eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 25/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
11
2014
251 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Schnelles und langsames Denken in Projekten, Teil 2

11
2014
Alfred Oswald
Jens Köhler
Projekte werden zunehmend komplexer und damit in ihrer Durchführung von Unsicherheit geprägt. Vielfach wird Intuition als das Mittel der Wahl angesehen, um mit Komplexität und Unsicherheit umzugehen – Rationalität hingegen sei hier wenig hilfreich. Auf der Basis der experimentell überprüften Theorien von Kahneman und Tversky zeigen wir, welche Folgen intuitive Denkfehler in Projekten haben. Wir erweitern diese Theorie mittels der Collective Mind Methode auf die Teamarbeit und zeigen an Beispielen, wie die Integration von Intuition und Rationalität zu effizienter und effektiver Handlungsfähigkeit führt. Der erste Teil dieses Artikels ist in projektMANAGEMENT aktuell 5/2013 erschienen.
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2014 l 25 4. Sozialtechnologien im Projekt Wie wir in Teil 1 dieses Beitrags gesehen haben, haben Kahneman und Tversky mit ihrer Theorie zur Entscheidungspsychologie Zusammenhänge und Einsichten in unserem Verhalten aufgedeckt, die über unsere Wahrnehmung allein nicht zugänglich sind. Dies zeigt einmal mehr, dass die Erkenntnis „Wir wissen nicht, was wir nicht wissen“ auch hier Gültigkeit hat und dass dieses Nicht-Wissen ganz entscheidend dazu beiträgt, Komplexität zu erzeugen, die keinen Mehrwert erschafft, sondern sogar Wert vernichtet und damit zu unserer Unsicherheit beiträgt. Auf unsere Verzerrungen übertragen heißt dies: Sehr oft wissen wir nicht einmal, dass wir Entscheidungen auf der Basis von Verzerrungen treffen, und dieses Nicht-Wissen hat Konsequenzen im Projekt, für die wir keine Erklärung haben. In den vorherigen Kapiteln haben wir gezeigt, wie Verzerrungen als individuelle Denkfehler in Erscheinung treten. In einem Team treten die Verzerrungen meist unbewusst und von Person zu Person unterschiedlich auf. Es entsteht eine wertevernichtende Komplexität 2 , denn verschiedene individuelle Verzerrungen wirken auf nicht überschaubare und vorhersehbare Weise aufeinander ein. Die Theorie von Kahneman und Tversky ist eine Sozialtechnologie, die dieser wertevernichtenden Komplexität und Unsicherheit entgegenwirkt. Sozialtechnologien sind nach unserem Verständnis überprüfbare Theorien, Modelle und Techniken, die individuelles und gruppenspezifisches Verhalten transparent machen. Sie stellen Mittel zur Verfügung, um unser Leben in Gemeinschaft im Hinblick auf ein Ziel oder Ziele menschlich zu gestalten und weiterzuentwickeln [11, 12]. Kahneman liefert mit System 1 und System 2 ein Instrumentarium, das Einzelpersonen erlaubt, Verzerrungen in Entscheidungsprozessen zu entdecken und entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Es stellt sich die Frage, ob und wie es möglich ist, dieses Instrumentarium auf Entscheidungsprozesse in Gruppen zu übertragen und in Projekten anzuwenden. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage, ob es auf der Basis von „Schnelles Denken, langsames Denken“ teamorientierte Instrumente gibt, die helfen, unerwünschte Verzerrungen im Projekt zu minimieren und erwünschte Verzerrungen im Projekt auszunutzen. Wir leiten aus dieser Frage folgende Fragen ab: ❑ Wie können Projekte so strukturiert werden, unter anderem durch die Teamzusammenstellung, dass individuelle und kollektive Verzerrungen aufgedeckt und reduziert werden? ❑ Ist es möglich, die werteschaffende Komplexität 3 zu erhöhen und gleichzeitig die wertevernichtende Komplexität zu minimieren und damit Unsicherheit zu reduzieren? Schnelles und langsames Denken in Projekten, Teil 2 Zur Beherrschung von Unsicherheiten in komplexen Projekten Projekte werden zunehmend komplexer und damit in ihrer Durchführung von Unsicherheit geprägt. Vielfach wird Intuition als das Mittel der Wahl angesehen, um mit Komplexität und Unsicherheit umzugehen - Rationalität hingegen sei hier wenig hilfreich. Auf der Basis der experimentell überprüften Theorien von Kahneman und Tversky zeigen wir, welche Folgen intuitive Denkfehler in Projekten haben. Wir erweitern diese Theorie mittels der Collective Mind Methode auf die Teamarbeit und zeigen an Beispielen, wie die Integration von Intuition und Rationalität zu effizienter und effektiver Handlungsfähigkeit führt. Der erste Teil dieses Artikels ist in projektMANAGEMENT aktuell 5/ 2013 erschienen. Alfred Oswald, Jens Köhler Die beiden Autoren zeigen, ausgehend von den empirischen Arbeiten von Kahneman (Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 2002) und Tversky, welche intuitiven Denkfehler Menschen in Projekten machen. Sie demonstrieren, wie Intuition und Rationalität bei Entscheidungen, die nahezu immer unter Unsicherheit getroffen werden müssen, integriert werden können. Im zweiten Teil wird die Brücke zur Theorie des Collective Mind geschlagen, die sich mit Teamzusammensetzung und Teamarbeit befasst und die von Oswald und Köhler entwickelt wurde. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ 2 Unter wertevernichtender Komplexität verstehen wir z. B. durch Missverständnisse in der Kommunikation entstandene Scheinprobleme, welche die Lösung der Aufgaben im Projekt in den Hintergrund rücken (man siehe hierzu die Behandlung sprachlicher Generalisierungen, Tilgungen oder Verzerrungen im NLP [13]). 3 Werteschaffende Komplexität liegt vor, wenn Organisationen oder Teams durch entsprechende (mentale) Vernetzung sich in die Lage versetzen, Neues zu schaffen und sich an ihre komplexe Umgebung anzupassen. PM_1-2014_1-72: Inhalt 30.01.2014 13: 20 Uhr Seite 25 ❑ Kann man die Prozesse im Projekt so organisieren, dass die individuellen und kollektiven Verzerrungen minimiert werden? ❑ Ist es möglich, die positiven Eigenschaften von System 1 und 2 entsprechend dem Projekttyp und den Projektphasen unterschiedlich zu gewichten, sodass diese passend zur Geltung kommen? Wenden wir uns der ersten Frage zu: Wie können Projekte so strukturiert werden, unter anderem durch die Teamzusammenstellung, dass individuelle und kollektive Verzerrungen aufgedeckt und reduziert werden? Es ist sehr auffällig und verwunderlich, dass Kahneman in seinem Buch keinerlei direkten Bezug zur Persönlichkeitspsychologie herstellt, obwohl die von ihm verwendeten zentralen Begriffe der Intuition und der Rationalität frappierend mit den Dimensionen „Intuition“ (N) und „Sensing“ (S) aus dem bekannten Modell der Persönlichkeitspsychologie, dem MBTI [5, 6, 22], übereinzustimmen scheinen. (Kahneman rät jedoch ganz dringend zum Einsatz von systematischen Kriterienkatalogen für die Einschätzung von Persönlichkeiten, um den Mechanismen der Verzerrung zu entgehen.) Die S-N-Dimension wird im MBTI bekanntlich durch die Pole Sensing (S) und Intuition (N) charakterisiert. Der S-Pol steht für eine detail- und faktenorientierte Persönlichkeitspräferenz, der N-Pol für eine ganzheitliche, Big Picture-orientierte Persönlichkeitspräferenz. (Der MBTI umfasst neben der S-N-Dimension drei weitere Persönlichkeitsdimensionen: E-I für Extroversion - Introversion, T-F für Rational - Feeling und J-P für Judging - Perceiving [5, 6, 10, 22]). Als Hypothese formulieren wir, dass eine Persönlichkeitspräferenz für die Intuition N ein starkes System 1 bedeutet und eine Präferenz für Sensing S eine starke Präferenz für System 2 bedeutet, und regen an, dies durch entsprechende Studien zu überprüfen. Unter der Annahme, dass diese Hypothese korrekt ist, ist es sinnvoll, Teams so zusammenzustellen, dass die Systeme 1 und 2 jeweils dort besonders zur Geltung kommen, wo sie ihre Stärken ausspielen können. In einem innovativen, komplexen Projekt ist es sinnvoll, am Anfang, wenn die Ziel-Ebene im Lösungsraum gesucht wird, das Projektteam mit Teammitgliedern der Präferenz für System 1 überzugewichten und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die damit verbundene Offenheit nicht allzu früh in eine zielorientierte Verzerrung mündet. Es gehört zur zentralen Führungsaufgabe des Projektleiters, durch entsprechende Interventionen dafür Sorge zu tragen (z. B. durch Dekorrelieren, Walt-Disney-Strategie o. Ä.). Die den Lösungsraum öffnenden Interventionen werden quasi wie von selbst durch Personen mit der MBTI-Präferenz NP (für Intuition und Perceiving) im Team unterstützt. Personen mit der NP-Präferenz passen sich sehr schnell Situationen an und lieben es, Ideen von allen Seiten zu beleuchten und neue Ideen einzubringen. Das Übergewichten von Personen mit einer Präferenz für System 1 (N-Präferenz) in einer frühen Projektphase sollte auch schon in der frühen Phase durch Personen mit einer Präferenz für System 2 (S-Präferenz) „korrigiert“ werden. Nachdem im Lösungsraum eine tragfähige Lösung gefunden wurde, ist es sinnvoll, die nötige Zielorientierung weiter zu unterstützen und die Lösung auszuarbeiten. In dieser Phase der Umsetzung empfiehlt es sich, den Anteil an Personen mit einer Präferenz für System 2 (S-Präferenz) überzugewichten [10, 14]. Wenden wir uns der zweiten Frage zu: Ist es möglich, die wertschaffende Komplexität zu erhöhen und gleichzeitig die wertevernichtende Komplexität zu minimieren und damit Unsicherheit zu reduzieren? Manfred Saynisch [15] zeigt in seiner Theorie des Projektmanagements 2. Ordnung, dass werteschaffende Komplexität mit einem evolutionären Sprung in der Ordnung eines Systems verbunden ist. Unter Ordnung verstehen wir die Vernetzung aller Systemelemente eines Systems, sodass etwas völlig Neues entsteht. Man spricht dann auch von einem emergenten Zustand. Unser Bewusstsein ist ein emergenter Zustand, der aus der Vernetzung der Neuronen in unserem Gehirn entsteht. In [10] haben wir gezeigt, dass durch die Vernetzung der mentalen Modelle der Teammitglieder in einem Team etwas völlig Neues entsteht. Wir haben den emergenten Zustand des Teams [16] als Collective Mind bezeichnet. Die wertschaffende Komplexität im Team wird durch die Vernetzung erhöht, aber so, dass die Vernetzung Kreativität freisetzt und alle Teammitglieder entsprechend ihren Stärken eingebunden werden. Es entsteht ein Höchstleistungsteam, das in einem Team Flow-Zustand arbeitet. Um die Vernetzung der mentalen Modelle der Teammitglieder zu erreichen, ist es notwendig, die angestrebte Lösung des Projekts durch drei Ebenen für die Zielerreichung abzubilden [10] (Abb. 4): Die oberste Ebene ist die Ziel-Ebene, welche die Gesamtaspekte des Projekts darstellt, die mittlere Ebene ist die Was-Ebene, auf der die Teilaspekte (z. B. Teilprojekte, Module, Prozesse etc.) abgebildet werden, und die unterste Ebene ist die Wie-Ebene, welche die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Teilaspekte enthält. Die Ziel-Ebene ist die Ebene des „Big Picture“ und wirkt als Anker des Systems 1, an dem sich die beiden anderen Ebenen ausrichten. Die Ziel- Ebene wird, wie die anderen Ebenen, nach einer Phase des Suchens im möglichen Lösungsraum festgelegt, ändert sich jedoch dann im Gegensatz zur Wie-Ebene während der Projektlaufzeit kaum. Die Ziel-Ebene wird als Anker eingesetzt und fokussiert (primed) das Projektteam und alle anderen Stakeholder auf ein gemeinsames Ziel, garantiert also die Effektivität und reduziert so die Unsicherheit. Das Einsetzen der Ziel-Ebene als Anker darf erst dann erfolgen, wenn der Lösungsraum hinreichend sorgfältig nach Alternativen abgesucht worden ist. In dieser Suchphase ist es notwendig, immer wieder Maßnahmen des Dekorrelierens einzusetzen, also das Team für Neues offenzuhalten. John Cleese [17] spricht in seinem sehenswerten Video über Kreativität vom Open Mode. Erst wenn die Ziel-Ebene zweifelsfrei als Big Picture existiert, kann die mentale Öffnung zurückgefahren werden (nach John Cleese in den Closed Mode). Die Inhalte der Wie-Ebene (die Ebene der detaillierten Lösungsschritte) können sich durchaus in dem Projektverlauf öfters ändern. Sie werden entsprechend den Rahmenbedingungen und fortschreitenden Erkenntnissen angepasst. Dies garantiert Effizienz. Die Wie-Ebene sorgt über die Details und Fakten der Zielerreichung für eine Minimierung der Verzerrungen auf operativer Ebene, da man sich hier faktenbasiert festlegt und damit System 2 (Rationalität) anspricht. Hier gehört auch die Ausgestaltung nach dem SMART-Modell hin [18]. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2014 26 WISSEN PM_1-2014_1-72: Inhalt 30.01.2014 13: 20 Uhr Seite 26 Die Besonderheit des Collective Mind Ansatzes ist, dass die einzelnen Ebenen von verschiedenen Persönlichkeitstypen präferiert werden [10]. So wird die Ziel- Ebene, welche von konzeptionellen Elementen dominiert wird, von intuitiven Temperamenten (N-Präferenz, System 1) bevorzugt. Hingegen wird die Wie-Ebene von wahrnehmungsorientierten Personen (S-Präferenz, System 2) präferiert. Diese haben ein hohes Verlangen nach detaillierter, analytischer und logischer Strukturierung eines Problems bzw. dessen Lösung. Auf der Was-Ebene werden beide Präferenzen vernetzt; hier können sie sich verständigen. Durch die Einführung und Anwendung des Dreischichtmodells des Collective Mind wird also die Vernetzung der mentalen Modelle im Team erst ermöglicht und werteschaffende Komplexität erzeugt. Die wertevernichtende Komplexität, wie Verzerrungen durch zum Beispiel Fokussierung auf „falsche“ Lösungswege oder kommunikative Missverständnisse im Projektteam, kommt nicht auf oder wird nahezu völlig reduziert. Wenden wir uns der dritten Frage zu: Kann man die Prozesse im Projekt so organisieren, dass die individuellen und kollektiven Verzerrungen minimiert werden? In Verallgemeinerung von Kahneman schlagen wir folgende Strategie vor: 1. Informationen sammeln (Bilden von Innensicht und Außensicht, Dekorrelieren, Reduktion von frühzeitigem Priming durch Information) 2. System 1 verwenden, also Kreativität und Intuition, um auf der Basis der Informationen Neues zu gestalten 3. System 2 verwenden, um die Ergebnisse der Kreativität und Intuition zu überprüfen und zu testen 4. Rationale und emotionale Überprüfung der Auswirkungen der Ergebnisse im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung Der erste Schritt in der Strategie ist das gezielte Sammeln von Informationen. Dies sind Informationen aus der Innensicht, aber vor allem auch Informationen aus der Außensicht: Beginnt ein Unternehmen ein Projekt von einem bestimmten Projekttyp, den es bisher noch nicht in seinem Projektportfolio durchgeführt hat, so empfiehlt es sich, Vergleichsinformationen (Aussagen zu Kosten, Aufwänden, Risiken usw. ) zu externen Projekten dieses Projekttyps heranzuziehen. Ziel dieses Strategieschrittes ist es, dem System 2 Informationen an die Hand zu geben, sodass System 1 in den nachfolgenden Schritten nicht die Oberhand gewinnen kann. Im Strategieschritt 2 übernimmt System 1 die Oberhand. System 1 kreiert, auf der Basis der Informationen aus Schritt 1 im Hinblick auf das Ziel, neue Ideen und Konzepte. In Strategieschritt 3 werden die Ergebnisse der kreativen Phase von System 2 überprüft und, falls erforderlich, verworfen. Im letzten Strategieschritt 4 werden die ermittelten möglichen Lösungsalternativen auf ihre Auswirkungen im gesamten Umfeld überprüft. Dies entspricht einer systemischen Sicht auf das Projekt. Diese Vierschrittestrategie kann mehrmals durchlaufen werden und zwar so lange, bis eine oder mehrere befriedigende Lösungen gefunden worden sind. Der von Kahneman vorgeschlagene Strategieprozess zur Minimierung von Verzerrungen enthält die wichtigsten Elemente der Walt-Disney-Kreativitätstechnik und entspricht gleichzeitig auch einer wissenschaftlichen Vorgehensweise. Die Strategieschritte 2 bis 4, also das Neue finden, das Neue überprüfen und testen und die Auswirkungen für das Umfeld berücksichtigen, erfahren im Rahmen des 3-Ebenen-Modells der Collective Mind Methode eine Ergänzung. Ziel dieser Prozessschritte ist es, Neues zu schaffen und gleichzeitig unerwünschte Verzerrungen effizient und effektiv zu verhindern. Zur Verdeutlichung verwenden wir ein Projektbeispiel aus dem fiktiven Unternehmen Medical Fit. Dieses Unternehmen ist in der forschenden Pharmabranche angesiedelt. Neue Medikamente verlangen in der forschenden Pharmabranche einen flexiblen Forschungsprozess, der durch eine innovative Informationstechnologie unterstützt wird. Hierzu soll ein innovatives IT-System erstellt werden. Damit wir dieses Beispiel besser veranschaulichen können, nehmen wir in Tabelle 2 das Ergebnis einer textlichen Skizze eines 3-Ebenen Collective Mind Schemas vorweg. Für eine Diskussion der verschiedenen Varianten dieses Collective Mind Schemas und ihrer Konsequenzen verweisen wir auf [19]. projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2014 l 27 Ziel-Ebene Makro-Ebene, Meta-Ebene Was-Ebene Maßnahmen Wie-Ebene Prozess- und Handlungsebene Abstraktion Abb. 4: Ziel-, Was- und Wie-Ebene zur Vernetzung der mentalen Modelle der Projektteammitglieder. Die Ziel-Ebene wird von System 1 (Intuition) bevölkert, die Wie-Ebene von System 2 (Rationalität). Die Was-Ebene vernetzt die beiden Ebenen [19]. Ziel-Ebene Den Forschern ist die Möglichkeit zu eröffnen, neue Wege der Forschung zu beschreiten. Was-Ebene Den Forschern ist ein Werkzeug zur Verfügung zu stellen, mit dem sie ihre Arbeit gestalten können. Wie-Ebene Den Forschern ist eine flexible Toolbox zur Verfügung zu stellen, die die individuelle Gestaltung von Auswerteprozessen auf der Grundlage aller Unternehmenssubstanzdaten erlaubt. Tab. 2: Beispiel zum 3-Ebenen-Modell des Collective Mind PM_1-2014_1-72: Inhalt 30.01.2014 13: 20 Uhr Seite 27 Ein flexibler Forschungsprozess bedeutet, dass beispielsweise neue Wirkstofftests hinzukommen oder alte Tests nicht mehr verwendet werden, was eine Anpassung der Datenstrukturen und schließlich der IT-Systeme nach sich zieht. Wir konzentrieren uns hier auf die sich zu stellende zentrale Frage: Wie flexibel muss die Architektur der den Prozess unterstützenden IT-Technologie sein? Wir werden dies hier ergebnisoffen diskutieren, da eine Empfehlung immer vom Kontext abhängt, und möchten uns hier auf das Wirken und das Entgegensteuern typischer Verzerrungen konzentrieren. Dazu verwenden wir das oben eingeführte Schema der Ziel-, Was- und Wie-Ebene der Collective Mind Methode. Die Projektaufgabe lautet also: Finde eine IT-Architektur, die einen schnelllebigen Forschungsprozess unterstützt. Als Projekttyp handelt es sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Missionarsprojekt [10], das heißt um eine innovative Aufgabenstellung, von der viele Menschen betroffen sind. Im Idealfall sollte hier die Lösungsfindung (nach der Phase der Informationssammlung) auf der Ziel-Ebene beginnen. In der Praxis gibt es zwei große Gefahren: Kreative Ideen tauchen auf und verzerren den Projektablauf in eine unerwünschte Richtung. Zusätzlich wird die Ziel-Ebene nicht systematisch über die Was- Ebene mit der Wie-Ebene verbunden und es erfolgt keine bewusste Trennung dieser drei Abstraktionsebenen. Es kommt zu unerwünschten Verzerrungen, die einerseits die Effektivität, also das Richtige zu tun, erheblich behindern, und andererseits bleibt die Effizienz auf der Strecke, denn es wird viel Zeit und Energie in Details gesteckt, die keinen Mehrwert schaffen. In Tabelle 3 haben wir typische Verzerrungen, die während des Suchens nach dem Collective Mind auftauchen können, deren mögliche Ausprägungen, deren Gefahren und die entsprechenden Gegenmaßnahmen dargestellt. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2014 28 WISSEN Verzerrung Mögliche Ausprägung Gefahr Gegenmaßnahme Priming Eine bestimmte Technologie oder Lösung wird im Team immer wieder von dominanten Teammitgliedern favorisiert. Die Lösung liefert nicht das gewünschte Ergebnis, sondern befriedigt die innovativen Präferenzen einiger Teammitglieder. Die Aussage „innovative Wege der Forschung zu beschreiten“ wird mit innovativer Technologie gleichgesetzt. Technologien nach objektiven Kriterien beurteilen, mit den dominanten Teammitgliedern gemeinsam nach deren Motiven forschen; Entscheidungen zur Technologie hinten anstellen, Einsatz von dekorrelierenden Kreativitätstechniken Überschätzung von Ereignissen mit geringer Wahrscheinlichkeit Formulierung und Beharrung auf der Anforderung, dass die IT-Architektur besonders flexibel sein muss, da sich der Forschungsprozess jederzeit dramatisch ändern könnte (überschätztes Ereignis): Es wird nach der „eierlegenden Wollmilchsau“ gesucht. Möglicherweise wird die Architektur zu flexibel gestaltet, dabei entsteht aber die paradoxe Situation, dass bei (häufigen und wahrscheinlichen (! )) kleinen Änderungen am Forschungsprozess zu viele Schichten am IT-System verändert werden müssen. Es ist zu klären, was „flexibel“ bedeutet. Es ist zu objektivieren, wie wahrscheinlich dramatische Änderungen am Forschungsprozess tatsächlich sein könnten. Hierzu sind Situationen, Szenarien durchzuspielen. Halo-Effekt Ein Experte, der in anderen Projekten erfolgreich war, wird für dieses neue komplexe Projekt wieder eingesetzt, obwohl ihm möglicherweise der fachliche Hintergrund fehlt. Der Experte verwendet Lösungsvorschläge, die in der Vergangenheit erfolgreich waren (evtl. seinem Verständnis von „innovativ“ und „flexibel“ entsprechend), es findet jedoch keine frühzeitige Überprüfung statt, und die eingesetzten Lösungsvorschläge greifen nicht. Den Experten nach den geforderten Kriterien auswählen und/ oder eine saubere Klärung zum gemeinsamen Verständnis des 3-Ebenen Collective Mind Modells des aktuellen Projektes und des erfolgreich beendeten Projektes Ankern Konzentration auf einen bestimmten (evtl. besonders interessanten) Schritt im Forschungsprozess (z. B. frühe klinische Teststufe) und Vernachlässigung des späteren Prozesses, obwohl das zu erstellende IT-System den gesamten Forschungsprozess unterstützen soll. Bei der Erarbeitung der Lösung konzentriert sich das Team unbewusst immer wieder auf diesen Teilprozess. Überprüfungskriterien für den gesamten Prozess erarbeiten und anwenden, systemische Sichten einbauen und Wertschöpfungsszenarien durchspielen Tab. 3: Beispiele für Verzerrungen im Projektbeispiel der Firma Medical Fit PM_1-2014_1-72: Inhalt 30.01.2014 13: 20 Uhr Seite 28 Um der Gefahr der Verzerrungen zu entgehen, schlagen wir vor, die Strategieschritte 2, 3 und 4 mit dem 3-Ebenen-Modell des Collective Mind zu verbinden (Abb. 4). Die Führungsaufgabe des Projektleiters ist es, diesen Prozess systematisch zu gestalten. In innovativen Projekten empfiehlt es sich, dass die Anzahl der Teammitglieder mit N-Präferenz (zuerst) überwiegen, damit das System 1 im Team besonders stark vertreten ist. Damit wird wahrscheinlich viel Kreativität freigesetzt, gleichzeitig erhöht sich aber auch die Gefahr für Verzerrungen. Also ist es immer wieder nötig, einen Kontext zu schaffen, in dem das System 1 in den Hintergrund tritt und System 2 korrigierend eingreifen kann. Dies sollte nicht abrupt erfolgen, indem direkt auf die Wie-Ebene gesprungen wird, sondern erst sollte die Was-Ebene ausgestaltet werden. Dort wird die Ziel-Ebene in Aspekte wie Prozesse (Tab. 3 im Fall des Forschungsprozesses), Kompetenzen (Tab. 3 im Fall des Experten) oder Komponenten (Tab. 3 bei der Technologie) zerlegt. Diese Aspekte müssen überprüfbar ausgestaltet sein. Der Kontext der Was-Ebene wird zunehmend analytischrational und begradigt damit etwaige Verzerrungen. Wichtig ist, dass die Moderation dieser Ebene von einem Projektleiter (oder einem Teammitglied) durchgeführt wird, bei dem System 1 sich nicht dominant äußert. Es ist gewollt, dass im Team nach einer Phase der Kreativität eine kühlere, rationalere Phase folgt. Die Ergebnisse der Überprüfung auf der Was-Ebene könnten beispielsweise folgendermaßen aussehen: analysierte, bewertete und dokumentierte Forschungshauptprozesse, eine Architekturskizze, die ein ausgearbeitetes Konzept der zukünftigen Module enthält oder ausformulierte Anwendungsfälle. Um auf den in Tabelle 3 erwähnten Punkt der Überschätzung von Ereignissen geringer Wahrscheinlichkeiten Bezug zu nehmen, sollte der analysierte und bewertete Forschungsprozess belastbare, auf der Organisationskultur basierende „Wahrscheinlichkeiten“ beinhalten, die eine Aussage ermöglichen, ob eine hochflexible IT-Architektur überhaupt gerechtfertigt ist. Falls sich der Forschungsprozess evolutionär ändert, also die Organisationskultur eher keine Sprünge zulässt, dann liegt hier ein Anhaltspunkt vor, von der flexiblen Architektur Abstand zu nehmen und zum Beispiel ein Produkt als Lösung zu wählen, das sich durch Anpassung von Modulen (z. B. Eingabemasken) an die jeweiligen Prozesse ausrichten lässt. Diese Module werden dann aktualisiert, wenn sich die Forschungsprozesse ändern. Das Ergebnis ist eine revidierte, verzerrungsreduzierte Ziel-Ebene auf der Basis einer strategischen Entscheidung. Ist die Ziel-Ebene hinreichend stabil, kann, ausgehend von der Was-Ebene, die Detailausarbeitung auf der Wie-Ebene begonnen werden. Sie wird von System 2 dominiert. Hier liegt die Fokussierung zum Beispiel auf einem ausgearbeiteten Anforderungsdokument. Diese Resultate sind wiederum auf die Was-Ebene zu spiegeln. Es sollte dann rational und emotional mit allen Beteiligten überprüft werden, ob die Lösung tragbar oder nicht tragbar ist. Falls sie tragbar ist, sollte die Lösung auf die Ziel-Ebene zurückgespiegelt werden, um festzustellen, ob die Zielrichtung noch stimmt. Falls die Lösung nicht tragbar ist, muss zusätzlich auf der Was- und Wie- Ebene überprüft werden, wo die Ursachen liegen. Aus der Vierschrittestrategie wird unter Hinzunahme der drei Ebenen ein Modell aus V- und W-Zyklen. Die Anzahl der Zyklen und die Kombinationen der Ebenen hängen von der Konvergenz des Lösungsfortschrittes ab. Bei jedem Durchlaufen der einzelnen Ebenen beziehungsweise der Zyklen bildet sich der Collective Mind im Projektteam besser aus. Am Ende reicht die Ziel-Ebene, um die kohärenten Assoziationen zur Aufgabenstel- Ziel-Ebene Wie-Ebene Was-Ebene Zielfindung Entwurf Zielfindung Abgleich Eliminierung von Verzerrungen Grobe Ausgestaltung des Ziels Detailausgestaltung des Ziels Abgleich mit Außenwelt Ziel Abb. 5: V- und W-Zyklus zur Lösungsfindung und Elimination von Verzerrungen bei einem Missionarsprojekt Anzeige PM_1-2014_1-72: Inhalt 30.01.2014 13: 20 Uhr Seite 29 lung und Lösungsfindung bei allen Teammitgliedern hervorzurufen. Damit wirkt die Ziel-Ebene primend in Richtung des gemeinsam erarbeiteten Ziels (Abb. 5). Wenden wir uns der vierten Frage zu: Ist es möglich, die positiven Eigenschaften von System 1 und 2, entsprechend dem Projekttyp und den Projektphasen unterschiedlich zu gewichten, sodass diese passend zur Geltung kommen? Eine zentrale Führungsaufgabe des Projektleiters ist es, entsprechend dem Projekttyp und der Projektphase Kontexte zur Verfügung zu stellen, die die Aktivierung von System 1 und System 2 beeinflussen. Dies kann auf verschiedene Arten geschehen: ❑ Die Zusammensetzung des Teams erfolgt entsprechend dem Projekttyp [10]. ❑ Da ein Projekt von der Ideenfindung über die Implementierung bis zum Rollout seinen Charakter ändert, kann es sinnvoll sein, durch die Teamzusammensetzung dem jeweiligen Temperament Rechnung zu tragen. In [10] haben wir hierfür Vorschläge gemacht. ❑ Wir haben schon bei der Walt Disney-Strategie gesehen, dass unterschiedliche Phasen sinnvollerweise unterschiedliche Rollen und einen unterschiedlichen Kontext (Räumlichkeiten) erfordern. Hierdurch wird Priming gezielt für die Bewältigung einer Aufgabenstellung eingesetzt. Nehmen wir beispielsweise ein innovatives Projekt, so sollte dieser Projekttyp in der Konzeptphase überwiegend (ca. 80 %) Personen mit N-Präferenz enthalten. Mit Beginn der Implementierungsphase wird der Anteil an Personen mit N-Präferenz, zugunsten des Personenanteils mit S-Präferenz, sukzessiv reduziert. Dies trägt der Änderung des Charakters des Projektes Rechnung. Auch dann, wenn es nicht möglich ist, die Teamzusammensetzung zu ändern, so ist es zwingend notwendig, dass der Projektleiter seinen Führungsstil im Laufe des Projektes ändert. In der Konzeptphase unterstützt der Führungsstil Kreativität und Intuition, also die effektive Suche nach dem besten Ziel und der besten Lösung. Im Laufe des Projektes ist der an der Effektivität ausgerichtete Führungsstil mehr und mehr durch einen an Effizienz ausgerichteten Führungsstil zu ersetzen [10, 19]. 5. Komplexität und Unsicherheit Im Scoring-Schema der GPM für Projekte werden Projekte als komplex bezeichnet, wenn Anzahl und Unterschiedlichkeit der Einflussfaktoren sowie deren Veränderungsrate in mindestens einem von fünf Bereichen hoch ist. Die Bereiche sind Projektziel, Projektgegenstand, Projektaufgabe, Projektausführende und Projektumfeld. Anzahl und Unterschiedlichkeit ziehen Unüberschaubarkeit nach sich und eine hohe Veränderungsrate birgt die Gefahr der Unvorhersehbarkeit in sich. Beispielsweise liegt im Bereich Projektziel eine sehr hohe Komplexität vor, wenn sehr viele, schwer erfassbare Ziele aller Art vorliegen, starke unklare Wechselbeziehung zwischen diesen Zielen bestehen und diese sich laufend und unklar ändern. Hierbei stellt sich die Frage, durch welche Umstände sich so viele Ziele ergeben. Ergibt sich der Mangel an Fokussierung auf ein Ziel lediglich daraus, dass eine mangelhafte Kommunikation zwischen den Stakeholdern es so erscheinen lässt, als ob viele Ziele vorlägen? Oder gibt es sehr wohl viele Ziele, die Ziele sind, jedoch Ziele, die auf der Wie-Ebene formuliert worden sind, und es fehlt die Integration durch die Was- und Ziel-Ebene, wie oben geschildert. Ein Projekt, das auf der Ziel-Ebene nicht durch ein Big Picture- Ziel repräsentiert werden kann, resultiert in wertevernichtender Komplexität. Werteschaffende Komplexität liegt vor, wenn dieses Big Picture-Ziel vorliegt und von allen Stakeholdern getragen wird, wobei unterschiedliche Teilziele des Big Picture-Ziels auf der Wie-Ebene durchaus vorliegen können. Existiert das Big Picture formal in Form von Bildern, Metaphern oder Geschichten, jedoch wird dieses Big Picture nicht von allen Stakeholdern geteilt, liegt eine wertevernichtende Komplexität vor. Um zu erreichen, dass alle (oder nahezu alle) Stakeholder das Big Picture-Ziel annehmen, ist es notwendig, Verzerrungen zu minimieren und dafür zu sorgen, dass ein Collective Mind unter den Stakeholdern entsteht. Zentrales Anliegen aller Bemühungen, mit Unsicherheit umzugehen, ist einerseits dem System 1 so viel mentalen Raum zu geben, dass Kreativität und Expertenintuition zur Geltung kommen, und andererseits dem System 2 so viel mentalen Raum zur Verfügung zu stellen, dass die Rationalität auf der Basis von Informationen Verzerrungen nicht aufkommen lässt oder zumindest stark reduziert. Zur Neuorientierung ist es sinnvoll, in kurzen Iterationszyklen im Projekt und im Projektumfeld nach neuen Informationen zu suchen und diese Informationen und die bisher gemachten Erfahrungen einer Bewertung zu unterziehen. Damit entsteht eine Handlungsstruktur, die Unsicherheit beherrschbar macht. Einstein beherrschte diese Strategie perfekt. Sein beliebtestes Werkzeug zur Behandlung von Unsicherheit waren die Gedankenexperimente. Hiermit ließ er seinem System 1 genug Raum für Intuition und Kreativität. Gleichzeitig waren die Gedankenexperimente als Kopfkino-Experimente angelegt, um Informationen und Rationalität, also System 2, den nötigen Raum zu geben. Immer wieder testete er seine Gedankenexperimente an den zur damaligen Zeit verfügbaren Informationen und überprüfte seine gesamte Theorie auf Widerspruchsfreiheit [20]. Heutige Verfahren zum Design und Start-up von Innovationen sowie neuen Businessmodellen und -produkten, wie Design Thinking, Business Model Canvas oder Lean Startup, wenden die Vierschrittestrategie für die Arbeit im Team an. Lediglich die Ausgestaltung der Schritte ist unterschiedlich. Agiles Management stützt sich auf zwei zentrale Gegenmaßnahmen, um Verzerrungen sichtbar zu machen und diesen entgegenzuwirken. Die erste Gegenmaßnahme ist das aktive Visualisieren von Aktivitäten und der damit verbundene Informationsaustausch. Die zweite Gegenmaßnahme ist, dies in kurzen Zeitabständen im Team zu wiederholen. Dadurch werden schnell Informationslücken, aber auch Verzerrungen sichtbar. Ein Entwickler, der zum Beispiel eine Technologie oder ein Verfahren für sinnvoll erachtet, weil er sie/ es mag (Affektheuristik) oder kennt (Verfügbarkeitsheuristik), kann so rechtzeitig auf eine kundenorientierte Lösung zurückgeführt werden. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2014 30 WISSEN PM_1-2014_1-72: Inhalt 30.01.2014 13: 20 Uhr Seite 30 6. Fazit und Ausblick Wir haben Grundzüge der Theorie und Praxis der Entscheidungspsychologie von Daniel Kahneman und Amos Tversky erläutert und in einigen Bereichen für das Projektmanagement adaptiert. Die Entscheidungspsychologie nach Kahneman und Tversky bezieht sich auf das Verhalten von Individuen. Unter Verwendung der Collective Mind Methode haben wir eine entsprechende Erweiterung auf Teams vorgenommen. Wir schließen den Artikel, indem wir Anregungen für eine weitere Vertiefung zu dem Thema Intuition und Rationalität sowie Verzerrung und Fehlverhalten geben. Wir haben die Hypothese aufgestellt, dass System 1 und System 2 von Kahneman und Tversky sowie die Pole N und S des Persönlichkeitsmodels MBTI eine große Ähnlichkeit aufweisen. Wir regen an, diese Thematik durch statistische Untersuchungen zu überprüfen. Verzerrungen im NLP [13] haben eine lange Tradition und deren Behebung ist von sehr großer Bedeutung für die Veränderungsarbeit von Einzelpersonen und Teams. Auch hier sehen wir in der wissenschaftlichen und praktischen Integration dieser verschiedenen Perspektiven, Entscheidungspsychologie und NLP, einen hohen Nutzen für Wissenschaftler wie Praktiker. Auf der Basis der hier vorgestellten Sicht auf Verzerrungen bekommt die Beschäftigung mit agilen Frameworks als Werkzeuge zum Umgang mit Unsicherheit eine erweiterte Bedeutung. Das dreijährige GPM Forschungsprogramm „Theorien der Projektarbeit“ [21] hat zum Ziel, Kriterien für die Neuausrichtung des Projektmanagements unter Unsicherheit zu erarbeiten. Dieser Artikel steht im Kontext dieses Forschungsprojektes und zeigt beispielhaft Wege zur praktischen Adaption von Theorien für die Projektarbeit auf. ■ Literatur [1] Kahneman, D.: Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler, München 2010 [2] Damasio, A. R.: Ich fühle, also bin ich. München 2001 [3] Schelle, H.: Von der Illusion in Projekten rational zu handeln. www.gpm-blog.de, 18. Juni 2012 [4] Cain, S.: Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt. München 2011 [5] Briggs Myers, I./ Myers, P. B.: Gifts differing, Understanding Personality Type. Mountain View, California 1995 [6] Keirsey, D.: Versteh mich bitte. New York 1990 [7] Oswald, A./ Köhler, J.: Wechselwirkende Organisationen, Teil 1. In: projektMANAGEMENT aktuell 5/ 2010 [8] Oswald, A./ Köhler, J.: Wechselwirkende Organisationen, Teil 2. In: projektMANAGEMENT aktuell 1/ 2011 [9] Shenhar, A. J./ Dvir, D.: Reinventing Project Management: the diamond approach to successful growth & innovation. Boston 2007 [10] Köhler, J./ Oswald, A.: Die Collective Mind Methode. Heidelberg 2009 [11] Beinhocker, E. D.: The origin of wealth. Boston, MA, 2006 [12] Knoblauch, H.: Sozialtechnologie, Soziologie und Rhetorik. Manuskript TU, Berlin 2006 [13] Brinkmann, M. (Hrsg.): Besser mit Business NLP. Berlin 2010 [14] Harvard Business Manager 6/ 2012 [15] Saynisch, M.: Mastering Complexity and Changes in Projects, Economy, and Society via Project Management Second Order (PM-2). In: Project Management Journal, Vol. 41, No. 5, 4-20, Project Management Institute 2010 [16] Haken, H./ Schiepek, G.: Synergetik in der Psychologie: Selbstorganisation verstehen und gestalten. Hogrefe- Verlag, Göttingen 2010 [17] Cleese, J.: John Cleese on Creativity. www.youtube. com/ watch? v=AU5x1Ea7NjQ [18] Wagner, R.: Motivieren SMART formulierte Ziele? www.gpm-blog.de, News, 16. April 2013 [19] Oswald, A./ Köhler, J.: Mit dem Projektnavigator zum Projekterfolg. In: Michael Lang (Hrsg.): Perfektes IT-Projektmanagement. Symposion Publishing, Düsseldorf 2012 [20] Dilts, R. B.: Einstein. Geniale Denkstrukturen und Neurolinguistisches Programmieren. Paderborn 1992 [21] Cron, D., et al.: Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie - Das gilt auch für die Projektarbeit! In: projektMANAGEMENT aktuell 4/ 2012 [22] Reynierse, J. H.: Toward an Empirically Sound and Radically Revised Type Theory. In: Journal of Psychological Type, Issue 1, March 2012 Schlagwörter Collective Mind, Entscheidungen in Projekten, Entscheidung unter Unsicherheit, Teambildung, Komplexität in Projekten Kompetenzelemente der NCB 3.0. 4.1.7 Teamarbeit, 4.1.8 Problemlösung, 4.1.18 Kommunikation, 4.2.1 Führung, 4.2.2 Engagement und Motivation, 4.2.7 Kreativität Autor Das Arbeitsgebiet von Herrn Dr. Alfred Oswald ist die Transformation von Teams zu Höchstleistungsteams, die Effizienz- und Effektivitätssteigerung in Projekten und in Organisationen sowie der Turnaround von komplexen Projekten. Sein besonderes Interesse gilt der Anwendung von Sozialtechnologien im Projektmanagement sowie im Innovations- und Transformationsmanagement. Anschrift IFST - Institute for Social Technologies GmbH Weißdornweg 12, D-52223 Stolberg Tel.: 0 24 02/ 3 70 11 E-Mail: Alfred.Oswald@ifst.biz Autor Dr. Jens Köhler hat an der Universität Bonn Physik studiert und dort promoviert. Als Projektleiter liegt sein Haupttätigkeitsfeld in der Prozessanalyse sowie der Konzeption, Realisierung und Implementierung von komplexen IT-Systemen in der Forschung. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung der Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams durch die gezielte Steuerung über Soft Skills und Kommunikationsprozesse. Anschrift BASF SE, D-67056 Ludwigshafen E-Mail: Jens.Koehler@basf.com projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2014 l 31 PM_1-2014_1-72: Inhalt 30.01.2014 13: 20 Uhr Seite 31