PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Wie Projektmanagement der Windenergiebranche Flügel verleiht
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Oliver Steeger
Deutschland, das Land der „neuen Windmühlen“. Immer mehr fallen die gewaltigen Windkraftanlagen in Deutschland auf, deren Rotoren die natürliche Energie des Winds nutzen. Aus der Exotenbranche Windenergie hat sich ein kraftvoller Wirtschaftszweig entwickelt. Doch die Projekte dieser Branche kämpfen mit einem extrem dynamischen Umfeld. Ob Windkraftanlagen an Land oder offshore auf dem Meer, die Projekte sind abhängig von politischen Beschlüssen, gesetzlichen Regularien, Finanzierungskonzepten und von professionellem Projektmanagement. Vier PM-Insider sprechen über das Projektmanagement in Norddeutschlands Boom-Branche. Ein Gespräch mit Jan Koschinski (Leiter Projektmanagement AREVA Wind GmbH), Daniel Meier (Projektmanager bei der WKN AG), Kai Porath (Vorstand Denker & Wulf AG) und Steffen Rietz (Professor für Technisches Projektmanagement und GPM Vorstand für Facharbeit und Normung).
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22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 22 REPORT Als Projektmanager in der Windenergiebranche muss man mit wechselnden Windrichtungen rechnen - nicht nur draußen bei den Windrädern, sondern im übertragenen Sinne auch bei der politischen Großwetterlage. Wie kaum eine andere Branche ist die Windenergie abhängig von politischen Rahmenbedingungen. Vor einiger Zeit gab es erneut Gegenwind: Die Diskussion um die Strompreisbremse hat Aufregung verbreitet. Jan Koschinski (JK): Allein die politische Diskussion hat Projekte verzögert, und sie hat zumindest die Offshore-Branche in eine schwierige Situation gebracht. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG selbst ist ein Erfolgsmodell. Die Grundlage der festen Einspeisevergütung war wegweisend. Aber? JK: Für unsere Branche ist wichtig: Wir brauchen eine klare Basis und ebenso klare Rahmenbedingungen. Im Augenblick ist man mit der Diskussion aus Sicht der Offshore-Branche wieder auf dem richtigen Weg. Kai Porath (KP): Die Verunsicherung ist groß bei allen Beteiligten. Egal, mit wem Sie sprechen. Nicht nur die Investoren sind vorsichtig, sondern auch die Kreditinstitute. Die EEG-Diskussion führt uns vor Augen, wie die Politik immer wieder an Stellschrauben dreht und so neu zu regulieren versucht. Daniel Meier (DM): Schauen Sie sich die Diskussion in Bayern an! Man diskutiert, dass Windkraftanlagen mindestens drei Kilometer entfernt von Wohnsiedlungen errichtet werden müssen. Demnach könnten in Bayern kaum Windkraftanlagen errichtet werden. Diese Diskussion trifft uns unabhängig von den vielen Auflagen und Regularien, die wir zusätzlich erfüllen müssen - etwa Auflagen zu Landschafts- und Vogelschutz. Wie Projektmanagement der Windenergiebranche Flügel verleiht PM-Branchenstandard könnte Windenergie weiter voranbringen Deutschland, das Land der „neuen Windmühlen“. Immer mehr fallen die gewaltigen Windkraftanlagen in Deutschland auf, deren Rotoren die natürliche Energie des Winds nutzen. Aus der Exotenbranche Windenergie hat sich ein kraftvoller Wirtschaftszweig entwickelt. Doch die Projekte dieser Branche kämpfen mit einem extrem dynamischen Umfeld. Ob Windkraftanlagen an Land oder offshore auf dem Meer, die Projekte sind abhängig von politischen Beschlüssen, gesetzlichen Regularien, Finanzierungskonzepten und von professionellem Projektmanagement. Vier PM-Insider sprechen über das Projektmanagement in Norddeutschlands Boom-Branche. Ein Gespräch mit Jan Koschinski (Leiter Projektmanagement AREVA Wind GmbH), Daniel Meier (Projektmanager bei der WKN AG), Kai Porath (Vorstand Denker & Wulf AG) und Steffen Rietz (Professor für Technisches Projektmanagement und GPM Vorstand für Facharbeit und Normung). Oliver Steeger Jan Koschinski (49), Diplom-Ingenieur Elektrotechnik und Diplom-Wirtschaftsingenieur, ist seit 2011 bei der AREVA Wind GmbH als Leiter Projektmanagement tätig und verantwortet die Planung, Errichtung und Inbetriebnahme der Offshore- Windpark-Projekte des Unternehmens. Er startete seine berufliche Laufbahn als Marineoffizier in der Bundeswehr und war in verschiedenen Positionen im In- und Ausland verantwortlich für die technische und logistische Betreuung von komplexen wehrtechnischen Projekten. Nach zwölf Jahren wechselte er in die Industrie und hatte verschiedene Führungspositionen in Vertrieb, Projektentwicklung und Projektmanagement inne, wobei die Tätigkeiten stark international geprägt waren. Jan Koschinski ist zertifiziert als Project Management Professional (PMP) ® nach dem international anerkannten PMI-Standard. Foto: Areva Wind PM_4-2014_1-80: Inhalt 25.08.2014 5: 34 Uhr Seite 22 Beim ständigen Nachbessern droht die Gefahr, dass manches Gesetz verschlimmbessert wird. Kommt es zu Schieflagen in den Regularien? KP: Ja. Ein Beispiel: Anlagen, die an windergiebigen Standorten stehen, werden zukünftig gegenüber Anlagen an weniger ergiebigen Orten schlechter gestellt. Wir haben es zudem vielfach nur mit Übergangsvorschriften zu tun. Uns fehlt damit der Vertrauensschutz, eine feste, langfristige Basis für unsere Projekte. Es dauert zumeist mehrere Jahre, bis eine Windkraftanlage oder ein Windpark errichtet ist. Angesichts der ständig wechselnden Regelungen und juristischen Provisorien ein langer Zeitraum! KP: Genau das ist das Problem. Die Windenergiebranche ist eine recht junge Branche, sie ist in den vergangenen zehn Jahren enorm gewachsen. Zu dem Boom hat auch der gesellschaftspolitische Rückenwind beigetragen. Eine wichtige Initialzündung gab neben der Klimadiskussion die Atomkatastrophe von Fukushima. Mit einem Mal suchten Politik und Gesellschaft den Ausstieg aus der Atomenergie ... Prof. Steffen Rietz (SR): … der eigentlich längst beschlossen war, dann mit der Laufzeitverlängerung der AKWs relativiert und nach Fukushima erneut fokussiert wurde. Wir reden also über mehrere Kehrtwenden bei den Rahmenbedingungen für die Windkraftbranche - alles in kürzester Zeit. Die Branche hat sich in der jüngsten Vergangenheit stark verändert. Was die Branche heute ausmacht, hat sich zu 95 Prozent nach der Katastrophe von Fukushima ergeben. Diesen wichtigen Punkt sollten wir im Blick behalten, wenn wir die Instabilität auch der Projektplanung in der Windenergiebranche verstehen wollen. Welchen Rahmenbedingungen unterliegen die Projekte Ihrer Branche derzeit - außer dem politischen Einfluss? KP: Wir haben lange Lieferzeiten etwa bei den Herstellern von Turbinen. Hinzu kommt die nicht unerhebliche Vorlaufzeit von Projekten durch die Genehmigungsverfahren. Ein Beispiel dafür ist das Thema Luftverkehrssicherheit. Der Luftverkehr bringt uns bei Projekten an Land viele Einschränkungen. So muss geprüft werden, ob Windkraftanlagen einen Störfaktor etwa für das Radar bilden. Angesichts solcher Hürden kommen schnell Vorlaufzeiten von zwei Jahren und mehr zusammen. Bei einem Windpark in Brandenburg, den wir derzeit errichten, hatten wir einen Vorlauf von knapp zehn Jahren, auch wegen einiger Rechtsstreitigkeiten. Für einen kleinen Windpark auf dem Festland können sich allein die Vorleistungen schnell auf einen siebenstelligen Betrag summieren, eine nicht unbeträchtliche Investition in Planung und Genehmigungsverfahren. Windenergieprojekte gelten als ein Hoffnungsträger für die deutsche Energiewirtschaft. Doch Deutschland ist kein Flächenstaat wie etwa Australien, China oder Indien. Hier fehlen Flächen mit Potenzial für Windkraftprojekte. Ein Hemmnis für Ihre Branche? Vorlaufzeiten für Projekte DM: Es gibt noch ausreichend Freiflächen, die für Windkraftanlagen infrage kommen. Deutschland verfügt über wenig bewohnte und zersiedelte Flächen. Wer beispielsweise über Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg fliegt, erkennt weite Flächen ohne Anlagen. Wir haben hier in Deutschland also noch einiges an Möglichkeiten ... DM: … vor allem beim Repowering … Repowering? DM: Beim Repowering ersetzt man die vielen Altanlagen durch wenige neue leistungsstarke Anlagen. KP: Insgesamt hat unser Unternehmen einen Zubau von Anlagen mit fast 1.000 Megawatt Leistung realisiert, wenn man die Umrüstung bestehender Anlagen einbezieht. Im Jahr 2013 hat die Branche bundesweit einen projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 l 23 Daniel Meier (36) studierte an der RWTH Aachen Wirtschaftsgeografie und Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsförderung erneuerbare Energien. Nach dem Studium begann er seine berufliche Laufbahn als Projektmanager für rumänische und brasilianische Windkraftprojekte und war Mitbegründer der Energiegenossenschaft nwerk eG in Osnabrück. Seit 2008 steuert er als Projektmanager bei der WKN AG in Husum polnische Windkraftprojekte, berät die örtliche Projektentwicklung und betreut die lokalen Kollegen in allen Sachfragen. Er erwarb sein Wissen im Bereich Projektmanagement bei der GPM/ IPMA und hält das Level-D-Zertifikat. Foto: WKN Gruppe Die GPM Fachgruppe Projektmanagement in der Windenergie hat die Gründungs- und Findungsphase erfolgreich abgeschlossen und agiert unter der Fachgruppenleitung von Daniel Meier und Dana Fee von Kocemba. Die Gruppe ist erreichbar unter: E-Mail: pm-windenergie@gpm-ipma.de. GPM Fachgruppe Projektmanagement in der Windenergie PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 23 Zubau (netto) von 2.740 Megawatt erreicht. Das ist eine gute Leistung für den Ausbau. Durch die Vorgaben der Politik dürfte sich der Zubau zukünftig bei 2.500 Megawatt einpendeln. Wie sieht es im Offshore-Bereich aus, Herr Koschinski? JK: An den Offshore-Bereich wurden bereits sehr früh große Erwartungen gerichtet. Die Ausbauziele waren hochgesteckt. Es hat aber Jahre gedauert, bis die ersten Projekte umgesetzt und die ersten Windparks errichtet waren. Zum einen sind die Genehmigungsverfahren sehr aufwendig, zum anderen müssen die Windparks sehr weit von der Küste entfernt gebaut werden. Allerdings macht die hohe Verfügbarkeit und Kapazität der Offshore-Windkraftanlagen die Offshore-Windkraft zur tragenden Säule der Energiewende - speziell in der Multimegawatt-Klasse. Ich rechne mit einem deutlichen Ausbau von Offshore-Anlagen in den nächsten Jahren. Das politische Ziel in Deutschland von 6,5 Gigawatt bis 2020 bietet eine klare Ausbauperspektive. Man hört, dass Ihre Windenergie-Projekte deutlich komplexer geworden sind. Inwiefern komplexer? KP: Unsere Projekte haben beispielsweise mehr Stakeholder, mit denen geredet werden muss. Wir wollen die Stakeholder möglichst mitnehmen, beispielsweise auch Anwohner, indem wir ihnen im Einzelfall - soweit an diesem Standort wirtschaftlich sinnvoll und möglich - eine Beteiligung an den Parks ermöglichen. Die sogenannten Bürger-Windparks, bei denen Bürger in den Park ihrer Gemeinde investieren? KP: Richtig! Wir müssen umsichtig vorgehen und immer auf Akzeptanz achten beim Ausbau. SR: Die Einstellung vieler Stakeholder, insbesondere der Öffentlichkeit, hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Ökologen und Umweltschutzverbände haben anfangs die Windenergie gefordert. An den Windkraftanlagen ging für sie kein Weg vorbei. Heute aber dreht sich die Meinung, teilweise recht deutlich. Verbände, Personen und Bürgerinitiativen, die gestern noch die Anlagen befürwortet haben, stellen sich heute gegen die Projekte. Sie beklagen beispielsweise Lärmbelästigung, Schlagschattenbildung oder die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Welche Trends sehen Sie für das Projektmanagement in Ihrer Branche? DM: Im Wesentlichen zwei Trends. Erstens, wir müssen die Budgetoptimierung voranbringen. Verlängerte Projektlaufzeiten und die mögliche Kürzung der Einspeisevergütung können zu höheren Kosten führen. Diese Kosten können wir nicht einfach an unsere Kunden weiterreichen. Zweitens, wir brauchen eine professionelle Prozessoptimierung, sie muss mit der Budgetoptimierung einhergehen. In den vergangenen Jahren hat Ihre Branche beim Projektmanagement viel mit „Learning by Doing“ gearbeitet ... SR: … was auch in Ordnung war in der zurückliegenden Phase des Lernens und des Entstehens der Branche. Inzwischen aber verzeichnen wir deutlich steigende Stückzahlen - fast 25.000 Onshore-Anlagen in Deutschland. Die Budgets wachsen - Millionen im Onshore- Bereich und Milliarden im Offshore-Bereich. Und wir wollen die Branche mittelfristig zu einem profitablen Exportschlager ausbauen. Dies erfordert zwangsläufig eine Professionalisierung von Projektmanagement und Prozessmanagement. Eine grundlegende Herausforderung besteht meiner Ansicht nach darin, dass sich die Branche überhaupt formiert und normiert. Das wird vermutlich als Nächstes geschehen. Formiert? Normiert? Wie darf ich dies verstehen? SR: Derzeit wissen viele Unternehmen noch gar nicht, ob sie überhaupt zu dieser Branche gehören - und ob sie dazugehören wollen. Denken Sie an die Zulieferindustrie! Einige Unternehmen liefern mittlerweile sehr umfänglich, beispielsweise Getriebe, Steuerungs- und Überwachungssysteme, Beton oder Kunststoffe. Früher erledigten diese Unternehmen dieses Geschäft nebenbei. Hochgesteckte Ausbauziele Bislang viel „Learning by Doing“ 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 24 REPORT Kai Porath war nach Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und während seiner weiteren juristischen Ausbildung hauptsächlich in den Gebieten des Handels- und Gesellschaftsrechts sowie des Umweltrechts tätig. Nach Abschluss des zweiten Staatsexamens nahm er im Jahr 1998 seine rechtsanwaltliche Tätigkeit zunächst in einer renommierten Kieler Anwalts- und Notarkanzlei auf. Seit dem Jahr 2000 war er als selbstständiger Rechtsanwalt vornehmlich mit der juristischen Beratung im Bereich der erneuerbaren Energien befasst. Neben seiner Tätigkeit als Organ in Unternehmen der Windenergiebranche im europäischen Ausland gehörte er im Zeitraum vom 16.6.2005 bis 15.6.2007 zum Aufsichtsrat der Denker & Wulf AG. Seit dem 1.7.2007 ist Kai Porath im Unternehmen als Vorstand schwerpunktmäßig für die Bereiche Recht und Auslandsmärkte zuständig. Foto: Denker & Wulf AG PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 24 Heute sieht dies anders aus bei den Zulieferern. Das Gewicht der Windkraftbranche wächst bei ihnen. Sie fangen an darüber nachzudenken, ob sie zu der Branche gehören wollen und können. Falls ja: Was heißt dies für diese Unternehmen, für ihr Projektmanagement und ihre Einbettung in Wertschöpfungsketten? Wie weit ist die Windenergiebranche mit der Professionalisierung des Projektmanagements, von dem Sie eben sprachen, vorangekommen? DM: Unterschiedlich weit. Einige nutzen Projektmanagement sehr pragmatisch und eher unbewusst. Andere haben sich bewusst für eine Projektorganisation entschieden, manche haben schon Unternehmensstandards entwickelt. Die weit fortgeschrittenen Unternehmen haben bereits „Project Management Offices“ etabliert und die Notwendigkeit unternehmensübergreifender Standards erkannt. In welchen Bereichen geht es besonders gut voran mit dem Projektmanagement? SR: Projekte zur Produktentwicklung bei den Anlagenherstellern wurden und werden sehr schnell professionalisiert. Man kann sich viel bei etablierten Branchen abgucken und deren PM-Ansätze adaptieren. Etwas anders sieht es bereits bei der Projektierung von konkreten Windkraftanlagen aus. Bei der Projektierung ist man stark von Gutachten und Gutachtern abhängig. Die Schnittstelle zu diesen Gruppen wird noch sehr unterschiedlich gehandhabt. Bei der Errichtung der Anlagen selbst rückt dann beispielsweise hochprofessionelles Risikomanagement in den Fokus. Wenn das Risikomanagement nur leichte prozentuale Aufschläge auf die Kalkulationsergebnisse erfordert, ist das bei den in der Windenergie üblichen Projektbudgets und Projektlaufzeiten nicht mehr vernachlässigbar. JK: Der Stellenwert des Projektmanagements ist auch abhängig von dem jeweiligen Unternehmen. Mittlerweile sind große Windkraftanlagenhersteller und insbesondere größere Unternehmen aus der Zulieferindustrie in dieser Branche angekommen. Wegen der hohen Projektvolumina und der Budgets, die heute bewegt werden, wird professionelles Projektmanagement benötigt. Bei AREVA ist das Projektmanagement ohnehin ein integraler Bestandteil der Geschäftsprozesse. KP: Dem stimme ich zu. Der Stellenwert des Projektmanagements hängt stark vom Unternehmen ab. Ein großer Turbinenhersteller hat Projektmanagement, er braucht dies aufgrund seiner Unternehmensgröße. Ein kleiner Betrieb mit drei oder vier Mitarbeitern, etwa ein Ingenieurbüro, braucht dies womöglich in dieser Form nicht. Auch Ihr Unternehmen, Herr Porath, hat klein angefangen. Haben Sie von Anfang an Projektmanagement verwendet? „Bewusstsein für PM entsteht“ Management der Schnittstellen verbessern KP: Wir sind mit einer Handvoll von Mitarbeitern gestartet. Es ist spannend zu sehen, wie das Projektmanagement mitgewachsen ist. Anfangs haben wir wohl unbewusst Projektmanagement angewendet. Als wir größer wurden und mehr Mitarbeiter beschäftigt haben, mussten wir feststellen, dass es so hemdsärmelig nicht weitergehen konnte - auch wenn wir bis dahin damit erfolgreich waren. projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 l 25 Prof. Dr.-Ing. Steffen Rietz hat als Vorstandsmitglied der GPM in seiner Verantwortung für die Facharbeit und Normung den Bedarf der gesamten Windenergiebranche nach einem professionellen und spezifisch adaptierten Projektmanagement früh erkannt. Nach langer persönlicher Erfahrung in mehreren technologieorientierten Branchen und der Mitarbeit an der nationalen und internationalen Normung im DIN und in der ISO unterstützt er nun auch die Entwicklung von Branchenstandards in der Windenergie. Die Übernahme des Lehrgebietes „Technisches Projektmanagement“ an der Fachhochschule Westküste in Verbindung mit der Leitung des Studiengangs Management und Technik bietet dafür beste Voraussetzungen. Foto: privat Den günstigen Seewind nutzen - Windkraftanlagen „offshore“ vor der Küste Foto: Areva Wind PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 25 Mit wachsender Größe braucht man zunehmend Struktur … KP: Richtig. In dieser Struktur können sich Mitarbeiter in gewisser Freiheit bewegen. Je größer das Unternehmen wird, desto mehr wird geregelt. DM: Dem stimme ich zu. Professionelles Projektmanagement, wie man es von Konzernen her kennt, findet sich in der Branche noch selten. Viele Unternehmen beginnen jetzt erst ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was Projektmanagement leisten kann. Sie entdecken einzelne Methoden und Prozesse, die sie nutzen können, um vielleicht erfolgreicher zu sein als der Mitbewerber. Einige Unternehmen erkennen die Notwendigkeit von Projektmanagement erst dann, wenn sie Auslandsmärkte betreten und es dort brauchen. Wichtig ist mir aber, dass sich das Projekt als zentrales Produkt und ganzheitlich im Mittelpunkt der Unternehmensstruktur befindet und das Projektmanagement nicht zwischen den einzelnen Fachabteilungen aufgeteilt wird. Wir haben wiederholt die Dynamik in Ihrer Branche angesprochen. Gleich, ob diese Dynamik von der Politik oder vom Markt ausgeht - wie kann Projektmanagement dazu beitragen, mit dieser Dynamik im Projektumfeld umzugehen? JK: Professionelles Projektmanagement gewährleistet, ein Projekt strukturiert und planmäßig abwickeln zu können. Man will sich vor Eventualitäten schützen. Ein großer Vorteil des Projektmanagements besteht darin, dass man die Einflussfaktoren rechtzeitig erkennen und mitigieren kann. Man erkennt diese früh, kann ihren Umfang rechtzeitig identifizieren, Dimensionen und Umfang abschätzen und daraus einen Aktionsplan ableiten und Gegenmaßnahmen ergreifen. Dies klingt noch recht abstrakt. An welchem Beispiel können wir dies illustrieren? DM: Ein internationales Beispiel: In Polen diskutiert man Energiegesetze genau wie hier. Auch dort haben sich die Projektlaufzeiten aufgrund der Rahmenbedingungen immer weiter verlängert. Wir können mit Projektmanagement verstehen, welche Konsequenzen diese veränderten Vorgaben auf die jeweiligen Projekte, Abteilungen und auf das gesamte Unternehmen haben werden. Daraus leiten wir unsere weiteren Strategien ab. Welche Strategien konkret? DM: In Polen waren früher Großprojekte von hundert Megawatt möglich. Es hat sich aber herausgestellt, dass solche Großprojekte mit zu viel Risiko behaftet sind und zu viel Kapital binden. Heute planen wir mit mehreren kleineren Projekten, die wiederum das Arbeitspensum erhöht haben. Projektmanagement hilft dabei, das Portfolio zu steuern, Ressourcen effizient einzuteilen und Abbruchkriterien zu definieren. Wir sprechen viel vom Projektmanagement für Einzelprojekte. Ihre Branche hat ausgesprochen viel Projektgeschäft. Wird Projektmanagement auch strategisch für die Unternehmen genutzt? KP: Ich sehe Projektmanagement in unserem Unternehmen derzeit in erster Linie als Arbeitsinstrument für PM hilft, Dynamik zu bewältigen 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 26 REPORT Arbeit in schwindelerregender Höhe: Die Windenergiebranche boomt. Windenergie deckt knapp neun Prozent des bundesdeutschen Stromverbrauchs. Foto: Areva Wind Die Windenergie in Deutschland: BWE, Bundesverband Windenergie e. V. onshore offshore installierte Anlagen bis 31.12.2013 Gesamtzahl 23.645 116 (+ 103*) Gesamtleistung 33.730 MW 520 (+ 395*) MW Konfiguration einer durchschnittlichen 2013 errichteten Anlage Leistung 2,6 MW 5 MW Rotordurchmesser 95 m 126 m Nabenhöhe 117 m 90 m Stromproduktion 2013 53,4 Mrd. kWh (8,9 % des Energieverbrauchs) * noch nicht in das Stromnetz eingebundene Anlagen (die 282 bereits errichteten Offshore-Fundamente sind dabei noch nicht berücksichtigt) Quelle: BWE, Bundesverband Windenergie e. V. PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 26 Projekte. Wir nutzen Projektmanagement für Einzelprojekte und dafür, die Übersicht über unsere Projekte nicht zu verlieren. JK: In unserem Unternehmen hat Projektmanagement durchaus strategische Bedeutung. Projektmanagement hilft uns, das Portfolio unserer Projekte zu steuern. Für uns ist es wichtig zu wissen, wann neue Projekte beginnen, wann jeweils die Produktion beginnt und endet, wann die ersten Anlagen installiert werden und für welchen Zeitraum wir die Spezialschiffe brauchen, mit denen wir die Anlagen auf der Hochsee errichten. Für die Unternehmensplanung brauchen wir diese Informationen aus dem Projektmanagement. Also klar eine strategische Bedeutung des Projektmanagements? JK: Projektmanagement stellt eine wesentliche Komponente für die strategische Unternehmensplanung dar. International ausgerichtete Projekte werden in der AREVA Gruppe über das Projektmanagement in ihrer Aufbau- und Ablauforganisation bereits vorab harmonisiert - immer im Rahmen ihrer strategischen Bedeutung. Ein konkretes Beispiel: Für das kommende Joint Venture mit Gamesa bekommt speziell das Projektmanagement eine große Bedeutung für die Abarbeitung der Projekt- Pipeline. Hier können wir auch die zwanzig Jahre Windenergieerfahrung von Gamesa integrieren. KP: Diese Übersicht über die Projekte haben selbstverständlich auch wir. Wir wissen, welche Projekte sich in der Genehmigungsphase befinden, welche in Bau sind. Wir sind über die Größe des Projekts und die dahinterstehenden Finanzvolumina laufend informiert. Ich denke, dass auch wir Projektmanagement insofern bereits für unsere Strategie nutzen. DM: Wir haben uns für ein PMO entschieden. Unser Unternehmen ist international tätig. Bei der Vielzahl ausländischer Märkte brauchen wir standardisierte Prozesse nicht nur bei uns im Haus, sondern auch im Ausland. Einige Unternehmen geben ihren Büros im Ausland in puncto Projektmanagement freie Hand… DM: Selbstverständlich kann man dem Laisser-faire- Ansatz folgen. Jedes Büro kann dann sein Projektmanagement und andere Prozesse so einrichten, wie es dies für richtig hält. Dass diese eigenen Lösungen aber dann nicht mit den hauseigenen Zielen und Prozessen übereinstimmen - dies merkt man doch recht schnell. Deswegen hat uns unser Vorstand beauftragt, Transparenz zu schaffen, Arbeitsprozesse zu vereinfachen und Kollegen zu schulen. In weiterer Hinsicht hat Projektmanagement heute strategische Bedeutung: Kunden und Investoren fragen ausdrücklich nach Projektmanagement, dies kennen wir von anderen Branchen. Beispielsweise im Bau und Anlagenbau werden PM-Nachweise gefordert. Auch in der Automobilbranche sind sie üblich. Haben Sie ähnliche Fragen in der Windenergiebranche beobachtet? KP: Projektmanagement gilt als Qualitätsmerkmal des Unternehmens. So gibt es durchaus Nachfragen von be- PMO für standardisierte Prozesse stimmten Investoren nach Projektmanagement, um zu prüfen, in welcher Qualität damit gearbeitet wird und welche Ergebnisse damit erzielt werden. Dies fließt in die Risikobewertung mit ein. Um welche Fragen zum Projektmanagement handelt es sich? KP: Beispielsweise Fragen nach der Dokumentation, nach Zeitplänen, Berichtswesen und Standards. Nach Zertifikaten wird ebenfalls gefragt. Solche Fragen werden uns in Zukunft noch häufiger gestellt, vermute ich. JK: Bei uns im Offshore-Bereich wird ähnlich gefragt. Kunden führen bereits während der Vertriebsphase Audits durch bei den Unternehmen. Sie untersuchen unter anderem die Managementsysteme; dabei betrachten sie auch das Projektmanagement. Kunden verlassen sich nicht mehr nur auf Garantien und die finanzielle Stärke von Unternehmen, sondern auf die Professionalität vorhandener Managementsysteme. SR: Ich möchte ergänzen: In anderen Branchen hat man mehr und weit bessere Möglichkeiten, das Projektmanagement zu prüfen. Es gibt dort etablierte Standards. In der Windenergie fehlen die Branchenstandards noch weitgehend. Branchenstandard? Was ist damit gemeint? SR: Ein Investor will sichergehen, dass er sein Geld mit einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit und Renditeaussicht in einem Projekt anlegt. Ein möglicher Indikator da- Investoren fragen nach Projektmanagement projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 l 27 Präzisionsarbeit nicht nur bei der Montage von Windkraftanlagen, sondern auch beim Projektmanagement. In der Windenergie erwägt man PM-Branchenstandards. Foto: WKN Gruppe PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 27 für ist die Anwendung von Planungs- und Steuerungsmethoden, die ihre Leistungsfähigkeit als etablierte Branchenstandards bereits vielfach bewiesen haben. Fehlen etablierte Standards, fehlt das letzte Quäntchen Vertrauen. Dies führt zu finanziellen Risikoaufschlägen seitens der Investoren. Die Projekte werden künstlich verteuert. Das verwendete Projektmanagement muss zur Branche mit ihren besonderen Aufgaben, Rahmenbedingungen und Herausforderungen passen. Wo liegen beim Projektmanagement in der Windenergiebranche die Herausforderungen? JK: Dokumentation ist in unserem Geschäft sehr wichtig. Wir brauchen die Dokumentation beispielsweise für das Contractmanagement. Projektmanagementprozesse müssen minutiös dokumentiert sein, um hier die Grundlage für die Nachvollziehbarkeit zu schaffen. Außerdem bildet das Schnittstellenmanagement eine wesentliche Stellschraube für die effiziente Projektumsetzung, es ist von großer Bedeutung für den Erfolg eines Projekts in der Offshore-Windenergiebranche. KP: Für uns beginnen die Herausforderungen eines Projekts bereits spätestens mit dem Genehmigungsverfahren. Das Verfahren ist sehr facettenreich. DM: Dem stimme ich zu. Der Projektmanager hat dafür zu sorgen, dass das Genehmigungsverfahren so kurz und günstig wie möglich durchgeführt wird. Er hat sich mit Gutachtern und Experten abzustimmen. Er hat die Interessengruppen seines Projekts zusammenzuführen und sein Projekt nach außen zu vertreten. Wir haben es heute mit anderen Stakeholdern als noch vor einigen Jahren zu tun, immer mehr kommen internationale Organisationen und Firmen hinzu. KP: Stakeholdermanagement ist sicherlich eine wichtige Herausforderung für das Projektmanagement. Wie eben gesagt, die Windenergie wird längst nicht mehr überall begrüßt. Wir müssen uns mit Widerstand auseinandersetzen, und diese Auseinandersetzung mit Kritikern ist Aufgabe des Projektmanagers. Er muss sich vor die Gruppen stellen, Fragen beantworten und argumentieren. Wie sieht es mit Wissensmanagement aus? Eine junge Branche muss ihren Projektmanagement-Erfahrungsschatz erst sammeln. JK: Bei uns in der Offshore-Branche spielt das Wissensmanagement eine große Rolle - ganz in dem Sinne, wie Sie es beschreiben. Die „Lessons Learned“ sind eine wichtige Grundlage für erfolgreiches Projektmanagement. Die Mitarbeiter, die vor Jahren in unserem ersten großen Windparkprojekt „alpha ventus“ mitgearbeitet haben, sind heute als Know-how-Träger sehr geschätzt. Dieses Fachwissen möchten wir selbstverständlich im Hause bewahren. Wir legen Wert darauf, Mitarbeiter langfristig an uns zu binden. Mitarbeiter mit ihrem Wissen zu binden, ist die eine Strategie. Die andere Strategie besteht darin, das Wissen einzelner Mitarbeiter für die gesamte Organisation zugänglich zu machen. Beispielsweise das Wissen und die Erfahrung einzelner Projektmanager abzurufen, in den Erfahrungsaustausch des Unternehmens einzuspeisen und unabhängig von Personen zu sichern. JK: Ich beschreibe unser Wissensmanagement an einem Beispiel: Derzeit laufen bei uns zwei Großprojekte parallel. In diesen zwei Projekten fördern wir den Austausch zwischen den Fachleuten. Erfahrungen aus dem einen Herausforderungen für Projektmanager 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 28 REPORT Produktion von Windkraftanlagen - längst ein Wirtschaftsfaktor in Deutschland Foto: Areva Wind PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 28 Projekt übertragen wir damit auf das andere. Darüber hinaus nutzen wir intensiv die Erfahrung, die wir bei der Errichtung des Turnkey-Projekts „alpha ventus“ sammeln konnten. SR: Die Bedeutung des Wissensmanagements ist in der Windenergiebranche längst erkannt. Aber leider ist es in vielen Fällen noch nicht leistungsfähig und in der von Ihnen beschriebenen Art ausgeprägt. Vereinfacht gesagt: Erfahrung wird im Projekt A gesammelt, im Folgeprojekt B bewusst angewendet und bestätigt, danach ab dem Projekt C als Standard empfohlen - dies ist das klassische Modell. Die Schwierigkeit aber ist: Es gibt bisher leider nur sehr wenige von den wirklich „alten Hasen“, die schon genug Erfahrung in der benötigten Breite und Tiefe haben, dass man damit Wissensmanagementsysteme füllen kann. Bis „alte Hasen“ ihre Erfahrungen weitergeben können - dies dürfte doch wohl nur eine Frage der Zeit sein? SR: Die Entstehung des Wissensmanagements war bisher unter anderem stark geprägt von der Systematisierung bestehenden Wissens. In der Windenergie entsteht das Wissensmanagement erstmals parallel zum Wissen. Das heißt? SR: Die Vorgehensweise kann sich die Branche nirgends abschauen. Sie kann nicht von anderen lernen. Sie muss selbst Neuland betreten. Neben dem Wissensmanagement gilt das Risikomanagement in Ihrer Branche als große Herausforderung. Ein Beispiel ist das Risiko des Wetters. Bei schlechtem Wetter können Windkraftanlagen nicht errichtet werden, die Baustellen mit teuer angemietetem Montagegerät stehen still. Das Risikomanagement muss die Gefahr von Schlechtwetter berücksichtigen. JK: Für die Errichtung der Anlagen auf der See brauchen wir kostenintensive Errichterschiffe, also Spezialschiffe für die Montage. Stillstand können wir uns nicht leisten. Wenn das Spezialschiff wetterbedingt für einen längeren Zeitplan benötigt wird, so muss dies frühzeitig erkannt und optioniert werden. Es kann ansonsten bereits zu seinem nächsten Auftrag unterwegs sein. Manche Unternehmen behaupten, das Wetter sei nicht planbar. Man muss das Wetter nehmen, wie es kommt. Folglich hilft in diesem Punkt auch kein Risikomanagement. JK: Da widerspreche ich deutlich. Bereits in der Angebotsphase schätzen wir das Wetterrisiko ab. Unser Zeitplan umfasst einen Wetter-Puffer, die sogenannte „Weather Downtime“, einen Zeitraum, in dem wir Offshore nicht arbeiten können. Unsere Kalkulation basiert dabei auf historischen Wetterdaten. Wir verfügen über komplexe Wettersimulationen. Sie erlauben uns Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Wetterlagen zu ermitteln. Wissensmanagement in der Windenergie „Stillstand können wir uns nicht leisten“ Beispielsweise, dass man in einem bestimmten Zeitraum eine Sturmwahrscheinlichkeit von zwölf Prozent hat? JK: Unsere Erfahrungen zeigen, dass wir mit diesen Prognosen relativ gut liegen. Wir verfügen zudem über gute Kurzfrist-Prognosen, können für uns günstige Wetterfenster ausnutzen und dadurch die Schiffe optimal einsetzen. Konkret: Wir können bei einem Wetterfenster sicher entscheiden, ob sich die Montage lohnt oder ob wir besser die Zeit nutzen, im Hafen neue Komponenten nachzuladen. Gestatten Sie mir eine Vermutung: Angesichts solcher komplexen Aufgaben beim Risikomanagement kommen Sie mit der Methodik, wie sie in Lehrbüchern beschrieben wird, nicht weiter. SR: Die klassische und bewährte Vorgehensweise beim Risikomanagement mit dem Fokus auf die Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe von Risiken reicht vielfach nicht mehr aus. Wenige Prozent Abweichungen vom Plan führen zu signifikanten zusätzlichen Kosten und wollen quantifiziert werden. Investoren fordern für das Risikomanagement mathematische Modelle mit einer Detaillierungstiefe, wie wir sie im Projektmanagement üblicherweise noch nicht kennen. Und die deshalb jetzt entwickelt werden müssen ... SR: Im konkreten Fall wurden die Modelle bereits entwickelt und der Nachholbedarf gedeckt. Das Risikomanagement, das beim Nordsee-Windpark „alpha ven- Klassisches Risikomanagement reicht nicht projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 l 29 Bevor Windkraftanlagen errichtet werden können, sind vielfältige Genehmigungsverfahren zu durchlaufen und Gutachten zu erstellen. Foto: privat PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 29 tus“ verwendet wurde, hat man dokumentiert; es steht jetzt allen zur Verfügung [1]. Grundsätzlich gesagt: Die Branche ist ja sehr schnell gewachsen. Damit ist der Bedarf an branchenspezifischem Projektmanagement jüngst schneller gewachsen, als bewährte Ansätze in die Windenergie transferiert werden konnten. Ich möchte das Projektmanagement von einer anderen Seite her betrachten. In Deutschland herrscht hohe Nachfrage nach Windkraftanlagen. Die Nachfrage übersteigt das Angebot - gleichwohl werden Windkraftanlagen nach wie vor als Einzelprojekt abgewickelt. Wäre es nicht sinnvoller, mehr zur Serienfertigung überzugehen? KP: Jedes Projekt ist einzigartig, daran wird sich in Zukunft wenig ändern. Damit aber wäre der Spielraum für eine Serienfertigung stark begrenzt. DM: Ich halte es für denkbar, dass wir künftig mehr in Modulen denken, planen und arbeiten. Man wird die Parks vielleicht nach dem System eines Baukastens entwickeln. Doch eben wegen der Einzigartigkeit der Projekte liegt die Herausforderung darin, diese Module zu definieren, zu entwickeln und einzusetzen. Bereits heute verlaufen die Prozesse in der Flächensicherung und die der Windmessung standardisiert; auch wir machen gute Erfahrungen damit. Könnten für ein Massengeschäft die erwähnten Branchenstandards beim Projektmanagement hilfreich sein? DM: Möglich, ja! Standards verbessern die Zusammenarbeit, helfen Synergien zu finden und die Arbeitsgeschwindigkeit in der Wertschöpfungskette zu steigern. SR: Hinzu kommt ein wichtiger Punkt. Solche Standards bringen eine Branche erst zusammen. Die Branche wird nach außen hin sichtbar. Sie bekommt Gewicht. Inwiefern Gewicht? Politisch vielleicht? SR: Auch politisch. Während der zurückliegenden Wirtschaftskrise hat die Politik die Automobilbranche durch eine sogenannte Abwrackprämie unterstützt. Die Automobilindustrie war identifizierbar, für die Politik sichtbar. Mit solch einer Geschlossenheit erarbeitet sich eine Branche das Recht, etwas von der Politik zu fordern. Branchenstandards würden sich auch aus diesem Grund für die Windenergiebranche lohnen. Sie könnte gemeinsame Prozesse aufbauen und sich quasi wie „ein Mann“ aufstellen. Wo liegt genau die Schwierigkeit beim Aufbau eines Branchenstandards für die Windenergie? SR: Die bestehenden Prozesse für Projektmanagement sind zu sehr auf das individuelle Unternehmen zugeschnitten. Jedes Unternehmen hat für sich Prozesse erkannt, definiert, modelliert und implementiert. Es knirscht natürlich dann, wenn man die Abläufe und Prozesse laufend neu verhandeln muss an der Schnittstelle beispielsweise zu Lieferanten, Kunden und Kooperationspartnern, zur Politik, zu Kommunen und Behörden. Mit Standards zum „Massengeschäft“ Verstanden! Branchenstandards sind erst dann wertvoll, wenn sie weite Teile der Wertschöpfungskette erfassen. Das Problem liegt darin, das Projektmanagement möglichst für alle Beteiligten zu harmonisieren? SR: In angemessener Art und Weise zu harmonisieren. Aber auch dies braucht Zeit und kostet Geld - zumal mit der Investition in Branchenstandards zunächst für den Einzelnen kein „Return of Investment“ verbunden ist. Sie sprachen von der Automotive-Branche. Lohnt es sich, von dem Projektmanagement-Know-how anderer Branchen zu lernen? JK: In unserem Unternehmen wird bereits seit Jahren von anderen Branchen gelernt. Wir haben Mitarbeiter aus anderen Bereichen unseres Konzerns für die Windenergie gewinnen können. Aus welchen Branchen kommen diese Mitarbeiter? JK: Einige bringen Projektmanagementerfahrungen vom Planen und Errichten von Kernkraftwerken mit. Wir setzen diese Mitarbeiter sehr erfolgreich in unseren Projekten ein - bis hin zur Projektleitung. Aus der Werftindustrie haben wir viele qualifizierte Kollegen und Kolleginnen für den Einsatz in der Produktion gewonnen. Auch aus der Automobilbaubranche, insbesondere für den Aufbau einer Serienfertigung, kamen Fachleute zu uns. Wir konnten zudem das Wissen der erfahrenen Öl- und Gasindustrie speziell für die Offshore-Prozesse integrieren. Diese Mitarbeiter kennen natürlich wenig die Windenergiebranche … JK: Das kann auch ein Vorteil sein. Branchenfremdes Personal bietet andere Stärken und andere Perspektiven. Es ermöglicht eine sinnvolle Nutzung von Synergieeffekten. Kann man Ihrer Einschätzung nach auch für die Entwicklung von PM-Branchenstandards von anderen Wirtschaftszweigen lernen? JK: Ganz klar! Wir können von anderen Branchen nicht nur für unsere Unternehmen profitieren, sondern auch für einen übergreifenden Standard. SR: Die Standards anderer Branchen können eine Art Baukasten sein, aus dem man sich bedient und Eigenes entwickelt. Ein Beispiel dafür ist SPiCE, eine internationale Norm für die Erstellung interdisziplinärer Systeme, bestehend aus Hardware, Elektronik, Mechanik und Software. Daraus sind einige viel genutzte branchenspezifische Standards entstanden, wie beispielsweise Automotive-SPiCE oder SPiCE for Space für die Luft- und Raumfahrt. Warum sollte es nicht auch ein SPiCE für die Windenergie geben? Letztlich kommt es darauf an, dass die Unternehmen diese Norm akzeptieren und einführen. PM-Branchenstandard für die Windenergie Lernen von anderen Branchen 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 30 REPORT PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 30 SR: Völlig richtig. Die unternehmensübergreifende Akzeptanz ist die Hauptanforderung an einen Branchenstandard. Selbst bei geringfügigen methodischen Schwächen kann ein breit akzeptierter Standard viel Gutes bewirken. Wir brauchen entlang der Wertschöpfungskette neben Akzeptanzträgern auch Treiber, die den Standard verbreiten helfen. Aus meiner Sicht ist dies der kritischste Erfolgsfaktor. In puncto Branchenstandard fasse ich zusammen. Wir haben eine schlechte Nachricht an die Adresse der Windkraftbranche: Die Arbeit, die andere Branchen bei dem Aufbau eines Branchenstandards geleistet haben, steht der Windkraftbranche noch bevor. Die gute Nachricht ist: Sie muss nicht die Fehler anderer Branchen wiederholen. Sie kann von der Vorgehensweise der anderen profitieren. Es wird schneller gehen. SR: Die Vorgehensweise anderer ist ja weitgehend bekannt: Aufbau unternehmensübergreifender Expertenkreise, Aufbau eines Methodenpools, Unterstützung bei Implementierungsprojekten, Empfehlungen für Karrierepfade, die sich gegebenenfalls mit den branchenüblichen Entlohnungssystemen koppeln lassen, bei Bedarf eingerahmt von Überprüfungs- und Zertifizierungsmöglichkeiten - und Ähnliches mehr. Wir wissen also sehr genau, wie man dabei vorgeht. In der GPM hat sich die Fachgruppe „PM in der Windenergie“ gegründet. Angenommen, diese Gruppe GPM Fachgruppe gegründet wäre die Keimzelle für einen PM-Branchenstandard - welche Erfolgsfaktoren müsste die Gruppe bei ihrer Arbeit beherzigen? DM: Ich empfehle der Gruppe, sich an dem zu orientieren, was es innerhalb der Windbranche bereits gibt, also Guidelines oder Best Practices. Danach kann die Gruppe prüfen, ob und wie sie die branchenfremden Ansätze adaptieren kann. Wichtig finde ich auch, dass die Gruppe eines im Auge hält: Der Standard soll letztlich Gewinn bringen, also monetären Nutzen. Dies kann man an der Automotivebranche sehen: Deren Standards ermöglichen Massenproduktion, Kostenreduzierung sowie Standardisierung von Forschung und Technik. SR: Ich lege eine firmenübergreifende Perspektive nahe. Die Beteiligten sollten nicht nur an ihr unternehmensinternes Projektmanagement denken, sondern auch an das der vielen Akteure um das Unternehmen herum, beispielsweise an Lieferanten oder Auftragnehmer. Der Standard wird sehr hohe Anforderungen an das Schnittstellenmanagement stellen. KP: Das Schnittstellenmanagement halte ich für wichtig, insbesondere für die unternehmensübergreifende Akzeptanz. Arbeiten die Unternehmen mit weniger Reibungsverlusten zusammen, wird dies mit Sicherheit auch die Akzeptanz begünstigen. ■ Literatur [1] Hofmann, Matthias: Risikomanagement für Offshore- Windparkprojekte - Ein systematischer Ansatz am Beispiel Alpha Ventus. 1. Auflage, Akademische Verlagsgemeinschaft München (AVM), 2009, 168 S. projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 l 31 Zukunftsmarkt mit Exportbranchen: Bei der Windenergie gilt Deutschland - auch dank des Projektmanagements - als führend. Foto: privat PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 9: 56 Uhr Seite 31
