eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 25/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2014
252 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Notruf 110 – jetzt hat Erfurt übernommen!

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2014
Oliver Steeger
„Polizeinotruf – was kann ich für Sie tun?“ Wer den Notruf 110 wählt, braucht schnell Hilfe. In Thüringen laufen ab diesem Jahr die Polizeinotrufe landesweit zentral zusammen. Eine neue Einsatzleitzentrale in Erfurt sorgt rund um die Uhr dafür, dass die Beamten schnell den Einsatzort erreichen. Das Herzstück dieser Leitzentrale: Ein IT-System hilft der Polizei, den Anrufer zu lokalisieren, das nächste Einsatzfahrzeug zu finden und die Polizeibeamten vor Ort mit Informationen zu versorgen. Zweieinhalb Jahre lang hat ein Projektteam die Zentrale entwickelt, auf gebaut und auf den Tag pünktlich „scharf geschaltet“. Der Innenminister des Landes drückte vor TV-Teams und Pressefotografen den roten Startknopf. Im Interview berichtet Andreas Schaser von der Projektleitung über dieses Vorhaben – und zeigt, wie professionelles Projektmanagement öffentliche Projekte voranbringen kann.
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2014 l 17 Die Polizei hat ja besonderes Wissen über schützenswerte Objekte wie Gerichtsgebäude, Banken oder Schulen. Dazu zählen etwa Gebäudepläne, Absperrpunkte, Grundstückspläne und anderes. Diese Informationen befanden sich bislang dezentral bei den Dienststellen, teilweise noch in Aktenordnern. Diese Daten haben wir mit acht Kräften über viele Wochen digitalisiert, validiert und in einer Wissensdatenbank gespeichert. Dadurch können wir mangelnde Ortskenntnis oder Detailkenntnisse der Beamten kompensieren. Einsatzdatenbank, die Leitzentrale selbst - was gehörte noch zu Ihrem Projekt? Eine Schnittstelle hatten wir zum parallelen Bauprojekt. Die Zentrale brauchte ja einen Raum sowohl für die Arbeitsplätze wie auch Systemtechnik. Eingerichtet wurde sie in einem ehemaligen Kultursaal der Polizei. Dieser Saal mit seiner Bühne und den Stuckdecken stand unter Denkmalschutz. Er wurde behutsam entkernt und neu aufgebaut. Hinzu kam ein Organisationsprojekt. Weshalb ein Organisationsprojekt? In diesem Teilprojekt haben wir die neuen Prozesse und Handlungsanweisungen erarbeitet, nach denen von zentraler Stelle aus die Einsätze gemanagt werden. Und wir brauchten Schulungsunterlagen, um die Einsatzsachbearbeiter auf ihre Tätigkeit vorzubereiten. Darüber Einsatzinformationen aus dem System … die Polizeibeamten sind dort gebunden. Sie sitzen an ihren Tischen und nehmen ankommende Anrufe entgegen. Durch die Bündelung in einer Einsatzzentrale können wir nun effizienter arbeiten. Es werden in Thüringen unter dem Strich weniger Beamte für das Notrufmanagement gebraucht. Die frei werdenden Beamten können die Basisdienststellen stärken. Es stehen also mehr Beamte für Einsätze bereit, eine verbesserte Verfügbarkeit der Polizei. „Mehr Blau“ bürgernah einzusetzen, dies war Teil der politischen Ziele. Parallel dazu wird der neue Digitalfunk der Polizei eingeführt und in das Notrufmanagement integriert. Durch den Digitalfunk eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten bei der Polizeiarbeit, etwa die Standortbestimmung der Polizeifahrzeuge. Das heißt, in der Einsatzleitzentrale kann man genau sehen, welches Fahrzeug am nächsten zum Anrufer ist? Ja. Dies ist ein großer Vorteil! Sie sagen, dass die Einsatzleitzentrale die Notrufe in Erfurt bündelt. Früher gab es Einsatzbearbeiter am Ort. Sie kannten quasi ihr Revier. Sie wussten beispielsweise, wo in der Innenstadt abgesperrt werden musste, wenn es zu einem Unfall gekommen war. Sie kannten auch lokale Straßenbezeichnungen, die in keinem Stadtplan eingezeichnet sind. Dieses Wissen dürfte in einer landesweiten Einsatzleitzentrale fehlen. Wie soll der Beamte in Erfurt wissen, wie die Verhältnisse etwa am Bahnhof oder an der Sparkasse in Weimar sind? Nein, dieses Wissen fehlt nicht. Eine Einsatzleitzentrale ist weit mehr als nur ein Büro mit einigen Tischen und Telefonen. Wir haben in unserem Projekt ein Einsatzleitsystem mit Objekt- und Wissensdatenbank aufgebaut, also ein IT-System, dessen Daten und Informationen den Beamten in der Zentrale örtliches Wissen vermitteln. Einsatzleitsystem - wie darf ich dies genau verstehen? Das System können Sie im Grunde mit einem erweiterten Funkrufsystem vergleichen. Es verschafft eine Übersicht über Status und Positionen der Einsatzkräfte und Fahrzeuge. Es sorgt auch dafür, dass das Fahrzeug, das am schnellsten zum Einsatzort fahren kann, den Auftrag bekommt. Es wertet die Notrufdaten aus, unterstützt mit Geo- und Karteninformationen, schlägt vordefinierte Prozeduren vor und dokumentiert den Einsatz. Es schneidet beispielsweise Notrufe mit, damit diese später bei Bedarf gerichtlich verwertet werden können. Selbstverständlich ist das Einsatzleitsystem sicher aufgebaut und hochverfügbar. Effizientere Einsatzbearbeitung - diesen Punkt hatten wir … Langsam, das System kann noch mehr. Damit sind wir bei Ihrer Frage nach jener Ortskenntnis, die vom Einsatzbearbeiter der Polizei gebraucht wird. Das System führt die Geodaten mit besonderen Einsatzinformationen und objektspezifischen Informationen zusammen. Mehr Beamte für Einsätze Bernhard Rieder, Staatssekretär im Thüringer Innenministerium: „Die Errichtung der Landespolizeidirektion stellt den Kern der im Herbst 2011 vom Thüringer Landtag beschlossenen Polizeistrukturreform dar, eine der wichtigsten Reformen der gesamten Legislaturperiode. Gleichwohl wird es erst durch die Inbetriebnahme der Landeseinsatzzentrale ermöglicht, die polizeilichen Abläufe weiter zu optimieren, damit zur Verfügung stehende Mittel und Kräfte der Thüringer Polizei sowohl effektiver als auch effizienter eingesetzt werden können. Nur dann wird gewährleistet, dass das vorhandene Personal den stets wachsenden Anforderungen auch zukünftig wirkungsvoll begegnen kann. Im Projekt habe ich es als meine wesentliche Aufgabe angesehen, den Berichtsrahmen zwischen ministerieller Ebene und der Leitungsebene der Thüringer Polizei vorzugeben, um stets aktuell informiert zu sein und bei auftretenden Problemen schnell Entscheidungen treffen zu können.“ Foto: Thüringer Innenministerium PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 39 Uhr Seite 17 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2014 Teilleistungen andere, wie zum Beispiel der Projektsteuerer, erbringen. Für eine juristisch haltbare Ausschreibung war dies sehr hilfreich. Artefakte - was ist damit gemeint? Mit Projektartefakten sind nicht nur Bausteine für das Leitstellensystem gemeint, sondern etwa auch Konzepte, Handbücher, Reports oder Projektmanagementunterlagen. In der Ergebnistypenliste war beispielsweise festgelegt: Der Projektsteuerer hat bestimmte Formulare zu liefern, die der Lieferant zum Reporting nutzt. Oder der Auftragnehmer erstellt das Betriebskonzept. Das Betriebshandbuch dagegen wird vom Auftraggeber geschrieben, nämlich von den Technikern der Thüringer Polizei. Zudem war unsere Ergebnistypenliste mit einer sogenannten RACI-Matrix verbunden. Diese Matrix visualisiert die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten; aus ihr geht auch hervor, wer was wem zuarbeiten muss. Welche Bedeutung hatte das Projektmanagement in der Ausschreibung? Eine große Bedeutung! Wir haben in den Ausschreibungsunterlagen nicht nur die Methodik vorgegeben. Genau definiert war auch beispielsweise das Vorgehen für Änderungsverlangen, also Change Requests für die Kommunikation oder das Eskalationsmanagement. Das Kapitel zum Projektmanagement umfasste rund fünfzig Seiten! Dazu gehörten übrigens auch die Abläufe für den Fall des Falles, das Projekt abbrechen zu müssen. Dies haben wir zum Glück nicht gebraucht … … es zeigt aber, wie umfassend Sie das Projektmanagement geplant haben. Sie haben das komplette Projekt und sein Management vor dem Start gedanklich durchgespielt. Manche Projektmanager schätzen, dass solch eine minutiöse Planung ein Drittel der Projektlaufzeit beansprucht. Diesen Wert kann ich aus meiner Erfahrung bestätigen. Wir haben rund ein Jahr geplant und konzipiert. Diese intensive Vorbereitung ist mit Sicherheit ein wichtiger Erfolgsfaktor. Nach jeder Verhandlungsrunde mit möglichen Auftragnehmern haben wir Präzisierungen in diese Ausschreibung und unsere Planung eingearbeitet. Wir haben also „lernend“ das Leistungsverzeichnis fortgeschrieben und danach den Bietern die Anpassungen mitgeteilt. Apropos „Bieter“! Sie haben neben einem Auftragnehmer für die Technik ja auch einen externen Projektsteuerer gesucht. Weshalb einen Projektsteuerer? Uns war von vornherein klar, dass wir einen Generalunternehmer für das System beauftragen wollten und nicht eine größere Zahl spezialisierter Lieferanten, die wir dann zu managen hätten. Der Generalunternehmer war für uns die sicherste Lösung, er lieferte alles aus einer Hand. Zwischen unserem Team und dem des Auftragnehmers agierte dann der externe Projektsteuerer. Er bildete die Schnittstelle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Zudem stärkte er die Auftraggeberseite mit seinem Wissen und Erfahrungen im Projektmanagement. Intensive Vorbereitung hinaus beinhaltet das Projekt die Ausstattung der Leitstelle, Tische mit Monitoren, Telekommunikationstechnik und den Aufbau eines georedundanten Technikzentrums für die Server- und Kommunikationstechnik. Viele derartige öffentliche Projekte scheitern bereits an der allerersten Hürde. Sie bleiben bei der komplizierten Ausschreibung stecken. Das Problem: Die Ausschreibungen werden häufig wegen Formfehlern oder Ungenauigkeiten angegriffen. Sie werden so lange gerügt und beklagt, bis am Ende die Ausschreibung zurückgezogen werden muss. Wie kann Projektmanagement helfen, diese Hürde zu nehmen? Wir haben für unser Projekt gemeinsam mit einem Fachplaner Planungsworkshops durchgeführt und dabei eine multifunktionale Leistungsbeschreibung mit über 600 Kriterien erstellt. Die Frage war: Was soll dieses Leitstellenprojekt alles liefern und leisten? Sie haben also die klassische Projektmanagementtugend sorgfältiger Zielbestimmung und Planung gepflegt? Richtig! Dies betrifft nicht nur die Technik, sondern auch das Projektmanagement selbst. Konkret: Wir haben neben den Leistungskriterien eine Ergebnistypenliste erarbeitet. In dieser Ergebnistypenliste waren, grob gesagt, die Projektartefakte beschrieben. Das heißt, was von unseren möglichen Lieferanten erstellt werden muss, was der Auftraggeber im Projekt beistellt und welche Projektmanagement bei der Ausschreibung 18 REPORT Winfried Bischler, Präsident Landespolizeidirektion Thüringen: „Der Landespolizeidirektion kommt im Rahmen der Polizeistrukturreform eine völlig neue und zugleich moderne Führungsrolle zu, die erst mit der Landeseinsatzzentrale voll zur Wirkung kommt. Durch modernste Informations- und Kommunikationstechnik wird vor allem eine zentrale Kräfte- und Mitteldisposition ermöglicht, die nicht nur polizeiinterne Abläufe optimiert, sondern gerade auch für die Bürger Thüringens entscheidende Vorteile mit sich bringt. So können schneller die richtigen Ansprechpartner informiert und die Unterstützung durch Polizeikräfte sowie deren rasche Verfügbarkeit vor Ort gewährleistet werden. Im Projekt kam es mir vor allem darauf an, nicht nur die Verantwortung für die Umsetzung wahrzunehmen, sondern vielmehr durch meine Einbindung in den Lenkungsausschuss des Projekts aktiv mitzuwirken. Durch die wöchentlichen Besprechungen auf Leitungsebene war es mir weiterhin möglich, die verfügbaren Personalressourcen und Kompetenzen im eigenen Hause für den Projekterfolg gezielt einzusetzen.“ Foto: Thüringer Polizei - Landespolizeidirektion PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 39 Uhr Seite 18 projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2014 l 19 So haben wir uns gemeinsam mit unserem Auftragnehmer entschieden, dass der Steuerer das Projekt zwar vorantreiben, doch keine Fronten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer aufbauen sollte. Der Steuerer sollte integrativ wirken und dabei durchaus die Finger in offene Wunden legen. Auch, wenn dies Ihnen als Auftraggeber mal wehtat? Auch dann, ja! Ein Steuerer entlastet bekanntlich den Projektmanager. Wie haben Sie diese Entlastung genutzt? Die Projektleitung hat das Projekt nach außen vertreten, dies war ihre Hauptaufgabe. Sie hat in der Linienorganisation gewirkt. Vergessen Sie nicht: Mit unserem Vorhaben war ja nicht nur ein Bauprojekt und ein IT- Projekt verbunden, sondern auch ein großes Organisationsprojekt. Deshalb mussten wir bei den Polizeidienststellen im Land die Pläne vorstellen und um Unterstützung werben. Also Stakeholdermanagement, wie es im Lehrbuch steht? Richtig! Ein Beispiel dafür: In der IT wurden umfangreich neue Technologien eingesetzt. Dies hat in der IT-Abteilung einen Wandel ausgelöst und gewohnte Strukturen aufgebrochen. Darauf mussten wir die Kollegen vorbereiten. Konkret - was leistete der Projektsteuerer? Wir haben ihn beauftragt, das Projekt im magischen Dreieck zum Ziel zu führen - also zum vorhergesehenen Termin, im geplanten Budget und mit der erforderlichen Qualität. Dazu hat der Steuerer organisatorische und administrative Aufgaben im Projekt übernommen. … also etwa bei Teilprojekten Termine abgefragt. Insbesondere hat er diese Termine verdichtet und zu Zusammenfassungen aufgearbeitet. Darüber hinaus hat er Termine angemahnt und Abstimmungen vorangebracht - dies durchaus auch im nachdrücklichen Ton. Zum anderen trat er auch als Schlichter bei Konflikten auf, die nun einmal zu solch einem Großprojekt gehören. Er steuerte quasi nicht nur den Lieferanten, sondern wirkte auch in das Team der Polizei hinein? Ja, häufig sehr praktisch durch Managementreports oder die Vorbereitung von Jour-fixe-Besprechungen. Und: Wir wollten bei Problemen auch seine unabhängige Meinung hören. Ein Projektsteuerer trägt überdies häufig PM-Knowhow in die Organisation seiner Auftraggeber. War dies bei Ihnen ähnlich? Mit Sicherheit. In der IT der Polizei kennen wir uns mit dem V-Modell aus. Damit wird in der Regel gearbeitet. Allerdings handelte es sich bei dem Leitstellenprojekt nicht um ein Softwareentwicklungsprojekt, für welches das V-Modell entwickelt worden ist. Moment! Die IT-Lösung - das Einsatzleitsystem - war ein großes Teilprojekt Ihres Vorhabens … Ein großes Teilprojekt, ja. Doch letztlich war unser Gesamtvorhaben produktorientiert. Wir brauchten beispielsweise Systeme, Tische, Räumlichkeiten oder eine Videowand. Mit dem V-Modell stößt man bei solchen Projekten an Grenzen. Deshalb sind wir dem PRINCE2- Ansatz gefolgt - einem Ansatz, der in der Polizei aber weitgehend unbekannt ist … … und deshalb auch auf Widerstand stoßen kann? So ist es. Wir brauchten zum einen Kenntnisse und Erfahrungen von außen, zum anderen eine unabhängige Meinung zu dem PRINCE2-Modell, um die Akzeptanz zu fördern. Der externe Projektsteuerer hat uns dabei gut geholfen. Ihrer Erfahrung nach - was sollte ein Projektsteuerer für ein Vorhaben wie das Leitstellenprojekt an Kompetenz mitbringen? Der Steuerer braucht selbstverständlich Projekterfahrung. Er sollte das verwendete Vorgehensmodell und die Methodik beherrschen. Wichtig ist, dass anfangs seine Rolle geklärt wird und er in diese Rolle gut hineinfindet. Projektsteuerer an Bord Rollen im Projekt klären Werner Jakstat, Präsident Landeskriminalamt Thüringen: „Dem Landeskriminalamt Thüringen (TLKA) obliegt unter anderem der Betrieb für alle Informations- und Kommunikationssysteme (IuK-Systeme) der Thüringer Polizei. Die vollständige Erfüllung dieser Aufgabe ist durchgängig und im Einklang mit diversen IuK-Projekten zu gewährleisten. Im Rahmen des Projekts „Zentrale Leitstelle“ musste das TLKA die Integration eines neu entwickelten Systems in die bestehende Systemlandschaft der Thüringer Polizei sicherstellen - ohne Einschränkung des laufenden Betriebes. Demnach kam es bei der Vorbereitung und Planung des Projekts vor allem auf eine umfassende Personaleinsatzplanung an. Nur dadurch war es möglich, dem Projekt die notwendige Fachexpertise des TLKA zur Verfügung zu stellen und zeitgleich den technischen Betrieb zu garantieren. Darüber hinaus verfügte ich infolge meiner Einbindung in den Lenkungsausschuss des Projekts und in die wöchentlichen Projektberatungen auf Leitungsebene der Thüringer Polizei stets über aktuelle Informationen, auf deren Basis ich mein Personal optimal einsetzen konnte.“ Foto: Landeskriminalamt Thüringen PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 39 Uhr Seite 19 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2014 Nochmals zum Stakeholdermanagement. Wie kann man unter diesem Termindruck alle Interessengruppen ins Projekt einbeziehen? Wir wussten von Anfang an, dass es im Terminplan spitz zulaufen würde. Deshalb haben wir zwar früh mit den Interessengruppen Gespräche geführt, die Diskussion aber dann im Sinne des Gesamtprojekts begrenzt. Einiges musste schlichtweg von uns bestimmt werden. Wir haben es in der Leistungsbeschreibung und in Konzepten festgeschrieben und parallel abgearbeitet. Anderenfalls hätten wir keine Chance gehabt, den Termin zu halten. Ähnliches galt auch für das Änderungsmanagement. Bei solch einem Projekt haben bekanntlich viele Leute viele Verbesserungsvorschläge und Änderungswünsche. Wir haben zum einen immer darauf geachtet, dass gewünschte Änderungen der Leistungsbeschreibung folgen. Darüber hinaus haben wir Änderungswünsche mit einem Prozess verbunden. Wer Änderungswünsche hatte, musste diese zu Papier bringen und auf Basis der Leistungsbeschreibung begründen. Es ist schwieriger, einen Änderungswunsch niederzuschreiben, als in einer Besprechung zu äußern … Genau! Auf diese Weise kann man die Spreu vom Weizen trennen und die Änderungswünsche auf ein sinnvolles Maß reduzieren, etwa um zwanzig bis dreißig Prozent. Viele Änderungswünsche konnten wir im Rahmen des Projekts berücksichtigen. Wie haben Sie die Änderungen gemanagt? Alle Änderungsanträge haben wir in einem „Change Request Log“ dokumentiert, also einer zentralen Liste mit Änderungsanträgen und den dazugehörigen Entscheidungen. Zudem wurden die Anträge fachlich beschrieben. Wir haben festgehalten, wer sie fachlich zu autorisieren hat und wie sie von unserem Lieferanten bewertet werden. In kleinen Runden haben wir mit dem Auftragnehmer die Änderungsanträge beraten. Bei größeren Änderungen wurde die Entscheidung der Präsidenten eingeholt, denen unser Projekt unterstand. Alles in allem ein sehr klares Verfahren für den „Change Request“? Dieses Verfahren haben wir bereits in der Ausschreibung festgelegt. Wie wird was entschieden? Wie wird was genehmigt? Dies galt natürlich nicht nur für Änderungswünsche von außen, sondern auch für Änderungen, die sich aus dem Projekt heraus ergaben. In der Ausschreibung war auch das Verfahren für den Negativ- Change Request beschrieben. Negativ-Change Request? Was darf ich darunter verstehen? Änderungen führen in der Regel zu Mehrleistungen. Man nimmt noch ein Feature dazu, dies kostet mehr Geld, vielleicht auch mehr Zeit. Wir sind in unserem Projekt jedoch auch davon ausgegangen, dass mögliche Konstellationen den Leistungsumfang mindern können. „Hürden“ für Änderungswünsche Mit welchen Methoden haben Sie Ihr Projekt vermarktet? Für professionelles Projektmarketing blieb kaum Zeit. Newsletter oder andere Instrumente des Projektmarketings konnten wir daher nicht kontinuierlich einsetzen. Interessierte konnten sich aber auf einer eigens eingerichteten Homepage auf dem Laufenden halten. Zudem haben wir einen Steckbrief des Projekts entwickelt, eine grafische Zusammenfassung auf einer DIN-A3-Seite mit Plänen, Animationen, Inhalten, Terminschemata und Meilensteinen. Dieses „Big Picture“ half, das Projekt zu erklären und von der geplanten Leitstelle einen ersten Eindruck zu geben. Außerdem wurde für Teilnehmer und Gäste der Inbetriebnahme ein Projektflyer erstellt. Das war im November vergangenen Jahres. Sie sagten, Ihnen fehlte Zeit. Man muss wissen: Ihr Team hatte für die Inbetriebnahme der Leitstelle einen festen Endtermin. Dieser Termin wurde politisch gesetzt. Ziel war es, die Landeseinsatzzentrale als Kernstück der Polizeireform zeitnah zur Errichtung der Landespolizeidirektion in Betrieb zu nehmen. Ihr Projekt stand mit dieser Vorgabe unter enormem Termindruck. Sie hatten wenig Zeitpuffer … Keinen Zeitpuffer, um genau zu sein. 20 REPORT Matthias Bollenbach, Polizeidirektor und Projektleiter Landespolizeidirektion Erfurt: „In Anbetracht der Komplexität des Projekts war eine kontinuierliche und vor allem professionelle Begleitung durch externe Dienstleister durch alle Phasen des Projekts hindurch unabdingbar. Zu nennen sind hier insbesondere das technische Consulting im Rahmen der Vorbereitung und die juristische Begleitung während des Ausschreibungsverfahrens sowie die Projektsteuerung ab der Auftragsvergabe. Letzteres liegt vor allem darin begründet, dass erforderliche Projektmanagementkompetenzen in der Thüringer Polizei für ein Projekt dieser Größenordnung nicht entsprechend ausgeprägt sind. Als ein weiteres Erfolgskriterium werte ich darüber hinaus die Fähigkeit des externen Dienstleisters, seine Leistungen vor dem Hintergrund der vorherrschenden Unternehmenskultur und Verfahrensweisen der Organisation einzubringen. Die wirkungsvolle Projektsteuerung war wesentliches Erfolgskriterium für die planmäßige Errichtung der zentralen Leitstelle innerhalb eines Jahres.“ Foto: Pressestelle LPD PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 39 Uhr Seite 20 projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2014 l 21 wirklich alle Arbeiten abgeschlossen sind. Diese eiserne Regel haben wir eingeschränkt. Anderenfalls hätten wir schon kurz nach Projektstart melden müssen, dass wir unsere Termine nicht halten können. Ähnlich sind wir auch beim Testen des Systems vorgegangen. Normalerweise testet man eine Woche, danach werden entdeckte Fehler behoben, anschließend wird wieder eine Woche getestet - so geht es dann weiter. Was war bei Ihnen anders? Wir haben agile Methoden verwendet, die aus dem Scrum-Ansatz bekannt sind. Daher verkürzten wir das Testintervall auf einen Tag. Morgens haben wir getestet. Um 14 Uhr wurden die Ergebnisse mit dem Auftragnehmer besprochen, nachmittags hat der Auftragnehmer entwickelt und konfiguriert. Am nächsten Tag haben wir dann nachgetestet. Wo liegt der Vorteil des agilen Testens? Die Fehler wurden nicht hochgespielt. Sie wurden direkt, in der zweiten Tageshälfte, beseitigt. Das ging wesentlich flüssiger. Aber es ist doch besser, wenn ein System strukturiert und gründlich durchgetestet wird? Das ist richtig. Durch agiles Testmanagement erreichen Sie selten diese Gründlichkeit und Systematik. Da wir eine bereits in anderen Polizeibehörden erprobte Soft- Agiles Testen des Systems Konkret: Wir haben bei der Ausschreibung Leistungsmerkmale benannt und mit Preisen bewertet, welche unter bestimmten Bedingungen entfallen dürfen. Lassen Sie mich raten! Kam es zu Mehrleistungen, so haben sie diese Punkte wieder aus dem Leistungsumfang gestrichen? Genau so sind wir verfahren. Änderungen, die zur Mehrleistung führten, versuchten wir mit Änderungen auszugleichen, die eine Minderung ermöglichten. Es entstand beim Change Request quasi ein Nullsummenspiel und wir konnten im Budget bleiben. Ein simples Beispiel: Angenommen, Sie brauchten einen Monitor in der Leitzentrale mehr, dann haben Sie beispielsweise … Nein, langsam. Für Leistungen mit einer Stückzahl - etwa Tische - eignet sich diese Vorgehensweise nicht. Bei uns ging es eher um Features in der Software. Was passiert, wenn wir auf dieses oder jenes Feature verzichten - um damit eine Änderung zu ermöglichen? Welches Einsparpotenzial bringt dieser Verzicht? Deshalb ist es ja wichtig, dass man in der Angebotsphase sich Features vom Auftragnehmer kalkulieren und mit Preisschild versehen lässt. Ohne vorherige Preiskalkulation ergibt diese Vorgehensweise wenig Sinn. Sie sprechen nur von Budget und Preisen. Kann man mit dieser Methode auch bei Terminen vorgehen? Das Projektteam verzichtet auf ein Feature, um Zeit für eine Änderung zu gewinnen? Bei den Terminen sind wir anders vorgegangen. Ein Beispiel: Die Thüringer Polizei nutzte noch kein Einsatzleitsystem. Wir mussten die damit verbundenen Prozesse und Systemabläufe neu definieren. Diese Designphase hat länger gedauert als erwartet. Sie hatten für solche Verzögerungen keinen Zeitpuffer, sagten Sie eben. Richtig. Nach der reinen Lehre unseres Vorgehensmodells hätten wir die nächste Phase des Projekts nur beginnen dürfen, wenn die vorangegangene abgeschlossen war - und zwar komplett abgeschlossen war. Dieses Prinzip mussten wir aufweichen. Wir haben Prioritäten gesetzt und daraus eine gewichtete Ergebnistypenliste für die jeweilige Phase erarbeitet. Das heißt, wir priorisierten das Verzeichnis von Dokumenten und Artefakten. Artefakte mit niedrigerer Priorität haben wir im Einzelfall auch mit in die nächste Phase genommen. Die Phasen überlappten sich manchmal, die Grenzen waren nicht so scharf gezogen. Wie gesagt, nach dem PRINCE2-Modell sind diese Überlappungen nicht vorgesehen. Die klassische Vorgehensweise verlangt klare Phasenübergänge und Quality Gates. Das Projekt geht nur in die nächste Phase, wenn Projekt ohne Zeitpuffer „Nullsummenspiel“ durch Negativ-Change Request Markus H. Götz, Principal Consultant Scheer Management GmbH und Projektsteuerer: „Aus Sicht der Steuerung des Projekts war es die größte Herausforderung, die verschiedenen Projektdimensionen und -abhängigkeiten der Einzel- und Teilprojekte sowie die vielschichtigen Interessen der Stakeholder zeitgleich im Auge zu behalten, zu bewerten und folgerichtige Maßnahmen einzuleiten. Neben der Etablierung, Ausgestaltung und Steuerung der Projektmanagementprozesse war ein effektives und effizientes Informationsmanagement entscheidend. Hierzu fanden beispielsweise in Abhängigkeit von der Projektphase neben traditionellen Projektmanagementmethoden (hier: PRINCE2) auch agile Methoden (z. B. Daily Scrums im Rahmen des Testmanagements) Anwendung. Die Beauftragung eines externen Projektsteuerers bewerte ich aus meinen Projekterfahrungen im öffentlichen Sektor als sehr innovativ. Insgesamt resultiert daraus für Behörden und Organisationen, die nicht über professionelle Projektmanagementkompetenz verfügen, die große Chance, den Projekterfolg bei gleichzeitiger Kostenminimierung zu steigern.“ Foto: privat PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 39 Uhr Seite 21 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2014 kenntnis und Projekterfahrung des externen Projektsteuerers geholfen. So haben wir nach der ersten Projektphase in einem Lessons Learned-Workshop kritisch geprüft, welche Methoden und Dokumente uns wirklich weiterbringen - und welche nur zu bedrucktem Papier führen. Eine Diskussion über Fortschrittsberichte und PowerPoint-Präsentationen bringt das Projekt kaum voran. Das wurde uns vom Team zurückgemeldet. Es wollte sich zum Projekt mehr inhaltlich austauschen. Diese und weitere Erkenntnisse haben wir im Workshop bewertet und danach direkt Maßnahmen beschlossen. Das ging sehr schnell. Augenblick! Methoden und Formalien werden aus gutem Grund gefordert. Fortschrittsberichte helfen das Projekt zu steuern und zu erkennen, wann es aus dem Ruder läuft … Keine Frage! Das Nachhalten des Fortschritts ist nötig. Die Frage ist nur, ob die konkrete Vorgehensweise auch dem Projekt angemessen ist. Wir haben für unser Projekt festgestellt: Mit einer ständig aktualisierten Liste von offenen Punkte ist uns mehr gedient als mit der starren, wöchentlichen Diskussion von Risiken und Terminplan, wie es vielleicht das PM-Modell von uns verlangt. Konkret: Wir haben die Jour-fixe-Besprechungen gestrafft. Es ging auf den Besprechungen nur noch um diese offenen Punkte. Das Team wurde entlastet und konnte die gesparte Zeit nutzen, um die offenen Punkte zu diskutieren und zu bearbeiten. Allgemein gesagt: Sie haben anfangs bewusst sehr detailliert die Vorgehensweise für ihr Projekt entwickelt. Diese Planung haben Sie später mit den Praxiserfahrungen verprobt und dann den Aufwand angepasst? Welche Methode, welche Gesprächsrunde, welches Formular bringt uns wirklich weiter - dies war die Frage. Nach der ersten Phase haben wir erkannt: Nicht umfangreiche Earned Value-Berichte sind entscheidend, sondern die direkte Kommunikation und Lösungssuche zwischen den Beteiligten, etwa beim Jour fixe. Dabei haben die Mitarbeiter erkannt, dass ihre Belange ernst genommen und dass von ihnen nur wirklich wichtige Berichte verlangt werden. Sprechen wir über die Kommunikation in Ihrem Projekt. Bei einem komplexen Vorhaben müssen Informationen bekanntlich zuverlässig fließen. Wie haben Sie die Kommunikation gestaltet? Wir sind einfachen Prinzipien gefolgt. Bei uns gab es ja drei Gruppen im Projekt: den Auftraggeber, den Auftragnehmer und den Projektsteuerer. Für jede Gruppe fanden interne Jour-fixe-Besprechungen statt. Danach haben wir uns in großer Runde zusammengesetzt. Außerdem haben wir Tandems zwischen den Gruppen eingesetzt. „Tandems“ für gute Zusammenarbeit Team beim Projektmanagement entlasten ware einführten, konnten wir auf bestimmte Testfälle verzichten. Wir haben Prioritäten gesetzt und uns auf die fachliche Funktionalität konzentriert, die bei einer Einsatzleitzentrale absolut zuverlässig arbeiten muss. Die oberste Priorität lag also auf der Funktionsfähigkeit. Weniger fachlich relevante Funktionalitäten werden in einem zweiten Release nachgearbeitet. Vorhin sagten Sie, dass das Projektmanagement bei der Konzeption und Ausschreibung Ihres Projekts eine große Rolle spielte. Das Projektmanagement war detailliert geregelt. Dem Auftragnehmer wurde auf fünfzig Seiten die Vorgehensweise genau vorgeschrieben. Meine Frage: Läuft man nicht dadurch Gefahr, das Projekt mit Regularien zu ersticken? Diese Gefahr besteht, ja. Unser Auftragnehmer schien auch wegen möglicher Überregulierung in Sorge zu sein. Er sollte ja wöchentlich Dokumente erstellen, Vorhersagen zum Personal treffen oder Earned Value-Berichte ausarbeiten. Am Ende haben wir jedoch aufgrund der guten Zusammenarbeit auf einige dieser Aufgaben verzichtet oder diese inhaltlich angepasst. Angepasst - wie darf ich dies verstehen? Wir haben je nach Situation und Ziel das passende Instrumentarium eingesetzt, auch sehr unterschiedlich je nach Projektphase. Dabei haben uns die Methoden- 22 REPORT Thorsten Müller, Projektleiter Siemens Building Technologies: „Ein Projekt in dieser technischen und organisatorischen Komplexität war auch für das Siemens-Projektteam Neuland. Wesentlicher Faktor für das Gelingen war die Etablierung eines integrierten Projektteams aus Vertretern des Auftraggebers und des Auftragnehmers, in dem alle Funktionen in Form von Tandems ausgebildet sind. Das schafft Vertrauen und Verständnis für die jeweiligen Probleme der anderen Seite, sichert einen direkten Informationsfluss und minimiert das in vielen Projekten ausufernde „Claimen“ der Projektpartner gegeneinander. So konnte die Leistungsfähigkeit der Teammitglieder gut genutzt und der sehr knappe Terminplan zur Eröffnung der Leitstelle eingehalten werden.“ Foto: Siemens AG PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 39 Uhr Seite 22 projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2014 l 23 Der sprichwörtliche „kurze Amtsweg“ …? Ja. Anders können Sie solch ein Projekt auch nicht durchführen. Ihr Projekt erstreckte sich über zweieinhalb Jahre. Ein Jahr dauerten Konzeption und Design, eineinhalb Jahre die Umsetzung. Wie hält man über so einen langen Zeitraum die Motivation im Team aufrecht? Wir haben von Meilenstein zu Meilenstein gearbeitet, dadurch war die lange Laufzeit in überschaubare Abschnitte gegliedert. Es gab keine Durststrecken, an denen dem Team die Puste ausging? Das wäre ungewöhnlich. Doch, Durststrecken gab es - wie bei jedem Projekt. Einige vermuteten schon nach der Ausschreibung, das Projekt sei damit erledigt und der Auftragnehmer werde es nun richten. In diesem Moment mussten wir eingreifen. Wir haben deutlich gemacht, dass das Projekt nun erst beginnt. Eine andere Durststrecke schloss sich an die Inbetriebnahme der Leitzentrale an … … an den Tag, an dem der Minister vor laufender Kamera den Startknopf drückte … Richtig. Nach dieser Inbetriebnahme für den Bereich Erfurt wurde nun begonnen im 14-Tage-Rhythmus die verschiedenen Dienststellen der Polizei aufzuschalten. Daran arbeiten wir noch heute. Wieder mussten wir der Tandems? Wir haben beispielsweise Teilprojektleiter von Auftragnehmer und Auftraggeber sehr eng zusammenarbeiten lassen - im Tandem. Durch die Nähe haben sich die Tandems sehr schnell abstimmen können. Sie konnten sich gut ergänzen. Klingt einfach … Ist es auch. Einfach und pragmatisch. Ähnlich sind wir bei der Planung vorgegangen. In manchen Projekten werden Pläne mit eintausend und mehr Einzelpaketen verwendet, ich habe dies selbst erlebt. Solche Pläne werden mühsam erarbeitet, hängen dann an der Wand - und später wirft niemand einen Blick mehr darauf. Bei uns war dies anders. Wir haben uns bei der Planung vor allem auf die zentralen Meilensteine konzentriert. Meilensteine bildeten das Rückgrat unserer Planung. Den Mitarbeitern haben wir klar mitgeteilt, welche Ergebnistypen zu welchem Meilenstein zu liefern sind. Dann haben wir die Leute sich untereinander abstimmen und arbeiten lassen. Ihr Projekt war das Herzstück der Polizeireform. Es wurde aufmerksam verfolgt - von den Präsidenten Ihrer Behörden, von Staatssekretären und Ministern, von der Presse und der Öffentlichkeit. Wie haben Sie diese Stakeholder regelmäßig über den Projektfortschritt informiert? Der Lenkungskreis wurde monatlich mit formalisierten Berichten zum Projekt informiert. Wir haben die wichtigsten Risiken in unserem Projekt erklärt, wir haben Topthemen erläutert und die derzeitigen Aufgaben dargelegt. Alles kurz und bündig? Ja. Mit dem Innenministerium haben wir kritische Punkte besprochen und diese mit einem Ampelsystem bewertet. Es kam im Wesentlichen auf Kurzbeschreibungen an. Ähnlich funktionierte die Kommunikation mit den Präsidenten des Landeskriminalamts und der Landespolizeidirektion sowie den nachgelagerten Abteilungsleitern. Wir haben uns in den wöchentlichen, kurz gehaltenen Besprechungen ausschließlich auf Probleme und deren Lösungen konzentriert, nichts anderes. Wir haben gezeigt, wo in unserem Projekt „die Säge klemmt“ und wie man diese Schwierigkeiten bewältigen kann. Macht man Stakeholder nicht nervös, wenn man ihnen nur Probleme vorträgt? Nein, mit der Konzentration auf Schwierigkeiten sind unsere Stakeholder professionell umgegangen. Viele Projekte leiden darunter, dass wichtige Entscheidungen fehlen, Entscheidungen beispielsweise aus dem Topmanagement oder von Auftraggebern. Wie haben Sie dafür gesorgt, dass notwendige Entscheidungen pünktlich kamen? Das Innenministerium hat von Anfang an signalisiert, dass es zwar die Aufsicht über das Projekt führt, aber für die inhaltlichen Entscheidungen die Präsidenten von Landeskriminalamt und Landespolizei zuständig sind. Und mit denen hatten wir wöchentliche Kurzmeetings. Kommunikation mit Stakeholdern Jörg Marks, Leiter Siemens-Bereich Gebäudetechnologie in der Region Ost: „Hochkomplexe Projekte - wie das Projekt ZLP - erfordern einen angemessenen Managementansatz. Dieser besteht im konkreten Fall aus mehreren Aspekten: Es wurde ein neutraler externer Projektsteuerer eingesetzt. Er koordiniert die PM-Prozesse sowohl des Auftraggebers (AG) als auch des Auftragnehmers (AN). So kann ein einheitlicher PM-Ansatz (hier nach PRINCE2) umgesetzt und damit ein oft zu beobachtendes Nebeneinander der Projektorganisationen von AN und AG verhindert werden. Projektplanung und Berichtswesen werden gemeinsam und nach einheitlichen Standards durchgeführt. Unterstützt wird dieser Ansatz durch ein vom AG gestelltes Projektbüro, das als Informationsdrehscheibe des Projekts fungiert. Ein aus Vertretern von AG und AN paritätisch besetzter Lenkungsausschuss entscheidet regelmäßig gemeinsam über Phasenabschlüsse und Projektergebnisse und bindet gleichzeitig die politischen Entscheidungsträger eng in das Projekt ein.“ Foto: Siemens AG PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 39 Uhr Seite 23 Ansicht, das Projekt sei nahezu abgeschlossen, gegensteuern. Gegensteuern - wie genau? In fast jedem Projekt bilden die Ressourcen einen Engpass. Wer Mitarbeiter für sein Team braucht, muss diesen Wunsch gut begründen können und den jeweiligen Leiter überzeugen. Deshalb haben wir für die Abschlussphase beispielsweise eine detaillierte Planungsskizze erstellt. In dieser Skizze haben wir die Vorgehensweise vorgestellt und die sich ergebenden Arbeitspakete beschrieben. Dann haben wir erklärt, welche Mitarbeiter wir weshalb benötigen, welche Aufgaben sie haben und in welchem Zusammenhang die Arbeit steht. Es kommt nicht nur auf die richtigen Mitarbeiter an, sondern auch auf die Motivation der Mitarbeiter. Wir sprachen eben über die lange Laufzeit des Projekts, nämlich zweieinhalb Jahre. Wie kann man über so lange Zeit die Mitarbeiter motivieren? Wir hatten keine spezielle Methode dafür. Für unsere Mitarbeiter war die Aufgabe selbst hochspannend, dies hat sie motiviert. Sie bekamen Einblicke in ein neues System, eine neue Technologie. Hinzu kam, dass der Auftragnehmer ebenfalls ein Spitzenteam gebildet hatte; die beiden Teams haben sich gegenseitig angespornt. Gut hat sich ausgewirkt, dass von der Projektleitung der Druck abgefedert und - wenn machbar - die Komplexität reduziert wurde. Der Projektmanager stellt sich schützend vor die Mitarbeiter? Dies halte ich für eine wichtige Führungsaufgabe und Verantwortung! Der Projektmanager muss Grenzen ziehen. Während der Inbetriebnahmephase haben wir eigens ein Eskalationsmanagement eingeführt. Wer von außen Mitarbeiter wegen einer technischen Frage oder eines Problems sprechen wollte, musste zunächst die Projektleitung davon überzeugen, dass dies wirklich nötig war. Wir haben unser Team nach außen hin abgeschottet. Mitarbeiter durch Aufgaben motivieren Eine Abschlussfrage: Nicht jede Behörde ist gegenüber Projektmanagement so aufgeschlossen wie die Polizei in Thüringen. Wie können Behörden vom Projektmanagement profitieren? Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt? In Behörden gelten sehr genau geregelte Abläufe und Zuständigkeiten. Diese Arbeitsweise ist geeignet für die Aufgaben, die Behörden normalerweise bearbeiten … … aber nicht für Projekte wie den Aufbau einer Leitstelle? Bei solchen Vorhaben kann Projektmanagement diese starre Struktur von Verantwortlichkeiten und Abläufen aufbrechen. Gerade in Projekten können nicht alle Punkte im Vorfeld beschrieben und klar beauftragt werden. Es geht um das Formulieren von Zielen. Mitarbeiter im Projekt orientieren sich an diesen Zielen, suchen Lösungen und eigene Wege, diese Ziele zu erreichen. Das Projektmanagement gibt dafür den Rahmen, quasi die Leitplanken. Und es gibt geeignete Strukturen vor. Angenommen, ein Projektmanager steht vor einem ähnlichen Projekt. Welche Empfehlung geben Sie ihm mit auf den Weg? Ich habe drei Empfehlungen. Fangen wir an mit der ersten! Erstens, der Projektmanager sollte eine umfangreiche funktionale Leistungsbeschreibung als Vorgabe definieren und die Leistungen in einer Ergebnistypenliste abgrenzen. An dieser Aufgabe darf man nicht sparen! Es lohnt sich, Zeit in das Anforderungsmanagement und in die Beschreibung des Produkts zu investieren. Zweitens, der Projektmanager sollte auf dem eingeschlagenen Weg in kurzen Schritten vorwärts gehen. Und er sollte nicht das, was er vorher über Monate entwickelt hat, während des Projekts umwerfen. Ich empfehle, bei der Planung des Vorgehens eine geeignete Methodik auszuwählen. Diese sollte man an die Rahmenbedingungen des Projekts anpassen. Die Methodik selbst bildet dabei aber kein Dogma, wie wir gesehen haben? Nein. Es spricht nichts dagegen, die Methode als Rahmenwerk zu verwenden und effiziente Elemente anderer Vorgehensmodelle zu integrieren. Und Ihre dritte Empfehlung? Der Projektmanager sollte gegenüber Änderungswünschen von außen Hürden aufbauen. Viele Änderungswünsche lassen sich beispielsweise auf die Zeit nach dem Projekt verschieben, meist verändern sie sich ohnehin mit Inbetriebnahme. Also nicht zu viel darüber nachdenken, ob das System bei der Inbetriebnahme wirklich alle Anforderungen im Vollbetrieb abdeckt. Ich halte viel davon, mit Grundfunktionalitäten zu beginnen. Dann kann man Erfahrungen sammeln und den Ausbau in einem Stufenkonzept mit schrittweisen Inbetriebnahmen verankern. ■ Drei Empfehlungen aus der Praxis 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 2/ 2014 24 REPORT Eine Polizeibeamtin am neuen Arbeitsplatz Foto: Marcus Scheidel, Thüringer Innenministerium PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 40 Uhr Seite 24 PM_2-2014_1-68: Inhalt 26.03.2014 11: 40 Uhr Seite 25