PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Wie durch Projektmanagement ein „Wir-Gefühl“ erzeugt werden kann
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2014
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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P riesberg erzählt aufgeregt von dem Logistikprojekt der klinischen Testabteilung der Firma MedicalFit - alle Logistikabläufe dort sollen zukünftig mit einem IT-System abgewickelt werden. „Nächsten Monat soll das neue System auf die Endbenutzer losgelassen werden - 500 an der Zahl. Ich bin froh, dass ich nicht der Projektleiter bin, denn der muss alle Endbenutzer motivieren, alle anstehenden Probleme aufnehmen und beantworten. Dann wird er auf absehbare Zeit zu nichts anderem mehr kommen.“ Ehrlich überlegt und legt absichtlich eine lange Pause ein, um die spürbare Verunsicherung von Priesberg noch etwas aufrechtzuerhalten. „Diesen Job möchte ich so keine drei Tage machen“, sagt er schließlich. „Aber so werden doch viele, wenn nicht gar die meisten Implementierungen durchgeführt - eine oder wenige Personen kümmern sich immer um alles“, antwortet Priesberg resigniert. „Deswegen ist diese Phase allgemein ja auch so gefürchtet. Aber es gibt Abhilfe, man muss nur den nötigen Mut haben“, grinst Ehrlich und fährt fort: „Ihr habt doch bei der Anforderungserstellung und beim Testen der neuen Software bestimmte Endbenutzer mitwirken lassen. Diese Power-User sollen die Benutzer schulen.“ Priesberg reagiert ärgerlich: „Hoffst du etwa darauf, dass die Power-User auch noch Trainer sind? Das wäre zu viel verlangt. Außerdem haben die doch gar nicht das nötige Spezialwissen zur Bedienung der Software.“ Ehrlich lehnt sich entspannt zurück. „Du hast den Punkt noch nicht getroffen und denkst viel zu konventionell: Einer macht es vor und alle anderen machen es dann nach. Überleg mal: Warum sind Fernsehserien so beliebt? “ „Weil die Zuschauer sich dort wiederfinden“, antwortet Priesberg gereizt und fährt fort: „Also sollten wir eine Soap über das Projekt drehen und es den Endbenutzern vorführen, vielleicht hebt das ja die Stimmung.“ „Du bist fast am Ziel“, entgegnet Ehrlich, der sich innerlich vor Lachen kaum halten kann, „aber ich will dir helfen. Die Schulungen sollen von einem professionellen Trainer durchgeführt werden, aber gemeinsam mit einem Power-User. Der zeigt, wie man das System im wahren Leben bedient, und noch besser: Er oder sie ist auch selbst ein Endbenutzer. Es entsteht bei der Schulung somit das Gefühl: ‚Hey, ich kann das auch, das ist nicht schwer, wenn mein Kollege, der Power-User, es kann.‘“ „Ich bin skeptisch, dass genügend Power-User dazu bereit sind“, erwidert Priesberg. „Das ist ein guter Punkt, genau hier liegt der Arbeitsschwerpunkt des Projektleiters. Der muss seine Power- User überzeugen und ihnen die nötigen Werkzeuge bereitstellen“, fällt Ehrlich ihm ins Wort. Priesberg fährt fort: „Es ist also wie mit einem großen Hebel: Der Projektleiter kümmert sich um die 20 Power- User und diese wiederum um die 500 Endbenutzer …“ „Du denkst immer noch zu konventionell. Ich behaupte, dass hierdurch viel mehr als eine Hebelwirkung entsteht. Wenn der Projektleiter es richtig macht und die Power-User vorbereitet, dann nehmen die Endbenutzer das neue IT-System viel schneller an, als wenn sie lediglich durch einen oder mehrere Trainer geschult werden würden. Durch die aktive und bewusste Einbindung der Power-User entsteht ein ‚Wir-Gefühl‘. Das Ergebnis ist ein schneller Abbau von Akzeptanzbarrieren zum neuen IT-System. Das könnte ein Trainer, egal wie gut sie oder er ist, niemals erreichen. Durch die Integration des Trainings in die gewohnte Umgebung entsteht etwas Neues: Vertrauen. Dies nennt man Synergie - ein Effekt des Projektmanagements 2. Ordnung“, erläutert Ehrlich. „Also kann der Projektleiter mit geringerem, aber gezieltem Aufwand wesentlich mehr erreichen“, stutzt Priesberg. „Ja, das ist genau der Punkt. Projektleiter sein heißt nicht, sich um jede Einzelmaßnahme zu kümmern, sondern die Randbedingungen und Parameter im Projekt so einzustellen, dass sich das Projekt von selbst trägt. Es wird dann nicht mehr durch die Einzelmaßnahmen des Projektleiters angetrieben“, spricht Ehrlich zu seinem Kollegen. „Also ist der Projektleiter mehr Fluglotse als Pilot“, entgegnet Priesberg. „In vielen Situationen, ja. Und es ist die Kunst, diese zu erkennen“, grinst Ehrlich. ■ Autor Dr. Jens Köhler ist bei der BASF SE beschäftigt. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung der Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams durch die gezielte Steuerung über Soft Skills und Kommunikationsprozesse. Anschrift BASF SE, D-67056 Ludwigshafen, Jens.Koehler@basf.com 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 3/ 2014 44 WISSEN Projektgeschichten und Fallstudien Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ Wie durch Projektmanagement ein „Wir-Gefühl“ erzeugt werden kann Die Kolumne möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidung“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler Jacquel PM_3-2014_1-68: Inhalt 27.05.2014 13: 06 Uhr Seite 44