eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 25/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2014
255 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Unternehmen wollen mit Scrum sogar Traktorenbauteile konstruieren“

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2014
Oliver Steeger
Agile Methoden fassen immer mehr Fuß im Projektmanagement. Die Vorteile scheinen bestechend: Völlige Transparenz über das Projekt, bis in die Haarspitzen motivierte Mitarbeiter, stabiler Teamgeist und intensiv ins Projekt eingebundene Kunden. Viele Experten sehen in der agilen Methodik zwar kein „Allheilmittel“ für PM-Probleme, doch eine interessante Ergänzung zur klassischen Vorgehensweise. Boris Gloger gilt als profunder Kenner und leidenschaftlicher Verfechter des agilen Projektmanagements. Im Interview erklärt er die Vorteile dieses Ansatzes, beschreibt Erfolgsfaktoren – und provoziert mit der Bemerkung, dass die Welt bald kaum noch Projektmanager braucht.
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projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2014 25 JAHRE PROJEKTMANAGEMENT aktuell 41 Agile Methoden fassen immer mehr Fuß im Projektmanagement. Die Vorteile scheinen bestechend: Völlige Transparenz über das Projekt, bis in die Haarspitzen motivierte Mitarbeiter, stabiler Teamgeist und intensiv ins Projekt eingebundene Kunden. Viele Experten sehen in der agilen Methodik zwar kein „Allheilmittel“ für PM-Probleme, doch eine interessante Ergänzung zur klassischen Vorgehensweise. Boris Gloger gilt als profunder Kenner und leidenschaftlicher Verfechter des agilen Projektmanagements. Im Interview erklärt er die Vorteile dieses Ansatzes, beschreibt Erfolgsfaktoren - und provoziert mit der Bemerkung, dass die Welt bald kaum noch Projektmanager braucht. Herr Gloger, agile Ansätze führen im Projektmanagement noch ein Nischendasein - obgleich sie in den letzten Jahren stark verbessert und professionalisiert worden sind. Was unterscheidet agile Ansätze vom klassischen Projektmanagement? Wie kann ich sie einordnen? Boris Gloger: Agile Ansätze sind sehr leicht einzuordnen, wenn man den Blick vom Beruflichen auf das Privatleben lenkt. In unserem Privatleben führen wir ständig teils hochkomplexe Projekte durch. Beispielsweise Umzüge oder Hochzeitsfeiern? Ja. Kennen Sie jemanden, der dafür ein Gantt-Chart oder einen Riskmanagementplan braucht? Nein, nicht … Ich auch nicht. Woran liegt das? Es liegt ganz einfach daran, dass wir in diesen Bereichen des Lebens den Menschen vertrauen, mit denen wir etwas planen. Wir sorgen dafür, dass laufend Ergebnisse sichtbar werden. Wir sprechen oft miteinander. Intensive Kommunikation findet sich in jedem guten Projekt. Was ist daran besonders? Entscheidend ist ein Punkt: Wir greifen zum Telefonhörer und schicken keine E-Mail, wenn wir etwas von einem Freund wollen. Wir verzeihen einander die Fehler. Wir tyrannisieren unsere Projektmitglieder nicht mit Deadlines - alleine das Wort ist schrecklich. Und wenn wir bemerken, dass wir mit dieser Gruppe von Menschen nichts zustande bringen, suchen wir uns ein anderes Umfeld. Was hat dies mit agilen Ansätzen zu tun? Diese Charakteristika privater Projekte gleichen verblüffend dem agilen Mindset. Man bringt die Menschen in einem Projekt dazu, miteinander zu arbeiten, weil sie ein gemeinsames Ziel haben - nicht weil der Chef sagt: „Ihr müsst zusammenarbeiten! “ Sie werben für ihr Projekt. Sie bringen die richtigen und für das Projekt wichtigen Leute dazu, mit ihnen zusammenarbeiten zu wollen. hohe tRansPaRenz, gRosse MotiVation Sie warten nicht darauf, dass Ihnen ein Ressourcenmanager Leute zuweist, weil diese gerade nichts zu tun haben? Genau! Die Vorteile agiler Vorgehensweisen auf den Punkt gebracht: Durch hohe Transparenz wissen die Beteiligten immer, wo ihr Projekt steht. Die Trend: Agile PM-Ansätze auf dem Vormarsch „Unternehmen wollen mit Scrum sogar traktorenbauteile konstruieren“ Autor: Oliver Steeger Boris Gloger Boris Gloger (45) ist Gründer und Geschäftsführer der Boris Gloger Consulting GmbH mit Sitz in Baden- Baden und Wien. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Vor der Gründung der Boris Gloger Consulting GmbH im Jahr 2008 war der Unternehmer als Business Analyst, Team Leader, Projektmanager und Scrum Consultant für viele globale Unternehmen tätig, beispielsweise für EDS, Nokia und BenQ. Foto: Gerhard Peyrer PM-aktuell_5-2014_Inhalt_01_104.indd 41 03.12.2014 11: 23: 00 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2014 42 25 JAHRE PROJEKTMANAGEMENT aktuell am Ende zu langsam sein. Dieses Problem spüren die Verantwortlichen in den Chefetagen, sie suchen nach neuen Wegen … … und stoßen dabei auf agile Ansätze? Erwiesenermaßen reduzieren diese Ansätze die Stehzeiten von Mitarbeitern. Sie steigern ihre Motivation und lassen sie schneller entscheiden. Dies sind gute Argumente. Nach meiner Einschätzung werden mehr Unternehmen in Zukunft auf agile Methoden und ein neues Mindset umstellen. Sprechen wir über die Erfolgsfaktoren. Welche Erfolgsfaktoren sind aus heutiger Sicht für die Anwendung agiler Ansätze bedeutsam? An den Erfolgsfaktoren hat sich seit zehn Jahren nichts verändert: Umsetzen von Best Practices, Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Teams, Führen von Mitarbeitern zur Selbstorganisation, Festhalten an der Transition zu einer agilen Organisation. Entscheidend ist, dass dies alles mit Konsequenz betrieben wird. Mit agilen Ansätzen erfolgreich arbeitende Unternehmen haben nicht bei den ersten Problemen die Agilität über Bord geworfen. Keine „PaRalleloRganisationen“ schaffen In der Praxis werden agile Ansätze häufig nur in einer bestimmten Auswahl eingesetzt oder mit traditionellen Ansätzen kombiniert. Die „reine Medizingeräten. Heute wollen Unternehmen auch Traktorenbauteile mit Scrum konstruieren. Die klassischen Methoden liefern einfach nicht schnell genug. Welche Zukunftstrends zeichnen sich bei agilen Ansätzen ab? Ich möchte die agilen Methoden in Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Rahmen betrachten, dann finden wir eine gute Antwort auf Ihre Frage. Derzeit ist in der Weltwirtschaft mit einem Leitzins von 0,15 Prozent Geld in Massen verfügbar. Das Kapital ist also kein Engpass in der Wirtschaft. Es gibt für den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg aber einen neuen Engpass, und darauf will ich hinaus. „stehzeiten“ Von sPezialisten ReduzieRen Neue Technologien? Nicht ganz! Die Mitarbeiter. Es fehlen gut ausgebildete Mitarbeiter. Bedeutet: Unternehmen müssen Wege finden, um ihre wichtigste Ressource - die Mitarbeiter - produktiver einzusetzen. In vielen Unternehmen müssen gut ausgebildete Ingenieure immer noch Dokumente schreiben, die niemand liest. Vielen Ingenieuren wird nicht die Verantwortung eingeräumt, ihr Wissen einzusetzen und die richtigen Entscheidungen schnell zu treffen. Damit vergeuden Ingenieure Zeit - und ihre Unternehmen vergeuden ebenfalls Zeit. Die Unternehmen werden Beteiligten haben eine hohe Eigenmotivation. Sie werden aktiv eingebunden. Das Vertrauen im Team und zum Team ist ausgesprochen groß. Das Risiko, dass etwas nicht funktioniert, ist vergleichsweise gering. Und nicht zuletzt: Im Vergleich zu traditionellen Projektarten laufen die agil geführten Projekte schneller ab, weil die Arbeit effizienter gestaltet ist. Lange hat man gesagt, agile Ansätze können nur für IT-Projekte verwendet werden - also ein sehr eng gesteckter Rahmen. Trifft diese Einschätzung heute noch zu? Diese Ansicht traf nie zu. Nie? Nein, nie. Die Ideen zu den agilen Managementansätzen sind gar nicht in der IT entstanden. Sie stammen aus der Produktentwicklung. Ikujiro Nonaka hat die Ideen in seinem 1986 erschienenen Artikel „The New Product Development Game“ formuliert. Eher zufällig wurden sie dann in der IT weitergedacht und methodisiert. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass von dem IT-Projektmanagement ausgehend agile Ansätze auch in andere Branchen vordringen. In vielen Branchen besteht derzeit großes Interesse an diesem agilen Management-Framework. Der Wettbewerbsdruck wächst. Heute suchen beispielsweise Maschinenbauer neue Verfahren und Methoden, um Projekte erfolgreicher abzuschließen. Ähnliches gilt für Hersteller von Sensoren und Von agilen Ansätzen erhoffen sich viele Projektmanager Tempo und Dynamik. Foto: Sergey Nivens - Fotolia.com PM-aktuell_5-2014_Inhalt_01_104.indd 42 03.12.2014 11: 23: 01 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 5.2014 Der Projektmanager, so wie er definiert war und ist, war von Anfang an in seiner Rolle überfordert. Er wurde von den Linienvorgesetzten oft nicht ernst genommen. Die meisten Organisationen haben ihm durch Steering Commitees, Stakeholdermanagement und anderes mehr die Kontrolle und damit die Entscheidungskompetenz weggenommen - und ihn als Sündenbock der Organisation belassen. Sprechen wir über die Forschung. Welche neuen Forschungsergebnisse sind ermutigend für die Verwendung agiler Ansätze? Forschungsergebnisse entscheiden nicht darüber, ob eine neue Methode funktioniert oder ihren Siegeszug antreten wird. Über den Einsatz einer neuen Methode entscheidet einzig und alleine, ob sie ihre Anwender schneller, profitabler und am Markt erfolgreicher macht. Das ist nicht allen, aber vielen Unternehmen mit Scrum gelungen. Feature Driven Development, extreme Programming und viele andere Ansätze, die es vor Jahren noch gab und über die man sich auf Konferenzen informieren konnte, sind verschwunden. Scrum und sein Derivat Kanban sind erfolgreich geworden. Unternehmen suchen heute vermehrt Spezialisten mit diesen Kenntnissen. Studien zeigen, dass Anwender zufrieden mit agilen Ansätzen sind. Wie erklärt sich dieser Befund? Ich möchte den Fokus gerne erweitern: Sowohl Anwender als auch Kunden sind zufrieden damit. Der Lehre“ kommt selten zum Zuge. Welche Vorteile hat diese Vorgehensweise? Wir müssen unterscheiden. In der Praxis findet man auch Unternehmen mit vollständig umgesetzter Agilität. Daneben finden wir Firmen mit zwei Projektkulturen, quasi mit einem agilen Bereich und einem traditionellen Bereich. Sofern es keine Berührungspunkte gibt, ist das offenbar gut für die Unternehmen. Darüber hinaus beobachte ich die „On the way to agile“-Strategie, der meiner Ansicht nach die Mehrheit der Unternehmen folgt. Diese Unternehmen haben mit agilen Ansätzen in einigen Bereichen erste Erfolge erzielt, doch sie halten daneben an den klassischen Rollen fest. Aus meiner Sicht schaffen sie damit eine Parallelorganisation. Das ist sehr aufwendig und teuer. Welche zusätzlichen Kompetenzen brauchen Projektmanager, wenn sie agile Ansätze anwenden? Die Frage stellen Sie dem Falschen. Der Projektmanager wird verschwinden, wenn es einmal keine gigantischen Projekte mehr geben wird. Wie bitte? ! ? Der Projektmanager ist eine gefährdete Art. Er wird sich in einer Nische festsetzen und dort überleben. Derweil wird der Mainstream ohne ihn die neuesten Produkte auf den Markt werfen. Mit dieser Vermutung werden Sie vermutlich viel Widerspruch ernten. Wie erklären Sie diese Thesen? Bei agil durchgeführten Projekten haben die Beteiligten eine hohe Eigenmotivation. Sie werden aktiv eingebunden - und wissen dank der hohen Transparenz immer, wo ihr Projekt steht. Foto: Tom-Hanisch - Fotolia.com 25 JAHRE PROJEKTMANAGEMENT aktuell 43 Grund ist einfach: Menschen, die in einem Scrum- oder Kanban-Umfeld arbeiten, sind ständig erfolgreich. Es fühlt sich gut an, etwas geschafft zu haben. Sie können jeden Tag nach Hause gehen und sagen: „Heute habe ich das Projekt, meinen Kunden oder meine Firma ein Stück nach vorne gebracht.“ Sie spüren, dass sie wichtig für ihr Team, ihre Abteilung oder ihre Firma sind. Sie fühlen, dass man sie braucht. Ihnen wird vertraut, weil sie zu dem stehen, was sie sagen. Sie liefern, was sie versprechen. Es wird ihnen verziehen, wenn sie beim elften Mal dann doch die Latte gerissen haben. Ihr Umfeld sieht: Der Grund für die Probleme waren tatsächlich die Umstände und keine hausgemachten Schwierigkeiten. Kunden schätzen seRViceQualität Was ist mit den Kunden? Kunden schätzen die neue Servicequalität, die in Scrum und Kanban steckt. Wenn sie mit jemandem arbeiten, der offen erklärt, was er kann und was er nicht kann. Wenn jemand pünktlich liefert. Wenn er etwas fest verspricht und in kurzen Abständen zeigt, was man bekommt. Der dem Kunden das Gefühl gibt, dass er auf seiner Seite steht und ihn beispielsweise ernst nimmt, wenn er eine Änderung hat. Diese Vorteile haben viele Kunden von agilen Ansätzen überzeugt.  PM-aktuell_5-2014_Inhalt_01_104.indd 43 03.12.2014 11: 23: 02 Uhr