PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Das Funksignal aus dem All krönte den Projekterfolg
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Oliver Steeger
Monatelang schwieg die Landesonde Philae - über 450 Millionen Kilometer entfernt von der Erde, verankert auf einem Kometen in einer Felsspalte. Dann, im Juni 2015, funkte die Sonde wieder Signale zur Erde. die Wissenschaftler waren begeistert, die Geschichte der „Rosetta”-Mission geht weiter. Das Raumfahrtprojekt der ESA gilt als wichtiger Meilenstein bei der Erforschung unseres Sonnensystems. Was Projektmanager jetzt wissen sollten: Prof. Klaus Schilling (Universität Würzburg) wird auf dem PM Forum 2015 dieses Projekt vorstellen. Die GPM hat den profunden Kenner der „Rosetta”-Mission als Keynote Speaker gewonnen. Der Termin: 27./28. Oktober 2015 in Nürnberg (www.pm-forum.de)
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Monatelang schwieg die Landesonde Philae - über 450 Millionen Kilometer entfernt von der Erde, verankert auf einem Kometen in einer Felsspalte. Dann, im Juni 2015, funkte die Sonde wieder Signale zur Erde. Die Wissenschaftler waren begeistert, die Geschichte der „Rosetta“-Mission geht weiter. Das Raumfahrtprojekt der ESA gilt als wichtiger Meilenstein bei der Erforschung unseres Sonnensystems. Was Projektmanager jetzt wissen sollten: Prof. Klaus Schilling (Universität Würzburg) wird auf dem PM Forum 2015 dieses Projekt vorstellen. Die GPM hat den profunden Kenner der „Rosetta“-Mission als Keynote Speaker gewonnen. Der Termin: 27./ 28. Oktober 2015 in Nürnberg (www.pm-forum.de) Die schwachen Signale, die Wissenschaftler im Juni 2015 aus den Tiefen unseres Sonnensystems empfingen, lösten Begeisterung aus. Sie kamen von der Landesonde Philae vom Kometen Tschurjumow-Gerassimenko - kurz: Tuschuri - über das Mutterraumschiff Rosetta. Diese Sonde war nach monatelangem Tiefschlaf wieder zum Leben erwacht. Eine große Überraschung? Prof. Klaus Schilling: Nein, für Wissenschaftler war das keine Überraschung. Wir haben schon erwartet, dass die Sonde Philae wieder erwacht. Nach der Landung im November vergangenen Jahres hat sie mit der Energie gearbeitet, die sie von der Erde mitgebracht hatte. Danach wurde sie in den Tiefschlaf versetzt, bis von den Solarzellen durch die Annäherung der Kometenbahn an die Sonne ausreichend Licht in Energie gewandelt werden konnte, um den Betrieb wieder aufzunehmen. Die Sonde Rosetta hatte im vergangenen Jahr den Kometen erreicht. Sie hatte die Landeein- „Rosetta“-Mission auf dem PM Forum im Oktober 2015 Das Funksignal aus dem All krönte den Projekterfolg Autor: Oliver Steeger REPORT 03 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 heit Philae im Gepäck; diesen sogenannten „Lander“ setzte sie auf der Kometenoberfläche ab. Doch das Manöver - rund 450 Millionen Kilometer weit weg von uns - gelang nicht wie geplant. Auf dem Kometen angekommen, hatte Philae Probleme, sich zu verankern. Philae ist an einem anderen Ort gelandet, als vorgesehen. Und dieser Ort ist auch ungünstiger für die Sonnenkollektoren. Aber: Bei der Landung im November 2014 war der Komet noch sehr weit von der Sonne entfernt. Man hat gehofft, dass durch glückliche Umstände das wenige Sonnenlicht ausreicht für einen Weiterbetrieb. Dies war dann nicht der Fall. Man wusste aber, dass das Problem behoben würde, wenn sich der Komet auf seiner Bahn der Sonne weiter annähert. Was den Landeplatz betrifft: Der Lander befindet sich jetzt in einer Felsspalte. Für die Wissenschaft ist diese Felsspalte noch interessanter als der ursprünglich vorgesehene Landeplatz. „LANDER“ AN FELSSPALTE AUFGESETZT Vor einigen Wochen, etwa Mitte August, ist der Komet der Sonne am nächsten gekommen. Dabei bildet sich der typische Kometenschweif Klaus Schilling Prof. Dr. Klaus Schilling war zunächst in der Raumfahrtindustrie bei Airbus Space verantwortlich an der Entwicklung von interplanetaren Raumsonden beteiligt (unter anderem: HU YGENS zum Saturn-Mond Titan, Mars Rover und Erdbeobachtungsmissionen). Während seiner Industriezeit hatte er die Verantwortung für die Rosetta-Systemstudien und ist nun seit über 25 Jahren mit dieser Mission verbunden. An der Universität Würzburg leitet er seit 2003 den Lehrstuhl für „Robotik und Telematik“ und führte Raumfahrtstudiengänge ein. Er realisierte mit seinem Team den ersten deutschen Pico-Satelliten UWE-1 (Universität Würzburg Experimentalsatellit), der 2005 gestartet wurde, um Internet unter Weltraumbedingungen zu untersuchen, und der Ausgangspunkt für ein aktives Kleinstsatellitenprogramm wurde. Parallel ist er Vorstand des außeruniversitären Forschungsinstituts „Zentrum für Telematik“. Foto: ESA PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 3 24.08.2015 8: 27: 44 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 04 REPORT die „Rosetta“-Mission zu verstehen - indem man direkt am Kometen Messungen vornimmt. Wurde das Wasser also möglicherweise von Kometen gebracht? Was die Kometengruppe betrifft, aus der Tschurjumow-Gerassimenko stammt, unterscheiden sich die Wassermolekül-Zusammensetzungen von den auf der Erde vorgefundenen. Aber bisher wurden vor allem Partikel von der Oberfläche des Kometen aufgefangen und untersucht. Ob die Untersuchung der später aus dem Zentrum des Kometen kommenden Partikel im Kometenschweif andere Erkenntnisse bringt - dies müssen wir abwarten. FRAGE NACH DEN GRUND- BAUSTEINEN DES LEBENS Nach einigen Hypothesen soll ja nicht nur unser Wasser möglicherweise aus dem Weltall stammen, sondern auch Grundbausteine des Lebens, etwa Kohlenwasserstoffe. Auch da könnten die Messungen auf dem Kometen neue Erkenntnisse bringen. Kohlenwasserstoffe - also die Grundbausteine der organischen werden die Kometen aus dem fernen Gürtel ins Innere gelenkt und von der Sonne angezogen. Der Komet Tschurjumow-Gerassimenko ist also eine Art Flaschenpost aus der Ferne unseres Sonnensystems. In zweierlei Hinsicht: zum einen räumlich aus der tiefsten Region des Sonnensystems, zum anderen zeitlich, indem er Relikte aus der frühen Zeit unseres Sonnensystems transportiert. Richtig verstanden? Ja! Das Material, das wir beispielsweise auf der Erde finden, ist durch Vulkanismus oder biologische Vorgänge weiter prozessiert. Es hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Dies gilt übrigens auch für das Material an der Oberfläche des Kometen. Aber das, was nun aus dem Inneren hervorkommt und als Kometenschweif sichtbar wird, das ist original erhaltenes Material. Welche Fragen können die Erkenntnisse aus dem Urmaterial beantworten? Dazu gehört beispielsweise die Frage, woher die umfangreichen Wassermassen auf der Erde kommen. Es gibt verschiedene Theorien, bei denen auch die Kometen, die ja als schmutzige Schneebälle beschrieben werden, eine wichtige Rolle spielen. Dies versucht man nun auch durch aus - und damit wurde es für die Wissenschaftler nochmals spannend. Richtig! Im Schweif finden sich Partikel aus dem Innern des Kometen. Es handelt sich um quasi unberührtes Ursprungsmaterial … … des Kometen? Vor allem ist es das Ursprungsmaterial des Sonnensystems. In dem Kometen hat sich dieses Material aus der Zeit, als unser Sonnensystem entstand, unberührt und tiefgekühlt erhalten. „FLASCHENPOST“ AUS DER FERNE DES SONNENSYSTEMS Wie das? Der Komet stammt aus einer sehr fernen Region unseres Sonnensystems, aus dem Kuiper-Gürtel, der jenseits der Planeten liegt. Im Kuiper-Gürtel kommt nur geringe Sonnenenergie an, so blieb dieser weitestgehend unverändert. Das Problem für die Wissenschaft jedoch ist: Der Kuiper-Gürtel befindet sich jenseits der Reichweite unserer Raketen. In diesem Zusammenhang kommen Kometen ins Spiel. Durch Gravitationsstörungen Die Landestelle von „Philae“ auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko; Foto: ESA PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 4 24.08.2015 8: 27: 48 Uhr REPORT 05 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 autonom ablaufende Reaktionsfähigkeiten, die nicht auf detaillierten Befehlen von der Erde aufbauen. Augenblick, bitte! Wir müssen doch auf der Erde in den Kontrollzentren erfassen können, was sich am Kometen abspielt. Richtig! Deshalb hat man bei dieser Mission auf eine Kombination zwischen Fernsteuerung mit Verzögerung und autonomer, lokaler Reaktionsfähigkeit gesetzt. Grob gesagt: Alle Vorgänge, die in Echtzeit gesteuert werden müssen, laufen autonom ab. Dazu gehört beispielsweise der Landevorgang. Eben sagten sie, dass noch niemand auf einem Kometen gelandet ist. Wussten Sie, was Sie auf Tschurjumow-Gerassimenko erwartet? Der Komet ist kohlrabenschwarz und finster. Es ist so, als würde man in einem Kohlenkeller ohne Licht arbeiten. Die faszinierenden Fotos, die Sie jetzt sehen können, sind aufwendig nachbearbeitet. Aus den Bildern lassen sich die mechanischen Eigenschaften nur schwer vorhersagen. Als Rosetta konstruiert wurde, wussten wir nicht, ob auf einer harten Oberfläche oder einer tiefen Staubschicht gelandet werden muss. Die Technik war so auszulegen, dass sie sowohl mit Staub als auch mit hartem Stein zurechtkommt. Diese Sonden müssen adaptiv auf die vorgefundene Umgebung reagieren können. Wobei man immer den Rahmen des technisch Möglichen im Auge behalten muss ... Auch des finanziell Möglichen. Je vielseitiger und quasi cleverer ein System ist, desto mehr kostet es meist. Da müssen wir im Dreieck von Kosten, Zuverlässigkeit und Technologie immer wieder abwägen und Iterationsschleifen durchlaufen, bis wir eine unter allen diesen Gesichtspunkten optimale Lösung gefunden haben. RECHNUNG MIT VIELEN UNBEKANNTEN Unter dem Strich ist solch eine Mission eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Trotzdem braucht man für die Planung und Umsetzung des Projekts zumindest einige Anhaltspunkte. Sie sagten vorhin, dass die Sonde für verschiedene Szenarien - Staub oder Stein - angepasst war. Wie kann man mit wenigen Anhaltspunkten solch ein Projekt überhaupt planen? Mal nachrechnen: Was auf der Erde 100 Tonnen wiegt, bringt auf dem Kometen gerade ein Kilogramm auf die Waage. Ja. Deshalb ist es auch so schwierig, mit der Sonde nach Material zu bohren. Wenn die Sonde nach unten drückt, hebt sie nach oben ab. Durch die extrem geringe Gravitation war es auch schwierig, den Planeten anzufliegen. Störkräfte gewinnen großen Einfluss, da sie nicht wie auf der Erde von einer nennenswerten Gravitation kompensiert werden. Hinzu kommt: Der Komet dreht sich um seine eigene Achse, etwa einmal in zwölf Stunden. Diese komplexen Bewegungen mussten hochgenau von den Space Dynamics- Spezialisten bei ESOC in Darmstadt aus den Nahbeobachtungen vorhergesagt werden, um den ausgewählten Landeplatz zu treffen. Denn der Landeanflug dauerte über 7 Stunden bei Geschwindigkeiten langsamer als ein Fußgänger. Trotzdem hat sie auf 100 Meter überraschend genau den Landeort erreicht. Wo lagen weitere Herausforderungen dieses Projekts? Eine Herausforderung bestand darin, sich dem Kometen überhaupt so anzunähern, dass Rosetta in seine Umlaufbahn kam. Das Raumschiff musste sich herantasten, seine Geschwindigkeit angleichen und in eine Umlaufbahn einlenken. Anschließend erfolgte erstmals eine Landung auf einem Kometen. Bisher ist man nur sehr schnell an Kometen vorbeigeflogen, beispielsweise mit der europäischen Sonde Giotto beim Kometen Haley - mit einer Geschwindigkeit von über 200.000 Stundenkilometern. „AUTONOM ABLAUFENDE REAKTIONSFÄHIGKEITEN“ Der Funkverkehr zwischen Erde und Sonde ist schwierig. Bei der Landung betrug die Distanz zur Erde rund 500 Millionen Kilometer. Der Signalweg beträgt etwa eine halbe Stunde. Wird hier ein Steuerungsbefehl gegeben und eine Antwort von der Sonde angefordert, so kommt die Antwort erst nach einer Stunde an. Erst dann kann man wieder eingreifen - wiederum mit großer Verzögerung. Was bedeutet diese lange Datenübertragung für die Mission? An den physikalischen Gegebenheiten der Datenübertragung lässt sich nicht rütteln. Man muss schauen, wie man mit derartigen Verzögerungen zurechtkommt. Die Sonde verfügt über viele Chemie - wurden bereits nachgewiesen. Es ist zu hoffen, dass uns die „Rosetta“-Mission auch bei der Beantwortung dieser Frage ein Stück weiterbringt. Die Wissenschaftler sind schon jetzt von den ersten Ergebnissen begeistert. Man hat spannende Publikationen auf den Weg gebracht, die allerdings noch im Druck sind. Nochmals zu dem Lander, der auf dem Kometen Experimente und Messungen durchführt: Der Lander Philae hat den vorgesehenen Landeplatz verfehlt. Die Schubdüsen, die Anker und Eisschrauben haben nicht richtig funktioniert und den Lander nicht befestigt. Was ist genau geschehen? Die Sonde ist wieder zurückgefedert nach der ersten Landung. Sie ist auf einen Kilometer Höhe gestiegen und hat noch ein zweites und drittes Mal aufgesetzt. Dann hat sie sich in einer Felsspalte verkeilt. Vorhin sagten Sie, dass dieser „neue“ Landeplatz in der Felsspalte noch besser ist für die Mission. Weshalb ist er besser? Der ursprüngliche Landeort war vorgesehen auf einer ebenen Fläche, bedeckt von einer etwa 30 Zentimeter dicken Staubschicht. Jetzt befinden wir uns am Rande eines Kraters, umgeben von erstaunlich festem Gestein. Nach der Landung hat die Sonde vollautomatisch die vorgesehenen Experimente durchgeführt. Jetzt besteht die gute Möglichkeit, darauf aufbauend weitere, neue Experimente zu unternehmen. Dafür ist der neue Landeplatz günstig. Allerdings verhindern die zunehmenden Ausgasungsaktivitäten des Kometen, dass sich Rosetta nahe annähern kann; damit ist die Kommunikationsverbindung sehr eingeschränkt. EXTREM GERINGE GRAVITATION Ein Komet ist ein vergleichsweise kleines Objekt im Weltall - ein Winzling, wenn man bedenkt, dass er einen Radius von zwei bis vier Kilometern hat. Welche Herausforderungen ergaben sich daraus für das Projekt? Von der Masse her können Sie den Kometen mit einem Berg auf der Erde vergleichen - etwa mit dem Montblanc. Dies hat Einfluss auf die Gravitation des Kometen. Die Gravitation beträgt nur etwa ein Hunderttausendstel dessen, was wir von der Erde her kennen. PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 5 24.08.2015 8: 27: 49 Uhr projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 06 REPORT Nein. Am Ende der Phase B wird die Planung eingefroren. Es müssten schon außergewöhnliche Gründe eintreten, dass die Pläne dann nochmals verändert werden. Eine Raumsonde ist ein sehr komplexes System. Auch die Realisierung mit mehr als 50 über ganz Europa verteilten Firmen ist sehr komplex. Wenn jeder auf seinem Gebiet ändert und lokal verbessert, ohne die Rückwirkungen zu übersehen - das Gesamtsystem würde sicher nicht funktionieren. Sprechen wir bitte noch über die Risiken bei Raumfahrtprojekten. Sie hatten bei der „Rosetta“- Mission ein großes Problem zu bewältigen. Die Rakete Ariane 5, die die Sonde ins All befördern sollte, explodierte bei ihrem Jungfernflug. Die Fehler nach dem Unglück mussten sorgfältig analysiert werden. Der Starttermin Ihrer Sonde hatte sich damit um lange Zeit verschoben. Der verschobene Starttermin führte dazu, dass der ursprünglich anvisierte Komet nicht mehr erreichbar war, nachdem er sich in seiner Bahn weiter fortbewegt hatte. Der Komet Tschurjumow-Gerassimenko war anfangs gar nicht das Ziel? Nein, das war der Komet Wirtanen. Wir hatten aber großes Glück, dass sich nach längerer Suche Tschurjumow-Gerassimenko als mögliches Ersatzziel herausstellte. Natürlich mussten die Bahnen und auch die Technik für Rosetta entsprechend angepasst werden. Dies war bei fast fertigem Raumschiff eine spannende Phase neuerlicher Anpassung. „FLY-BYS“ GEBEN ZUSÄTZLICHE ENERGIE Was daran war so schwierig? In der Regel reicht die Leistung der Raketen nicht aus, um den Zielkometen direkt anzufliegen. Deshalb greift man in der Raumfahrt zu einem Trick, den sogenannten „Fly-Bys“. Die Sonde ließ sich auf ihrem Weg von der Gravitation der einzelnen Planeten einfangen und ein Stück mitziehen: Damit gewinnt sie zusätzliche Energie. Dies bedeutet aber auch: Die Bahnen vom Satelliten, von den Planeten und vom Zielkometen müssen zusammenpassen. Bei einer Startverzögerung geht eine günstige Konstellation, die vielleicht nur ein oder zwei Tage vorhält, wieder verloren. Kommt es zu einer Verzögerung, dann bietet sich vielleicht erst nach Jahren Weshalb ist so früh bereits die Industrie an den Projekten beteiligt? Weil die Industrie auch die Kosten für die Lösungen ermitteln muss. So kann man der geplanten Mission direkt ein Preisschild anhängen. Häufig müssen dann in weiteren Iterationen geeignete Kompromisse gefunden werden, um zwischen hohen Anforderungen und verfügbaren Budgets zu vermitteln. Man tastet sich quasi an die machbare Lösung heran ... … indem man beispielsweise sinnvoll Anforderungen reduziert, um in die Zone des finanziell Machbaren vorzustoßen. Dies ist ein völlig normaler Vorgang in der Raumfahrt. Diese Forschungsprojekte und Machbarkeitsstudien lösen fast immer technologischen Fortschritt aus - häufig ganze Quantensprünge im Fortschritt. In der Raumfahrt arbeitet man bekanntlich an den Grenzen des derzeit technisch Machbaren. Es werden Technologien entwickelt, die sich dann Jahre später auch in unserem Alltagsleben bemerkbar machen. Eben sprachen sie beispielsweise von autonomen Steuerungssystemen. Aufgrund der großen Distanz zur Erde muss der Lander Philae komplexe Manöver autonom steuern. Ähnliche Systeme gibt es ja heute - Jahre später nach dem Start der Rakete im Jahr 2004 - auch auf der Erde. Ein Beispiel dafür, das jeder kennt: In der Automobilindustrie sind Fahrassistenzsysteme ein großes Thema. Man redet bereits von selbstfahrenden Autos, was natürlich noch Zukunftsmusik ist. Aber wenn heute Autos automatisch einparken können, dann nutzen sie auch Kontrolltechnologien, die in der Raumfahrt weiterentwickelt wurden. Raumfahrt findet also Niederschlag in unserem Alltagsleben. PLANUNG WIRD „EINGEFROREN“ Die Technologie entwickelt sich heute sehr schnell. Dies kann man besonders an der Computertechnologie erkennen. Meine Frage: Nach Abschluss der Planungen vergehen noch einige Jahre, bis die Sonde gebaut ist. Ist man in solchen Projekten nicht immer wieder versucht, das Planungspaket wieder aufzuschnüren und aktuelle technische Innovationen einzubeziehen? Die eben erwähnte Anpassungsfähigkeit der Technik ist ein wichtiger Baustein dafür, ein Projekt mit so vielen Unbekannten durchzuführen. Die Sonde ist so gestaltet, dass sie mit einem weiten Bereich von Bedingungen umgehen kann. Was die Planung betrifft: Bei der Realisierung einer Raumsonde handelt es sich um einen sehr langen Prozess. Der Projektstart für Rosetta war 1992, doch Vorarbeiten zu technischen Machbarkeitsanalysen fanden bereits Ende der 1980er-Jahre statt. Damals konnte ich bereits zur Systemdefinition beitragen. Systemdefinition? Wie geht man dabei vor? Ausgehend vom vorhandenen Wissen über Kometen versuchte man technische Lösungsansätze zu finden. Die Wissenschaftler waren in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung. Wir hatten es mit vielen Unsicherheiten zu tun. In der Planung versucht man deshalb zunächst Lösungskonzepte zu entwickeln, wie man mit den Unsicherheiten umgehen kann. Dabei zeigt sich auch, in welchen Bereichen noch Zusatzwissen erarbeitet werden muss, um zuverlässige Lösungen zu finden. QUANTENSPRÜNGE IN DER TECHNOLOGIE Planungen erfordern bekanntlich Entscheidungen, häufig Weichenstellungen von erheblicher Tragweite für das Projekt. Wie kann man - obwohl man kaum Bestimmtes weiß - fundierte Entscheidungen treffen? Interdisziplinäre Teams setzen sich mit solchen schwierigen Entscheidungen auseinander, welche Lösungsalternativen sinnvoll sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen. Es ist intensive Arbeit nötig, um frühzeitig die Probleme überhaupt zu identifizieren, denen dann durch entsprechende Forschung mit neuen Lösungen begegnet werden kann. Sind die offenen Fragen erkannt, müssen Forschungsprojekte die Wissenslücken schließen oder das Projekt muss aufgegeben werden. Falls dies gelingt, schließen sich später konkrete Machbarkeitsstudien an, die man bewusst von der Industrie durchführen lässt. Manchmal arbeiten zwei verschiedene Industrieteams getrennt voneinander an einer Machbarkeitsstudie; so bekommen wir alternative Ansätze, aus denen wir lernen können. PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 6 24.08.2015 8: 27: 49 Uhr REPORT 07 projektManagementaktuell | AUSGABE 4.2015 Darauf möchte ich hinaus! Sie erfahren mit großer Verspätung, dass ihr Projekt gelungen ist und die Pläne aufgegangen sind. Lesen sie dann von ihrem Projekterfolg aus der Zeitung? Bei den großen Ereignissen - etwa bei der Landung - sind viele Ehemalige in den Kontrollzentren mit dabei, und es ist schon spannend, nach so vielen Jahren dann zu erleben, ob die Vorhersagen tatsächlich alle wie geplant zutreffen. Solche Projekte bilden unter den Beteiligten eine Gemeinschaft, die sich über Generationen erstreckt. n Eine Art „Task Force“ für Risikomanagement? Richtig! Diese Spezialisten sollen die Risiken aufspüren und analysieren. Dann sind im nächsten Schritt entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten und neue Lösungen zu entwickeln. Hierzu muss der Fortschritt des Systems kontinuierlich kritisch verfolgt werden. Projekte wie die „Rosetta“-Mission haben eine lange Laufzeit. Projektleiter müssen auf ihren Erfolg lange warten, oft über einige Jahrzehnte. Viele Wissenschaftler, die diese Mission mit geplant haben, sind heute bereits im Ruhestand. wieder eine ähnlich gute Chance für den nächsten Startversuch. Wie geht man mit solchen Risiken um? Wie ist das Risikomanagement gestaltet? Hat man Risiken überhaupt vorhergesehen, findet man in der Regel entsprechende Gegenmaßnahmen. Problematischer sind unerkannte Risiken. In der Raumfahrt muss über komplexe technische Systeme bei den Satelliten und die Unsicherheiten der Einsatzumgebungen der Überblick behalten werden. Hier sind spezialisierte Mitarbeiter im Einsatz, um bislang noch unerkannte Risiken aufzuspüren. Ziel erreicht: Mit hochpräzisen Steuerungsmanövern näherte sich die Sonde dem Kometen an. Foto: ESA/ ATG medialab PM-aktuell_4-2015_Inhalt_01-84.indd 7 24.08.2015 8: 27: 54 Uhr
