PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Warum große Veränderungen meist schwer realisierbar sind und manchmal doch nicht
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2014
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2014 l 49 E hrlich legt die Beine auf den Tisch und schlürft seinen Kaffee. Priesberg betritt den Raum. Bald kommt das Taxi und bringt sie zum Flughafen auf eine Dienstreise nach Asien. „Wenn es auf eine längere Reise geht, dann komme ich ins philosophieren“, durchbricht Ehrlich das Schweigen. „Zurzeit geht mir Kuhn durch den Kopf.“ „Ach, der Mann am Klavier ... bringt ihm noch ein Bier ... Das hat wohl eher was mit Unterhaltungsmusik zu tun“, stutzt Priesberg amüsiert. „Ich meine nicht Paul Kuhn, den Musiker, sondern Thomas Kuhn, den Philosophen. Er hat ein Buch mit dem sperrigen Titel ‚Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen‘ verfasst.“ Ehrlich steht auf und geht im Raum auf und ab und fährt fort: „Fällt dir nicht auch Folgendes auf: Bis jetzt gibt es bei der Auswertung unserer Daten in manchen Fachgebieten nur das klassische Zusammensuchen - sie werden mühselig in eine Tabelle übertragen und dann Stück für Stück grafisch ausgewertet, damit man alles von Hand nachvollziehen kann. Seit Jahren versuche ich dort jeweils automatische Berechnungen und Analytics zu etablieren - mit geringem Erfolg. Es heißt immer, die Tabelle liefere alles, was man braucht. Aber seit einiger Zeit interessieren sich dieselben Leute in diesen Fachgebieten für meine automatischen Berechnungen, und die alte Welt wird hinterfragt, ja sogar schlecht gemacht: Man möchte davon auf einmal nichts mehr wissen“, sinniert er. „Und auf einmal bekommst du Geld für deine neuen Methoden“, unterbricht ihn Priesberg. „So ist es, ich kann mir die Methoden sogar aussuchen, und noch besser, was ich mir gemeinsam mit dem Projektteam ausgesucht habe, hat das Potenzial, ein neuer Standard zu werden“, sinniert Ehrlich weiter, „als ob die existierenden Paradigmen auf einmal nichts mehr Wert sind, wenn neue Erkenntnisse und Fakten damit nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Es ist wie eine Goldgräberstimmung.“ „Paradigma, das ist der Bezug zu Thomas Kuhn“, ruft Priesberg und schnippt mit den Fingern. „Dunkel erinnere ich mich.“ „Genau“, Ehrlich setzt sich wieder hin und schaut aus dem Fenster nach dem Taxi. „Er behauptet, dass Fortschritt, genauer die wissenschaftliche Erkenntnis, nicht stetig, sondern sprunghaft passiert. In der überwiegenden Zeit gelten bestimmte Annahmen, also feste Paradigmen. Zum Beispiel galt bis Anfang des 20. Jahrhunderts, Atomkerne seien unteilbar. ‚Atomos‘ stammt aus dem Altgriechischen und heißt ja ‚das Unteilbare‘. Alle diesbezüglichen wissenschaftlichen Bemühungen gingen dahin, dieses Paradigma zu untermauern. Doch eines Tages stellte man fest, dass die Beobachtungen mit dem Paradigma des unteilbaren Atomkerns nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Immer dann bricht in kurzer Zeit ein ganzes Weltbild in sich zusammen, wie ein Kartenhaus.“ Priesberg übernimmt: „Und bald darauf entstehen neue Paradigmen. Und in der kurzen Zeit dazwischen lassen sich Dinge verändern und nach vorne bringen ... verstehe.“ Ehrlich kommt auf seine Projektwelt zurück: „Ja, so ist es wohl. Vielleicht kann man durch Projekte dann besonders effektiv verändern, wenn sich gerade die Paradigmen einer Organisation, Abteilung oder Firma wandeln. Unter Paradigmen kann man hier sicher auch Geschäftsmodelle oder Unternehmenskulturen verstehen. Man denke an den plötzlichen Zusammenbruch des Marktes für die Analogschallplatte Anfang der 1980er- Jahre und das rasante Aufkommen der CDs. Und all das wurde erst durch die Digitalisierung möglich.“ „Vor dem Wandel scheint jede Mühe vergebens zu sein, dramatische Veränderungen durchsetzen zu wollen. In dieser Phase können vor allem die bestehenden Dinge untermauert oder kontinuierlich verbessert werden“, übernimmt Priesberg. Ehrlich leert mit einem großen Schluck seine Tasse und Priesberg fragt: „Wie erkennt man denn die Phasen des Überganges? “ „Vielleicht daran, dass spontan geäußerte schräge Ideen nicht gleich niedergemacht, sondern aufgegriffen und verstärkt werden“, äußert sich Ehrlich stirnrunzelnd. „Und in der Zeit gültiger Paradigmen hilft der andere Kuhn, der Mann am Klavier. Damit kannst du es leichter ertragen, wenn deine Ideen zerpflückt werden, die den aktuellen Paradigmen zuwiderlaufen“, resümiert Priesberg augenzwinkernd. ■ Autor Dr. Jens Köhler ist bei der BASF SE beschäftigt. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung der Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams durch die gezielte Steuerung über Soft Skills und Kommunikationsprozesse. Anschrift BASF SE, D-67056 Ludwigshafen, Jens.Koehler@basf.com Projektgeschichten und Fallstudien Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ Warum große Veränderungen meist schwer realisierbar sind und manchmal doch nicht Die Kolumne möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidung“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler PM_4-2014_1-80: Inhalt 22.08.2014 10: 46 Uhr Seite 49