hergestellt wird. So praktizieren wir es, vor allem im Management, seit Jahrzehnten - egal, ob projektorganisiert oder nicht - und glauben fest an den Bestand dieses Ansatzes. Könnte es sein, dass wir uns irren? Ja, ich glaube das ganz sicher. Seit den 1980er-Jahren predigen namhafte Vertreter der Systemtheorie, dass Expertentum alleine nicht der Schlüssel zum Erfolg ist. Bisher haben wir, sehr erfolgreich, nicht hingehört. Trotz all unseres Expertentums kommt es immer wieder zu Krisen, die in schwerwiegenden Katastrophen enden. Die Ölkatastrophe der Deepwater Horizon oder auch die Nuklearkatastrophe Fukushima konnten trotz der Experten nicht verhindert werden. Die öffentlichen Großprojekte à la BER, Maut oder Elbphilharmonie sind auch nicht „einfach“ zu projektieren. Im Sommer 2012 brachte es der Bundestagspräsident Lammert im Zusammenhang mit der Eurokrise folgendermaßen auf den Punkt: „Von allen denkbaren Verfahren ist das am wenigsten taugliche die Umsetzung von Expertenempfehlungen.“ Dabei scheint das Motiv hinter dem gelobten Expertentum zunächst vielversprechend: rationalisieren und vereinfachen. Komplexität von Situationen, Vorgängen oder Organisationen macht uns oft Angst, weil wir nicht mehr alles durchschauen und erfassen können. Komplexe Projekte beispielsweise sind immer in Teilen intransparent. Das liegt in der Natur der Sache und macht eine Definition des Begriffes notwendig. Ein System ist komplex, wenn es aus vielen untereinander verknüpften Elementen besteht, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Je mehr Elemente und je höher die Anzahl der Verknüpfungen, desto höher der Grad der Komplexität. Die hier zitierten öffentlichen Projekte, aber auch die meisten organisationalen und großen Projekte in den Unternehmen sind zudem vernetzt. Dann hat ein Eingriff in ein Teilsystem immer auch Auswirkungen auf andere Elemente oder Teilsysteme. Diese Systeme sind dynamisch und entwickeln sich weiter, selbst dann, wenn das Management nicht aktiv einwirkt. Aus diesem Grund entsteht in solchen Projekten immer eine Komponente des Zeitdrucks. Zudem reicht es nicht aus, zu einem Zeitpunkt X den Ist-Zustand zu beschreiben, denn der verändert sich bereits wieder. Der Blick muss vielmehr auf die Zukunft des Systems und sein Verhalten gerichtet sein. Dieser kurze Ausflug in die systemtheoretischen Definitionen rund um komplexe Systeme macht schnell klar, warum in diesen Systemen ein Angstpotenzial für uns Experten steckt. Intransparenz, Zeitdruck und permanente Weiterentwicklung machen andere Ansätze notwendig, um erfolgreich zu sein. Diese anderen Ansätze scheinen wir noch nicht auf der Agenda zu haben, beziehungsweise sie bedeuten für uns Herausforderungen in der Umsetzung, denn wir wissen einfach noch nicht „Wie“. Bevor wir einen Blick auf das „Wie“ werfen, räumen wir in der Verwendung von Begriffen wie komplex, kompliziert, chaotisch usw. auf. Nein, komplex ist nicht das Gleiche wie kompliziert und schon gar nicht einfach Der Begriff „Komplexität“ begegnet uns heute in den unterschiedlichsten Kontexten und wird zurzeit inflationär verwendet. Beim Flughafen Berlin-Brandenburg ist es angeblich die Brandschutzanlage, die sogar zu komplex zu sein scheint. Komplexität wird als Ursache, Grund und Entschuldigung für viele Dinge wie Kommunikation, Menschen, Probleme, Projekte oder Organisationen genannt. An dieser Stelle gilt es, einmal deutlich zu machen, was wirklich komplex ist und was nicht. Zur Veranschaulichung wird hier das Cynefin-Framework von Dave Snowden (Abb. 1) genutzt, um die wesentprojekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 l 45 Abb. 1: Cynefin-Framework (nach Dave Snowden) [1] PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 29 Uhr Seite 45 lichen Aspekte komplexer Systeme im Vergleich mit anderen deutlich zu machen. Viel zu häufig verwechseln wir komplex mit kompliziert oder neigen zu starker Vereinfachung. Das hat weitreichende Folgen für das Treffen von Entscheidungen und das Führen von Mitarbeitern. Betrachten wir den Lichtschalter aus Abbildung 1. Auf „ON“ geht das Licht an, auf „OFF“ geht es aus. Das ist für jeden von uns nachvollziehbar, transparent und es ist wiederholbar. Die Relation zwischen Ursache und Wirkung ist eindeutig. Einfache Kontexte zeichnen sich dadurch aus, dass man über Wahrnehmen - Kategorisieren - Reagieren handeln kann. Im Kontext einer Organisation sind vertragliche Vereinbarungen (nur das Papierwerk, nicht der Sachverhalt dahinter) dem Kontext „Einfach“ zuzuordnen. Ist für den Fall einer Überschreitung des Liefertermins für ein Gerät eine Pönale vereinbart, so kann der Mitarbeiter mit Blick auf Kalender und Vertrag (Wahrnehmen) feststellen, dass der Termin überschritten ist (Kategorisieren), und die Vertragsstrafe einfordern (Reagieren). „Keep it simple and stupid“ ist ein Slogan, der in undurchsichtigen Situationen immer wieder zu hören ist. Die Forderung nach Vereinfachung kommt aus unserem Wunsch nach Sicherheit und Vorhersagbarkeit. Die Brandschutzanlage im BER beispielsweise ist ein technisches Gebilde, welches sich nicht verändert, wenn nicht von außen eingegriffen wird. Sie ist also kompliziert, bestimmt nicht komplex. Jeder von Ihnen, liebe Leser, kann die Funktionsweise und den Aufbau dieser Anlage verstehen, wenn er sich nur lange genug damit auseinandersetzt. Sie ist statisch, technisch und kann analysiert werden. Damit fällt sie in die Kategorie „Kompliziert“, die Domäne der Experten. Bei komplizierten Dingen oder Situationen existiert immer eine klare Ursache-Wirkungs-Relation. Sie mag nicht sofort offensichtlich sein, denn es können mehrere richtige Lösungen für eine Aufgabe existieren. Die Brandschutzanlage kann sicher in verschiedenen Varianten eingebaut werden, ein Datenbankproblem auf unterschiedliche Weise gelöst werden. Der springende Punkt aber ist, dass ein kompliziertes System vorhersehbar ist, sein Verhalten kann vorausgesagt werden und die „Welt“, in der es sich befindet, ist geordnet. Zur Klärung komplizierter Sachverhalte braucht es Experten, die über Wahrnehmen - Analysieren - Reagieren die Aufgabenlösung vorantreiben. Am Ende kann die passendste der Lösungen gewählt werden. Einfach wäre es, wenn nur eine Lösung existiert. Bleiben wir noch einen Moment beim Bild des Berliner Flughafens, um daran die Domäne „Komplex“ zu erläutern. Dass dieses öffentliche Großprojekt hochkomplex ist, liegt auf der Hand. Es gibt eine enorme Anzahl Beteiligter, vom Bund über die Länder zu den Fluglinien und Shop-Betreibern, um nur einige zu nennen. Konsequenzen und Wechselwirkungen in diesem System werden vor allem durch die Verzögerungen für viele Menschen schmerzlich deutlich. Die Shop-Betreiber können keinen Umsatz erwirtschaften, die Natur erobert die Start- und Landebahnen zurück, Berlin-Tegel kann nicht abgeschaltet werden, die Deutsche Bahn muss die Tunnelverbindung täglich auslasten (damit die Belüftung in den Tunneln gewährleistet bleibt) und so weiter und so fort. Ganz deutlich wird die Komplexität durch die wechselseitige Beeinflussung durch die Beteiligung der Politik. Namhafte Politiker, mit einem wahlkampforientierten politischen Interesse, besetzen gleichzeitig wichtige Ämter in den Projektgremien des BER. Das führt zu einem fortlaufenden Ping-Pong zwischen Projektinteressen und Politik. Das System BER ist in hohem Maße dynamisch und intransparent. Selbst erfahrene Projektleiter können ein solches Projekt nicht mehr vollständig durchschauen oder erfassen. Es lässt sich a priori keine klare Ursache-Wirkungs-Relation formulieren, Zusammenhänge und Auswirkungen werden erst in der Retrospektive sichtbar. Willkommen in der ungeordneten Welt! Komplexe Systeme lassen sich nicht mehr vorhersagen, es existiert keine Linearität. Aspekte wie Dynamiken, Rückkopplungen und Unvorhersehbares sind die bestimmenden Kräfte. Für das Management solcher Projekte oder Organisationen ist die zielführende Handlungsorientierung Ausprobieren - Wahrnehmen - Reagieren. Es sind Experimente notwendig, um zum Ziel zu gelangen. Einige davon werden scheitern müssen, um einer Lösung näher zu kommen. Spätestens damit stellt das Meistern von Komplexität Anforderungen an das Management, die ein Umdenken notwendig machen. „Command & Control“ reicht nicht aus, um Systeme mit solchen Eigenschaften managen zu können. Steckt ein System in der Krise, herrscht meist das Chaos. Beispiele dafür finden sich im Großen und Kleinen, von Naturkatastrophen über die Eurokrise zu plötzlichen Restrukturierungen in Unternehmen und Budgetkürzungen während der Projektlaufzeit. Chaotische Systeme sind gekennzeichnet durch starke Turbulenzen, hohen Zeitdruck und das Fehlen einer Ursache-Wirkungs-Relation. In solchen Situationen ist schnelles Handeln oberstes Gebot, um das System wieder zu stabilisieren. Krisenmanagement in Projekten basiert auf diesem Prinzip. Das Entscheidungsmodell ist Agieren - Wahrnehmen - Reagieren. Verfolgt man das Projekt BER in der Tagespresse seit Hartmut Mehdorn das Ruder übernommen hat, so lässt sich sein Krisenmanagement gut nachvollziehen. Er setzt ein Krisenteam auf (SPRINT), erweitert die Handlungsalternativen wieder (Teileröffnung), lässt das Projekt kleinschrittiger planen und versucht, die Situation in ihre einfachen, komplizierten und komplexen Bestandteile zu zerlegen. Grundsätzlich ist das eine gute und zielführende Vorgehensweise für chaotische Organisationen. Damit sind die vier Grunddomänen kurz skizziert. Es existiert noch eine fünfte Domäne, die „Verwirrung“. Hier befinden wir uns meistens. Das liegt daran, dass wir uns des aktuellen Kontextes nicht bewusst sind und agieren, „wie wir es am liebsten tun“. Jeder Mensch hat eine bevorzugte Domäne, in deren Kontext er denkt und handelt. Geprägt durch Sozialisierung, Erziehung und Erfahrungen halten manche Menschen „es am liebsten einfach“ und wieder andere „machen es ganz gerne kompliziert“. Wenn die Menschen (vor allem die mit Führungsverantwortung) lernen, sich in einer Situation die verschiedenen Bestandteile bewusst zu machen und gleichzeitig die persönliche Voreinstellung zu reflektieren, erhöht sich die Chance, adäquat zu reagieren, enorm. Komplexe Systeme und Kontexte von anderen zu unterscheiden ist ein erster wesentlicher Schritt, um den Überblick in großen und schwer durchschaubaren Strukturen zu behalten. Kein Projekt ist ausnahmslos komplex, kein umfangreiches Problem ausnahmslos kompli- 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 46 WISSEN PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 29 Uhr Seite 46 ziert und keine Anforderung ausnahmslos einfach. Wir sind immer mit einer Mixtur konfrontiert. Für das Managen komplexer Projekte ist mir besonders wichtig zu betonen, dass es keine One-size-fits-all-Managementrezeptur gibt, sondern jede Situation hinsichtlich ihrer „Domänen-Bestandteile“ betrachtet werden muss. Erst dann kann das richtige Entscheidungs- und Managementmodell ausgewählt und angewendet werden. Dabei kann Ihnen das Cynefin-Framework eine Orientierung geben. Es unterstützt Sie dabei, aus einer Situation Sinn zu erzeugen und den adäquaten Ansatz zu finden. Klar ist, dass das Managen solcher Systeme und Organisationen ein hohes Maß an Flexibilität in Methodik und Techniken von den handelnden Personen fordert. Unvorhersehbares, Störungen und Krisen brauchen Anpassungsfähigkeit Schon allein die Komplexität in Situationen, Problemen oder Organisationen stellt also neue und ergänzende Anforderungen vor allem an Projektmanager und Führungskräfte. Gleichzeitig läuft kein großes, komplexes Projekt einfach so durch. Irgendwas ist immer. Turbulenzen oder auch Krisen tauchen auf in Form von Budgetkürzungen, der Kündigung des einzigen Spezialisten für ein bestimmtes Thema, des unerwarteten Produktlaunchs eines Mitbewerbers, der nachträglich eingestellten Anforderungen und so weiter und so fort. Die Liste möglicher „Irgendwas“ ließe sich beliebig fortschreiben. Wie gehen wir damit bisher um im Management? Was tun wir, um Krisen zu vermeiden? In den vielen Projekten, die ich im Laufe meines Arbeitslebens mitgestalten, leiten oder beraten durfte, war die Antwort bisher meistens: „Wir machen sie robust.“ Es wird analysiert und festgestellt, wie man diese und ähnlich komplexe Projekte robuster machen kann. Damit sollen Fehler, Krisen und Turbulenzen am besten ganz vermieden werden. Also wird ein umfassendes Risikomanagement aufgesetzt, Fehlern auf den Grund gegangen (soweit möglich) und dabei immer wieder Kausalität und Korrelation verwechselt. Wir haben so lange und so gut gelernt, in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen zu denken und über Analyse bestehende Probleme anzugehen, dass uns das Umstellen auf „Wechselwirkungs-Denken“ schwerfällt. Ansätze, die allein auf Robustheit und Fehlervermeidung setzen, greifen zu kurz. In einem komplexen Kontext herrscht immer ein Grad an Ungewissheit, herrschen Unwägbarkeiten und Unvorhergesehenes. Es braucht daher eher einen Blick für das, was Projektorganisationen resilienter macht. Resilienz bedeutet hier die Fähigkeit, Fehler und Turbulenzen früh zu erkennen, schnell mögliche Lösungsstrategien zu identifizieren und damit zeitnah aus einer krisenhaften Situation herauszukommen. Eine resiliente Projektorganisation passt sich adaptiv an sich ändernde Gegebenheiten an. Jedes Projekt, jede Organisation ist resilient. Die Frage ist nur, wie sehr und welche Faktoren machen die Resilienz aus. Der zweite Teil dieser Fragestellung wird im Folgenden mit der Erläuterung des H.A.P.-Modells (Hoch Adaptive Projekte) beantwortet. Was haben komplexe Projekte mit Flugzeugträgern und Atomkraftwerken gemeinsam? Kennen Sie Steh-auf-Menschen? Wenn auch nicht persönlich, so haben Sie mit Sicherheit von einigen gehört. Immer wieder lesen oder hören wir die Geschichten von Menschen, die Schicksalsschläge überstanden haben und oft sogar gestärkt aus Krisen hervorgegangen sind. Wir bewundern Sportler wie Vanessa Low oder Florian Sitzmann, die bei schweren Unfällen mehrere Gliedmaßen verloren haben und sich trotzdem „durchgeboxt“ haben zu Medaillen und Trophäen. Unser Respekt gilt Prominenten wie Nikki Lauda, der nach einem verheerenden Unfall auf der Rennstrecke mit schwersten Verletzungen überlebte und später noch einmal Weltmeister wurde. Menschen, die an einer Krise nicht zerbrechen, sondern sie zu meistern wissen und ihren Weg weitergehen, bezeichnet man als resilient. Resilienz ist zu verstehen als Widerstandsfähigkeit, als Fähigkeit, mit Turbulenzen umzugehen. Von der individuellen Resilienz bei Menschen lässt sich viel lernen für das Management komplexer Projekte. Die dahinterstehenden Haltungen und Fähigkeiten wie Optimismus, Akzeptanz der aktuellen Krise oder auch das Knüpfen tragfähiger Beziehungen sind auch für das Projektmanagement wichtige Säulen, auf denen die Widerstandsfähigkeit fußt. Darüber hinaus braucht es aber noch mehr. Das Noch-Mehr leitet sich aus dem Konzept der „High Reliability Organization“ (HRO) und den Erfahrungen vieler Kunden ab. Die wissenschaftliche Forschung um HRO, also Hoch-Zuverlässigkeits-Organisationen, hat einen Schwerpunkt in der Analyse von Organisationen wie Feuerwehren, Notaufnahmen, Atomkraftwerken und ähnlichen. Fehler können hier schnell verheerende Konsequenzen haben, weshalb die Menschen in diesen Organisationen ein spezielles Augenmerk darauf haben. Fast-Fehler werden als Hinweis auf mögliche Systemstörungen verstanden und nicht, wie im „normalen“ Projektmanagement üblich, als Beweis für den Erfolg. Die grundlegende Basis für die Zusammenarbeit ist Vertrauen, offenes Feedback und unbedingte Transparenz. Daneben existieren noch weitere strukturelle Besonder- Anzeige PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 29 Uhr Seite 47 heiten in HRO, die im Übertrag auf komplexe Projekte viel Mehrwert liefern können. Das Konzept der Resilienz und der HRO, ergänzt um Erfahrungen vieler Projektverantwortlicher, bilden das H.A.P.-Modell (Hoch Adaptives Projekt), welches über seine sechs Dimensionen - Ausrichtung, Umfeld, Sensitivität, Gestaltung, Teaming und Wissen - die Stellschrauben zur Erhöhung der Resilienz beschreibt (Abb. 2). Die sechs Dimensionen der Resilienz Jede Dimension besteht aus verschiedenen Facetten, von denen einige exemplarisch hier vorgestellt werden. Wesentlichen Einfluss auf das Modell hatten Antworten auf die Fragen nach den Erfolgsstrategien und den Knackpunkten in dynamischen Projekten. Aus beiden Aspekten lassen sich in der empirischen Betrachtung Muster erkennen und damit Bedeutungen ableiten. Grundsätzlich gilt: Jedes Projekt ist adaptiv beziehungsweise resilient. Es bewegt sich „irgendwo“ in den sechs Dimensionen des Modells und seinen Facetten. Da Resilienz keine Eigenschaft ist, die einmalig erworben wird oder verloren geht, kann zu jedem Zeitpunkt an den Stellschrauben gedreht werden. Resilienz ist ein Prozess! 1. Projektausrichtung Facetten: Vorausschau, Zukunft gestalten, Vision, Zielorientierung, Optimismus In adaptiven Projekten wird vorausschauend gearbeitet. Das bedeutet, dass ausreichend Zeit auf das Entwerfen von Zukunftsszenarien verwendet wird. „Was wäre, wenn …? “ ist die Basisfrage für diese Arbeit, aus der sich Überlegungen entwickeln zu: Welche Entscheidungen werden in der Zukunft auf uns zukommen? Welche Veränderungen stehen uns noch bevor? Welche Probleme können sich ergeben? Beginnen wir erst im Fall akuter Turbulenzen oder Probleme nach Lösungen zu suchen, ist der Blickwinkel meist stark eingeschränkt. Die Menschen fokussieren dann oft so stark auf die Problemstellung, dass die Sicht auf Alternativen „rechts und links“ versperrt ist. Um jederzeit entscheidungs- und handlungsfähig zu sein und eine Krise schnell zu beenden, ist eine gute Vorbereitung im Sinne des Vorausschauens notwendig. Dabei ist wesentlich, dass die Beteiligten gleichzeitig trainieren in Wechselwirkungen statt in Ursache- Wirkungs-Relationen zu denken. Komplexe Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass Aktionen immer Auswirkungen, Rückkopplungen und Wechselwirkungen erzeugen. Diese gilt es so umfassend wie möglich zu bedenken. Es geht zum einen um die Wirkungen, die andere Projekte, das Management, der Mitbewerber, der Markt etc. auf das eigene aktuelle Projekt haben. Zum anderen ist ein Blick auf die Wirkungen, die das eigene Projekt auf seine Umwelt hat, ebenso essenziell. Das Ergebnis der Szenario-Arbeit ist eine Fülle von Handlungsoptionen für verschiedenste Situationen und Übung im Wechselwirkungsdenken. 2. Projektumfeld Facetten: Feedback, Kooperation, gemeinsame Verantwortung, Sozialkapital Komplexe dynamische Systeme brauchen Feedback- Schleifen, um ihren Kurs korrigieren zu können. Umgesetzt wird Feedback natürlich in erheblichem Maß über die Kommunikation in (Projekt-)Organisationen. Und die wird auch heute immer noch als das Problemfeld höchster Priorität angegeben, wenn man Menschen fragt, woran es in der Zusammenarbeit denn hakt. Vor der Umsetzung jedoch steht das Bewusstsein für Feedback als Regelungsmechanismus, als zwingende Notwendigkeit für eine komplexe Organisation oder auch Krisensituation. Es geht hier nicht um einen Soft Skill- Aspekt zum Selbstzweck, der nur dazu da zu sein scheint, um den Menschen eine persönliche Weiterentwicklung zu ermöglichen. Das ist nur eine Facette von Feedback. Bezogen auf ein Projekt, das ein Businessziel umsetzen soll, ist Feedback der Regler für das Erreichen der Zielgeraden. Die Bedeutung ist dabei gar nicht schwer nachzuweisen. Schaut man auf Projekte, in denen Feedback an wichtigen Stellen fehlte, wird es schnell offensichtlich. Am Flughafen Berlin-Brandenburg beispielsweise haben sich die Bestimmungen für die Brandschutzanlagen während der Projektlaufzeit massiv verändert. Diese Veränderung hatte (anscheinend) niemand auf dem Schirm und sie wurde auch nicht früh genug ans System gemeldet. In dem Fall kommen fehlende Vorausschau und mangelndes Feedback zusammen. Gebaut ist die Anlage für den Brandschutz also nach veralteten Bestimmungen, weswegen sie als entscheidender Mangel eingestuft wurde. In meiner Arbeit als Projektberaterin erlebe ich immer wieder, dass entstehende Probleme und Turbulenzen nicht an das Management gemeldet werden. „Die wollen das nicht hören, sie müssen sich doch mit anderen Dingen beschäftigen …“ sind die Vorwände, die mir begegnen. Damit entfällt für das Gesamtsystem jedoch ein entscheidender Regelungsmechanismus. Eine Krise, von der das Management nicht weiß, kann nicht behoben werden. Das Feedback, das für adaptive Projekte wichtig ist, umfasst fachliche, inhaltliche, prozessuale Komponenten. Gleichzeitig ist es genauso relevant, Feedbackmechanismen für die Zusammenarbeit zu implementieren. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 48 WISSEN Abb. 2: Das H.A.P.-Modell (nach Stephanie Borgert) PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 29 Uhr Seite 48 Die Frage nach dem „Wie arbeiten wir zusammen? “ ist gleich zu Beginn explizit zu stellen und im Diskurs zu verabreden. Dabei lassen sich die notwendigen Feedback-Schleifen verabreden und die Regeln für das Feedback- Geben festlegen. Feedback ist mit wenig Aufwand eingeführt, entfaltet im System aber enorm große Wirkung. 3. Projektsensitivität Facetten: Akzeptanz, Vereinfachung vermeiden, schwache Signale, Details beachten, Transparenz In jeder Sekunde strömen rund 11 Millionen Bit an Informationen über unsere Sinnesorgane in unser Gehirn. Das sind viel mehr, als das menschliche Bewusstsein verarbeiten kann. Aus diesem Grund wird Information gefiltert, getilgt und verzerrt, um die Portion „verarbeitungsfähig“ zu machen. Die Filter sind individuell und hängen vom Kulturkreis, von der Erziehung und den gemachten Erfahrungen ab. Jeder Mensch vereinfacht auf diese Art und Weise die Informationsflut, die ihm begegnet. Das Prinzip „Vereinfachung“ ist hier also wichtig und notwendig. Gleichzeitig passiert es aber unbewusst, und da liegt häufig die Krux, denn auch die kollektive Wahrnehmung in einem Projektteam vereinfacht. So werden Kollegen, Dinge, Abteilungen, Auftraggeber oder auch andere Projekte in Kategorien sortiert. „Mit der Fachseite X kriegen wir das Vorhaben Y nie durch, die sind immer schon so … gewesen“ oder „Herr Z ist Betriebswirt, die sind alle …“ sind nur zwei Beispiele von unzähligen Vereinfachungen, wie sie uns täglich (nicht nur) in der Arbeitswelt begegnen. Der Wunsch der Menschen nach Vereinfachung ist nicht schlecht oder falsch, macht er doch die komplexe Welt einfacher und verständlicher. Was adaptive Projekte dabei jedoch ausmacht, ist das Bewusstsein für diese Vereinfachung und die Fähigkeit, sie gezielt zu vermeiden. Sie fragen sich eventuell jetzt, ob das bedeutet, dass wir es wieder komplizierter machen. Ja, genau das bedeutet es. Stellen Sie Ihre eigene Wahrnehmung und Bewertung infrage. Das gilt für den Einzelnen wie auch für das Projektteam. „Haben wir die Situation wirklich vollständig erfasst? “ oder „Liegen wir mit unserer Bewertung zur Abteilung X in diesem Fall wirklich richtig? “ oder „Ist unsere Annahme vielleicht im Wesentlichen ein Vorurteil? “ oder, oder, oder. Der Effekt, sich der eigenen Wahrnehmung und ihrer Filter bewusst zu werden, ist enorm und hat weit mehr Auswirkungen als „nur“ die auf zwischenmenschliche Zusammenarbeit. Mit einer geschärften und erweiterten Wahrnehmung lassen sich Turbulenzen, Probleme und Krisen früher antizipieren. Es entsteht eine erhöhte Achtsamkeit, für die Menschen und für das System. 4. Projektgestaltung Facetten: Fehlerkultur, Entscheidungskultur, Redundanz, Flexibilität Gehe ich als Krisenmanager in ein komplexes Projekt, so ist eine meiner ersten Fragen die nach der Fehlerkultur. Häufig stelle ich dann leider fest, dass die Antworten, die ich bekomme, nicht zur gelebten Realität passen. „Bei uns bekommt niemand den Kopf abgerissen, wenn er einen Fehler macht.“ So oder ähnlich lautet meist die Antwort. Passiert dann ein Fehler, wird doch sanktioniert. Der Kopf bleibt dran, aber er wird mit Scheuermilch gewaschen, um im Bild zu bleiben. Wir haben ein „unentspanntes“ Verhältnis zu Fehlern. Der Begriff ist negativ belegt und wer Fehler macht ist der Schuldige. Welche Fehler und welche Schuld wird wohl Herrn Mehdorn noch zugeschrieben werden? Auch im Untersuchungsausschuss zum Drohnen-Fiasko scheint es ausnahmslos um die Fehler-/ Schuldfrage zu gehen. Das ist eine Fehlerkultur, wie sie in den meisten Unternehmen und Projekten heute noch existiert. Im Sinne der Resilienz und Adaptivität ein wichtiges Handlungsfeld. Um es vorwegzunehmen, es geht natürlich nicht darum, beliebig Fehler machen zu sollen und nach Laissez-faire-Manier wegzuschauen. Es geht darum, von den HRO zu lernen, die mit Fehlern im Schwerpunkt arbeiten, statt sich auf die Sanktionierung zu fokussieren. Fehler werden dort als Feedback ans System verstanden, denen auf den Grund gegangen wird. Ein Fehler ist immer eine Aussage über das System selbst, seine Funktionsweise, seine Zielorientierung, seine „Stimmung“. Fehler geben direktes Feedback zu den Auswirkungen von Entscheidungen und Handlungen. Auch sogenanntes Fehlverhalten von Mitarbeitern ist ein Hinweis auf die Funktionsweisen im System. Ein einfaches Beispiel: Mitarbeiter kommen wiederholt zu spät zu Besprechungen und Team-Meetings. Schnell unterstellen wir ihnen mangelnden Respekt oder Ähnliches (eigene Wahrnehmung). Eventuell existiert in dem Projekt eine Regel die lautet „Zu spät kommen ist o.k., nicht schlimm“. Eine gute Möglichkeit also, um die impliziten Regeln der Zusammenarbeit explizit zu machen. 5. Projektteaming Facetten: Diversität, Positivität, Wachstum und Zugehörigkeit, geteilte Werte, Achtsamkeit, Vertrauen Kann man das auch positiv ausdrücken? Was ist das Gute an der schwierigen Situation? Think positiv! Häufig begegnet mir die Frage, ob wir eigentlich nicht mehr Tacheles reden sollen oder dürfen, ob es notwendig sei, dass alles positiv und rosarot ausgedrückt wird. Meine Antwort darauf ist einfach: Nein. Wir dürfen nicht nur Klartext reden, wir müs- Anzeige PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 29 Uhr Seite 49 sen. Positivität sollte nicht als Deckfarbe der Kommunikation verstanden werden. Gleichzeitig ist die verwendete Sprache in Projekten und Organisationen ein wichtiger Indikator und ein starkes Analyseinstrument. In den 1990er-Jahren hat der Brasilianer Marcial Losada [2] mehr als 60 Teams betrachtet und daraus ein nicht lineares Modell zur Teamperformance abgeleitet. Gemeinsam mit Barbara Fredrickson stellte er vor, dass bei High Performance-Teams das Verhältnis von „positiver Sprache“ zu „negativer Sprache“ bei 3 : 1 und höher lag. „Positive Sprache“ macht sich fest an unterstützenden, optimistischen Aussagen und einem hohen Selbstbezug (reden über das eigene Team statt über andere). Zudem werden in der „positiven Sprache“ eher Fragen gestellt und die Diskussion damit intensiviert. Im Vergleich dazu finden sich in der „negativen Sprache“ Aspekte wie Ablehnung, Zynismus, hoher Fremdbezug und eher Verteidigung (den eigenen Standpunkt durchdrücken). In der Art und Weise, wie in einem Team miteinander geredet wird, zeigt sich die Zusammenarbeit. Bei Teams mit einem Verhältnis unter 3 : 1 konnten geringe Flexibilität in turbulenten Zeiten, wenig Bereitschaft, neue Wege zu gehen, und eine geringe Resilienz beobachtet werden. High Performance-Teams kommunizieren in einem Verhältnis von 6 : 1. Um diese Facette des Projekt-Teamings zu evaluieren, braucht es keinerlei Messverfahren oder Tools und Techniken. Es reicht das eigene Gehör und eine offene Wahrnehmung, um auf die verwendete Sprache zu achten. Über die Sprache drücken Menschen aus, was sie denken. Das funktioniert auch andersherum. In einem ersten Schritt können sich die Menschen im Projektteam auch auf die zu verwendende Sprache verständigen und so ihre Denkweise beeinflussen. 6. Projektwissen Facetten: Intuition, Freiraum, lernende Organisation Ein adaptives Projekt ist eine lernende Organisation auf Zeit. Sie ist ein Umfeld, in dem Menschen aus Fehlern lernen dürfen, aus Fast-Fehlern Rückschlüsse gezogen werden, von und mit Kollegen gelernt werden kann und in dem jedem klar ist, dass er seine Realität selber erschafft. Dabei ist das Trainieren des Systemdenkens von zentraler Bedeutung. Komplexe Probleme und Situationen lassen uns die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erst retrospektiv erkennen, weshalb wir lernen müssen in Wechselwirkungen zu denken. Denn auch in komplexen Projekten gilt, dass wir gut beraten sind zu wissen (oder zumindest zu erahnen), welche Auswirkungen unsere Entscheidungen haben werden. Leider wird häufig nur ein Ausschnitt einer konkreten Situation betrachtet und in vereinfachende „Wenn A, dann B“- Relationen formuliert. Dieses sogenannte „Schnappschuss-Denken“ ist immer noch üblich, es ist ja auch die Betrachtungs- und Denkweise, die wir am längsten geübt haben. Wenn aber die einfache Ursache-Wirkungs-Kette nicht mehr gültig ist, braucht es ein holistisches (ganzheitliches) Denken. Es braucht ein Denken in Mustern, Strukturen und Zusammenhängen. Es braucht das Denken in Szenarien und Möglichkeiten. Das ist kein Hexenwerk, es lässt sich üben und trainieren. Davor jedoch steht die Erkenntnis, dass Komplexität ein Systemdenken notwendig macht und das Annehmen einer systemischen Haltung. Ohne das stehen wir der Komplexität weiterhin rein reaktiv gegenüber und es bleibt die Angst vor der Dynamik, dem Unvorhersehbaren und der Intransparenz. Resilienz ist kontextabhängig Jetzt wäre es sehr praktikabel, wenn für jede Dimension ein Richtwert für resilient/ nicht resilient existieren würde. Daraus ließe sich dann der eigene Projektwert ermitteln und ablesen, wie gut oder schlecht es um die Adaptivität gerade steht. Dem ist leider nicht so. Jedes Projekt bewegt sich auf einer Achse innerhalb jeder Dimension. Eine Aussage über die „Güte“ der Platzierung und die Möglichkeiten zur Steigerung der Resilienz lässt sich nur im jeweiligen Projektkontext machen. Damit Sie die aktuellen Standpunkte Ihres Projekts dediziert bestimmen können, finden Sie die ausführliche Beschreibung des H.A.P.-Modells, dessen grundlegender Konzepte und einen (individuell zu interpretierenden) Selbsttest im Buch „Resilienz im Projektmanagement: Bitte anschnallen, Turbulenzen. Erfolgskonzepte adaptiver Projekte“ [3]. Weitere Informationen gibt es auch auf www.denk-system.com. ■ Literatur [1] Snowden, D.: Strategy in the Context of Uncertainty. In: Handbook of Business Strategy. Bingley, UK, 2005, 6, 1, pp. 47-54 [2] Fredrickson, B. L./ Losada, M.: Positive affect and the complex dynamics of human flourishing. In: American Psychologist, 60, 7, 2005, pp. 678-686 [3] Borgert, S.: Resilienz im Projektmanagement. Bitte anschnallen Turbulenzen. Erfolgskonzepte adaptiver Projekte. Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-658-00999-1 Schlagwörter Adaptivität, Dynamik, Komplexität, Krisen, Resilienz, Widerstandsfähigkeit Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.1 Projektmanagementerfolg, 4.1.4 Risiken und Chancen, 4.1.18 Kommunikation, 4.2.1 Führung, 4.2.12 Konflikte und Krisen Autorin Stephanie Borgert ist Business Coach, Managementtrainerin und Buchautorin. Mit ihrem Unternehmen denkSystem legt sie den Schwerpunkt auf die systemtheoretisch basierte Arbeit mit Führungskräften, Projektleitern und Teams. Wie Projekte gelingen und wie sie widerstandsfähig und adaptiv durch Veränderungen geführt werden können, ist ihr Fokus. Kernthemen sind deshalb Komplexität, holistisches Management und exzellente Kommunikation im Business. Anschrift Lange Kuhle 43 D-48163 Münster Tel.: 0 25 01/ 92 43 96 Fax.: 0 25 01/ 92 43 97 E-Mail: Borgert@denk-system.com 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2013 50 WISSEN Andreas PM_5-2013_1-72: Inhalt 06.11.2013 14: 29 Uhr Seite 50
