eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 25/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2014
253 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Einführung einer Projektorganisation in ein Unternehmen mit klassischer Aufbauorganisation

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2014
Alexander Pappa
Der wirtschaftliche Nutzen einer Projektorganisation wird von immer mehr mittelständischen Unternehmen erkannt, wobei der klassische Aufbau häufig mit Unterstützung von Projektmanagementberatern gelingt. Anders in der medac GmbH, in welcher der Aufbau in Eigenleistung und „von unten“ sowie in kleinen Schritten erfolgte. Wie sich vermuten lässt, war der schrittweise und sehr praxisorientierte Entwicklungsansatz mit einigen Herausforderungen und Widerständen verbunden, die auf die über vier Jahrzehnte gefestigten Unternehmensstrukturen zurückgeführt werden konnten. Trotz der Hürden gelang der Aufbau einer neuen, umfassenden Projektorganisation.
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D er Aufbau des Projektmanagements in der medac GmbH wurde ohne Projektmanagementberatung vorangebracht. Doch zunächst musste die Abgrenzung zum Prozessmanagement aufgezeigt werden und zudem die Zustimmung der Geschäftsführung zur Einführung einer Projektmanagementorganisation eingeholt werden. Der Einsatz eines Projektmanagementberaters für die eigentliche Umsetzung hätte sicherlich zu einem schnelleren und straffer organisierten Aufbau der Projektorganisation geführt, aber auch ein sehr viel höheres Risiko der Nichtakzeptanz auf allen Ebenen dargestellt. Dies liegt nicht zuletzt an der besonderen Firmenkultur, mit einem guten Selbstbewusstsein Dinge immer schon erfolgreich anders gemacht zu haben als andere Unternehmen und sich weniger gerne von außen in die Karten schauen zu lassen. Der schleichende Aufbau der Projektorganisation und des PMO über ein „inoffizielles“ Change-Projekt, welches im Hintergrund lief, war deshalb an dieser Stelle die bevorzugte Vorgehensweise. Dadurch konnte bereits den ersten Andeutungen einer starken grundsätzlichen Ablehnung gegen größere Veränderungen begegnet werden. Für den Aufbau einer Projektmanagementorganisation und des Project Management Office (PMO) wurde zunächst ein Grobziel definiert und von der Geschäftsführung verabschiedet. Auf ein detailliertes Lastenheft für das durchzuführende Projekt wurde verzichtet. Die Umsetzung der Ziele erfolgte im kontinuierlichen Austausch mit der Geschäftsführung. So wurde jeder neue und zum Teil auch kleine Schritt intensiv mit der Geschäftsführung besprochen und einzeln verabschiedet. Durch kontinuierliches Feedback und Darstellung der Aufbauarbeit in der Geschäftsführung konnte der Geschäftsführer Produktentwicklung die Transparenz und Unterstützung sicherstellen, ohne die der Aufbau nicht möglich gewesen wäre. Basis dafür war die sehr häufige und umfassende Kommunikation zwischen dem Leiter PMO und dem Geschäftsführer Produktentwicklung. Im Umgang mit auftretenden Widerständen bei der Aufbauarbeit wurden sehr viele Kompromisse geschlossen, die zum Teil auch zu Umwegen beim Aufbau der neuen Projektmanagementorganisation geführt haben, zum Beispiel bei der Implementierung der Projektrollen (siehe weiter unten). Doch im Endeffekt halfen gerade diese kleinen und verkraftbaren Umwege dabei, die Stakeholder in die Aufbauarbeit einzubeziehen und Quick Wins für die Projektmitarbeiter zu erwirken. Um mit Widerstand und den unterschiedlichen Charakteren angemessen umgehen zu können, wurden Mitarbeiter im PMO eingestellt, bei denen bei der Personalauswahl vornehmlich darauf geachtet wurde, dass sie über eine ausgewogene Mischung der beiden Soft Skills „diplomatisches Geschick“ und „Durchsetzungsstärke“ verfügen. In einigen Fällen mussten auftretende Widerstände aber auch durch klare Anordnungen der Geschäftsführung gebrochen werden, die Mehrheit der Fälle konnte aber für alle Beteiligten auf angenehmerem Wege gelöst werden. Zusammen mit dem Geschäftsführer Produktentwicklung und dem Leiter des PMO wurde während des Aufbaus der Projektorganisation gegenüber allen Stakeprojekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2014 l 25 Alexander Pappa Einführung einer Projektorganisation in ein Unternehmen mit klassischer Aufbauorganisation Der wirtschaftliche Nutzen einer Projektorganisation wird von immer mehr mittelständischen Unternehmen erkannt, wobei der klassische Aufbau häufig mit Unterstützung von Projektmanagementberatern gelingt. Anders in der medac GmbH, in welcher der Aufbau in Eigenleistung und „von unten“ sowie in kleinen Schritten erfolgte. Wie sich vermuten lässt, war der schrittweise und sehr praxisorientierte Entwicklungsansatz mit einigen Herausforderungen und Widerständen verbunden, die auf die über vier Jahrzehnte gefestigten Unternehmensstrukturen zurückgeführt werden konnten. Trotz der Hürden gelang der Aufbau einer neuen, umfassenden Projektorganisation. In diesem Artikel wird der schrittweise Aufbau einer komplett neuen Projektorganisation in einem Unternehmen des Mittelstandes aufgezeigt. Dieser Aufbau erfolgte in unüblicher Form nicht als groß angelegtes und von externen Projektmanagementberatern begleitetes Change-Projekt, sondern unternehmensintern und über viele kleinere Einzelschritte, die jeweils mit der Geschäftsführung abgesprochen wurden. Hand in Hand und parallel zum Aufbau der Projektorganisation wurde das Projektmanagementbüro nachhaltig auf- und ausgebaut. Wie sich vermuten lässt, gab es auf diesem Weg einige Hürden zu überwinden. Wie das erfolgreich bewerkstelligt wurde, wird in diesem Artikel aufgezeigt und gibt dem Leser Anregungen für die Umsetzung im eigenen Umfeld. +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ Für eilige Leser +++ PM_3-2014_1-68: Inhalt 27.05.2014 13: 05 Uhr Seite 25 holdern immer wieder auf die sich bereits eingestellten Erfolge hingewiesen und Werbung für die Sache gemacht. Mit dem Auftreten des PMOs als Serviceabteilung für Projekte und Projektmitarbeiter ohne Entscheidungsbefugnis konnte zudem Überzeugungsarbeit geleistet werden. Während der gesamten Aufbauarbeit wurden in vielen Einzelgesprächen Feedback eingesammelt und passende Verbesserungsvorschläge aktiv aufgenommen. Die aktive Beteiligung von Stakeholdern am Aufbau beugte weiteren denkbaren Widerständen vor. Im Rahmen einer Bachelorarbeit wurde nach einem Jahr des Aufbaus eine breiter angelegte Befragung von Stakeholdern mithilfe eines Fragebogens durchgeführt und systematisch ausgewertet. Es wurden die Akzeptanz des PMOs abgefragt und Feedback zu den entwickelten Methoden und Werkzeugen eingesammelt, welches zum Teil später umgesetzt wurde. 1 Ausgangssituation Das betreffende Unternehmen ist ein erfolgreicher Spezialanbieter von Produkten zur Behandlung von onkologischen sowie Autoimmunerkrankungen. Das Kerngeschäft umfasst die Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb von Eigenentwicklungen, Generika sowie weiterentwickelten Generika. Außerdem bietet die Firma in den Bereichen der Urologie und der Fibrinolyse bewährte Therapeutika an. Das Unternehmen ist seit über 40 Jahren auf dem deutschen Pharmamarkt tätig, wobei seit einigen Jahren eine starke Expansion in weitere Märkte Europas, Asiens und des Mittleren Ostens erfolgte sowie in naher Zukunft in die USA, Japan und Lateinamerika erfolgen wird. Damit verbunden war und ist auch ein starkes Wachstum der Belegschaft, welches innerhalb der letzten fünf Jahre eine Verdopplung auf nunmehr circa 1.000 Mitarbeiter zur Folge hatte. In gleicher Zeit stieg die Anzahl der Produktentwicklungsprojekte und bei zunehmender Anzahl an Mitarbeitern und Schnittstellen die Komplexität der Projektarbeit. Als ich im Jahre 2009 meine Arbeit als Leiter des PMOs bei medac begann, zeigte sich zunehmend in vielen Bereichen, dass die vorhandenen Strukturen, mit denen das Unternehmen über Jahrzehnte hinweg erfolgreich war, der Unternehmensgröße und schnellen Expansion nicht mehr durchgängig angemessen waren. Zu diesem Zeitpunkt wurden bereits Geschäftsprozesse des Unternehmens modelliert, um damit im späteren Verlauf neben der bestehenden Aufbauorganisation eine Ablauforganisation zu etablieren. Eine Projektorganisation mit klar definierten Rollen und Kommunikationswegen, wie ich sie aus meinen vorherigen Tätigkeiten in zwei internationalen Konzernen der Pharmaindustrie und Medizintechnik kannte, gab es bei dieser Firma zu diesem Zeitpunkt nicht. Neue Projekte wurden an unterschiedlichsten Stellen im Unternehmen gestartet und eine zentrale und einheitliche Dokumentation fehlte. Die Durchführung der Projekte erfolgte ohne zentrale Lenkung in den beteiligten Fachabteilungen. Es gab keinen Projektleiter, der ein Projekt von Anfang bis Ende begleitete, denn jede an einem Projekt beteiligte Abteilung benannte einen Ansprechpartner, der in einigen Abteilungen als Projektleiter bezeichnet wurde. Dadurch gab es meist mehrere Projektleiter in der gleichen Projektphase. Auch der Begriff „Projektverantwortlicher“ war im Unternehmen sehr stark verbreitet, mit dem im einen Fall der Projektleiter und im anderen Fall der Projektsponsor gemeint war. Dazu kam noch, dass beinahe jeder Zweite im Unternehmen den Titel „Projektmanager“ in der Stellenbezeichnung trug. Die Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten war ebenso wenig geregelt und erfolgte zum Großteil über „Flurfunk“ oder über vorhandene Netzwerke zwischen langjährigen Mitarbeitern. Mir wurde zu Beginn meiner Tätigkeit häufig die Problematik geschildert, dass einige Mitarbeiter oder ganze Abteilungen teilweise erst sehr spät darüber informiert wurden, dass ein Projekt überhaupt angelaufen war. Um das Projekt trotzdem fristgerecht abschließen zu können, wurde den Mitarbeitern zum Teil einiges an Engagement und Einsatzbereitschaft abverlangt. Fehlende Transparenz während der Projektbearbeitung führte zu Doppelbearbeitung in den Abteilungen, und umgekehrt existierten Arbeitspakete, die niemand bearbeitete, da die Zuständigkeiten nicht festgelegt wurden. Dies wurde oft erst im sogenannten Ausbietungs- Meeting offenkundig: Das einzige bis dahin offiziell verankerte Projekt-Meeting, welches circa ein halbes Jahr vor dem Produkt-Launch zumeist durch Produktmanager aus dem Marketing durchgeführt wurde. Nur mit erheblichem Aufwand, und unter zeitlichem Druck zu Lasten anderer Projekte, konnten Versäumnisse nach dem Meeting noch „ausgebügelt“ werden, damit der Launch des neuen Produktes pünktlich erfolgte. Unter der noch fehlenden Projektorganisation und Transparenz litten vor allem die noch weniger vernetzten neuen Mitarbeiter. Das konnte ich zu Beginn meiner Tätigkeit selbst erfahren, als ich versuchte, eine Übersicht über laufende Projekte zu erarbeiten. Die Suche nach Ansprechpartnern und aktuellen Informationen gestaltete sich zeitintensiv und glich manchmal einem Ratespiel. Eine lange Unternehmenszugehörigkeit zeichnete sich dadurch aus, Informationen überhaupt oder zumindest schneller als andere zu erhalten. Erwartungsgemäß kamen beim Aufbau einer neuen Projektorganisation und des PMOs die Widerstände gegen die neu geschaffene Transparenz vornehmlich aus dieser Gruppe, die sich naturgemäß am meisten umstellen musste. Auch auf Projektportfolioebene fehlte die Übersicht über alle laufenden Projekte und den jeweiligen Status. Wechselwirkungen der Projekte untereinander wurden - wenn überhaupt - nur durch aufmerksame Mitarbeiter erkannt, und eine Ressourcenplanung fand dezentral in den Fachabteilungen statt, denen gleichzeitig aber kaum Informationen über das auf sie zukommende Projektvolumen vorlagen. Prioritäten wurden ebenfalls dezentral auf Bereichs- und Abteilungsebene gesetzt. Dies hatte den Effekt, dass interessanter erscheinende Projekte in allen Abteilungen höher priorisiert und gerne bearbeitet wurden und in Projekten mit niedriger Priorität weder Verantwortung übernommen noch Ressourcen bereitgestellt wurden. Zunächst sollte es aufgrund der fehlenden Strukturen darum gehen, die Bedürfnisse und Notwendigkeiten für eine neue Projektorganisation zu erkennen. 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2014 26 WISSEN PM_3-2014_1-68: Inhalt 27.05.2014 13: 05 Uhr Seite 26 2 Was für ein Projektmanagement brauchen wir überhaupt? Wie in der Ausgangssituation deutlich wurde, sollte eine neue Projektorganisation geschaffen werden, die sowohl die Projektarbeit im Einzelprojekt als auch auf Projektportfolioebene verbessern würde. Ein wesentlicher Aspekt der Verbesserung des Projektmanagements von Einzelprojekten sollte die Verankerung definierter Projektrollen sein und damit verbunden vor allem die Schaffung der Rolle des Projektleiters mit der zentralen Aufgabe, Projekte ganzheitlich zu steuern sowie eine einheitliche und geregelte Kommunikation und Dokumentation der Projekte sicherzustellen. Auf Projektportfolioebene galt es, Transparenz über mehrere Hundert laufende Neu- und Weiterentwicklungsprojekte zu schaffen. Außerdem wurden drei Portfolios eingerichtet und zunächst alle Projekte mit einem eindeutigen Status bezüglich der Portfolios versehen. Abbildung 1 zeigt anhand aktueller Zahlen die Größenordnungen der einzelnen Portfolios. Überdies sollten Statuswechsel dokumentiert werden und die Projekte einheitlich und übergeordnet priorisiert werden, um die Bearbeitung durch die Fachabteilungen sicherzustellen. Eine Übersicht über Budgets und Ressourcen erschien ebenfalls hilfreich. Die hierfür nötige Entwicklung geeigneter Werkzeuge und Verfahren erfolgte allerdings den anderen Themen nachgelagert, um nicht zu viele Veränderungen auf einmal vorzunehmen. Für die Umsetzung wurde zunächst das Grobziel definiert, die Projektarbeit im Einzelprojekt zu verbessern, um damit die Basis zu schaffen, auf Projektportfolioebene die Projektlandschaft zu steuern. Dazu wurden - wie in den folgenden zwei Kapiteln dargestellt - Projektrollen definiert sowie Werkzeuge geschaffen und Abläufe verändert. 3 Projektorganisation - Zuständigkeiten und Rollenverständnis Die neu definierten Projektrollen stellten einen zentralen Entwicklungsschritt zur neuen Projektorganisation dar. Um die Organisation und Implementierung zu vereinfachen, wurden nur drei Projektrollen beschrieben: „Projektsponsor“, „Projektleiter“ und „Projektteammitglied“. Die Rollen Projektsponsor und Projektteammitglied wurden schnell akzeptiert, wobei die Rolle des Projektleiters mit einigen Vorbehalten und Diskussionen verbunden war. Denn im Unternehmen herrschte aufgrund der vorherigen Projektarbeit ein sehr unterschiedliches Verständnis der Rolle des Projektleiters. Projektleiter wurden meist durch die Abteilungen selbst ernannt, und in der Regel gab es mehrere Projektleiter pro Projekt, wobei zwischen den einzelnen Projektphasen eine „Staffelstab-Übergabe“ stattfand. Zum Teil gab es auch mehr als einen Projektleiter pro Projektphase bzw. Überlagerungen der einzelnen Projektphasen, die eine eindeutige Zuordnung nicht immer ermöglichten. Gleichzeitig gab es aber niemanden, der sich für den gesamten Projektverlauf verantwortlich fühlte. Die Projektleitung der einzelnen Projektleiter bestand fast ausschließlich aus der fachlichen Abarbeitung der anfallenden Arbeitspakete und der Abstimmung mit fachlich direkt beteiligten Schnittstellen. Eine Koordination aller am Projekt beteiligten Schnittstellen fand meist nicht statt, ebenso wenig waren eine einheitliche projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2014 l 27 Abb. 1: Übersicht über Projektportfolios und Statuswechsel Abb. 2: Vergleich altes und neues Modell der Projektleitung PM_3-2014_1-68: Inhalt 27.05.2014 13: 05 Uhr Seite 27 und durchgängige Dokumentation und Kommunikation vorhanden. Das neue Konzept sieht vor, dass pro Projekt ein Projektleiter ernannt wird, der ein Projekt von Anfang bis Ende steuert und die durchgängige Kommunikation und Dokumentation sicherstellt (Abb. 2). Der Projektleiter wird in seinen Aufgaben durch das Projektteam unterstützt, welches die Arbeitspakete ausführt. Der Projektsponsor trägt unter anderem die finanzielle Verantwortung für das Projekt sowie die Entscheidungsgewalt im Projekt und stammt zumeist aus der Geschäftsführung. Als Projektleiter werden entweder Mitarbeiter der Stabsabteilung Projektkoordination oder einer Abteilung der Linie eingesetzt (Abb. 3). Die Abteilung Projektkoordination stellt Projektleiter, deren Schwerpunkt die koordinativen Tätigkeiten sind, und es werden somit vornehmlich komplexe Projekte mit vielen Schnittstellen betreut. Dagegen stammen Projektleiter für weniger komplexe Projekte und mit geringerem zeitlichen Aufwand in der Regel aus einzelnen Fachabteilungen, welche auch weiterhin die fachlichen Arbeitspakete bearbeiten können. Als kritischer Faktor bei der Umstellung auf das neue Rollenkonzept wurde die Kompetenz des Projektleiters angesehen. Es herrschte massiv die Meinung vor, dass im Unternehmen deshalb kaum jemand Projekte von Anfang bis Ende begleiten könne, da sich niemand durchgängig fachlich im Detail auskenne. Die gleichen Vorbehalte gab es auch gegen das neu geschaffene PMO, das einige der operativen Projektleiter stellte. Die Geschäftsführung hatte sich in dieser Situation entschieden, die neue Organisation nicht mit Gewalt „überzustülpen“. Aus diesem Grund wurde eine Zwischenlösung verabschiedet. Bis zur finalen Klärung des Rollenkonzepts wurden die Mitarbeiter der Projektkoordination als „Projektkoordinatoren“ und nicht als „Projektleiter“ bezeichnet, da der Ausdruck als weniger kritisch angesehen wurde. Unabhängig von der Bezeichnung konnten die Mitarbeiter der Abteilung Projektkoordination aber stufenweise die Aufgaben des Projektleiters etablieren und die wesentlichen Aspekte der Rolle vorleben. Sie vereinheitlichten stufenweise die Dokumentation der Projekte, implementierten Meeting-Standards und entwickelten bezüglich der Kommunikation einheitliche Werkzeuge und Verfahren, die im nächsten Abschnitt dieses Artikels skizziert werden. Inzwischen ist die Begrifflichkeit des Projektleiters weitgehend akzeptiert, und es wird daran gearbeitet, dass auch Projektleiter aus Linienabteilungen eingesetzt werden, die sich an die Projektmanagementvorgaben halten und die Kommunikation und Dokumentation nach im Projektmanagement-Handbuch vorgegebenen Standards durchführen. 4 Entwicklung geeigneter Abläufe und Werkzeuge Bei der Entwicklung der Abläufe und Werkzeuge war die größte Herausforderung, zügig die neu entstandenen Bedürfnisse abzudecken und gleichzeitig die Entwicklung nicht zu schnell voranzubringen, um eine Akzeptanz der Projektmitarbeiter zu erlangen und zu erhalten. Im folgenden Abschnitt sind einige Beispiele der Entwicklung von Werkzeugen und Abläufen und die entsprechenden Reaktionen aus der Praxis beschrieben. 4.1 Projektgesamtberichte Als erstes Instrument entwickelte die Projektkoordination einheitliche Projektgesamtberichte, die zu Beginn als „Newsletter“ bezeichnet wurden. Diese enthalten eine Auflistung des Projektteams, den Projektplan, Statusinformationen sowie weitere ausgewählte Detailinformationen, die für mehrere Projektbeteiligte relevant sind. Der Projektleiter verteilt den Projektgesamtbericht über die gesamte Projektlaufzeit und nach Bedarf an das gesamte Projektteam und weitere Stakeholder (z. B. Geschäftsführung, Linienvorgesetzte, Controlling etc.). Die durch diesen Bericht erzeugte Transparenz über den Projektverlauf brachte anfangs einige Widerstände mit sich. Hierzu sei als Beispiel der Projektplan genannt, der für die meisten Beteiligten ungewohnt war, da er erstmals eine Auflistung der zu erledigenden Arbeitspakete mit Fristen und Verantwortlichen enthielt. Unter anderem da diese Informationen einem großen Verteiler zur Verfügung standen, gab es zunächst Vorbehalte bei den Projektmitarbeitern, sich auf Fristen zur Erledigung ihrer Arbeitspakete einzulassen. Es wurden Konsequenzen bei Nichteinhaltung befürchtet, sodass zum Teil Mitarbeiter Fristen nur dann nennen wollten, wenn diese absolut sicher einzuhalten waren und ausgiebig Pufferzeit beinhalteten. Es dauerte circa ein Jahr, bis diese Ängste abgebaut waren und die Projektteammitglieder merkten, dass es keine persönlichen Konsequenzen hatte, wenn Plandaten aus fachlichen Gründen nicht eingehalten werden konnten. Erst dann wurde das Werkzeug akzeptiert. Als Erbe der vorherigen Form der Projektarbeit mit mehreren Projektleitern gibt es bis heute neben dem Projektgesamtbericht noch weitere Projektstatusberichte, in welchen einzelne Fachabteilungen aus der Fachperspektive und häufig im „Fachjargon“ den Projektstatus einem breiten Verteilerkreis zur Verfügung stellen. Wesentliche Informationen aus diesen Berichten übernimmt der Projektleiter in einer allgemein verständlichen Form in den Projektgesamtbericht. Die zukünftige Entwicklung muss erreichen, dass die Kommunikation bezüglich des Projektstatus ausschließlich über den Projektleiter und via Projektgesamtbericht erfolgt, da der von den Fachabteilungen dargestellte Projektstatus nicht immer den aktuellsten Entwicklungen entspricht. 4.2 Von der Produktprojektablage zur elektronischen Projektakte Zur zentralen Ablage von Projektdokumenten wurde die „Produktprojektablage“ auf einem Explorer-Laufwerk 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2014 28 WISSEN Projektbudget Schnittstellen gering mittel bis hoch wenige Linie Linie viele Linie Stabsabteilung Projektkoordination Abb. 3: Besetzung der Rolle des Projektleiters PM_3-2014_1-68: Inhalt 27.05.2014 13: 05 Uhr Seite 28 ins Leben gerufen. Hier wurden Fachdokumente, Statusberichte sowie Meeting-Protokolle und weitere projektbezogene Dokumente abgelegt. Die Geschäftsführung traf die Entscheidung, dass die Projektordner immer nur projektbeteiligten Mitarbeitern zugänglich sein sollten, sodass die einzelnen Projektordner mit Zugriffsrechten versehen wurden. Nach circa zweieinhalb Jahren wurde die Ablage in der Explorer-Struktur aufgrund der Menge an Dokumenten und der komplexen Zugriffsrechtestruktur zu unübersichtlich und pflegeintensiv und es erfolgte die Umstellung auf ein elektronisches Dokumentenmanagementsystem. In der sogenannten „Elektronischen Projektakte“ werden inzwischen alle Projektdokumente zentral gepflegt und sind über verschiedene Suchen schnell auffindbar. Auch eine Abonnement-Funktion kann genutzt werden. Projektmitarbeiter können sich individuell automatische Benachrichtigungen einstellen, wenn entweder einzelne Projektdokumente aktualisiert wurden oder Dokumente für ausgewählte Projekte neu eingestellt werden. 4.3 Projektpläne und MS Project-Server Ein wichtiges Element im Projektmanagement stellt der Projektplan dar, der Bestandteil des bereits genannten Projektgesamtberichts ist. Die Entwicklung der Werkzeuge zur Darstellung von Projektplänen durchlief mehrere Stufen. So wurden Projektpläne zunächst als Grobpläne in Excel erstellt, inzwischen stellen alle Projektleiter aus der Abteilung Projektkoordination und weitere Projektleiter aus den Fachabteilungen die Projektpläne mithilfe von MS Project. Bereits vor 2009 wurde ein MS Project-Server angeschafft, zu einer Zeit, in der noch keine Projektmanagementstrukturen für Produktprojekte im Unternehmen vorlagen. Der Einsatz des MS Project-Servers soll in Zukunft den Zugriff auf alle Projektpläne gewährleisten und die Berichterstattung über das gesamte Projektportfolio unterstützen. Zur Zeit der Anschaffung ging man noch fälschlicherweise davon aus, dass die angeschaffte Software ausreiche, um die fehlenden Projektmanagementprozesse auszugleichen. 4.4 Go-/ No-Go-Formulare Hand in Hand mit den Werkzeugen wurden die Abläufe entwickelt. Anfangs begann die Abteilung Projektkoordination mithilfe der Geschäftsführung die Projekte in die drei oben genannten Portfolios Ideen, Vor- und Entscheidungsphase sowie laufende Projekte einzuteilen und schrittweise aufzunehmen, um jeder Aktivität einen eindeutigen Status zuordnen und Statuswechsel dokumentieren zu können. Für die Aufnahme der Projekte, die circa ein halbes Jahr dauerte, begannen wir mit zum Teil handgeschriebenen Listen, wobei die Entwicklung der Dokumentation schnell weiterging zu klassischen Excel- Listen, einer Access-Datenbank bis hin zur MS Project- Server-Lösung. Gleichzeitig mit der Zuordnung eines eindeutigen Projektstatus entwickelten wir die sogenannten „Go-/ No-Go-Formulare“, um Statuswechsel wie zum Beispiel den Projektstart dokumentieren zu können. Projektabbrüche bzw. „No-Go“-Entscheidungen werden mit Begründungen durch die Projektkoordination ebenfalls zentral erfasst und kommuniziert. Alle Formulare werden von der Geschäftsführung gezeichnet. Die Projektmitarbeiter akzeptierten schnell die Einführung dieser Dokumentation, die sie ab sofort zentral und frühzeitig über den Start von neuen Projekten informierte. Auch die Geschäftsführung brachte die Notwendigkeit einer formalisierten Freigabe der Projekte damit zum Ausdruck, dass bereits kurz nach Einführung der Formblätter die Erstellung eines Formulars durch die Geschäftsführung erstmals aktiv angefordert wurde. 4.5 Organisation von Projekt-Meetings Ein weiterer Schwerpunkt bei der Einführung einer einheitlichen Projektorganisation war die Organisation von Anzeige PM_3-2014_1-68: Inhalt 27.05.2014 13: 05 Uhr Seite 29 Projekt-Meetings (Abb. 4). In der Ausgangssituation gab es noch Meetings mit wechselnden Bezeichnungen und Teilnehmerkreisen, die oft nicht vollständig besetzt waren, sowie teilweise unnötige Meetings, da Themen aufgrund mangelnder Transparenz doppelt bearbeitet wurden. Selten gab es eine Agenda und/ oder ein Protokoll. Neu wurde das Projekt-Meeting 01 (Kick-off- Meeting) etabliert, in dem Projektleiter und Projektteam erste Informationen zu den Projekten austauschen und den Projektplan anlegen. Offene Punkte werden diskutiert und Arbeitspakete nach einer festgelegten Struktur verteilt, sodass alle wichtigen Themen angesprochen werden. Die Agenda sowie die Abstimmung der Protokolle wurden standardisiert und wichtige Punkte der Meetings abgestimmt mit dem Teilnehmerkreis im Protokoll festgehalten. Bis zum Ausbietungs-Meeting, welches nach wie vor existiert und nunmehr vom Projektleiter moderiert wird, gibt es je nach Bedarf im Projekt weitere Projekt-Meetings, an denen immer das gesamte Projektteam teilnimmt und auf den aktuellen Stand gebracht wird. Zusätzlich wurden „Abstimmungs-Meetings“ für die Lösung fachlicher, aber auch fachübergreifender Probleme eingeführt. An diesen Meetings nehmen nur entsprechend der Agendapunkte ausgewählte Projektteammitglieder aus den entsprechenden Fachabteilungen teil. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Projektmitarbeiter vorher ihre Informationen selbst organisieren mussten, fühlten sich einige Nichteingeladene zu Beginn aktiv von der Information abgeschnitten. Durch die stringente Umsetzung der eindeutigen Bezeichnungen und Zuordnung (Projekt-Meeting = gesamtes Projektteam und Abstimmungs-Meeting = Teil des Projektteams) und das Vorliegen eines dem gesamten Projektteam zugänglichen Protokolls gewannen die Projektmitarbeiter jedoch schnell das Vertrauen, dass ihnen keine wichtigen Informationen entgehen. Anhand der ausgewählten Beispiele wird deutlich, dass die Projektorganisation von Grund auf erneuert werden musste und die Entwicklung mit einigen Hindernissen verbunden war. Die Entwicklung eines jeden neuen Ablaufs war mit der Etablierung neuer Werkzeuge verbunden und weckte schnell neue Bedarfe, sodass teilweise mehrere Aspekte parallel bearbeitet werden mussten. Viele neu geschaffene Werkzeuge und Abläufe waren nach kurzer Zeit akzeptiert und nicht mehr wegzudenken. Dies zeigt auch die Bereitschaft des Unternehmens, Änderungen positiv aufzunehmen. 5 Ausblick auf die weitere Entwicklung Die nächsten Schritte der Entwicklung der Werkzeuge sind im Wesentlichen der unternehmensweite Einsatz des MS Project-Servers zur Unterstützung der Projektarbeit. Zukünftig werden auf dem Server alle Projektpläne enthalten sein, um eine einheitliche Statusberichterstattung über das gesamte Projektportfolio zu erhalten. In Bezug auf die Projektrollen steht die Etablierung der Projektleiter aus den Fachabteilungen an erster Stelle. Dazu müssen die Projektmanagementanforderungen geschult und in der Praxis die Rollen noch tiefer verankert werden. So fehlen der Rolle des Projektleiters derzeit beispielsweise noch Befugnisse und Kompetenzen, um das Projektbudget verantworten zu können. Die Kommunikation in den Projekten in Bezug auf die Statusberichte der Fachabteilungen sollte weiter verbessert werden und in der Hauptsache durch den Projektleiter erfolgen. Der Aufbau eines geeigneten Kosten- und Ressourcenmanagements ist ebenfalls längerfristig in Planung. Zusätzlich zu den circa 30 großen Projekten werden kurzfristig weitere circa 400 kleinere Produktweiterentwicklungsprojekte begleitet und die bestehende Projektorganisation auf die neuen Bedürfnisse ausgeweitet werden. Mittelfristig wird vermutlich eine Ausweitung der Projektorganisation für Produktprojekte auf alle Projekte des Unternehmens erfolgen (Struktur-, IT-, Bauprojekte usw.). Zudem muss die Projektorganisation kontinuierlich und angemessen dem schnellen Wachstum des Unternehmens angepasst werden. Mit Rückblick auf die bisher durchgeführten Veränderungen in der Projektorganisation und mit Ausblick auf die zukünftigen Weiterentwicklungen könnte folgende Aussage Arthur Schopenhauers sprichwörtlich zum Leitsatz werden: „Der Wechsel alleine ist das Beständige“. ■ Schlagwörter Change, Mittelstand, PMO, Produktentwicklung, Projektmanagementorganisation, Widerstand Kompetenzelemente der NCB 3.0 4.1.6 Projektorganisation, 4.1.17 Information und Dokumentation, 4.3.4 Einführung von Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement Autor Dr. Alexander Pappa; Studium und Promotion in Biochemie in Jena & Heidelberg, Wirtschaftsstudium an der Fernuni Hagen; mehrere Jahre Erfahrung in F&E-Positionen in internationalen Pharma-/ Medizintechnikkonzernen; ab 2009 Leiter der Stabsabteilung Projektkoordination & Prozessmanagement der medac GmbH Anschrift medac GmbH Theaterstraße 6 D-22880 Wedel Tel.: 0 41 03/ 80 06-7 19 E-Mail: Alexander.Pappa@gmail.com 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2014 30 WISSEN Abb. 4: Organisation der Meetings in den Projekten Gregor O PM_3-2014_1-68: Inhalt 27.05.2014 13: 05 Uhr Seite 30