eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 25/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
11
2014
251 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Früher war alles besser – wie Erwartungsmanagement die Brücke zwischen alter und neuer Welt schlägt

11
2014
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
pm2510046
22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 1/ 2014 46 WISSEN Im Ze berate in ein Sie an FÜR PROJE P riesberg ist begeistert. Sein neues Dataminingtool ist endlich in Betrieb, die letzten Schulungen sind kurz zuvor abgeschlossen worden. Wie ein kleiner König schreitet er durch die Flure des Forschungsgebäudes der Firma Medical Fit. Huldvoll blickt er nach links und rechts zu den Labortüren und wünscht sich, dass die Benutzer des neuen Tools ihm die Reverenz erweisen. Seine Stimmung schlägt jedoch nach einigen Tagen in Resignation und schließlich in schiere Verzweiflung um. Die Benutzer kritisieren sein neues Tool! Ja, sie wagen sogar zu äußern, dass das alte Tool viel besser sei! Im neuen System findet sich niemand zurecht. Alles dauert so lange oder ist nicht intuitiv. Nach einiger Zeit hat sich Priesberg insoweit aufgerafft, dass er seinen Kollegen Ehrlich aufsuchen kann. Ehrlich hört ihm lange zu und beginnt zu monologisieren: „Das alte System ist das beste. Natürlich nur dann, wenn das neue System zur Verfügung steht.“ Ehrlich macht eine Gedankenpause und fährt fort: „Das alte System ist zum Startpunkt des neuen tatsächlich das beste. Es wurde über den Lebenszyklus hin optimiert und an die Arbeitsabläufe der Forschungsabteilung angepasst. Zudem haben die Benutzer viel implizites Wissen über das System erworben: ‚Eine Substanz hat zwei Identifikationsnummern? Kein Problem, man weiß doch, wie das gemeint ist.‘“ Priesberg muss den Redefluss erstmal verdauen. „Wieso haben wir dann überhaupt das neue Dataminingtool gemacht, das es ermöglicht, alle Forschungsdaten integriert und völlig neuartig auszuwerten? “ Ehrlich antwortet: „Weil es das Potenzial hat, weit über die Möglichkeiten des alten Datenbanksystems hinauszuwachsen. Es wird die alte Welt überholen, und zwar mit Vollgas! “ „Da fehlt mir aber die Straße dazu“, betont Priesberg ernüchtert. „Der Schlüssel heißt ‚Erwartungsmanagement‘“, kontert Ehrlich und fährt fort: „Kommuniziere mit deinen Benutzern offen und ehrlich, dass jetzt noch ein längerer Einpassungsprozess bevorsteht. Keine Beschönigungen! Und aber auch keine Schwarzmalerei! “ Priesberg überlegt: „Das sind allgemeine Floskeln. Ich benötige ein paar handfeste Regeln, die helfen, dieses komplexe Umfeld zu beherrschen.“ „Diese Regeln hängen von der Umgebung ab. Wie tickt denn deine Forschungsabteilung? “, ermuntert ihn Ehrlich. „Also, es ist alles nicht sehr hierarchisch, die Kommunikation untereinander ist eher informell und ungeordnet, eine innovative, extravertierte Forschungsabteilung eben. Aber es gibt Meinungsbildner, welche die Projekte voranbringen und ganz wichtige Impulse liefern. Auf die hören die anderen“, fasst Priesberg zusammen. Ehrlich sprudelt los, ohne lange zu überlegen: „Lass dir von den Meinungsbildnern die Probleme nennen. Stelle anschließend die Probleme und Lösungen grafisch dar, beispielsweise nach Themenbereichen gegliedert. Führe einen Jour fixe durch. Dort solltest du diese grafische Vorlage regelmäßig verwenden, um den Fortschritt, aber auch die nicht sofort lösbaren Probleme zu dokumentieren. Das erzeugt die gleiche Sichtweise. Gib den Teilnehmern das Gefühl, dass sie das neue System optimal zu den Arbeitsabläufen in der Abteilung gestalten können. Das nimmt die Angst, die eigene Arbeit nicht mehr effizient durchführen zu können. So wird Stück für Stück die Straße gebaut. Ganz nebenbei werden neue Funktionen etabliert und das Potenzial des neuen Datamining Tools voll ausgerollt“, er legt eine Pause ein: „Und ganz wichtig: Mache dir und den anderen klar, dass es sich bei all dem um einen natürlichen Vorgang handelt und es Zeit braucht, bis das Neue voll zur Geltung kommt. Das stabilisiert auch dich emotional als Projektleiter, und das ist in dieser Phase ganz wichtig.“ Priesberg unterbricht ihn erleichtert: „Ach, das versteht man dann tatsächlich unter Rollout.“ Ehrlich übernimmt: „Ja, das ist sprichwörtlich das Ausrollen des Asphalts der Straße, die wir bauen wollen. Und mit der Zeit wird das neue System Bestandteil der Arbeitsprozesse, es bildet sich wieder implizites Wissen bei der Bedienung aus. Und irgendwann gibt es wieder einen Zeitpunkt, an dem auch dieses System das beste ist: Nämlich dann, wenn eine erneute Ablösung ansteht.“ ■ Autor Dr. Jens Köhler ist bei der BASF SE beschäftigt. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung der Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams durch die gezielte Steuerung über Soft Skills und Kommunikationsprozesse. Anschrift BASF SE, D-67056 Ludwigshafen, Jens.Koehler@basf.com Projektgeschichten und Fallstudien Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ Früher war alles besser - wie Erwartungsmanagement die Brücke zwischen alter und neuer Welt schlägt Die Kolumne möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidung“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler PM_1-2014_1-72: Inhalt 30.01.2014 13: 22 Uhr Seite 46