eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 25/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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254 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Nach wenigen Tagen steht das „Portfoliomanagement“ im Krisenland

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Oliver Steeger
Im Herbst 2013 verwüstete der Taifun „Haiyan“ Inseln im Süden der Philippinen. Tausende von Menschen verloren ihr Leben, über vier Millionen Menschen ihr Obdach. Die internationale Katastrophenhilfe lief binnen weniger Tage an. Hunderte von Hilfsorganisationen machten sich auf die Reise, dringend benötigte Güter wie Nahrung, medizinische Ausrüstung oder Wasseraufbereitungsanlagen im Gepäck. Damit die einzelnen Hilfsprojekte die notleidende Bevölkerung optimal erreichen, entsandte die UN-Organisation OCHA („Office for the Coordination of Humanitarian Affairs“) ein Koordinationsteam. Die Aufgabe des Teams: die Lage beurteilen, Bedarf ermitteln, eine Strategie entwickeln und die Projekte und Hilfsorganisationen vor Ort koordinieren. Binnen weniger Tage stampfte die Organisation hochwirksames Portfoliomanagement aus dem Boden - und brachte die Teams aus aller Welt dazu, eine effiziente Hilfsstrategie zu verfolgen. Rudolf Müller, Leiter der Emergency Services Branch und stellvertretender Direktor von OCHA in Genf, berichtet im Interview aus der Praxis.
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 12 REPORT Die Welt wächst zusammen - zum Glück auch bei der Katastrophen-Nothilfe. Gehen Bilder aus Erdbebengebieten oder von Überschwemmungen um die Welt, dann fliegen viele staatliche und private Hilfsorganisationen Hilfsteams ein: Suchmannschaften, Ärzte, Logistikspezialisten, Räumdienste mit schwerem Gerät, Fachleute Nach wenigen Tagen steht das „Portfoliomanagement“ im Krisenland Katastropheneinsätze: Wie die UNO Hunderte von Hilfsteams koordiniert Im Herbst 2013 verwüstete der Taifun „Haiyan“ Inseln im Süden der Philippinen. Tausende von Menschen verloren ihr Leben, über vier Millionen Menschen ihr Obdach. Die internationale Katastrophenhilfe lief binnen weniger Tage an. Hunderte von Hilfsorganisationen machten sich auf die Reise, dringend benötigte Güter wie Nahrung, medizinische Ausrüstung oder Wasseraufbereitungsanlagen im Gepäck. Damit die einzelnen Hilfsprojekte die notleidende Bevölkerung optimal erreichen, entsandte die UN-Organisation OCHA („Office for the Coordination of Humanitarian Affairs“) ein Koordinationsteam. Die Aufgabe des Teams: die Lage beurteilen, Bedarf ermitteln, eine Strategie entwickeln und die Projekte und Hilfsorganisationen vor Ort koordinieren. Binnen weniger Tage stampfte die Organisation hochwirksames Portfoliomanagement aus dem Boden - und brachte die Teams aus aller Welt dazu, eine effiziente Hilfsstrategie zu verfolgen. Rudolf Müller, Leiter der Emergency Services Branch und stellvertretender Direktor von OCHA in Genf, berichtet im Interview aus der Praxis. Oliver Steeger Im Herbst 2013 verwüstete der Taifun „Haiyan“ Inseln im Süden der Philippinen. Im Bild die Ostküste der Insel Samar Foto: OCHA für den Aufbau von Notunterkünften. Jedes Team arbeitet autark - und doch müssen die Helfer gemeinsam einer Strategie folgen, um effizient Hilfe zu leisten. Das, was am dringendsten benötigt wird, muss dort ankommen, wo es am dringendsten benötigt wird. Dies klingt sehr nach dem, was Projektmanager „Portfoliomanagement“ nennen. Die UN-Organisation OCHA koordiniert im Katastrophenfall strategisch eine Vielzahl von Hilfsorganisationen und einzelnen Nothilfeprojekten. Rudolf Müller: Koordinierung ist mit Sicherheit ein wichtiges Stichwort. Doch es geht um mehr. Unsere Spezialisten begeben sich sehr schnell nach der Katastrophe in das Einsatzgebiet, um etwa die dortigen Regierungen zu unterstützen. Sie beurteilen die Lage, organisieren Soforthilfe, schaffen gemeinsam Strukturen, bauen funktionierende Kommunikation auf. Ein aktuelles Beispiel dafür: Im Frühjahr dieses Jahres hat sich in Bosnien-Herzegowina und in Serbien eine Flutkatastrophe ereignet. Man sprach am Balkan von den schlimmsten Überschwemmungen seit mehr als einem Jahrhundert. Zehntausende Haushalte waren ohne Strom. Ein Drittel der Bürger in Bosnien soll von der Flut in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Wie hat OCHA reagiert? Wir haben bereits nach 48 Stunden ein Team in dieses Gebiet entsandt. Schnell konnten Hilfsflüge durchgeführt werden, zwei nach Serbien, einer nach Bosnien-Herzegowina - mit dringend benötigten Gütern wie Decken, Wasserkanistern, Wasseraufbereitungsanlagen, Booten und Stromaggregaten. Für solche Fälle haben wir einen Fonds, „Emergency Cash Grant“. Es handelt sich nicht PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 55 Uhr Seite 12 um viel Geld, doch wir können es schnell und strategisch gezielt einsetzen - etwa, um die Logistik zu unterstützen. OCHA-Spezialisten verteilen allerdings nicht die eingeflogenen Decken oder installieren die Aufbereitungsanlagen. Sie konzentrieren sich ausschließlich auf das Portfoliomanagement. Sie entwickeln eine Hilfsstrategie und ordnen die einzelnen Akteure und Projekte so, dass sie im Zusammenspiel optimal die Ziele erfüllen. Für die Wirksamkeit von humanitärer Katastrophenhilfe ist dieses Zusammenspiel entscheidend. Manche Staaten, die von einer Naturkatastrophe betroffen sind, sind durch die Zerstörung der eigenen Struktur zu dieser Koordination nicht mehr in der Lage. Wir unterstützen sie. Wie beispielsweise im vergangenen Jahr auf den Philippinen nach dem Taifun „Haiyan“? Dieser Taifun, der die Philippinen heimgesucht hat, gilt als eine der schlimmsten Naturkatastrophen in der Region. Die Katastrophe war deutlich größer und hatte wesentlich größere Ausmaße als die in Serbien und Bosnien-Herzegowina. Unser Einsatz verlief jedoch anfangs ähnlich wie am Balkan. Wir haben ein Team in das Gebiet entsandt, um wiederum die Regierung und Behörden dieses Landes zu unterstützen. Das philippinische Militär sowie ausländische Militäreinheiten haben ja an der Bewältigung der Katastrophe mitgewirkt ... Auch dafür brauchten wir Fachleute, um die Koordination zwischen ziviler Hilfe und militärischer Unterstützung sicherzustellen. Wir dienten dabei als Verbindungsfunktion. Ein Projektmanager würde sagen: Bevor man ein Portfolio aus Projekten erstellt, muss man eine Strategie haben, nach der das Portfolio zu steuern ist. Nicht nur eine Strategie, sondern zunächst und als Erstes Kenntnis der Lage. Was ist genau geschehen? Was ist zerstört, wer ist betroffen? Was wird benötigt, welchen Bedarf hat die notleidende Bevölkerung? Auf den Philippinen haben wir zunächst strukturiert die Lage beurteilt. Das Katastrophengebiet war weit entfernt von der Hauptstadt Manila. Wir haben also im betroffenen Gebiet Feldbüros aufgebaut. Danach haben wir die Lage beispielsweise für die Gesundheitshilfe, die Nahrungsmittelhilfe, Wasser und die sanitäre Versorgung erfasst. Aufgrund dieser Beurteilung haben wir einen Appell formuliert und zur internationalen Hilfe aufgerufen. Mit einem Wort: Es geht darum, nach einer Katastrophe Strukturen aufzubauen, um überhaupt die eintreffende Hilfe koordinieren zu können? Dies ist entscheidend! Wir müssen schnell handeln und das Eintreffen von Hilfeleistungsteams und Hilfsgütern vorbereiten. Dies ist auch wichtig als Grundlage für den Hilfsappell, den wir an die Staatengemeinschaft senden. Wir haben die Aufgabe, Informationen zu verteilen und einen Appell zur finanziellen Unterstützung herauszuge- Lagebeurteilung zu Anfang ben. Auch haben wir Freigaben für die notwendigen Finanzmittel zu erwirken. Neben dem erwähnten Soforthilfe-Fonds, dem „Emergency Cash Grant“, verwaltet OCHA einen weiteren Fond, den „Central Emergency Response Fund“. Dieser zentrale Hilfsfonds ist mit rund einer halben Milliarde Dollar ausgestattet. Aus diesem Fond können Mittel für Nothilfemaßnahmen weltweit sehr rasch freigegeben werden. Dies klingt nach langen Vorlaufzeiten … Nein, überhaupt nicht. Innerhalb weniger Tage bauen wir diese Strukturen auf. So ist auf den Philippinen die Hilfe schnell angelaufen. Auch war die Phase der akuten Nothilfe relativ kurz. Wir sind nach vergleichsweise projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 l 13 Rudolf Müller ist Abteilungsleiter für die Emergency Services Branch und stellvertretender Direktor des OCHA-Büros in Genf. In dieser Funktion ist er unter anderem für das United Nations Disaster Assessment and Coordination(UNDAC)- Team, die zivil-militärische Koordination sowie die International Search and Rescue Advisory-Gruppe (INSARAG) zuständig. Er begann seine Laufbahn 1981 beim österreichischen Militär, wo er mehrfach auf Einsätze zur nationalen und internationalen Katastrophenhilfe entsendet wurde. 1991 war Rudolf Müller zweimal im Irak als Chemiewaffeninspektor im Rahmen der United Nations Special Commission (UNSCOM). Anfang der 90er-Jahre arbeitete er für die UN in Genf im Rahmen eines Projektes zur Verwendung des Militärs und des Zivilschutzes für internationale Katastrophenhilfe. Zurück in Österreich war er zwei Jahre lang im Verteidigungsministerium für die internationale humanitäre und Katastrophenhilfe zuständig. 1997 kehrte Rudolf Müller jedoch zur UN zurück und arbeitete zunächst als Sachbearbeiter für die Regionen Asien und den Pazifik sowie am Horn von Afrika. Diesem Engagement folgten die Leitung des OCHA-Büros im Südsudan von Anfang 2005 bis Oktober 2006 und ein Aufenthalt in New York als Leiter des Sekretariats für den Central Emergency Response Fonds (CERF) sowie als stellvertretender Direktor für die Abteilung für Hilfeleistungskoordination (Coordination and Response Division - CRD). Foto: OCHA PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 55 Uhr Seite 13 kurzer Zeit zur Rehabilitierung der betroffenen Gebiete übergegangen. Arbeiten Sie eine feste Agenda, eine Routine ab, um diese Strukturen zu schaffen? Nein, so einfach ist dies nicht. Sicherlich haben wir in den letzten Jahrzehnten viel Erfahrungen und Routinen gesammelt. Es gibt feste Abläufe. Jedoch gestaltet sich jeder Katastropheneinsatz anders. Mit festen Abläufen kommt man nicht weit. Es macht einen großen Unterschied, ob es sich um eine Naturkatastrophe handelt oder um einen Einsatz im Kriegsfall. Oder sogar ob ein durch Krieg zerrüttetes Land von einer Naturkatastrophe getroffen wurde. Schnell Strukturen aufbauen Auch die Region selbst, in der sich die Katastrophe ereignet hat, dürfte eine Rolle spielen. Natürlich! Hätte sich der Taifun nicht auf den Philippinen ereignet, sondern in einer kälteren Region, so hätte das Bereitstellen von Unterkünften eine größere Rolle gespielt. Welche Hilfe ist in Katastrophenfällen besonders vordringlich? Auch dies hängt vom Einzelfall ab. Bei Naturkatastrophen brauchen betroffene Menschen zunächst Wasser, dies ist ein Schlüsselpunkt. Die Wasserversorgung muss funktionieren. Der Mensch benötigt sauberes Wasser, um gesund zu bleiben. Dann brauchen die Menschen relativ schnell eine Unterkunft. Die Menschen verlassen auch bei Katastrophen nicht ihre Heimat. Sie bleiben in der Nähe ihres Besitzes. Sie fliehen nicht. Ich dachte, medizinische Hilfe sei besonders eilig … Selbstverständlich ist sie vordringlich. Doch noch vordringlicher kann das Bereitstellen von sanitären Anlagen sein, da sie gesundheitlichen Problemen nach einer Katastrophe vorbeugen können. Wir müssen zusehen, dass die Betroffenen schnell wieder so menschenwürdig wie möglich leben können. Die betroffene Bevölkerung beginnt ohnehin, sich nach einer Naturkatastrophe so gut es geht selbst wieder einzurichten. Dabei brauchen sie Hilfe. Für Kriegsgebiete gelten vermutlich andere Prioritäten? Wahrscheinlich brauchen Menschen in Kriegsgebieten am dringendsten Schutz vor Übergriffen und Plünderungen, besonders die Frauen und Kinder. Dann benötigen sie Nahrung und Material, um sich Behelfsunterkünfte einzurichten. Sie wollen rasch wieder die Möglichkeit haben, sich ein Dach über den Kopf zu bauen. Aber wie gesagt, die jeweiligen Prioritäten unterscheiden sich von Fall zu Fall. Deshalb ist die eingehende Lagebeurteilung so wichtig. OCHA wurde 1998 gegründet. Rechnen wir die Vorgänger-Organisationen UNDRO und DHA mit ein, so besteht Ihre Organisation seit über 40 Jahren. Welche Kernaufgaben haben Sie bei der Katastrophenhilfe? Die hervorstechenden Aufgaben sind die Koordination, das Informationsmanagement und die Finanzierung humanitärer Einsätze. Hinzu kommen zwei weitere Aufgaben. Zum einen das sogenannte Policy Development, die Entwicklung von Grundsätzen und Regeln für die Katastrophenhilfe. Zum anderen die weltweite Fürsprache für die notleidende Bevölkerung, um ihr möglichst schnell wieder ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Sprechen wir über die Erfolgsfaktoren. Welche Faktoren spielen für den Erfolg dieser Koordinierung eine wesentliche Rolle? An erster Stelle etwas, das vielleicht wenig naheliegend erscheint - nämlich die Vorbereitung. In Gegenden, die Koordination im Vordergrund 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 14 REPORT Binnen weniger Tage eingerichtet: der Eingang zum „UN Coordination Centre“ auf den Philippinen Foto: OCHA Rettungsteams aus aller Welt trafen nach dem verheerenden Taifun „Haiyan“ im Süden der Philippinen ein und brachten Hilfsgüter mit. Im Bild Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW) Foto: THW PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 14 einem Risiko für Naturkatastrophen unterliegen, ist Vorbereitung wichtig. Und zwar, bevor eine Katastrophe eintritt. Konkret: Wir haben unlängst von einem Land die Anfrage erhalten, ob wir dort eine Übung durchführen wollen. Für dieses Land sind Erdbeben wahrscheinlich. Natürlich weiß niemand, wann genau ein Beben eintreten wird. Doch das Land will sich vorbereiten. Es will Pläne haben für den Katastrophenfall und diese Pläne durchspielen. Wie sieht diese Vorbereitung genau aus? Wir beurteilen die lokalen Risikofaktoren. Wir erstellen die Pläne, wie auf diese reagiert werden kann, trainieren und qualifizieren Mitarbeiter, simulieren und starten praktische Übungen. Wir erproben die Kommunikationsstrukturen - dies geht dann bis hin zu bestimmten Checklisten, die wir im Bedarfsfall abarbeiten. Der konkrete Ernstfall gestaltet sich bekanntlich immer etwas anders als das, was geplant und erprobt wurde. Das ist richtig. Dennoch ist diese Vorbereitung wichtig, um die Hilfe besser durchführen zu können. Im Fall einer Katastrophe hängt vieles von einer schnellen und strukturierten Lagebeurteilung ab. Diese Beurteilung mündet in einem Bericht, anhand dessen wir die weitere Hilfeleistung ausarbeiten und auch unseren Appell zur Hilfeleistung geben. Wie bringen Sie Struktur in diese Lagebeurteilung? Sie müssen ja binnen weniger Tage die Eindrücke zu einem Gesamtbild verdichten. Dieses Gesamtbild umfasst die Strategie und Ziele der gesamten Katastrophenhilfe, mehr noch: Es ist Grundlage für die Pläne und die Koordination. Wir gliedern die Hilfeleistung in thematische Cluster. Nach diesen Clustern gehen wir bei der Lagebeurteilung vor, sie bilden die Struktur. Wir sprechen bei der Lagebeurteilung auch von dem „Multi Cluster Initial Assessment“. Um welche Cluster handelt es sich? Wir haben elf Cluster, die von unserem humanitären Koordinator vor Ort zusammengeführt werden - etwa Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln, Camp-Management, Hilfe bei Unterkünften, Ausbildung und Erziehung, Gesundheit, Logistik, Schutz, Wasser, sanitäre Anlagen und Hygiene. Zusammen mit den örtlichen Stellen, mit der Regierung und anderen Hilfsorganisationen erarbeiten wir anhand dieser Cluster einen strukturierten Plan für die Katastrophenhilfe. In diesem Plan Vorbereitung für den „Ernstfall“ finden sich alle Daten der betroffenen Bevölkerung und Orte sowie die Prioritäten der Bedürfnisse. Kann der humanitäre Koordinator, den Sie an den Einsatzort schicken, wirklich jedes dieser elf Cluster überblicken? Dies wäre ein enorm komplexes Geschäft. Die Aufgabe ist sehr komplex. Wir müssen sinnvolle Grenzen ziehen. Jedes dieser Cluster ist einer (UN-)Organisation zugeordnet, die hauptsächlich für dieses Cluster ein Mandat hat. Beispielsweise für das Cluster „Schutz“ ist das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge zuständig. Es sind auch einige Organisationen dabei, die zwar der UNO nahestehen, aber ihr nicht angehören. Für das Cluster „Erziehung“ etwa, hier ist neben UNICEF auch die Organisation Save the Children zuständig. Damit werden den Clustern Organisationen mit eigener Leitung zugeordnet, die wiederum die Hilfe jeweils in ihrem Bereich steuern. Ja. Wichtig dabei ist: Der humanitäre Koordinator hält die Fäden in der Hand. Er kann beispielsweise bestimmen, ob wirklich alle Cluster benötigt werden - oder ob man bereits mit fünf oder sechs die Katastrophe bewältigen kann. Wer strategische Entscheidungen über ein Projektportfolio treffen will, braucht Informationen über Stand und Fortschritt der einzelnen Projekte. Gute Portfoliomanager machen es sich zur Tagesaufgabe, Informationen zu sammeln und so ihr Portfolio zu überwachen. Eine ähnliche Maxime wäre auch für Ihre humanitären Koordinatoren denkbar. Wir nennen diese Aufgabe Monitoring und Accountability. Es wird begleitend beobachtet, wie die Hilfsmaßnahmen durchgeführt werden. Was wird wirklich erzielt in diesen Projekten? Dafür brauchen wir auch ein hocheffizientes Informationsmanagement. Noch einmal zum genauen Verständnis: Die Koordinatoren überwachen den Gesamtfortschritt der Hilfe. Verantwortlich für die Umsetzung einzelner Hilfsprojekte sind allerdings die Organisationen, die sich in den Clustern koordinieren, selbst? Baut das Welternährungsprogramm beispielsweise eine Lieferkette für Nahrungsmittel auf, so trägt diese Organisation selbstverständlich die Verantwortung für das, was dort geschieht. Wir beobachten diese Aktivitäten allerdings mit. Wir führen quasi nur auf alleroberster Ebene. Arbeiten in „Clustern“ Lernen Sie bei unseren erfahrenen PM-Trainern Ihre Rolle als ProjektleiterIn methodisch kompetenter und perfekt zu meistern! Unsere Kurs starten regelmäßig im Frühjahr und im Herbst. Lernen Sie bei unseren erfahrenen PM- Trainern Ihre Rolle als Projektleiter/ in methodisch kompetent und perfekt zu meistern! Unsere 11-tägigen Classic-Kurse starten regelmäßig im Frühjahr und im Herbst. FRANKFURT, MAINZ Starttag 20.09.2014 KARLSRUHE, LUDWIGSHAFEN Starttag 27.09.2014 Projektmanagement-Fachmann/ Fachfrau GPM ® Level D verständlich. Mannheim 08.09./ 09.09.2014 06.10./ 07.10.2014 03.11./ 04.11.2014 Mannheim 11.09./ 12.09.2014 09.10./ 10.10.2014 06.11./ 07.11.2014 fon: 0621 - 17 89 06 - 0 fax: 0621 - 17 89 06 - 18 Projektmanagement mit Dieser Lehrgang umfasst die Inhalte und C/ B, „ PLUS“ die für Level D. Dies bedeutet für Sie als aktiver Projektleiter: 11 TAGE MZ, F, KA, LU + 3 TAGE MA Starttag 20.09.14 oder 27.09.2014 + 23.02.-25.02.2015 Fotos ©: Fotolia.com Fotograf: Y. Arcurs a l s m e l b s Anzeige PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 15 Führung ist ein gutes Stichwort. Die humanitären Koordinatoren unterliegen einer Herausforderung bei der Führung, die auch Projektmanagern nicht unbekannt ist: Sie haben keine direkte Weisungsbefugnis. Sie können den vielen Helfern und Organisationen, die nach einer Katastrophe eintreffen, keine Weisungen erteilen. Sie sind kein Oberbefehlshaber, wie man ihn aus dem Militär kennt. Unsere Koordinatoren haben keine strikte Weisungsmöglichkeit, dies stimmt. Trotzdem müssen die Koordinatoren die Einsätze steuern und in die richtige Richtung lenken. Was können sie also tun? Dies wäre meine nächste Frage. Als ich vor 20 Jahren bei OCHA begonnen habe zu arbeiten, ging das geflügelte Wort um: Jeder will koordinieren, niemand will koordiniert werden. Dies hat sich zwischenzeitlich geändert. Zum einen stützt sich die OCHA heute auf ein vergleichsweise starkes Mandat. Ihr Mandat kommt direkt von der UNO und wurde mehrfach bekräftigt von der Vollversammlung. Führen wie Projektmanager Damit werfen Sie Ansehen und Position in die Waagschale. Reicht dies aus, um eine Führungsposition zu untermauern? Ein zweiter Punkt kommt hinzu. Unsere Koordinierung wird akzeptiert, weil unsere Partner unsere Fachkompetenz schätzen und brauchen. Dies ist meiner Einschätzung nach das Entscheidende. In den vergangenen Jahren ist unsere Fachkompetenz gewachsen. Neben fachlicher Kompetenz und Informationen fällt noch etwas ins Gewicht: Beispielsweise müssen die Abläufe sehr gut strukturiert, ausgearbeitet und solide sein. Etwa die Art und Weise, wie man Prioritäten bei der Hilfeleistung setzt. Diejenigen, die koordiniert werden sollen, erkennen den Vorteil, den sie aus dieser Koordination ziehen, denn Koordination erhöht die Effizienz jeder Hilfsorganisation. Dafür müssen wir übrigens auch, salopp gesagt, den Organisationen stets einen Schritt weiter voraus sein. Einen Schritt weiter voraus? Wie darf ich dies verstehen? Wir müssen etwa mit unserer Technologie weiter voraus sein, wir müssen die glaubwürdigeren Informationen und besseren Beziehungen bieten können. Fehlt dies alles, dann sieht niemand einen Sinn und Nutzen in der Koordination. Besonders die Informationen sind wichtig, sie sind ja auch Grundlage für die Lagebeurteilung. Deshalb legen wir viel Wert auf ein gutes Informationsmanagement. Was auch wichtig ist: Jeder Partner, den wir führen, muss sich beachtet und einbezogen fühlen. Er muss sich im Ganzen wiederfinden können. Fürchten beispielsweise kleinere Hilfsorganisationen, dass sie von einer großen Maschinerie überrollt werden, dann lassen sie sich kaum vom Nutzen der Koordination überzeugen. Nutzen - auch im Sinne von Unterstützung der Organisationen? Wir unterstützen auch die Organisationen. Unsere eigene Organisation hat ja einige Größe und Gewicht. Wir können ein Sprachrohr für die Mobilisierung von Ressourcen sein. Wir können Türen öffnen und können Partner in ihrer Arbeit unterstützen, insbesondere was den Zugang zur betroffenen Bevölkerung anbelangt. Ein Beispiel: Im Sudan wurde eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen des Landes verwiesen. Sie haben sich mit dem Gewicht der UN für diese Organisationen eingesetzt … … und sie durften zurückkehren. Die Partner erkennen durchaus den Sinn und vielfältigen Nutzen, sich von uns koordinieren zu lassen. So kann man sich jenseits der Weisungsbefugnis in gewissem Sinne Autorität aufbauen, sich als Leader der humanitären Gemeinschaft hervortun und vor allem seine Position verständlich machen. Vorhin haben Sie das Informationsmanagement angesprochen. Sie brauchen schnelle und gute Informationen - auch, um Ihre Position als Koordinator gegenüber Partnern zu festigen. Doch wie kann man in einem Land, das von einem Erdbeben oder einem Krieg ver- Nutzen für Stakeholder 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 16 REPORT Transport von Hilfsgütern auf den Philippinen Foto: THW/ Kai-Uwe Wärner Sauberes Trinkwasser hat bei Katastropheneinsätzen besonders hohe Priorität. Foto: THW/ Kai-Uwe Wärner Pro Pro Durchdac Projektab PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 16 wüstet wurde, das Informationsmanagement aufbauen? In der Regel sind die Telefonnetze zusammengebrochen. Leistungsfähige Satellitentelefone sind heute so groß wie Laptops, diese Geräte können unsere Teams mitführen. Damit können wir in den ersten Tagen nach der Katastrophe schnell ein relativ autarkes Kommunikationsnetz aufbauen. Für diesen Bereich ist übrigens ein eigenes Cluster zuständig, „Emergency Telecommunications“ genannt. Zudem haben wir zum Teil vieljährige Partnerschaften zu Telekommunikationsunternehmen, die uns Technik zur Verfügung stellen und manchmal auch beschädigte Mobilfunknetze wiederherstellen können. Ich bestreite allerdings nicht, dass es in den ersten Tagen nach der Katastrophe schwierig ist, mit Mitarbeitern in Verbindung zu bleiben, die an entlegenen Orten tätig sind und dort etwa Bestandsaufnahmen machen. Sie haben erwähnt, dass Ihre Koordinationsteams anfangs viele Informationen austauschen und komplexe Informationen verteilen müssen. Wie soll dies funktionieren, bei eingeschränkten technischen Möglichkeiten? Dies ist in der Tat schwierig. Wir haben dafür allerdings gute Methoden und Mechanismen entwickelt. Zum Beispiel? Wir haben eine virtuelle Informationsplattform aufgebaut. Praktisch jede Hilfsorganisation weltweit kann zu dieser Plattform im Internet einen Zugang bekommen. Teams etwa vom Technischen Hilfswerk melden sich auf dieser Plattform an und tauschen auf dieser Plattform Informationen aus. Wir können mit dieser Plattform sehr gut die Koordination vorbereiten, insbesondere in der ersten Phase. Wie funktioniert diese Plattform genau? Ich erkläre dies am Beispiel der Erdbebenkatastrophe in Haiti. Ein Rettungsteam aus Deutschland kündigte auf der Plattform an, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt von Frankfurt aus abfliegt und zu einer bestimmten Uhrzeit in Haiti eintrifft. Wir konnten dieses Team sofort in die laufende Arbeit einplanen. Konkret: Wir haben Mitarbeiter zum Flughafen geschickt und das Team abgeholt, ihm einen Platz im Camp sowie Aufgaben zugewiesen. Die Spezialisten waren schnell startklar. Mehr noch: Das anreisende Team selbst konnte anhand der Informationen auf der Plattform vorab die Lage im Einsatzgebiet studieren. Die Kommunikation organisiert sich offenbar von selbst. Sie brauchen keine Mitarbeiter, die diese Informationen aufnehmen und weiterleiten. Alles in allem - eine Art Facebook für Einsatzkräfte? Wenn Sie so wollen - ja. Ein Kollege von mir hat es in der Tat als ein Facebook für Disaster Management Virtuelle Informationsplattform Stakeholder einbeziehen Projektmanagement. Prozessorientiert. Durchdachte Prozesse geben in den Unternehmen die Abläufe vor. So werden be- Projektabwicklung im gesamten Projektportfolio. C O N T A C T Essen | 01.10. Stuttgart | 22.10. Jetzt kostenlos anmelden! Anzeige Das zerstörte Land rasch wieder aufbauen: THW-Kräfte bei der Reparatur von Anlagen Foto: THW PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 17 bezeichnet. Über diese Plattform können Mitarbeiter, die im Katastrophengebiet tätig sind, spezielle Hilfe anfordern. Das alles geschieht sehr rasch. Die Plattform ist technisch zudem einfach gehalten, sodass sie überall eingesetzt werden kann. Und die allermeisten Organisationen, die sich weltweit an der Katastrophenhilfe beteiligen, kennen mittlerweile diese Plattform und wissen, wie sie funktioniert. Als Koordinator haben Sie mit vielen Interessengruppen zu tun: von der Politik und den Behörden der Einsatzländer über Hilfsorganisationen bis hin zu engagierten Geberländern oder auch der UNO, die Ihnen das Mandat verliehen hat. Wie beziehen Sie die Interessen dieser Gruppen in Ihre Koordination ein? Wie eben gesagt, wir werden häufig auf Ersuchen der Regierungen unserer Einsatzländer tätig. Wir kommen, um diese Länder bei der Bewältigung einer Katastrophe zu unterstützen. Jedoch brauchen wir nicht unbedingt eine öffentliche Anfrage oder Bitte dieses Lands. Manche Länder rufen selbst nicht auf zur internationalen Hilfeleistung. Mit welcher Begründung? Unterschiedlich! Häufig handelt es sich um grundsätzliche Erwägungen. Manche Regierungen wollen keine Schwäche zeigen oder sich exponieren gegenüber ihrer Bevölkerung. Andere wollen nicht zu erkennen geben, dass sie vielleicht mit der Katastrophe überfordert sind. Ich will die Gründe dafür nicht weiter hinterfragen. Uns reicht letztlich auch eine Zustimmung der Regierung zur Hilfeleistung aus, um zu helfen. Die UNO verfolgt bei der Hilfeleistung eine Politik des Konsenses. Wir binden die Regierung und andere Gruppen ein, indem wir uns ihrer Zustimmung zum Hilfeeinsatz versichern. Haben wir diese Zustimmung, dann dürfen wir davon ausgehen, dass sich diese Gruppen kooperativ verhalten und mit uns zusammenarbeiten. Bei Ländern, in denen Krieg herrscht, dürfte dies nicht leicht sein. Da kann die Regierung durchaus ein Teil des Problems sein. Darauf will ich hinaus. Diese Situation ist in der Tat kompliziert. Wir versuchen dabei immer wieder auf die humanitären Prinzipien zurückzugehen und dort einen Minimalkonsens mit den Parteien zu finden. Unsere Organisation verfolgt keine politischen Ziele. Insofern stehen die Chancen für einen Grundkonsens recht gut. Augenblick. Nicht in allen Teilen unserer Welt wird Ihre politische Neutralität erkannt. Nein, nicht immer. In einigen Ländern versucht die UNO Frieden herzustellen … … mit Blauhelmeinsätzen zum Beispiel. Dort kommt es vor, dass nicht unterschieden wird zwischen dem „Peace-Keeping“ und dem humanitären Einsatz der UNO. Manchmal wird die UNO auch generell für zu westlich gehalten und deswegen nicht akzeptiert. Kompliziert kann es dann besonders bei den konkreten Hilfeleistungen werden. Manchmal müssen wir in Gegenden arbeiten und mit Personen kooperieren, die nicht mehr dem Einfluss der Regierungen unterliegen. Vielleicht Aufständische oder Regierungsgegner? Möglicherweise. Doch dies alles muss nicht zwangsläufig zum Problem werden. In der Katastrophenhilfe sind neben der UNO einige weitere große Organisationen engagiert. Bei der Flutkatastrophe auf dem Balkan trat die Europäische Union als eigenständiger Akteur auf. Auch das Rote Kreuz agiert sehr autonom. Das Rote Kreuz hat ein eigenes Mandat. Es legt Wert auf diesen Status und Eigenständigkeit, durchaus verständlich für mich. Trotzdem ist das Rote Kreuz ein wichtiger Partner für uns bei der humanitären Hilfe. Wir respektieren die Eigenständigkeit. Wichtig ist dann, dass wir wenigstens einen Verbindungspunkt finden und uns abstimmen mit diesen Akteuren. Es sollte beim Einsatz Neutralität als Schlüssel 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 18 REPORT Spezialisten bei der Überwachung der Trinkwasserqualität Foto: THW Hilfe kommt da an, wo sie gebraucht wird. Der freundliche Dank der notleidenden Bevölkerung für die Hilfe aus aller Welt Foto: THW/ Karin Schnur PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 18 nicht zu unnötiger Duplizierung von Hilfeleistungen kommen, während am anderen Ende Lücken bei der Hilfe entstehen. Konkret? Diese Organisationen müssen wissen, was wir tun. Wir müssen wissen, was sie tun. Wir brauchen gegenseitige Kenntnis von den Aktivitäten. Wir versuchen deshalb immer ein Minimum an Kooperation zu erzielen - und wenn es nur das In-Kenntnis-Setzen über die jeweiligen Ziele und Projekte ist. Ihre Koordinatoren haben in Katastrophengebieten die Aufgabe, schnell ein wirksames Portfoliomanagement aufzubauen und die entstehenden Hilfsprojekte in die strategisch gewünschte Richtung zu steuern. Welchen persönlichen Anforderungen müssen die Koordinatoren genügen? Technisch-fachliche Kompetenz ist die grundsätzliche Voraussetzung. Wie eben gesagt, diese Kompetenz hilft auch den Führungsanspruch bei den Einsätzen zu untermauern. Der Koordinator - oder die Koordinatorin - muss wirklich wissen, auf was es bei den Einsätzen ankommt. Außerdem: Koordinatoren brauchen Führungskompetenz. Dies schließt beispielsweise den richtigen Umgang mit Mitarbeitern und Interessengruppen ein. Hinzu kommen Entscheidungsfähigkeit und Teamfähigkeit sowie die Qualifikationen, zügig Teams aufzubauen. Wichtig ist außerdem Kommunikationsfähigkeit; unsere Koordinatoren müssen gute Kommunikatoren sein. Nicht zuletzt: Sie müssen politische Zusammenhänge verstehen können. Katastrophenhilfe ist mit Strapazen verbunden. Vermutlich brauchen Koordinatoren eine starke Motivation, diese schwierigen Einsätze durchzuführen. In vielen sozialen Berufen wirkt bekanntlich stark die intrinsische Motivation, die Motivation, die aus dem Menschen selbst heraus erwächst. Diese intrinsische Motivation ist im humanitären Bereich ein sehr starker und wichtiger Antrieb. Vor 20 Jahren ging in unserer Organisation das geflügelte Wort Schnell Portfoliomanagement aufbauen um, dass für einen humanitären Helfer ein „gutes Herz“ genug sei. Überspitzt gesagt: Nächstenliebe reichte damals aus, jemanden für einen humanitären Einsatz zu befähigen? Sehr überspitzt gesagt, ja. Auch damals wusste man, dass man Professionalität braucht. Der Stellenwert der Professionalität ist bis heute stark gestiegen - doch das „gute Herz“ ist nach wie vor nötig. Das braucht man einfach bei Einsätzen, die ja auch mit persönlichem Risiko verbunden sind. Die Lebensbedingungen für unsere Helfer sind schwierig. Und leider wurden in jüngerer Vergangenheit Helfer vermehrt entführt, einige kamen ums Leben. Kann diese intrinsische Motivation auch zum Problem werden? Für die Helfer mit Sicherheit. Wir haben eine hohe Fluktuation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Viele arbeiten eine Zeit lang mit und verlassen dann erschöpft diesen Bereich wieder. Nur wenige bleiben ein Leben lang dieser Aufgabe verpflichtet. Der Kern wirklich langjähriger Mitarbeiter ist überschaubar. Ich habe dafür durchaus Verständnis. Inwiefern Verständnis? Die Aufgaben sind sehr familienunfreundlich, um dies vorsichtig zu sagen. Familien werden stark belastet. Unter unseren Mitarbeitern sind die Scheidungsraten überdurchschnittlich hoch. Ein weiteres Problem: Wenn Mitarbeiter zu lange in den Einsatzländern sind, identifizieren sie sich vielleicht zu sehr mit der Situation. Koordinatoren sind Generalisten, sagten Sie gerade. Von dieser Generalisten-Kompetenz hängt ein Stück weit der reibungslose Erfolg von Katastrophenhilfe ab. Es ist keine Zeit, Mitarbeiter beim Einsatz auszutauschen, wenn sie dieser Herausforderung nicht gewachsen sind. Wie wählen Sie geeignete Koordinatoren aus? Intrinsische Motivation der Helfer projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 l 19 Lagebesprechung in einem provisorischen Camp von OCHA Foto: Gemma Cortes, OCHA Auf dem schwierigen Weg zurück in den Alltag: Ausgabe von Schultaschen an einer Grundschule Foto: Gemma Cortes, OCHA PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 19 Kandidaten müssen viel Erfahrung und Kompetenz nachweisen, bevor wir sie überhaupt für diese Aufgabe in Betracht ziehen können. Sie müssen also viele Jahre im humanitären Bereich gearbeitet und ihre Erfahrungen an verschiedenen Orten gesammelt haben. Meistens werden sie uns von anderen Organisationen empfohlen; nur wenige rekrutieren wir aus den eigenen Reihen. Immer mehr kommen von anderen UN-Organisationen oder von Nichtregierungsorganisationen. Es ist dann im Interesse dieser Organisation, nur wirklich geeignete Leute zu empfehlen. Einen ungeeigneten Kandidaten ins Gespräch zu bringen, würde schlechtes Licht auf die Organisation werfen. Wir bekommen also gute Vorschläge. Sie sprachen eben von Führungskompetenz … Wir haben Programme mit Trainings und Tests, um unsere Koordinatoren an die Führungsaufgaben heranzuführen. Darüber hinaus veranstalten wir jährlich Treffen der Koordinatoren zum Erfahrungsaustausch. Wie sieht es mit der Auswahl von geeigneten Koordinatoren für den konkreten Einsatz aus? Wir nehmen natürlich Rücksicht darauf, ob der Koordinator den jeweiligen Anforderungen gewachsen ist. Profil der Koordinatoren Wir würden niemanden etwa nach Syrien schicken, der nicht arabisch spricht und mit der dortigen Kultur vertraut ist. Deshalb unternehmen wir einige Anstrengungen, Koordinatoren und andere Mitarbeiter aus vielen Teilen der Welt zu gewinnen - aus Afrika, Lateinamerika, vermehrt auch aus dem Mittleren Osten. Die UN hat in manchen Teilen der Welt den ungünstigen Ruf, stark westlich geprägt zu sein. Dies haben wir in Afghanistan erlebt. In den 1990er- Jahren waren wir in Afghanistan sehr aktiv. Dort haben wir beispielsweise für humanitäre Ziele Minen geräumt oder nach dem Erdbeben im Norden des Landes geholfen. Die UNO hatte in Afghanistan über 4.000 nationale Mitarbeiter, wir waren einer der größten öffentlichen Arbeitgeber des Landes. Wir haben einen guten Ruf bei der Bevölkerung genossen, eine gute Basis für die Zusammenarbeit mit den Menschen. 2001 hat sich dies aus bekanntem Grund geändert. Wie sind Sie mit dem Verlust an Reputation umgegangen? Wichtig sind Mitarbeiter, die nicht nur die Sprache der Einsatzorte beherrschen, sondern das dortige Leben tief gehend verstehen. Die auch mit möglichen Vorurteilen und Bedenken dieser Länder gegen unsere Einsätze umgehen können. Wir brauchen interkulturelles Geschick, um mit den Menschen zu dem Grundkonsens zu finden, über den wir eben gesprochen haben. Darauf richtet sich meine nächste Frage. Bei der internationalen Katastrophenhilfe arbeiten Menschen aus vielen Ländern zusammen. Sie alle haben ihre persönliche Kultur und Mentalität quasi im Gepäck, müssen miteinander auskommen und sich zudem in der Kultur des Gastlands zurechtfinden. Wie bewältigen Sie die interkulturelle Herausforderung dieser Einsätze? Interkulturelle Probleme fallen, offen gesagt, nicht in unser Ressort. Wir schlichten beispielsweise keine interkulturellen Konflikte. Ich glaube ohnehin nicht, dass interkulturelle Konflikte bei der Soforthilfe nach Katastrophen eine wichtige Rolle spielen. Später, wenn man länger gemeinsam vor Ort ist und zusammenarbeitet, mögen interkulturelle Reibungspunkte entstehen - nicht aber in den Tagen und wenigen Wochen direkt nach dem Unglück. Da sind andere Aufgaben schlichtweg vordringlich. Trotzdem wirken wir solchen Konflikten entgegen, etwa indem wir uns um ein positives Klima unter den Partnern bemühen. Positives Klima - wie darf ich dies verstehen? Wir versuchen zum Beispiel von vornherein keine Konkurrenz zwischen den Hilfsorganisationen zu schüren. Wir vermeiden, dass einer das Gefühl hat, ein attraktiveres Projekt zu haben. Niemand sollte sich bevorzugt oder zurückgesetzt sehen. Dies trägt viel bei zu diesem Klima. Ein weiteres Beispiel: Wir gestalten unsere Camps vor Ort vielfach sehr offen. Auch andere Organisationen können einziehen und mit uns eine gute Infrastruktur aufbauen. Tägliches Miteinander erleichtert die Verständigung. ■ Interkulturell zusammenarbeiten 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 20 REPORT Hilfsprojekte werden koordiniert: Briefing im OCHA-Camp Foto: Gemma Cortes, OCHA Auch die eintreffenden Hilfsgüter am Flughafen müssen koordiniert werden. Foto: DPDHL V TH W ru An be lic Fü ge na Mü TH PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 20